Club der Bartträger - Michael Buzgi Buchacher - E-Book

Club der Bartträger E-Book

Michael Buzgi Buchacher

4,8

Beschreibung

-Der Chef des Roten Kreuzes, der eine fragwürdige Speise für seine Geliebte zubereitet -Der Altbauer, der seinen Nachkommen keinen Leichenschmaus vergönnt -Gespräche zwischen Einhörnchen und Eichhörnchen -Der Pensionistenverein, der seinen Sommerausflug plant -Ein ehemaliger Häftling, der als Kartenabreißer arbeitet -Mitglieder des Kameradschaftsbundes, die sich weigern, rosarote Handschuhe zu tragen ... Sie alle und noch viele andere haben ihren Auftritt in diesem skurril-tragischen Kurzgeschichtenband, bei dem auch der Humor nicht zu kurz kommt. Kurzweilig, spannend und lebendig erzählt. Die Karikaturen stammen von Reini Buchacher.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 127

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
12
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Man sieht es Michael Buchacher alias „Buzgi“ nicht an, welch vielfältigen Talente in ihm schlummern. Sänger und Obmann beim MGV Dellach, Elvis-Interpret, Songwriter, Buchillustrator, Schauspieler, Kabarettist. Und nun zeigt er mit diesem Buch seine schriftstellerischen Fähigkeiten. Schon der Titel „Club der Bartträger“ macht neugierig. Neugierig auf Geschichten in verschiedenen Milieus, Geschichten skurril, makaber, aber auch berührend und immer spannend erzählt.

Das Ende oft verblüffend und überraschend.

In manchen Erzählungen hält er der Gesellschaft spitzbübisch und elegant den Spiegel vor. Vielleicht erkennt sich die Eine oder der Andere wieder? Alle Geschichten ereignen sich ja in Kärnten!

Viel Vergnügen beim Lesen, aber Achtung! Suchtgefahr! Man bekommt von diesen unterhaltsamen Geschichten nicht genug!

Dem ideenreichen Autor und seinem Erstlingswerk viel Erfolg und eine vergnügte Leserschaft!

Theresia Lentsch, Juli 2016

Inhaltsverzeichnis

Abendessen

Affenkäfig

Anonym

Aufgebahrt

Autodrom

Bärbel und Adi

Beichtgeheimnis

Beton

Christkindlmarkt

Club der Bartträger

Dallas

Dames

Der Rasen

Diagnose

Dichter

Eichhörnchen

Einkaufszettel

Eiszeit

Feierabend

Feitelclub

Fortpflanzung

Freie Platzwahl

Früh genug

Frühstück

Gesangsverein

Hüttenwirtin

Impfgegner

Kalbsleber

Kameradschaftsbund

Keller

Kino

Klomuschel

Leichenschmaus

Ministrant

Sommerausflug

Sport

Strafe

Stromausfall

Therme

Tier

Trafikant

Versteck

Verwandtschaft

Wildkamera

Abendessen

„Du hast dich heute wieder einmal selbst übertroffen!“ Erika lobte die Kochkünste ihres Freundes Peter Sangl. Dieser grinste zufrieden. Ja, bei diesem Spezialgericht machte ihm keiner etwas vor. „Irgendwann musst du mir das Rezept verraten.“ Erika hielt das Weinglas zwischen ihren langen Fingern und nippte zufrieden an dem 1975er-Bordeaux. „Das Rezept“, Peters Gesichtszüge wurden nun ernster, „das Rezept nehme ich mit ins Grab.“ Er griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck von diesem vorzüglichen Tropfen, von denen es nur mehr wenige Flaschen weltweit gab. „Und außerdem wirst du die richtigen Zutaten niemals auftreiben können. Du hast nicht die Quellen, die ich habe.“ Erika hatte sich eine solche Antwort erwartet: „Ja, und ich hätte dann ja auch keinen Grund mehr, deine Einladungen anzunehmen, wenn ich das selber so gut kochen könnte“, grinste sie, mit der Gewissheit, dass sie ihren Freund mit der Rezeptfrage immer wieder aufziehen konnte.

