Clean Kill - Jack Coughlin - E-Book

Clean Kill E-Book

Jack Coughlin

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Beschreibung

"Kyle Swansons bisher persönlichste Mission. Die Seiten fliegen nur so dahin!" Booklist

Der Frieden im Nahen Osten scheint greifbar nah: In einem Schloss in Schottland verhandeln Prinz Abdullah von Saudi-Arabien und der israelische Außenminister ein beispielloses Abkommen. Doch ein brutaler Raketenangriff setzt den Gesprächen ein jähes, tödliches Ende!

Auf Bitten des Verhandlungsführers reist Gunnery Sergeant Kyle Swanson nach Großbritannien, wo er einen weiteren Anschlag auf Überlebende vereitelt. Die Angreifer kommen aus dem Nahen Osten - doch für wen arbeiten sie? Während Swanson fieberhaft ermittelt, lauert sein Erzfeind Juba auf eine Chance. Denn Swansons ehemaliger Kamerad ist entschlossen, sich an dem Mann zu rächen, der ihn fast getötet hätte ...

Sniper Kyle Swanson in seiner dritten Mission - ein spannender Militärthriller für alle Fans von Tom Clancy, Lee Child und Will Jordan.

Band 1: Kill Zone

Band 2: Dead Shot

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autoren

Über dieses Buch

Über die Autoren

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Epilog

Weitere Titel der Autoren

Dead Shot

Kill Zone

Über dieses Buch

»Kyle Swansons bisher persönlichste Mission. Die Seiten fliegen nur so dahin!« (Booklist)

Der Frieden im Nahen Osten scheint greifbar nah: In einem Schloss in Schottland verhandeln Prinz Abdullah von Saudi-Arabien und der israelische Außenminister ein beispielloses Abkommen. Doch ein brutaler Raketenangriff setzt den Gesprächen ein jähes, tödliches Ende!

Auf Bitten des Verhandlungsführers reist Gunnery Sergeant Kyle Swanson nach Großbritannien, wo er einen weiteren Anschlag auf Überlebende vereitelt. Die Angreifer kommen aus dem Nahen Osten – doch für wen arbeiten sie? Während Swanson fieberhaft ermittelt, lauert sein Erzfeind Juba auf eine Chance. Denn Swansons ehemaliger Kamerad ist entschlossen, sich an dem Mann zu rächen, der ihn fast getötet hätte …

Sniper Kyle Swanson in seiner dritten Mission – ein spannender Militärthriller für alle Fans von Tom Clancy, Lee Child und Will Jordan.

Über die Autoren

Jack Coughlin (*1966) ist ein pensionierter Unteroffizier der US-Marine. Als Scharfschütze war er in verschiedenen internationalen Krisenherden im Einsatz, u.a. in Somalia und im Irak, und wurde für seine Verdienste mit der »Bronze Star«-Medaille ausgezeichnet.

Donald A. Davis (*1939) ist ehemaliger Kriegsberichterstatter und schreibt seit vielen Jahren Bücher über Militärgeschichte und Thriller, darunter sieben New-York-Times-Bestseller.

Bekannt geworden sind beide vor allem durch ihre packende Militärthriller-Reihe um den Scharfschützen Kyle Swanson.

Jack CoughlinDonald A. Davis

CLEAN KILL

Thriller

Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Stäber

beTHRILLED

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2010 by Jack Coughlin with Donald A. Davis

Published by arrangement with St. Martin’s Publishing Group. All rights reserved

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Clean Kill«

Originalverlag: St. Martin’s Press

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Publishing Group durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Benjamin Schöttner-Ubozak

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/Nejron Photo; © Militarist/shutterstock; © Gorodenkof/shutterstock; © Jne Valokuvaus/shutterstock; © yorphasin/shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-1490-7

be-ebooks.de

lesejury.de

Kapitel 1

Pakistan

Nur einen Moment lang, weniger Zeit, als für einen Atemzug nötig war, hob Gunnery Sergeant Kyle Swanson seinen Blick von dem dunklen Pfad, der sich vor ihm hinabwand, und blickte über die umliegenden schneebedeckten Gipfel hinweg. Am kalten Nachthimmel hing ein Halbmond, der so klar umrissen war, dass der Marine-Scharfschütze die ausgefransten Ränder einzelner Krater mit bloßen Augen ausmachen konnte. Einer der ersten Astronauten hatte einmal die Leere des Mondes als prachtvolle Einöde bezeichnet, und Swanson dachte, dass dieselbe Beschreibung auch gut auf die steilen und zerklüfteten Berge im Westen von Pakistan passte. Wohin man auch schaute, in diesem Ödland gab es nichts anderes als noch mehr nichts. Er richtete seinen Blick wieder auf den engen Pfad. Mit seiner linken Hand strich er über das steinerne Gesicht des Bergs, um nach hervorstehenden Felszungen oder Unkrautbüscheln zu tasten, die als Handgriffe dienen konnten, während er sich mit seinen Stiefeln gerade ein paar Zentimeter vom Rand des Pfads fernhielt. Jenseits davon gab tat sich ein dreihundert Meter tiefer, schwarzer Abgrund auf.

»Ich bin dafür, dass wir nächstes Mal einfach einen Haufen Cruise-Missiles auf den Ort abwerfen«, sagte Staff Sergeant Joe Tipp, der direkt hinter Swanson kletterte. »Mir brennen die Füße. Ein paar von den Dingern und wir hätten uns diesen Gewaltmarsch erspart.«

Drei Nächte hintereinander waren die sechs Marines der Task Force Trident jetzt unterwegs gewesen. Drei Nächte, in denen sie einem mürrischen afghanischen Führer folgten, der sie zielsicher entlang von Pfaden dirigierte, die Swanson auf den ersten Blick schier unüberwindbar erschienen waren: Hinauf in große Höhen, in denen die Luft dünn war, dann wieder hinab in von Felsen übersäte Täler, nur um anschließend von vorne zu beginnen. Vor Anbruch der Dämmerung nahmen sie jeweils ihre Versteckposition ein, stellten eine Wachrotation auf und schliefen erschöpft ein, alle Muskeln schmerzend, die Waffen aber jederzeit griffbereit. Der einzige Weg durch das Safed-Koh-Gebirge bestand darin, einen Stiefel vor den anderen zu setzen.

»Eine Cruise-Missile würde nicht die passende Botschaft rüberbringen, Joe. Wir wollen ihnen nicht bloß den Arsch aufreißen, sie sollen wissen, dass wir sie geschlagen haben. Und dafür braucht es eine persönliche Note«, sagte Swanson über die Schulter hinweg, während er seine protestierenden Beine dazu zwang, noch einen Schritt zu machen. Dann noch einen. Über die Belastungsgrenze hinweg. Zwei kurze Granatwerfer waren zuoberst auf seinem schweren Rucksack befestigt, ein AK-47-Sturmgewehr am Brustplattenträger eingehängt und in einer speziellen Tasche über seiner Schulter steckte ein SV-98-Scharfschützengewehr russischer Bauart. Die siebzig Pfund schwere Traglast auszubalancieren, war ebenso wichtig wie die Beinarbeit.

»Gibt dir echt einen Kick, die Art von Botschaft zu senden, was?«

Swanson schnaubte. »Worauf du einen lassen kannst. Jetzt halt’s Maul und klettre weiter!«

Dies war ihr vierter schwarzer Angriff auf versteckte Trainingscamps jenseits der Grenze in den letzten drei Monaten. Die offizielle Version der Mission lautete, dass es sich bloß um einen Aufklärungsjob durch Scouts des US-Marine Corps Forces Special Operations Command, kurz MARSOC, handelte. Die Männer würden eindeutig innerhalb von Afghanistan bleiben und unter keinen Umständen nach Pakistan vordringen. Amerikanische und andere NATO-Truppen machten solche Streifzüge jeden Tag und fühlten den schwer fassbaren Taliban- und al-Qaida-Terroristen auf den Zahn.

