Codename: Hacker - Sawyer Bennett - E-Book

Codename: Hacker E-Book

Sawyer Bennett

5,0

Beschreibung

Ich bin nicht mehr die Bebe Grimshaw von einst - die Frau, die jahrelang hinter den Gittern eines Hochsicherheitsgefängnisses verbrachte, weil sie im Auftrag eines Verbrechersyndikats Abschusscodes für Atomwaffen gestohlen hat. Aus heutiger Sicht bereue ich weder, was ich getan habe, noch dass ich geschnappt wurde, und doch bedaure ich die Jahre, die ich nicht mit meinem Sohn Aaron verbringen konnte. Mithilfe von Kynan McGrath wurde ich frühzeitig entlassen und trat seinem Team bei der Jameson Force Security Group bei. Heute setze ich meine Fähigkeiten dazu ein, anderen Menschen zu helfen. Ich versuche nur, die verlorene Zeit wiedergutzumachen, und konzentriere mich auf meine Arbeit bei Jameson sowie darauf, Aaron großzuziehen. Solange ich meinen Sohn und meine Karriere habe, bin ich zufrieden. Doch das Leben hat so seine Art, einem zu zeigen, was man braucht, und als ein unglaublich attraktiver Fremder namens Griffin sich im Park mit Aaron anfreundet, muss ich mich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass mir etwas fehlt. Ein leidenschaftlicher Teil von mir, der vor langer Zeit weggesperrt wurde, erwacht zu neuem Leben, und ich betrachte Griff auf eine Weise, wie ich seit über zehn Jahren keinen Mann mehr angesehen habe. Gerade als ich glaube, dass die Dinge sich zum Guten wenden, wird mein Leben erneut auf den Kopf gestellt. Wie sich herausstellt, war die Begegnung mit Griff kein Zufall, denn er ist der Mann, der geschickt wurde, um mich zu töten. Teil 4 der Jameson Force Security Group-Reihe von New York Times-Bestsellerautorin Sawyer Bennett.

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Sawyer Bennett

Codename: Hacker (Jameson Force Security Group Teil 4)

© 2020 by Sawyer Bennett

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe und

Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Englischer Originaltitel: »Code Name: Hacker (Jameson Force Security Book 4)«

Deutsche Übersetzung: Ute Heinzel für Daniela Mansfield Translations 2020

Covergestaltung: © Mia Schulte/Sabrina Dahlenburg

Coverfoto: © Shutterstock

ISBN eBook: 978-3-86495-469-6

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-470-2

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Inhalt

Copyright

Ebenfalls von Sawyer Bennett

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Biografie

Kapitel 1

Griffin

Obwohl der Mond am vollsten ist und am hellsten strahlt, sind dennoch ausreichend Wolken vorhanden, die mich verdecken, um am Waldrand hinter dem Haus der Frau zu stehen, ohne gesehen zu werden. Sie lebt etwa dreißig Kilometer nördlich von Pittsburgh in einer kleinen Stadt namens Cranberry.

Ich habe ein wenig über sie herausgefunden, da ich sie einige Tage lang beobachtet habe. Ihr Zuhause ist nicht bescheiden. Cranberry ist nicht so drollig, wie der Name vermuten lässt, sondern wohlhabend. Bei ihrem Haus handelt es sich um eine dreihundertsiebzig Quadratmeter große Wohnstätte, vollständig aus grauen Ziegelsteinen erbaut, mit cremefarbenen Fensterläden und einem manikürten Rasen. Der vorstädtische Lebensstil passt nicht zu ihrem Beruf, von dem ich noch nicht so recht herausgefunden habe, worum es sich handelt. Als ich ihr zur Arbeit gefolgt bin, verschwand sie in einem leer stehenden Lagerhaus in einem heruntergekommenen Teil von Pittsburgh, wo sie sich bis zu ihrer abendlichen Heimfahrt aufhielt.

Jetzt befindet sie sich in ihrer Küche, das Fenster geht hinaus in den Garten. Darin steht ein riesengroßer Spielturm mit einer Rutsche, Schaukeln, einer Burg und Kletterwand. Ihr Sohn ist zu alt dafür und benutzt ihn nie. Er stapft jedoch gern durch den Wald. Sein Pfad führt hinunter zu einem kleinen Bach, wo er beherzt versucht, Fische zu fangen, doch er bleibt mit leeren Händen zurück, weil er nicht weiß, was er tut. Ganz offensichtlich braucht er jemanden, der ihm das ein oder andere beibringt.

Ich betrachte mir die Frau genau und frage mich, wie jemand so Hübsches in so ein schlimmes Chaos geraten konnte. Sie ist zierlich, beinahe zerbrechlich, mit einer vorzüglichen Knochenstruktur. Ihr Haar ist so schwarz, dass es in der Küchenbeleuchtung fast schon bläulich schillert. Die genaue Farbe ihrer Augen ist aus dieser Entfernung zwar nicht zu erkennen, doch im Gegensatz zu ihrem dunklen Haar sind sie hell. Es lässt sie beinahe himmlisch erscheinen. Verglichen mit den Tätowierungen, die sie auf ihren Armen trägt, fügt es ein Element der Härte hinzu in dem, wie sie sich gibt. Ein Rückgrat aus Stahl, so würde ich es beschreiben.

Sie ist auch an anderen Stellen tätowiert – Rippen, Beine und Rücken. Ich weiß das jedoch nicht, weil ich sie beobachte.

Es steht in der Akte, die sich in meinem Hotelzimmer befindet.

Als ich sie von meinem Boss erhielt, war sie ziemlich dünn und enthielt ein Foto, das der Frau, die ich jetzt sehe, nicht einmal annähernd ähnelt. Sie war jung, mit extrem kurz geschnittenen, blond gefärbten Haaren, aber sie hat eins dieser Gesichter, die für diese Frisur gemacht sind. Es gab sogar einen Diamantstecker in ihrer Nase, einen Ring in ihrer Lippe und einen Stab durch eine der Augenbrauen.

Blau. Ein blasses Eisblau ist die tatsächliche Farbe ihrer Augen. Ich kann sie im Schutz der Nacht nicht unbedingt erkennen, aber auf diesem Foto waren sie strahlend.