„Ach so, du bist also nur wegen des Essens hier?“, flüsterte Peter in Erikas Ohr. Sie bekam eine Gänsehaut, als sie seinen Atem im Nacken spürte. Abrupt unterbrach Peter seinen Annäherungsversuch und stellte sich wie ein Soldat in die Mitte des Esszimmers. „Wollen gnä’ Frau noch ein Stück von diesem köstlichen Auflauf?“ fragte er mit nasaler Stimme, wie er das aus alten Filmen mit Theo Lingen gelernt hatte. „Ja, so ein klitzekleines Stückerl könnens mir noch bringen“, lachte Erika. Blitzartig verschwand Peter Sangl in seiner Küche, um seiner Geliebten noch ein Stück aus dem Backofen zu holen. Bevor er den Nachschlag servierte, setzte er sich noch schnell die Kappe seiner Ausgangsuniform auf den Kopf, denn Erika stand auf Uniformen, das wusste er. Auf den Rest der Rot-Kreuz-Uniform, die er sonst nur bei feierlichen Anlässen trug, verzichtete er. Er würde sie sowieso nicht mehr lange anhaben. „So, bitte sehr, gnä’ Frau, Ihr Nachschlag.“ Er stellte den Teller vor Erika, die schon erwartungsvoll das Besteck in den Händen hielt. „Danke, Herr General!“ Sie wusste genau, dass es beim Roten Kreuz keinen General gab, aber sie liebte es, Peter so anzusprechen, wenn er seine Kopfbedeckung aufhatte. „General gibt’s kan“, grinste Peter und beobachtete Erika beim Verzehr ihres Lieblingsgerichtes.

Das Rezept für den Auflauf mit gebackenem Blut hatte Peter von seiner Mutter geerbt. Nur die Zutatenliste hatte er geringfügig abgeändert. Peter war auf einem Bauernhof aufgewachsen, wo es normal war, alle Teile eines Tieres zu verwerten. Und aus seiner Zeit am Bauernhof stammte auch seine Liebe zur Hausmannskost.

Nachdem Erika den letzten Bissen des Auflaufes verdrückt hatte, geleitete sie der „Herr General“ in seine Schlafgemächer.

Derweil rannen die letzten Tropfen aus den Blutkonservensäcken, die Peter Sangl nach einer Blutspendeaktion abgezweigt hatte. Die Joghurtbecher, die sich auch im gelben Sack befanden, waren bereits rot gesprenkelt.

Affenkäfig

„Ich will aber noch nicht weitergehen!“ Lautstark wehrte sich das Kind gegen die ziehende Hand seiner Mutter. „Schau Mama! Jetzt kommen zwei Junge mit ihrer Mutter!“ „Ja, die waren doch vor zehn Minuten auch schon da“, gähnte diese gelangweilt. „Die haben was zu essen in ihren Händen!“ „Ja, Kekse sind das“, erwiderte die ungeduldige Mutter. „Wer hat denen denn Kekse gegeben? Die sollten lieber Obst essen, das wäre gesünder.“ „Ich habe aber auch schon Junge gesehen, die Bananen gegessen haben“, wusste das Kind zu berichten. „Das glaube ich dir gerne, aber komm jetzt bitte weiter! Vater wird böse, wenn wir zu spät zum Abendessen kommen.“ „Nur noch ein bisschen! Bitte, Mama!“, bettelte das Kind. „OK. Ganz kurz. Ich gehe schon mal voraus.“ Genervt und schwerfällig bewegte sie sich weiter. „Und greif nicht durch die Gitterstäbe!“, rief sie ihrem Nachwuchs noch zu. Doch das Kind hörte diese Worte seiner Mutter nicht mehr. Es hatte schon durch die Stäbe gegriffen und dem verblüfften Menschenkind seine Kekse gestohlen.

Anonym

„Was unser Ziel ist? Ziel gibt es ja eigentlich gar keines“, meinte Albert L. „Wir alle sind an einem Punkt angelangt, wo es darum geht, den Status quo zu erhalten, also keinen Alkohol mehr zu trinken.“

„Das Ziel könnte auch sein, bis zum Lebensende trocken zu bleiben“, warf jetzt Barbara S. in die Runde, was ihr zustimmendes Gemurmel einbrachte.

