Time to Kill - Jack Coughlin - E-Book

Time to Kill E-Book

Jack Coughlin

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Beschreibung

Die Sphinx liegt in Schutt und Asche! Radikale Islamisten haben das Jahrtausende alte Symbol ägyptischer Kultur in die Luft gesprengt. Auch unter der Zivilbevölkerung richten sie blutige Massaker an, bis auf den Straßen Angst und Schrecken regieren. Hinter den Anschlägen steckt der "Pharao", ein geheimnisvoller iranischer Doppelagent. Doch welches Ziel verfolgt er?

In den USA untersucht Kyle Swanson derweil den Mord an einem Wirtschaftsprüfer. Die Spur des Geldes führt nach Ägypten - und mitten in das Chaos, das der Pharao dort angerichtet hat. Auf sich allein gestellt, operiert Swanson undercover, um einen Krieg zu verhindern, der Tausende Menschleben kosten und die Welt ins Chaos stürzen würde ...

Der sechste Roman um Sniper Kyle Swanson - spannende Militär-Action von den New-York-Times-Bestseller-Autoren Jack Coughlin und Donald A. Davis. Für alle Fans von Tom Clancy, Lee Child und Will Jordan!

Die Kyle Swanson Thriller in der richtigen Reihenfolge:

1. Kill Zone

2. Dead Shot

3. Clean Kill

4. Act of Treason

5. Running the Maze

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

1

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Über die Autoren

Weitere Titel der Autoren

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die Sphinx liegt in Schutt und Asche! Radikale Islamisten haben das Jahrtausende alte Symbol ägyptischer Kultur in die Luft gesprengt. Auch unter der Zivilbevölkerung richten sie blutige Massaker an, bis auf den Straßen Angst und Schrecken regieren. Hinter den Anschlägen steckt der »Pharao«, ein geheimnisvoller iranischer Doppelagent. Doch welches Ziel verfolgt er?

In den USA untersucht Kyle Swanson derweil den Mord an einem Wirtschaftsprüfer. Die Spur des Geldes führt nach Ägypten – und mitten in das Chaos, das der Pharao dort angerichtet hat. Auf sich allein gestellt, operiert Swanson undercover, um einen Krieg zu verhindern, der Tausende Menschleben kosten und die Welt ins Chaos stürzen würde …

Jack CoughlinDonald A. Davis

TIMETO KILL

Thriller

Aus dem amerikanischen Englisch vonBenjamin Schöttner-Ubozak

1

NEWPORT BEACH,KALIFORNIEN

Kyle Swanson lehnte am weiß gestrichenen Geländer der Loggia im zweiten Stock seines Hauses, während die Sonne dem Horizont zustrebte, und nahm einen Schluck aus seiner Flasche Bier. Er fragte sich, ob er noch Zeit hatte, sich ein letztes Mal in die Brandung zu stürzen, zum Wedge hinüberzupaddeln, ein paar Wellen zu reiten und zurückzukehren, bevor es zu dunkel wurde. Madeleine, seine Begleitung in den letzten zwei Wochen, würde nach ihrer Schicht im Strandrestaurant vorbeikommen und erwartete, dass er ein paar Thunfisch-Steaks grillte, während sie einen Salat zubereitete. Sie würden kaltes Cerveza trinken und auf der Terrasse essen – die Glastüren vollständig geöffnet, damit der frische Meereswind ins Haus hineinwehen und zugleich die drinnen gespielte Musik in die Nacht hinausschallen konnte. Vielleicht würden sie um Mitternacht schwimmen gehen, und er würde von ihrem wundervollen Körper in dem roten Bikini und dem blonden Haar, in dem sich das Mondlicht spiegelte, geblendet sein. Danach würden sie einen strategischen Rückzug in das große Schlafzimmer vornehmen, um sich zu lieben, während draußen die Skateboarder, Radfahrer, Gassigeher, Touristen und Verliebten über die Strandpromenade flanierten, ohne sie bei ihren amourösen Aktivitäten sehen zu können.

Nein, dachte er, während seine Fingerspitzen über das frisch gestrichene Geländer glitten, ich habe keine Zeit mehr, um noch ein letztes Mal hinauszupaddeln. Maddy und er würden morgen früh getrennter Wege gehen müssen. Aber es war ein toller Urlaub gewesen! Das United States Marine Corps wollte seinen besten Scharfschützen wieder zurück im Dienst wissen.

Swansons Telefon klingelte, als hätte es nur auf den richtigen Augenblick gewartet, um die friedliche Stimmung zu zerstören. Er warf einen Blick auf das Display: Lieutenant Colonel Sybelle Summers rief aus Washington an.

»Hey«, begrüßte er sie.

»Na, bist du noch im Urlaubsmodus?«

»Habe ich dir schon mal gesagt, dass du eine verführerische Stimme hast?«

»Ich bin Ihr vorgesetzter Offizier, Gunnery Sergeant Swanson.«

»Das ist richtig; allerdings haben wir schon einmal miteinander geschlafen, Sybelle«, entgegnete er. »Erinnerst du dich etwa nicht mehr? An jene regnerische Nacht in Frankreich?«

»Ich war noch nie in Frankreich. Du verwechselst mich mit deiner neuen Flamme. Wie heißt sie noch gleich? Michelin – wie die Autoreifen?«

»Sie heißt Madeleine, dein Gedächtnis lässt dich wohl allmählich im Stich. Ich dachte, du und ich, wir hätten eine ganz besonders innige Beziehung.«

Etwas änderte sich an ihrem Tonfall, ganz subtil, aber nicht unangenehm, als sie erwiderte: »Manche Menschen hinterlassen einfach keinen bleibenden Eindruck.«

Beide lachten.

»Sybelle«, setzte Swanson an, »warum belästigst du mich an meinem letzten freien Abend? Lass mich in Ruhe, Mädchen! Die Sonne geht gerade unter, ich trinke ein Bier, blicke zum Strand und aufs Wasser hinaus und bereite mich darauf vor, Thunfisch-Steaks auf den Grill zu werfen. Maddy kommt gleich vorbei, und dann genießen wir zusammen das perfekte kalifornische Wetter. Ich bitte dich, ich will nicht zurück nach Washington, laut dem Wetterkanal ist die ganze Stadt eingeschneit.«

»Hör auf zu jammern, Kyle. Du hast dieses protzige Haus gebaut, und jetzt benimmst du dich wie ein reicher Schnösel anstatt wie der lumpige US-Marine, der du in Wahrheit bist. Maddy, so richtig? Maddy? Ist sie schon mit der Highschool fertig?«

»Ich habe einen Vorschlag für dich«, erwiderte Swanson. »Warum kommst du nicht her, statt mich nach Washington zu beordern? Hier gibt es weit und breit nur Sand, keinen Schnee.«

»Miss Maddy Michelin wäre sicherlich begeistert, mich bei euch begrüßen zu dürfen. Kommen wir zum Geschäftlichen! Du sollst auf der Stelle aufbrechen und hierher nach Washington zurückkehren.«

»Ich werde sowieso morgen Nachmittag da sein, Sybelle, schneller geht es wirklich nicht.« Er kippte den letzten Rest Bier herunter, das allmählich warm geworden war. Der Himmel hatte sich in der Zwischenzeit zu einem dunkelorangenen Streifen verdichtet, der von der bedrückend wirkenden violetten Nacht vertrieben wurde, die von Osten herankam; die Sonne bewegte sich so schnell auf den Horizont zu, dass es den Anschein hatte, als würde sie hinunterstürzen.

»Planänderung. Ein Jet wartet auf dich am John Wayne International Airport. Ich steige hier in Washington ein, dann fliegen wir zusammen zu einem Meeting weiter. Schalt den Lautsprecher aus!«

Er tat, wie ihm befohlen, und hielt sich dann das Handy ans Ohr. »Okay. Ich höre. Aber diese Leitung ist nicht sicher.«

»Wirklich? Ich hatte ja keine Ahnung. Weiß Maddy das auch?«

»Kannst du bitte zum Punkt kommen?«

»Einige Freunde deines Vaters haben den Boss kontaktiert und wollen, dass wir uns mit einem Mann treffen, der an der Küste von Maryland lebt. Wir werden von der Andrews Air Base aus losfahren.«

Das war ein Schock für Swanson. Auf ihre Art hatte Sybelle ihn soeben darauf hingewiesen, dass bei dieser Geschichte Sir Geoffrey Cornwell in Großbritannien offenkundig den Stein ins Rollen gebracht hatte. Cornwell war Colonel im britischen Special Air Service Regiment gewesen, bevor ihn ein Oberschenkelhalsbruch gezwungen hatte, in den Ruhestand zu gehen. Weil er nicht untätig herumsitzen konnte, machte er sich daran, technische Anwendungen und neuartige Waffen für das Militär zu entwickeln; er war ganz vorne mit dabei, als westliche Regierungen begannen, Gelder für den Krieg gegen den Terrorismus lockerzumachen. Schließlich überredete Cornwell das Pentagon, ihm einen Scharfschützen zur Seite zu stellen, der ihn bei der Entwicklung eines neuartigen Scharfschützengewehrs unterstützen sollte, das nach dem legendären Schwert Excalibur benannt wurde. Kyle Swanson wurde nach England geschickt, und schon nach kurzer Zeit war das Projekt von Erfolg gekrönt. Doch nicht nur das: Jeff Cornwell und seine außergewöhnliche Frau, Lady Patricia, die beide kinderlos geblieben waren, hatten in Kyle Swanson, einem amerikanischen Waisenkind, einen neuen Freund gefunden.

