Running the Maze - Jack Coughlin - E-Book
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Jack Coughlin

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Beschreibung

Ein tödliches terroristisches Geheimnis ...

Im Nordosten Pakistans: Nach großen Überschwemmungen entdeckt ein Arzt bei einem Hilfseinsatz die Überreste einer eingestürzten Brücke, die ihn an eine Brücke in der Nähe seines Elternhauses in Ohio erinnert. Er macht ein Handyfoto und schickt es an seine Schwester Beth, kurz bevor sein gesamtes Team abgeschlachtet wird.

Beth Ledford ist Scharfschützin bei der Küstenwache. Und sie vermutet, dass die Antwort auf das Rätsel um den Tod ihres Bruders auf diesem Handyfoto zu finden ist. Niemand glaubt ihr - außer Marine Gunnery Sergeant Swanson und das geheime Sondereinsatzteam Task Force Trident. In Pakistan kommen Kyle und Beth dem Geheimnis hinter dem Massenmord auf die Spur - ein Geheimnis, das Al-Qaida und den Taliban neuen Aufwind verschaffen könnte ...

"Atemberaubende Action, exzellentes Handwerk ... geradezu perfekt!" Lee Child

Sniper Kyle Swanson in seiner fünften Mission - spannende Militär-Action von den New-York-Times-Bestseller-Autoren Jack Coughlin und Donald A. Davis. Für alle Fans von Tom Clancy, Lee Child und Will Jordan!

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Inhalt

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Über dieses Buch

Titel

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Fußnoten

Über die Autoren

Weitere Titel der Autoren

Impressum

 

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Über dieses Buch

Ein tödliches terroristisches Geheimnis …

Im Nordosten Pakistans: Nach großen Überschwemmungen entdeckt ein Arzt bei einem Hilfseinsatz die Überreste einer eingestürzten Brücke, die ihn an eine Brücke in der Nähe seines Elternhauses in Ohio erinnert. Er macht ein Handyfoto und schickt es an seine Schwester Beth, kurz bevor sein gesamtes Team abgeschlachtet wird.

Beth Ledford ist Scharfschützin bei der Küstenwache. Und sie vermutet, dass die Antwort auf das Rätsel um den Tod ihres Bruders auf diesem Handyfoto zu finden ist. Niemand glaubt ihr – außer Marine Gunnery Sergeant Swanson und das geheime Sondereinsatzteam Task Force Trident. In Pakistan kommen Kyle und Beth dem Geheimnis hinter dem Massenmord auf die Spur – ein Geheimnis, das Al-Qaida und den Taliban neuen Aufwind verschaffen könnte …

»Atemberaubende Action, exzellentes Handwerk … geradezu perfekt!«

Lee Child

Sniper Kyle Swanson in seiner fünften Mission – spannende Militär-Action von den New-York-Times-Bestseller-Autoren Jack Coughlin und Donald A. Davis. Für alle Fans von Tom Clancy, Lee Child und Will Jordan!

Jack CoughlinDonald A. Davis

RUNNINGTHE MAZE

Thriller

Aus dem amerikanischen Englisch vonBenjamin Schöttner-Ubozak

1

Fünf Minuten Pause. Dr. Joey Ledford saß auf den wackeligen Resten eines Holzstuhls, rauchte eine Marlboro und schwitzte, während der Monsunregen auf das Blechdach der behelfsmäßigen medizinischen Klinik im Flüchtlingslager Fünf der Vereinten Nationen prasselte. Mancherorts führten Ärzte und Krankenschwestern Operationen in sterilen, klimatisierten Räumen durch, die mit allen erdenklichen medizinischen Geräten ausgestattet waren; und in direkter Nähe gab es Lagerbereiche, die zum Bersten gefüllt waren mit wichtigen und vor allem lebensrettenden Medikamenten. Sie hörten Bach, Norah Jones oder Latin Jazz, während sie akribische Schnitte ansetzten und mit großer Sorgfalt Wunden verschlossen, wobei sie sich alle Zeit der Welt nahmen, um es richtig zu machen. Mancherorts glich die Kunst der Medizin in gewisser Weise einer reibungslosen Choreografie, die von gut ausgebildeten Fachkräften in Büros, Kliniken und Krankenhäusern ausgeführt wurde. Mancherorts … doch nur nicht hier.

Ledford atmete aus, und zwei Rauchwolken quollen aus seinen Nasenlöchern. Der Regen war kein sanfter, liebenswerter Gewitterschauer wie damals in Iowa. Anstatt die Saat auf den Feldern sprießen zu lassen, schüttete es hier wie aus Kübeln unerbittlich auf die Erde nieder, als hätte ein wütender Dämon die Bäuche der fetten schwarzen Wolken aufgerissen. Ledford ließ seinen Blick über das weitläufige Lager schweifen, in dem sich Tausende Menschen unter den Unterständen drängten. Bewaffnete Wachen standen am Eingang der Klinik, damit die Leute von ihr fernblieben. Über die Ufer getretene Flüsse und gebrochene Dämme hatten sie aus ihren Häusern vertrieben, und noch immer wurden sie vom Wasser verfolgt. Arme Kreaturen, dachte Ledford. Arme, verfluchte Seelen.

Als er die Zigarette fallen ließ und austrat, bemerkte er, dass die Blutflecken auf seinen schwarzen Gummistiefeln im Laufe des Tages tief in das Material eingedrungen und verlaufen waren, und er konnte sich nicht erinnern, von welchen Patienten das Blut stammte. Er würde es später gründlich abwaschen müssen. Jetzt war die Pause vorbei, und Ledford duckte sich zurück ins Zelt, zurück in die Welt des Elends.

Er wusch sich die Hände in einer Schüssel, streifte Handschuhe über, setzte eine chirurgische Maske auf, zog sich eine frische Schürze an und ging dann zu dem ehemaligen Küchentisch hinüber, der inzwischen einem höheren Zweck diente, nämlich als Operationsfläche. Er war mit Quadraten aus weißem Einwegpapier bedeckt, auf denen ein Mädchen im Säuglingsalter lag und heulte, während eine Krankenschwester eine Infusionsnadel in ihren Arm stach, um einen Zugang für den Tropf zu legen. Die Mutter war ganz in der Nähe und schrie sich die Seele aus dem Leib, was die Qualen ihres einzigen überlebenden Kindes nur noch verstärkte.

»Sieht nach einem weiteren Cholera-Fall aus«, sagte die Krankenschwester. »Sobald Sie den gebrochenen Arm gerichtet haben, beginnen wir mit der Antibiotikatherapie.«

Ledford nickte. »Haben wir eine Krankengeschichte oder Röntgenbilder von ihr?«

»Nein. Sie ist etwa sechs Monate alt, hat Fieber und hustet. Die Schreie sind kraftlos. Die Mutter kam erst heute Morgen im Lager an und meinte, ihre Tochter wäre vor zwei Tagen bei einer Schlammlawine von einem Stein getroffen worden.«

Ledford verschwendete keine Zeit damit, sich über das zu beschweren, was sie nicht wussten, denn sie konnten eh nur mit dem arbeiten, was ihnen zur Verfügung stand. Er war einunddreißig Jahre alt, knappe 1,80 m groß und hatte längliches, dunkles Haar, das ihm bis zum Kragen reichte. Seine Zeugnisse waren tadellos: An der University of Iowa und dann am Carver College of Medicine hatte er Medizin studiert, anschließend die dreijährige Facharztausbildung in der Inneren Medizin an der Mayo Clinic in Minnesota absolviert. Er war bereit gewesen, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu nehmen, als er beschlossen hatte, eine Auszeit einzulegen, um mehr von der Welt zu sehen. Aber was er dort draußen vorfand, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er hatte ein markantes, attraktives Gesicht, aber die Augen waren die eines Kriegsveteranen, denn in den Flüchtlingslagern von Haiti bis Afrika hatte er eine Horrorvorstellung nach der anderen geboten bekommen. Die Hilferufe aus Pakistan, wo eine Flutkatastrophe die Menschen heimsuchte, hatten ihn ereilt, als gerade sein Einsatz in Bangladesch zu Ende gegangen war, und er hatte nicht gezögert, zuzusagen und sogleich herzukommen. Das war jetzt sein Leben, zumindest so lange, wie er es aushalten konnte.

»Los geht’s«, sagte er zu dem Anästhesisten David Foley, einem pietätlosen Kanadier aus Ottawa. »Schicken wir sie ins Traumland, damit die Fließbandarbeit weitergehen kann. Wir haben noch eine Menge weiterer wartender Patienten. Es regnet in Strömen, und das Trinkwasser ist verdreckt, weil wir es nicht speichern können. Kein Wunder, dass sich Krankheiten wie die Cholera hier verbreiten.«

Es zischte leise in der Plastikmaske, die der Anästhesist über Mund und Nase des Säuglings stülpte, und die Kleine begann sich sofort zu beruhigen. »He, Joey?«, sprach Foley ihn an.

»Was, David?«

»In fünf Jahren wirst du in deiner schicken Privatklinik reichen Damen die Bauchdecken straffen, und ich werde ein rotes Cabrio fahren. Wir werden twittern, Fantasy Football spielen und Supermodels daten.« Er warf einen Blick auf die Anzeigen. Alles im grünen Bereich. »Okay. Sie ist jetzt im Traumland.«

»Bleib bei der Sache, David.« Ledford tastete behutsam den linken Arm des Säuglings ab, um die Fraktur zu untersuchen.

