Corcoran jagt Geister: Gruselkrimi Sammelband - Alfred Bekker - E-Book

Corcoran jagt Geister: Gruselkrimi Sammelband E-Book

Alfred Bekker

0,0

Beschreibung

Horror-Geschichten von Alfred Bekker Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen... Dieses Buch enthält folgende Geschichten: Der Knochengott Dämonenmeister Burg der Schatten Corcoran und der Köpfer Corcoran jagd den Satansgeiger Corcoran stellt den Gehörnten Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Alfred Bekker, Conny Walden und Janet Farell.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 287

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred Bekker

Corcoran jagt Geister: Gruselkrimi Sammelband

UUID: 87bdb6c8-ba3b-4547-b711-f3eec2cd1223
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Corcoran jagt Geister: Gruselkrimi Sammelband

Copyright

Der Knochengott

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

Dämonenmeister

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Corcoran und der Köpfer

1

2

3

4

5

6

7

Alfred Bekker: Corcoran jagt den Satansgeiger

CORCORAN STELLT DEN GEHÖRNTEN

Corcoran jagt Geister: Gruselkrimi Sammelband

von Alfred Bekker

Horror-Geschichten von Alfred Bekker

Übernatürliche Wesen bedrohen die Welt. Dämonen suchen die Menschen heim – und mutige Dämonenjäger begegnen dem Grauen...

Dieses Buch enthält folgende Geschichten:

Der Knochengott

Dämonenmeister

Burg der Schatten

Corcoran und der Köpfer

Corcoran jagd den Satansgeiger

Corcoran stellt den Gehörnten

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Alfred Bekker, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Der Knochengott

von

Alfred Bekker

Das personifizierte Böse lauert in der Weltstadt New York – und ein unershrockener Dämonenjäger stellt sich ihm entgegen...

11.September 2001...

Corcoran blickte in Richtung der Zwillingstürme des World Trade Centers und sah anschließend auf die Uhr.

Nichts geschah.

Kein Flugzeug rammte sich mit der Spitze in das wie eine moderne Version des Turms von Babel anmutende Bauwerk. Keine zweite Maschine raste in den anderen Turm. Keine einstürzenden Hochhäuser, keine Staubwolke, keine Massenpanik, kein Ground Zero.

Dass irgendetwas mit dem temporalen Zeitfluß nicht in Ordnung war, wurde Corcoran ein paar Wochen später klar, als es auch keine Sonderausgabe von THE AMAZING SPIDER-MAN mit schwarzem Titelbild und einer schlichten Datumsangabe zu kaufen gab:

11. September 2001

Irgendetwas stimmte hier nicht...

Ein Jahr zuvor...

Eine Adresse: 1 West 72nd Steet, New York...

Ein Renaissance Schloss an einem See.

Nicht unbedingt etwas, was man mit dem Big Apple verbinden würde. Aber genau das waren die Dakota Apartments mit Blick auf "The Lake" im Central Park, eingerahmt von viel größeren Gebäuden, nämlich dem Langham und den Majestic Apartments.

Eine Nobelherberge mitten in einem Slum? (Genau das war die West Side nämlich früher...)

Man hätte so ein Anwesen genauso gut in Dakota bauen können, so pflegten die Leute ehedem zu sagen. Aber sie hatten sich getäuscht.

Das Dakota war längst eine der besten Adressen der Stadt geworden.

Und ein Haus des Grauens....

2

Corcoran schauderte, als er einen der Aufzüge in den Dakota Apartments betrat.

(Dieses Haus hat eine düstere Aura, dachte er.)

Er sah die Männer und Frauen an, die sich mit ihm zusammen in die enge Kabine gequetscht hatten.

Er schwitzte.

Seit drei Wochen wohnte er in Apartment 234 D, 12. Stock. Vorgeblich war er ein ganz normaler Mieter. In Wahrheit war er im Auftrag des Ordens vom Weißen Licht hier, der auch das Apartment für ihn angemietet hatte.

Ein blassgesichtiger Mann lockerte die Krawatte und stierte Corcoran an.

Ein Blick von geradezu beunruhigender Intensität...

So dunkle Augen, ging es Corcoran durch den Kopf. Wie schwarze Löcher mitten in einem Cluster heller Riesensonnen...

Corcoran glaubte die Anwesenheit magischer Energien zu spüren. Ganz kurz nur. Diese Empfindung dauerte nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde.

Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Mann, dachte Corcoran.

Er sah Corcoran direkt an, verzog das Gesicht und bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

Seine Augen!, durchzuckte es Corcoran.

Im nächsten Moment waren sie vollkommen schwarz. Nichts Weißes war mehr in ihnen zu sehen. Ein dumpfes Knurren drang aus seiner Kehle. Ein Laut, wie man ihn kaum einem menschlichen Wesen zuordnen mochte. In dieses Knurren hinein mischten sich Worte.

"NATANETA PARANODOR EYET..."

Corcoran schluckte.

Eine Schrecksekunde verging, ehe er begriff. Die Worte - Corcoran kannte sie nur zu gut. Sie stellten eine Beschwörung aus dem BUCH DES WISSENS dar.

Corcoran fühlte, wie ETWAS nach seinem Inneren griff. Dieses ETWAS berührte sein Bewusstein, lastete wie ein unheimlicher Druck auf ihm.

Rasender Kopfschmerz durchzuckte ihn.

Corcoran konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Wie zur Salzsäule erstarrt, blickte er in das Gesicht des blassgesichtigen Mannes.

Es hatte sich verändert, war jetzt kaum noch wiederzuerkennen. Tierhafte Wülste bildeten sich über den Augenbrauen. Die Wangenknochen und die Kinnpartie traten hervor.

"NATANETA PARANODOR EYET...", wiederholte er.

Mit Schrecken registrierte Corcoran, dass die anderen Aufzugbenutzer von alledem nichts mitzubekommen schienen.

Ihre Gesichter wirkten seltsam verzückt, die Augen weit aufgerissen. Wie unter Drogeneinfluss standen sie da, teilnahmslos, wie aus der Welt gerissen.

Es ging ihnen nicht anders als Corcoran selbst - mit dem Unterschied, dass Corcoran genau mitbekam, was vor sich ging.

Die Dämonen der Dämmerung und ihre Diener!, ging es Corcoran durch den Kopf. Im Grunde hatte er seit dem Tag, als er hier eingezogen war, mit einem Angriff dieser Wesen gerechnet. Ihretwegen war er schließlich hier her gekommen, in dieses Haus...

Ein besonderes Haus.

Ein Haus, in dem sich dunkle Kräfte konzentrierten wie sonst an kaum einem anderen Ort...

Konzentriere dich!, versuchte Corcoran sich zu sagen. Er schloss die Augen. Sein dämonisches Gegenüber sah er jetzt noch immer völlig klar vor sich - diesmal vor seinem inneren Auge. Corcoran besaß nur sehr geringe magische Fähigkeiten. Sein Wissen war äußerst begrenzt. In keinem Fall konnte er es mit seinen Gegnern aufnehmen - jenen Jüngern der Dämmerdämonen, die diesen Kreaturen der Finsternis zur Herrschaft verhelfen wollten.

Konzentriere dich!, durchzuckte es ihn erneut.

Ein höhnisches Lachen hallte in seinem Kopf tausendfach wider, während eine erneute Welle des Schmerzes ihn durchflutete.

Er hörte Schreie.

Helle Schreie.

Wie von Kindern.

Du musst dich wehren!, rief eine Stimme in Corcorans Innerem. Eine Stimme, deren Klang beinahe im Geschrei der Kinder unterging. Geschrei, das Corcoran's Kopf fast zerspringen ließ.

Wehr dich oder es wird zu spät sein!, schrie es in ihm. Versuche deine Kräfte zu bündeln...

Eisige Kälte lief Corcoran den Rücken hinunter.

Jede einzelne Schweißperle auf seiner Stirn spürte er jetzt.

Die Zeit, dachte er. Sie ist wie eingefroren.

Corcoran murmelte eine Beschwörung, um sich vor den Energie seines Gegenübers zu schützen. Seine Lippen waren so unsagbar schwer geworden. Wie betäubt.

Was ist es für ein Gift, das in dir wirkt, Corcoran?, durchfuhr es ihn.

(Eine andere Stimme meldete sich: Kennst du es wirklich nicht? Oder ist es nur die namenlose Furcht, die deinen Geist betäubt. Du weißt es. Du kennst diese Kraft. Und du weißt, dass du ihr nichts entgegenzusetzen hast...)

Corcoran wiederholte die Beschwörung immer wieder, murmelte sie vor sich in wie einen Singsang.

