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"Amalea im Jahre 350 nach Gründung Fiorinde. Der letzte große Krieg Chaos gegen Ordnung ist in vollem Gange. Die Armeen des Chaosbündnisses dringen in alle Gebiete Amaleas vor und beginnen die Truppen der Allianz Stück für Stück zurückzudrängen ..." Jenseits des Großen Abgrunds finden sich Chara, Siralen und Darcean als Ausgesetzte an der Küste der neu entdeckten Landmasse wieder, die von den Einheimischen Wafnin genannt wird. Nach der Meuterei des ehemaligen Admirals Tauron Hagegard sind sie und ihre Mitstreiter von ihrer Flotte getrennt. Ihre einzige Chance, die Mission zur Rettung Amaleas fortzuführen, besteht in der beschwerlichen Fußreise nach Halsaf, um dort bei den Weisesten des Landes um Hilfe zu bitten. Was Chara und die anderen nicht wissen: Sie werden verfolgt! Eine neuerliche Prüfung wartet auf die Helden der Allianz. Siralen wird mehr und mehr an einen Abgrund gedrängt, der sie mit ihren schlimmsten Ängsten konfrontiert, und Charas Gegner schmieden teuflische Pläne, um die Flottenoberkommandantin endgültig aus dem Spiel zu werfen. Dabei werden die Zauberkundigen und Priesterschaften zu den gefährlichsten Fraktionen für alle, die sich um das Sandkorn geschart haben. Und während sich das Seil um Charas und Siralens Hals immer enger zieht, zieht der Elf Darcean Dahoccu seine eigenen Schlüsse und erfährt am eigenen Leib, dass nicht nur das Licht eine Daseinsberechtigung hat. "Die Welt ist zu schwer, um sie zu tragen."
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Seitenzahl: 1071
Darcean Dahoccu
J.H. Praßl
Chroniken von Chaos und Ordnung 7
Darcean Dahoccu
Versuchung
Praßl, J.H. : Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 7: Darcean Dahoccu. Versuchung, Hamburg, Lindwurm Verlag 2024
Originalausgabe
ePub: ISBN 978-3-910279-19-3
Dieses Buch ist auch als Printerhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
Print-ISBN: 978-3-910279-18-6
Lektorat: Daniela Rudolph, Lindwurm Verlag
Umschlaggestaltung: Annelie Lamers, Lindwurm Verlag
Umschlagmotiv, Illustrationen und Karten: © J.H. Praßl
Einige der hier verwendeten Elemente wurden mit freundlicher Genehmigung des Verlages für Fantasy- und Science-Fiction-Spiele aus dem Fantasy-Rollenspiel MIDGARD übernommen.
Folgende Textstellen wurden mit freundlicher Genehmigung der Verfasser veröffentlicht:
Siralens Tagebücher: Mirjam Hierzegger, überarbeitet von J.H. Praßl
Siralens Gedanken bei der Wandlung im Kapitel „Erhebe du dich“: Mirjam Hierzegger, überarbeitet von J.H. Praßl
Sedhorads Gedicht für Darcean im Kapitel „Funkenflug“: Thomas Strauß, überarbeitet von J.H. Praßl
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der Lindwurm Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH,
Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
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© Lindwurm Verlag, Hamburg 2024
Alle Rechte vorbehalten.
https://bedey-thoms.de/pages/lindwurm-verlag
Widmung
Musikempfehlung
Wafnin
Gestrandet
Von unterschiedlichen Ufern
Kalter Entzug
Wagen auf dem Weg
Niemand sollte Runen ritzen …
„Erhebe du dich!“
Absprung
Funkenflug
Zwischen Frieden und Krieg
Die Herde
Wafnin
Sturm
Einar
Letzte Etappe
Halsaf
Der Weise
Das Hingur
Ein Teil des Teils
Und diese Liebe kann nicht untergehen
Ein Bruder
Spiegelkrieger
Für immer
Zurück zur Basis
Letzter Aufruf
Achtung …
Die Akte Kerrim
Ein Sprung
Die Achse bricht
Göttliche Einmischung
Ein Hinweis
Das Urteil der Götter
Ein Teil des Teils, der anfangs alles war
Tala
Jemand
Roellas Plan
Die „Schroeder-Taktik“
Wieso kapitulieren?
„Der Rest von mir …“
Die Würfel fallen
Plan A
Das Qihin-Imperium
Ein Überfall
Shian
Tag X
Die Zwei
Jedem seine Aufgabe
Einer macht immer Probleme
Die Dreizehn
Tauron
Der Barde
In den Ruinen des Sieges
Komm in mein Boot
Eine Lehre
Verhandlungen
Schwarze Sonne
Epilog
Register
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Widmung
Wie es bei uns Usus ist, widmen wir auch diesen Band den Spielerinnen und Spielern.
Das letzte Jahr war ein außergewöhnliches Chroniken-Jahr und sollte mit außergewöhnlichen Worten bedacht werden – nicht nur wegen des 10-jährigen Jubiläums in Sachen Erstveröffentlichung des 1. Bandes, sondern auch, weil das Spiel nun zu Ende ging. Nach 35 Jahren (in Heinz’ Fall) und nach 22 Jahren (in meinem Fall) löste sich die Spielgruppe rund um diese scheinbar endlos gespielte Geschichte auf. Erwartet zwar, denn wir wussten ja, dass es zu Ende geht, und trotzdem fast ein bisschen zu plötzlich. Das, was unterschiedliche Gruppen aus Spielern und Freunden über Jahrzehnte hinweg zusammengeholt und beschäftigt hatte, endet damit, und aus unserem Leben verschwindet ein gemeinsames Stück Welt.
Liebe Spieler*innen, die ihr nun in den 7. Band Einzug haltet – wir wissen, dass diese Geschichte für einige von euch eine besondere emotionale Herausforderung darstellte. Und auch wir kämpften immer wieder mit uns selbst und dem jeweils anderen, und auch wir bissen uns durch manche Phasen der Geschichte und drehten das Kreuz in den Sturm, um bis zum bitteren Ende durchzuhalten. Das ist es, was uns Langzeitspieler*innen ausmacht und verbindet. So wie ihr für eure Figuren gekämpft habt, kämpfte ich für meine und Heinz für seine Welt. Und wir kämpften gemeinsam für diese Geschichte.
Danke, dass ihr so weit mit uns gegangen seid:
Katharina Prexl
Du bist gleich zweimal vertreten in diesem Band – einmal in altbekannter, einmal in taufrischer Gestalt. Aber das ist ja nichts Neues.
Was haben eine Ordenskriegerin und eine Thaumaturgin gemeinsam? Tja, sie sind beide auf ihre Weise bestechend – so wie es ihre Vorgängerinnen waren. Muss an dir liegen, Kathi. Diesmal hast du uns zwei Figuren mit Witz und Verstand geliefert. Und beide haben es ins Buch geschafft, was ja nicht von allen Spielfiguren behauptet werden kann.
Mirjam Hierzegger
Siralens Weg kommt in diesem Band an jenen Punkt der Geschichte, der dir als Spielerin zum Verhängnis wurde. So ist das Spiel rund um Chaos und Ordnung auch immer schon beides gewesen – Abenteuer und Verhängnis. Manche schicksalshafte Fügung (oder auch tragische Fehlentscheidung) kann eine Figur möglicherweise sogar überdauern und verwinden, nicht aber ihre Spieler*in. Du hast trotzdem weitergemacht und uns Neru geschenkt – das komplette Kontrastprogramm zu deiner Elfe.
Man kann es drehen und wenden, wie man will – unter’m Strich war deine und Siralens Reise ein Abenteuer, das sich zu einem einzigartigen dramaturgischen Plot entwickelte und damit in die Geschichte der Fantasy-Dramen eingehen wird. Chapeau!
Moritz Siegl
Dir wurde nichts geschenkt und nichts je leicht gemacht. Aus Kauris Traum wurde vermutlich sein Albtraum. Aber auch du gehst in die Annalen der Chroniken ein – gewollt oder nicht – und wirst damit nie in Vergessenheit geraten. Weder für uns noch für unsere Leserschaft. Danke für den Maen, der nicht wusste, ob er dazugehören oder sich lieber davonstehlen möchte. Danke für einen jungen Aufstrebenden, der nicht zu fragen aufhört und auf alles eine Antwort haben will. Er hat bestimmt längst verstanden, dass er selbst für seine Antworten verantwortlich ist.