Es handelte sich zweifellos um ein Gefängnisfoto und direkt darunter war eine Liste ihrer Tätowierungen mit weiteren Nahaufnahmen angeheftet. Diese waren dazu gedacht, sie zu identifizieren.

Mir wurde ihr Name mitgeteilt, der Bebe Grimshaw lautet – offiziell ist sie bekannt als Brianna Belle Grimshaw –, und gesagt, ich solle sie finden. Mein Boss hatte durch sein Untergrund-Netzwerk von Schwarzmarktkontakten gehört, dass sie sich in der Gegend um Pittsburgh aufhält. Nach etwas Recherche habe ich sie über ihren Grundsteuereintrag hier in Cranberry gefunden.

Ich bin nicht die Art Angestellter – Verbrecher, Leibwächter, gemietete Hilfe oder was auch immer –, der einen halbherzigen Job macht. Ich habe die Akte, die mir gegeben wurde, mit meinen eigenen Nachforschungen ausgearbeitet. Es stellt sich heraus, dass Bebe Grimshaw eine buntere Vergangenheit hat, als ich mir je hätte vorstellen können.

Vor etwa acht Jahren bekannte sie sich der Anklage wegen Cyber-Spionage schuldig, die die Bundesregierung gegen sie erhoben hatte. Scheint ganz so, als wäre die kleine heimatlose Fee unfassbar talentiert, wenn es ums Hacken geht, denn es gelang ihr, Abschusscodes für Atomwaffen zu stehlen, die wiederum an die Chinesen verkauft werden sollten. Das macht sie zwar weitaus interessanter als eine alleinerziehende Mutter eines kleinen Jungen, die mit ihrer eigenen Mutter zusammenlebt, mich interessiert aber eigentlich, warum sie sich weigerte, irgendeinen ihrer Mitverschworenen namentlich zu nennen und die einzige Person war, die für dieses Verbrechen den Kopf hingehalten hat.

Sie wurde zu fünfunddreißig Jahren Gefängnis verurteilt.

Die meisten würden sich fragen, wie um alles in der Welt es möglich ist, dass sie nun ein ruhiges Leben in Cranberry, Pennsylvania führt, aber ich bin mir ziemlich sicher, die Antwort zu kennen.

Angesichts der Dinge, die ich während der letzten zwei Jahre, die ich nun schon für meinen Boss arbeite, gesehen habe, nehme ich stark an, dass er in den Abschusscode-Hack verwickelt war.

Als würde der Gedanke an den Mann ihn in die Realität transportieren, fängt das Telefon in meiner Tasche an zu vibrieren. Ich trete einige Meter hinter die Baumgrenze zurück, bevor ich dem Grimshaw-Haus den Rücken zuwende, damit das Leuchten meines Mobiltelefons nicht Bebes Aufmerksamkeit erregt, während sie den Abwasch vom Abendessen erledigt.

Der Name des Mannes ist in meinen Kontakten einfach nur als AB abgespeichert, was für Anatoly Bogachev steht. Trotz seiner russischen Wurzeln wuchs er in Brighton Beach in Brooklyn auf und hat in seinem Akzent keinerlei erkennbare Spuren der Sprache seines Mutterlandes.

Er verschwendet keine Zeit mit Förmlichkeiten, als ich den Anruf annehme. »Hast du sie gefunden?«

Obwohl ich sie bereits vor drei Tagen ausfindig gemacht habe, lüge ich. »Erst heute.«

»Und?«, bohrt er nach.

»Sie hält sich in einer kleinen Stadt namens Cranberry auf, nördlich von Pittsburgh.« Weiter sage ich nichts.

Anatoly schweigt kurz, dann treffen mich seine nächsten Worte unvorbereitet. »Bring sie um.«

»Ich soll sie umbringen?«, wiederhole ich.

»Ja, ja!«, ruft er ungeduldig. »Schaff sie aus dem Weg.«

»Wann?«

»Jetzt!«, fährt er mich an. »Erledige es und komm zurück nach New York.«

Ich knirsche mit den Zähnen. Manchmal verhält er sich wie ein übergroßes Kind, obwohl wir beide fünfunddreißig sind. »Ich brauche Zeit, um das zu planen, damit es sauber ausgeführt werden kann, ohne den Verdacht auf mich, oder viel wichtiger, auf dich zu lenken. Ich werde sie eine Weile beobachten müssen, um ihre Routine herauszufinden. Mir überlegen, wie ich es tun werde. Wo ich sie entsorgen kann.«

»Von mir aus kannst du sie in den verdammten Allegheny River werfen«, knurrt er. Ich kann mir gerade deutlich vorstellen, wie er mit geballten Fäusten vor dem Schreibtisch in seinem Büro auf und ab geht und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ich seine Drecksarbeit erledige. Während der letzten zwei Jahre habe ich ihn sehr gut kennengelernt.

Ich atme tief ein, dann lasse ich die Luft langsam wieder entweichen. »Ich bin dein Mann, Anatoly. Ich kann es tun, aber du musst mir die notwendige Zeit geben, um es ordentlich durchzuführen. Ich werde ganz sicher nicht wegen irgendeines Weibsstücks in den Knast gehen, das dir das Herz gebrochen hat und du jetzt kaltgemacht haben willst.«

Anatoly schnauzt mich an. »Pass auf, was du sagst, Griffin.«

Auf mein eigenes Risiko ignoriere ich seine Warnung. Anatoly Bogachev ist extrem sprunghaft und gefährlich. »Ich brauche mindestens ein paar Wochen. Sie wird ja nicht verschwinden. Ich werde sie ganz genau beobachten. Sobald ich alles über sie herausgefunden habe, werde ich sie in einer Art und Weise aus dem Weg schaffen können, der für uns alle am sichersten ist.«

»Na schön«, murmelt er, »du hast zwei Wochen.«

»Danke«, antworte ich leise, denn ich weiß, er zieht es vor, mit Ehrfurcht angesprochen zu werden, weil es sein Ego streichelt.

»Und sie hat mir nicht das Herz gebrochen«, fügt er schroff hinzu. »Aber sie ist eine gefährliche Bürde, und das ist alles, was du wissen musst.«

»Ich werde mich darum kümmern«, versichere ich ihm.

