Commissaire Carlucci: Die Richterin von Nizza - Monsieur Rainer - E-Book

Commissaire Carlucci: Die Richterin von Nizza E-Book

Monsieur Rainer

0,0

Beschreibung

Nachdem Lucia Carlucci, die Tochter des Commissaire Flavio Carlucci, ein Jahr als Pflichtverteidigerin am Justizpalast in Paris gearbeitet hat, absolviert sie mit Erfolg die Ecole nationale de la Magistrature (ENM) in Bordeaux. Bei einer feierlichen Amtseinführung wird Lucia Carlucci auf das Amt der Untersuchungsrichterin beim Landgericht Nizza vereidigt. Ihr erster Fall ist derart delikat, dass er auch zugleich ihr letzter Fall als Richterin sein kann. Nach komplizierten Ermittlungen kommt sie einer Geheimloge mächtiger Männer aus Wirtschaft und Politik auf die Spur. Gegen die junge Richterin wird ein zerstörerisches Kesseltreiben veranstaltet. Ihr Amt als Richterin und auch ihr Leben sind in höchster Gefahr.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 265

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Monsieur Rainer

Commissaire Carlucci:

Die Richterin von Nizza

Kriminalroman

Books on Demand

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Anmerkung des Autors

Personen der Handlung

Was bisher geschah

Buch II.

1. Friedhof Père-Lachaise Paris 20ème Arr.

2. Place Victor Hugo Paris 16ème Arr.

3. Palais de Justice Nizza

4. COURS SALEYA NIZZA

5. Plage du Soleil Vieux Port Golfe-Juan

6. Maison de Tourisme Golfe-Juan

7. Commissariat der Police Nationale Antibes Avenue des Frères Olivier

8. Palais de Justice Nizza

9. Abbaye de Lerins Ile Saint-Honorat

10. Cagnes-sur-Mer Hippodrome de la Côte d’Azur Route Nationale 99 Boulevard de la Plage

11. Café des Chineurs Place Audibert Altstadt von Antibes

12. Hotel Eden Roc * * * * * Cap d’Antibes

13. Palais de Justice Nizza

14. Universitätsklinik Institut für Rechtsmedizin Nizza

15. Commissariat de Police Avenue Frères Olivier Antibes

16. Palais de Justice Nizza

17. Polizeipräsidium Avenue Foch Nizza

18. Hotel NEGRESCO Promenade des Anglais Nizza

19. Ristorante Spaghettissimo Cours Saleya Nizza

20. Café de Turin Place Garibaldi Nizza

21. Préfecture des Départements Alpes Maritimes Palais de Roi des Sardes Nizza

22. Commissariat de Police Avenue des Frères Olivier Antibes

23. Cabinet III Der Untersuchungsrichter Palais de Justice Nizza

24. Wohnhaus von »Commissaire Josse« Rue du Lavoir Antibes

25. Commissariat de Police Avenue des Frères Olivier Antibes

26. Cabinet III Palais de Justice Nizza

27. Alter Hafen Bassin des Amiraux Bassin Lympia Nizza

28. Krankenabteilung Zentralgefängnis Nizza

29. Commissariat de Police Avenue des Frères Olivier Antibes

30. Café des Chineurs Place Audibert Antibes

31. Tag I

32. Chantier de Naval Pier 374 Port Vauban Antibes

33. Tag II

34. Kaserne der Rangers der 27. Brigade D’Infanterie de Montagne Barcelonnette Cour de la Vallée d’Ubaye Alpes Maritimes Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA)

35. Tag III, IV, V, VI

36. Chapelle Saint Sauveur Ile Saint-Honorat

37. Hospital »La Fontonne« Antibes

38. Palais de Justice Nizza

39. Restaurant »Spaghettissimo« Cours Saleya Nizza

40. Palais de Justice Nizza

41. Brasserie »Flo« Rue Sacha Guitry Nizza

42. Nizza Barcelonnette Bunker der Maginot-Linie

43. Hospital »La Fontonne« Antibes

44. Kaserne der 27. Brigade der Gebirgsjäger Barcelonnette Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA)

45. Cabinet III Untersuchungsrichter Palais de Justice Nizza

47. Wohnung von Lucia Carlucci Cours Saleya Nizza

48. Schloss Monrepos Fontainebleau Département Seine et Marne (77)

49. Eglise Sainte-Marie Madeleine Place de l’Eglise Biot

50. Café des Arcades »Chez Mimi« Place des Arcades Biot

50. Café des Arcades Biot

51. Palais de Justice Nizza

Nachtrag

Impressum

Anmerkung des Autors

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig, da die Handlung dieses Romans und die Personen der Handlung frei erfunden sind. Dieses Buch ist das Produkt der Phantasie des Autors und daher pure Fiktion.

Personen der Handlung

Flavio Carlucci

Commissaire divisionnaire und Chef der Police Nationale von Antibes und Juan-les-Pins, Département Alpes Maritimes