Er fühlte die Kraft in seinen Körper zurückkehren. Ein Gefühl, als ob ein ganz leichter elektrischer Stromfluss seinen Körper durchlief.

Der blassgesichtige Mann brüllte auf.

Ein Laut, dem nichts Menschliches mehr anhaftete.

Corcoran konnte beobachten, wie ihm Haut von den Knochen herunterschrumpfte. Innerhalb von Augenblicken wirkte er wie eine mumifizierte Leiche. Die Haut schmiegte sich wie ein enganliegender Lederüberzug über die Gebeine.

Die Augen hatten die Farbe gewechselt.

Die Schwärze war einem dunklen Rot gewichen. Sie leuchteten pulsierend.

Wieder überfiel Corcoran eine Welle des Schmerzes. Er glaubte eine Sekunde lang zu fallen, einfach in einen tiefen, Schlund hineinzusinken... Aber dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Die Formel, die er unablässig murmelte, half ihm dabei.

Der blassgesichtige Mann streckte Corcoran seine Knochenhände etwa in Schulterhöhe entgegen.

Kinder!, dachte Corcoran. Diese Schreie. Unsagbare Pein. Grauen. Bilder flackerten vor Corcorans innerem Auge auf. Bilder scheußlicher Details. Abgetrennte Gliedmaßen. Blut. Ein Schwall von Blut...

Und Knochen.

Ein Geruch der Verwesung und der Fäulnis breitete sich aus. Er war so schwer, dass Corcoran glaubte, ersticken zu müssen.

Wie grotesk!, dachte er im Angesicht der euphorischen Gesichter der anderen Fahrstuhlbenutzer.

Der blassgesichtige Mann begann zu zittern. In immerwährender Wiederholung murmelte er die bekannten Worte "NATANETA PARANODOR EYET... NATANETA PARANODOR EYET..." Die Beschwörung übertönte jetzt das tierische Knurren, das gleichzeitig - wie von einer zweiten Stimme! - aus seiner Kehle herausgepresst wurde.

Die Haut an den mumienhaften Händen platzte auf.

Knochen schossen heraus.

Wie Armbrustbolzen schnellten sie heraus.

Direkt auf Corcoran zu.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Corcoran die Kontrolle über seinen Körper wieder.

Er hob die Hände ganz instinktiv.

Eines der Knochengeschosse traf Corcorans Linke, bohrte sich in die Hand, riss sie zurück und nagelte sie förmlich an die Wand. Ehe Corcoran auch nur einen Schrei ausstoßen konnte war dasselbe mit seiner anderen Hand geschehen. Wie ein Gekreuzigter stand Corcoran nun da. Durch jede seiner Handflächen bohrte sich einer der Fingerknochen des blassgesichtigen Mannes. Blut rann Corcoran von den Händen herab, tropfte auf den Boden, bildete auf jeder Seite eine kleine Lache.

Ein scheußliches Gelächter ertönte.

Corcoran starrte voller Grauen auf die linke Hand jener Kreatur, die zuvor der blassgesichtige Mann gewesen war.

An zwei Fingern seiner Linken hing pergamentartige Haut hinab. Kein Knochen stabilisierte sie.

Wieder platzte die Haut. Diesmal an der anderen Hand.

Er hielt sie Corcoran in Augenhöhe hin.

'Nein!', wollte Corcoran schreien.

Aber nicht ein einziger Laut kam über seine Lippen.

Ein Fingerknochen schoss ihm mitten ins Auge.

Eine Welle des Schmerzes überflutete Corcoran.

Dann folgte der zweite Knochen. Er traf direkt in die Pupille des anderen Auges.

Corcoran glaubte, wahnsinnig zu werden. Der Schmerz war übermächtig. Er sah nur noch rot. Rot. Rot. Rot. Wie Blut.

Und dann kam die Finsternis, die sich wie ein dunkles Leichentuch über ihn senkte.

3

"Heh, Sie! Aufwachen!"

Der Lichtstrahl war schmerzhaft grell. Corcoran hob schützend die Hand vor die Augen, dann betastete er sie ungläubig.

(Mein Gott, ich kann sehen!)

Er blickte auf seine Hände.

(Wo sind die Wundmale? Die Knochen? Was ist nur geschehen?)

"Alles in Ordnung, Mister?", drang eine etwas ungeduldig klingende Männerstimme erneut in Corcorans Bewusstsein. Ein Mann in den mittleren Jahren sah ihn an. Er hockte vor ihm und machte ein besorgtes Gesicht.