Sie hatten sich von einer vorgeschobenen Operationsbasis aus in drei geschlossenen Humvees aufgemacht und ein paar kleine Dörfer und Lehmhütten durchquert, damit sie von neugierigen Augen gesehen wurden und die Buschtrommeln den Terroristen meldeten, dass sie sich nach Norden bewegten. Sobald sie in der Wildnis gewesen waren und sich die Dunkelheit herabsenkte, hatten sich die Dinge geändert. Die Humvees wandten sich an einer dämmrigen Abzweigung, die als Kamelkreuzung bekannt war, nach Westen und fuhren eine Stunde lang mit ausgeschalteten Scheinwerfern über eine schlaglochgepflasterte Straße. Sie folgten den tiefen Spurrillen die Steigung hinauf auf die Gebirgspässe zu. Schließlich hielten sie an. Acht Marines und der Führer stiegen aus, und die Fahrzeuge kehrten zur Kreuzung zurück und setzten ihren Weg nach Norden zu einer weiteren vorgeschobenen Operationsbasis fort. Dabei zogen sie erneut absichtlich die Aufmerksamkeit feindlicher Späher auf sich, die schlussfolgerten, dass es eine routinemäßige Versorgungstour war, um die man sich keine Gedanken machen musste.

Am Ende der ersten Nacht waren sie tief in den Bergen auf einer isolierten und verlassenen Beobachtungsposition. Sie überblickten ein Terrain, das zu den unwirtlichsten Orten dieses Planeten gehörte. Den ganzen Tag über rasteten sie, und wieder änderten sich in dieser Nacht die Dinge. Zwei Marines wurden zurückgelassen, um eine Funkstelle einzurichten, die regelmäßig falsche Missionsberichte ans Hauptquartier zurücksenden würde. Der Rest machte sich in alten Kleidern, die sie auf afghanischen Basaren erworben hatten, auf den Weg. Sie führten eine Vielzahl an Waffen mit sich, die nicht in Amerika hergestellt worden und auch nicht zurückverfolgbar waren. Dann tauchten sie ab.

Bald wusste nicht einmal mehr das Funkteam, wo sie sich befanden: Keine farbigen Stecknadeln auf Landkarten in irgendeinem Stützpunkt, keine unbemannten Predator-Drohnen, die über ihnen kreisten, um sie zu überwachen. Wenn etwas schieflief, würde weder ein Kampfbomber für Luftunterstützung noch ein Rettungshubschrauber bereitstehen. Es gab absolut keine Anzeichen dafür, dass sich Amerikaner im Hinterhof der Pakistanis aufhielten, was bedeutete: es durfte nichts zu den unterschiedlichen Stammeskriegsherren mit ihren fragwürdigen Loyalitäten durchdringen.

Swanson kletterte weiter, in Begleitung von kampferfahrenen Männern, die er kannte und denen er vertraute. Von denen sich jeder Einzelne darüber im Klaren war, dass es keine Berichte nach dem Einsatz geben würde, keine Medaillen für Tapferkeit, keine Erwähnung in den Medien, ja nicht einmal der kleinste Verweis in ihren Memoiren, wenn sie alle Großväter und längst aus dem Dienst ausgeschieden sein würden. Was auch immer hier draußen passierte, würde nie nach außen dringen.

Die einzige Unbekannte in der Gleichung war der afghanische Führer, der kein bisschen mehr und kein bisschen weniger vertrauenswürdig war wie jeder andere Einheimische auch. Er arbeitete seit fünf Jahren für die Dienststelle und hatte einen in Plastik eingewickelten Ziegel von einhundert Dollarnoten als Bezahlung erhalten, um sie in die verbotene Zone zu bringen. Er würde kein Problem darstellen. Entweder machte er, was ihm gesagt wurde, oder sie würden ihn töten und in den Bergen zurücklassen. So war Kyle Swansons unerbittliche Welt.

In diesem Augenblick erklommen mit ihm fünf erfahrene Angehörige der Kommandotruppe das zerklüftete Gelände, von denen jeder mindestens den Rang eines Sergeants bekleidete und nicht weniger als sieben Jahre im Corps gedient hatte. Joe Tipp war genau hinter ihm und regte sich über das Leben im Allgemeinen auf. Als Nächster kam Staff Sergeant Darren Rawls, ein hochgewachsener Afroamerikaner mit einem von Natur aus athletischen Körperbau — die Kletterpartie brachte ihn nicht einmal ins Schwitzen. Captain Rick Newman war in der Mitte der Reihe. Technisch gesehen leitete er die Operation, aber mit der hauptsächlichen Aufgabe, Offizierskram zu erledigen. Dazu gehörte, falls erforderlich, der Kontakt zu anderen Offizieren, womit er Swanson den Rücken freihielt und er sich ganz auf seinen Job konzentrieren konnte. Der Fünfte im Bunde, der rothaarige Staff Sergeant Travis Stone, war eine grinsende kleine Killerratte. Die Nachhut bildete der drahtige und immer schweigsame Sergeant Eliot Brenner.

Kurz vor Sonnenaufgang am vierten Tag ihrer Mission, als der Serpentinenpfad den Blick auf ein breites Plateau freigab, hielt der Führer plötzlich an und hastete zu Swanson zurück. Die Patrouille fror ein. Alle waren sofort alarmiert und griffen nach ihren Waffen.

»Was ist los?«, fragte Swanson.

Der Afghane deutete auf einen langen und felsigen Höhenrücken und antwortete in gebrochenem Englisch: »Al-Qaida, Mister. Taliban. Genau da.«

Swanson legte seinen Rucksack ab und kroch auf Ellbogen und Knien auf den Abhang zu, wo er hinter einem Felsbrocken in Deckung ging und seinen Feldstecher zückte. Am Fuß des Berghangs befand sich in etwa sieben Kilometern Entfernung ein primitives Lager aus Zelten und kleinen Gebäuden.

Captain Newman ließ sich neben Swanson auf dem Bauch nieder und suchte das Tal ebenfalls mit seinem Feldstecher ab. »Bingo. Wir sind da.«

»Jepp«, bestätigte Swanson. »Richten wir uns ein.«

Die Trident-Marines schwärmten aus und suchten sich individuelle Verstecke für den Tag, holten etwas Schlaf nach und verbrachten die Stunden, in denen sie wach waren, mit dem Zählen der feindlichen Kämpfer und dem Kartografieren der verschiedenen Hütten und Geländepunkte. Sie redeten nicht miteinander, beobachteten stattdessen konzentriert das Basislager, in dem die Terroristen sich für unangreifbar hielten. Die sechs schweigenden Männer befanden sich tief in den abschreckenden Bergen, wo ihre Gegner durch einen Waffenstillstand zwischen den örtlichen Kriegsherren und der pakistanischen Armee beschützt wurden und so lange in Ruhe gelassen worden waren, dass sie allmählich glaubten, sie könnten tun und lassen, was sie wollten.

Am späten Nachmittag wurden drei Zivilisten aus einer der Hütten herausgeführt. Man hatte ihnen die Hände gefesselt und die Augen mit schwarzen Stoffstreifen verbunden, sodass sie immer wieder stolperten, während die Wachen sie vorwärtsstießen. Ein Kämpfer, der wie ein Mitglied des Trainingskaders aussah, rief den angehenden Terroristen etwas zu und zog ein Messer aus dem Gürtel. Um die Angriffstechnik zu veranschaulichen, ging er in die Hocke und stieß die Messerklinge schnell vor und zurück. Ein Dutzend seiner gelehrigen Schüler bildete einen Kreis, und einer der Gefangenen wurde in die Mitte gestoßen.

Der Terroristenausbilder rief sogleich einzelne Namen auf, und der Aufgerufene trat in den Kreis und wiederholte den Ausfallangriff, stellte dabei aber sicher, dass er den entsetzten Gefangenen nur leicht verletzte. Der Mann musste lange genug am Leben bleiben, damit jeder an die Reihe kam. Als der erste angehende Terrorist fertig war, wurde ein weiterer Name aufgerufen, dann der nächste, und die Kleidung des weinenden Gefangenen tränkte sich allmählich scharlachrot von Blut, bis der Mann schließlich zusammenbrach. Nach einer letzten kurzen Unterweisung des Ausbilders beugte sich einer der jüngeren Terroristen zu dem Opfer herunter und schnitt ihm die Kehle durch.

Ein weiterer Kreis mit anderen Trainierenden wurde geformt, und diejenigen, die bereits die Messerübung beendet hatten, gesellten sich als jubelnde Zuschauer hinzu, um ihre Kameraden mit Pfiffen anzufeuern, während diese den zweiten gefesselten Zivilisten aufschlitzten. Die Übung endete, als auch der dritte Gefangene getötet worden war. Der Ausbilder versammelte seine Schüler um sich, um mit ihnen die Ergebnisse ihres Trainings zu besprechen, dann schickte er sie fort. Die drei Leichen wurden fortgeschleift.