Zu acht waren sie heute, inklusive dem Kursleiter. Sieben anonyme Alkoholiker und ihr psychologischer Betreuer, Hannes Gradischnig, der auch eine Trinkerkarriere hinter sich hatte. „Wir können uns also darauf einigen“, fuhr Hannes jetzt fort, „dass es unser Ziel sein muss, bis ans Lebensende keinen Tropfen Alkohol mehr anzurühren.“ Hannes wusste wovon er sprach. Begonnen hatte er seine Trinkerei im Alter von 15 Jahren, als er bei einer kleinen Baufirma als Lehrling begonnen hatte. Punkt neun Uhr hatte er da jeden Tag sein erstes Bier mit dem Zollstock geöffnet. Im Alter von 22 Jahren kam dann auch Schnapstee dazu, weil er Magenprobleme bekommen hatte, der Hannes. Heute war er 35 Jahre alt und leitete den Verein der anonymen Alkoholiker. „Wir wollen heute noch über Ersatzbefriedigungen sprechen. Wer von euch mag beginnen und uns darüber erzählen, was er jetzt macht, anstatt Alkohol zu trinken?“

Zögerlich hob Barbara S. die Hand, nachdem sie noch schnell einen Zug von ihrer filterlosen Zigarette gemacht hatte. „Ich trinke halt Kaffee“, meinte sie mit kratziger Stimme. „Schwarz mit Zucker, weil Milch vertrag ich nicht.“ „Aha, sehr gut“, erwiderte Hannes. „Wie viele Schalen trinkst du pro Tag?“ „Zirka 20 werden es schon sein“, antwortete Barbara, nachdem sie noch einmal ihre Zigarette mit zittrigen Fingern zu den Lippen geführt hatte. Die anderen Anonymen nickten zustimmend. „Ich trinke auch mindestens fünfzehn Tassen Kaffee am Tag“, meinte jetzt Albert L.

„Wir sollten aber trotzdem darauf achten“, mischte sich Hannes jetzt wieder ins Gespräch ein, „dass unsere Ersatzbefriedigungen nicht zur Sucht werden. Auch zu viel Kaffee kann den Körper schädigen. Habt ihr es schon einmal mit Sport versucht?“ „Ja, ich geh manchmal spazieren“, meinte Barbara, und hustete in ihren Handrücken. „Das ist ja schon ein Anfang“, lobte jetzt der Hannes. Bei sich dachte er, dass es für das fette asoziale Stück sowieso keine Rettung mehr geben würde. Lächelnd sah er auf die Wanduhr und beendete die wöchentliche Zusammenkunft der anonymen Alkoholiker. „Bleibt trocken!“, gab er ihnen noch mit auf den Weg.

Nachdem der letzte anonyme Alkoholiker den Raum verlassen hatte, schloss er die Eingangstüre ab und ging in den kleinen Aufenthaltsraum, der neben den WC-Anlagen untergebracht war. Aus dem Kühlschrank holte er sich etwas zu trinken und setzte sich an den Bistrotisch. Es war die Zeit für Veränderungen gekommen. „Zisch! Klack!“, machte die Diskonterbierdose. Zufrieden leerte sich Hannes G. das Getränk in die Kehle.

Aufgebahrt

„Gegrüßet seist du, Maria…“

Franz Steinwenders Leichnam lag zwischen umgeworfenen Blumenvasen, aus denen stinkendes Wasser rann. Die Pendeluhr an der Wand zeigte schon seit zweieinhalb Tagen die gleiche Uhrzeit an. Man hatte sie, als der alte Franz für tot erklärt worden war, angehalten.

Es war Winter. Jeden Tag wurde Feuer im Ofen gemacht, um das alte Bauernhaus nicht auskühlen zu lassen. Es waren ja jetzt jeden Tag Menschen da, die für Franz beteten. Franz’ Leben hatte vor zwei Tagen ein abruptes Ende genommen, als er beim Streichen der Untersicht des Dachstuhles das Gleichgewicht verlor. Von fünf Metern Höhe war er auf den Jauchengrubendeckel gefallen. Franz war immerhin 73 Jahre alt geworden. Geregelt hatte er bis zu seinem Tod jedoch nichts. Keine Hofübergabe, kein Testament.