Als Antwort beendet er die Verbindung.

Der Countdown beginnt.

***

Ich lehne mich gegen das Kopfende meines Hotelbettes, falte die Hände über dem Bauch und denke nach. Es ist nicht schwer, die Sache zu durchschauen. Anatoly will Bebe Grimshaw tot sehen. Vor etwa acht Jahren wurde sie wegen eines Verbrechens zu fünfunddreißig Jahren Haft verurteilt und hat sich geweigert, ihre Mitverschworenen zu nennen. Jetzt ist sie in Freiheit, lange bevor sie eine Bewährungsstrafe hätte beantragen können, und ich muss immer noch herausfinden, wie sie das geschafft hat.

Anatoly weiß, dass sie früher als überhaupt möglich aus dem Gefängnis freigekommen ist, und möchte nicht, dass sich ganz plötzlich ihr Gewissen zu Wort meldet.

Aber warum hält sie sich in West-Pennsylvania auf, wo sie ihre Wurzeln doch in Ohio hat?

Ich denke über ihre Handlungen der letzten Tage nach, in denen ich ihr gefolgt bin. Ich bin mit meiner Harley von New York hierhergefahren, weil das Wetter für Ende September fantastisch war, habe mir danach jedoch einen Wagen gemietet. Die Auspuffe an meiner Harley sind viel zu laut, um unauffällig zu sein.

Mir fiel jedoch auf, wie vorsichtig Bebe ist. Es macht sich darin bemerkbar, wie sie sich ständig umsieht, wenn sie draußen unterwegs ist. Sie nimmt verschiedene Wege in die Stadt, wenn sie zur Arbeit fährt, und sie trägt eine Pistole in ihrer Handtasche. Durch ihre Fenster habe ich gesehen, wie sie sie abends herausnimmt, bevor sie zu Bett geht. Lange nachdem ihre Mutter und ihr Sohn schlafen gegangen sind, nimmt sie die Waffe und geht mit ihr in den ersten Stock, wo ich mir vorstelle, dass sie sie unter ihr Kopfkissen oder auf den Nachttisch legt.

Sie hat Angst, dass irgendjemand sie verfolgt.

Ich wette, bei diesem Jemand handelt es sich um Anatoly.

Aber trotzdem … wie zur Hölle hat sie es geschafft, aus dem Gefängnis freizukommen? Sie hat ein schweres Verbrechen begangen. Trotzdem ist sie hier und führt ein Leben in Freiheit, bevor sie ihre Strafe abgesessen hat.

Und womit um alles in der Welt verdient sie ihr Geld?

Als ich ihr an diesem ersten Tag in die Stadt gefolgt bin, erschrak ich, als sie immer weiter in den zwielichtigen Teil hineinfuhr, bis sie schließlich in der Tiefgarage eines verlassenen Lagerhauses verschwand.

Nur … es war nicht verlassen. Neben dem Rolltor aus Stahl befand sich ein Kasten, in den sie hineinblickte und von dem ich mir sicher bin, dass er ihre Netzhaut gescannt hat. Wenn das der Fall ist, ist sie wieder einmal in irgendeinen hochtechnologischen Scheiß involviert. Möglicherweise eine andere Hacker-Gruppe?

Anatoly leitet ein kriminelles Syndikat, das frei unter dem Namen Kobaloi bekannt ist. Sein familiärer Hintergrund liegt in der russischen Mafia, aber über die Jahre – weil er unglaublich schlau ist – hat er sich mehr und mehr den Black-Hat-Verbrechen verschrieben. Es ist ein Mittel, um Einzelpersonen und Organisationen für einen finanziellen Profit zu hacken. Das ist weitaus lukrativer als die Mafiaarbeit, bei der im Grunde genommen die weniger Wohlhabenden gemolken werden, um das Geld die Nahrungskette aufwärts zu schleusen und Geldwäsche zu betreiben. Ich bin einer von einer Handvoll angeheuerten Leuten, die er für jeden nur erdenklichen Job einsetzt, hauptsächlich aber zum Schutz.

Mafiapolitik ist extrem gefährlich und es gibt sehr viele Menschen, die Anatoly hassen.

Ich lenke meine Gedanken wieder auf das Lagerhaus. Dann greife ich mir meinen Laptop, der neben mir auf der Matratze steht, und schalte ihn ein. Google ist mein Freund und ich beginne, durch seine trüben Informationswasser zu waten.

Nach etwa einer Stunde der intensiven Suche und Bestätigung von Ahnungen habe ich es geschafft herauszufinden, wem dieses Gebäude eventuell gehören könnte. Es ist unter drei Schichten kommerziellen Besitzes vergraben, aber irgendwann stolpere ich über den Namen Joslyn Meyers.

Selbstverständlich weiß jeder, der irgendetwas auf sich hält, wer sie ist. Sie ist eine unglaublich talentierte Schauspielerin und Sängerin, die zahlreiche Auszeichnungen gewonnen hat. Ich denke, es könnte ein Argument dafür geben, dass es sich bei dem Lagerhaus tatsächlich um ein geheimes Tonstudio oder etwas in der Art handelt, aber ich verwerfe diese Idee sofort wieder. Auf keinen Fall wäre es mit einer Sicherheitsvorrichtung ausgestattet, die einen Netzhautscan beinhaltet. So wertvoll ist Musik nicht.

Ich tauche erneut in Google ein, um weitere Artikel zu lesen. Ein paar weitere Suchen enthüllen, dass Joslyn Meyers nun mit einem Mann namens Kynan McGrath verheiratet ist, und über ihn gibt es einen ganzen Haufen an Informationen. Brite, ehemaliger Royal Marine und derzeitiger Inhaber von Jameson Force Security – ein großes privates Sicherheitsunternehmen. Sieht so aus, als hätte es seinen Ursprung in Las Vegas und seinen Firmensitz nun in Pittsburgh. Die Webseite ist elegant, aber zu vage, um mir die Antworten zu geben, die ich brauche. Es steht dort sehr viel gut formulierter Mist über hochwertige Sicherheitsdienstleistungen, aber das Fehlen von echten Informationen lässt mich glauben, dass die Arbeit, die das Unternehmen ausführt, weitgehend inoffiziell ist. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um Auftragsarbeiten für unsere Regierung, die sie wegen politischer Beschränkungen nicht selbst übernehmen kann.