Swanson schluckte seine aufsteigende Wut herunter. Er konnte es sich nicht erlauben, dass Gefühle sein Handeln beherrschten, und deshalb brachte ihn der Gedanke an das Abschlachten der drei hilflosen Gefangenen nur dazu, sich noch mehr zu konzentrieren. Er wartete weiterhin ab, kaute Nüsse und Datteln und dachte nach, bis sich endlich der Himmel verdunkelte. Es war beinahe so weit.

Der Mond hatte vor drei Nächten eine Sichelform angenommen und schien nun wie ein Zeichen, das den Beginn des neunten Monats im lunaren Kalender der Muslime markierte, den heiligen Monat Ramadan. Dreißig Tage Fasten. Im Tal ließen sich die vierzig Terroristen und ihr halbes Dutzend Ausbilder nieder, um ihr Fasten während des Tages zu brechen. Zum ersten Mal seit Tagesanbruch war es ihnen erlaubt, eine Mahlzeit, Wasser und süßen Chai-Tee zu sich zu nehmen. Ihre Stimmen trieben den Berghang hinauf, mit ihnen die Unbesonnenheit einer kleinen Feier. Später würden sie das letzte der fünf täglichen Gebete anstimmen, die Isha.

Swanson trank etwas Wasser, wischte sich die Hände ab und benachrichtigte die anderen, sich zum Ausrücken bereit zu halten. Er ließ den afghanischen Führer kommen, und als der Mann heraneilte, brachte Swanson ihn mit einem gezielten Tritt zu Fall. Joe Tipp war zur Stelle, um dem Afghanen Panzerband um die Knöchel zu wickeln, und zurrte ihm Kabelbinder um die Handgelenke. Ein weiterer Streifen Panzerband kam über den Mund.

»Mein Freund, bisher hast du gute Arbeit geleistet, um uns hierher zu bringen, und wir machen das nicht, um dir zu schaden, sondern nur, um sicherzugehen, dass du stillhältst«, sagte Swanson zu dem Führer. »Wir können es uns nicht leisten, dir zu trauen. Verhalte dich ruhig, und dir wird nichts passieren. Ich verspreche dir, dass wir dich auf dem Rückweg aufsammeln. Aber wenn du versuchst, die Bastarde da unten zu warnen, dann wirst du dir wünschen, tot zu sein, lange bevor das passiert!«

Der Führer starrte in die auf ihn gerichteten graugrünen Augen und das kalte Gesicht, dann nickte er.

Die sechs Trident-Marines machten sich an den Abstieg, bemüht, ihre Stiefel so zu setzen, dass sie auf den Steinen nicht ins Schlittern gerieten und dadurch unnötigen Lärm verursachten. Sie hatten keine Eile. Es war dunkel, und die Terroristen im Lager liefen noch immer herum oder saßen über ihren Mahlzeiten.

Das war genau die Zeit, in der Kyle zuschlagen wollte. Es bereitete ihm nicht die geringsten Magenschmerzen, irgendwelche religiösen Bräuche zu verletzen, denn die Männer in dem Lager waren Abschaum, Killer durch und durch. Das hier hatte nichts mit Religion, sondern ausschließlich mit taktischem Vorteil zu tun. Swanson betrachtete das Fasten und die Gebetszeiten als eine günstige Gelegenheit, als eine kleine Öffnung im Zeitfenster, während derer sie unachtsam und dadurch extrem verletzlich wurden. Er wusste, dass die Terroristen mit ihm das Gleiche tun würden, wenn sie die Chance dazu bekämen, und er glaubte, dass es Wilde wie sie gewesen waren, die die Passagierflugzeuge voller unschuldiger Amerikaner am neunten September in die Bürotürme geflogen hatten.

Unterhalb eines breiten Felshaufens, etwa fünfhundert Meter vom Lager entfernt, hielten die Marines an, sodass Swanson und Captain Newman das Gelände ein letztes Mal betrachten konnten. Alles blieb wie gehabt, die Wachen schienen nicht alarmiert.

»Ein Wachposten direkt vor uns und noch einer auf dem Kamm knapp fünfhundert Meter von hier«, berichtete Newman.

Swanson holte sein Scharfschützengewehr hervor und blickte prüfend durch das PKS-07-Zielfernrohr mit siebenfacher Vergrößerung, um sich zu vergewissern, dass der Mond für auseichend Licht und klare Sichtverhältnisse sorgte. Er flüsterte Newman zu: »Kümmer du dich um den nahen Wachposten und ich erledige gleichzeitig den anderen. Joe Tipp, du spähst für mich aus.«

Newman benachrichtigte Darren Rawls, der in die Dunkelheit davonglitt. Seine langen Arme und Beine trieben ihn mit erstaunlicher Geschwindigkeit und in völliger Stille vorwärts, indem nur seine starken Finger und die Spitzen seiner Stiefel den Boden berührten.

Der Wachtposten ging gemächlich auf und ab, seine Sinne abgestumpft von der kalten Nachttemperatur und der reichlichen Portion an Lamm und Reis, die er gerade vertilgt hatte. Ein Flammenpunkt leuchtete von einem Streichholz auf, als er sich eine mit Opium versetzte Zigarette anzündete, bis goldene Asche an ihrer Spitze zu glühen begann. Mit der Fastenperiode ging auch ein Verbot einher, tagsüber zu rauchen, von daher inhalierte er jetzt gierig, hielt den Rauch in den Lungen und starrte zum Mond empor, während der angenehme Rausch der Droge seinen Körper durchflutete.

Bevor sich hinter ihm ein Schatten aus der Dunkelheit erhob. Eine große Hand legte sich auf seinen Mund und riss ihm den Kopf zurück, und die schwere Klinge eines scharfen KA-BARs, eines klassischen Kampfmessers, schnitt durch seinen entblößten Hals, durchtrennte die Schlagader und grub nach seinem Gehirn. Darren Rawls ließ den Mann auf den felsigen Boden gleiten und kniete auf ihm, während er ausblutete. Er klickte einmal seinen Funksender und durchbrach damit die Rauschsperre, um zu bestätigen, dass seine Aufgabe erledigt war.

Joe Tipp und Kyle Swanson hatten die Distanz, die Erhebung und die Windabdrift für ihr Ziel kalkuliert. Als sie das Klicken in ihren Hörmuscheln vernahmen, flüsterte Tipp: »Feuer!«

Swanson übte glatte vier Pfund an Druck auf den Abzug aus, und das SV-98-Gewehr hustete einmal, wobei der Mündungsfeuerdämpfer den Lärm des Schusses verschluckte. Den Bruchteil einer Sekunde später schlug das 7,52-mm-Geschoss in den breiten Rücken des entfernten Wachmanns ein, durchbohrte sein Herz und seine Brust und ließ ihn lautlos zu Boden sacken.

Swanson legte sein Scharfschützengewehr zur Seite und wandte sich Newman zu. »Hast du ihre Gemeinschaftshütte ausfindig gemacht?«

»Hm. Ja, es ist das zentrale Gebäude, scheint deren gesamtes Hauptquartier zu sein. Ich schalte es aus. Die haben wirklich alle diese Zelte und Bauten dicht beieinander gruppiert. Ein Hoch auf schlampige Arbeit!«

»Scheiße, warum auch nicht? Die machen sich keine Sorgen um Luftangriffe auf pakistanischem Hoheitsgebiet, und die Paks sind todsicher nicht hinter ihnen her. Wir sind hier, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht sicher sind, egal, wo sie pennen.«

Tripp schnallte einen raketenbetriebenen Granatwerfer ab. »Ich denke immer noch, Cruise-Missiles wären eine gute Idee.«

»Abmarsch«, knurrte Swanson und ging den Pfad hinab voran, wobei er einen seiner eigenen RPG-7-Granatwerfer bereit machte. Die alten Waffen waren berüchtigt für ihre Ungenauigkeit und hatten eine kurze Reichweite, aber sie waren modifiziert und aufgerüstet worden, und in den Händen von trainierten Einheiten, die hangabwärts feuerten, waren sie effektiv und tödlich. Da beide Wachposten ausgeschaltet waren, näherte sich die Gruppe ungehindert dem Lager, bis sie weniger als die Länge eines Fußballfelds entfernt waren. Dann nahmen sie auf Swansons Signal hin in einer Reihe Aufstellung, Seite an Seite, jeweils etwa neun Meter voneinander entfernt.