Lucia Carlucci

Tochter von Flavio Carlucci

Untersuchungsrichterin am Landgericht Nizza

Annie Gastaud

Greffière (Rechtspflegerin) am Cabinet III des Landgerichts Nizza

Jean-Baptiste Carlucci

Sohn von Flavio Carlucci

Lieutenant beim Mobilen Einsatzkommando GIPN der Police Nationale in Paris

Maria-Augusta Carlucci

Mutter von Flavio Carlucci

Inhaberin der Pension Jacob in der Rue Jacob Saint-Germain-des-Prés, Paris

Mario Carlucci

Vater von Flavio Carlucci

Antonio Carlucci

Bruder von Flavio Carlucci

»Rossini«

Rot-blauer Ara-Papagei von Flavio Carlucci

Marie-Antoinette Raibaud, genannt »Nénette«

Commissaire und Chefin der Police Nationale von Cannes

Bixente Isetegui

Commandant der Police Nationale von Antibes und Juan-les-Pins

Simone Boué

Assistentin von Flavio Carlucci, Brigadier-Chef der Police Nationale von Antibes

Daniel »Mamou« Cohen

Capitaine der Kriminalpolizei der Police Nationale von Antibes

Xavier Quinti

Chef der gesamten Ordnungskräfte und verantwortlich für die öffentliche Sicherheit im Département Alpes Maritimes (Directeur Départemental de la Sécurité publique DDSP)

Dennis Melano

Direktor der Kriminalpolizei des Département Alpes Maritimes (Directeur Départemental de la Police Judiciaire DDPJ)

Nguyén Thi-Xem

Lieutenant der Kriminalpolizei von Antibes

Odette Sarazin-Ponti

Capitaine der Kriminalpolizei von Antibes

Karim Ben Sousson

Lieutenant der Kriminalpolizei von Antibes

Colette Mouchard

Untersuchungsrichterin am Landgericht Grasse

Olivier Petacci

Freund von Flavio Carlucci

Ex-Brigadier-Major in der Brigade Antibanditisme Paris

Jocelyn Garbi genannt »Commissaire Josse«

Patron des Bistros »Café des Chineurs« in Antibes. Pensionierter Commissaire der Police Nationale von Algerien

Colonel Philippe Desfreux

Commandant der Gendarmerie Nationale des Département Alpes Maritimes

Maître Alphonse Donnedieu de Nièvre †

Seniorpartner und Chef der Anwaltskanzlei Donnedieu de Nièvre & Fils, Paris, Place Victor Hugo, 16ème Arr.

Maître Alexandre Kerensky †

Darsteller Napoléons I. beim alljährlichen Débarquement am 1. März in GolfeJuan. Mitglied eines reputierten Notariats in Antibes, Place Charles de Gaulle

Oleg Abramowitsch Walunjin

Russischer Oligarch

Frère Michel

Zisterziensermönch im Kloster »Abbaye De Lerins« auf der Ile Saint-Honorat. Prior der Bruderschaft der St. Sauveur

Colonel Maurice Le Gen †

Pensionierter Offizier mit Einsätzen in der Normandie, in Indochina und in Algerien

Professor Jean-Baptiste Astier †

Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität von Nizza

Capitaine Alain Girardot †

Kriminalpolizei von Nizza, Brigade Anti-criminelle (BAC)

Docteur Jean-Pierre Schweitzer †

Chefarzt der Kardiologie in der »La Fontonne« (Hospital von Antibes)

Jean de Sobieski

SAS Prince de Pologne

Lieutenant-Colonel beim militärischen Geheimdienst DGSE

Dragan Krcic alias Pierre Godin †

Ex-Adjudant-Chef der französischen Fremdenlegion

Henry de Billancourt

Ex-Colonel eines Fallschirmjägerregimentes mit Einsätzen in Afrika, in der Normandie, in Indochina und Algerien

Pierre Gomez

Ex-Adjudant-Chef des 2ème REP, Leibwächter von Henry de Billancourt

Was bisher geschah …

Commissaire Flavio Carlucci ist am Ende. Eigentlich begann seine Karriere sehr hoffnungsvoll. Der Sohn sizilianischer Einwanderer absolvierte zunächst erfolgreich ein Studium der Rechte an der Universität von Paris. Die Offiziersakademie der Police Nationale in Saint-Cyr verließ er anschließend als Jahrgangsbester. Auf Grund seiner herausragenden Leistungen wurde er an das begehrteste Polizeirevier Frankreichs kommandiert, Numéro 36, Quai des Orfèvres in Paris. Flavio Carlucci wurde der gefürchtete Chef der Brigade Antibanditisme, arbeitete wie ein Besessener und entwickelte sich bald zum Schrecken der Pariser Unterwelt. Bei den Ermittlungen zu einem der spektakulärsten Banküberfälle Frankreichs geriet er in ein Netz politischer Intrigen und Verschwörungen. Um ihn aus der politischen Schusslinie zu nehmen, versetzte der Contrôleur Général der Police Nationale Flavio Carlucci an das Commissariat de Police nach Antibes an der Côte d’Azur. Sein erster Fall in dieser neuen Position war eine mysteriöse Selbstmordepidemie. Neugierig geworden, nahm er die Ermittlungen auf und stieß dabei auf eine international operierende Verbrecherbande, die die Hausbesitzer ruinierte und in den Tod trieb. Die Spur dieses Falles führte überraschenderweise zurück nach Paris an seinen Ausgangspunkt. Flavio Carlucci rächte sich bitter und brachte die Schuldigen hinter Schloss und Riegel. Ein Riesenskandal war die Folge. Politiker, hohe Richter und Staatsanwälte verloren ihre Ämter und wurden zu Haftstrafen verurteilt. Man bot Flavio Carlucci hohe Posten in der Hierarchie der Polizei von Paris an, doch er lehnte ab und kehrte zurück zu seinen Freunden nach Antibes.

Buch II.

1.

Friedhof Père-LachaiseParis 20ème Arr.

Die Aussegnung in der Kirche Saint Sulpice hat zu lange gedauert. Maman ist am Ende ihrer Kräfte, als sie, von ihrem Sohn René gestützt, in ihrem dunkelblauen Citroën C 6 Platz nimmt. Fabien, der Chauffeur, schließt behutsam die Tür der Limousine und öffnet den Wagenschlag dem Sohn von »Madame«, Général René Gabriel Donnedieu de Nièvre.