Über die Jahre, in denen es einige sehr gute, aber auch schlimme und gefährliche Zeiten gegeben hatte, wuchsen sie zu einer Familie zusammen. Sir Jeff streckte seine Fühler in andere Branchen aus und bewies ein goldenes Händchen fürs Geschäftliche. Obwohl Swanson bei den Marines blieb, wurde er auch in die Aktivitäten des »Familienbetriebs« miteinbezogen; und das Pentagon wusste es zu schätzen, dass es mit ihm über einen Verbindungsmann in den florierenden Cornwell-Unternehmungen verfügte. Für Swanson war es ein besonderer Tag gewesen, als die Cornwells ihn offiziell adoptiert hatten.

Wenn also Sir Jeff, der sowohl die Vereinigten Staaten als auch Großbritannien bei Geheimoperationen unterstützte, hinter dieser Sache steckte, dann bedeutete dies für Swanson, dass die Angelegenheit von größter Wichtigkeit war, auch wenn er nicht wusste, worum es ging. Das Problem, was immer es war, hatte vermutlich seinen Weg über Jeffs Freunde beim britischen Geheimdienst über das Büro des Premierministers bis ins Weiße Haus gefunden. Das genügte Swanson, um zu wissen, dass er unverzüglich aufbrechen sollte, aber eine letzte Nacht mit Maddy wäre trotzdem schön gewesen.

Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »General Middleton beordert mich also persönlich zurück?«

»Nicht dieser Boss, Swanson«, entgegnete Sybelle. »Der Big Boss. Wie auch immer, die Task Force Trident ist jetzt offiziell involviert.«

Swansons Neugier war nun endgültig geweckt, dennoch konnte er diese ganze Sache nicht einfach so hinnehmen. »Du verlangst also, dass ich auf meine letzte Nacht am Strand verzichte und sofort von Küste zu Küste fliege, nur um ein paar Stunden vor meiner ursprünglich vereinbarten Ankunft aus dem Flugzeug zu steigen und direkt in Maryland an die Arbeit zu gehen? Ist das wirklich so dringend?«

»Verdammt richtig, Gunny. Du bist jetzt wieder Staatsdiener.« Sie beendete das Gespräch.

»Oh, Mann.« Swanson klappte sein Handy zusammen und steckte es zurück in die Hosentasche. Die Sonne war kaum noch zu erkennen und versank soeben im Pazifik. Es war der lediglich einen Augenblick dauernde Anblick, auf den er jedes Mal wartete, den er aber für gewöhnlich verpasste, weil er so schnell wieder vorbei war. Diesmal nicht! Da war es, nur einen Herzschlag lang: ein leuchtendes, smaragdgrünes Funkeln, als der letzte Rand der Sonne im Wasser verschwand. Vielleicht ist es ein Omen, dachte er, das offizielle Ende meiner zwei Wochen der Ruhe und des Friedens. Jetzt war es wieder an der Zeit, für Trident den Abzug zu drücken.

Widerwillig wählte er Madeleines Nummer, die er auf Kurzwahl gespeichert hatte, um ihr die schlechte Nachricht zu überbringen. Er müsse sofort los, versuchte er ihr zu erklären; und nein, er könne nicht sagen, wohin, und nein, es tue ihm leid, aber er wisse nicht, wann er zurück sei. Sie reagierte vollkommen verständnislos; und genauso schnell, wie das grüne Funkeln über dem Ozean erloschen war, switchte sie von »wütend« auf »kalt« und schließlich auf »abweisend«. »Hör zu, Maddy, ich habe dieses verdammte Haus direkt am Strand gebaut. Glaubst du, ich lasse es einfach leer stehen? Natürlich komme ich zurück. Ich rufe dich an, sobald ich zurück bin – nein, bevor ich zurückkomme. Das verspreche ich dir.«

Sie sagte etwas außerordentlich Vulgäres und beendete einfach das Gespräch.

***

Zwei Stunden später saß er als einziger Passagier an Bord eines Jets, der ihn vom außerhalb von Newport Beach gelegenen John Wayne Airport zur Andrews Air Base in der Nähe von Washington, D.C. bringen sollte. Swanson hatte es sich in dem ausladenden Sitz bequem gemacht und bereits die zwei Nachrichtenmagazine Time und Newsweek ausgelesen. Da es sich um einen Regierungsflieger handelte, gab es keine Flugbegleiter, aber er konnte sich in der Bordküche selbst einen Drink mixen, und irgendwo über Missouri würde er wahrscheinlich das eingeschweißte Truthahn-Käse-Sandwich probieren.

Auf den Titelseiten beider Zeitschriften waren demonstrierende Massen in den ägyptischen Großstädten abgebildet, und die Leitartikel berichteten über die jüngsten politischen Ereignisse, die das uralte Land erschütterten. Die Lage verschlechterte sich – genau wie zu Beginn seines Urlaubs vor dreizehn Tagen, genau wie seit Jahren, ja genau wie seit Jahrhunderten.

Er warf die Zeitschriften auf den leeren Sitz auf der anderen Seite des Ganges, lehnte sich zurück und versuchte herauszubekommen, warum er so plötzlich zurückbeordert worden war. Das Gespräch mit Sybelle hatte ihm nur einige vage Anhaltspunkte geliefert, die allerdings recht alarmierend waren. Zunächst einmal hatte sie Sir Jeff namentlich erwähnt, dann behauptet, dass ihn der Big Boss zurückbeorderte, wobei sie »Big« auf eine besondere Weise betont hatte. Sein Vorgesetzter und kommandierender Offizier bei der Task Force Trident war Major General Bradley Middleton, und der einzige direkte Vorgesetzte des Zwei-Sterne-Generals war wiederum der Präsident der Vereinigten Staaten.

Inzwischen waren schon viele Jahre vergangen, seit Terroristen Passagiermaschinen gekapert hatten, die dann in die New Yorker Zwillingstürme, das Pentagon in Washington und auf die Erde von Pennsylvania gestürzt waren. Als Reaktion darauf hatte sich die gesamte US-Regierung sowohl im In- als auch im Ausland neu aufgestellt, um sicherzustellen, dass sich solche Anschläge nie wieder ereigneten, und das führte zur Gründung des Ungetüms Homeland Security, des Heimatschutzministeriums. Doch selbst das reichte nicht aus, denn schon bald kam es zu den unvermeidlichen bürokratischen Reibereien zwischen den verschiedenen Behörden. Seit dem 11. September 2001 waren zahlreiche Anschläge vereitelt worden, bei denen die Terroristen ihre Sprengsätze unter anderem in den eigenen Schuhen oder der Unterwäsche versteckt hatten, was bewies, dass das neue System funktionierte, solange die Menschen alarmiert und paranoid genug blieben, um ihre Wachsamkeit aufrechtzuerhalten.

Es würde weiterhin Verrückte da draußen geben, die versuchten, Amerikaner zu töten; doch die potenziellen Flugzeugentführer hatten nun sämtliche Vorteile ihrer Vorgänger eingebüßt. Die Sicherheitsvorkehrungen bei Reisen mit dem Flieger waren drastisch erhöht worden. Jetzt gab es langwierige Durchsuchungen durch Mitarbeiter der Transportsicherheit, bevor man an Bord ging; und Flugbegleiter würden eher sterben, als die Cockpittür zu öffnen. Sämtliche Passagiere im Flugzeug, vom Halbprofisportler bis zum College-Mädchen, waren außerdem bereit, sich wie ein Rudel wilder Hunde auf einen Entführer zu stürzen. Die Bereitschaft eines Terroristen, sein Leben zu opfern, um sein Ziel zu erreichen, nützte nichts, wenn die Zielpersonen seines Anschlags ebenso bereit waren, zu sterben, um ihn aufzuhalten.

Auch das Militär hatte sich endlich auf seine besten Einheiten besonnen: Spezialeinheiten wie die Delta Force der Army und die Navy SEALs sowie die Drohnenpiloten hatten die Gestaltung moderner Schlachtfelder grundlegend verändert. Das Pentagon hatte sich der Herausforderung des Terrorismus gestellt, ebenso wie die CIA, das FBI, die NSA und eine Menge anderer Behörden.

Dennoch gab es immer noch Löcher im Schutzschirm, bedingt durch die Vielzahl an Menschen, die an jeder Operation beteiligt waren – die Budgets mussten geplant und durch den Kongress abgesegnet werden, was dazu führte, dass Informationen an die Öffentlichkeit durchsickerten … Die einstmals namenlosen Helden hatten Bekanntheit erlangt. Von da an war es nur ein kleiner Schritt zur Gründung der Task Force Trident gewesen, deren Mitarbeiter tatsächlich im Verborgenen operierten – sogar unter dem Radar der anderen Behörden – und die mit größter Sorgfalt auf höchste Geheimhaltung achtete.

Trident war nach militärischen Maßstäben unsichtbar: Die gesamte Mannschaft bestand lediglich aus fünf Personen, einschließlich General Middleton, der den ganzen Laden schmiss. Die Büros befanden sich in einem schwer auffindbaren, gesicherten Bereich des Pentagons, und das Budget wurde von der Homeland Security gestellt, allerdings offiziell durch das Landwirtschaftsministerium ausbezahlt. Das Trident-Team operierte weit außerhalb jeder gewöhnlichen Befehlskette, Middleton unterstand einzig und allein dem Präsidenten.