»Joey?«

»Sei still. Ich versuche mich zu konzentrieren.« Ledford fand die Bruchstelle und versuchte, sich vorzustellen, wie sie aussah. Mit etwas Glück und ein paar Jahren Regenerationszeit – wenn das Kind entgegen aller Wahrscheinlichkeit so lange überlebte – könnten die Gliedmaßen des Mädchens eines Tages wieder stark sein. Säuglinge waren sehr widerstandsfähig.

»Doc Yao sagt, wir können eine Auszeit nehmen. Etwas in der Art.«

Ledfords Hände gingen jetzt routiniert ans Werk, und die Krankenschwester blieb die ganze Zeit an seiner Seite. Er ließ sie so viel wie möglich von der Arbeit übernehmen, damit sie Gelegenheit hatte, ihre Fähigkeiten zu verbessern. »Wo ist der Haken?«

»Wir fahren in den Norden und besuchen einige der überschwemmten Dörfer, in denen das Wasser bereits zurückgeht«, antwortete Foley. »Suchen einen Standort für eine neue UN-Einrichtung im Landesinneren. Ich denke, wir können das mit einer kleinen Auszeit verbinden. Ein paar Tage wirklich ausspannen. Sind wir bald fertig mit der Kleinen?«

»Nur noch ein paar Minuten.« Nachdem die Krankenschwester den Verband angelegt hatte, unterzog Ledford den Rest des Körpers einer kurzen Untersuchung. Keine weiteren Brüche; aber das Mädchen war eindeutig unterernährt. Die Rippen zeichneten sich deutlich ab. Vermutlich, weil sie aufgrund ihrer Krankheit nichts bei sich behalten konnte. Er kniff sie vorsichtig, und die Haut blieb eine kurze Zeit eingedellt – ein Zeichen von Dehydration. »Der Arm wird wieder, aber die Cholera macht ihr zu schaffen.« Er notierte sich, dass er das Kind als Patientin aufnehmen und versuchen würde, sie von innen und außen zu reinigen. Wenn sie das überlebte, musste sie sich nur noch um Landminen, Maschinengewehre, Mörser, Masern, Malaria und eine lange Liste weiterer Infektionskrankheiten sowie das fragwürdige Privileg sorgen, in einem Land der Dritten Welt aufzuwachsen, in dem Frauen Menschen zweiter Klasse waren. Zum Glück sind die streng religiösen Eiferer noch nicht in das Lager eingedrungen, dachte Ledford, sonst hätte ich den nackten weiblichen Säugling nicht ansehen, geschweige denn anfassen dürfen.

»Was hast du Dr. Yao erzählt?«

»Ich habe uns freiwillig gemeldet.«

»Hm«, grunzte Ledford. Das könnte noch spannend werden.

***

Das neunköpfige Medizinerteam brach am nächsten Morgen in einem Konvoi auf, der aus drei Lastwagen der Vereinten Nationen bestand. An Bord waren gerade genug Vorräte, um ein Basislager einzurichten, das schnell erweitert werden konnte, um der Flutkatastrophe zu begegnen. Fünfzehn Stunden später, nachdem sie sich durch verwüstete und überspülte Straßen gequält hatten, erreichten sie ein von »Ärzte ohne Grenzen« betriebenes Lager, wo sie die Nacht verbrachten, bevor sie im staubigen Gold der Morgendämmerung tiefer in die Einöde vordrangen.

»Mein Arsch ist völlig demoliert«, klagte David Foley über Funk, als die Sonne ihren Zenit erreichte. Er saß im dritten Lkw, und Ledford fuhr als einziger Beifahrer im Führungsfahrzeug mit.

»Nimm zwei Aspirin, leg ihn in eine Schlinge und ruf mich morgen früh an«, scherzte Ledford.

»Besser wäre es, einfach anzuhalten und zu Mittag zu essen. Um uns zu orientieren«, antwortete Foley.

Ledford hielt das für eine gute Idee, denn die Straße war auf den letzten Kilometern, als sie über einige kleinere Berge führte, etwas ebener geworden. Eine Seitenstraße zweigte nach rechts ab und verlief nach unten, und er wies den Fahrer an, ihr bis zu einer Stelle zu folgen, an der sie halten könnten. Schon bald befanden sie sich auf der Rückseite der Berge und folgten einer alten Straße, die ins Tal und auf ein flaches Plateau führte. »Hier«, sagte er. Die Lastwagen hielten an, Nase an Heckklappe, und das Team stieg aus, und alle streckten sich.

Foley ging zu Ledford. »Was grinst du so? Hier sieht es aus wie auf der dunklen Seite des Mondes.« Die Wassermassen hatten sich hoch bis zu den Ufern ausgebreitet, bevor sie sich wieder zurückzogen.

»Ich denke, wir können das Lager hier aufschlagen«, antwortete Ledford. »Der Wasserstand ist niedrig genug, und es gibt viel Platz, um sich hier auszubreiten. Und sieh dir mal das andere Ende des Tals an, Dave. Die große Brücke ist neu, und es wird immer noch an ihr gearbeitet. Auf diesem Weg könnten die Menschen und die Vorräte problemlos zu uns gelangen. Dazu kommt, dass sich das Tal für Nachschublieferungen aus der Luft anbietet. Vielleicht könnten wir uns von den Brückenbauern einen Bulldozer leihen, um eine Landebahn anzulegen.«

Foley hatte ein Fernglas dabei. »Auf der Baustelle sind große Maschinen im Einsatz, aber ich sehe auch Lastwagen. Vielleicht herrscht dort also noch Betrieb. Du hast recht.«

Sie gesellten sich zu den anderen, die unter verkümmerten Bäumen einige Decken ausgebreitet und ein Mittagessen vorbereitet hatten. Die Abwechslung von dem Elend in den Lagern war belebend. Danach streckten sich einige von ihnen im Schatten aus, um ein kurzes Nickerchen zu machen, während Ledford allein weiter die Straße hinunterging. Obwohl der Fahrer, der eine Pistole bei sich trug, das einzige Teammitglied mit einer Waffe war, fühlten sie sich sicher: Medizinisches Personal, das Menschen in Not half, war unabhängig von der jeweiligen politischen Einstellung in der Regel gegen körperliche Bedrohung gefeit. »Ich glaub, mich laust der Affe«, sagte er mit einem lauten Lachen. Er stand nun auf einer alten Stahlgerüstbrücke, die von der Flut mitgerissen worden war – das östliche Ende ragte ins Wasser. Sie erinnerte Ledford an zu Hause, an eine fast identische Brücke, auf der er mit seiner Schwester Beth früher gespielt hatte. Er holte sein Handy hervor, schoss ein Foto, fügte die Textnachricht ERINNERST DU DICH? hinzu und schickte es ihr.

Als er zur Gruppe zurückkehrte, waren die anderen schon wieder in Bewegung. »Kommt, Leute. Lasst uns einen Spaziergang machen, um ein Gefühl für das Tal als möglichen Standort für das neue Flüchtlingslager zu bekommen. Danach statten wir der großen Brücke am anderen Ende einen Besuch ab. Die Bauarbeiter werden unsere neuen Nachbarn sein, also sollten wir demjenigen, der dort das Sagen hat, unseren Respekt erweisen.«

Auf der westlichen Seite des Flusses führte ein Weg entlang, und sie folgten ihm in einer Reihe. Der Nachmittag war sonnig, und ein Wind, der durch das Tal wehte, dämpfte die Hitze. Ledford war voller Zuversicht, dass sie den perfekten Ort gefunden hatten.

2

Gunnery Sergeant Kyle Swanson vom U.S. Marine Corps befand sich in der Mixing Bowl, dem weitverzweigten Highway-Netz rund um das Pentagon in Washington, D.C. Weit war er bisher nicht gekommen, denn er musste sich Zentimeter für Zentimeter vom Parkplatz den Highway-Zubringer hinaufkämpfen. Er befand sich auf dem Weg zu einer Feuergefechtsübung im Ghost House, einem speziellen Komplex, in dem der Nahkampf in und zwischen Häusern trainiert wurde. Die getönten Scheiben des grauen Taurus-Mietwagens waren fest verschlossen, und die Klimaanlage kämpfte tapfer gegen die Tausende von Auspuffrohren im Berufsverkehr und die drückende Hitze des späten Augusts an. Es gab einen Grund dafür, dass im grausamen Sommer die Politiker und Lobbyisten Washington den Touristen und die Nation ihrem Schicksal überließen; und Swanson war froh, zumindest für ein paar Tage rauszukommen, während die Highways, Denkmäler und steinernen Regierungsgebäude die harten Strahlen der brennenden Sonne aufsaugten und vor sich hin kochten. Die Wetterfrösche im Fernsehen hatten auf ihre Karten gezeigt und mit verbissenen Gesichtern erklärt, dass es für diese Jahreszeit untypisch heiß sei, als ob das nicht jedes Jahr der Fall gewesen wäre, seit die Regierung vor mehr als zwei Jahrhunderten von Philadelphia hierher gezogen war. Ein Taxi, das wahrscheinlich in Richtung Dulles unterwegs war, wich einem weißen Geländewagen aus, der stark abbremste, woraufhin eine hinterherfahrende Limousine auf die Nachbarspur ausscherte und der Verkehr auf zwei Fahrspuren unter lautem Hupen und Fluchen zum Erliegen kam. Swanson hielt ebenfalls an, suchte sich einen Sportradiosender auf SiriusXM und wartete auf einen Bericht über das Ende des Trainingslagers der New England Patriots oder das Meisterschaftsspiel der Boston Red Sox. Nach drei Minuten rollte der Verkehr langsam weiter.