Der ist nicht weniger erschöpft als seine geliebte Mama, die er nach wie vor respektvoll mit »Maman« und »Sie« anspricht.

»All diese Reden, diese Heuchelei, dieses Getue, ach, wie mich dies langweilt«, seufzt Madame Catharine Beatrice Hortense Donnedieu de Nièvre. »Was wissen diese lächerlichen Wichtigtuer schon, was Vater für Frankreich geleistet hat. Schau dir diese Politiker von heute nur an, Bébé, alles eine Ansammlung von Hurensöhnen, Strauchdieben und Arrivisten!«

Maman sagt immer »Bébé« zu ihrem Sohn, wenn sie besonders von Liebe zu ihm erfüllt ist. Oft kommt das nicht vor, denn »Bebé« hat seiner Maman schon manchen Kummer bereitet. Anstatt in das renommierte Cabinet d’Avocat seines Vaters am Place Victor Hugo im 16ème Arr. einzutreten, ging er nach Saint-Cyr und an die Ecole Militaire, um eine Laufbahn als Generalstabsoffizier einzuschlagen.

Nach langen Jahren an der nachrichtendienstlichen Front – Verwendung in Algerien, Gabun, dem Tschad, dem Kongo, in Übersee und bei den UN-Friedenstruppen in aller Herren Ländern – wurde »Bébé« in den DGSE, den französischen militärischen Auslands-Nachrichtendienst berufen. Dort versieht er bis zu seiner nunmehr bald anstehenden Pensionierung den Rang des Chefs des militärischen Geheimdienst-Cabinets des französischen Verteidigungsministers. Damit dürfte er zu den bestinformierten Männern Frankreichs gehören.

Dies ist auch der Grund, warum er »Maman« nicht antwortet. Seine über lange Jahre gesammelten Informationen über die Aktivitäten seines Vaters während des Zweiten Weltkrieges und des Krieges in Algerien entsprechen nun nicht gerade dem Bild, das in den vielen Grabesreden zu Ehren seines Vaters von den Notabeln gezeichnet wurde.

Der einzige Kommentar zu dem Lamento seiner »Maman« ist dann auch ein fast unverständliches Gegrummel: »Das Personal war zu Zeiten Papas kein bisschen besser!«

Die Wagenkolonne hält vor dem Friedhof »Père-Lachaise«. Hunderte von Ehrengästen steigen aus ihren Limousinen. Eine Formation der Garde Républicaine intoniert den Trauermarsch von Frédéric Chopin. Ein ehemaliges Mitglied der Résistance trägt ein Samtkissen mit all den Orden und Ehrenzeichen, die Papa im Laufe seines ereignisreichen Lebens verliehen bekam. Das rote Schulterband und das Großkreuz der Ehrenlegion werden von einem Offizier der Garde Républicaine vor dem Sarg aufgestellt.

Zuerst spricht das älteste noch lebende Mitglied des »Maquis«, dann der Bâtonnier du Barreau von Paris in seiner feierlichen Robe, dann ergreift Père Latour noch das Wort zu einem letzten Gruß. Die Ehrenformation der Garde Republicaine spielt die Marseillaise. Die anwesenden Offiziere salutieren, die Zivilisten nehmen ihre Kopfbedeckung ab. Der Sarg von Papa wird in die Gruft hinabgelassen und mit den vielen Blumengebinden bedeckt.

2.

Place Victor HugoParis 16èmeArr.

Schon bei der Einfahrt in den Place Etoile betätigt Fabien, der Chauffeur, einen elektrischen Kontakt über der Konsole am Rückspiegel, was dem Concierge am Sitz der Familie am Place Victor Hugo anzeigt, dass der Wagen von Madame in wenigen Minuten eintreffen wird und er das sieben Meter hohe schwere Eingangstor zum Wohnsitz der Familie Donnedieu de Nièvre zu öffnen hat. Keine drei Minuten später rauscht die schwere Limousine in den Ehrenhof des Gebäudekomplexes.

Madame steigt aus und strebt dem Hauptgebäude auf der Frontseite des Cour d’Honneur zu, wo sie bereits von ihrer Hausdame und ihrem Butler empfangen wird. Sie wird in ihre Gemächer in der Beletage geleitet und legt sich erst einmal eine Stunde zur Ruhe. Anschließend will sie sich mit einigen geladenen Familienmitgliedern und Freunden zu einem kleinen Cocktail dinatoire im mittleren Salon des Parterre treffen.

Général Donnedieu de Nièvre begibt sich in den rechten Flügel des kleinen Stadtpalais, wo sich seine Gemächer, seine Bibliothek, eine Küche, ein Speisesalon, seine Bar und seine Salons befinden. Im oberen Stockwerk befinden sich sein Appartement de Maître und mehrere Gästezimmer, die aber selten genutzt werden. Lediglich sein Mann für alle Fälle und Bursche seit dem Algerienkrieg, Leibdiener, Fahrer und auch Vertrauter wohnt gleich nebenan in einer eigenen kleinen Wohnung.

Vis-à-vis, auf der linken Seite des Ehrenhofes, befindet sich das Cabinet dʼAvocat seines Vaters. Am Eingang zu der mächtigen Glastür, die einen Blick auf den Empfang freigibt, hängen die in Messing eingelassenen Namensschilder der zahlreichen Associés des Cabinet.