In Sekunden waren sie in Stellung, unsichtbar in der Dunkelheit vor dem Hintergrund des Bergs, alle mit feuerbereiten Granatwerfern. Die Terroristen hatten sich draußen im offenen Gelände des Lagers gruppiert und knieten in fünf Reihen hintereinander auf ihren Gebetsteppichen, die Gesichter Richtung Mekka.

Swanson nahm eine letzte Entfernungsmessung vor, nur ein Flimmern eines unsichtbaren Radarstrahls, und sprach in das kleine Mikrofon seines Headsets. »Stellt eure Zünder auf einhundert Meter ein. Ich zähle bis drei, dann schickt ihr die erste Salve in die Menge und feuert danach, wieder auf drei, mit dem zweiten Schuss auf die euch zugeteilten Bauten. Wir wollen, dass beide Salven gebündelt eintreffen. Danach rücken wir ins Lager vor und feuern nach eigenem Ermessen. Es wird keine Überlebenden geben.«

Captain Newman hatte jedem von ihnen einen bestimmten Abschnitt der Ansammlung an Betenden zugewiesen, damit nicht alle Raketen an derselben Stelle einschlugen und der Schaden maximiert wurde. Was die Marines betraf, so waren die Terroristen für sie nicht länger Menschen, sondern Ziele. Swanson visierte die Mitte der Gruppe an und begann damit, leise herunterzuzählen: »Drei … zwei … eins!«

Die sechs RPGs sprachen mit einem lauten, brummenden Bellen. Die Raketen schossen aus ihren aufgeschulterten Röhren heraus und flogen unter ohrenbetäubendem Jaulen auf die versammelten Männer im Camp zu. Die wenigen, die rechtzeitig aufblickten, sahen sechs Raketenspuren, die Rauch in den Nachthimmel ätzten, dann explodierten die Geschosse mit einem höllischen Aufbrüllen. Die ungeradzahligen Raketen transportierten hochexplosive Sprengköpfe, die durch ungeschützte Haut und innere Organe fegten, während die geradzahligen thermobarisch waren. Sie entluden sich dicht über der Menge und versprühten dabei einen feinen Nebel aus unteroxidiertem Brennstoff, der in Luftdetonationen explodierte, was den Opfern den Sauerstoff aus den Lungen saugte, während ihre Körper von massiven Feuerbällen verzehrt wurden.

Als die Explosionen von den Berghängen widerhallten, feuerten die Trident-Marines bereits die zweite Salve. Sie richteten ihre RPGs auf die wenigen Gebäude und zerfetzten die anfälligen Strukturen. Flammen von den Luft-Brennstoff-Explosionen fegten um die Ecken und in Eingänge, Fenster und potenzielle Verstecke. Saugten das Leben aus jedem Menschen, den sie berührten.

Swanson setzte sich in Bewegung, ehe das Getöse nachließ, und führte die anderen Marines in einer halsbrecherischen Kletterei auf den zerstörten Lagerplatz zu. Er nahm an, dass gut neunzig Prozent der zweiundfünfzig Mann starken Terroristentruppe bereits tot waren, und er war froh darüber, dass niemand das Feuer auf die Soldaten erwiderte.

»Teilt euch auf!«, brüllte er, als sie die Grenze des Lagers erreichten. Das Team teilte sich in Einheiten zu jeweils zwei Mann auf, und so arbeiteten sie sich durch die brennenden Ruinen vor, indem sie kurze Feuerstöße auf jeden abgaben, der aussah, als könnte er den ersten Ansturm überlebt haben. Es waren nicht viele, und selbst die Verwundeten zogen die kurze, aber tödliche Aufmerksamkeit der Angreifer auf sich. Es war keine Arbeit für schwache Nerven, aber in den Bergen Pakistans hatte Gnade in einer Nacht wie dieser keinen Platz.

Am anderen Ende des Lagers angekommen, schrie Swanson: »Zurück!«, und zu sechst kehrten sie um und arbeiteten sich durch die Gebeinhäuser zurück zu ihrem Anfangspunkt. Diesmal mischten sich bloß noch vereinzelte Schüsse unter das Knistern und Brodeln der Flammen.

Ob Holz, Lehm oder Fleisch, das Feuer fraß alles in dem Camp auf. Ein Munitionslager explodierte wie ein kleiner Vulkan, aber die umgebenden hohen Berge schirmten das Feuer und die Detonationen von der Außenwelt ab. Nachdem sie ein paar versteckte Sprengsätze zurückgelassen hatten für den Fall, dass sie verfolgt wurden, zogen die Trident-Marines ab.

Sie erklommen den Pfad, sammelten den gefesselten und geknebelten Führer auf und verschwanden wie Geister in den unermesslichen Weiten der zerklüfteten Grenze.

Kapitel 2

Schottland

Das Schloss wurde von allem außer Drachen, Rittern und Bogenschützen mit Langbogen bewacht. Professionelles Sicherheitspersonal aus fünf Nationen und Antiterror-Teams durchstreiften das Gelände, während die Polizei mit kleinen Booten in dem angrenzenden, tiefschwarzen Gewässer patrouillierte. Die umliegenden Wälder waren mit elektronischen und wärmebildbasierten Erkennungssystemen vermint und Bewegungsdetektoren und Überwachungskameras sondierten jede Ecke. Während der Sonnenuntergang in einem letzten Aufflammen dem von purpurnen Wolkenschichten durchsetzten Himmel einen bronzefarbenen Schein verlieh, trank Sir Geoffrey Cornwell einen Schluck Whisky und suchte nach Lücken im Sicherheitsnetz. Die leichte Brise trug einen feinen Dunst mit sich, aber er konnte über den Loch hinweg sehen, was bedeutete, dass es heute Nacht gutes Wetter geben würde.

Das Schloss lag weniger als ein Dutzend Kilometer von Edinburgh entfernt und befand sich auf der Anhöhe eines Hügels, der zum Wasser an der Ostseite hin abfiel. Patrouillenfahrzeuge auf der fernen Straße, die um den Loch herumführte, hatten ihre Scheinwerfer eingeschaltet, und von der Schlossmauer aus glichen sie sich langsam fortbewegenden Glühwürmchen. Cornwell besaß mehr als vier Quadratkilometer Land — von bestellbarem Ackerboden bis zu einem Wald voller Wild —, und normalerweise wäre der gesamte Ort die Woche über an irgendein multinationales Unternehmen für eine Managerkonferenz vermietet worden. Aber nicht heute.

Er hatte das Schloss aus dem fünfzehnten Jahrhundert vor einem Jahrzehnt gekauft, als es nicht viel mehr als eine verfallene Ruine gewesen war. Dann hatte er es ausschlachten und wieder aufbauen lassen. Die schroffe Außenmauer, auf der er jetzt stand, gehörte zu den wenigen verbliebenen Elementen der ursprünglichen Baustruktur, und in ihr klafften noch immer die Krater englischer Kanonenkugeln. Die Mauer war in hellblaues Flutlicht getaucht, was das Schloss mittelalterlich, unheilschwanger und mächtig wirken ließ.

Die neuen Gebäude hinter der blauen Mauer waren modernisiert worden — Elektrizität, Spültoiletten, Zentralheizung … Führungskräfte von Unternehmen, die sich auf einer Geschäftstagung befanden, verlangten nach höchstem Komfort.

Cornwell war im Rang eines Colonels aus dem Dienst des British Special Air Service ausgeschieden und dann ein erfolgreicher Industrieller und visionärer Entwickler von militärischer Hardware geworden. Er und seine Frau, Lady Patricia, lebten in einem Privatflügel des Schlosses und betrieben den Rest als kommerzielles Projekt, denn wenn es eines gab, das Cornwell seit jeher tunlichst vermieden hatten, dann war das, tatenlos herumliegen und nicht für sich arbeiten zu lassen.

Ein breiter Weg, gesäumt von flackernden Fackeln, führte vom Pförtnerhaus zum Areal, an dem die Limousinen eintrafen. Links davon erstrahlte der Hubschrauberlandeplatz im Licht eines Stroboskopscheinwerfers, der von der Mitte aus nach oben blitzte. Der Ort war nie engmaschiger überwacht worden. Dennoch kam es dem ehemaligen Colonel so vor, als hielte er ein brüchiges Stück Geschichte in seiner Hand, und ja, er machte sich Sorgen. Er nahm einen weiteren Schluck warmen Scotch, und die bernsteingelbe Flüssigkeit brannte wohlig in seinem Hals. Er setzte das Glas auf dem dicken, flachen Stein der gezackten Brustwehr ab und richtete seinen Smoking.