Sybelle Summers war die Einsatzleiterin, Master Gunnery Sergeant O. O. Dawkins zeichnete für die administrativen Aufgaben verantwortlich. Er kannte sich bestens mit den inneren Machtzirkeln des Pentagons aus. Doppel-O war befugt, sämtliche Art von Ausrüstung, einschließlich Tarnkappenbombern, anzufordern und ganze Truppenteile für Trident-Missionen abzukommandieren. Der einzige Nicht-Marine im Team war ein »Tintenfisch«: Commander Benton Freedman von der U.S. Navy, ein schrulliger Freak, dessen Computernetzwerke es mit denen von Google und Facebook aufnehmen konnten. Alle nannten ihn nur »die Echse«, eine Verballhornung seines College-Spitznamens. Swanson, der Letzte im Bunde, kümmerte sich um die Drecksarbeit. Nur sehr wenige Menschen wussten überhaupt von Trident. Der Präsident allerdings war stets darüber informiert, wo sie gerade im Einsatz waren – für den Fall, dass sie gebraucht wurden. So wie jetzt.

Swanson stand von seinem Platz auf, ging mit seiner Kulturtasche zur Toilette, und während er sich rasierte, betrachtete er sich im Spiegel. Mit seinen 1,75 Metern war er kein besonders großer Mann. Er wog 75 Kilogramm und hatte sandfarbenes Haar. Gestern noch war er wie ein Strandgammler in weiten Badeshorts herumgelaufen, jetzt trug er seine »Trident-Uniform« – Jeans mit dunkelblauem Sweatshirt. Seine Uniform des U.S. Marine Corps hing in seiner Washingtoner Wohnung auf einem Kleiderbügel: Drei goldene Streifen auf den Schulterklappen und zwei Ärmelabzeichen wiesen ihn als Gunnery Sergeant aus, und die Bandschnalle auf der Brust enthielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem sogar die Medal of Honor. Er liebte die Uniform und das Marine Corps, das während der Ausbildung, der Feldeinsätze und der Spezialoperationen in der ganzen Welt zu seinem Zuhause geworden war; dieser Streitkraft verdankte er seine Fähigkeiten als Scharfschütze. Das Corps hatte ihn zu einer tödlichen Waffe geformt.

Dieser Tage trug er die offizielle Uniform nur noch zu seltenen Anlässen. Bei seinen Aufträgen kleidete er sich entsprechend der Rolle, die er jeweils spielte. Heute waren es Jeans und Sweatshirt, morgen vielleicht ein Anzug, und jedes Mal führte er echte Ausweisdokumente mit sich, die zu der von ihm dargestellten Figur passten.

Swanson wusch sich die Reste des Rasierschaums ab, legte den Rasierer wieder ins Etui und holte sich auf dem Weg zurück zu seinem Platz das »mutmaßliche« Sandwich und eine Dose Tomatensaft aus dem Kühlschrank. Das belegte Brot schmeckte nach nichts. Er atmete ein paar Mal tief durch, und schon funktionierte sein Verstand wieder wie der eines Geheimdienstoffiziers der Spionageabwehr. Es war wie eine Zeitreise, bei der er die Freiheit, die er in den letzten beiden Wochen genossen hatte, zurückließ, um wieder ganz in der komplexen und tödlichen Welt von Trident anzukommen, wo es um nichts anderes ging, als die nächste Mission erfolgreich zu meistern.

Eingelullt vom monotonen Brummen der beiden Triebwerke, schlief er ein und erwachte vier Stunden später. In der Zwischenzeit hatte das Flugzeug auf seinem Weg Richtung Osten drei Zeitzonen durchquert, sodass er sein Zwischenziel – mit Blick auf die Ortszeit von Maryland – sieben Stunden nach seinem Abflug in Kalifornien erreichte. Drei Stunden seines Lebens waren unwiederbringlich verloren.

***

Der Landeanflug auf die Andrews Air Base verlief reibungslos. Nach einem kurzen Überflug schwenkte der Jet in die Einflugschneise des exklusivsten Flughafens Amerikas ein, der Homebase der Air Force One, der offiziellen Maschine des US-Präsidenten. Es war zu dunkel, um die Bäume in der Umgebung erkennen zu können, wie Swanson bemerkte, als die Reifen des Jets quietschend auf der Landebahn aufsetzten. Die Nase des Fliegers neigte sich nach unten, bis die vorderen Räder ebenfalls Bodenkontakt hatten und die Schubumkehr einsetzte. Die kräftigen Bremsen brachten den Vogel schließlich zum Stehen.

»Wir sind da, Gunny«, informierte ihn der Co-Pilot, während er aus dem Cockpit trat. »War der Flug zu Ihrer Zufriedenheit?«

»Wenn die Landungen genauso gut sind wie die Starts, habe ich nichts zu meckern«, erwiderte Swanson grinsend.

»Ich glaube, das kann man so sagen.« Der Pilot öffnete die Außentür und klappte die kleine Leiter aus. »Es schneit draußen. Passen Sie beim Runtergehen auf; die Stufen werden glatt sein!«

Sybelle Summers wartete auf dem Rollfeld neben einem alten Ford Crown Vic, auf dessen Dach ein einzelnes blaues Licht hell blinkte. Sie war so groß wie Swanson und wie immer nur dezent geschminkt. Schneeflocken verfingen sich in ihrem schwarzen, kragenlangen Haar. Sie trug eine körperbetonte schwarze Stretch-Twill-Hose und Weichlederstiefel, einen weißen Pullover aus irischer Wolle, einen grauen Schal, den sie locker um ihren Hals geschlungen hatte, einen Klotz von einer Rolex am Handgelenk – und nicht zuletzt auch einen Haufen Selbstbewusstsein. Als einzige Frau, die jemals die Fernaufklärungsausbildung des Marine Corps bestanden hatte, war sie Expertin für Spezialeinsätze und Terrorismusbekämpfung geworden und nun auf dem besten Weg, eines Tages zum General befördert zu werden. Vorausgesetzt, sie lebte lange genug. Es gab niemanden, den Swanson lieber an seiner Seite hatte, wenn es hart auf hart kam.

Heute Nacht hatte Sybelle ihr Pokerface aufgesetzt. Um die Hüfte trug sie einen abgenutzten schwarzen Gürtel mit einem Pistolenholster, in dem eine Glock 19 steckte. Direkt daneben blitzte eine große goldene Dienstmarke auf.

»Verdeckter Einsatz, Lieutenant Colonel?«, fragte Swanson ironisch.

Sie reichte ihm eine gepolsterte Nylon-Aktentasche, die mit einem Reißverschluss verschlossen war. »Heute habe ich einen Ausweis von der Homeland Security für dich. Und natürlich deinen .45er Colt ACP, geladen, eine Patrone im Lauf. Pack deine Ausrüstung zusammen, und dann steig in den Wagen.«

»Was ist denn los?«, fragte er.

»Dieser Typ, den wir heute Nacht treffen wollten …«, entgegnete sie. »Er ist tot.«

2

Das große Auto hatte einen Winteranstrich aus schwarzem Matsch bekommen, und in den Radkästen sammelte sich verklumpter Schnee. Sybelle Summers saß am Steuer, und der gewaltige V-8-Motor brummte im Leerlauf. Nach zwei Wochen am kalifornischen Strand traf Swanson die eisige Kälte des schneegepeitschten Washingtoner Winters wie ein Schlag, noch bevor er auch nur die Taschen auf den Rücksitz des Wagens werfen konnte. Als er auf den Vordersitz kletterte, bemerkte er als Erstes, dass die Heizung auf Hochtouren lief, um gegen die Kälte von draußen anzukämpfen. Summers schaltete die Scheinwerfer hinter dem Kühlergrill und im Heckfenster ein, und ein Polizist, der auf ihr Signal gewartet hatte, stellte sich mit erhobener Hand auf die Straße, um die entgegenkommenden Fahrzeuge zu stoppen. In der schwarzen Jacke mit der pelzgefütterten Kapuze und den dicken Handschuhen sah er aus wie ein Grizzlybär. Mit einem doppelten Aufheulen der Sirene, um die Autofahrer vor ihnen zu warnen, fuhr Sybelle los.

Die Scheibenwischer beförderten den Schnee von der Frontscheibe, und die großen Reifen griffen in den Asphalt, als sie auf der langen Zufahrtsstraße von Dulles davondonnerten. Ein ums andere Mal benutzten sie den Pannenstreifen, um Autos zu überholen, die nicht schnell genug aus dem Weg fuhren.

»Tot, hm?«

»Mausetot«, bestätigte Summers. »Wir fahren hin, um die Sache zu überprüfen. Die Polizei sagt, er hat eine Kugel in die Kehle bekommen.«

»Soll ich die Adresse in das Navigationssystem eingeben?«

»Nein, nicht nötig. Ich war auf der Naval Academy, weißt du noch? Diese kleine Stadt liegt südlich von Annapolis, und ich habe früher in dieser Gegend des Öfteren gesegelt. Wir werden in dreißig Minuten da sein.«

Sybelle hatte einen Bleifuß, ihr Fahrstil erinnerte Swanson an eine Rallyefahrerin. Sie mobilisierte alle Pferdestärken unter der Haube und verschwendete keinen Gedanken an den Verbrauch des großen Straßenkreuzers. So dauerte es nicht lange, bis sie aus dem Flughafengebiet hinaus waren und Richtung Osten fuhren.