An erster Stelle unter dem Patron und Namensgeber dieser hochangesehenen Anwaltskanzlei steht natürlich der Name des jüngeren Bruders von Général Donnedieu de Nièvre, Maître Hervé Donnedieu de Nièvre, Avocat au Barreau de Paris. Der ist zurzeit jedoch nicht in der Kanzlei tätig, da er seinen Dienst als Generalsekretär des Elyséepalastes versieht. Doch er wohnt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in der obersten Etage des Cabinet.

Im Gebäude der Haupteinfahrt befinden sich neben der Conciergerie die Wohnungen des gesamten Personals.

»Bebé« wirft seine Generalsmütze mit gekonntem Schwung auf die Garderobe und ruft seinem sofort herbeieilenden Diener in grobem Ton ein »Cognac – Cigarre« zu.

Der ehemalige Caporal-Chef der Fremdenlegion Hans Pawlovsky war mit seinen Eltern als Baby aus Schlesien vor den anrückenden Russen in den Westen Deutschlands geflüchtet und suchte mit siebzehn Jahren sein Heil in der französischen Fremdenlegion. Im Algerienkrieg wurde er bald verwundet und sollte schon ausgemustert werden, als sich der damalige Nachrichtenoffizier des Fallschirmjägerregimentes seiner annahm und ihn als Burschen behielt. Dies ist der Caporal-Chef außer Dienst bis heute geblieben und seinem Général treu ergeben. Der nennt ihn nur »Jean«.

Als sich der Général von den Strapazen der Trauerfeierlichkeiten bei einem Cognac und einer Zigarre erholt hat, sieht er schon einige Limousinen in den Ehrenhof vorfahren, um am Cocktail dinatoire teilzunehmen.

Er geht zu Fuß über den Ehrenhof und stellt sich rechts neben seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder Hervé Donnedieu de Nièvre auf, um die Kondolenzbezeugungen der geladenen Gäste entgegenzunehmen. Die beiden Brüder verstehen sich blind. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie keine Miene verziehen, als das Défilée beendet ist und einige geladene Gäste nicht erschienen sind.

Schmerzlich vermerken sie, dass niemand aus der Familie des Comte de Billancourt erschienen ist. Gerade der alte Haudegen, Begleiter von Général de Gaulle beim Einmarsch in Paris und Colonel des Fallschirmjägerregiments in den Kabylen, Henry de Billancourt, hat seinem alten Kameraden aus dem damaligen »Deuxième Bureau« diese letzte Referenz verweigert.

3.

Palais de JusticeNizza

Feuchte Kälte zieht durch die Ritzen des kleinen Bootshauses auf dem Cap d’Antibes, in dem Flavio Carlucci regelmäßig überwintert. Er freut sich schon, zusammen mit seinem Papagei, den er liebevoll »Rossini« nennt, auf den jährlichen Umzug auf das Boot im Port Vauban. Dort hat Rossini wieder sein Publikum und kann seine unsäglichen italienischen Flüche, zur Freude der vielen Bootsleute, zum Besten geben.

Flavio Carlucci will sich gerade noch enger an seine Freundin Nénette kuscheln, doch seine so geliebte Muse stößt ihn so brutal von sich, dass er fast aus dem Bett gefallen wäre.

»Mach, dass du aus den Federn kommst, alter Mann!«, lacht Nénette vergnügt und freut sich über das beleidigte Gesicht Flavios. »Nicht einmal am Tag der Inauguration deiner Tochter zum Richteramt kommst du in die Hufe! Marsch, unter die Dusche und dann in dein »Clownskostüm«, denn heute gibst du den Pfingstochsen.«

Nénettes glockenhelles Lachen schallt durch das Bootshaus und Flavio ist klar, dass er keine Wahl hat. Nach dem Duschen zwängt er sich mit einigen unschönen Worten in die ihm verhasste Galauniform eines Commissaire divisionnaire der Police Nationale. Er trug sie zuletzt vor zwei Jahren am Nationalfeiertag, als er seine Grande Ecole aus Saint-Cyr beim Défilée die Champs Elysée hinunterführte.

Auch Nénette ist fertig angezogen. Allerdings hat sie es leichter. Ein paar Jeans, Stöckelschuhe, eine Bluse von Hermés, eine legere Strickweste und fertig ist die moderne französische Dame. Sie hat es mit ihren jungen Jahren nicht nötig, allzu viel Schminke aufzulegen, ein bisschen Make-up und ein wenig Lippenstift. Sie ist eine beeindruckende Schönheit.

Schon tönt die Hupe des Range Rovers, den Olivier Petacci von seinem Chef ausgeliehen hat, um die beiden Freunde an den Flughafen von Nizza zu fahren. Heute humpelt Petacci wieder etwas stärker. Seine alte Schusswunde, die er sich bei einem Einsatz mit Flavio Carlucci anlässlich einer wilden Schießerei vor einer Pariser Bank zugezogen hat, macht ihm im Winter auch an der milden Côte d’Azur zu schaffen. Jeder weiß, dass dem ehemaligen Brigadier-Major der Brigade Antibanditisme nur durch eine dramatische Rettungsaktion von Flavio Carlucci das Leben gerettet wurde. Sonst hätten ihm die Gangster den Fangschuss gegeben, so hilflos, wie er direkt zwischen Bank und deren Fluchtwagen schwer verletzt liegenblieb.

So ist Olivier Petacci nach seiner Pensionierung zusammen mit seiner Frau Clara an den Posten des Verwalters eines prächtigen Anwesens auf dem Cap d’Antibes gekommen und revanchiert sich bei seinem Freund Carlucci, indem er mit Einverständnis des Besitzers des Anwesens, eines arabischen Ölscheichs, ihn im Winter im Bootshaus und im Sommer auf dessen Segelboot »Lady Nabila« wohnen lässt.