Thomas Strauß
Den schmalen Grat zwischen dem, was nicht sein darf, dem, was sein kann, und dem, was wir für uns selbst wollen, zu folgen, ohne dabei in eine Rinne zu geraten, ist ein Drahtseilakt. Für dich als reale Person ist es vermutlich eine tägliche Herausforderung und Lebensaufgabe. Für Darcean, den vermutlich „ältesten“ deiner RSP-Charaktere ist es die entscheidende Prüfung. Hat er sie gemeistert? Wir können uns mittlerweile ein Urteil darüber bilden – unsere Leser*innen müssen Darceans Geschichte noch zu Ende lesen. Darum schweigen wir hier vornehm und lassen sie die Wahrheit hinter dem namensgebenden Protagonisten dieses Bandes selbst ergründen. Wie auch immer sie aussehen mag, dieses Buch heißt zu Recht Darcean Dahoccu.
Veit Kramer
Irwin MacOsborn ist eines der glänzenden Beispiele für Charaktertreue. Du bist mit deinem Sieger des Sängerwettstreits von Haelgarde kompromisslos deinen Weg gegangen, Veit, und hast dabei für manch Unbill gesorgt. Zugleich hast du den Barden mit Hang zur Selbsterhöhung ganz langsam zur Höchstform auflaufen lassen, was auch in diesem Band zu erleben ist. So wurde aus einer kleinen, musizierenden „Zecke“ ein in die Bardenepen eingehender Held. Möge der Held mit dem versteckten Mut und dem wachen Geist auch da draußen in der wirklichen Welt Spuren hinterlassen.
Und wie immer danken wir allen Vorausspielern für ihre Figuren, ihre Leidenschaft, mit der sie die Vorgeschichte vorantrieben. An dieser Stelle sind nur jene erwähnt, die auch im vorliegenden Band Erwähnung finden:
Chris (für Bargh Barrowsøn), Dominik (für Thorn Gandir), Hoink (für Fusulus Konfusius, Perrorgerued Respensøn), Max (für Telos Malakin), Peter (für Gaan), Robin (für Grimnir Rotbart), Roland (für Freon Eisfaust), Stefan (für Langeladeon), Tom (für Herkul Polonius Schroeder).
Musikempfehlung
Musik zu den einzelnen Szenen, im fortlaufenden Roman an den betreffenden Stellen mit (Musikempfehlung) markiert:
Siralens „Nacht“ (Kapitel „Du bist unser“): Laibach – Du bist unser (Album „WAT“)Totschas Rückkehr (Kapitel „Und diese Liebe kann nicht untergehen“): Stahlhammer – Für immer Feenorchester (Kapitel „Das Hingur“): Richard Wagner – WalkürenrittAuftritt der Hauttur (Kapitel „Spiegelkrieger“): Queens Of The Stone Age – Spiders And Vinegaroons Botschaft der Dragatisten (Kapitel „Achtung ...“): Laibach – Achtung (Album „WAT“)Botschaft Kasais (Kapitel „Die Achse bricht“): Attwenger – Fressn Das Götterurteil (Kapitel „Das Urteil der Götter“): Tanzwut – Götterfunken Darceans Traumvision 1 (Kapitel „Tag X“): Attwenger – HuadDarceans Traumvision 2 (Kapitel „Komm in mein Boot“): Rummelsnuff – Seemann (Rammstein-Cover)Die Welt
Wafnin
Wafnin - Reise
Reiseroute
Qihin-Imperium
Qihin-Imperium – Reise
Meine Herren,
ich gebe hier keinen vollständigen Bericht ab. Am Ende dieser Worte werdet ihr keinen PUNKT finden.
Kein
„Ich habe getan, was ich konnte STOPP Hiermit ziehe ich mich aus dieser Mission zurück STOPP Diese Nachricht dient der Bekanntgabe meines Rücktritts STOPP
Viel Erfolg für das Gelingen der Mission AUSRUFUNGSZEICHEN“.
Nein. Ihr werdet weder ein Zeichen der Resignation noch einen Beweis für meinen Stillstand finden. Denn ich bin noch nicht am Ende.
„Ich habe mich gerade erst warm gespielt STOPP Dies ist der Zeitpunkt, wo ich kurz Luft hole, ausatme und mich neu orientiere STOPP Danach wird sich hier einiges ändern STOPP Fürchtet ihr die Schwarze Frau FRAGEZEICHEN Ihr fürchtet sie nicht genug AUSRUFUNGSZEICHEN“.
Nach dem Beistrich folgt die leere zweite Hälfte des Pergaments, auf das ich diese Nachricht geschrieben habe – ein bleiches, unbeschriebenes Blatt. Ihr werdet die Botschaft dennoch erkennen.
Sie lautet:
„Ihr werdet mich nicht kommen sehen. Ihr werdet keine Ahnung haben, wann, wie und von wo aus ich zuschlage. Ihr werdet blind sein und ich sehend. Ihr werdet euch in jedem verfluchten Augenblick, in dem etwas Unvorhergesehenes geschieht, fragen, ob ich es bin, die hier erneut für Chaos sorgt.“
Bin ich nicht bemitleidenswert größenwahnsinnig?
Keine Frage, das bin ich. Und das ist mein Glück und euer Pech. Denn der Größenwahn schützt mich davor aufzugeben. Er heizt mich dazu an weiterzumachen. Er will, dass ich auch aus den aussichtslosesten aller Situationen noch raushole, was rauszuholen ist. Er bringt mich dazu, ohne Zögern voranzuschreiten, mein Ziel nicht zu hinterfragen und den Glauben an das, was ich tue, nicht zu verlieren. Er motiviert mich dazu, bis ans Limit, bis ans Äußerste meiner Kraft und meines Ideenreichtums zu gehen.
Der Größenwahn ist ein notwendiger Teil des Willens, etwas Großes zu schaffen. Ohne Größenwahn hätte ich längst aufgegeben, ohne maßlose Selbstüberschätzung säße ich längst in der Brig oder wäre tot.
Dies sind die Fakten.
„Ich bin einen Schritt zu weit gegangen FRAGEZEICHEN
Meine Herren, ich werde noch viele Schritte zu weit gehen …“
Amalea im Jahre 350 nach Gründung Fiorinde
Tausend und dreihundertfünfzig Jahre
nach Beginn der Chaoszeit.
Fünfhundert und siebzig Jahre
nach dem Höhepunkt der Chaosherrschaft.
Zweihundert Jahre nach der Vertreibung der Chaosmächte
aus den Gebieten des Nordens, des Ostens,
des Südens und des Westens.
Der letzte große Krieg Chaos gegen Ordnung ist in vollem Gange. Die Armeen des Chaosbündnis’ dringen in jeden Winkel Amaleas vor und beginnen die Allianz Stück für Stück zurückzudrängen. Unter seinem Sprecher Al’Jebal, auch bekannt als Der Alte vom Berg, sammelt der Allianzrat seine Truppen um einige wenige gut befestigte Allianzgebiete, darunter der Hauptstützpunkt Tamang.
Alba wird von der für ihren sechsjährigen Sohn Kalan MacGythrun regierenden Königin Sirion MacGythrun, auf Empfehlung ihres Beraters Jarog Mordos, zur Erbmonarchie erklärt. Zugleich lässt die Königin im ganzen Land Orks ansiedeln, die sich ihrer Herrschaft unterordnen. In Folge dessen wächst der Anteil der Orks innerhalb der Bevölkerung Albas auf rund vier Fünftel an, während der menschliche Anteil nur mehr ein Fünftel ausmacht. Das Land leidet unter der Ausbeutung durch seine neuen Bewohner. Wälder werden schonungslos gerodet, die Natur verkümmert mehr und mehr. Das Leben im einst grünen Alba schwindet.
In Albion greifen immer wieder Truppen aus Alba an, die nunmehr zu zwei Dritteln aus Orks und einem Drittel aus menschlichen Soldaten bestehen. Doch die langjährigen Vorbereitungen auf den Krieg und der Bau einer ganz Albion umschließenden Grenzfestung machen sich bezahlt. Albion kann erfolgreich sämtliche Angriffe aus Alba abwehren und verteidigt sich ebenso effizient gegen die Angriffe der Töchter der Schlange aus Erainn.
Nachdem in Chryseia im Jahre 349 nGF der Bund von Kroisos mit der Verstärkung von zehn valianischen Legionen den Bürgerkrieg gegen den Chryseischen Städtebund für sich entscheiden konnte, verlangt die Regentin des Valianischen Imperiums, Cäsara Rosmerta, den Anschluss Chryseias an ihr Imperium. Die Führer des Bundes von Kroisos lehnen dies ab. Daraufhin veranlasst die Cäsara die Ermordung der führenden Persönlichkeiten des Bundes von Kroisos und deren Familien. Die acht noch in Chryseia befindlichen valianischen Legionen übernehmen die Kontrolle über das Land und jeglicher Widerstand wird brutal unterdrückt. Im Laufe des Jahres 350 nGF wird Chryseia in vier Provinzen unterteilt und vollständig in das Valianische Imperium eingegliedert.