Schließlich fuhr er auf der I-395 nach Südwesten und ließ den District of Columbia allmählich in seinem Rückspiegel verschwinden. Auf der anderen Seite der Stadtumgehung, etwa bei Springfield, lichtete sich der Verkehr. Als der Highway in die I-95 überging, wurde es besser, und er konnte endlich aufs Gaspedal treten, obwohl er noch viel Zeit hatte. Sein Ziel war Virginia Beach, wo die Naval Special Warfare Development Group ihr Hauptquartier hatte, und die Feuergefechtsübung mit dem SEAL Team Six war für den morgigen Tag um 0700 in der Früh angesetzt. Der einzige Haken an der Sache war, dass Senior Chief Richard Sheridan ihn gebeten hatte, am Vorabend zu einem privaten Gespräch bei einer Flasche Bier vorbeizuschauen. Der Senior Chief der Navy und der Gunnery Sergeant der Marines kannten sich seit gut fünfzehn Jahren und hatten an einigen unfreundlichen Orten mit lustigen Namen zusammengearbeitet. Wenn Rockhead, wie Sheridan auch genannt wurde, plaudern wollte, war das also kein Problem.

Nachdem Swanson seinen Zielort erreicht hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Treffen. Sheridan wartete in einer Bar am Wasser, die sich auf Militärpersonal als Gäste spezialisiert hatte. In der gesamten Tidewater-Region wimmelte es nur so von aktiven und ehemaligen Militärangehörigen und deren Familien aus allen Bereichen der Streitkräfte, vor allem aber aus der U.S. Navy. Swanson war überzeugt, dass die »Tintenfische« bloß einen Aushang am nächsten 7-Eleven zu machen brauchten, wenn sie eine Mannschaft für ein gesamtes Schlachtschiff zusammenstellen wollten.

Sheridan saß an einem Tisch auf der Sonnenterrasse, etwas abseits der Menschenmenge und direkt neben einem Holzgeländer, das von Sonne und Regen in Mitleidenschaft gezogen worden war. Ein riesiger Anker ragte aus dem Sand im Garten, als hätte ihn ein vorbeifahrendes Schiff zurückgelassen. Netze, alte Bojen und Militärequipment aus vergangenen Zeiten dienten als Dekoration, und kahle, herabhängende Glühbirnen erhellten den Ort.

Swanson setzte sich zu Sheridan an den Tisch. Nachdem sie zur Begrüßung scherzhaft gemeinte Beleidigungen ausgetauscht und in Erinnerungen über gemeinsame Freunde geschwelgt hatten, kam Rockhead auf den Grund des Treffens zu sprechen. In der Zwischenzeit brachte der Kellner Bier für Rockhead und Eiswasser mit einer Limettenscheibe für Swanson, dann nahm er ihre Steak-Bestellungen auf.

»Du hast doch nach wie vor eine Sicherheitsfreigabe, die alles bis zu Gott dem Allmächtigen abdeckt, oder?«, wollte Sheridan wissen.

Swanson nickte. Er war der operative Leiter der schwärzer als schwarzen Einheit, die als Task Force Trident bekannt war, und unterstand damit direkt dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. »Was liegt dir auf dem Herzen, Senior Chief?«

»Ich brauche deine professionelle Meinung zu einem meiner Jungs, Kyle. An seinen Leistungen gibt es nichts auszusetzen, er ist sogar der Beste im Team Six.«

Swanson hob eine Augenbraue. Team Six war die Elite der Elite, die Jungs, die letzten Endes Osama bin Laden festgenagelt hatten. Niemand wurde Teil dieser geheimnisumwobenen, handverlesenen Truppe, ohne über außergewöhnliche Fähigkeiten zu verfügen.

»Petty Officer First Class Ryan Powell ist vielleicht der beste Schütze, den wir haben. Er kann mit jeder Hand Löcher in den Zehnerring stanzen, und das sogar, wenn er die Waffe verkehrt herum hält. Wir haben ihn vor ein paar Jahren aufgrund seiner außergewöhnlichen Leistungen für die Special Warfare Development Group ausgewählt. Mit seinen siebenundzwanzig Jahren ist er noch recht jung, aber er ist genau die Art von Kerl, die wir gerne für wichtige Einsätze ausbilden. Er hat alle Fähigkeiten, die es braucht: Er ist stark, kann ewig lange schwimmen und hat die Reflexe einer Katze, die einem Käfer nachjagt. Seine Teamkollegen nennen ihn Captain America.«

»Klingt wie der typische Superman von Team Six. Wo ist das Problem?« Swanson nippte an seinem Wasser.

Rockhead strich sich mit der Handfläche über die borstigen Haare auf der gebräunten Kopfhaut, während sich die Muskeln in seinen Unterarmen anspannten. »Mein Bauch ist das Problem, Gunny. Du weißt doch, dass Superman Probleme mit diesem Kryptonit-Scheiß hat, oder? Nun, ich habe mir die Fitnessberichte angeschaut … Bei Powell fehlt irgendetwas, und ich kann nicht genau sagen, was es ist. Ich will, dass du morgen mit ihm im Ghost House trainierst, ihn aus der Nähe betrachtest, ihn unter Druck setzt. Und dann gibst du mir deine persönliche Einschätzung.«

»Wonach genau soll ich Ausschau halten, Rock?«

»Ich glaube, Superman ist ein Feigling geworden.«

Swanson ließ diese Bemerkung eine Weile unkommentiert stehen, aber es war, als gäbe es plötzlich den sprichwörtlichen Elefant im Raum, und das in ihrer unmittelbaren Nähe. Für Swanson gehörten die Navy SEALs zu den besten Kämpfern der Welt, deshalb war es ein richtiger Schock, Rock so über einen seiner Jungs reden zu hören. Befürchtete er, dass Powell durchdrehte?

Aus dem Inneren der Bar drang elektronische Country-Musik auf die Sonnenterrasse. »Und warum ich?«, fragte Swanson.

»Ich brauche eine unvoreingenommene Meinung. Und das Ganze soll unter uns bleiben. Wenn du ihn für gut hältst, bleibt er. Ich möchte weder seinen Ruf noch seine Karriere ruinieren, aber nicht jeder hat das Zeug für diesen Job. Ich kann nicht andere in Gefahr bringen, weil dieser Guppy die Nerven verliert. Oder schon verloren hat.«

»Wie gehen wir also bei dieser … inoffiziellen Leistungsüberprüfung vor?«

»Ich habe dich ihm zugeteilt. Ihr beide geht morgen früh zusammen ins Ghost House. Setz ihn unerwartetem Druck aus, irgendetwas, das über das festgelegte Szenario und die Missionsparameter hinausgeht. Er wird erwarten, dass es sich lediglich um eine weitere Übung handelt, die er allein aufgrund seiner körperlichen Fitness und seiner antrainierten Fähigkeiten durchstehen kann. Mach daraus etwas völlig anderes, Kyle. Treib ihn in die Enge! Setz ihn unter Druck!«

Swanson dachte kurz nach, dann nickte er. »Im Ghost House kann jedes beliebige Szenario nachgestellt werden, richtig?«

Rockhead lächelte. »Fast alle Kampfhandlungen in Außenbereichen und Innenräumen sind darstellbar. Außer denen im Schlafzimmer deiner Schwester – und das haben sie vielleicht sogar auch.«

Eine Sache, die Swanson wirklich daran gefiel, mit SEAL Team Six zu trainieren, war das scheinbar unbegrenzte Budget. Die »Tintenfische« hatten immer als Erste Zugang zu den experimentellen Sachen, die jenseits dessen lagen, was man von bisherigen Gefechten kannte; und sie verbrannten das Geld schneller, als ein Wall-Street-Banker seinen Jahresbonus ausrechnen konnte. In der Special Warfare Development Group ging es darum, herauszufinden, wie man die Kriege von morgen am besten führen konnte.

Das Ghost House stellte einen Quantensprung in der Nahkampfausbildung dar. Normalerweise waren CQB-Häuser1 grobe Attrappen in einer trostlosen Umgebung, die die SEALs mit Kugeln spickten, um den Einsatz in einer beengten, feindlichen Umgebung zu trainieren – statische Umgebungen mit Ausnahme von hochschnellenden Pop-up-Zielobjekten. Das Ghost House hingegen war quasi eine »lebendige« Umgebung, vollgestopft mit modernster Technik, die komplexe Computersimulationen ermöglichte. Es befand sich in einem verwitterten Flugzeughangar in einem Areal, in dem es für Uneingeweihte nichts als Lagerhallen zu sehen gab.

Im Ghost House dienten nach wie vor alte Reifenstapel und andere Materialen dazu, die abgefeuerten Kugeln aufzufangen, aber statt mit Sperrholz waren die Innenwände mit grünen Leinwänden ausgekleidet, auf die verschiedene virtuelle Welten projiziert werden konnten. Autos, Taxis und Busse drängten sich im Verkehr, Rauch behinderte die Sicht, Menschen kauften in Geschäften ein; es gab ständig Geräusche und Bewegungen. Die Kulisse konnte die eines ruhigen amerikanischen Vorstadthauses sein, eines Eisenbahnwaggons, eines Schiffes, einer Ölbohrplattform oder eines Kernkraftwerks. Zur Darstellung von Möbeln und Hindernissen wurden Schaumstoffzuschnitte verwendet, die durch Computer Farbe erhielten. Das wirklich Bahnbrechende bestand indes in der Simulation der feindlichen Kräfte, die nicht mehr nur aus steifen Pop-ups bestanden, sondern aus dreidimensionalen Hologrammen in Lebensgröße, die auf die Bewegungen der Trainierenden reagierten. Deren Waffen blinkten und feuerten simulierte Salven ab, und die neuartige MILES-Ausrüstung2, die von den angreifenden guten Jungs getragen wurde, gab akustische Laute von sich, wenn die KI einen Treffer landete. Die Hologramme starben nicht zwangsläufig beim ersten Treffer, außer der Computer wertete ihn als tödlichen Schuss. Die Übungsleiter kontrollierten die Simulation von einer Schaltzentrale außerhalb des Hangars aus.