Swanson ließ sich in den unbequemen Sitz zurücksinken. »Also, dann bring mich mal auf den neuesten Stand. Weswegen sind wir hier?«

Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick aus ihren dunklen Augen zu, ehe sie ihre Konzentration wieder auf die Straße richtete. Der gröbste Schnee war geräumt worden, trotzdem hatten sich Matsch und Eis in den Schlaglöchern festgesetzt. »Ich weiß nicht viel mehr als das, was ich dir am Telefon bereits gesagt habe. Sir Jeff sagte, dass dieser Kerl – Norman Haynes – ein erfahrener Wirtschaftsprüfer ist oder, besser gesagt, war. Er hat für ein großes Wirtschaftsprüfungsunternehmen gearbeitet und zahlreiche Klienten im Ausland beraten, darunter Sir Jeff und Excalibur Industries. Hast du ihn gekannt?«

»Nein. Mit dem Tagesgeschäft habe ich nicht viel zu tun.«

»Worin besteht dann dein Job dort als Senior Vice President – außer, regelmäßig einen Haufen Kohle abzusahnen und sie irgendwelchen Surfer-Bräuten in den Arsch zu blasen?«

»Können wir bitte zurück zum Wesentlichen kommen!« Sie triezte ihn, wie jedes Mal. Kyle Swanson war bereits jetzt sehr wohlhabend, und eines Tages würde er das Unternehmen seines Adoptivvaters erben; aber darüber verlor er kein Wort, nicht sich selbst gegenüber und schon gar nicht im Beisein einer anderen Person. Über Geld zu sprechen war ihm unangenehm, weshalb Sybelle keine Gelegenheit ausließ, genau das zu tun.

»Also, dieser Zahlenjongleur Haynes stattete Sir Jeff einen privaten Besuch in London ab, als er auf seinem Rückweg aus Ägypten war«, berichtete sie. »Er meinte wohl, dass ihn ziemlich beunruhigt hätte, was er auf seiner Reise nach Kairo gesehen hatte.«

»Ich kann mir vorstellen, dass ganz Ägypten im Moment ein ziemlich beunruhigender Ort ist. Revolutionen sind das reinste Chaos. Die Menschen packen in Windeseile ihr Hab und Gut zusammen und flüchten gemeinsam mit ihren Familien an einen sicheren Ort. Ihre Vermögenswerte nehmen sie mit.«

»Nicht zwangsläufig.« Summers raste an einem Schneepflug vorbei, der gewaltige Fontänen aus Schneematsch an den Straßenrand spritzte. »Der Firma, bei der er eine Prüfung durchführte, die Palm Group, ging es finanziell alles andere als schlecht. Im Gegenteil: Das Geld floss in Strömen herein.«

»Na und? Investoren, die nach Vorteilen Ausschau halten, sind doch nichts Ungewöhnliches. Sie gehen eine finanzielle Wette auf ein Entwicklungsland ein, solange es am Boden liegt, und streichen ihre Gewinne ein, sobald sich die Wirtschaft dort erholt.«

»Das ging offenbar über das übliche Verhältnis von Risiko und Ertrag hinaus. Haynes stieß auf Unstimmigkeiten und weigerte sich, die Bücher für gut zu befinden. Das ist eine ziemlich große Sache. Andere Firmen und Banken machen keine Geschäfte mit einem Unternehmen, das von einem Wirtschaftsprüfer auf die schwarze Liste gesetzt wurde. Anleihen werden nicht verkauft, Banken vergeben keine Kredite, und Kunden kaufen nichts mehr. Einer der Vizepräsidenten der Palm Group hat Haynes sogar gedroht.«

Das erregte Swansons Aufmerksamkeit. »Sie haben ihm gedroht? Die meisten Unternehmen versuchen ihre Wirtschaftsprüfer bei Laune zu halten. Auf was zum Teufel ist er da nur gestoßen?«

»Auf den Iran. Aus dem Iran kommt viel Geld herein.«

Swanson dachte eine Weile darüber nach, während der Schnee vor den Scheinwerfern tanzte. »Ich weiß nicht viel über das Wirtschaftsprüfungsgeschäft, außer dass Wirtschaftsprüfer mit Gefängnis bestraft werden können, wenn sie die vertraulichen Ergebnisse der Prüfung ausplaudern oder mit ihrem Insiderwissen Geld verdienen.« Er rutschte auf seinem Sitz hin und her, ohne eine bequeme Position zu finden. »Also hat unser unartiger Junge Haynes gegen den Moralkodex seines Berufsstandes verstoßen und Jeff anvertraut, dass der Iran dort ebenfalls auf dem Spielplatz ist. Es dürfte ihn viel gekostet haben, etwas zu tun, das seine Karriere gefährden könnte. Was bedeutet, dass er möglicherweise auf ein Problem für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gestoßen ist.«

Summers nickte. »Die schlechte Nachricht ist, dass er nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken wollte. Die Sicherheitsleute der Palm Group hatten seinen Computer, seine Aktentasche und all seine Notizen und Unterlagen konfisziert mit der Begründung, dass sein Zugang erloschen sei, weil er sich weigere, die Prüfung zu beenden. Haynes hatte wie die meisten Wirtschaftsprüfer ein überdurchschnittlich gutes Gedächtnis und versicherte Jeff, dass er sich an das brisante Material erinnere und er sein Wissen bei einer vertraulichen Zusammenkunft mit einer geeigneten U.S.-Behörde preisgeben würde. Die wir sein sollten.«

»Und jetzt ist er tot. Was für ein Zufall!«

»Exakt. Wir haben die Echse gebeten, eine Akte über Haynes anzulegen und ihn in unserem System zu markieren. So haben wir sofort von dem Notruf von Haynes’ Frau erfahren, und der Funkverkehr der Polizei hat bestätigt, dass es sich um einen Mord handelt. Sie werden bereits die Ermittlungen aufgenommen haben, wenn wir dort eintreffen. Die Akte mit dem, was wir bereits in Erfahrung gebracht haben, liegt in der Türablage.«

Swanson nahm die Mappe in die Hand und schaltete die Leselampe ein. Wie nicht anders zu erwarten, hatte die Echse in kürzester Zeit ein dickes Dossier zusammengestellt. Norman Haynes war in einer gutbürgerlichen Gegend Ohios aufgewachsen und ein guter Sportler und Schüler gewesen, der sich freiwillig als Soldat gemeldet hatte, um Geld für das College zu verdienen. Er fuhr einen Panzer der 3rd Armored Division während des Golfkriegs. Danach tauschte er die grüne Uniform der Armee gegen die blaue von Yale ein und erwarb einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Der Mann war absolut sauber und verdiente im Laufe der Jahre gutes Geld. Er war eingetragener Republikaner, verheiratet – seine drei Kinder sind auf dem College – und für die Prüfung von Militärfirmen zugelassen. Deshalb besaß er auch eine hohe Sicherheitsfreigabe.

»Wie lange noch, bis wir da sind?«, fragte Swanson.

»Zwanzig Minuten«, antwortete Sybelle.

»Ich versuche zu schlafen. Weck mich, wenn wir da sind.« Nach diesen Worten lehnte sich Swanson zurück und schloss die Augen. Während der Jahre im Außeneinsatz hatte er gelernt, immer und überall einschlafen zu können und die Gelegenheit auch zu nutzen, wenn sie sich ihm bot. Das Brummen des großen V-8-Motors glich einem Wiegenlied, als sie den Highway 50 in Richtung Annapolis entlangfuhren, und er stellte seinen geistigen Wecker auf zwanzig Minuten.

Doch Summers sprach ihn noch einmal an. »Weißt du, woran ich denke?«

»An Atombomben«, erwiderte Swanson, ohne die Augen zu öffnen.

»Genau.«

***

»Wir sind da«, sagte Sybelle, als sie auf den Dietrich Way abbog.

Swanson öffnete die Augen und roch Salzwasser. Es war leicht, die richtige Adresse zu erkennen, denn in einem der zweistöckigen weißen Cape-Cod-Häuser brannte jede Lampe, und auch das schneebedeckte Grundstück wurde von Scheinwerferlicht geflutet. Verschiedenste Einsatzfahrzeuge waren kreuz und quer vor dem Grundstück abgestellt worden. Sybelle schaltete die Signallichtanlage aus, als sie an einem Kontrollpunkt am Ende der langen Einfahrt zum Stehen kam.

Ein junger Streifenpolizist mit einer Regenhaube über dem Hut näherte sich ihnen und inspizierte sowohl das Auto als auch die Insassen.

Sybelle ließ auf ihrer Seite das Fenster herunter und hielt ihm ihre beiden Ausweise entgegen, die er sogleich in die Hand nahm. »Scheiß Wetter, um Posten stehen zu müssen«, sagte sie mit einem mitfühlenden Lächeln.

»Jawohl, Ma’am. Das können Sie laut sagen. Kann ich Ihnen irgendwie weiterhelfen?«

»Wir müssen mit demjenigen sprechen, der die Ermittlungen leitet. Ich sehe Einsatzfahrzeuge der lokalen Polizei und der County Police. Wer ist also zuständig?«

Der Streifenpolizist inspizierte ihre Dienstmarken. »Sind Sie von der Homeland Security? Welches Interesse hat Ihr Laden an dem Fall?«

»Haben Sie eine Sicherheitsfreigabe, die über Top Secret hinausgeht, Officer?« Es war ein kurzes, schnelles Wortgefecht, das Sybelle gewann, indem sie die Frage des Streifenpolizisten mit einer Gegenfrage beantwortete. Sie nahm die Dienstmarken entgegen und warf sie Swanson zu, dann lachte sie, um die Spannung zu lockern. »Keine Sorge, Officer, wir kommen in Frieden und nicht, um Ihre Ermittlungen zu behindern. Eigentlich wollen wir den zuständigen Ermittlern lediglich ein paar inoffizielle Informationen zukommen lassen.«

»Jawohl, Ma’am. Folgen Sie der Auffahrt zum Haus und parken Sie auf der linken Seite. Ich werde Detective Payton über Funk mitteilen, dass Sie auf dem Weg zu ihm sind.«

»Wir finden ihn schon«, sagte sie. »Erwähnen Sie uns nicht über Funk! Danke. Sie haben uns heute Nacht nicht einmal gesehen – klar!« Kein »Bitte«, und Sybelles Lächeln war verschwunden. Ohne die Reaktion des Polizisten abzuwarten, fuhr sie die Fensterscheibe hoch und folgte den Spuren der anderen Einsatzfahrzeuge. Sie parkte direkt neben der gelben Absperrung.