Kaum hat der Range Rover das große Eingangstor neben Petaccis Wächterhäuschen passiert, greift Flavio Carlucci zum Telefon.

»Wo ist der Commandant Isetegui, er hat doch heute Dienst?«, zischt er verärgert, als sich an seinem Hausapparat im Polizeipräsidium in der Avenue des Frères Oliviers in Antibes statt der gewohnt sonoren Stimme seines Freundes Bixente Isetegui die von Capitaine Odette Sarazin-Ponti meldet.

Als couragierte Korsin lässt sie sich schon lange nicht mehr vom Divisionnaire Carlucci ins Bockshorn jagen und antwortet schnippisch: »Der Commandant wird halt zum Skifahren nach Auron gefahren sein. Heute Nacht hat es noch einmal richtig in den Seealpen geschneit. Ich vertrete ihn hier als rangältester Offizier. Oder haben Sie etwas dagegen, Patron?«

Wortlos legt Flavio den Hörer auf und ärgert sich. »Dieses verdammte korsische Weibsstück sollte ihre lang ersehnte Beförderung zum Commandant bekommen, damit sie endlich versetzt wird.«

Damit wäre auch Nénette geholfen, denn die glutäugige Korsin ist ihr als Frau schon lange ein Dorn im Auge. Überhaupt neigt Nénette zur Eifersucht, was Flavio ungeheuer schmeichelt, ist er doch fast doppelt so alt wie seine Geliebte und schon silbergrau.

»Das sieht Bixi gar nicht ähnlich, er weiß doch, dass ich heute nicht ins Revier kommen kann, ich verstehe das nicht«, ärgert sich Flavio Carlucci.

Die rasante Fahrt endet am Flughafen NICE CÔTE D’AZUR, Terminal II, der ausschließlich für Inlandsflüge reserviert ist. Die Tochter Flavios, Lucia Carlucci, kommt mit dem ersten Flug aus Bordeaux, wo sie erfolgreich das Examen an der ENM (Ecole National de la Magistrature) bestanden hat.

Die Wiedersehensfreude ist groß, als Flavio Carlucci endlich sein »kleines Mädchen« in den Armen hält. Das wird sie wohl auch immer bleiben, obwohl aus der Jurastudentin aus Paris nun eine erwachsene und überaus selbstbewusste Richterin geworden ist. Lucia lächelt still in sich hinein, als sie bemerkt, dass ihr so gefürchteter Vater nur mühsam die Tränen der Freude unterdrücken kann und verlegen sein Taschentuch herauszieht, um sich scheinbar den Schweiß von der Stirn zu wischen. Dabei zieht es in der Wartehalle des Terminals II wie Fischsuppe, es ist ekelhaft kalt.

Olivier Petacci hilft seinem Freund Flavio aus der Verlegenheit. »Lucia, wenn du glaubst, dass es an der Côte d’Azur im Februar wärmer ist als am Atlantik, dann irrst du gewaltig. Wir haben hier schon seit Wochen ein Wetter wie in einem korsischen Bauernarsch: nass, kalt und windig.«

Schallendes Gelächter hallt durch die Schalterhalle bis hinaus auf den Parkplatz.

»Mein lieber, guter, alter Olivier, du hast dich kein bisschen verändert«, lacht Lucia, die den Freund ihres Vaters seit ihrer Kindheit in der Rue Jacob im Pariser Quartier Saint-Germain-des-Prés kennt.

Olivier Petacci wuchtet die zahlreichen Koffer in den Range Rover und die Fahrt geht über die langgezogene Promenade des Anglais bis zur Abfahrt »Place Masséna«. Kurz vor Erreichen des berühmtesten Platzes von Nizza biegt Petacci mit seinen Passagieren im Wagen nach rechts ab, zeigt die alte Mairie von Nizza und die wunderschön restaurierte Oper. Am Cours Saleya biegt er links ab und kommt eine Querstraße weiter vor dem wuchtigen Justizpalast zum Stehen.

»So, alles aussteigen. Flavio und Lucia, ihr holt euch jetzt euren höchstrichterlichen Segen, ich bringe mit Nénette das Gepäck von Madame la Juge in ihre bescheidene Herberge, die wir für das Mädchen mit vereinten Kräften gefunden haben.«

Bevor Lucia Carlucci sich wehren kann, zieht sie Flavio am Ärmel ihrer Kostümjacke die große Treppe des Palais de Justice hinauf. Lucia Carlucci weist sich mit ihrer Urkunde vom Justizministerium in Paris beim Empfang aus und durchläuft, genau wie ihr Vater, die Sicherheitskontrolle.

Dann wird Lucia Carlucci von einem Greffier und dem wachhabenden Offizier in eine Kammer gebeten, während Flavio Carlucci in seiner Galauniform in der großen Halle des Justizpalastes steht und dem bunten Treiben zusieht. Anwälte in flatternden Roben mit wildgestikulierenden Mandanten eilen zu den Sitzungssälen, Richter streben in ihren Galaroben dem großen Audienzsaal zu, Gendarmen bringen gefesselte Untersuchungshäftlinge zu den Bureaux der Untersuchungsrichter oder gleich zur Aburteilung zu einer der Strafkammern. Ein reges Treiben herrscht an diesem Tag.