»Dann lass uns mit der unschuldigen Straßenszene von Mayberry R.F.D. anfangen«, schlug Swanson vor. »Es gibt keine Informationen darüber, wer die Zielpersonen sein könnten. Ich möchte, dass Powell sich darauf konzentriert, sorgfältige Entscheidungen zu treffen, damit er nicht Floyd, den Barbier, aus Versehen erschießt, weil er mit einem Rasiermesser aus dem Laden gerannt kommt.«

»Jeder hasst die Mayberry-Simulation«, entgegnete Rockhead mit einem Lachen, das sich eher wie ein Knurren anhörte. »Diese alte Fernsehserie hat einen eingebauten Joker mit Deputy Barney Fife, der mit einer ungeladenen Waffe herumläuft. Wie sieht es morgen mit den Waffen aus? Normalerweise sind sie in Kampfmontur und benutzen MP-5er für solche Szenarien.«

»Nein. In meinem Arbeitsbereich ist selten eine Maschinenpistole zur Hand, wenn man sie braucht. Ich will, dass die Ausstattung dieses Typen auf das Wesentliche reduziert ist. Um ihn aus seiner Schutzblase herauszuholen und ihm das Gefühl zu geben, verletzlich zu sein, fast nackt. Von Anfang an. Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. Eine Pistole seiner Wahl, keine Schalldämpfer. Die Hintergrundgeschichte sieht folgendermaßen aus: Wir befinden uns auf einem Angelausflug in der Nähe von Mayberry und sind die nächstgelegenen Einsatzkräfte, wenn Sheriff Andy um Hilfe ruft, weil seine Polizeistation angegriffen wird. Terroristen auf der Main Street und viele Frauen und Kinder.«

»Was ist mit Funkverbindungen?«

»Standard-Headsets. Aber ich will, dass die Übungsleiter die Frequenz stören, sobald wir reingehen. Das soll ihn aus dem Konzept bringen. Und Rock, befiel ihm, auf den Genitalschutz zu verzichten.«

»Warum? Bei uns trägt sowieso niemand einen Genitalschutz.«

»Teil des Psychoterrors. Ich will, dass er die ganze Zeit an seine Kronjuwelen denkt. An seine Verwundbarkeit.«

»Setz ihn richtig unter Stress, Kyle.«

»In Ordnung.«

»Und was genau hast du mit ihm vor?« Rockhead trank sein Bier aus und wischte die Spritzer vom Tisch.

»Ihn zu Tode erschrecken.«

»Auf welche Weise?«

»Ich habe die ganze Nacht Zeit, genau das zu planen!«

***

Bootsmann First Class Ryan Powell machte seine Waffe bereit und knurrte den Mann an, der ihn ins Ghost House begleiten würde. »Kommen Sie mir nicht in die Quere, alter Mann. Wir benutzen heute scharfe Munition.« Powell war mehr als ein wenig verärgert darüber, dass er diesen abgehalfterten Marine zugeteilt bekommen hatte. Der Kerl musste weit in den Dreißigern sein, mindestens zehn Jahre älter als er selbst, was bedeutete, dass er auch langsamer sein würde. Es hieß, er sei früher eine Art Scharfschütze mit erstklassiger Trefferquote gewesen.

Swanson sagte nichts, als er den sehnigen SEAL unter die Lupe nahm: ungefähr 1,80 m groß, struppiges braunes Haar, breite Schultern und durchtrainierte Muskeln, die sich wie Seile spannten. Selbst in Jeans hatte er das steife Aussehen eines Transformer-Roboters – als würde er sich jeden Augenblick in einen Pick-up-Truck verwandeln. Swanson sah mehr als den straffen, vitalen Körper. Das Gewicht war gleichmäßig verteilt, aber auf die Fersen verlagert, und Powells Augen waren nichts als schwarze, zuckende Punkte. Mit seinen Fingern trommelte der junge Mann auf die Heckler-&-Koch-SOCOM-Pistole im Gürtelholster. Bist du ängstlich oder einfach nur nervös, weil dich das Unbekannte erwartet?

»Was zum Teufel glotzt du so, Pops!«, schnauzte ihn Powell an. Der junge SEAL war zuversichtlich, dass er die Simulation wie jedes Mal meistern und den Marine dabei alt aussehen lassen würde. Anschließend würde er den Ledernacken, wie die SEALs einen Marine gerne nannten, in die Mangel nehmen und versuchen, einen Kampf anzuzetteln, nur um das Vergnügen zu haben, dem Großvater mal gehörig den Hintern zu versohlen. Jugend, Kraft, Können, Entschlossenheit und Stolz waren auf seiner Seite. Es machte Powell nach wie vor wütend, dass er nicht an der Tötung von bin Laden beteiligt gewesen war. Der Marine hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Powell schenkte Swanson ein fieses Grinsen, wie ein Pitbull, der ein Kätzchen beäugt, bevor er zubeißt. »Ich werde dir in deinen ledernackigen Arsch treten.«

»Seid ihr bereit?«, fragte der für die Sicherheit zuständige Offizier.

Swanson lud eine Patrone in die Kammer seiner zuverlässigen .45-ACP-Pistole des Marine Corps und entsicherte sie. »Bereit.«

»Bereit«, wiederholte Powell, holte seine Pistole heraus und nahm eine Kampfhaltung ein.

»Bereithalten!«, befahl der Instruktor. Eine Doppeltür schwang auf und ließ die Schützen in den Zielbereich vortreten, dann schloss sie sich wieder hinter ihnen. »Es kann losgehen, Jungs.«

Swanson und Powell waren jetzt auf der Main Street, die Pistolen erhoben. Tante Bee schaute ihnen aus einem Fenster zu, ihre Augen waren vor Angst geweitet. Zwei Kinderleichen lagen auf der Straße, und die Menschen rannten in die Häuser, um sich vor dem Rattern der automatischen Gewehre in Sicherheit zu bringen, das aus Richtung der Polizeistation zu ihnen drang. Rauch quoll aus den Fenstern. Powell trat vor, die Pistole mit beiden Händen haltend, während seine Blicke die Umgebung und die Schatten absuchten. Swanson stand fünf Meter entfernt zu seiner Rechten und tat es ihm gleich. Ein Knistern ertönte in ihren Kopfhörern, dann verstummten die Funkgeräte.

»Kontrollcenter?«, sagte Powell irritiert, aber es kam keine Antwort. Er drückte das Mikrofon näher an seinen Mund. »Kontrollcenter?«, fragte er erneut. Er warf Swanson einen Blick zu und tippte sich ans Ohr. Irgendetwas stimmte nicht. Der Marine ignorierte ihn, machte einen weiteren Schritt nach vorn und ging hinter einem Schaumstoffblock, der wie ein Müllcontainer aussah, in Deckung. Powell richtete seinen Blick wieder geradeaus auf die Straßenszene. Er wusste, dass das Szenario vorsah, dass der hinter ihnen liegende Bereich bereits geräumt war. Ein kleines Mädchen in einem Hauseingang starrte sie an, als wären sie Außerirdische, und ein schmutziger Pick-up kam plötzlich aus einer Gasse geschossen und raste über die Straße auf den Parkplatz eines Lebensmittelgeschäfts. Der Fahrer stieg aus und rannte in den Laden hinein. Zivilist, befand Powell. Ein nebliger Rauch schlängelte sich über den Boden.

Powell war angespannt, er begann zu schwitzen. Erst die Funkstörung, und jetzt hätte er auch noch fast auf den Typen im Pick-up geschossen. Er verlangsamte seinen Schritt, um seine Atemfrequenz zu reduzieren. Wo war die verdammte Zielperson?

Dann, wie bei einem Donnerschlag, explodierten neben seinem rechten Ohr zwei schnell abgefeuerte Schüsse. Swanson hatte zweimal direkt über Powells Kopf hinweg geschossen und ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt. Powell zuckte zusammen, ging in die Knie und schrie: »Feuer einstellen! Feuer einstellen! Was zum Teufel tun Sie da?« Er sicherte seine Waffe und steckte sie weg, aber alles blieb, wie es war. Die Regeln des Ghost House besagten, dass eine Übung abzubrechen war, wenn jemand bemerkte, dass etwas schieflief. Der Marine allerdings sprintete über den Bürgersteig und durch die Tür der Polizeistation. Flimmernde, computergesteuerte Leuchtspurgeschosse sirrten aus dem Zielbereich haarscharf an Powell vorbei, der sich in letzter Sekunde auf den Boden warf. In Bauchlage, die Hände über dem Kopf, schrie er: »WAS ZUM TEUFEL IST HIER LOS? KONTROLLCENTER! FEUER EINSTELLEN! SIMULATION SOFORT BEENDEN!«

Der Marine schoss derweil dreimal auf ein Hologramm, das mit einer Waffe auf der Straße erschien, und traf es zweimal in die Brust und einmal in den Kopf. Der bildlich dargestellte Mann sackte zu Boden.