Wie dem auch sei, das ergibt ein wenig mehr Sinn. Vermutlich hackt Bebe nun für die guten Leute. Zumindest vermute ich das, wenn ich mir ihr Talent betrachte. Seien wir doch ehrlich, sie kann kein Dummchen sein, wenn es ihr möglich war, amerikanische Abschusscodes zu hacken.

Das bedeutet, sie steht wahrscheinlich unter weitaus größerem Schutz, als ich bisher angenommen habe. Und ich verstehe ebenfalls, warum sie vorsichtig ist.

Ich bin erleichtert, dass Anatoly mir zwei Wochen Zeit gegeben hat. Das hier ist nichts, bei dem ich überstürzt handeln kann.

Ich stelle den Laptop zur Seite und verschränke die Hände hinter dem Kopf. Während ich an die Decke starre, denke ich über die wenigen Orte nach, die Bebe in den letzten paar Tagen besucht hat – der Weg zur Arbeit und wieder zurück, der Supermarkt und die Schule ihres Sohnes, um ihn abzuholen. Jeden Tag nach der Schule geht sie mit ihm in den Park, um mit ihm Football zu spielen. Es ist süß, die beiden zusammen zu beobachten. Dieses Kind ist ganz jetzt offensichtlich ihre Welt.

Soweit ich es beurteilen kann, ist es mein einziger Anhaltspunkt, um mich ihr anzunähern.

Das Kind meine ich.

Kapitel 2

Bebe

»Aaron«, rufe ich aus der Küche, drehe den Kopf aber in Richtung Flur, weil ich hoffe, dass meine Stimme die Treppe hinaufdringt. »Wir müssen los. Sonst kommst du zu spät zur Schule.«

»Du musst eine Gegensprechanlage installieren«, schlägt meine Mutter vor, die mit einer Tasse Tee am Küchentisch sitzt.

»Ich werde kein Geld ausgeben, um eine Gegensprechanlage zu installieren«, brumme ich. »Nicht solange ich perfekt funktionierende Stimmbänder habe.«

»Er hört Musik in seinem Zimmer.« Sie nimmt ihre Tasse und schaut mich über den Rand hinweg an, als würde das ihren Worten mehr Autorität verleihen. »Er kann dich nicht hören.«

»Aaron!«, rufe ich lauter. Meine Mutter zuckt zusammen. Schulterzuckend stecke ich das Truthahn-Sandwich, das ich für meinen Sohn zubereitet habe, in einen Plastikbeutel und werfe es in seine Brotbüchse. Im stolzen Alter von zehn behauptete er beharrlich, er könne nicht länger mit einer Superhelden-Butterbrotdose in die Schule gehen, und bat stattdessen darum, eine schlichte, schwarze Isoliertasche von L.L.Bean zu bekommen. Mein Kind wird groß. Ich habe viel zu viel von seiner Kindheit verpasst, weil ich die Superheldenjahre im Gefängnis verbracht habe.

Als ich den Kühlschrank öffne, um einen Apfel herauszunehmen und ihn dazuzulegen, frage ich meine Mutter: »Bist du dir sicher, dass ich dich nicht zum Arzt fahren soll?«

»Es geht mir ausgezeichnet«, antwortet sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, bevor sie vorsichtig einen Schluck von ihrem Tee nimmt. »Abgesehen davon … es ist bloß eine Routineuntersuchung.«

Es ist vielleicht nur ein normaler Arzttermin, aber mir sind mit meiner Mutter ebenfalls sehr viele Jahre entgangen. Während ich meine Strafe in einem Hochsicherheitsgefängnis in Fort Worth, Texas abgesessen habe, mühte sich meine Mutter damit ab, Aaron großzuziehen, und kämpfte gleichzeitig gegen ihren Diabetes in seiner schlimmsten Form. Sie konnte nicht arbeiten und es dauerte Jahre, bis sie dazu berechtigt war, Sozialhilfe zu empfangen. Während dieser Zeit litten sie und Aaron darunter, nicht genügend Geld zu haben, um mehr zu tun, als sich lediglich zu ernähren.

»Okay«, sage ich, aber dann blicke ich sie auf meine eigene Weise durchdringend an. »Wenn du es dir anders überlegst, brauchst du mich nur anzurufen. Ich werde etwa fünfundvierzig Minuten Vorlauf brauchen, aber dann kann ich zurückfahren und dich bringen.«

»Hör auf, so einen Wirbel zu machen«, sagt sie mit ernstem Ausdruck, aber in ihrer Stimme schwingt sehr viel Liebe mit. Sie versteht, dass ich diese Dinge eine Zeit lang tun muss. Ich habe das Gefühl, so viel kompensieren zu müssen, obwohl meine Mutter mich nicht ein einziges Mal für den Schlamassel verantwortlich gemacht hat, in den ich mich selbst gebracht habe, oder wegen der Nachteile, die meinem Sohn deswegen entstanden sind.

Sie hat mich immer bedingungslos geliebt. Das hat den Unterschied gemacht und mir die Fähigkeit gegeben, mich wieder in ein mehr oder weniger normales Leben zu integrieren.

»Na schön«, ziehe ich die Worte in die Länge und lächele keck. »Dann höre ich mit dem Wirbel eben auf.« Doch dann hole ich tief Luft und brülle: »Aaron … komm schon! Wir sind spät dran.«

»Er kann dich nicht hören«, sagt sie noch einmal und schaut mich weise an. »Er hört seine Musik.«

Mit einem frustrierten Seufzer lege ich den Apfel in seine Isoliertasche und stapfe aus der Küche, während ich brumme: »Ich hätte nie ein Haus von dieser Größe kaufen sollen. Wir brauchen sowieso nur die Hälfte des Platzes. Dann würde er mich sehr gut hören können.«