Nur widerwillig stieg Swanson aus dem behaglich warmen Auto. Draußen schloss er sofort den Reißverschluss der blauen Fliegerjacke, die er aus Kalifornien mitgebracht hatte, und klappte den Pelzkragen hoch, um seine Ohren zu schützen. »Verdammt«, murmelte er. »Was für eine Arschkälte!« Die zwei Wochen unter der Sonne hatten ihn etwas zimperlich werden lassen.

»Haltung bewahren, Marine!«, befahl Summers und wies den Weg zu einem weiteren Streifenpolizisten, der die Absperrung bewachte. Wieder zeigte sie ihre Dienstmarken, diesmal aber fragte sie direkt nach Detective Payton. Der Polizist zeigte auf ein Bootshaus, das etwa fünfzig Meter von der Hintertür entfernt stand.

»Ziemlich ausladend«, befand Swanson, während sie über den Rasen gingen, der zu einem langen Steg hin abfiel. »Das Grundstück ist bestimmt einen Hektar groß; erstklassige Lage direkt am Wasser. Man muss bestimmt mindestens eine Million Dollar dafür zahlen … falls man bereit ist, so viel für ein Grundstück auszugeben.«

»Der Kanal mündet direkt in die südwestliche Seite der Chesapeake Bay. Da das Wasser hier ruhiger ist, werden im Sommer viele Regatten veranstaltet.«

Kleine bunte Boote und Kajaks lagerten in den Wandregalen des Bootshauses, geschützt vor der Witterung. Die Seile, Paddel und andere Ausrüstungsgegenstände waren nach draußen gebracht worden, um Platz für eine Kommandozentrale der Polizei zu schaffen. Funkgeräte knackten, und auf den Bildschirmen liefen Videofeeds; die Informationen wurden direkt an Computer in Annapolis weitergeleitet.

»Detective Payton?«, fragte Summers in den Raum hinein.

Ein kräftig gebauter Mittvierziger in einem Overall und Arbeitsstiefeln drehte sich von einem Computerbildschirm zu ihnen herum. Seine zu Schlitzen verengten Augen bewegten sich hin und her, seine Dienstmarke hing an einer Kette um seinen Hals. »Das bin wohl ich. Wer sind Sie?«

Erneut händigten sie ihre gefälschten Dienstmarken aus, und er studierte sie eingehend, ehe er sie ihnen zurückgab. »Was kann ich für Sie tun? Wir sind hier gerade mit einem Mordfall beschäftigt, wissen Sie.« Der Tonfall war nicht unbedingt feindselig, eher misstrauisch. Lokale Polizeibehörden waren nie sonderlich erfreut, wenn Bundesbeamte unerwartet am Tatort auftauchten.

»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?« Swanson deutete mit einem Nicken in Richtung der anderen Beamten, die sich in dem Bootshaus drängten, das durch die Körperwärme und die Elektronik stark aufgeheizt war.

»Sicher. Kommen Sie mit. Wir gehen auf die Veranda, da gibt es heißen Kaffee und ich kann Ihnen bei der Gelegenheit auch gleich meinen Partner vorstellen. Ich werde ihm ohnehin alles erzählen, was Sie mir berichten.«

Swanson nickte, und kurz darauf standen sie unter der überdachten Veranda des Hauses. Summers und er wurden dort einem Polizisten namens Allen Jones vorgestellt, der an seinem heißen Kaffee nippte.

»Was für eine beschissene Nacht für einen Mord«, brummte Payton. »Der Schnee hat alle Spuren verwischt; da kann man nicht hoffen, schnell etwas Brauchbares zu finden.«

Sybelle nahm einen Becher mit Kaffee von Jones entgegen. »Wir haben bereits ein paar grundlegende Informationen über das Opfer.«

Jones, ein schlanker Mann mit hellbrauner Haut, runzelte bei dieser Bemerkung die Stirn. »Woher, wenn ich fragen darf?«

Swanson rührte etwas Kondensmilch in seinen Kaffee. »Der Grund, warum wir hier sind, ist, dass wir heute Abend einen Termin mit Mr Haynes hatten.«

»Warum sollte sich die Homeland Security mit einem Wirtschaftsprüfer treffen wollen?«, fragte Payton.

»Lassen Sie uns zuerst ein paar Informationen austauschen. Dann wird sich alles aufklären«, versprach Swanson.

Payton kaute einen Moment lang auf seiner Unterlippe. »Einverstanden. Offenbar wurde vom Ende des Stegs ein einzelner Schuss aus einer großkalibrigen Waffe abgefeuert; er hat das Fenster durchschlagen und das Opfer direkt in die Kehle getroffen. Ein Wahnsinnsschuss über die Distanz eines Football-Felds.«

»Wurden weitere Personen verletzt?« Swanson verkniff sich, darauf hinzuweisen, dass hundert Meter für einen geübten Schützen gar nichts waren.

»Nein. Die Ehefrau war mit ihm im Zimmer, wurde aber nicht getroffen. Die Kinder waren oben. Dieser mörderische Dreckskerl hatte es offensichtlich nur auf Mr Haynes abgesehen.«

»Haben die Nachbarn irgendetwas gesehen oder gehört? Andere Zeugen?«

Payton trank seinen Kaffee aus und warf den Pappbecher in einen Mülleimer. »Wir sind noch nicht fertig mit den Befragungen, aber einige sagen, sie hätten einen lauten Schuss gehört und dann den Außenbordmotor eines Boots, das mit hoher Geschwindigkeit den Kanal hinunterfuhr.« Payton machte eine Pause. »Jetzt sind Sie dran. Solange Sie uns nicht sagen, warum wir Ihnen überhaupt etwas sagen sollten, ist das alles, was wir Ihnen erzählen.«

»In Ordnung«, antwortete Sybelle und nahm eine bereinigte Version der von Commander Freedman erstellten Akte über Haynes aus der Innentasche ihrer Jacke. »Das wird Ihnen die Mühe ersparen, Hintergrundinformationen über das Mordopfer zusammenzusuchen. Was halten Sie davon: Während Detective Jones mit meinem Partner eine kurze Besichtigung des Geländes durchführt, bringe ich Sie rasch auf den neusten Stand. Dann sind wir auch schon wieder weg. Dies ist ein Mordfall; und zwar Ihr Fall, nicht unserer. Alles, was wir wissen, ist, dass Haynes eine Art internationalen Finanzbetrug melden wollte.«

»Hm«, grunzte Jones, der ein wenig skeptisch wirkte. Es war untypisch für Mitarbeiter von Bundesbehörden wie der Homeland Security, so leicht nachzugeben.

»Wir sind keine Detectives«, sagte Swanson.

»Was genau sind Sie dann?«, fragte Jones.

»Kleine Fische in einem großen Netz, Detective Jones, genau wie Sie. Wir haben andere Spezialgebiete.«

Jones musterte Swanson: Der Mann vor ihm war zwar vergleichsweise klein, hatte jedoch den Körperbau eines dieser Monster, die ewig rennen und dann gegen einen Drachen kämpfen konnten, ohne ins Schwitzen zu geraten. Außerdem waren die grau-grünen Augen kälter als das Wetter, vielleicht kälter als die Antarktis. »Ich glaube Ihnen, dass Sie über besondere Fähigkeiten verfügen. Kommen Sie, gehen wir.«

Jones führte ihn von der Veranda. Sie blieben Seite an Seite stehen, mit dem Rücken zum Haus, wo vier breite Fenster auf das Wasser hinausgingen. Das Grundstück war leicht abschüssig angelegt worden, und sein Ende am Ufer wurde von einer großen Eiche markiert, die kein Laub mehr trug. Schnee bedeckte einen Picknicktisch wie eine dicke Schicht Zuckerguss auf einer Torte. »Der Mörder hat sich dem Steg wahrscheinlich mit ausgeschaltetem Motor genähert und sein Boot dort festgemacht. Dann hat er sich auf den Steg gelegt und gewartet, bis das Opfer so in sein Blickfeld gekommen ist, dass er einen sicheren Schuss abgeben konnte. Das Schneetreiben hat die Abdrücke verwischt.«

»Aber wenn es wie eine Ente watschelt …«, begann Swanson.

»… dann ist es vermutlich auch eine verdammte Ente«, brachte Jones den Satz zu Ende. Er hatte inzwischen seine Kragen hochgeschlagen, um sich vor der Kälte zu schützen. »Damals, während der Drogenkriege in Miami, schickten die rivalisierenden Banden ihre Killer mit Booten los, um die Zielpersonen vom Wasser aus zu erledigen. Diese Mordanschläge haben aufgehört, als die Polizei die Wasserpatrouillen verstärkt hat. Jemand könnte versuchen, diese Praxis wieder aufleben zu lassen. Nachdem unser Mörder sich hier vom Tatort entfernt hatte, könnte er in einem Auto geflohen oder in ein größeres Boot in der Bucht umgestiegen sein. Oder er hat sich mit einem Flugzeug aus dem Staub gemacht.«

Sie drehten sich zum Haus um.

»Hier ist das, was vom Fenster noch übrig ist«, sagte Jones.

Swanson blickte ins Haus hinein, wo die Spurensicherung nach wie vor damit beschäftigt war, Beweismittel zu markieren und einzutüten. Der leblose Körper war in einen Leichensack gepackt und auf eine Trage geschnallt worden und wartete darauf, abtransportiert zu werden.