»Kannst du bitte aufhören, dir Sorgen zu machen? Lass die Profis ihre Arbeit machen, Jeff. Deine einzige Rolle heute Abend besteht in der des vollendeten Gastgebers.« Lady Patricia legte ihren Arm um seine Taille und küsste ihn auf die Wange. Sie trug ein marineblaues, von Karl Lagerfeld entworfenes Organzakleid und ihre Diamantohrringe waren auf die Farbe der Halskette abgestimmt. Die Steine glitzerten in den hellen Lichtern und hoben sich von ihrer braun gebrannten Haut ab.

Sir Jeff war überwältigt. Er legte seinen kräftigen Arm um Pat und zog sie an sich. Dabei lächelte er sie an. »Du bist heute Abend wunderschön.«

»Ja, das bin ich«, erwiderte sie glücklich. »Wir hatten schon eine Menge Partys, Jeff, aber die hier steht ganz oben auf der Liste.«

Lady Pat sah sich um. Alle Angestellten arbeiteten auf Hochtouren, damit der Abend perfekt verlief. »Also, warum machst du dir Gedanken?«, fragte sie ihren Mann.

»Wegen etwas, das Kyle vor ein paar Wochen gesagt hat«, erwiderte er.

»Oh mein Gott, Jeff. Hör auf Kyle Swanson, wenn du jemanden umgebracht haben willst, aber doch nicht, wenn du Rat für gesellschaftlichen Umgang suchst.«

Ein kurzes Auflachen ertönte hinter ihnen, und Sir Jeff blickte sich um. Delara Tabrizi, ihre persönliche Assistentin, hatte sich ihnen unbemerkt von hinten genähert. Mit ihren Händen umklammerte sie ein dickes Notizbuch voller Checklisten und einen kleinen Laptop. In ihrem Ohr steckte ein Headset. Sie lächelte breit.

Cornwell starrte sie an, ohne einen Effekt zu erzielen. Die beiden Frauen in seinem Leben hatten keine Furcht vor ihm.

»Lady Pat hat recht, Sir. Für Kyle wäre es die Hölle, wenn er einen Sitzplan ausarbeiten und darüber nachgrübeln müsste, wo er die hinreißende Frau des israelischen Außenministers für den bestmöglichen Effekt platzieren soll. Oder ein Menü zu planen, das sowohl für Christen, Juden als auch für Muslime unvergesslich sein wird. Das, Sir, wäre tatsächlich lustig.«

»Siehst du?«, sagte Pat. »Also, was hat er dir erzählt, das dich so nervös macht?«

Delara Tabrizi legte den Kopf schief und schob den Empfänger ihres Headsets etwas tiefer, um den Empfang zu verbessern. Sie tippte auf ihr Keyboard, dann blickte sie hoch. »Verzeihen Sie, Sir Jeff, aber Sie baten um einen Statusbericht?«

Er nickte. Der britische Außenminister, Lord Covington, und der israelische Außenminister waren Übernachtungsgäste, und die anderen würden jeden Moment eintreffen. Das private Dinner bildete den Auftakt zur morgigen Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Israel und Saudi-Arabien — ein Abkommen, das einen gewaltigen Schritt in Richtung Frieden im Nahen Osten darstellen konnte.

»Der amerikanische Botschafter und der Außenminister sind bereits eingetroffen«, sagte Delara. »Prinz Abdullahs Helikopter ist in der Luft, voraussichtliche Ankunftszeit in acht Minuten. Das Flugzeug des ägyptischen Außenministers ist soeben gelandet und ein Heli wartet bereits auf ihn. Zwanzig Minuten.«

»Sehr gut«, sagte Cornwell und strich die Ärmel seines mitternachtsschwarzen Smokings glatt. »Meine Damen, sollen wir nach unten gehen und die Gäste begrüßen?«

»Nicht, ehe du mir von Kyle erzählt hast.«

Lady Pat verschränkte die Arme vor der Brust und rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

»Na ja, ich habe ihn über das ganze Gelände geführt und ihm unsere Sicherheitsmaßnahmen beschrieben. Wo die Wachen in statischen Positionen im Einsatz sein würden und die Routen der patrouillierenden Wachleute. Die Elektronik und so weiter. Ich habe ihm gesagt, dass wir es erfahren würden, wenn da draußen auch nur ein Eichhörnchen scheißt.«

»Jeff!«, maßregelte sie ihn. »Achte gefälligst auf deine Wortwahl! Es sind Kinder anwesend.«

»Ich muss mich entschuldigen, Delara«, sagte er an seine dreißigjährige Assistentin gerichtet, die aus dem Iran geflüchtet und inzwischen eine britische Staatsbürgerin war. Sie verdrehte die Augen.

»Jedenfalls habe ich ihm erzählt, dass alle internationalen Teams miteinander kooperieren und wie dicht dieses Netz sein würde«, fuhr Cornwell fort, »und ich fragte ihn auch, ob er sich denken könne, so strenge Sicherheitsmaßnahmen zu überwinden und eine Zielperson auszuschalten.«

»Natürlich hat er dir erzählt, dass es ihm gelingen würde.« Lady Pat schnaubte verächtlich. »Der kleine Bastard glaubt, er ist Superman.«

»Es war noch schlimmer. Er hat gesagt, es wäre einfach. Also haben wir den Schutzperimeter auf drei Kilometer in jede Richtung ausgedehnt. Kyle hat nicht nur kritisiert, dass das nicht nicht genug sei, er hat sogar darauf beharrt, dass es taktisch unmöglich wäre, diesen Ort zu beschützen. Vor Jahrhunderten hätte es noch Sinn ergeben, ein Schloss auf einem Hügel zu errichten, damit es die Umgegend dominiert. Im einundzwanzigsten Jahrhundert aber sei es, was seine Sicherung anginge, ein Dinosaurier.«

»Und das hat dich so aufgeregt? Wir haben diesen wunderbaren Empfang, um ein historisches Ereignis zu begehen, und du lässt zu, dass Kyle Swanson dich piesackt? Wahrscheinlich hat er das nur gesagt, um dich nervös zu machen, und das ist ihm anscheinend auch gelungen.« Sie grinste. »Delara, meine Liebe, machen Sie sich bitte eine Notiz, mich daran zu erinnern, dass ich Kyle eine Ohrfeige gebe, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«

»Jawohl, Mylady.«

Pat hakte sich erneut bei Sir Jeff unter und lenkte ihn in Richtung der Steintreppe, die vom Wehrgang in den Schlosshof hinunterführte. Die ersten schwarzen Limousinen trafen in diesem Augenblick ein. »Jetzt lächle und mach dich bereit, all diese wichtigen Leute in unserem stattlichen Herrensitz willkommen zu heißen.«

Kapitel 3

Schottland

Ibrahim Bilal stieg als Erster aus dem Minivan, nachdem er fünf Kilometer vom Schloss entfernt von einem engen Feldweg abgebogen und in eine von Büschen verdeckte Einfahrt gefahren war. Um ihn herum grasten ein paar ungepflegte Hochlandrinder, ansonsten war es still. Er drückte einen Knopf auf seiner Armbanduhr, womit er den Countdown für den Angriff auslöste, und rief nach den anderen. »Raus! Schnell jetzt. Raus!«

Vier weitere Männer in Smokey-Branch-Tarnanzügen und klobigen Kletterstiefeln, deren Gesichter mit NATO-Tarnfarbe beschmiert waren, stiegen hinter ihm aus. Sie zogen die rückwärtigen Türen des Kleinlasters auf, verteilten Rucksäcke und schulterten sie. Die Traglast bestand nur aus Funkgeräten, Wasser, ein paar Snacks, trockenen Socken und Schuhen und je einem kompletten Satz Kleidung. Die einzige Bewaffnung bestand aus Pistolen mit jeweils einem zusätzlichen Magazin. Sehr bald würde jede Unze zählen.

Der Rest der Ladung wurde aus dem Fahrzeug getragen, dann bedeckten sie den Minivan mit einem vier mal sechs Meter großen Flecktarnnetz. Abgebrochene Zweige benutzten sie, um die Reifenspuren zu verwischen. Als sie damit fertig waren, halfen sie einander, die neue Traglast hinzuzufügen, und grunzten unter der Last von mehreren Hunderten Pfund zusätzlichen Gewichts, das sie auf die fünf Rucksäcke aufteilten. »Das Leben ist nicht leicht«, witzelte Bilal. »Geht jetzt.«

Er begab sich an die Spitze der Truppe und führte sie zwischen den Kühen hindurch auf einen kleinen Hügel am westlichen Ende der Weide zu. Hoch über ihnen dröhnte ein Helikopter und zog über den Gipfel hinweg. Seine hellen Landelichter stießen Säulen aus Weiß durch die Dunkelheit. Bilal blickte auf seine Armbanduhr. Auf die Minute genau!

»Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch einmal erleben würde«, sagte der amerikanische Außenminister Kenneth Waring zu Sir Jeff, als der Helikopter nahezu ohne jedes Wackeln aufsetzte. Die Triebwerke wurden ausgeschaltet und die Rotorblätter hörten auf, sich zu drehen.

»Es ist das unvermeidliche Ergebnis extrem schwieriger Arbeit von engagierten Männern und Frauen, die guten Willens sind«, erwiderte Cornwell. Seine Hände waren feucht vor Nervosität. »Und das über viele Jahre hinweg.«

»Sir Jeff, Ihre Arbeit hinter den Kulissen war in dieser letzten Verhandlungsphase unverzichtbar. Ich bezweifle, dass wir es ohne Ihre Unterstützung geschafft hätten. Sie kennen so viele einflussreiche Leute, und alle vertrauen darauf, dass Sie ein ehrlicher Vermittler sind. Glauben Sie mir, diese Art von Reputation eilt einem heutzutage selten voraus.«

Cornwell fühlte sich unwohl angesichts von Komplimenten. Er war überzeugt, einfach seine Pflicht getan zu haben, indem er all diese nüchternen Politiker und Diplomaten in privaten Meetings dazu gebracht hatte, weiterzumachen, als jeder von ihnen unterschiedliche Absichten verfolgt hatte. Jahrelang hatten sie miteinander gestritten, und er hatte sie dabei unterstützt, zu einer Entscheidung zu gelangen. »Während der nächsten paar Monate wird es gefährlich werden, wenn die Anführer der Regionalregierungen versuchen, die Fanatiker unter Kontrolle zu halten.«

»Jeff, wenn irgendjemand das zustande bringen kann, dann ist es Prinz Abdullah. Entweder, es gelingt ihm, oder der Nahe Osten wird in ein weiteres Jahrhundert des Elends gestürzt.«

Sie waren nicht die Einzigen, die Zweifel an der Sache hegten.

Prinz Abdullah, der saudische Botschafter für die Vereinigten Staaten, blickte aus dem Fenster seines Helikopters. Er sah die erwartungsvollen Gesichter der Gastgeber und die hohe blaue Mauer des alten Schlosses. Er wusste, wenn er ausstieg, würde er die Welt verändern, und in einem flüchtigen Moment der Furcht wollte er dem Piloten die Anweisung geben, ihn schnell zurück zum Flughafen zu bringen. Damit er nach Washington zurückfliegen und mit seinen normalen und vertrauten Tagesgeschäften fortfahren konnte. Sollte jemand anderes diese Last schultern.

Der Prinz war in seinen frühen Vierzigern, hochgewachsen, gut aussehend und athletisch gebaut. Man hatte ihn von Kindesbeinen an für diese Rolle herangezogen. Obwohl er hochintelligent war, mehrere Sprachen beherrschte und sowohl als Soldat wie auch als Diplomat Erfahrung besaß, würde er niemals König werden. Diese Ehre war allein dem ältesten Sohn des Monarchen vorbehalten. Stattdessen hatte die Familie Abdullah zu ihrer Version einer aufgeklärten modernen politischen Persönlichkeit geformt. Wenn die Regierung des Landes schon dazu gezwungen war, sich zu einer Demokratie zu entwickeln, dann würde es der Prinz sein, der für das Amt der Staatsführung kandidierte, obwohl der Plan sich in diesen turbulenten Zeiten in Rauch aufgelöst hatte. Sein neuer Ruf, so historisch er auch sein mochte, würde ihm nicht viele Wählerstimmen einbringen. Der Mann, der mit den Juden Frieden geschlossen hatte!

Auf dem Flug über den Atlantik war Abdullah die diplomatischen Berichte und die neusten Nachrichten durchgegangen. Zu Hause gab es Unruhen, was allerdings zu erwarten gewesen war angesichts des bevorstehenden Friedensabkommens mit Israel. Die Nation, in der sich die heiligsten Stätten des Islam befanden, Mekka und Medina, wechselte die Seiten: Eine ungeheuerliche Entwicklung in den Augen religiöser Fundamentalisten, die eine strenge Theokratie verteidigten. Für Millionen Muslime war blinder Hass gegenüber Israel ein fundamentaler Glaubensgrundsatz. An Dutzenden Orten war deshalb Gewalt aufgeflammt.

Die königliche Familie in Riad sah die Dinge anders als die Imame und Mullahs. Ägypten hatte bereits vor vierzig Jahren ein ähnliches Abkommen mit dem jüdischen Staat geschlossen, den darauffolgenden politischen Unruhen getrotzt und war darüber gediehen. Um im turbulenten 21. Jahrhundert zu überleben, mussten die Saudis auch politische Anpassungen vornehmen. Ein Fünftel der globalen Ölreserven zu kontrollieren, war keine Garantie für eine stabile, langfristige Existenz, denn das Produkt war letztendlich nichts weiter als das: ein Produkt, das es zu verkaufen galt. Es war eine zugegeben begehrte, aber begrenzte natürliche Ressource, und diese würde entweder irgendwann versiegen oder, was wahrscheinlicher war, durch andere Energiequellen ersetzt werden. Dann wäre der Staat nur für ein paar Generationen reich und mächtig gewesen und würde sich bald wieder in dem Wüstensand auflösen, aus dem er entstanden war. Hass auf die Juden hatte seine Nützlichkeit überlebt. Jetzt stand das Überleben der Nation auf dem Spiel.

Abdullah signalisierte seinem Leibwächter, die Seitentür zu öffnen. Der britische und der amerikanische Außenminister sowie Sir Geoffrey Cornwell hießen ihn augenblicklich willkommen, und gemeinsam verließen sie den hell erleuchteten Landeplatz und begaben sich zum Empfangsbereich, wo der israelische Außenminister, Nathan Simhon, bereits auf sie wartete. Der Moment der Wahrheit, dachte Abdullah. Inshallah.

Dann brach Simhon, dessen Gesicht ein aufrichtiges Lächeln zeigte, mit dem Protokoll und trat vor, um dem Prinzen die Hand zu schütteln. Ein privater Fotograf hielt den historischen Moment fest.

»Herr Außenminister, wir werden bedeutende Freunde sein!«, erklärte der Prinz.

»Wir alle freuen uns darauf«, erwiderte Simhon. »Es ist mir eine Ehre, morgen die Absichtserklärung mit Ihnen zu unterzeichnen.«

Lady Pat wurde dem Prinzen als die Gastgeberin des Abends vorgestellt. Sie trat zwischen die beiden Männer, um die Gruppe in die ausladende Banketthalle zu führen, einen Korridor aus Stein, Wandbehängen und uralten Waffen, die das Grundmotiv eines Schlosses aufrechterhielten. Ein massiver Eichentisch nahm beinahe die gesamte Länge des Raumes ein. Sir Jeff begleitete die Frau des israelischen Botschafters, eine hinreißende Brünette, die einmal eine Schauspielerin gewesen war.

Delara Tabrizi nahm ihr Notizbuch und ihren Laptop und zog sich in ihr Büro im Keller zurück. Anlässlich des Zusammentreffens war das Kommunikationszentrum vergrößert worden, und ihr Büro diente momentan auch als Lagerbereich für Ersatzteile. An der Wand hing eine Reihe von miteinander vernetzten Farbbildschirmen, und sie konnte beobachten, wie sich die Dinge oben entwickelten, während sie damit beschäftigt war, den Köchen, Bedienungen und verschiedenen Mitarbeitern Anweisungen zu geben. Delara erlaubte sich ein stolzes Lächeln. Es fühlte sich an, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie mit knapper Not aus dem Iran entkommen war. Den Mullahs würde dieser historische Moment alles andere als gefallen, sie jedoch blickte der Unterzeichnung der Absichtserklärung hoffnungsfroh entgegen.

Der Empfang verlief genau nach Plan, ohne jegliche Verzögerungen, daher erlaubte sie es sich, schnell ihr Make-up aufzufrischen, ehe sie nach oben zurückkehren würde, um Sir Jeff zu holen und ihn zum Landeplatz hinauszugeleiten, damit er den ägyptischen Außenminister begrüßen konnte, dessen Helikopter sich soeben im Endanflug befand.