Aber als ich die Treppe hinaufgehe, weiß ich, dass ich mich bei der Wahl zwischen diesem und einem kleineren Haus trotzdem für dieses entschieden hätte. Ich wollte Aaron und meiner Mutter einen hübschen Ort zum Leben bieten, ganz besonders nachdem sie meinetwegen durch die Hölle gegangen sind. Ich muss die Tatsache kompensieren, dass ich sieben lange Jahre nicht da war. Als ich zu der Gefängnisstrafe verurteilt wurde, war Aaron drei Jahre alt. Ich werde nie erfahren, wie schwer es für ihn war, weil ich nicht ertragen konnte, darüber nachzudenken. So oft es meiner Mutter möglich war, brachte sie ihn mit, wenn sie mich in Texas besuchte, aber das Geld war knapp, deshalb reichte es oftmals nicht aus. Für gewöhnlich wurden die Besuche dank der Großzügigkeit von Familienmitgliedern organisiert, die zusammenlegten, damit meine Mutter und mein Sohn den langen Weg von Ohio auf sich nehmen konnten. Abgesehen davon musste ich mich mit Telefonanrufen begnügen, um zu versuchen, irgendeine Beziehung zu meinem Sohn aufzubauen. Als er anfing, zu lesen und zu schreiben, kommunizierten wir über Briefe, aber das war eine furchtbare Art und Weise, um eine Mutter-Sohn-Beziehung zu führen.

Ich kann mich jedoch glücklich schätzen. Mein Sohn ist das großartigste Kind auf der ganzen Welt. Er ist sehr klug und für sein Alter unheimlich weise, und er hat Verständnis für die schreckliche Situation, in die ich mich hineingebracht habe.

Ja, es war mehr als verwerflich, dass ich überhaupt in diese Black-Hat-Hackergruppe hineingeraten bin. Ich hätte mich nicht der verbrecherischen Arbeit zuwenden sollen, um als frischgebackene Mutter, die das College geschmissen hat, über die Runden zu kommen, während ich gleichzeitig versuchte, meine kranke Mutter zu pflegen.

Aber dann steckte ich irgendwann zu tief drin. Die Dinge, die ich tun sollte, wurden immer komplexer, was wiederum bedeutete, dass das Risiko viel zu hoch war. Als ich versuchte, mich zurückzuziehen, wurde ich nur allzu deutlich daran erinnert, dass ich nirgendwo hingehen würde. Ich gehörte für immer ihnen. Die Versicherung, die sie besaßen, um mich zum Bleiben zu überzeugen und wie eine brave, kleine Hackerin zu verhalten, war mein Sohn Aaron. Die Drohung war klar und unmissverständlich … ich hatte das zu tun, was mir aufgetragen wurde, oder Aaron würde sterben.

So einfach war das.

Der einzige Weg, mich aus der Situation zu befreien, bestand darin, mich schnappen zu lassen. Ich wurde damit beauftragt, das komplexe Firmengerüst unserer Regierung zu hacken, um Abschusscodes für Atomwaffen zu stehlen. Es war der Hack aller Hacks, durch den ich mich zu einer Legende machte und gleichzeitig mein Leben verdammte. Ich hätte die Codes nicht aus den Händen gegeben. Ich konnte nicht guten Gewissens das Leben anderer Menschen aufs Spiel setzen. Abgesehen davon … ich liebe mein Land.

Deshalb habe ich mich absichtlich erwischen lassen. Wenn ich ins Gefängnis gehen würde, hoffte ich, dass ich damit zumindest eine Zeit lang nicht mehr in den Fängen der Organisation wäre, für die ich arbeitete, während Aaron und meine Mutter frei von meinen Sünden wären.

Ich hätte am Boden zerstört gewesen sein sollen, als ich zu fünfunddreißig Jahren Gefängnis verurteilt wurde, aber das gelang mir nicht. Die Erleichterung darüber, mir keine Sorgen mehr machen zu müssen, dass Aarons Leben in Gefahr war, war zu groß. Das machte es mir einfach, meine Zeit mit einem reinen Gewissen abzusitzen.

Nachdem ich im oberen Stockwerk angekommen bin, halte ich kurz an und schaue über das Geländer zum Wohnzimmer. Bevor wir eingezogen sind, habe ich neue Möbel und hübsche Kunstgegenstände gekauft, weil ich für Aaron ein echtes Zuhause herrichten wollte. Es ist schon verrückt, dass ich vor nur sechs Monaten noch im Gefängnis saß und einen Überraschungsbesuch von Kynan McGrath erhielt.

Oh, mit welchem Selbstbewusstsein er diesen Besucherraum betrat und mir einen Job anbot. Ich dachte, er wäre vollkommen durchgeknallt, habe das Gefängnis aber tatsächlich noch am selben Tag gemeinsam mit ihm verlassen.

Als freie Frau und offizielle Mitarbeiterin der Jameson Force Security.

Die Macht, über die Kynan bei der US-Regierung verfügt, ist ein wenig beängstigend. Ich denke, er hat so viel großartige Arbeit für die Regierung geleistet, dass er so ziemlich jede Forderung stellen kann. In meinem Fall wollte er, dass einer der besten Hacker der Welt für ihn arbeitet, was der Grund dafür ist, dass ich nun frei bin und in einem vierhunderttausend Dollar teuren Haus lebe, das ich mir niemals hätte leisten können – nicht einmal in meinen wildesten Träumen –, wenn ich Kynan McGrath nicht getroffen hätte.

Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Jameson mich für mein Talent extrem gut bezahlt, das nun ausschließlich für gute Zwecke genutzt wird.

Ich gehe den kleinen Gang zum Flur entlang, der am Ende abzweigt. Mein Schlafzimmer befindet sich auf der rechten Seite. Aarons Zimmer, das meiner Mutter und ein zusätzliches Gästezimmer, das über der Garage liegt, in der zwei Autos Platz finden, liegen auf der linken.

Ich klopfe an Aarons Tür und warte darauf, dass er antwortet. Auf der anderen Seite plärrt Musik, aber irgendwie hört er mich. Nach nur wenigen Sekunden wird die Tür schwungvoll geöffnet und vor mir steht ein fröhlich grinsender Aaron, der sich seinen Rucksack über die Schulter geschwungen hat.

Er sieht kein bisschen aus wie sein Vater, an den ich mich kaum erinnern kann. Als ich mit Aaron schwanger wurde, war ich gerade in meinem zweiten Collegejahr am Massachusetts Institute of Technology. Sein Vater war nicht einmal bis zum zweiten Trimester bei mir geblieben. Nachdem Aaron geboren worden war, tat ich mein Bestes, um ihn auf dem Laufenden zu halten, aber er hatte einfach kein Interesse daran, Vater zu sein.