Ein Lieutenant spricht Flavio Carlucci nach einer Weile an: »Monsieur Divisionnaire, bitte folgen Sie mir in den Audienzsaal.«

Flavio Carlucci ist völlig überrascht, als er im Zuschauerraum neben zahlreichen Ehrengästen Platz nimmt. Vor der Barriere haben sich die neu zu vereidigenden Magistraten aufgestellt. Flavio Carlucci erkennt sein kleines Mädchen in ihrem feierlichen Ornat mit dem Barett einer Richterin auf dem Kopf kaum wieder. Das Präsidium des Tribunal von Nizza, angeführt von dessen Präsidenten, tritt ein und stellt sich hinter dem Richtertisch auf. Alle Ehrengäste erheben sich, als der Präsident des Landgerichtes von Nizza eine kleine feierliche Rede hält und danach jeden einzelnen neuen Richter, Staatsanwalt oder Untersuchungsrichter zur Vereidigung nach vorne ruft.

Als Lucia Carlucci als neue Untersuchungsrichterin am TGI (Landgericht) Nizza vereidigt wird, schießen Flavio Carlucci doch tatsächlich die Tränen in die Augen. Zahlreiche Erinnerungen an die Kindheit seines »Mädchens« gehen ihm durch den Kopf. Er ist maßlos stolz auf seine Tochter und teilt die Freude mit den anderen Ehrengästen, ebenfalls vornehmlich Eltern der neu Vereidigten. Wildfremde Menschen umarmen sich.

Dann ertönt aus einem Lautsprecher die Marseillaise und Flavio Carlucci grüßt durch Anlegen der rechten Hand an die Uniformmütze. Die Inaugurationsfeier ist beendet.

Lucia Carlucci wendet sich sofort ihrem Vater zu und glüht vor Stolz. Flavio nimmt sie wortlos in die Arme. Beide drängen sie dem Ausgang des Audienzsaales zu.

»Schade, dass Maman Henriette und Oma Maria-Augusta nicht kommen konnten.« Lucia Carlucci ist schon etwas enttäuscht, dass an ihrem höchsten beruflichen Festtag ihre Eltern und Großeltern nicht anwesend sind. Sie fasst sich aber, als sie in Flavios versteinertes Gesicht sieht. Irgendetwas scheint in ihrer zweijährigen Abwesenheit vorgefallen zu sein. Normalerweise ist ihr Vater ein ausgesprochener Familienmensch.

Lucia Carlucci insistiert nicht länger und zieht ihren Vater die Flure hinunter, bis sie vor einer schweren Eichentür zum Stehen kommt. Auf einem Schild neben der Türe steht:

Cabinet IIIMlle Lucia CarlucciJuge d’InstructionMme Annie GastaudGreffière

Flavio Carlucci ist beeindruckt. Angenehm überrascht ist er aber, als er von der Rechtspflegerin Madame Annie Gastaud herzlich empfangen wird. Völlig verwirrt ist Flavio Carlucci aber, als die freundliche Assistentin seine Tochter in das pompöse Arbeitszimmer führt.

»Madame la Juge, ich hoffe, es gefällt Ihnen an Ihrem neuen Arbeitsplatz«, lächelt die ältere und sicher sehr erfahrene Rechtspflegerin. »Ich habe mir erlaubt, für Sie morgen Vormittag einen Termin beim Doyen der Untersuchungsrichter zu machen, damit er Sie kennenlernen und in die anstehenden Ermittlungen einweisen kann. Heute werden Sie ja sicher noch etwas feiern wollen. Darf ich Ihnen die Robe abnehmen, ich hänge sie Ihnen in den Schrank.«

Dies ist das Stichwort für Flavio Carlucci. Er verabschiedet sich eilig von Madame Gastaud und strebt zusammen mit Lucia dem Ausgang zu.

4.

COURS SALEYANIZZA

Flavio Carlucci hat es nun sehr eilig. Sein »Mädchen«, die frisch vereidigte Richterin Lucia Carlucci, versteht das alles nicht. Immer wieder fragt sie sich, wo ihre Maman und ihre über alles geliebte Großmutter Maria-Augusta und überhaupt die zahlreichen Freunde von Flavio sind.

Kaum am Blumenmarkt von Nizza angekommen, zerrt Flavio Carlucci seine Tochter in ein vierstöckiges gelbes Haus und überwindet die etwas altertümlich wirkende Treppe, bis sie außer Atem vor einer schweren Tür halten. Flavio klingelt dreimal kurz. Die Tür öffnet sich durch einen Summer. Flavio Carlucci kann sich jetzt ein leises Lächeln nicht mehr verkneifen, als die Tür von innen aufgerissen wird und Lucia mit einem Meer von frischen Blumen beworfen wird.

Alle sind sie gekommen: Oma Maria-Augusta, Maman Henriette, ihr Bruder Lieutenant Jean-Baptiste Carlucci, Großvater Mario Carlucci, Onkel Antonio, der Koch der kleinen Pension in Saint-Germain-des-Prés, Commandant Bixente Isetegui, der enge Freund von Flavio und gleichzeitig dessen Stellvertreter im Polizeirevier von Antibes, Commissaire Marie-Antoinette Raibaut, genannt Nénette, Olivier und seine Frau Clara Petacci, Brigadier-Chef Simone Boué, die Assistentin von Flavio in Antibes, die ein Organisationstalent ist, wie sie heute wieder bei der Einrichtung der neuen Wohnung von Lucia Carlucci bewiesen hat. Aber auch Flavios alter Studienfreund Xavier Quinti, der heute Flavios direkter Vorgesetzter als Direktor für die öffentliche Sicherheit des ganzen Départements (DDSP) ist, sowie dessen Vorgänger im Amt, der pensionierte Alain Costa mit seiner reizenden Frau Docteur Claire Maynard-Costa.