„…voll der Gnade, der Herr ist mit dir…“

Der Leichnam hatte sich bereits verfärbt und verströmte einen üblen Geruch. Das Bukett vom Gulasch, das bei Aufbahrungen traditionell zubereitet wurde, wurde immer mehr vom Odeur des Alten übertüncht. Da nutzte auch der Weihrauch, den seine Witwe fleißig einsetzte, nichts. Irgendwie war der Geruch nur durch Schnaps zu ertragen. Und der war ja zu Hauf vorhanden, denn sämtliche Obstsorten, die im Garten wuchsen, wurden zu Maische und anschließend zu Hochprozentigem verarbeitet.

„…du bist gebenedeit unter den Weibern…“

Franz hatte drei Söhne. Franz, Edmund und Viktor. Und jeder der drei wollte nun das Erbe für sich beanspruchen. 21 Hektar Wiesen und acht Hektar Wald umfassten das Anwesen. Als am Beerdigungstag der Schnapspegel der drei seinen Höhepunkt erreichte, eskalierte die Lage.

„…und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus…“

Aus einem anfänglichen Streit in der Küche erwuchs bald ein Raufhandel, bei dem der halbvolle Gulaschtopf auf dem Boden landete. Sofort waren zwei Schwestern des Verblichenen herbeigeeilt und hatten ihre besoffenen Neffen aus der Küche verbannt. Unterdessen beteten die Nachbarn in der Stube immer noch brav den Rosenkranz.

„…der du für uns gegeißelt worden bist…“

Doch mit dem Hinauswerfen aus der Küche war es für die benebelten Brüder nicht getan. Sie zankten sich im Vorzimmer weiter und verlegten ihren Streit bald in die überheizte Stube, wo der alte Vater auf der Bahre lag.

„…heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder…“

Die Nachbarn, die sich Taschentücher vor die Nase haltend, aufgefädelt auf der Ofenbank saßen, trauten sich nicht einzugreifen, nur zu bekannt waren die Steinwenderbrüder für ihre Fäuste, die sie im Suff häufig sprechen ließen. Brav beteten sie weiter. Sogar als der Leichnam zwischen Nelken und Blumenwasser auf dem Boden lag, wagten sie es nicht aufzuhören.

„…jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.“

Autodrom

So ein Jahr verging doch wie im Fluge. Kurz bevor sie sich in die Winterpause verabschiedete, kam Familie Pöchtl mit ihrem Autodrom wieder einmal nach Kötschach. Sehr zum Gaudium der jungen Bevölkerung der kleinen Marktgemeinde am oberen Ende des Gailtales. Kaum jemand hier hatte die Möglichkeit, mit seinen Kindern nach Wien in den Prater zu fahren. Das Allerhöchste war ein Ausflug zum Villacher Kirchtag, wo es auch einen Vergnügungspark gab. Doch die meisten Eltern weigerten sich dort hinzufahren, ob der „Walischen Invasion“, die dort herrschte. Tausende, bis an den Rand mit Alkohol abgefüllte Italiener bevölkerten zur Zeit des Kirchtages die Villacher Innenstadt. Da war es einfacher, einmal im Jahr mit dem Nachwuchs nach Kötschach zum Bahnhof zu spazieren. Der Termin war immer der gleiche, die vorletzte Woche im Oktober. Danach verabschiedete sich die Familie Pöchtl, die über den Sommer wahrlich genug zu tun hatte mit den ganzen Wiesenmärkten und Kirchtagen, in die wohlverdiente Winterpause. Da standen dann zwei Monate in Wien und zwei Monate Gran Canaria auf dem Programm, bevor es mit den Frühlingsmessen wieder etwas zu tun gab.