Sie bemerkte auf dem Bildschirm, wie ein Mitglied der Gefolgschaft des Prinzen Sir Jeff etwas ins Ohr flüsterte. Dieser deutete zu einer Seitentür, und der Mann leitete die Bemerkung sofort an den Prinzen weiter. Delara unterdrückte ein Lachen. Da stand ein beispielloses geschichtsträchtiges Ereignis bevor und die Hauptfigur hatte keine anderen Sorgen als einen Toilettengang.

Kapitel 4

Schottland

Während er den steinigen Hügel hinauftrottete, erinnerte sich Ibrahim Bilal daran, wie er als Kind mit seinem Vater auf Wandertouren gegangen war. Als seine Familie noch in High Wycombe gelebt hatte. Er war ein Ingenieur geworden, ein vom Leben gelangweilter junger Mann. Ohne Ziel, ohne Bestimmung. Bis er zum Islam gefunden hatte. Zeitgleich mit dem inneren Wandel war ihm bewusst geworden, dass ein smarter und tapferer junger Gläubiger sich als Kämpfer und Hersteller von Sprengstoffen einen guten Lebensunterhalt verdienen konnte. Nach seiner Konvertierung vor weniger als einem Jahr hatte er seinen Familiennamen für eine neue Identität aufgegeben und seine Verwandten verlassen. Weil sie Ungläubige waren. Unrein.

Der Aufstieg war fordernd, aber nicht wirklich hart, von der zusätzlichen Traglast einmal abgesehen. Innerhalb von zehn Minuten erreichte Bilal den Hügelkamm und sah den Schein, der von dem gewaltigen Trutzbau ausging, eine Blase aus blauem und weißem Licht in der zunehmenden Finsternis. »Jetzt!«, befahl er seinen Männern. »Baut es auf!«

Während seine Gefolgsleute ihre Last ablegten, untersuchte Ibrahim die um die Grenze des Anwesens führende Straße, als ein langsames Fahrzeug vorbeifuhr und ein kleiner Suchscheinwerfer Klumpen von Büschen auf beiden Seiten anleuchtete. Als der Wagen weiterfuhr, holte Ibrahim einen Laser-Entfernungsmesser aus seinem Rucksack und ermittelte die Distanz zwischen der Hügelkuppe, auf der er kauerte, und dem Schloss auf der anderen Seite des Gewässers. Die Digitalanzeige verriet ihm, dass sie dreitausendachthundert Meter von der hohen Mauer entfernt und sechshundert Meter außerhalb des drei Kilometer umfassenden Sicherheitsperimeters waren.

Als er nach seinem Team sah, war der Dreifuß bereits aus seinem Behälter geholt und die Beine auseinandergezogen, gespreizt und arretiert worden. Die Männer trieben die stabilisierenden Zacken in den harten Boden. Dann wuchteten sie das zweiundfünfzig Pfund schwere Trägersystem in Position und rasteten es auf dem Dreifuß ein.

Ibrahim hörte das leise Brummen eines weiteren Fahrzeugmotors und richtete seine Aufmerksamkeit schnell wieder zurück auf die Straße, wo die Frontscheinwerfer und jetzt ein weiterer Suchscheinwerfer aufleuchteten. Immerhin waren sie auf die Straßenränder und nicht auf den Hügel gerichtet. Eine weitere Patrouille folgte nur zwei Minuten hinter der ersten. Die Straße entlang des Lochs war ein belebter Ort.

Das Team hängte das Nachtsichtgerät von einem der Rucksäcke ab und befestigte es an der winkelförmigen Vorrichtung, die bereits aufgebaut war. Sie schlossen die Verbindungen an und aktivierten es. Ein weiterer schmaler Zylinder wurde geöffnet und ein langes Objekt herausgeholt. Es passte millimetergenau in die dicke Röhre oben auf der Waffe. Der rohrgestartete, optisch verfolgte, drahtgelenkte Flugkörper, weltweit bekannt als Panzerabwehrlenkrakete, war einsatzbereit!

Diese hier war ein Jahr zuvor im Irak nach einem Hinterhalt von einem US-amerikanischen Armee-Humvee beseitigt und nach England geschmuggelt worden, wo man sie eingelagert hatte, um auf ein passendes Ziel zu warten. Ibrahim blickte auf seine Stoppuhr: Zwei Minuten waren vergangen, und der große Zeiger streifte weiter über die Zahlen. Sie waren weiterhin im Zeitrahmen, und er kroch neben die Lenkrakete, während ein Ladeschütze ein zweites Geschoss bereithielt und die anderen Überwachungspositionen einnahmen, um die Patrouillen im Auge zu behalten.

Ibrahim stellte den optischen Bereich des Wärmebildfernrohrs ein, bis das Fadenkreuz auf der hell leuchtenden Burgmauer ruhte. Er atmete tief durch und drückte den Feuermechanismus.

Die mehr als einen Meter lange Rakete schoss mit einer Feuergarbe und einem ohrenbetäubenden Aufbrüllen aus der Röhre. Da er die Detonation einkalkuliert hatte, brauchte Ibrahim nicht lange, um sich wieder zu fangen und das Fadenkreuz zurück aufs Ziel einzustellen. Der Donner wurde vom zischenden Wispern eines dünnen Drahtes ersetzt, der sich hinter der Lenkrakete abspulte und die eingebauten Computerkommandos übermittelte, wodurch die kleinen Gitterflossen auf dem fliegenden Geschoss justiert wurden. Ibrahim schwitzte, während er die zwanzig Sekunden bis zum Einschlag herunterzählte und das Wärmebildgerät unverändert auf sein Ziel gerichtet hielt.

Der Ladeschütze machte die zweite Rakete fertig. Das Team würde beide Schüsse in weniger als einer Minute ausführen und dann verschwunden sein.

Die Soldaten auf den umherstreifenden Patrouillen — in Fahrzeugen, zu Fuß und auf dem Wasser — hörten das unverwechselbare, gedämpfte Popp-Bumm der abgefeuerten Lenkrakete und hielten kurz inne, als ihr Unterbewusstsein Alarm schlug. Acht Sekunden vergingen, bis der Erste von ihnen den leuchtend roten Streifen entdeckte, der sich über den Nachthimmel auf sie zubewegte. Drei weitere Sekunden vergingen, bis er begriffen hatte, was vor sich ging. Er presste den SENDEN-Knopf an seinem Kehlkopfmikro und schrie: »FEINDLICHER RAKETENBESCHUSS!«

Ein Raketenabwehrteam, das in den Wäldern stationiert war, hatte keine Chance. Die Lenkrakete war gekommen und gegangen, ehe sie realisiert hatten, dass sie überhaupt dagewesen war. Unerbittlich fiel sie über den höchsten Punkt ihres leicht bogenförmigen Flugs hinweg ab und sauste auf das Schloss zu.

Der Sicherheitsapparat war groß, aber er musste Kilometer abdecken, was ihn vergleichsweise langsam machte. In seinem Bemühen, auf die vorliegende Bedrohung zu reagieren, wurde er behindert, weil die vielfachen Nationen, die im Speisesaal repräsentiert waren, alle unterschiedliche Funkfrequenzen benutzten.

In ihrem Büro hörte Delara Tabrizi, wie die panische Warnung in verschiedenen Sprachen verbreitet wurde, als die Wachen versuchten, das festgeschriebene Verfahren abzukürzen und ihre eigenen Leute zu erreichen. Sie stand wie angewurzelt da, unfähig, sich zu bewegen oder die Information gedanklich zu verarbeiten. Ein Angriff? Hier?

Die Leibwächter der Würdenträger mussten ebenfalls mental den Alarmruf verarbeiten, der in ihre Headsets geschrien wurde, und ein paar schafften es, vorwärtszustürzen, um ihre Schutzbefohlenen abzuschirmen. Vergeblich.

Die leistungsstarke Lenkrakete, die von einem Feuerschweif angetrieben wurde, schlug mit einem 12,4 Kilogramm schweren Sprengkopf, der dazu in der Lage war, die Rüstung eines Panzers zu knacken, in die Schlossmauer ein. Er vernichtete den altertümlichen Festungsbau in einer Explosion, die Steinbrocken durch die Luft fetzen ließ, gefolgt von aufblitzenden Flammen und Trümmerwellen.