Im Osten Amaleas, in Sinpan, setzen die Sinpani ihre seit 348 nGF andauernde Belagerung des Rings aus Drachen und Aragg um Lapis Zahira mit regelmäßig stattfindenden, kleineren Angriffen fort. Trotz der eintreffenden Unterstützung durch ein Heer der Tulurrim bleibt ein Großangriff der sinpanischen Truppen und ihrer Unterstützer aber weiterhin aus. Unterdessen wird der von den Sinpani besetzte und annektierte Nordosten Rawindras unerwartet von den Grakas aus den Wäldern angegriffen. Die bisher mit den Sinpani verbündeten Grakas bringen die sinpanischen Truppen in arge Bedrängnis. Erst durch die Unterstützung eines weiteren, über das Kasatrische Meer mit sinpanischen Schiffen übergesetzten Heeres der Tulurrim können die Sinpani ihre neuen Besitzungen in Rawindra verteidigen. Allerdings erleiden sie dabei äußerst hohe Verluste.
Die Dunklen Mathiten bauen daraufhin vor allem die Or-Tijun-Sipa, die Göttliche Armee, bestehend aus Orku, aus. Dazu wird die Bevölkerung ganzer Landstriche, besonders im annektierten Teil Rawindras, in Orku umgewandelt. Orku, auch „die Unbesiegbaren“ genannt, sind willenlose, menschliche Wesen, die ausschließlich für den Kriegsdienst eingesetzt werden. In Folge dessen wird die Or-Tijun-Sipa zum größten Teil des sinpanischen Heeres.
Nach der Evakuierung der menschlichen Bevölkerung im Jahre 345 nGF wurde Valland von den Tulurrim besetzt. Mittlerweile haben sich Orks in der Region angesiedelt, die den Tulurrim Gefolgschaft leisten und gemeinsam mit diesen das Land ausbeuten. Land und Natur verkümmern. Das Leben im einstigen Valland schwindet.
Nachdem im Jahre 349 nGF der Norden des Landes Aschran von den Truppen des Valianischen Imperiums besetzt worden ist, wird der in zwei Provinzen gegliederte Teil nun restlos ausgebeutet. Ende des Jahres übergibt Cäsara Rosmerta den Oberbefehl über alle hier befindlichen valianischen Truppen einem fremdländischen Heerführer namens Van Haijen.
Das Kalifat Yartim im Süden Aschrans wird Ende des Jahres von mehreren valianischen Legionen aus den drei Küstenprovinzen (ehemals Küstenstaaten) mit Unterstützung der Flotte der einstigen Küstenstaaten angegriffen. Den Befehl zum Angriff erteilt Cäsara Rosmerta. Die vereinte Armee der Küstenprovinzen wird dabei von einem fremdländischen Heerführer namens Van Godlberg angeführt. Es kommt zu heftigen Kämpfen.
Die Stadt Billus setzt den Wiederaufbau nach den Angriffen des Valianischen Imperiums und seiner völligen Zerstörung im Jahre 348 nGF fort. Unterdessen macht sich die Allianz unter ihrem Sprecher Al’Jebal für das Eintreffen der valianischen Legionen bereit – darauf bauend, dass die Verstärkung aus El’Chan rechtzeitig eintrifft und das schlimmste Übel abwenden kann.
Wafnin
Gestrandet
Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Ihre Strahlen schickten zaghaft erste Boten von Licht und Wärme über den schmalen Grat, der den Tag von der Nacht trennte. Ein sanfter, roter Schimmer lag wie Dunst über dem Horizont und kündete vom nahenden Morgen.
Es war Dosandag, der zweiten Trideade im Hirschmond 350 nach Gründung Fiorinde und es war Herbst. Die Tautropfen zitterten gläsern an den Grashalmen, reflektierten das erste Licht des Tages und zauberten einen märchenhaften Glanz auf die Wiese. Doch bei allem Zauber, mit dem die Natur sein Augenlicht zum Leuchten bringen wollte, über seinem Herzen lag schwer und unverwüstlich ein dunkler Schatten.
Darcean ließ seinen Blick über die sanften Wellen wandern, die glucksend den kleinen Hang des von Kies bewährten Küstenstreifens hochschlugen. Rings um ihn herum dominierten grüne Wiesen und Berge das Landschaftsbild. Bäume, geschweige denn Wälder waren nirgendwo auszumachen.
Er umfasste seinen magischen Stab fester und drehte sich um. Sein Blick fiel auf die schlafenden Gestalten rund um die längst erkaltete Feuerstelle. Der Weltgeist meinte es nicht gut mit ihnen. Im Augenblick zeigte er ihnen allen, die sie hier wie Ballast einfach abgeworfen worden waren, die Schattenseiten in all ihrer Mächtigkeit. Hier an diesem öden Küstenstreifen unterzog er sie alle einer Prüfung. Und am härtesten traf es seine Herzensfreundin.
Siralen hatte sich mit dem Rücken zum Meer auf ihrem Lager zusammengerollt wie ein kleines Mädchen. Sie schien zu schlafen, aber Darcean wusste es besser. Sie war außerstande zu schlafen, und das würde sich in den nächsten Tagen, womöglich Monden nicht ändern. Die einst so stolze Elfenkriegerin hatte alles verloren, zuletzt ihren ohnedies schon brüchig gewordenen Glauben an sich selbst. Für sie gab es nur noch eine einzige Möglichkeit, sich vor dem endgültigen Verschwinden zu retten, sich davor zu bewahren, sich im Nichts aufzulösen, und dem Tode zu entgehen, nachdem sie sich gewisslich sehnte. Siralen musste an den Anfang zurück. Sie musste all die Hüllen abstreifen, die sich um den Kern ihres Selbst gelegt hatten. Sie musste all die vom Lebensfaden gewobenen Erfahrungskleider ablegen, all die Erlebnisse, mit denen das Leben sie bedacht und geformt hatte, vergessen – bis nichts mehr von ihr übrig blieb als Siralen, das Kind, das sich gerade erst seiner selbst bewusst wird. Danach musste sie sich neu entdecken, neue Wege beschreiten, wieder zu sich selbst finden. Doch wer konnte das? Wer war stark und weise genug, all das hinter sich zu lassen, was ihm irgendwann so viel bedeutet hatte?
Bekümmert schloss Darcean die Augen. Die Welt ist zu schwer, um sie zu tragen.
Nach ihrer Anlandung an diesem verlassenen Küstenstreifen hatte Darcean die Ehe zwischen Siralen und Hagegard gelöst und Letzteren als rechtlos innerhalb der Gesellschaft der Elfen erklärt. Kurz, in Zukunft galt Tauron Hagegard als Feind aller Elfen, die sich in der Allianzflotte aufhielten. Darcean hatte diesen Schritt nicht unternommen, um Siralen zu helfen, sondern um das Ansehen seines Volks vom Schmutz dieses verräterischen, menschlichen Abschaums zu befreien. Siralen hatte ihm dennoch dafür gedankt. Vielleicht hatte diese Geste auch ein Stück ihrer Seele gereinigt.
„Wir brechen in einem halben Glas auf“, vernahm Darcean eine belegte Stimme und ein Schatten fiel auf das taugetränkte Gras neben ihm.
„Auch dir sei ein guter Morgen beschieden, Chara. Dann werde ich damit beginnen, die anderen zu wecken. Ich nehme an, wir gehen nach Kaupan?“
„Richtig.“
Darcean beäugte die Flottenoberkommandantin von der Seite. Sie rührte sich nicht.
„Denkst du denn, die Maen werden uns gute Verbündete sein, Chara? Bis jetzt haben sie sich als friedliebend erwiesen. Sie verabscheuen den Krieg.“
„Du hast sie nicht kämpfen gesehen, Darcean. Ich schon. In Kumal, als sie eingegriffen und mich, Siralen und Kambe da rausgeboxt haben. Sie können unseren Vallandern locker das Wasser reichen.“ Ihr Blick streifte seine Augen. „Es sind Krieger, auch wenn sie den Frieden suchen.“
Dann ging sie zurück zu den anderen und Darcean blickte ihr hinterher. Chara hielt auf das Lager ihres Blutsbruders zu, der leise schnarchend am Rande der anderen schlafenden Gestalten lag. Neben dem schwarzen Berg aus Stoff und Decke ging sie in die Hocke und rüttelte an Ben Yussefs Schulter. Erst jetzt stellte Darcean fest, dass der andere treue Wegbegleiter des Sandkorns nicht mehr auf seinem Nachtlager lag. Auch Lindawens Rucksack war verschwunden.