Als ich ins Gefängnis musste, hatte ich schreckliche Angst, dass sein Vater versuchen würde, sich wieder einzumischen, aber nein … es war ihm recht, dass meine Mutter das alleinige Sorgerecht besaß. Obwohl es mir das Herz bricht, dass Aaron keinen Vater hat, der sich für ihn interessiert, bin ich froh, dass er ganz allein mir gehört.

Nun ja, mir und meiner Mom. Ich denke, sie ist genauso ein Elternteil von ihm, wie ich es bin.

»Hey Schatz«, sage ich und strecke die Hand aus, um ihm durchs Haar zu wuscheln. »Wir müssen uns ein besseres System überlegen als das, bei dem ich von unten hoch schreie, damit du dich beeilst, und du mich nicht hörst.«

»Was schlägst du vor?«, fragt er mit unruhigem Blick.

»Mach vielleicht deine Musik ein wenig leiser, lass deine Tür offen und halte deine Ohren für sämtliche wichtige Nachrichten von deiner alten Mutter gespitzt«, sage ich streng.

Er kichert bloß und beugt sich nach vorn – ja, er ist genauso groß wie ich –, um mich auf die Wange zu küssen. »Alles klar, Mom.«

Ich schmelze vollkommen dahin, denn erstens … er ist ein zehnjähriger Junge, deshalb hätte ich irgendeine legitime Frechheit erwartet. Zumindest ein Augenrollen. Verdammt, ich habe ihm so schreckliches Unrecht getan, als ich ins Gefängnis gesteckt wurde. Es wäre vollkommen verständlich, würde er mir nicht gehorchen und es darauf schieben, in welch instabilen Verhältnissen er aufgewachsen ist.

Aber mein Sohn tut das nicht. Er antwortet auf solch liebevolle, unbekümmerte Art, dass ich manchmal denke, er ist der eigentliche Erwachsene in dieser Beziehung und ich bin das Kind. Aaron steckt so voller Liebe … am Ende ist er immer derjenige, der mich mit Samthandschuhen anfasst, weil er es hasst, dass ich ebenfalls gelitten habe.

Er schiebt sich an mir vorbei und hüpft die Treppenstufen hinunter. Ich hole ihn in der Küche ein, als er sich gerade herunterbeugt, um seine Oma ebenfalls auf die Wange zu küssen. Ich sollte eifersüchtig auf ihre enge Beziehung zueinander sein, aber das kann ich nicht. Ich bin viel zu dankbar, dass die beiden sich in den Jahren hatten, in denen ich weg war, um sich gegenseitig zu stärken. Die Verbindung zwischen ihnen war entscheidend für ihr Überleben.

»Worauf habt ihr beide heute Abend Appetit?«, frage ich, als ich mir mit der Kaffeekanne meinen Kaffeebecher für unterwegs auffülle. Aaron setzt sich an den Tisch, dann beginnt er, eine Schale mit Cornflakes in sich hineinzuschaufeln.

»Ich kann mich ums Abendessen kümmern«, sagt meine Mutter, als sie aufsteht und ihre Tasse nimmt.

Automatisch greife ich danach. »Ich werde dir noch einen Tee machen.«

Meine Mutter kommt gemächlich zu mir herüber, ihr geblümter Hausmantel ausgetragen und viel geliebt. Sie tritt direkt an mich heran, legt mir eine Hand an die Wange und sagt: »Hör auf, zu versuchen, alles zu machen, Bebe. Du musst dir nichts beweisen.«

Oh Gott, damit liegt sie so falsch. Ich muss mir so vieles beweisen, ganz besonders dass ich diese zweite Chance im Leben verdiene. Ich muss die beste Mutter und Tochter sein, und die beste Mitarbeiterin für Kynan.

Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um sich zu streiten, denn wir sind spät dran. Lächelnd gehe ich um sie herum und nehme meine Handtasche. »Auf geht’s, Aaron. Wir müssen los.«

Er schiebt sich einen weiteren großen Löffel mit Cornflakes in den Mund, bevor er nach der Packung greift, in der vollen Absicht, sie mitzunehmen. Ich habe nichts dagegen, ganz besonders weil er immer noch Hunger hat. Lächelnd beugt er sich hinunter, um meiner Mutter einen Abschiedskuss zu geben.

»Meinst du, wir können heute in den Park gehen?«, fragt Aaron, als wir durch den Hauswirtschaftsraum in die Garage gehen.

Ich zucke zusammen, weil es schwer ist, die Arbeit früh genug zu verlassen, um mit ihm in den Park zu gehen. Dafür müsste ich spätestens um sechzehn Uhr gehen. Kynan würde es zwar nichts ausmachen, weil ich ebenfalls von zu Hause arbeite – was ich sowieso an den meisten Abenden tue, nachdem alle ins Bett gegangen sind –, ich würde mich aber trotzdem schlecht fühlen.

Aber nicht so schlecht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich mit Aaron nicht in den Park ginge. Nächste Woche hat er ein Probetraining für eine Footballmannschaft außerhalb der Schule, deshalb braucht er so viele Gelegenheiten wie möglich, um zu üben.

Ich bin ihm dabei allerdings keine große Hilfe. Er will als Quarterback spielen und braucht jemanden, dem er den Ball zuwerfen kann. Meine Aufgabe ist es, den Ball zu fangen, was mir nur in etwa zwanzig Prozent der Fälle gelingt. Die restlichen achtzig laufe ich herum, um ihn zurückzuholen, weil er mir davonspringt. Aber dann übergebe ich ihm den Ball und lasse ihn mir noch einmal zuwerfen. Im Grunde genommen bin ich ein Ball-Zurückhol-Mädchen, aber hey … er will das so. Abgesehen davon schulde ich ihm alle Zeit dieser Welt.