(Ich erinnere mich an ihn, dachte Corcoran. Er war unter den Leuten im Fahrstuhl!)

"Es geht schon", murmelte Corcoran.

Er betastete nacheinander seine Handflächen.

Unversehrt.

Es muss eine magische Suggestion gewesen sein!, ging es ihm durch den Kopf.

Erinnerungsfetzen geisterten durch sein Hirn. Die Knochen. Die Kreatur, in die sich der Blassgesichtige verwandelt hatte, dieses tierhafte Dämonenwesen...

(Ein Diener der Dämonen der Dämmerung... Sie wissen, dass ich hier bin. Sie wissen, was hier meine Aufgabe ist... Das wird es nicht leichter machen.)

Der Mann in den mittleren Jahren half Corcoran auf. Corcoran fühlte sich noch etwas wackelig auf den Beinen. (Ein Gefühl, als ob du wochenlang mit Fieber im Bett gelegen hättest. Das ist es doch, oder?)

Er musste sich an der Wand festhalten.

"Wo wohnen Sie?", fragte der Mann in den mittleren Jahren.

"234 D."

"So'n Zufall."

"Wieso?"

"Ich wohne zwei Türen weiter. Ist also kein Problem, wenn ich Sie nach Hause bringe."

"Geht schon."

"Nein, nein, keine Wiederrede. Mein Name ist übrigens Stanton. DOKTOR Stanton."

Die Art und Weise, wie er den DOKTOR betonte, war autoritätsgewohnt.

"Sie sind Arzt?" fragte Corcoran überflüssigerweise.

"Ja. Am St. Joseph's Hospital, gegenüber vom Tompkins Square Park in der Avenue A." Stanton atmete tief durch. "Mit dem Kreislauf sollte man nicht spaßen. Sie sollten sich mal durchchecken lassen."

"Sicher."

Corcoran blickte sich um, sah in die Gesichter der anderen Fahrstuhlbenutzer. Der blassgesichtige Mann war nicht mehr unter ihnen.

(Nichts ist passiert. Gar nichts. Jedenfalls nicht in dem Bereich des Multiversums, das der Mensch als Realität bezeichnet und aus dem ich mich wohl für ein paar Augenblicke entfernt habe...)

Dann fiel sein Blick auf die Flecken auf dem Boden - direkt neben der Wand.

Jeweils eine Armlänge rechts und links von ihm.

Corcoran hatte das Gefühl, als ob eine kalte Hand sich auf seinen Rücken legte.

Plötzlich hing dieser schwere Geruch wieder in der Luft.

Verwesung, Verfall, Tod, Moder...

Blut...

Es war angetrocknet, sehr dunkel geworden und kaum noch als das zu erkennen, was es wirklich war. Der Saft des Lebens und nach Auffassung mancher religiöser Gruppen der Sitz der menschlichen Seele. Niemand achtete darauf. Dr. Stanton warf einen flüchtigen Blick auf die Flecken und meinte: "Man sollte den Hausmeistern das Streikrecht aberkennen, verdammt noch mal!"

4

Ein verfluchtes Haus, dachte Corcoran, als er gemeinsam mit Dr. Stanton die langen, düsteren Korridore des zwölften Stocks entlangging. Dunkles Holz war an den Wänden. (Ein Ort, an dem besondere Energien wirksam sind. Das war dir noch von Anfang an klar!).

"Bestimmt war es das Wetter, das Sie gerade zusammenklappen ließ", meinte Dr. Stanton.

Corcoran hörte die Stimme des Arztes wie aus weiter Ferne.

"Ja, ja..."

"Das New Yorker Wetter ist höllisch. Besonders im Sommer. Was glauben Sie, was da in den Arztpraxen und Ambulanzen los ist!"

"Ich verstehe, was Sie meinen."

"Ich kann Ihnen sagen..."

In Corcorans Kopf rasten die Gedanken.

(John Lennon ist vor den Stufen des Dakota erschossen worden. Und Roman Polanski drehte hier Rosemaries Baby. Wurden auch der Mörder des Beatles und der stets jungenhaft wirkende Regisseur von der düsteren Aura dieses Gebäudes angezogen?)

Corcoran hatte seine Apartmenttür erreicht. Dr. Stanton zögerte.

"Ich komme schon klar", versprach Corcoran.