Nun gut, um den Obersten der Lichtjäger musste man sich nicht sorgen. Der war in der Lage, auf sich selbst zu achten und wusste vermutlich besser als jeder andere Elf, welche Gefahren dort draußen lauerten. Ganz im Gegensatz zu den meisten anderen, die an diesem unseligen Küstenstreifen ausgesetzt worden waren. Kambe, MacOsborn, der Maen Kauri Akureysan, Eloki Hablok mit seinem Slarpon und ganze achtundzwanzig Krieger vom Stamm der Goygoa, nicht zu vergessen Chara und Siralen … Sie alle waren in Gefahr, ebenso wie seine Wenigkeit.
Darcean schritt zu Siralens Lager und blieb am Kopfende stehen, wo er darauf wartete, dass sich der reglose Körper bewegte.
„Guten Morgen, mein Herzensfreund“, murmelte Siralen und wälzte sich träge auf den Rücken.
„Guten Morgen, Schwester im Geiste.“
Er reichte ihr die Hand und sie griff danach. Doch als er sie hochzog, spürte er ihr ganzes Gewicht. Nicht das ihres schlanken Körpers, sondern jenes, welches auf ihrer Seele lastete. Es zog ihn förmlich nach unten, und nur mit Mühe gelang es ihm, Siralen auf die Beine zu ziehen. Als sie ihn mit diesem Blick bedachte … einem Ausdruck, mit dem sie sich dafür zu entschuldigen schien, dass sie überhaupt ein Teil des Weltgeistes war, fürchtete Darcean, Siralen wäre für immer verloren.
„Blick nach vorne“, murmelte er und fühlte zugleich die Unzulänglichkeit seines Ratschlags. Wo war Vorne? In Siralens Augen gab es nur ein Hier und die Dunkelheit, die dieses Hier einschloss. Eine Finsternis, die sich in die ewige Farblosigkeit der inneren Leere ergoss, wenn man ihr nicht schnell genug entkam.
„Jau“, ertönte es etwas abseits der anderen. Dann folgte eine Art Kläffen, das in Darceans Ohren eher an einen Hund denn an einen Menschen denken ließ.
Kauri Akureysan, die Krähe, war ihr Führer. Und dieser Führer sollte sie nicht nur bis Kaupan geleiten, sondern im Idealfall bis nach Halsaf, wo angeblich die Weisesten der Maen zu finden waren und einmal jährlich ein sogenanntes Hingur stattfinden ließen. Und genau bei einem solchen, das hofften sie alle, würde das Volk der Maen über ihre Bitte um Unterstützung im großen Krieg Chaos gegen Ordnung entscheiden.
„Ich nehme doch an, hier ist meine selbstlose Hilfe erforderlich“, brachte sich prompt der Barde ein. Und schon hatte er eine kleine Lyra ausgepackt und ließ seine zugegeben begnadeten Finger über die Saiten streichen. Es dauerte nicht lange, und das Kläffen des Maen verwandelte sich in die mittlerweile schon fast vertraute bäuerliche Sprache der hiesigen Bevölkerung. Gut für sie alle, denn im Augenblick wollte niemand so recht den Slarpon anlegen, am allerwenigsten er selbst.
„… essen noch was Kleines, bevor wir dann nach Kaupan gehen, jau?“, vollendete Kauri gerade.
„Essen können wir auf dem Weg“, hielt Chara dagegen, die Kerrims Murren geflissentlich ignorierte und sich umblickte. Wahrscheinlich suchte sie nach Lindawen. Allein, sie fand ihn nicht. Und selbst für Darcean, dem die Assassinin stets wie ein Wesen aus einer anderen Welt erschien, weil sie zugleich grenzenlos naiv und auf eine verquere Weise beinahe ebenso weise zu sein schien, war ersichtlich, dass sie mit einem Anflug von Sorge kämpfte.
„Guten Morgen, Kambe“, wandte sich Darcean an die Ordenskriegerin, die es sich gerade auf ihrem Lager bequem machte. „Wieso packt Ihr Euren Proviant aus?“
„Auch Euch schenke Issisa einen guten Morgen. Hat nicht Herr Akureysan gerade gesagt, wir essen, bevor wir aufbrechen?“
„Und Chara hat beschlossen, dass wir dies auch auf dem Weg nach Kaupan tun können.“ Darcean wollte ebenfalls so bald wie möglich nach Kaupan aufbrechen. Dort konnte man ihnen nicht nur weiterhelfen, was ihre Reise nach Halsaf anbelangte, sie mussten auch unbedingt in Erfahrung bringen, was in der Allianzflotte vor sich ging. Und wenn man sie suchte, würde man dies zuerst in der Stadt tun, zu der sie gereist waren, bevor die Chaosschiffe die Küste Wafnins angegriffen hatten, und Siralen, Chara und Kambe an jenem Unglückstag in Kumal gefangen genommen worden waren. Niemand wusste, was Hagegard nach seiner Meuterei noch angerichtet hatte. War er zurück zum Flottenverband gesegelt und hatte weitere Allianzmitglieder zur Meuterei angestiftet?
Corpus Dippeas Prima Kambe sah Darcean an, als wäre er nicht ganz bei Sinnen. „Wieso erzählt Ihr mir das? Wenn niemand beschlossen hat, wir essen auf dem Weg, wieso seht Ihr Euch dazu veranlasst, mir Selbiges mitzuteilen?“
„Ich sagte, Chara hat beschlossen …“
Kambe ließ ihn nicht ausreden. „Ich weiß zwar nicht, was das ganze Gerede über niemand soll, das in letzter Zeit immer mehr um sich greift, aber meine Wenigkeit hat beschlossen, es zu ignorieren.“
Es war hoffnungslos. Kambe nahm Chara schlicht nicht wahr – wegen dieser von Oberhohepriester MacArgyll über sie ausgesprochenen Verachtung. Und offensichtlich würde sich dieser Zustand auch nie ändern. Was die Priesterschaft mit ihrer Verachtung über die Flottenoberkommandantin angerichtet hatte, war wiederum historisch. Darcean hatte Ähnliches noch nie gehört und glaubte selbst noch immer nicht so recht, dass es überhaupt möglich war. Aber Tatsache war, Chara existierte für alle aus tiefster Überzeugung den Göttern Huldigenden einfach nicht mehr. So als hätte es sie nie gegeben. Und für alle, die an die Götter glaubten, war sie doch wenigstens höchst suspekt, oder es bestenfalls wert, sie zu ignorieren. Was Chara relativ gelassen nahm, war für alle anderen im Kommando in höchstem Maße aufreibend. Eben genau wegen Situationen wie dieser hier.
„Herr Ben Yussef?“, wandte sich die Ordenskriegerin an Charas Rechte Hand, wie meist, wenn es um die Frage nach dem weiteren Vorgehen ging.
„Äh, ja …“
„Wie lautet der Plan?“
„Nun, äh …“ Kerrim sah Chara an, die noch immer mit ihren Blicken die Gegend absuchte.
„Ich maine, wir essen auf dem Weg.“
„Wo, zur Hölle, ist er?“, fluchte Chara leise.
Kerrim machte eine wegwerfende Handbewegung und verknotete umständlich die Enden seines Schals um seinen Hals. „Er ist bestimmet nicht wait, Schwesterchen. Wie ich ihn kenne, ist er schon gegangen voraus, um sicher żu gehen, dass kħaine Gefahren lauern dir auf.“
Jetzt verdrehte Kambe erneut die Augen. „Meine Güte, sind hier eigentlich alle vom göttlichen Pfad abgekommen?“
Darcean stieß ein leises Seufzen aus. „Wie, bei allen Seelen im Alleinen, soll man da effizient zusammenarbeiten?“
Nun denn, Chara begann gerade damit, ihr Lager abzubauen und alles einzupacken. „Haut einfach ab, ohne etwas zu sagen …“, murrte sie, und Darcean fühlte den ersten kleinen Moment der Erheiterung an diesem freudlosen Morgen. Bis Siralen erneut seinen Blick einfing.
Sie war schon bereit für den Aufbruch, stand nun wie zur Salzsäule erstarrt am Ufer und starrte auf das Meer hinaus, das sich an dieser Stelle, einem gigantischen Wassergraben gleich, tief ins Landesinnere grub. Die Bucht, in die das Wasser floss, war so breit, dass man nicht bis zum anderen Ufer sehen konnte. Und am Ende dieser Bucht lag Kaupan.