Vom Hügel jenseits des Sees aus beobachtete Ibrahim Balil, wie ein gigantischer, gleißend greller Feuerball über dem Zielobjekt aufstieg, und doch wandte er seinen Blick keine Sekunde ab. Schweiß rann ihm das Gesicht hinab, und er konnte die Vibrationen spüren, die durch das wiederverwendbare Abschussgerät gingen, als der Ladeschütze das zweite Geschoss positionierte. Ibrahim zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, drückte erneut den Auslösemechanismus, und die zweite Lenkrakete donnerte davon.

Dreißig Sekunden nach dem ersten Raketeneinschlag stürzte ihr Nachfolger hinab, und diesmal gab es keine Steinmauer mehr, die am Vorwärtskommen hätte hindern können. In einer weiteren atemberaubenden Explosion traf die Rakete das Konferenzgebäude.

Kapitel 5

Die Wucht der Druckwelle, die von der ersten Rakete ausging, schleuderte Delara Tabrizi quer durch ihr Büro über den Schreibtisch und ließ sie mit dem Kopf gegen die Zementmauer krachen. Wie betäubt, brach sie auf dem Boden zusammen. Dann zerriss die zweite Rakete den Ort. Wände begannen nachzugeben und einzustürzen.

Sie träumte, dass sie gegen einen heftigen Brandungsrückstrom ankämpfte, während sie zurück zur Wirklichkeit schwamm, und fand sich eingeklemmt unter dem schweren Gewicht ihres Schreibtisches wieder. Ihr Schädel fühlte sich an, als bräche er jeden Moment auseinander, und ihr Atem entrang sich nur schwer und schmerzhaft dem eingequetschten Brustkorb. Aber das war nichts gegen das Pfeifen in ihren Ohren. Vorsichtig bewegte sie den Kopf. Was war gerade passiert? Im einen Moment noch hatte sie auf die Bildschirme der Sicherheitskameras geschaut und sich dabei geschminkt, im nächsten war die Welt mit dem Donner des Jüngsten Gerichts geendet. Und dann …? Das war alles. Ein grauenhaftes Krachen, das Gefühl, durch die Luft zu fliegen, und grellrote und orangene Blitze. Und die Erinnerung an eine Warnmeldung über eine Rakete!

Die Notstromaggregate des Schlosses schalteten sich ein, und die verbliebenen unbeschädigten Lichtquellen glommen auf, tauchten den Keller in ein schummriges Halbdunkel, in dem Staubwolken unheimlich herumwaberten. Als sie einen Knopf ihrer digitalen Armbanduhr drückte, leuchtete das Display auf: zehn Minuten nach acht. Sie hatten die große Halle erst vor sechs Minuten betreten, also war sie nicht zu lange bewegungslos geblieben, aber sie war mit Schutt und Gerümpel bedeckt. Obwohl das Büro zerstört war, sorgte das verstreute Material für eine gewisse unbeseelte Beruhigung, denn es war ihr vertraut, und sie konnte einzelne Gegenstände erkennen. Der kleine auf sie gekippte Schreibtisch war zu einem Schutzschild geworden, der die Wucht der Druckwelle zu einem großen Teil abgelenkt hatte. Die untere Hälfte des Bürostuhls stand immer noch auf seinen Rädern, aber ein herabfallender Betonbrocken hatte die Rücklehne abgerissen.

Delara versuchte auf die Beine zu kommen und wollte bereits losrennen, aber dann erinnerte sie sich an Kyles Motto in Zeiten der Gefahr: Langsam ist geschmeidig, geschmeidig ist schnell. Sie atmete mehrmals tief ein und aus, konzentrierte sich auf ihre Hände und Füße, streckte ihre Finger und Zehen aus und stellte fest, dass sie keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatte. Die Luft um sie herum war dick von Staub, der ihr das Atmen erschwerte und brennende Schmerzen durch die Seite jagte, auf der vermutlich eine Rippe gebrochen war. Als sie mit der Hand über ihre Kopfhaut strich, ertastete sie Blut, aber immerhin schien die Wunde nicht besonders tief zu gehen. Auch ihre Beine taten ihren Dienst. Sie konnte sich bewegen.

Sie richtete sich auf, indem sie den Schreibtisch als Stütze verwendete, und zog dann eine Schublade auf, in der sie ihre Joggingkleidung aufbewahrte. Sie fand das graue Sweatshirt und presste es sich auf die Kopfwunde. Die modischen Abendschuhe waren fort, also kramte sie in der Schublade nach ihren Nikes. Weitere Vertrautheit, weiterer persönlicher Trost, und damit verbunden die dämmernde Erkenntnis, dass sie Lady Pat und Sir Jeff finden musste. So schnell wie möglich!

Sich an den Schuttbergen vorbei durch den Raum zu bewegen, glich der Navigation durch ein Labyrinth. Alle paar Meter hinderten sie Steinbrocken, Holz, Nägel und Glasscherben am Vorankommen.

Ein großer Holzbalken hing diagonal über dem Treppenaufgang zum Erdgeschoss, die große Tür dagegen war verschwunden. Delara bückte sich unter dem Balken hindurch und fand sich in einem Wunderland der Zerstörung wieder. Sie stolperte in das, was einmal die große Festhalle gewesen war. Niemand sonst außer ihr stand in den Trümmern, und sie rannte in der dunklen Ruine umher und schrie so laut sie konnte: »Pat! Jeff! Wo seid ihr?« Zu ihrer Linken verzehrten mehrere kleine Brandherde den Schutt.

Stöhnen und Schmerzensschreie waren aus verschiedenen Richtungen des weitläufigen Raums zu hören, und just in dieser Sekunde drangen Sicherheitsleute von außen in den Raum vor. Die Strahlen ihrer leistungsstarken Stablampen kreuzten sich wie Schwertklingen. Jemand befahl, das Feuer zu löschen. Delara keuchte vor Erleichterung. Ihr Hörsinn kehrte also zurück.

Sie rief sich die Sitzordnung ins Gedächtnis. Sir Jeff hätte sich an der Spitze der Tafel befinden sollen, aber es hatte noch niemand für das Festessen Platz genommen gehabt, also waren er und Lady Pat wahrscheinlich immer noch am anderen Ende des Raums. Sie eilte in diese Richtung. »Pat! Jeff! Ich bin’s, Delara! Ich komme!« Sie rutschte aus und stolperte über einen am Boden liegenden Körper in einem Smoking. Der Kopf des Mannes fehlte. Sie würgte vor Entsetzen, als sie jemand am Arm packte und ihr mit einer Stablampe ins Gesicht leuchtete. Es war einer der Soldaten. Er entdeckte ihre Kopfwunde und sagte: »Sie bluten, Liebes. Ich bringe Sie nach draußen, damit Sie medizinische Hilfe erhalten.«

Sie schüttelte ihn ab. »Ich bin in Ordnung, kümmern Sie sich um die anderen«, sagte sie mit überraschend fester Stimme. Dann deutete sie auf eine Seitentür. »Schauen Sie dort drinnen nach. Prinz Abdullah war gerade auf die Toilette gegangen, als die Rakete einschlug. Ich bin Sir Geoffrey Cornwells Assistentin, und ich brauche eine Taschenlampe.« Der Soldat händigte ihr seine Stablampe aus und rannte um Unterstützung brüllend zu dem Waschraum.

Delara arbeitete sich derweil zur hinteren Wand vor. Mit dem Lichtkegel der Stablampe suchte sie den Trümmerhaufen ab. Die gesamte Wand am rechten Rand des Raums war kollabiert, was damit auch den größten Teil der Decke zum Einsturz gebracht hatte. Sie erkannte den dunkelbraunen Wandbehang wieder, der eine königliche Jagdszene darstellte und an der Hinterwand gehangen hatte. Er war wie eine Decke zu Boden geworfen worden. Sie hob einen Rand an und richtete den Strahl der Lampe darunter. Die Beine einer Frau und der untere Teil eines zerrissenen, marineblauen Organzakleides wurden sichtbar.

»Pat!«, schrie sie und drehte sich zu den Soldaten um. »Ich brauche hier Hilfe! Ich habe jemanden gefunden!«

Mehrere Männer sprangen über den Schutt hinweg und knieten sich neben ihr hin, dann hoben sie den Wandbehang und die schweren Trümmer an, die ihn festgehalten hatten. Mit bloßen Händen gruben sie tiefer in den Schutthaufen. Pat Cornwell lag auf der Seite, Sir Jeff über ihr. Er hatte den Sekundenbruchteil vor der ersten Explosion dazu genutzt, sich und seine Frau unter den Rand des schweren Tisches und zwischen zwei massive Stühle zu werfen.