Ein lautes Hupen ertönte aus den Lautsprechern des Ghost House, und die simulierten Bilder lösten sich auf. Dann öffneten sich die Türen, und Sonnenlicht fiel herein, während der Rauch nach draußen strömte. Ryan Powell sprang auf die Beine, als der Marine auf ihn zukam, dessen Waffe gesichert war und locker in der Hand lag. Powell war außer sich. »Sie hätten mich fast umgebracht!«, schrie er gellend und ballte die Hände zu Fäusten. »Das war eine Übung mit scharfer Munition, und Sie haben absichtlich über meinen Kopf hinweggeschossen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie eine Verwarnung erhalten, und dann werde ich Ihnen in Ihren dürren Arsch treten!«

Swanson blickte den Navy SEAL ausdruckslos an; in dem Gesicht des jungen Mannes spiegelte sich ernsthafte Besorgnis. So nahe war er dem Tod vermutlich noch niemals zuvor gekommen. »Sie wurden heute getestet, Bootsmann Powell. Durch mich. Ich sollte Sie aus Ihrer Komfortzone herausholen und dafür sorgen, dass Sie Ihr Muskelgedächtnis bei dieser Übung nicht einsetzen können. Sie sind im entscheidenden Moment erstarrt. Sobald es bergab ging, haben Sie sich allein auf Ihre Erfahrung verlassen und die Simulation bei der kleinsten Abweichung abbrechen wollen. Ihre Aufgabe war es, die Mission zu beenden, nicht zu kneifen.« Swanson steckte seine Pistole wieder ins Holster hinten an seinem Gürtel und senkte seine Stimme. »In einem echten Gefecht können Sie nicht nach einer Feuerpause rufen, Powell. Das geht einfach nicht. Da draußen gibt es keine zweite Chance. Wenn ich ehrlich bin, dann denke ich, dass Sie gar nicht hier sein wollen, zumindest nicht wirklich. Sie sind nicht mit dem Herzen dabei, Sie haben keine Kriegerseele mehr, und einzig ihr naturgegebenes Talent ist übrig geblieben. Es ist an der Zeit, dass Sie mit Ihrem Leben weitermachen.«

»Gequirlte Scheiße«, empörte sich Powell. »Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?«

Rockhead trat neben Powell und berührte ihn am Ellbogen, um ihn zu beruhigen.

»Wer ist dieses Arschloch, Senior Chief?«, fragte der junge SEAL.

»Jemand, den Sie nicht in einer dunklen Gasse treffen möchten, Powell. Wir beide sollten uns mal unterhalten, mein Sohn.«

***

Am Abend traf Rockhead Sheridan Swanson wieder in derselben Kneipe. Diesmal aber saßen sie drinnen, an der Bar. Im Fernsehen lief ein Bericht über den bevorstehenden Start der ersten Mars-Mission. Kühle Meeresluft ließ die Außentemperatur sinken, und Regen wurde auf die Terrasse geweht. Keiner der beiden Männer war in guter Stimmung.

»Es war notwendig«, sagte Rockhead. »Powell ist bereits zu einem dreißigtägigen Urlaub abgereist. Er will versuchen, die Kurve zu kriegen. Wie sich herausstellte, hat er einige ernsthafte familiäre Probleme: Seine Zwillinge sind krank. Er steht an einem Scheideweg. Ich habe ihm gesagt, er soll nach Hause gehen und sich um das kümmern, was wirklich wichtig ist, nämlich die Familie.«

»Er ist also fertig mit Team Six?« Swanson faltete eine nasse Serviette, nur um etwas zu tun zu haben. Es hatte ihm keinen Spaß gemacht, Powell zum Einknicken zu bringen.

»Ja«, antwortete Rockhead. »Wenn er ein SEAL bleiben will, werden wir ihn als Ausbilder in der BUD/S-Ausbildung einsetzen. Er wäre dann näher bei seiner Familie, und wahrscheinlich würde er da einen ziemlich guten Job machen.« Rockhead zuckte mit den Schultern. »Manchmal ist das Leben einfach beschissen.«

Sie schwiegen eine Zeit lang. Dann fragte Swanson: »Darf ich morgen noch einmal ins Ghost House? Ganz allein?«

»Das war die Abmachung, Gunny Swanson. Du sollst noch zwei, drei weitere Gelegenheiten erhalten, auf Hologramme zu schießen, bevor es zurück in den Puzzle Palace in Washington geht.«

Ihre Aufmerksamkeit wurde auf eine Eilmeldung gelenkt, die auf dem von der Decke hängenden Fernseher aufleuchtete: ein bruchstückhafter Bericht über das Massaker an einem internationalen Ärzteteam im Norden Pakistans – neun Tote, keine Überlebenden.

»Pech gehabt«, sagte Rockhead eiskalt und bedeutete dem Barkeeper, ihnen ein weiteres Bier zu bringen. »Ein Haufen baumumarmender Weltverbesserer, die dort wandern gehen, wo sie nicht hingehören.«

Swanson stimmte ihm zu. »Es gibt viele Orte auf diesem verrückten Planeten, wo sie helfen könnten; und die suchen sich ausgerechnet Pakistan aus. Nicht, dass die Flüchtlinge nicht jede Hilfe gebrauchen könnten. Die Überschwemmung ist eine Katastrophe.«

»Weißt du, was ich für ein Problem damit habe? Dass unsere Ärzte und Krankenschwestern den Terroristen eine kostenlose Ausbildung in Erster Hilfe und medizinischer Behandlung geben. Vielleicht sogar ihre Soldaten behandeln. Zu helfen, feindliche Kämpfer am Leben zu erhalten, egal wie edel das anmuten mag, ist schlechtes Karma. Wir wollen sie töten, und ein paar liberale Weltverbesserer flicken sie wieder zusammen! Das ist doch Bullshit.«

Swanson versank einen Moment lang in Gedanken, während Einzelfotos von einigen der getöteten Mitglieder des medizinischen Teams auf dem Bildschirm vorbeizogen. Er stimmte Rockheads Auffassung zu. »Na ja, wenigstens ist diese Geschichte dort vorbei. Mit der Sache haben wir nichts am Hut.«

3

Eine pakistanische Armeepatrouille hatte die Leichen gefunden, wusste aber nicht viel mehr, als dass die meisten Opfer Ausländer waren. Brieftaschen und Ausweise waren gestohlen worden. Allerdings lagen die Leichen um einen Lastwagen herum verstreut, auf dessen Türen das blaue Symbol der Vereinten Nationen prangte.

Die nüchternen Fakten wurden schnell an einen Außenposten von »Ärzte ohne Grenzen« weitergegeben, den das medizinische Team am Abend vor seiner Abreise besucht hatte. Der inoffizielle Informationsaustausch, der die verschiedenen Hilfsorganisationen miteinander verband, übermittelte die Nachricht bald an das UN-Flüchtlingslager Fünf, sodass Dr. Lin Yao, der Direktor und Hauptverwalter, direkt mit dem UN-Hauptquartier in New York telefonieren und die tragische Nachricht weitergeben konnte. Es wurde eine Pressemitteilung herausgegeben, die Identität der ermordeten Ärzte und Krankenschwestern jedoch so lange zurückgehalten, bis die Familienangehörigen benachrichtigt worden waren – keine leichte Aufgabe, da es sich bei den Opfern um eine internationale Gruppe handelte.

Dr. Yao, ein kleiner und gewissenhafter Mann, benötigte einen kompletten Tag, um zu bestätigen, wer sich freiwillig auf den Weg nach Norden gemacht hatte. Seine Augen wurden feucht, und er musste die Brille abnehmen, um die beschlagenen Gläser zu säubern, während er die Namen der neun engagierten Mitarbeiter ermittelte, die sinnlos ermordet worden waren. Ihr Verlust war ein herber Rückschlag für die laufenden Operationen im Flüchtlingslager Fünf.

Es war lediglich ein Amerikaner dabei gewesen, der Teamleiter Dr. Joseph Ledford, ein feinsinniger, engagierter junger Arzt, der an der Mayo Clinic ausgebildet worden war. Zwei Kanadier, zwei Chinesen und je ein weiterer Mitarbeiter aus Venezuela, Fidschi, Südafrika und Jordanien. Yao begriff nun, welchen Fehler er gemacht hatte: Es waren nicht genügend Muslime in der Gruppe gewesen, damit sie bedenkenlos auf eigene Faust hätten losziehen können, und die fidschianische Krankenschwester hatte noch dazu jeden Tag offen in der Bibel gelesen und gegen die untergeordnete Stellung der Frau in starren muslimischen Gesellschaften wie der hiesigen protestiert. Mein Fehler, dachte Yao und gab sich die Schuld an einer Tragödie, die eigentlich absehbar gewesen war. Ich hätte besser aufpassen sollen beim Erteilen der Erlaubnis. Ich ersticke einfach in der ganzen Arbeit.

Als seine Liste vollständig war, suchte Yao die Personalakten heraus und meldete die Namen nach New York, wo sich Mitarbeiter daranmachten, die zuständigen Behörden in aller Welt zu kontaktieren, um den betroffenen Familien die schlimmen Nachrichten zu überbringen. Der US-Delegierte bei den Vereinten Nationen erhielt den Namen von Dr. Joseph Ledford, dessen Heimatadresse im Bundesstaat Iowa lag, und das Außenministerium leitete die Informationen an das Büro des Gouverneurs von Iowa in Des Moines weiter, das sie wiederum an die State Police weitergab, die sie schließlich an das Büro des Sheriffs von Kossuth County in Algona übermittelte.

Städte und Dörfer lagen in der Mitte Iowas zwischen den Landwirtschaftsflächen verstreut, und viele Meilen trennten sie voneinander. Aufgrund der schrumpfenden Steuereinnahmen waren die Straßenwachtrupps, die die 974 Quadratmeilen des größten Bezirks des Staates abdeckten, sehr dünn gesät. Der Verwaltungsbeamte checkte die Verfügbarkeit in seinem Computer und stellte fest, dass sich der nächstgelegene Deputy etwa 30 Meilen östlich der Ledford Dairy Products-Farm befand, und beauftragte ihn, persönlich zur Farm hinauszufahren. Der Anruf erfolgte über ein Mobiltelefon, damit er nicht über die von den Medien überwachten Frequenzen des Polizeiscanners übertragen wurde.