Das Appartement im vierten Stock des gelben Hauses liegt direkt am Cours Saleya und hat einen weiten Blick über die ganze Bucht von Nizza. Außerdem liegt es nur wenige Schritte vom Palais des Roi des Sardes, der alten Préfecture, die an den Justizpalast anschließt. Die Wohnung hat einen schön möblierten Salon, ein großes Schlafzimmer, eine rote provenzalische und mit allen Schikanen ausgerüstete Küche, ein herrliches Bad sowie einen rustikalen Esstisch.

Alle Koffer von Lucia Carlucci waren von Oma Maria-Augusta und Maman Henriette schon ausgepackt worden. Überall stehen ihre persönlichen Dinge an den gewohnten Plätzen. Ein TV-Gerät, ein CD-Player, ein Diktiergerät auf einem kleinen antiken Schreibtisch runden das perfekt eingerichtete neue Heim von Lucia Carlucci ab.

In der Küche wird sie nun aber voller Ungeduld von Flavios Freunden aus dem Café des Chineurs in Antibes empfangen. Unter dem strengen Kommando von Jocelin Garbi, besser bekannt unter dem Namen Commissaire Josse, haben sein Koch Momo und sein erster Serveur einen Cocktail dinatoire gezaubert, der die ganze Vielfalt der Niçoiser Küche widerspiegelt.

Lucia Carlucci ist vollkommen aus dem Häuschen und kann sich gar nicht sattsehen an dem wunderbaren Appartement. Es ist ihre erste eigene Wohnung. Während der Studentenzeit ,und auch noch während ihrer Zeit im Bureau der Pflichtverteidiger in Paris, hatte sie immer in der Pension Jacob bei ihren Großeltern gewohnt. In Bordeaux wurde sie so streng wie in einem Internat gehalten und wohnte auf dem Campus.

Alles feiert, isst, trinkt und lacht. Es herrscht eine aufgeräumte Stimmung bis in den späten Nachmittag hinein. Dann übergibt Flavio Carlucci unter lauten Hochrufen die Schlüssel an seine Tochter.

»Es ist mir eine große Ehre, dir, mein kleines Mädchen, deine erste eigene Wohnung übergeben zu können. du bist als Eigentümerin eingetragen. Hiermit übergebe ich dir die Attestation des Notars. Die Finanzierung haben deine lieben Großeltern und ich übernommen. Nachdem ich gerade schuldenfrei geworden bin, war es mir eine Herzensangelegenheit, wieder neue Schulden zu machen. Ohne Schulden fühle ich mich halt nicht wohl.«

Unter schallendem Gelächter prosten sich die Freunde zu, während Lucia ihren heißgeliebten Vater innig umarmt und küsst. Das bringt Nénette ins Spiel. Mit gespielter Eifersucht drängt sie sich lachend zwischen Flavio und Lucia und wischt mit einem Tuch den Lippenstift von Flavios weißem Hemdkragen und seinem Gesicht.

Der erste Tag im Leben der neuen Richterin von Nizza neigt sich dem Ende zu.

Die wunderschöne Stadt an der Côte d’Azur leuchtet in der Abenddämmerung. Die Restaurants, Bistros, Cafés, Nachtclubs und Diskotheken rüsten sich für die lange Nacht in der herrlichen Altstadt von Nizza.

Als Lucia Carlucci endlich alleine ist und das Appartement aufgeräumt hat, setzt sie sich auf ihren kleinen Balkon, raucht genüsslich eine Zigarette und trinkt ein Glas Rotwein. Lange noch schaut sie dem lebhaften Treiben des Nachtlebens von Nizza zu, bis sie völlig erschöpft in ihr nach herrlich frischer Bettwäsche duftendes Bett kriecht und tief schläft.

5.

Plage du SoleilVieux PortGolfe-Juan

An jedem ersten Wochenende im März wird jährlich der Rückkehr Napoléons I. aus seinem erzwungenen Exil auf der Insel Elba gedacht. An diesem Tag betrat der Empereur wieder französischen Boden. Dieses Embarquement wird von der ganzen Bevölkerung der Côte d’Azur mit einem riesigen Spektakel am Plage du Soleil in Golfe-Juan gefeiert und von Mitgliedern der Zunft in historischen Kostümen nachgestellt.

Eigentlich hat Flavio Carlucci überhaupt keine Lust auf dieses Spektakel. Zum ersten Mal seit einigen Monaten ist es herrlich warm, die Sonne strahlt. Der Frühling zieht ein an der Côte d’Azur. Er will so schnell wie möglich raus aus dem feuchten Bootshaus, seinem Winterquartier. Sicher, er und seine Nénette hatten herrliche Winterabende bei einer Flasche Rotwein und Kerzen an dem offenen Kamin der Bretterbude verbracht. Doch nun hat Flavio die Nase voll von den feuchten und kalten Winternächten.

Er will heute auf das Boot »Lady Nabila« umziehen, das ebenfalls dem Ölscheich und Arbeitgeber von Petacci gehört. Der hatte es seiner geliebten Ehefrau Nabila zum Geburtstag geschenkt. Sie war ein einziges Mal auf hoher See damit, hat sich aber die Seele aus dem Leib gespuckt und das Boot seither nie wieder betreten. So wurde es für Flavio Carlucci ein herrliches Sommerquartier. Der Ölscheich ist zufrieden, denn so hat er einen seriösen Mieter, der sich um das Boot kümmert.