»Müssen Sie die Leiche sehen?«

»Nein. Kennen Sie das Kaliber der Kugel?«

»Wurde noch nicht abschließend bestätigt. Scheint sich aber um Munition für militärische Zwecke zu handeln, wahrscheinlich 7,62 Millimeter. Die Jungs von der Spurensicherung haben das Projektil aus der Wand geprokelt; es hat den Hals von Haynes durchschlagen und ist dann dort stecken geblieben. Eine Patronenhülse wurde bislang noch nicht gefunden.«

Im Inneren des Hauses waren die Wände blaugrün gestrichen, und ein Ventilator drehte sich langsam unter der cremefarbenen Decke. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet, unter anderem mit einem langen dunkelgrünen Sofa und einem dazu passenden Sessel, die beide im rechten Winkel um einen dunklen Couchtisch angeordnet waren, der eine Antiquität zu sein schien. Eine Bar, in der Flaschen mit alkoholischen Getränken und leere Gläser standen, dominierte eine der Ecken, eine große Topfpflanze mit breiten Blättern eine andere. Alles hier war so arrangiert worden, dass man sich am Anblick des Wassers erfreuen konnte.

Jones deutete durch den leeren Fensterrahmen. »Die Kinder waren oben, als es passiert ist. Mrs Haynes saß im Sessel und las eine Zeitschrift. Das Opfer, das sich einen Scotch eingeschenkt hatte, stand vor dem Fenster und schaute in Richtung des Wassers.«

»Gibt es hier keine Signalleuchte am Ende des Stegs? Sie wissen schon – ein blinkendes Licht, um vorbeifahrende Boote zu warnen.«

»Doch, das gibt es, aber es leuchtet offensichtlich nicht mehr. Und vielleicht war das ja der Grund, weshalb Haynes am Fenster Ausschau hielt. Er wusste, dass dort draußen eigentlich ein Licht zu sehen sein müsste, und dachte vermutlich, das schlechte Wetter hätte zu einem Defekt an der Signalanlage geführt. Wir haben das überprüft: die Drähte sind durchtrennt worden, wahrscheinlich vom Mörder, damit man ihn nicht sehen konnte.«

Swanson streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über und trat zur Fensterbank, um sie sich aus der Nähe genauer anzusehen. Er berührte einige Glassplitter, die wie die Zähne eines Sägeblattes aus dem Holz ragten. Ein Teppich aus Scherben hatte sich im Inneren ausgebreitet. »Okay. Danke, Detective. Das wär’s fürs Erste.«

Als sie wieder auf der Veranda waren, hatte Summers ihre Ausführungen beinahe beendet und Payton fast alles über das geplante Treffen mit Haynes erzählt. Abschließend sagte sie zu dem Polizisten: »Ich bin keine Wirtschaftsprüferin, also habe ich keine Ahnung, was Haynes uns zu zeigen beabsichtigte. Wir können nicht ausschließen, dass dieser Typ womöglich Feinde an der Wall Street hatte und kurz davor stand, ein Schneeballsystem aufzudecken. Vielleicht ist er auch einem Drogenbaron auf den Schlips getreten oder hat ein internationales Geldwäschesystem aufgedeckt. Ich weiß nicht einmal genug, um eine nur ansatzweise fundierte Vermutung zu äußern. Doch soweit wir das sehen, gibt es keine offensichtlichen Hinweise auf eine Bedrohungslage der nationalen Sicherheit, und das werde ich an meine Vorgesetzten weitergeben. Die Mordermittlungen obliegen ganz Ihnen.« Sie warf Swanson einen Seitenblick zu. »Sind wir hier fertig?«

»Ich fürchte nicht«, entgegnete er. »Diese Sache könnte die Gehaltsstufen aller Anwesenden übersteigen, uns selbst eingeschlossen.«

»Wow! Sie haben etwas gefunden!«, rief Payton aus. »Ich weiß, wie es aussieht, wenn jemand bei einer Ermittlung Witterung aufgenommen hat.«

Swanson sah den Polizisten an. »Es ist bloß eine Vermutung, Detective, für die ich keine absolut handfesten Beweise habe. Reine Spekulation, allerdings basierend auf meinen Erfahrungen.«

»Reden Sie weiter!«

»Sie müssen umdenken, was die Anzahl der Attentäter betrifft. Es waren heute Nacht mindestens zwei Killer am Werk, nicht nur einer.«

»Wie kommen Sie darauf? Die Nachbarn haben lediglich einen einzelnen Schuss gehört.«

»Wenn eine Kugel auf Glas trifft, hat das spezifische Auswirkungen auf sie«, begann Swanson zu erklären und verfiel dabei automatisch in seinen Scharfschützen-Vortragsmodus. »Abhängig von der Dicke einer Glasscheibe wird die Flugbahn mehr oder weniger stark verändert, was dazu führt, dass die Kugel ihr Ziel in den meisten Fällen verfehlt. In unserem Fall gab es einen ersten Schuss, der bloß dem Zweck diente, die Scheibe zu zerstören. Nur eine halbe Sekunde später wurde ein zweiter Schuss abgefeuert. Für jemanden, der nicht mit Geräuschen dieser Art gerechnet hat, hätte sich das ohne Weiteres nach einem einzigen Schuss anhören können. Was die Glaubwürdigkeit der Zeugen keinesfalls schmälert -«

»Aber es wurde nur eine Kugel gefunden«, unterbrach ihn Detective Jones.

Swanson trat an das Geländer der Veranda und deutete auf den Steg und das Bootshaus. Bei seinen anschließenden Ausführungen setzte er seine Hände ein, um zu veranschaulichen, wie der Mord seiner Meinung nach abgelaufen war. »Ein einzelnes Geschoss wie eine 7,62er-Kugel hätte lediglich ein Loch ins Glas gestanzt, ehe es sein Ziel getroffen hätte. Die Scheibe selbst wäre intakt geblieben. Folglich benutzte der erste Schütze ein kleineres Kaliber, zum Beispiel ein 5,56er, um das Glas vollständig zu zertrümmern, weshalb es im Inneren auch so viele Scherben gibt. Damit war der Weg frei für das 7,62er-Geschoss des zweiten Schützen. Ihre Leute von der Kriminaltechnik sehen bloß eine Wunde und schlussfolgern daher, dass es auch nur eine Kugel zu finden gibt. Und die sie dann gefunden haben. Aber da ist noch eine zweite.«

»Unseren Jungs von der Spurensicherung wäre die sicherlich nicht entgangen.« Jones wirkte eingeschnappt.

»Das sollte keine Kritik sein, Detective«, beschwichtigte ihn Swanson. »Aber hat Ihr Team wirklich den gesamten Raum ganz gründlich abgesucht? Ich gehe jede Wette ein, dass Sie die zweite Kugel irgendwo da drin finden, wahrscheinlich in der Wand hinter dem Topf mit der Geigen-Feige und den anderen großen Pflanzen in der Ecke. Der erste Schütze dürfte auf eine Stelle gezielt haben, wo beim Schuss zwar die Aufgabe, das Fenster zu zerstören, erfüllt wird, die Kugel aber weder die Zielperson trifft noch anschließend leicht zu finden ist.«

»Kennen Sie sich mit so etwas aus?«

»Ich habe es ein- oder zweimal gesehen, ja.«

»Sie sind also überzeugt, dass wir es mit ausgebildeten Scharfschützen zu tun haben?«

»Nicht zwangsläufig, nein, eher nicht, aber ich denke, sie haben zumindest eine militärische Ausbildung durchlaufen. Der zweite Schütze hat jedenfalls sein Ziel verfehlt. Kein Scharfschütze zielt auf die Kehle – sie stellt eine zu kleine Zielzone dar. Nur im Film wird einem in die Kehle geschossen. Und das schlechte Wetter hätte außerdem die Flugbahn der Kugel beeinträchtigt.« Swanson schlug mit der Faust in seine Handfläche, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Eine große Kugel direkt ins Zentrum der Zielperson, also in die Brust, ist viel einfacher und genauso tödlich.«

»Herrgott noch mal!«, entfuhr es Jones, als er das Bild in seinem Kopf zusammensetzte. »Auf einmal wünsche ich mir, das Ganze wäre nur ein Anschlag im Drogenmilieu.«

Payton ließ eine Zeit lang seinen Blick auf Summers und Swanson ruhen, während er angestrengt nachdachte. Dann atmete er geräuschvoll aus. »Verdammt! Jetzt muss ich das FBI anrufen. Ihr beiden könnt solange hierbleiben. Das wird einen Moment dauern.« Vor sich hin fluchend, stapfte er durch den Schnee zurück zur Kommandozentrale im Bootshaus.