„Allemal herhören“, schmetterte Irwin, als hätte er geplant, eine festliche Rede zu schwingen. „Ich habe mein Bardenlied beendet.“
„Schön für Euch, MacOsborn“, erwiderte Darcean. Wäre er dem Barden nicht etwas schuldig, er hätte wohl dafür plädiert, ihn hier sich selbst zu überlassen. Irwin MacOsborn war in etwa so hilfreich wie ein Strohhut im eisigen Schneesturm. Mehr noch, sein infantiler Drang, sich ständig in den Mittelpunkt zu spielen, überschritt einfach jedwede Toleranzschwelle. „Meine Damen und Herren, der Maen ist jetzt für jeden hier verständlich“, setzte MacOsborn noch Einen darauf.
„Haben wir mitbekommen, danke. Für wie lange?“, wollte Chara wissen, die bereits dabei war, mit Sack und Pack den Lagerbereich zu verlassen.
„Na, mindestens ein Glas.“
„Toll.“
„So ist es“, gab MacOsborn zufrieden lächelnd zurück. Ach ja, an dem Barden ging, ganz nebenbei erwähnt, auch jegliche Ironie vorbei, sofern sie seine Wenigkeit betraf.
„Kauri?“, rief Chara. „Was erwartet uns auf dem Weg nordwärts nach Kaupan?“
„Jau … äh … nordwärts? Ich weiß nicht, wo nordwärts ist … Kaupan liegt auf jeden Fall Richtung linkes Wafnin hoggninwärts und da erwartet uns nicht viel. Zur Linken das Meer, zur Rechten Berge. Wir gehen also über einen schmalen Küstenstreifen immer am Wasser entlang Richtung linkes Wafnin hoggninwärts. Bis wir am Ende der Bucht ankommen in Kaupan. Du weißt schon …“
Chara nickte. Ja, sie wusste es. Darcean wusste es ebenso. Sie waren ja bereits in Kaupan gewesen. Dann hatten die Schwarzen Schiffe angegriffen und danach, nun ja …
„Irgendwelche Gefahren?“, hakte Chara nach.
„Nej. Nur in den Bergen. Da gibt’s Trolle.“
Sie blickte sich um, sich vergewissernd, dass sonst niemand zugehört oder die Erwähnung der Trolle mitgehört hatte. Offensichtlich nicht, andernfalls hätte wenigstens Irwin Einspruch erhoben. Trolle waren immerhin groß und beängstigend.
„Jau?“
„Geh voraus!“
„Jau.“ Der Maen beeilte sich und schloss zu Chara auf. Darcean trat zu Siralen und berührte ihre Schulter. „Wir brechen auf.“
Sie nickte zögernd. Dann wandte sie sich vom Wasser ab und sah ihn an.
Ihr Gesicht war so weiß wie Schnee. Ihre Augen saßen wie Eiskristalle in dunklen Höhlen. Beim Alleinen, wie konnte er die Hüterin der Waldesstille vor sich selbst retten? Jene Elfenkriegerin, die dem Versprechen des Blitzes gelauscht und das Unheilige in sich aufgenommen hatte? Jetzt, da ihn diese kalten Augen anstarrten, bezweifelte er mit jedem Lichtstrahl, der die Nacht dem Tag weichen ließ, dass es noch Rettung für sie gab.
„Siralen …“ Er brach ab und schloss für einen nichtigen Moment die Augen. Mögest du stark genug sein, dein Antlitz abzuwenden von all dem Leid, das dir zugemutet wurde.
Von unterschiedlichen Ufern
Der Glasgarten ist wieder zugefroren, die Flut der Tränen einmal mehr zu klirrendem Eis geworden und endlich fühle ich nichts. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Die Einsamkeit macht mir keine Angst mehr, sie ist mir Zuflucht geworden. Inmitten all der Zerstörung finde ich ungeahnte Kraft. Ich bin keine Kriegerin, war es vielleicht nie. Auch bin ich keine Kommandantin mehr, war es mit Sicherheit nie. Aber noch immer bin ich Botschafterin, trete für ein gelingendes Miteinander ein. Vielleicht ist die Zeit gekommen, diese Rolle als die einzig mögliche zu akzeptieren.
Es ist höchste Zeit aufzuwachen. Ich bin nicht länger das Licht, das die Schönheit der Welt beleuchten, schützen und sich selbst darin wärmen will.
Ich bin der Frost.
(Aus dem Tagebuch von Siralen Befendiku Issirimen, 349 nGF)
„Was du bist, entscheidest du selbst“, brummte Chara, fügte ein harsches „Ki!“ hinzu, woraufhin die Goygoa um die Assassinin und Siralen ihren Kreis etwas lockerten, und suchte in ihren Gürteltaschen nach etwas, das sie offenbar mehr als dringend zu finden wünschte.
„Das Problem ist, dass du dich immer wieder neu entscheiden musst. Mit einem Mal ist es nicht getan …“ Sie blieb abrupt stehen. „Verflucht!“
„Was ist?“, fragte Siralen.
„Keine Drogen mehr.“
Sie hat Tarani getötet, flüsterte eine Stimme in Siralens Kopf und übertönte Charas Antwort. Weil sie es musste, antwortete Siralen der Stimme. Genau das war es ja, was sie selbst an sich ändern wollte. Chara hatte gehandelt, sich in die Notwendigkeiten gefügt. Die Assassinin hatte getan, was sie tun musste, um diese Mission zu retten.
Chara nahm den Weg wieder auf und Siralen folgte ihr.
„Es tut mir leid“, presste sie hervor.
„Ist ja nicht deine Schuld.“
„Ich meinte nicht den Verlust deiner Drogen, Chara …“
Chara warf ihr einen fragenden Blick zu und Siralen holte Luft. „Ich … ich habe mich häufig rausgehalten. Du warst es, die sich die Hände schmutzig gemacht hat … wenn wir unseren Pflichten als Expeditionskommandanten nachkommen mussten.“
„Gehört zu meinem Berufsprofil“, antwortete Chara nüchtern.
„Natürlich, aber ich spreche von Tarani.“ Seltsam, sie sprach den Namen aus, ohne etwas dabei zu fühlen.
Jetzt blieb Chara erneut stehen. „Wovon redest du?“
„Du musst es mir gegenüber nicht abstreiten. Ich weiß, was geschehen ist. Ich war dabei.“
Charas Augen wurden schmal. Die Assassinin taxierte ihr Gesicht, als suchte sie nach etwas. „Davon rede ich nicht. Es geht hier nicht darum, wer der Mörder deines Kindes ist, Siralen. Fakt ist, Tarani war eben genau das – dein Kind.“
Ein Schmerz wie von einer glühenden Klinge schnitt sich in Siralens Brust … unerwartet … heftig. Doch sie unterdrückte das Bedürfnis zu schreien, sog die Kälte aus ihrem Verstand nach unten, wo sie sich wie einen Umhang schützend um ihr Herz legte. „Ein Kind, das mich unter seine Kontrolle gebracht hatte – einem Dämon viel näher als einem Kind. Du erinnerst dich?“
Chara sah aus, als würde sie sich über etwas klar werden wollen.
„Das ist meine Sicht der Dinge, nicht deine, Siralen. Für mich war Tarani eine Gefahr für uns alle und diese Mission. Für dich …“ Sie zog die Nase kraus, was sie zwar selten, aber doch immer öfter machte. „Sie war dein Kind“, wiederholte sie.
Dann nahm sie ihren Weg wieder auf und Siralen blieb verwirrt stehen.
„Was willst du damit sagen?“, rief sie ihr hinterher.
„Nichts.“
„Ich habe mich gerade bei dir entschuldigt.“ Sie fing an zu laufen und holte Chara ein.
„Eben. Ich, an deiner Stelle, würde mich umbringen.“
Siralen schnappte nach Luft. „Also gibst du es zu?“
Chara schüttelte den Kopf, was fast schon einen verächtlichen Eindruck machte. „Ich streite es nicht ab und gebe es nicht zu. Wie gesagt, es spielt keine Rolle, wer Tarani umgebracht hat. Denn du denkst, dass ich es war. Also, wieso zur Hölle, entschuldigst du dich bei mir?“
„Ich entschuldige mich bei dir, weil ich dich bis jetzt die Drecksarbeit habe machen lassen“, zischte sie.
Wieder stoppte Chara. „Was willst du, Siralen?“
„Ich … versuche …“
„Ja, was? Was versuchst du? Etwas zu sein, das du nicht bist?“ Sie fuhr sich durch ihr schwarzes Haar und sah aus, als würde sie dringend den Abort aufsuchen müssen. „Du solltest denjenigen, den du für den Mörder deines Kindes hältst, nicht um Entschuldigung bitten …“
„Ich versuche, wieder aufzustehen.“
„Nein, du suchst nach irgendeiner Art von Absolution. Ich weiß auch nicht …“ Sie schüttelte den Kopf. „Du stehst nicht aus eigener Kraft.“
Siralen fühlte, wie das Eis dicker wurde, ihr Herzschlag darunter dumpfer, leiser. Und wieder kehrte die Assassinin ihr den Rücken und setzte ihren Weg fort.