Es war wieder einmal die vorletzte Woche im Oktober und hinter der Autodromkassa saß, so wie jedes Jahr, die Hanni, sehr zur Freude der jungen Väter, die mit ihren Kindern kamen. Hanni war 23 Jahre alt und ein Bild von einer Frau. Sie hatte lange, schwarze Haare und rehbraune Augen, als wäre sie direkt dem Lied der „Kasermandln“ entsprungen. Armin, ein braver Familienvater aus dem Oberörtl, hatte sich im Vorjahr, anstatt zur Gesangsprobe zu gehen, heimlich mit ihr getroffen, hinter dem Bahnhofsgebäude – da, wo früher, als man noch mit Koks geheizt hatte in Kötschach, die Kohlewagen entladen wurden. Sie saßen da und tranken Dosenbier, bis es dann, wohl der ewigen Weltenbummlerei und der daraus resultierenden sexuellen Abstinenz von Hanni geschuldet, zum Unweigerlichen kam. Nur mühsam hatte Armin bei der Heimkehr seinen schwarzen Hintern vor seiner Frau verbergen können, ehe er nach der „Gesangsprobe“unter die Dusche stieg.

Die beiden hatten danach nicht einmal die Telefonnummern ausgetauscht, auch wusste Hanni den Nachnamen von Armin nicht. Zwei Tage später war ihre Familie in die Winterpause gefahren, so wie jedes Jahr.

Nun, ein Jahr später, am ersten Tag ihres diesjährigen Aufenthaltes in Kötschach, stand Armin wieder da, vor ihrem Kassenhaus, die beiden nun schon etwas größeren Kinder im Schlepptau, um Jetons für die Autodromfahrzeuge zu kaufen.

Ihre Blicke trafen sich. Hanni lächelte ihr unwiderstehliches Lächeln und drehte sich nach hinten, wo in einem Kinderwagen ein blondes, blauäugiges Baby lag. Anstatt der Jetons reichte Hanni dem verwirrten, blonden und blauäugigen Armin ein Formular durch die ovale Jetonsdurchreiche: „Freiwillige Anerkennung der Vaterschaft“, stand da zu lesen. Armin dachte daran, dass er wohl morgen zur Bank gehen würde, um einen Dauerabbuchungsauftrag von seinem Konto einzurichten.

Bärbel und Adi

Er war zu früh auf die Welt gekommen, der Adi. Und die Bärbel zu spät. Der Adi wurde 1942 geboren, deswegen wurde ihm, als Ehrerbietung für den großen Führer, der Name Adolf verpasst. Heimaturlaub hatte sein Vater damals gehabt, als er gezeugt wurde, der Adi. Nach dem Krieg kam sein Vater erst im Jahr 1955 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Als einer der Letzten, die es lebend aus Russland nach Hause geschafft hatten. Ein Jahr nach seiner Rückkehr kam dann die Bärbel zur Welt. Zu spät. Vater und Mutter waren da schon an die fünfzig Jahre alt. Deswegen, sagten die Leute im Dorf, ist die Bärbel ein wenig einfältig geraten. Sie sprach so schnell und undeutlich, dass nur der Adi sie verstehen konnte. „Wenn man ihr eine Arbeit ansagt, bleibt sie dabei, sie ist eine Brave, die Bärbel“, pflegte der Adi immer zu sagen.

Beide sind ledig geblieben. Der Adi, weil er sich immer um seine Schwester gekümmert hat und ihn keine Frau haben wollte, mit diesem lästigen Anhängsel. Die Bärbel hat keiner genommen, weil mit ihr nichts anzufangen gewesen war. Dabei hätte sie doch brav gearbeitet. Nicht einmal der einfältige Bergbauer vom Lorenziberg erbarmte sich ihrer, obwohl die Bärbel Gefallen an ihm gefunden hatte.

So wohnten Bruder und Schwester in ihrem kleinen Häuschen in der Dorfmitte. Die in die Jahre gekommene Bärbel in ein Heim zu geben, kam für den Adi niemals in Frage. Die Bärbel wurde von Jahr zu Jahr immer einfältiger, da ihr ganz einfach ein anderer Gesprächspartner als der Adi fehlte. Der Adi war nie der große Redner gewesen. Im Alter sprach er aber noch weniger. Anfangs redete die Bärbel alleine, schnell und undeutlich, wie es ihre Art war, bis auch sie schließlich verstummte. So lebten sie nebeneinander her und verstanden sich auch, ohne große Reden zu schwingen.