3

KAIRO, ÄGYPTEN

Yahya Naqdi rannte um sein Leben. Er war zehn Jahre alt und zu Tode verängstigt. Er rannte, kam aber nicht voran. Es war, als würde sich die Wüste wie eine hungrige Kreatur mit all ihrem Sand und Felsgestein an seine Sandalen klammern. Mit Wurzeln nach ihm greifen, um ihn auf dieser grässlichen Ebene festzuhalten, wo nichts als der Tod regierte. Explosionen und Schreie, Granatsplitter und Feuer. Und Dreck, Dreck überall: Er drang ihm in die Nasenlöcher, die Augen und den Mund. Die Soldaten hinter ihm schrien ihm lautstark zu, er solle geradeaus und mit aller Kraft auf den Feind zurennen, denn er befand sich in der Führungsgruppe der iranischen »Armee der zwanzig Millionen«, die, einer Angriffswelle aus Körpern gleich, auf die verschanzten Iraker zustürmten. Obwohl ihn die religiösen Schreie der Mullahs und die Drohungen der eigenen Unteroffiziere genauso antrieben wie die paradiesischen Verheißungen des Märtyrertums, war er mitten im von gellendem Gebrüll begleiteten Angriff zum Stehen gekommen, als sein bester Freund nur zwanzig Meter entfernt auf eine Landmine trat und in Stücke gerissen wurde. Der blutige Kopf flog auf Naqdi zu wie ein Fußball mit weißen Augen. Es gab einen donnernden Trommelwirbel von Explosionen, als Dutzende weiterer Landminen ausgelöst wurden. Eine der dabei entstandenen Druckwellen erfasste den Jungen mit solcher Wucht, dass er auf die Knie stürzte. Er beugte sich vor und musste sich übergeben, dann fiel er in das Erbrochene, als ihn ein herumfliegender Granatsplitter am Hinterkopf traf und ein Stück Kopfhaut wegriss. Andere Jungen in seinem Alter sprangen über ihn hinweg und brüllten dabei lauthals, dass Gott groß sei. Das war der Plan: Tausende Jungen sollten durch die Minenfelder rennen, um den Weg für die eigentlichen Streitkräfte frei zu machen. Das Letzte, was er hörte, war das Donnern der irakischen Artillerie, die noch mehr Zerstörung auf die heranstürmenden Kinder niederregnen ließ. Und während er bewusstlos auf dem Schlachtfeld lag, trafen ihn weitere Granatsplitter, rissen Wunden in seinem Fleisch.

Schweißgebadet erwachte er aus dem Albtraum, die Finger vor lauter Panik in die Laken gekrallt. Er hustete einmal, zweimal, und würgte. Spuckte dann den Dreck aus, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. Sog gierig durch die verstopften Nasenlöcher nach Luft. Seit mehr als dreißig Jahren, seit dem Iran-Irak-Krieg, verfolgte ihn nun schon der schreckliche Traum vom abgetrennten Kopf seines Freundes, der blutig und mit blicklosen Augen durch die Luft flog und ihn anschließend vom Paradies aus anstarrte.

Er blieb noch kurz im Bett liegen und versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen, damit der Schrecken verblasste. Er hatte nie geheiratet, denn er wollte nicht, dass irgendein anderer Mensch ihn so sah. Seine Schwäche kannte. Lieber blieb er allein, als dass die Leute hinter seinem Rücken über ihn redeten, ihn gar noch bemitleideten. Er befreite sich von der Bettdecke und begann mit dem täglichen Ritual, das ihn wieder in Colonel Yahya Naqdi verwandelte, den gefürchteten, für verdeckte Außeneinsätze zuständigen Geheimdienstoffizier der iranischen Islamischen Revolutionsgarde, der Armee der Wächter der Islamischen Revolution.

Er schlüpfte in ein Paar bequeme Hausschuhe und lief nackt über den Teppich der komfortablen Hotelsuite in der Kairoer Innenstadt. Dabei vermied er es, in den Spiegel zu blicken. Aus einem winzigen Kühlschrank holte er eine gekühlte Kartonschachtel Orangensaft hervor, den er trank, während er das Wasser in der Dusche warmlaufen ließ. Dann stieg er in die verglaste Kabine und schrubbte mit Seife und Shampoo den Dreck weg, der im Traum in jede Ritze seines Körpers gekrochen war. Schließlich drehte er das Wasser ab und rubbelte sich mit einem weichen Handtuch trocken; erst dann betrachtete er sich im Spiegel. Es war ein verstörender Anblick.

Zwei runzlige Narben prangten auf seiner rechten Schulter; gleich zu Beginn seiner Karriere war er dort während eines missglückten Außeneinsatzes in Istanbul von verirrten Kugeln getroffen worden. Von seiner linken Hüfte zog sich eine verheilte Messerwunde in einer ungeraden Linie nach oben: ein weiteres Andenken von einem Außeneinsatz, den er jedoch in Beirut durchgeführt hatte. Die lange, gezackte Narbe, die sich quer über seinen Bauch spannte, stammte aus der Zeit, als ihm während des Kinderangriffs ein Schrapnell fast die Eingeweide herausgerissen hätte. Er machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen und die anderen Wundmale auf seinem Rücken zu betrachten. Seine Fingerspitzen fuhren über die alte Narbe auf seiner Kopfhaut, während er sich von seinem Spiegelbild abwandte.

Er trug Körperpuder auf, sprühte sich Deodorant unter die Achseln und rasierte sich dann in aller Ruhe. Andere Muslime warfen ihm manchmal vernichtende Blicke zu, weil er keinen Bart trug, wie es sich gehörte, aber Naqdi ignorierte sie. Wenn er unter den Ungläubigen nicht auffallen wollte, dann trug er besser keinen zotteligen langen Bart, der förmlich »Der Mann hier ist ein Terrorist!« schrie. In seinem Herzen hatte er ohnehin keinen Platz und keine Zeit für Allah, Gott, Buddha oder anderen abergläubischen Unsinn. Gebete waren Zeitverschwendung. Du bist, wer du bist, sagte er sich, und wenn du stirbst, bist du tot, und das ist das endgültige Ende. Es gibt kein Paradies, keinen Himmel, kein Leben nach dem Tod. Wenn er unter Muslimen war, verrichtete er dennoch die rituellen Gebete, weil es Aufmerksamkeit erregt hätte, wenn er sich ihnen verweigerte. Er sagte die Worte gleichgültig vor sich hin; ihre Bedeutung verinnerlichte er nicht.

Er bürstete sich sorgfältig die Haare und putzte sich energisch die Zähne, wobei er sein Zahnfleisch mit den Borsten kräftig attackierte. Körperpflege war wichtig, weil Details generell wichtig waren. Oft kam es auf die kleinen Dinge an. Er reinigte seine manikürten Nägel mit einer Bürste, dann wusch er sich erneut die Hände. Der imaginäre Dreck aus dem Traum klebte trotzdem noch an ihm.

Naqdi war einundfünfzig Jahre alt, von durchschnittlicher Statur und hatte ein paar weiße Strähnen im dichten schwarzen Haar und den Augenbrauen. Eines seiner Markenzeichen war es, sich immer genauso gut oder besser zu kleiden als die Person, die er treffen würde. Dank eines großzügigen Budgets, das ihm seine Auftraggeber in Teheran zur Verfügung stellten, war er zu einem Kenner und regelmäßigen Käufer westlicher Herrenmode geworden; und sein geräumiger Kleiderschrank enthielt alles, was er brauchte, um unter den Ungläubigen nicht aufzufallen. An diesem Morgen wählte er ein cremefarbenes Hemd, das er bis oben zuknöpfte, eine graue Bügelfaltenhose, ein weiches Tweed-Sportsakko und ein Paar Schuhe, die in London hergestellt worden waren. Sie verliehen ihm das kultivierte Aussehen eines intelligenten und erfolgreichen Geschäftsmannes. So herausgeputzt war der Colonel bereit, sich dem neuen Tag zu stellen.

***

Unten wartete bereits eine BMW-Limousine auf ihn, und ein Leibwächter öffnete ihm die Tür zum geräumigen und kühlen Fond. Der bewaffnete Bodyguard stieg vorne ein, und der Fahrer fädelte sich gekonnt in den Verkehr ein. Naqdi nahm zur Kenntnis, dass die Stimmung auf den Straßen Kairos an diesem Morgen überraschend ruhig und friedlich wirkte. Das Fußballfieber hatte die anhaltenden Straßenproteste der rivalisierenden politischen Parteien, die gemeinsam eine unsichere Koalition unter dem Banner der Muslimbruderschaft bildeten, vorübergehend abgelöst. Der Mob war indes bloß eine Marionette, deren Fäden der Colonel des iranischen Geheimdienstes zog. Er war die graue Eminenz, der Mann mit dem Geld.

Naqdi hatte den verschiedenen Revolutionsparteien die Nachricht übermittelt, ihre Streitigkeiten heute einzustellen, da die iranische Fußballnationalmannschaft, eine der besten der Welt, zu einem Freundschaftsspiel mit der ägyptischen Mannschaft nach Kairo kommen würde. Die Stimmung des Volkes war entscheidend, und er wollte eine ordentliche Revolution.

Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre es undenkbar gewesen, eine iranische Spezialmission mitten im Herzen Ägyptens durchzuführen, aber mit dem Sturz des Diktators Mubarak und der politischen Machtübernahme durch die Muslimbruderschaft hatte sich die Lage hier grundlegend geändert. Jetzt war so etwas ganz einfach. Colonel Naqdi hatte eine Meisterleistung vollbracht – der ägyptische Staat würde intakt bleiben, aber trotzdem fortan unter der Kontrolle Teherans stehen.

Keine zehn Minuten später fuhr der BMW in die Tiefgarage eines großen Bürokomplexes, in dem die Palm Group ihren Sitz hatte. Der Leibwächter begleitete Naqdi bis zu seinem Büro im obersten Stockwerk. Dort warteten Frühstück und heißer Kaffee auf ihn.

***

Major Mansoor Shakuri, Colonel Naqdis Adjutant, war vom Fahrer des BMWs vorgewarnt worden, dass ihr gemeinsamer Chef auf dem Weg ins Büro war, was ihm gerade genug Zeit verschafft hatte, um ins Bad zu stürzen, sich zwei Finger in den Hals zu stecken und in die Toilette zu übergeben. Colonel Naqdi jagte ihm eine Heidenangst ein. Der Mann war eine falsche Schlange, ein Intrigant vor dem Herrn; obendrein war es ihm egal, wie viele Leben und Karrieren er zerstörte, um seine und die Ziele seiner Auftraggeber zu erreichen. Shakuri hatte gelernt, dass selbst ein »einfaches« doppeltes Spiel für den Colonel nicht gut genug war, wenn er sich noch ein komplexeres Szenario ausdenken konnte.