Nénette hat andere Pläne. Sie will unbedingt in den Nachbarort Golfe-Juan, wo an diesem Wochenende das »Débarquement« Napoléons I. am

1. März 1815 am Plage du Soleil gefeiert wird. Er wird mit einem kleinen Schiff an Land gebracht, wo ihn schon seine Anhänger unter dem Kommando des italienischen Général Masséna und der französische Marschall Lefèvre mit seinen Truppen erwarten.

Doch regierungstreue Truppen unter dem Kommando eines Habsburger Generals wollen diese Landung verhindern. Laiendarsteller aus Frankreich, Italien und Österreich-Ungarn liefern sich ein blutiges Gefecht mit der schweren Artillerie kaisertreuer Truppen, der Garde Impérial, die fest zu Napoléon steht, sowie den Gardefüsilieren des Kaisers. Nachdem die heftige Schlacht am Strand von Napoléons Truppen gewonnen wird, wird sich Napoléon an einen eiligst herbeigeschafften Schreibtisch setzen und sein erstes Dekret auf französischem Boden unterzeichnen, »l’Epoque des cent jours«.

Murrend fügt sich Flavio Carlucci dem Drängen Nénettes, die sehr wohl weiß, dass er ihr keinen Wunsch abschlagen kann. Flavio ist verliebt wie ein Gymnasiast in die ehemalige Commissaire-Anwärterin am Quai des Orfèvres in Paris. Dort war er der Chef der Brigade Antibanditisme und sie sein Azubi. Nun ist er politisch kaltgestellt und auf einen völlig unbedeutenden Posten an der Côte d’Azur abgeschoben worden und Nénette ist Commissaire und Chefin der Police Nationale in Cannes.

Schon um 11.30 Uhr muss Flavio, mürrisch und schlechter Laune, an der Kranzniederlegung am Denkmal Napoléons in der Innenstadt von Golfe-Juan teilnehmen. Wie oft hat er schon das durch alle Knochen fahrende Fanfarenspiel »La Lyre d’Argile« gehört, das immer gespielt wird, wenn ein Kranz am Grabe eines gefallenen Soldaten oder Polizisten niedergelgt wird.

Er hat Hunger. Nénette überredet Flavio, in das Restaurant »Da Bruno« direkt am Maison de Tourisme zu gehen. Sie essen in der herrlichen Mittagssonne einen Salat aus Meeresfrüchten und trinken in aller Ruhe eine Flasche Rotwein dazu.

Doch Nénette drängt zum Aufbruch. Wie ein kleiner Junge drängt sie in das Biwak der Soldaten, um die historischen Kostüme zu betrachten. Bei dieser Gelegenheit kommt ihnen auch der Darsteller Napoléons mit seiner goldbetressten Entourage entgegen. Nénette will unbedingt Fotos von Napoléon in seiner typischen Uniform und Haltung machen, doch der Darsteller beachtet sie nicht und drängt weiter Richtung Festzelt, wo ein Mittagessen auf alle Darsteller wartet.

»So ein Arschloch!«, schimpft Nénette. »Der blöde Kerl fühlt sich schon, als wäre er selbst Napoléon.«

Doch Nénette gibt nicht auf. Sie eilt dem Darsteller Napoléons durch die Gassen der Schausteller nach, wo er huldvoll die Grüße des Volkes des Jahres 2009 entgegennimmt. Zu einem Foto lässt er sich nicht herab.

»Das ist doch immer so bei diesen Laiendarstellern«, knurrt Flavio, »gib den Wichtigtuern eine Uniform und sie bilden sich ein, die Person zu sein, die sie ja nur darstellen sollen. Der braucht noch Wochen, bis er begreift, dass er gar nicht Napoléon ist, sondern irgendein Hanswurst.«

»Dieser aufgeblasene Gockel«, schimpft Nénette. »Hoffentlich legen sie ihn um, wenn er auf seinem blöden Sandhügel steht und seine Truppen kommandiert.«

Flavio lacht: »Das wird nicht passieren, denn Napoléon hat die Schlacht ja schließlich gewonnen und ist die Route Napoléon Richtung Grenoble hinaufgezogen, wo sich ihm Général Murat entgegenstellte. Der ist aber samt seinen Truppen zu dem Kaiser übergelaufen und so kam das, was unvermeidlich war: die Schlacht von Waterloo gegen die Engländer unter Wellington und die Preußen unter Blücher.«

Pünktlich um 14:30 Uhr nehmen Nénette und Flavio auf der Tribüne am Plage de Soleil Platz. Alle Sitzplätze sind ausverkauft. Auf der Küstenstraße wollen sich tausende von Neugierigen das Spektakel nicht entgehen lassen. Ein in goldstrotzender Uniform eines Maréchal de France gekleideter Darsteller kommentiert das historische Schlachtgetümmel. Kanonendonner lässt die Zuschauer zusammenzucken. Die Truppen Napoléons greifen an. Die Allierten unter der Führung der östereichisch-ungarischen Truppen erwidern das Feuer. Der italienische Général Masséna in herrlicher historischer Uniform berät den Empereur. Ordonanzoffiziere tragen die Befehle Napoléons zu den Truppen. Napoléon verlässt seinen »Feldherrnhügel« und kümmert sich scheinbar rührend um seine Verwundeten. Er legt, nach einer überlieferten Geste, seinen grauen Mantel über den Körper eines seiner im Gefecht verletzten Soldaten. Dann besteigt er wieder seinen Sandhaufen, um weitere Befehle zu geben.

Die Schlacht geht ihrem Höhepunkt entgegen. Napoléons Truppen gehen, begleitet von ohrenbetäubendem Artilleriebeschuss, zum Sturmangriff über.

Napoléon bricht zusammen.