»Na klar, Schatz«, sage ich lächelnd und warte darauf, dass er vor mir durch die Tür tritt. Er geht um den Wagen herum und steigt auf der Beifahrerseite in meinen kleinen Hyundai Crossover ein. »Ich werde gegen halb fünf zu Hause sein. Sieh zu, dass du bis dahin deine Hausaufgaben fertig hast, dann gehen wir vor dem Abendessen noch für eine Stunde in den Park. Klingt das gut?«

»Klingt so, als wärst du die Beste, Mom«, antwortet er. Wieder überkommt mich eine mitreißende Welle an Liebe für mein Kind, die so tief ist, dass ich mich frage, wie zum Teufel ich das Recht verdiene, mich seine Mutter nennen zu dürfen.

***

Ich gehe in den dritten Stock des Gebäudes der Jameson Force Security, in dem eine Gemeinschaftsküche und ein Wohnbereich untergebracht sind. Joslyn hat allen Mitarbeitern eine Nachricht geschickt, um ihnen mitzuteilen, dass sie Zimtschnecken gebacken hat. Da ich so sehr damit beschäftigt war, hin und her zu hetzen, habe ich vergessen zu frühstücken.

In der Küche befinden sich nur zwei Personen … Kynan McGrath, unser geschätzter Leiter, und seine Sekretärin Anna Tate.

Eigentlich ist Sekretärin nicht das Wort, mit dem ich Anna bezeichnen würde. Sie hat unter schrecklichen Umständen angefangen, für Kynan zu arbeiten. Ihr Mann Jimmy wurde vor etwas mehr als drei Monaten bei einem fehlgeschlagenen Einsatz zur Geiselrettung getötet. Zu jener Zeit war Anna mit ihrem ersten gemeinsamen Kind schwanger.

Es begann damit, dass sie sich zunächst viel im Gebäude aufhielt, weil sie Informationen und Antworten gesucht hat. Doch dann übernahm sie langsam einige der Aufgaben, die Joslyn für Kynan erledigte. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten … Wäsche aus der Reinigung holen oder die Briefe im Postausgang frankieren. Joslyn hat als berühmte Sängerin und Schauspielerin ihre eigene Karriere, die sie hintangestellt hat, und es schien der richtige Zeitpunkt zu sein, um jemanden einzustellen, der Kynan in administrativer Funktion behilflich sein kann.

Als einen Monat nach Jimmys Tod die kleine Avery geboren wurde, nahm Anna sich etwas Urlaub, um Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Sie stammt gebürtig aus der Umgebung von Pittsburgh und hat eine sehr hilfsbereite Familie, aber als es darum ging herauszufinden, was sie mit ihrem Leben machen will, beschloss sie, mehr bei Jameson arbeiten zu wollen.

Es dauerte nicht lange, da war ihr Mutterschaftsurlaub auch schon vorüber. Seitdem organisiert Anna Kynans Zeitplan und bietet ihm gleichzeitig Unterstützung in sämtlichen Dingen, die er benötigt.

»Hey Anna«, sage ich fröhlich, als ich um die Arbeitsplatte herumgehe mit dem Ziel, das Backblech mit den Zimtschnecken zu erreichen, das auf dem Ofen steht.

»Hey Bebe«, entgegnet sie leise und schaut nicht einmal von dem iPad auf, das sie derzeit studiert, während Kynan ihr über die Schulter blickt.

»Hi Bebe«, zieht Kynan die Worte übertrieben in die Länge und weist mich damit darauf hin, dass ich immer noch nicht den Mann begrüßt habe, der meine Gehaltsschecks unterschreibt.

Mit einer Zimtschnecke in der Hand grinse ich, dann gehe ich zur Kaffeemaschine. »Was gibt’s, Chefboss?«

Kynan zwinkert, bevor er über Annas Schulter auf das iPad zeigt. »Den da will ich haben.«

»Wirklich?«, fragt sie und rümpft die Nase. Es ist offensichtlich, dass die beiden verschiedene Geschmäcker haben, worum auch immer es gerade geht.

»Wirklich«, antwortet er ernst. Er entfernt sich von ihr und geht zum Aufzug, denn ganz offensichtlich ist er ein Mann, der woanders gebraucht wird. »Und ich bezahle dich nicht, damit du meine Entscheidungen infrage stellst, sondern nur, um mir meine Wünsche zu erfüllen.«

Anna salutiert. »Zu Befehl, El Capitan.«

»Klugscheißerin«, antwortet er gutmütig, bevor er im Aufzug verschwindet.

»Was kauft er denn?«, frage ich. Ich kaue bereits an dem Bissen, den zu nehmen ich nicht widerstehen konnte, und gehe zu einem Stuhl an der Arbeitsplatte, um aufzuessen und mir eine weitere Tasse Kaffee zu gönnen, bevor ich meinen Arbeitstag beginne.

»Einen Aktenkoffer«, erwidert sie und tippt mit dem Eingabestift auf den Bildschirm. »Und er hat sich das hässlichste Modell ausgesucht.«

Kichernd erwäge ich, von meinem Stuhl aufzustehen, um mir den Schaden zu betrachten, aber dann werde ich von dem Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Tür abgelenkt.

Im dritten Stock gibt es zusätzlich zur Gemeinschaftsküche und dem Wohnbereich ebenfalls fünf persönliche Apartments für alle Mitarbeiter, die auf der Suche nach einer Unterkunft sind. Die Einzigen, die diesen Vorteil derzeit nutzen, sind Cage Murdock und Merrit Gables, die beide von Las Vegas hierhergezogen sind. Es ist Cage, der durch den Flur geht und in der Küche erscheint.

»Morgen«, sagt er knapp und geht zur Kaffeekanne. Anna und ich erwidern den Gruß.

»Was steht in dieser Woche auf deinem Plan?«, frage ich.

Cage verspannt leicht und lässt den Blick zu Anna wandern, als er antwortet: »Ich fliege morgen nach Al Hasakah, heute packe ich meine Sachen.«

Anna hebt nicht einmal den Kopf, was mir sagt, dass es für sie nichts Neues ist. Cage schaut zu mir. »Wir haben eine Spur.«

Endlich lächelt Anna Cage blass an, als sie sich von ihrem Stuhl erhebt und sich das iPad unter den Arm klemmt. »Du wirst vorsichtig sein?«

»Immer doch«, versichert er ihr mit beinahe schon ehrfurchtsvoller Stimme.