Der Major spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, gurgelte mit Mundwasser, rückte seinen Anzug und seine Krawatte zurecht, kämmte sein Haar und war genau in dem Augenblick fertig, als er den Colonel das Büro betreten hörte. Die Ordnungsphobie dieses Mannes hatte den Adjutanten dazu erzogen, ebenfalls stets ein makelloses Erscheinungsbild an den Tag zu legen. Wenn Shakuri auch nur einen winzigen Fleck auf dem Hemd hatte, runzelte der Colonel für gewöhnlich die Stirn, und das war selten ein gutes Zeichen. Der Major holte tief Luft, klopfte zweimal und betrat dann das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten, wo er sofort von Kopf bis Fuß gemustert wurde.

»Guten Tag, Major Shakuri«, sagte der Colonel zu seinem Stabschef und setzte sich hin, um zu frühstücken, die wichtigsten Nachrichten im Internet zu lesen, einen Blick auf seine privaten Nachrichten zu werfen und sich den morgendlichen Lagebericht geben zu lassen.

»Guten Morgen, Colonel«, antwortete Mansoor Shakuri und legte eine Mappe mit Informationsmaterial neben das Essenstablett. Shakuri, fünfundvierzig Jahre alt und gut einen Meter achtzig groß, war bereits zwei Stunden lang tätig gewesen, um den Arbeitstag des Colonels vorzubereiten. Seine Berichte waren kurz und bündig. Die Männer hatten mehr als ein Jahr lang zusammengearbeitet, und die ständige Anspannung hatte Shakuri schmerzhafte Magengeschwüre beschert.

»Die Mission in den Vereinigten Staaten war erfolgreich«, berichtete der Major, der mit vor dem Bauch gefalteten Händen vor dem Schreibtisch stehen geblieben war. »Der lästige Wirtschaftsprüfer Haynes wurde eliminiert.«

Die Bestätigung kam für den Colonel nicht überraschend. Er setzte voraus, dass die von ihm angeordneten Geheimoperationen erfolgreich waren, ja, er verlangte es sogar.

»Die Flucht unseres Teams vom Ort des Geschehens ist reibungslos verlaufen. Der eine Agent ist bereits nach Los Angeles geflogen, wo eine iranische Gemeinschaft in einer Enklave nahe Beverly Hills lebt. Der andere ist auf dem Weg in ein ähnlich sicheres Gebiet in Houston, Texas. Sobald sie sicher angekommen sind, können sie wieder eingesetzt werden.«

Naqdi trank einen Schluck Kaffee, und dann ließ er sich einen Bissen vom süßen Gebäck auf der Zunge zergehen. Drei Jahre zuvor hatte er sich gezwungen gesehen, ein Scharfschützenteam zu entlassen, das im Raum Washington eingesetzt worden war, und er hasste es, qualifiziertes Personal zu entlassen.

»Gut«, sagte er. Das hatte nichts mit Moral zu tun. Das Töten von Menschen machte ihm nichts aus, wenn dies bedeutete, dass eine Mission erfolgreich ausgeführt wurde. Solche Sorgen überließ er den Unglücklichen, die ein Gewissen hatten.

Manchmal mussten Menschen einfach beseitigt werden, und dies war genau so ein Fall. Das Opfer, Haynes, hatte seine Pflicht als Wirtschaftsprüfer bei der Palm Group erfüllt. Er hätte anschließend einfach aufhören können, stattdessen hatte er tiefer in dem finanziellen Geflecht des Unternehmens herumgestochert. Trotz der eindringlichen Warnungen des Colonels. In dem Moment, in dem er sich über den gut gemeinten Rat hinweggesetzt hatte, war er zum wandelnden Toten geworden. Das wirtschaftliche Wohlergehen der Palm Group, als deren Vizepräsident der Colonel fungierte, war viel wichtiger als das Leben eines Wirtschaftsprüfers.

»Was ist mit dem Prüfungsbericht?«, fragte Naqdi.

»Ein zuverlässigeres Unternehmen mit Sitz in Hongkong hat einen neuen Bericht angefertigt. Mit der Garantie aus Peking, dass er die erforderliche Genehmigung erhält.«

»Gute Arbeit, Major Shakuri. Aber mit dieser Angelegenheit sind wir noch nicht ganz fertig. Ich möchte, dass eine Untersuchung durchgeführt wird, um Mr Haynes’ Bewegungen von dem Zeitpunkt an, an dem er unser Büro verlassen hat, bis zu dem Moment, an dem er getötet worden ist, zu rekonstruieren. Hat er sich mit jemandem getroffen und Details preisgegeben, oder ist er nur nach Hause geflogen, um Beschwerde einzulegen über die Art und Weise, wie er hier behandelt wurde?«

»Jawohl, Sir. Ich habe bereits jemanden abgestellt, der die nötigen Informationen zusammenträgt.«

Zufrieden wechselte der Colonel das Thema. »Wen treffe ich heute Morgen?« Er tupfte sich mit einer Serviette die Lippen ab und wischte sich die Krümel vom Sakko.

»Ein Vertreter der Muslimbruderschaft möchte mehr finanzielle Mittel für seine Fraktion einwerben; er gehört einer der zentristischen Gruppen an. Ich habe maximal fünfzehn Minuten für das Treffen anberaumt, obwohl er wahrscheinlich am liebsten den ganzen Tag hier verbringen würde.«

Naqdi schüttelte resigniert den Kopf. Diese politischen Splittergruppen hörten nie auf, ihre kleinen Intrigen zu spinnen, ganz gleich, wer an der Macht war. »Sonst noch etwas?«

»Nach dem Treffen haben Sie bis nach dem Mittagessen keine weiteren Termine. Um ein Uhr sind dann die Leute von der Marine endlich bereit, Sie über den Suezkanal zu briefen.«

»Ausgezeichnet.«

Der Major war erleichtert, ein Lächeln auf den Lippen seines Vorgesetzten zu sehen.

»Und was ist mit unserer Fußballmannschaft?«, wollte der Colonel außerdem wissen.

»Alles in bester Ordnung, Sir. Sie werden pünktlich eintreffen.«

»Ausgezeichnet. Wirklich ausgezeichnet.« Der Colonel wandte sich den schriftlichen Berichten und seinen Landkarten zu.

Der Major verließ den Raum mit schwerem Herzen.

EVERGREEN, ALABAMA

Trooper Horace Milbank von der Alabama Highway Patrol hatte seinen Dodge Charger SRT8 rückwärts in einen Forstweg am Rande eines Kiefernwaldes entlang der Interstate 65 manövriert, etwa auf halbem Weg zwischen Montgomery und Mobile. Während er so dasaß, fragte er sich, warum seine Frau einfach nicht verstehen konnte, dass Polizisten sich nur in Gegenwart anderer Polizisten wirklich wohlfühlten. Vor zwei Tagen hatten sie mit ihren Kollegen von der Immobilienfirma gemeinsam zu Abend gegessen: Es war eine Katastrophe gewesen. Er hatte sich betrunken und war ausfallend geworden, als keiner der Weicheier Interesse an seiner Waffensammlung zeigte. Ein anderer Cop hätte die Gelegenheit beim Schopf gepackt und den Typen klargemacht, was einen echten Mann ausmachte. Verdammt, seit drei Monaten hatte niemand aus der Tischrunde ein Haus verkauft, und sie hatten alle seinen Schnaps getrunken. Seine Frau hatte ihn seitdem auf kalten Entzug gesetzt … keine sexuellen Gefälligkeiten mehr. Scheiß drauf!, dachte Milbank. Dann machte er es sich auf dem breiten Vordersitz bequem und lauschte mit halbem Ohr den Funksprüchen, während er den Verkehr aufmerksam beobachtete.

Es handelte sich um einen ruhigen Abschnitt der Interstate, eine jener lang gezogenen Strecken mitten im Nirgendwo, auf denen die Autofahrer oftmals die Geschwindigkeit ihres Wagens aus den Augen verloren. Von seinem Versteck aus konnte Milbank den Verkehr aus beiden Richtungen beobachten. Seit fünf Minuten war aus dem Süden nichts mehr gekommen, zuletzt ein mit Holzstämmen beladener Lkw. Weit entfernt, am äußersten Rand seines Sichtfelds, entdeckte er ein einzelnes helles Licht – ein Motorrad. Es bewegte sich schnell, was den Trooper noch aufmerksamer machte. Er beschloss, den Raser mit der Radarpistole zu messen, und ließ zeitgleich seinen großen V-8-Motor aufheulen, in der Hoffnung, sein Fahrzeug bei einer Verfolgungsjagd einmal richtig ausfahren zu können. Der Staat Alabama hatte schon vor langer Zeit einige Luxus-Sportlimousinen in seinen Fuhrpark aufgenommen, um mit den Boliden der Verkehrssünder mithalten zu können. Die 470 PS des Chargers würden ihn in wenigen Sekunden auf 100 km/h bringen, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 280 km/h. Wenn es zu einer echten Verfolgungsjagd käme, würde Milbank den Kerl im Nu erwischen.

Als das Licht immer näher kam, musste Milbank seinen ersten Eindruck korrigieren. Es war überhaupt kein Motorrad, was da heranbrauste, sondern ein Auto mit einem defekten Scheinwerfer. Als es vorbeifuhr, sah er, dass es einen kleinen, überdachten Anhänger zog. Und der hatte hinten keinerlei Beleuchtung. Was für ein Idiot!