Die Art und Weise, in der ihn der Arzt musterte, empfand Corcoran irgendwie als 'seltsam'. Er konnte nicht erklären, was die Seltsamkeit eigentlich letztlich ausmachte. Etwas stimmte da nicht. Irgend etwas. Corcoran fühlte sich innerlich leer und müde. Er kam einfach nicht drauf, obwohl er meinte, ganz dicht an der Erkenntnis zu sein.

Ein Kinderschreien ließ Corcoran regelrecht zusammenzucken.

Dr. Stanton lächelte.

"Das ist das Kind der Familie Sarrasco. Ist vorgestern hier eingezogen..."

"Ah, ja..."

"Schätze, der kleine Balg wird Ihnen noch einige Mal die Nachtruhe rauben. Die Wände sind hier ja wie Papier. Ich habe schon hundertmal deswegen mit der Hausverwaltung gesprochen, aber die unternehmen ja nichts. Die Sanierung ist wohl zu teuer."

Corcoran hörte gar nicht richtig zu.

Nichts würde sein, wie es gewesen war.

Das war sein beherrschender Gedanke.

Seit dem Erlebnis im Fahrstuhl hatte etwas NEUES begonnen. Worin immer auch das NEUE bestehen mochte.

5

Corcoran hatte sich lange nicht so müde gefühlt, wie in jener Nacht. Bleiern fühlte er sich. Wie unter der Last von zentnerschweren Mühlsteinen. Er verschlief einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Wirre Träume suchten ihn in dieser Zeit heim. Hin und wieder drang das Geschrei von Kindern in sein Bewusstsein, ließ ihn kurz bis an die Oberfläche auftauchen. Anschließend sank er dann in um so unergründlichere Tiefen.

Als er dann erwachte, fühle er sich zerschlagen.

Der Schlaf hatte keine erholsame Wirkung. Eher das Gegenteil schien der Fall zu sein.

Selbst magische Beschwörungen, die Corcoran hin und wieder zur Kräftigung durchführte, hatten keinerlei positive Wirkung mehr. Die Macht der weißen Magie scheint hier irgendwie gedämpft zu sein!, durchzuckte es ihn. Und du weißt warum. Die Dämonendiener sind hier...

Von nebenan war wieder das Kind zu hören.

Zwei Tage später hörte er es nicht mehr.

Nie mehr.

Es schien nicht mehr da zu sein, obwohl Corcoran den Eltern täglich auf dem Flur begegnete.

6

Corcoran sah sich nach und nach im gesamten Dakota-Building um. Mit einem speziellen Pendel versuchte er herauszubekommen, wo in diesem Haus die magischen Energien besonders stark waren.

Jene Stelle in der Aufzugskabine, an der sich die getrockneten Blutflecken befanden, war der Ausschlag besonders stark.

Dort, wo ich gekreuzigt worden bin, ging es Corcoran schaudernd durch den Kopf. An die Wand genagelt mit menschlichen Fingerknochen...

Dem blassgesichtigen Mann begegnete Corcoran in der nächsten Zeit nicht mehr - geschweige denn der Kreatur, in die dieser Mann sich verwandelt hatte.

Manchmal glaubte Corcoran, im hintersten Winkel seines Bewusstseins das höhnische Lachen des Blassgesichtigen zu hören.

(Nur ein Reflex deiner Erinnerung. Nichts weiter. Wirklich nicht.)

7

(Tief, tief, im Gewölbe...)

Kalter Modergeruch hing in der Luft. Der Schein unruhig hin und her tanzender Flammen erfüllte den Raum. Fackeln hingen an der Wand. In der Mitte des Raumes befand sich ein quaderförmiger Altar. Von der Decke hingen bleiche Totenschädel. Beinahe unsichtbare, hauchdünne Nylonschnüre hielten sie. Und beim leisesten Hauch von Zugluft begannen sie sich wie ein groteskes Mobile zu bewegen.

Eine Art Totentanz...

Auch sehr kleine Schädel waren darunter.

Kinderschädel.

Ein Dutzend in Kutten gehüllte Gestalten standen in einem Halbkreis um den quaderförmigen Altar herum. Die Kapuzen verdeckten die Gesichter. Nur winzige Löcher blieben für die Augen. Ein dumpfer Singsang erfüllte den Raum in immerwährender Wiederholung.

"NATANETA PARANODOR EYET..."