„Genau das versuche ich doch gerade“, rief sie hinterher.
„Versuche es nicht. Tu es! Oder lass es und akzeptiere deinen Niedergang. Brich zusammen, wenn es sein muss. Vielleicht kannst du dann irgendwann aus eigener Kraft wieder aufstehen.“
Die Worte waren wie Gift in ihren Venen. Siralen wurde langsamer, blieb schließlich ganz stehen und starrte der schwarzen Frau in ihrem Pulk aus Leibwachen hinterher – das Sandkorn … das die Waage zum Kippen bringen sollte. Ein leises Schnauben stahl sich aus ihrem Mund. Das Sandkorn auf der Schicksalswaage. Ein Teil des Ursprungs, wie der Großkönig der Fischmenschen jene Macht bezeichnet hatte, die angeblich in Chara weste. Was, wenn Chara recht hatte, und es ihre eigentliche Pflicht gewesen wäre, Taranis Mörderin zu vernichten? Aber was wusste schon eine Frau, die nie, niemals geliebt hatte, geschweige denn ein Kind hatte zur Welt bringen müssen, dass sich gegen die eigene Mutter wandte?
Kaupan war nicht mehr allzu fern und Irwin wünschte, sie brächten den Weg so schnell wie möglich hinter sich. Noch vielmehr wünschte er sich, dass sie die Mission hier in Wafnin so schnell wie möglich erledigen konnten – noch dazu, wo sie jetzt einfach ausgesetzt worden waren. Waren sie da überhaupt noch verpflichtet, die Mission hier zu Ende zu bringen? Irgendetwas sagte ihm, dass an diesem Ort „schnell“ überhaupt nichts machbar war. Alles zog sich hin. Jetzt ganz besonders, wo sie zu Fuß unterwegs waren. Egal, wie oft er auf dieser großen Expedition auch schon gedacht hatte, eine Sache würde sich rasch klären, ein Auftrag rasch durchführen lassen, es dauerte immer länger, war immer mühsamer als erwartet. Als wär’s ein ungeschriebenes Gesetz: Nichts lässt sich jemals rasch erledigen oder gar einfach.
Irwin holte Siralen ein, die aus irgendeinem Grund stehengeblieben war. Vielleicht dachte sie gerade etwas Ähnliches oder überlegte, ob es nicht langsam Zeit wurde, abzubrechen. Aber nein! Siralen hatte wahrscheinlich andere Sorgen, bei dem, was sie in den letzten Tagen so durchgemacht hatte.
Irwin schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das sie ganz bestimmt aufheitern würde. Ein Lächeln des schönsten Mannes weit und breit …
Fehlanzeige. Sein Lächeln schien sie lediglich ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Sie setzte sich nämlich wieder in Bewegung. Irwin riskierte einen Blick nach vorne und stellte fest, dass Chara und ihre Goygoa schon ein gutes Stück voraus waren.
„Warte, Chara!“, rief er und fing an zu laufen. Es war nicht gut, wenn die Flok da vorne war. Von hinten drohten nämlich alle möglichen Gefahren. Dort waren zwar noch Kambe und Darcean, aber die unterhielten sich mit dem Slarponexperten, und Darcean brauchte für seine Magie bestimmt viel zu lange. Schon, weil er und Kambe gerade damit beschäftigt waren über irgendwelche belanglosen Dinge zu philosophieren. Anscheinend ging es um den Slarpon. Darum waren ja auch Eloki Hablok und der Slarpon mit von der Partie, den niemand mehr anlegen wollte, abgesehen von dem Gelehrten selbst. Der hatte zwar ebenso wenig Lust, war aber mehr oder weniger dazu gezwungen worden. Das sollten die werten Kommandanten mal bei ihm, Irwin, versuchen.
Kerrim war ganz vorne, irgendwo jenseits von Kauri, Chara und ihren Leibwachen. Und Lindawen … war noch nicht aufgetaucht. Also war’s Zeit, dass er schleunigst zu Chara aufschloss.
Irwin wollte Siralen gerade überholen, da versagten ihm seine Beine den Dienst, und er blieb wie angewurzelt stehen. Die Felsformation zu seiner Rechten im Nordosten. Da war doch … Da hatte sich doch etwas bewegt.
„Chara“, röchelte er und stellte ernüchtert fest, dass er sich selbst kaum hörte, geschweige denn, dass Chara da vorne ihn hören konnte. Dann tauchten Darcean, Kambe und Eloki an seiner Seite auf.
„Alles in Ordnung, MacOsborn?“, fragte Darcean etwas unterkühlt und Irwin schnappte nach Luft.
„Da“, krächzte er und zeigte auf die Felsformation, die seinen Blick gefangen genommen hatte. „D… d… der Felsen dort hat gerade seine Farbe gewechselt.“
Darcean folgte seinem Fingerzeig, dann sah er wieder ihn an. Seine Miene war unverändert, was bei dem Elfen nichts zu bedeuten hatte. „Was genau seht Ihr denn, MacOsborn? Ich sehe nämlich gar nichts.“
Eben, seine Stimme troff geradezu vor Ironie. Frechheit!
„Jau …“, kam es von vorne, und Kauri neben Chara gab ein unverständliches Bellen von sich.
„Der Maen sagt, dass wir uns beeilen sollen“, murmelte Eloki und wurde bleich. „Und dass wir ganz leise sein sollen. Irwin MacOsborn hat richtig gesehen.“
„Inwiefern?“, wollte Kambe wissen.
Dann war Kauri auf dem Weg zu ihnen. Kaum, dass er sie erreicht hatte, machte er gehetzt Meldung.
„Der Berg hat seine Farbe verändert“, übersetzte Eloki die Worte des Maen. „Besser gesagt, es ist kein Berg. Es ist ein Steintroll.“
Darceans Augen wurden, man glaubte es kaum, ein klitzekleines Bisschen größer. „Ein Troll?“
„So ist es“, nickte Eloki energisch. „Und er ist gefährlich. Wir müssen weitergehen“, gab er Kauris Worte weiter. „Leise!“
Darcean hob sein Kinn. „MacOsborn, lauft nach vorne zu Siralen und Chara und teilt ihnen mit, was der Maen gesagt hat! Ich bin zwar geneigt, ihm nicht zu glauben, aber …“ Er winkte ab.
Irwin wollte gerade widersprechen, da fuhr ihm Darcean über den Mund. „Und kommt mir nicht mit Euren üblichen Ausreden, von wegen Ihr wärt keine Dienstmagd. Ihr seid Berater des Kommandos und in dieser Position dafür zuständig, das Kommando in Gefahrensituationen, nun … zu beraten.“
Irwin kniff den Mund zusammen. Der hielt sich ja für so schlau! Aber ja, Tatsache war, Irwin wusste nichts zu erwidern. Also trabte er widerwillig los und sah zu, dass er so schnell wie möglich zu Chara nach vorne kam, vorbei an Siralen, die ein Stück weiter hinten stehen geblieben war.
Kaum, dass die Muskelberge ihn durchgelassen hatten, was wie immer nicht ohne Knurren vonstatten gegangen war, legte er auch schon los: „Wir sind in Gefahr! Da drüben …“ Er zeigte hinüber zum Gebirge. „Da sind Steintrolle, so hoch wie ganze Berge. Wir müssen laufen. Ganz schnell. Ganz leise. Los, komm!“ Und schon setzte er sich wieder in Bewegung, versäumte es aber nicht, Charas Mantelärmel zu schnappen und sie hinter sich her zu zerren. Zumindest versuchte er es. In Wahrheit war sein geplanter Sprint zu Ende, noch bevor er begonnen hatte.
„Reiß dich zusammen“, schnappte Chara.
„Schschsch“, machte Irwin energisch und spuckte ihr unbeabsichtigt ins Gesicht. „’Tschuldigung.“
Chara merkte es nicht einmal. Sie starrte auf die Stelle, auf die er gezeigt hatte, und kniff die Augen zusammen.
„Siehst du?“, flüsterte er und trat von einem Fuß auf den anderen. Wenn sie doch nur endlich in die Gänge käme …
„Der Felsen verfärbt sich …“
Irwin verdrehte die Augen. „Sag ich doch.“
„Hat der Maen gesagt, es handle sich um einen Steintroll?“, wollte sie wissen.
„Ja, ja, ja. Können wir jetzt endlich …“
Chara ließ ihn los. „Lauf, MacOsborn!“ Und Irwin rannte. Bis ihm bewusst wurde, dass er ganz allein rannte.