Margaret Ledford schwitzte in der Augusthitze, als sie einem Angestellten half, eine reparierte Kette an der Schraube eines gebrochenen Förderbandes zu befestigen, und sie trat von dieser Arbeit zurück, als der Wagen des Sheriffs hinter einem in der Nähe der Scheune geparkten Traktor vorfuhr. Sie lüftete die breite Krempe ihres Strohhutes, wischte sich über die Stirn und erkannte Deputy Bill Turner, der einst mit ihren beiden Kindern Joey und Beth die kombinierte Junior-Senior-High-School besucht hatte. Hier draußen kannte jeder jeden. Turner wirkte schwerfällig, als er auszusteigen begann, und eine Staubwolke hüllte den Wagen ein, sodass Margaret einen Moment Zeit hatte, um sich zu fragen, was in aller Welt er an einem Donnerstagnachmittag hier draußen machte. Sie winkte.

Turner nickte und setzte sichtlich widerwillig seine Füße auf die Erde, und da sah er aus wie ein Polizist und nicht wie der alte Freund, der er eigentlich war. Bei Mrs Ledford konnte er nicht um den heißen Brei herumreden. Es war wohl das Beste, das Ganze professionell, aber freundlich zu erledigen. Turner hatte großen Respekt vor ihr. Ihr Ehemann Stephen war vor drei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, ihr Sohn Joey lange vorher weggezogen, um Arzt zu werden, und ihre Tochter Beth arbeitete irgendwo in Übersee bei der Küstenwache. Margaret weigerte sich, umzuziehen, und führte die große Farm mit angeheuerten Helfern weiter, wobei sie ihren Kummer in der Mühsal ertränkte, ihren Lebensunterhalt mithilfe der reichen Erde Iowas zu bestreiten. Trotz aller Widrigkeiten bewirtschaftete sie mit zwei Vollzeitmitarbeitern erfolgreich etwa 400 Hektar Mais, Weizen und Sojabohnen und besaß mindestens 150 Rinder und ein Dutzend Pferde. Die tagtägliche Knochenarbeit von der Morgendämmerung bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte die Leere ausgefüllt, die ihr toter Ehemann hinterlassen hatte. Sie würde ihn nie vergessen, aber sie hatte gelernt, die Dinge zu akzeptieren, wie sie waren. Die Kinder kamen gelegentlich zu Besuch. So war das Leben nun einmal. Ihr Haar wurde grau, aber Deputy Turner wusste, dass Maggie Ledford eine taffe Frau war, und dass sie diese Stärke jetzt brauchen würde.

»Hey, Bill«, rief sie und ging zu ihm hinüber. »Hast du dich heute mit Sonnencreme eingeschmiert?«

»Ja, Maggie.« Er ging nicht auf diese Einladung zum Small Talk ein, sein Gesicht blieb ernst. »Kann ich ein Glas Wasser haben?«

»Du sagst mir zuerst, warum du hier bist. Dann kannst du so viel Wasser, Milch, Bier oder was auch immer haben, wie du willst.« Sie setzte ihren Hut wieder auf, zog die schweren Handschuhe aus, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte zu dem hochgewachsenen Deputy auf.

Er hakte die Daumen in seinen Gürtel und biss sich auf die Unterlippe, dann seufzte er. »Es gibt keine Möglichkeit, das auf die leichte Art rüberzubringen, Maggie, also werde ich es einfach sagen: Joey ist tot. Er wurde zusammen mit seinem gesamten medizinischen Team von den Taliban drüben in Pakistan getötet.« Der Deputy sah nach oben in den Himmel, um ihrem Blick auszuweichen, und als er wieder nach unten blickte, war sämtliche Farbe aus Maggie Ledfords Gesicht gewichen. Sie brach vor seinen Augen zusammen, und er fing sie gerade noch rechtzeitig auf. »Gott verfluche sie!«, flüsterte Bill Turner vor sich hin, während er Maggie stützte. »Verflucht seien sie alle! Direkt in die Hölle sollen sie fahren!«

Sie gingen in die Kühle des Hauses. Nachdem Mrs Ledford sich vom ersten Schock erholt hatte, fragte sie Deputy Turner, ob ihre Tochter benachrichtigt worden sei. Er wusste es nicht. Daraufhin ging Maggie zu ihrem kleinen Schreibtisch in der Küche, zog eine Schublade auf und nahm eine spezielle Telefonnummer heraus, die sie im Falle eines persönlichen Notfalls anrufen sollte; das Amerikanische Rote Kreuz würde sich mit Beth in Verbindung setzen, die irgendwo in Übersee an einem geheimen Einsatz teilnahm.

***

»Bereiten Sie sich auf den Schuss vor, Gunner3.«

»Aye, aye, Sir. Können Sie diesen Vogel einen Moment lang ruhig halten? Sie hüpfen so viel auf und ab, dass ich vielleicht nicht mal den verdammten Ozean treffe.« Die Stimme in seinem Headset war völlig ruhig.

»Ich habe meine eigenen Probleme, Gunner«, antwortete Lieutenant Commander Arvis Taylor. »Glauben Sie, dass Sie diesen extrem komplexen MH-68H-Hubschrauber besser steuern können als ich?«

»Denken Sie, Sie können besser schießen als ich?«

»Nein, Gunner. Das denke ich nicht. Also machen Sie sich bereit, dem Boot eine Kugel zu verpassen. Die Message war wohl nicht klar genug, oder der Kapitän hat vor, ihre Warnschüsse einfach zu ignorieren. Ich halte den Heli jetzt so ruhig wie möglich. Wenn Sie jemanden mit einer Panzerfaust sehen, knallen Sie ihn ab, ohne auf meinen Befehl zu warten.« Taylor studierte seine Instrumente genau, während er den strahlend weißen Hubschrauber der Küstenwache mit dem auffälligen orangefarbenen Streifen in der Luft zum Stillstand brachte.

»Wird gemacht, Sir.« Der Bordschütze lehnte sich aus der geöffneten Seitentür hinter Taylor und berechnete in Gedanken die geometrischen Besonderheiten des Schusses – relative Geschwindigkeit, Anstellwinkel, Geschossabfall über die Entfernung, die Wirkung des starken Fallwinds … Die entsprechenden Anpassungen wurden vorgenommen. Er wollte den Motor des Schnellboots treffen, nicht das Deck. In ihm hatten die Piraten ihren Meister gefunden, nur dass ihnen das noch nicht klar war. Der Bordschütze hatte ein paar Warnschüsse aus dem M-240-Maschinengewehr abgegeben, die um das Boot herum ins Wasser gepeitscht waren. Ohne Wirkung. Jetzt wurde das M-240 beiseitegeschoben und stattdessen ein 37 Pfund schweres M-82 Barrett Kaliber .50 in Position gebracht, das mit einem D-Ring am Gurtzeug festgeschnallt war. Das leistungsstarke Zielfernrohr verschaffte klare Sicht auf die Motorverkleidung am Heck des Bootes.

Der Hubschrauber der Küstenwache flog am unfreundlichen Himmel der somalischen Küste entlang; er war Teil der internationalen Bemühungen der Marine, umherstreifende Seepiraten zu stoppen, die Handelsschiffe ausplünderten. Das Zielschiff, lang, breit und langsam, hatte einen Frachter angegriffen und sich dann seitwärts gewandt, als der Hubschrauber, der von einem anderen Einsatz zurückgekehrt war, den Notruf aus nur 40 Meilen Entfernung gehört hatte und in einer sanften Kurve herbeigeflogen war. Innerhalb weniger Minuten war er über dem Zielobjekt eingetroffen. Glück ist in einem Gefecht immer von Vorteil.

Der Bordschütze erkannte zehn Männer im Boot, die zum Hubschrauber hinaufstarrten. Einer hatte eine AK-47 angelegt, die wirkungslos vor sich hin ratterte – der Heli befand sich deutlich außer Reichweite des Maschinengewehrs. »Ich bin bereit, Skipper.«

Der Pilot und der Bordschütze waren lange Zeit als Mitglieder der taktischen Hubschrauberstaffel (HITRON) der US-Küstenwache zusammen geflogen und hatten Erfahrung im Ausschalten weitaus schwierigerer Ziele, wie etwa Schnellboote von Drogenschmugglern im Golf von Mexiko. Lieutenant Commander Taylor hatte zugesehen, wie Bordschützen die tanzenden Schnellboote mit einer solchen Präzision außer Gefecht setzten, dass dafür oft nur ein einziger Schuss nötig war, weil die Kugel den Motor durchschlug und ihn in die Luft jagte. Ohne Antrieb wurden die Schnellbote zu leeren Hüllen, die hilflos in den Wellen schaukelten, bis ein Schiff eintraf, um die Besatzung zu verhaften und die Ladung Marihuana oder Kokain zu beschlagnahmen. Taylor war zuversichtlich, dass sein jetziger Bordschütze genauso zielsicher war. Er brachte den Hubschrauber in Position, und die Anzeigen waren genau da, wo sie sein sollten. Die größte Herausforderung beim Fliegen über Wasser bestand darin, sich nicht von einer spiegelglatten Oberfläche täuschen zu lassen und direkt hineinzufliegen. »Feuer frei!«, sagte er.