Spekulativ beobachte ich, wie Anna zu Cage geht. Er beugt sich hinunter, um sich bereitwillig von ihr umarmen zu lassen. Es ist eine feste Umarmung, Anna schließt die Arme um seinen Hals, während er ihr den Rücken tätschelt.

Nachdem sie ihn losgelassen hat, dreht sie sich zu mir um. »Bis später, Bebe.«

»Bis später«, entgegne ich.

Cage steht an der Kücheninsel und hat eine der drei Zimtschnecken, die er sich auf den Teller getürmt hat, bereits halb aufgegessen. Als Anna im Aufzug verschwindet, betrachte ich ihn mir genau. Er muss das Gewicht meines Blickes auf sich spüren, denn schließlich sieht er in meine Richtung. »Was denn?«

»Läuft da etwas zwischen dir und Anna?«, frage ich.

Er braucht nichts zu sagen, damit ich meine Antwort erhalte. Sein entsetzter Gesichtsausdruck sagt mir, dass ich die Situation falsch interpretiert habe. »Oh Gott, nein. Was zum Teufel, Bebe? Sie ist bloß eine Freundin. So gut wie ein Familienmitglied, so wie eigentlich alle hier. Sie hat gerade erst ihren Mann verloren und –«

Ich hebe die Hände. »Es tut mir leid, dass ich gefragt habe. Reg dich nicht so auf. Es ist ja nicht so, als wäre irgendetwas verkehrt damit, wenn ich recht hätte.«

»Also, zwischen uns ist nichts«, bekräftigt er scharf, bevor er sich wieder seinem Frühstück widmet. Seine Stimme wird ein wenig leiser. »Aber … wir sind gute Freunde geworden. Ich glaube, sie ist einfach wahnsinnig dankbar dafür, dass ich zurückgehe.«

»Zurück« bedeutet nach Syrien. Ich wusste, dass wir einige Hinweise bezüglich Malik Fourniers Aufenthaltsort erhalten haben. Er ist unser Teamkamerad, der seit dieser entsetzlich schiefgelaufenen Mission verschwunden ist, bei der Annas Mann Jimmy und einer unserer anderen Männer, Sal Mezzina, ums Leben kamen.

»Fliegst du ganz alleine?«, frage ich, als er in seine zweite Zimtschnecke hineinbeißt.

Er schüttelt den Kopf. »Kleines Team. Wir gehen verdeckt, weil die Regierung unsere Reise nicht genehmigen würde.«

Er meint, dass es sich um eine verdeckte Operation handelt und sie damit geheim ist. »Warum erhalten wir keine Unterstützung von der Regierung?«

Cage kaut an seiner Zimtschnecke. Nachdem er heruntergeschluckt hat, wischt er sich den Mund mit einer Papierserviette ab. »Es ist nicht nur so, dass wir keine Unterstützung erhalten, uns wurde auch gesagt, wir dürften nicht nach ihm suchen.«

Ich blinzele überrascht. Wir verrichten sehr viel Arbeit für die Regierung. Wir sind einer ihrer vertrauenswürdigsten, wenn nicht sogar der vertrauenswürdigste Dienstleister. »Aber warum nicht?«

Er zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vermutlich weil da drüben so ein riesiges politisches Chaos herrscht. Sie wollen nicht das Leben noch weiterer US-Bürger riskieren.«

Ich schnaube, ein abschätziger, tiefer Laut. »Als würden wir ihn zurücklassen. Das ist ihnen doch sicherlich klar.«

»Oh, ich bin mir sicher, dass ihnen das klar ist. Aber keinen von uns interessiert es, was die Regierung sagt. Wir lassen Malik nicht zurück.«

Das kann er laut sagen. »Also, du hast von uns allen hier die volle Unterstützung. Dozer und ich werden dich fest im Auge behalten.«

»Selbstverständlich werdet ihr das«, antwortet er grinsend.

Ich hoffe wirklich, dass er Malik findet. Momentan haben wir keine Ahnung, ob er lebt oder tot ist, aber selbst wenn er tot sein sollte, können wir ihn nicht zurücklassen. Anna konnte Jimmy zumindest begraben und Sals Familie konnte sich von ihm verabschieden, nachdem ihre Körper überführt worden waren.

»Es scheint ihr ganz gut zu gehen«, sage ich nachdenklich. Ich nehme meine Tasse und trinke einen Schluck Kaffee, dabei lasse ich meine Gedanken wieder zu der jungen Mutter wandern, die so früh so viel verloren hat.

»Anna ist stark«, antwortet Cage und der Stolz in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Die beiden müssen sich tatsächlich sehr nahestehen, wenn er so empfindet, aber ich nehme ihn beim Wort, dass zwischen ihnen keine romantische Verbindung besteht. Ich neige dazu, ihm zu glauben, weil Cage nicht der Typ ist, der sich niederlässt, aber trotzdem ein Kerl ist, der ganz sicher eine gute Freundschaft mit einer Frau haben könnte.

Ich nicke und beschließe, das Thema zu wechseln. Es fühlt sich zu sehr nach Klatsch an, und das liegt mir einfach nicht. Meine generelle Neugier wurde gestillt.

»Du müsstest heute irgendwann mal in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung vorbeischauen. Ich habe einige neue Satellitentelefone, die ich euch mitgeben kann. Die darin befindliche GPS-Technologie ist sensationell. Ich kann euch in Echtzeit folgen, ganz egal, ob das Telefon an- oder ausgeschaltet ist, und mit der neuen Satellitenübertragung gibt es keine Verzögerung in der Berichterstattung.«

»Kein Problem«, antwortet er.

Wir beenden unser Frühstück schweigend, dann gehe ich zurück zum Aufzug. Unsere neue Forschungs- und Entwicklungsabteilung sitzt im Untergeschoss und Kynan hat einen Haufen Geld investiert, um Dozer und mir unsere Traumeinrichtung zu beschaffen. Offiziell wurde sie letzten Monat eröffnet. Ich liebe es, mich da unten zu verstecken und zu versuchen, bessere Kommunikationswege zu entwickeln und unsere Jungs zu schützen. Genau das hätte ich mit meinem Leben vorgehabt, wenn ich am MIT auf Kurs geblieben wäre und es nicht mit der Aussicht auf leicht verdientes Geld ruiniert hätte.