„Oh …“ Er machte auf dem Absatz kehrt und drängte sich erneut in den Kreis aus Goygoa, der sich zu seinem Glück geöffnet hatte, damit Chara mit Siralen und Darcean reden konnte. Der Elf hatte nämlich endlich aufgeholt. Ebenso wie Kambe, die sich aber nicht die Mühe machte, in den Kreis der Leibwachen zu treten. Wieso auch? Die bewachten ja in ihren Augen niemanden, mit dem man sich unterhalten hätte können. Und Kauri und Eloki hielten sich dezent im Abseits, wobei der Maen besorgt die Berge beobachtete.
„Was ist mit Herrn Ben Yussef?“, hörte Irwin Darcean gerade fragen. „Er ist zu weit vorne …“
„Kerrim kommt allein klar“, erwiderte Chara. Dann schlossen sich die Leibwächter um sie, Siralen, Darcean und Irwin und die Gruppe setzten sich in Bewegung – inklusive Kambe, Eloki Hablok und Kauri Akureysan, die hinter den Leibwachen herliefen. Irwin tat alles, um an der Seite der Flottenoberkommandantin zu bleiben und nicht von den Elfen abgedrängt zu werden. Die Goygoa sahen zwar nach einer guten Partie aus, wenn man darauf aus war, sein Leben zu schützen, aber das war eine gemeine Täuschung. Die würden nämlich keinen Finger krumm machen, um ihn zu retten.
Während Irwin einen Fuß vor den anderen setzte und mit Charas Tempo schrittzuhalten versuchte, rechnete er jeden Augenblick damit, dass sich die mächtige Gestalt des steinernen Riesen vom Hintergrund der Berge löste, auf sie zu polterte und sie zermalmte. Es war beängstigend. Diese gigantischen Steinformationen waren doch tatsächlich am Leben. Sie waren le-ben-dig. Jetzt, da Irwin wusste, dass es sich um Trolle handelte, erkannte er auch die Silhouetten. Es waren zwei. Als würde einer von ihnen nicht reichen. Je nach Lichteinfall veränderte sich die Schattierung ihrer steinernen Haut. Und sie hatten ihnen den Rücken zugewandt. Noch. Irwin hätte Kauri so gerne gefragt, was diese Trolle denn gewöhnlich so aßen. Und ob es sein könnte, dass so zarte kleine Menschlein wie er auf ihrem üblichen Speiseplan standen.
Ein Stein knirschte auffällig unter Charas Füßen und Irwin erstarrte. Bei allen Musen dieser Welt, konnte man denn nicht einmal von einer Assassinin erwarten, dass sie sich geräuschlos bewegte?
„Leise!“, zischten Irwin und Darcean synchron. War wahrscheinlich das erste Mal, dass sie einer Meinung waren.
Einer der beiden lebenden Steinberge drehte knirschend das Ungetüm von Kopf, das er auf seinen Schultern trug. Sah er etwa in ihre Richtung?
Niemand bewegte sich. Und Xan sei Dank schaffte es sogar die Flok, leise zu sein. Dann, ein gedämpftes Donnern wie von einem heranrollenden Gewitter, und auch der andere gigantische Steinklotz wandte ihnen das zu, was man als Gesicht hätte interpretieren können, wenn man denn mit einem besonderen Maß an Phantasie gesegnet war. Zu Irwins Glück war er das. Fragte sich nur, ob jemand der anderen ebenfalls sah, dass diese Bestien gerade zu ihnen hersahen.
„Nicht … bewegen“, flüsterte Darcean.
„Sch sch schsch“, machte Irwin.
Und dann hallte ein weiteres Donnern von den umliegenden Bergen, und beide Trolle wandten ihre steinernen Gesichter wieder ab. Anscheinend waren sie zu klein, um gesehen zu werden. Jedenfalls solange sie sich nicht bewegten.
„Weiter!“, knurrte Chara und Irwin kniff die Augen zusammen. Dann setzte sich der Zug erneut in Bewegung und er hatte keine andere Wahl als mitzulaufen. Als sich der Weg um einen aus dem Berg kragenden Felsfortsatz wand, und sich nach der Biegung winzige Häuser am Ende der Meereszunge abzeichneten, blieb Chara abrupt stehen. Irwin wollte sich gerade beschweren, da entspannte sich ihr Gesicht und sie lief weiter. Jetzt erst stellte er fest, dass sie die ganze Zeit über ziemlich angespannt ausgesehen hatte, was gar nicht typisch für sie war.
Und da sah er den Grund dafür. In der Ferne zeichneten sich die Umrisse zweier Gestalten ab. Der Assassine hatte den Elfen gefunden – nach zwei Tagen Suche wohlgemerkt. Wo war Lindawen die ganze Zeit gewesen?
Wie auch immer, das Duo Infernale war also wieder vollständig und Chara hatte ihre beiden Lieblingsgefährten zurück. Das machte sie bestimmt glücklich, zumal sie mit einem davon ein ganz aufgewecktes Liebesleben hatte, wie im Mannschaftsdeck des Kommandoschiffes schwer zu überhören gewesen war. Allerdings schienen sich die beiden in letzter Zeit etwas schwer damit zu tun, sich näher zu kommen. Arme Chara …
Ceaddag, 1. Trideade im Drachenmond / 350 nGF
Ja, sie sind wieder hier – beide. Und sie leben – beide.
Ja, mit der Liebe kommt die Angst. Das wusste ich längst. Darum habe ich der Liebe einst abgeschworen.
Was alles andere angeht? Ich schwitze … Mein Magen krampft sich alle paar Augenblicke zusammen. In meinem Kopf pulsiert das Blut, als wolle es meine Adern zum Explodieren bringen. Sobald ich das Gefühl habe, der Schmerz lässt nach, fangen meine Hände wieder unkontrolliert an zu zittern und alles beginnt von vorne. So bin ich gestern zu Bett gegangen und so bin ich heute Morgen aufgewacht.
Es ist jetzt früher Vormittag und die anderen beraten sich über unsere Situation und die Reise nach Halsaf. Doch ich habe ganz plötzlich jegliches Interesse an dieser Mission verloren. Ich liege hier auf diesem Bett in einem Haus in Kaupan und starre an die Decke. Das Leintuch unter mir ist nass vom Schweiß. Meine Haare, meine Handinnen-flächen, meine Haut … nass. Mein Herz schlägt nicht im Rhythmus. Mein Atem geht mal langsam, dann wieder schnell. Als hätte mein Körper vergessen, wie die Sache läuft, als wüsste er nicht mehr, wie man Herzschlag, Atmung und Verdauung unter einen Hut bringt. Mein verfluchter Körper havariert. Und dabei schert er sich einen Dreck darum, dass ich von ihm abhängig bin.
Es sind die Drogen. Sicher sind es die Drogen. Ich wusste ja, dass ich es übertrieben habe. Ich bin auf das Suchtmittel angewiesen. Hab die Grenze wieder einmal überschritten, wie es nun mal meine Art ist. Was habe ich je nicht übertrieben?
Die Schweißausbrüche, das Zittern, der Druck in meinem Schädel, der beschleunigte Atem, das rasende Herz, die Leere in meinem Bauch … Ich brauche einen Zug. Nur einen. Einmal ganz tief reingezogen den Scheiß!
Dieses Gefühl … die Leere in mir … ich drehe durch.
Dieses Gefühl … ohne Ziel, verloren am Arsch der Welt …
Dieses Gefühl, es wäre zu spät …
Dieses Gefühl …
Es ist Angst.
Ich habe Angst.
Kalter Entzug
Die Stimmen aus dem Nebenraum waren wie Nebelzungen, die durch die Tür wehten und gleich darauf wieder hinausgesogen wurden. Hinein, hinaus, hinein … Kommt herein, kommt doch herein!
Chara schnappte nach Luft, was ein schmerzhaftes Stechen in ihrer Lunge nach sich zog. Überhaupt fiel ihr das Atmen an diesem Morgen verdammt schwer. Und auch sonst war alles irgendwie schmerzhaft. Das wenige Licht, das durch eine schmale Luke in der Wand fiel, blendete sie, die raue Wolldecke kratzte wie Draht über ihre Haut und in ihrem Kopf hämmerten tausende kleine Rabenschnäbel im Takt der Stimmen aus dem Nebenraum. Hau drauf, hau drauf, hau drauf … Im Grunde tat ihr der ganze Körper weh – von innen nach außen und von außen nach innen.