Der Bordschütze schoss auf Kommando, und das Netz aus Gurten, mit dem das Gewehr gesichert war, fing den Rückstoß ab. Am Heck des Piratenboots befanden sich zwei große Mercury-Außenbordmotoren, und der linke explodierte in einer Wolke aus Metallsplittern, die mehrere Piraten verwundeten. Mit geübter Leichtigkeit wurde ein weiteres Geschoss geladen und abgefeuert, woraufhin auch der zweite Motor aus dem Heck des Bootes gerissen wurde. Durch die Wucht der Schüsse wurde das Boot zur Seite gerissen und trieb anschließend ziellos übers Meer.

»Sind Sie schon fertig, Gunner?«, fragte Taylor.

»Jawohl, Sir«, antwortete der Bordschütze, zog das Maschinengewehr zurück in den Hubschrauber und sicherte es. Während Taylor die Ergebnisse ihres Einsatzes an eine Fregatte der französischen Marine funkte, die auf dem Weg zum Zielschiff war, schob der Bordschütze die Schutzbrille hoch und nahm den Helm ab. Darunter kam wallendes, blondes Haar zum Vorschein.

Beth Ledford setzte sich eine blaue Baseballkappe mit goldener Schrift auf, nahm einen Schluck Wasser und winkte den umhertreibenden somalischen Piraten zu. Sie begannen vor lauter Wut zu schreien und die Fäuste zu schwingen, als ihnen klar wurde, dass ihnen von einer Frau in den Arsch getreten worden war.

Als das französische Kriegsschiff in Sichtweite war und auf das manövrierunfähige Piratenboot zusteuerte, drehte der Hubschrauber ab und befand sich schon bald im Endanflug auf den Landeplatz am breiten Heck des National Security Cutter Stratton, eines vierhundertachtzehn Fuß langen weißen Schiffes, das für alliierte Seeeinheiten freundlich, für potenzielle Feinde jedoch überwältigend bedrohlich aussah. Petty Officer Ledford freute sich auf eine kurze Nachbesprechung, die Reinigung ihrer Waffen, heißes Essen, eine Dusche, saubere Laken und Schlaf.

»Oh-oh.« Taylors Stimme unterbrach ihre Tagträumerei. »Hey, Ledford. Sind Sie da hinten noch wach?«

»Ja, Sir.«

»Sehen Sie sich mal das Empfangskomitee direkt hinter der Plattform an. Sie haben bessere Augen. Wer ist es?«

Beth schirmte ihre Augen mit der Handfläche gegen die Sonne ab. Drei Soldaten in gebügelten kakifarbenen Uniformen und blauen Feldmützen standen in einer Reihe und verfolgten die Ankunft des Hubschraubers. »Der eine ist der Skipper, dann der COB4, und der dritte ist der Kaplan. Und ihre Mienen sind todernst.«

Über Intercom sagte Taylor scherzhaft: »Alle mal herhören: Die Pessimisten-Schwadron ist draußen, um sich mit uns zu treffen. Die einzigen Anlässe, zu denen die drei zusammenkommen, sind Poker oder die Überbringung schlechter Nachrichten. Mir wurde nichts gesagt, also bleibt uns nichts weiter übrig, als abzuwarten und zu sehen, was sich ergibt. Nur die Ruhe bewahren.«

Der Hubschrauber ging in einen sanften Schwebeflug über und bewegte sich dann langsam vorwärts, um sich der Geschwindigkeit der Stratton anzupassen. Petty Officer Second Class Beth Ledford dachte: Verdammt. Was die wohl wollen?

4

Kyle Swanson stand am Fenster von General Middletons Büro im Pentagon und blickte auf den sonnenbeschienenen Park in der Rotary Road 1 hinaus, während die Echse den Raum vor der Sitzung ein letztes Mal auf versteckte Wanzen überprüfte. Die Kreppmyrten draußen im Park trugen Früchte, ihre Wurzeln hatten sich tiefer in den Boden gegraben: eine Visualisierung des Alterungsprozesses, der vergehenden Zeit – so, wie man den Wachstumsfortschritt eines Kindes festhielt, indem man Jahr für Jahr eine Markierung am Türrahmen machte. Menschen spazierten auf dem Kies oder saßen auf den ausladenden Bänken. Mehr als ein Jahrzehnt war vergangen, seit der American Airlines Flug 77 am 11. September 2001 kurz nach dem Start in Washington entführt worden war. Die Entführer hatten das vollgetankte Flugzeug vom Typ Boeing 757 gewendet und mit einer Geschwindigkeit von 345 Meilen pro Stunde direkt in die Westwand des Pentagon stürzen lassen. Inzwischen standen dort 184 Bänke – eine für jeden der 59 Passagiere und Besatzungsmitglieder sowie der 125 militärischen und zivilen Pentagon-Mitarbeiter, die an diesem Tag ums Leben gekommen waren. Am selben Tag stürzten die Zwillingstürme in New York ein, und die Vereinigten Staaten zogen in den Krieg gegen den Terrorismus.

Der Wiederaufbau des verkohlten und entkernten Teils des riesigen Gebäudes schritt damals schnell voran, denn das Pentagon befand sich ohnehin mitten in der Umsetzung eines Renovierungsprogramms. Dass großer Wert auf Geheimhaltung gelegt wurde und man Krieg gegen einen neuen Feind führte, den internationalen Terrorismus, führte zu einer zielgerichteten, kompromisslosen Vorgehensweise, und im neuen Pentagon wurden gleich mehrere Spezialbüros eingerichtet, die auf keinem Plan oder internen Verzeichnis zu finden waren. Diese Büros wurden zu Hauptquartieren für Krieger, die auf der dunklen Seite herumschlichen. Eines dieser Büros hatte man Generalmajor Bradley Middleton vom U.S. Marine Corps zugewiesen, dem Befehlshaber der Task Force Trident, einer Spezialeinheit, die einzig und allein dem Präsidenten der Vereinigten Staaten unterstellt war.

Das Glas, durch das Swanson die ernst wirkenden Touristen beobachtete, war fünf Zentimeter dick und sowohl schuss- als auch explosionssicher. Schwere Stahlträger ummantelten die wenigen Räume, und die Türen waren mit Zahlenschlössern und Netzhautscannern gesichert, während man die Wände mit einem polymermattenverstärkten Gewebe ausgekleidet hatte. Die Elektronik entsprach dem neuesten Stand der Technik, und Swanson war froh darüber, genau dort zu arbeiten, wo die Terroristen damals zugeschlagen hatten. Die Zeit mochte Gras über die Sache wachsen lassen, aber hier zur Arbeit zu kommen, wo es geschehen war, stärkte jeden Tag aufs Neue seine Entschlossenheit. Seine Aufgabe bestand darin, den Feind zu bekämpfen, wo auch immer er sich versteckte, und niemand bei Trident glaubte daran, dass der Tod von Osama bin Laden bedeutete, dass damit der Krieg vorüber war. Rivalisierende Clans und Religionsgemeinschaften im Nahen Osten versuchten, das Machtvakuum zu füllen, das bin Laden und sein geheimnisumwobener Führungsstil hinterlassen hatten. Terroristen unterzeichneten keine Friedensverträge.

Genauso wenig wie die Task Force Trident. Sie bestand aus lediglich fünf Mitgliedern, aber Middleton besaß die Befugnisse, so viele Leute wie nötig aus anderen Regierungsdiensten hinzuziehen, wenn eine bestimmte Mission das erforderte. Der Zwei-Sterne-General war der Oberbefehlshaber dieser Einheit, für das operative Geschäft hingegen Sybelle Summers – der jüngste weibliche Lieutenant Colonel im Marine Corps und die einzige Frau, die jemals die Spezialeinheiten-Ausbildung für Fernaufklärung absolviert hatte. Ihre heimlichen Heldentaten hatten ihr den Spitznamen »Königin der Finsternis« eingebracht.

Navy Commander Benton Freedman war Trident’s Kommunikations-Offizier, ein Elektronik-Genie mit einem rundlichen Gesicht und runder Brille, und gesegnet mit einem solch unglaublichen Intellekt, dass er, als er noch auf U-Booten gedient hatte, von allen nur »der Zauberer« genannt wurde. Die Marines bei Trident dachten sich jedoch einen Spitznamen aus, um ihn zu ärgern. Und so wurde die »Echse« geboren.

Senior Master Sergeant O. O. Dawkins war der CAO, der Verwaltungschef der Einheit – also derjenige, der hinter den Kulissen dafür sorgte, dass das Schiff nicht auf Grund lief, ganz gleich, welche Hindernisse es auch zu umschiffen hatte. Er war ein großer Mann mit tiefer Stimme, der seine frisch gestärkte Uniform eine Nummer zu klein trug, damit sie fast so eng anlag wie sein raspelkurzes Haar. Er war einer der wenigen Männer, die den höchsten Unteroffiziersdienstgrad der Marines bekleideten.

Das letzte Trident-Mitglied war Marine Gunnery Sergeant Kyle Swanson, dem bei den Missionen die Verantwortung oblag, den Abzug zu drücken. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von ihm als dem besten Scharfschützen der Welt, der niemals sein Ziel verfehlte.

»Sind Sie endlich fertig, Echse?«, fragte General Middleton und räusperte sich. Er saß an seinem Schreibtisch und hatte einen Stapel Dossiers vor sich.

»Genau jetzt, Sir. Alles sauber.« Freedman drückte eine letzte Taste auf seinem Laptop, und damit war die Suche nach Abhörgeräten abgeschlossen. Er drückte eine weitere Taste, woraufhin die Sicherungsriegel der Türen zuschnappten. Swanson verließ seinen Platz am Fenster und setzte sich auf den letzten freien Stuhl vor dem Schreibtisch.