Chara fröstelte. Sie kniff die Augen zusammen, zog sich die mörd-erische Decke über den Kopf und schlug die Zähne aufeinander. Kalter Schweiß stand ihr in kleinen Lachen zwischen den Brüsten, im Nabel, der Kuhle unterhalb des Halses.
Wieso kam Kerrim damit klar? Wieso lag er nicht neben ihr, schwitzend, von Krämpfen geschüttelt, mir rasendem Herzen und vor Kälte zitternd. Er hatte doch auch kein Jhu-Ju mehr, oder irgendeine andere Droge, mit der er sich Abhilfe verschaffen konnte. Er musste doch genauso im Arsch sein wie sie. Was für ein Scheiß war das überhaupt? Wie kam es, dass sie hier in diesem Bett lag, in diesem fremden Bett in einer verfickten Kleinstadt irgendwo am hinterwäldlerischten Flecken Welt, wo die Leute noch an Honig und Mandeln glaubten und sich gegenseitig die Eier schaukelten, anstatt endlich aufzuwachen und sich damit abzufinden, dass ihre kleine, heile Welt bald in Schutt und Asche lag. Dass sie dem Untergang geweiht sein würde, oder auch dem Hoggnin, wie sie es selbst ausdrückten.
Und was war mit ihr? Sie galt entweder als Niemand, was nichts an-deres hieß, als dass sie einfach beinhart übersehen wurde, oder man nannte sie Sandkorn, was, einfach gesagt, bedeutete, dass man der Welt Rettung von ihr erwartete. Niemand oder Alles? Sie konnte es sich aussuchen. Sie konnte sich frei von der Leber weg entscheiden, was ihr lieber war. Nicht zu existieren oder alles zu verantworten, was in dieser beschissenen Welt so passierte. Und wie die vergangenen Jahre gezeigt hatten, passierte verdammt viel.
In Wahrheit hatte sie nicht die klitzekleinste Möglichkeit, diese Mission zum Erfolg zu führen. Nicht, wenn sie diese hirnlose Meute, die sich Allianz nannte, hinter sich herschleifen musste wie einen verfluchten wassertriefenden Wollumhang. Wenn sie jeden Tag gegen diese Vollidioten, die so unbedingt ans Licht und die Ordnung glauben wollten und neben ihren ausgetrampelten Pfaden nichts außer einem schwarzen Abgrund sahen, ins Feld ziehen musste, konnte sie genauso gut gleich einpacken. Genauso war es nämlich. Sie musste ständig kämpfen, sich ständig neu behaupten, ausbrechen, durchbrechen, runterbrechen … Sie war ständig am Laufen, während die anderen herumstanden oder bestenfalls gemütlich dahinschlenderten. Die schliefen doch alle. Niemand wollte sich bewegen, niemand wusste, wie man die Messer wetzte und in den Krieg zog, im Zweifelsfall gegen sich selbst. Das wusste nur sie. Das wusste nur sie. Das würden die anderen nie lernen …
Chara hustete erbärmlich, warf die Decke von ihrem Körper und setzte sich auf. Nur um im selben Moment von einem heftigen Schwindel erfasst zu werden, der sie zurück auf die Matratze zwang. Der Raum um sie herum drehte sich wie ein Mühlrad, und die Bettpfanne neben ihr wurde einmal mehr zum rettenden Auffangbecken für all den Müll in ihrem Kopf und ihrem Magen. Es war zum Verrücktwerden. Ihr Körper hatte einfach aufgegeben. Und sie steckte wie eh und je in ihm fest. Nur, dass sie sich bislang auf ihn hatte verlassen können. Tja, damit war’s wohl vorbei.
Darcean saß, seinen Stab neben sich an die Wand gelehnt, auf der Eckbank an dem kleinen Esstisch ihrer Unterkunft, in der Alduri Börn, der Fischkoch, der sich auch schon bei ihrem ersten Besuch um sie gekümmert hatte, sie einquartiert hatte. Nur war der Maen diesmal nicht von der üblich unbeschwerten Herzlichkeit gewesen, sondern von leicht besorgter Gastlichkeit, die mit einem Hauch von Skepsis einherging. Nachvollziehbar, zumal die Kommandanten aus der fremden Welt nun auch noch von ihren eigenen Leuten einfach ausgesetzt worden waren. Auf einen Maen, der hier in Wafnin seit vielen Jahrzehnten ein friedliches Auskommen mit seinem Volk und der Natur hatte, mussten sie wie eine Horde Dämonen aus den tiefsten Tiefen der Unterwelt wirken. Oder in ihren eigenen Worten, wie das leibhaftige Kjill, das ihnen nichts als das Hoggnin, sprich, den Untergang, bringen würde. Und doch behandelte man sie wie Gäste, blieb freundlich, redete mit ihnen und versuchte, sie zu verstehen und ihnen zu helfen. Das war selbst für einen friedliebenden Elfen wie ihn verwunderlich, nach allem, was geschehen war.
Darcean schloss die Augen, legte die Fingerspitzen an seine Schläfen und nahm den Geist jener Gestalten in sich auf, die diesen Unterschlupf mit ihm teilten. Auch von ihnen ging Besorgniserregendes aus. Die Lage war nicht mehr nur schwierig. Verdrießlich wäre die treffendere Beschreibung. Innerhalb des Kommandos nahmen die Dissonanzen von Tag zu Tag zu und die Melodie der Harmonie war längst empfindlich gestört. Und nun war auch noch die Flottenoberkommandantin außer Gefecht gesetzt. Von ihrer Sucht, ihrer Neigung, alle Selbstkontrolle fahren zu lassen und sich ganz und gar der Ekstase hinzugeben. Ganz Mensch eben. Dabei kam Chara ihm menschlicher vor als alle anderen Menschen. In ihr schienen die Charakteristika des Wesens Mensch zu kulminieren, die guten wie die üblen, wobei die üblen leider offensichtlicher waren als die guten.
Wie dem auch sei, Chara lag nun schon den zweiten Tag im Nebenzimmer und versuchte ihrer Sucht Herr zu werden. Und er war hier und musste sich ihrer Pflichten annehmen, weil es sonst niemanden mehr gab, der dazu befugt war oder es wollte. Siralen war raus aus dem Kommando. Die anderen waren lediglich Berater. Er war nach Magus Primus Ahrsa Kasai der nächste in der Rangordnung aller Zauberkundigen und damit Mitglied des Kommandos. Was soviel hieß wie, er war dazu verdammt, sich mit allen anwesenden Kommandomitgliedern, Beratern und Helfern herumzuschlagen. Darin war er weder besonders begabt, noch behagte es ihm. Ganz abgesehen davon, dass er mittlerweile außerstande war, den Slarpon zu Verständigungszwecken anzulegen. Das Trauma, das die gewaltsame Übernahme der Kreatur in ihm hinterlassen hatte, saß tiefer als gedacht. Verständlich, immerhin hätte der Slarpon ihm beinahe das Leben gekostet.
„Darf ich alle Anwesenden an den Tisch bitten, um eine kurze Besprechung abzuhalten, die Licht in unsere Angelegenheit bringen möge?“, verschaffte sich Darcean Gehör. „Herr Hablok?“
Der Gelehrte war vorbereitet und nahm mitsamt dem Slarpon auf seiner Schulter an der äußersten Kante der Eckbank Platz. Siralen und Kambe kamen ebenfalls und setzten sich. Dann bequemten sich Lindawen und Herr Ben Yussef an den Tisch, wobei Letzterer seit ihrer Ankunft ungewohnt still war und in seiner Zurückhaltung fast schon dem Lichtjäger Konkurrenz machte.
Der Maen hatte zwar Darceans Aufforderung nicht verstanden, war aber sehr wohl in der Lage, die Veränderung der Situation richtig zu interpretieren. Und der Barde? Darcean verdrehte die Augen.
„MacOsborn, seid Ihr in der Verfassung, dieser Besprechung beizuwohnen oder braucht Ihr noch Zeit, um Euch an den Gedanken zu gewöhnen, etwas Sinnvolleres zu tun als Euren Bart zu kämmen?“
Der Barde sah auf und ließ den Kamm sinken. „Was habt Ihr gesagt?“
„Setzt Euch an den Tisch und hört zu!“, ging Siralen dazwischen, und einmal mehr wunderte sich Darcean über ihren untypischen und erst seit Kurzem bestehenden Tatendrang, der sich häufig in einer seltsam herrischen Art dem Barden gegenüber äußerte.
„Aber …“, widersprach MacOsborn. „Ich habe nachher noch eine Verabredung mit einer der atemberaubenden Maen-Frauen, die hier …“
„Ihr wisst nicht einmal ihren Namen, nicht wahr?“ Siralen stieß ein kaltes Lachen aus. „Los jetzt, setzt Euch an den Tisch!“