Der General blickte die vier einen nach dem anderen an, und seine buschigen Augenbrauen verengten sich dabei zur breiten Nase hin, während er eine Hand auf die Dossiers vor sich legte. »Also gut, Leute, kommen wir zur Sache. Wir haben eine Green-Light-Mission5.« Er händigte vier der fünf Dossiers aus, behielt eines für sich und öffnete es, um ein 10 x 18 Zentimeter großes Hochglanzfoto eines Mannes in weißem Kaftan herauszuholen, der mit seinem bärtigen Gesicht in die Kamera lächelte. »Erkennen Sie ihn?«

»Das ist doch dieser gottverdammte Charlie Brown«, antwortete Senior Master Sergeant Dawkins mit seiner unverkennbaren rauen Stimme.

»Ein Punkt für Doppel-O«, entschied der General. »Abdullah al-Mohammed, geboren als Charles Peter Brown in Lawton, Oklahoma, fünfunddreißig Jahre alt. Er ist unsere Zielperson. Der Rest der Unterlagen in dem Dossier ist eine Zusammenstellung dessen, was über ihn bekannt ist – aktuelle Aufenthaltsorte und so weiter.«

»Wie verlässlich sind die Informationen, Sir?«, wollte Sybelle Summers wissen, während sie eilig durch die Seiten blätterte. »Um Himmels willen.« Sie rollte mit den Augen. »Das Dossier enthält ja auch Zeitungsausschnitte, und das sind keine verwertbaren Informationen. Es ist bestimmt auf dem Mist der CIA gewachsen; die schnippeln einfach alles zusammen.«

»In der Tat eine ziemlich schlampige Arbeit für eine Green-Light-Mission, aber ich werde das Dossier noch einmal gründlich überarbeiten.« Commander Freedman war überzeugt, dass er in den nächsten Tagen alles über Charlie Brown herausfinden würde, was es zu wissen galt, um es dann in eine zusammenhängende Form zu bringen. Seine Gedanken waren bereits bei der Arbeit, und er begann unbewusst den alten Rhythm-and-Blues-Song Charlie Brown vor sich hin zu summen. Fe-fe, fi-fi, fo-fo, fum.

»Hören Sie auf damit!«, schnauzte der General.

»Bitte um Entschuldigung, Sir. The Coasters, 1959. King Curtis am Tenorsaxofon.”

»Why is everybody always pickin’ on me?« Dawkins dehnte die denkwürdigste Zeile des Songs in die Länge.

»Ihr alle: Haltet die Klappe! Ihr seid keine Doo-Wop-Gruppe!«

Sie lächelten. Die angespannte Atmosphäre, die normalerweise mit einem Attentatsauftrag einherging, war gebrochen. Jetzt war es bloß noch ein Job wie jeder andere.

»Wo hält er sich zurzeit auf?«, fragte Summers.

»Sieht nach Jemen aus«, antwortete die Echse. »Ein Land, das sich in Sachen Terrorismus viel zu schnell in die falsche Richtung entwickelt.«

Der General lehnte sich zurück und faltete die Hände auf seiner Brust. »Der kleine Bastard hat eine Grenze überschritten. Schon schlimm genug, dass er sich von al-Qaida ausbilden ließ und dann mit englischsprachigen Shows auf Sendung ging, in denen er versuchte, Amerikaner zu rekrutieren. Aber jetzt ist er richtig groß im Geschäft – wäscht fanatischen amerikanischen Jugendlichen den Kopf, damit sie als seine Maulwürfe in die USA zurückkehren, wo sie nur darauf warten, auf seinen Befehl hin irgendein Einkaufszentrum in die Luft zu jagen und dabei massenweise Menschen zu ermorden.«

»Unsere Oberbefehlshaber haben also beschlossen, dass es für ihn kein ordentliches Verfahren, kein faires Gerichtsverfahren oder Ähnliches geben soll?«, hakte Summers nach. »Wir sind damit beauftragt worden, einen amerikanischen Staatsbürger hinzurichten?«

»Jawohl, Colonel Summers. Das ist genau das, was wir tun werden. Mehrere Präsidenten hatten bereits die Befugnis, so etwas anzuordnen. Haben Sie ein Problem damit, dass Charlie Brown in Oklahoma keine ordentliche Gerichtsverhandlung erhält?«

»Nein, überhaupt nicht, Sir. Er hat dieses Recht verwirkt, soweit es mich betrifft. Jetzt ist er nur noch ein weiterer Terroristen-Spinner. Vorher war er ein Ärgernis, aber jetzt, wo er ganz vorne mitmischen will, muss er den Preis dafür zahlen.«

Ein zustimmendes Gemurmel ging durch den Raum.

»Nun, Leute, er wird aller Voraussicht nach nicht zu uns kommen, also werden wir ihn aufspüren müssen. Er ist eine hochrangige Zielperson. Gunny Swanson, haben Sie etwas hinzuzufügen?«

Swanson war die scharfe Spitze des Dreizackspeers oder auch Tridents, nach dem man ihre Einheit benannt hatte. »Nein, Sir.« Sein Blick wanderte zum Fenster und weckte in ihm die Erinnerung an den 11. September. »Überhaupt keine Fragen.«

Der General klappte seine Briefing-Akte zu. »Gut. Gehen Sie an die Arbeit. In spätestens einer Woche will ich einen spruchreifen Plan auf dem Schreibtisch liegen haben, und in zwei Wochen soll Swanson bereits vor Ort sein. Finden Sie heraus, was und wen Sie brauchen, und greifen Sie auf alle verfügbaren Ressourcen zurück. Gestalten Sie die Sache einfach; wir planen nicht die Invasion des Jemens, sondern die Exekution eines dummen Arschloch-Terroristen. Kommen Sie mit allen Fragen direkt zu mir.«

Daraufhin schaltete die Echse die Sicherheitsvorkehrungen ab, und die großen Riegel schoben sich zurück, um die Türen aufzuschließen. Die fünf Mitglieder der Task Force Trident verließen den Raum.

Kaum war Sybelle Summers an ihren Schreibtisch zurückgekehrt, klingelte auch schon ihr Handy. Sie schaute mit einem leichten Stirnrunzeln auf das Display, da sie die Nummer des Anrufers nicht kannte. »Summers«, sagte sie ohne jede Betonung.

»Lieutenant Colonel Summers? Hier spricht Petty Officer Second Class Beth Ledford, Scharfschützin der Küstenwache …« Die Stimme hatte etwas Zögerliches an sich, und auch ein besorgter Unterton war herauszuhören. »Möglicherweise haben Sie mich schon längst vergessen … Aber als Sie vor einem Jahr einen Vortrag über Spezialeinsätze hielten, gaben Sie mir diese Nummer, die ich anrufen sollte, wenn ich einmal Hilfe bräuchte.«

Sybelle erinnerte sich an das Treffen. Sie hatte Ledford sofort sympathisch gefunden: eine einsame kleine Blondine, die zu zeigen versuchte, dass sie in einem Raum voller knallharter Krieger aus allen Bereichen der Streitkräfte gut hineinpasste. Alle schienen mindestens einen halben Kopf größer zu sein als sie mit ihren 1,65 m und etwa 115 Pfund in voller Montur; aber die Aufzeichnungen offenbarten, dass die junge Frau die besten Schießergebnisse der ganzen Klasse lieferte. Summers hatte sie nach dem Vortrag auf einen Kaffee eingeladen, um mit ihr von Frau zu Frau darüber zu reden, wie man in einer von Männern dominierten Branche beruflichen Erfolg hatte.

»Hallo, Petty Officer Ledford. Sicher erinnere ich mich an Sie«, antwortete sie und änderte ihren Tonfall von »distanziert« zu »neutral«. »Das ist aber eine Überraschung, von Ihnen zu hören. Was ist denn los? Haben Sie das Militär verlassen und sind zum Zirkus gegangen? Annie Oakley?«

Das unbedachte Kompliment führte nicht zu dem Lachen, das Summers erwartet hatte.

»Ich habe ein Problem, Major. Es ist eine ernsthafte Angelegenheit, und ich würde Sie nie behelligen, wenn es nicht wichtig wäre. Ich kann das nicht am Telefon besprechen. Können wir uns heute irgendwo zum Mittagessen treffen? Bitte? Es ist dringend.« Eine winzige Pause, dann: »Es betrifft die nationale Sicherheit!«

Sybelle setzte sich aufrecht hin und schnippte ein paar Mal mit den Fingern, woraufhin Kyle Swanson zu ihr herübersah. »Einverstanden, Beth. Wir treffen uns zum Mittagessen, und da wir uns in der Öffentlichkeit aufhalten werden, lassen Sie die Rangbezeichnungen weg und kommen Sie in legerer Zivilkleidung. Ich bringe noch jemanden mit.« Sie nannte den Namen eines Pubs in Crystal City. »Wir sehen uns dort in 45 Minuten.«

Als sie das Gespräch beendet hatte und gerade auflegte, kam Swanson zu ihr an den Schreibtisch. »Zieh dir was Ordentliches in Zivil an, Gunny. Ich lade dich zum Mittagessen ein, und bei der Gelegenheit stelle ich dir gleich einen anderen Scharfschützen vor.«

»Wer ist es?«, wollte Swanson wissen.

Doch Summers reagierte ausweichend. »Wirst du früh genug sehen.«

Während Swanson losging, um sich umzuziehen, unterrichtete Summers General Middleton über das Gespräch und das geplante Treffen. Seine Augen zuckten, als sie die Worte »nationale Sicherheit« aussprach. Ein stummes Nicken signalisierte, dass er einverstanden war.

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DIE VEREINTEN NATIONEN,NEW YORK