Worte einer Sprache, die älter war als die Menschheit.

Einer der Kuttenträger trat aus dem Halbkreis hervor. Er kniete sich vor den quaderförmigen Altar, hielt dabei die Arme vor der Brust gekreuzt. Die Hände waren zu Fäusten geballt.

"NATANETA PARANODOR EYET..."

Gespenstisch hallte der Singsang in dem modrigen Gemäuer wider.

Eine Gestalt trat jetzt aus dem dunklen Schatten hinter dem Altar hervor. Das flackernde Licht der Fackeln erfasste sie. Sie trug ebenfalls eine Kutte, so wie alle anderen im Raum. Nur, dass diese Kutte von blutroter Farbe war.

Der Singsang schwoll an, bekam jetzt eine geradezu hysterische Note.

Der rote Kuttenträger trug ein Bündel im Arm, eingewickelt in weißes Tuch.

Der rote Kuttenträger trat an den Altar heran.

Als er das Bündel auf den Stein legte, verstummte abrupt der Singsang.

In dem Bündel bewegte sich etwas. Der Umriss eines Fußes drückte sich durch das weiße Tuch.

Eine helle Stimme meldete sich mit Gluckslauten.

Füße strampelten.

Aber das Bündel war gut verschnürt.

"Tazilaar!", rief der rote Kuttenträger. "Deine Jünger rufen dich. Dein sei der Tribut."

Und die anderen antworteten: "Es lebe Tazilaar, der Gott der Knochen und Gebeine!"

Die kleinen Schädel, die von der Decke herabhingen, begannen zu vibrieren. Zunächst nur ganz leicht, dann immer stärker.

"Tazilaar! Du Abgesandter der Dämonen der Dämmerung, Herr der Gebeine und des Blutes, Vollender des Todes und der Fäulnis..."

Das gespenstische Knochenmobile geriet jetzt in immer stärkere Bewegungen. Schädeldecken stießen aneinander. Geräusche, die entfernt an die akustische Kulisse eines Billardsaals erinnerten.

Einer der anderen Kuttenträger trat jetzt an den roten Zeremonienmeister heran und reichte diesem zwei Dinge.

Einen meißelartig zugespitzten Knochen, der vielleicht einst ein menschlicher Oberschenkel gewesen war und einen Steinhammer, dessen Schaft ebenfalls aus Knochen geformt war.

Der Mann in Rot setzte die Spitze des Knochenmeißels in die Mitte des zappelnden Bündels.

Dann holte er mit dem Knochenhammer zu einem Schlag aus.

Die glucksende Stimme erstarb.

Das weiße Tuch, in das das Bündel eingeschnürt war, verfärbte sich rot.

Rot wie Blut. Eine Lache bildete sich und dann rann es den kalten Stein hinunter bis zum Boden.

8

"Was machen Sie da?"

Corcoran zuckte herum. Er befand sich in den düsteren Kellern unterhalb des Dakota-Buildings. Waschräume waren hier zu finden. Einer davon hatte in Roman Polanskis Filmversion von ROSEMARIES BABY als Kulisse gedient.

Der Mann, der so plötzlich aufgetaucht war, trug die Uniform der New Yorker Cops. Sein Gesicht war pockennarbig.

In seiner Begleitung befand sich ein Security Guard, der dem privaten Sicherheitsdienst angehörte zu dessen Aufgaben die Überwachung des Dakota Buildngs gehörte. An seinem grauen Uniformhemd stand sein Name: Burton.

Corcoran hob die Augenbrauen. Er ließ das Pendel sinken.

"Braucht man jetzt schon eine Genehmigung, um in den Waschkeller zu gehen?"

"Das kommt ganz darauf an!", knurrte der pockennarbige Cop.

"Ich bin Mieter hier."

Der Pockenarbige wandte sich Burton. "Stimmt das?"

Burton musterte Corcoran einige Augenblicke lang.

Corcoran sagte: "Ich bin David Corcoran von 234 D. Allerdings bin ich noch nicht sehr lange hier im Haus."

Burton nickte schließlich. "Ich erinnere mich an das Gesicht - das kann schon sein."

"Was haben Sie da in der Hand?" fragte der Cop und deutete auf Corcorans Pendel.

Corcoran hob es hoch. Es hing an einer messingfarbenen Kette. Der Cop nahm das Metallstück am Ende in die Hand, sah stirnrunzelnd auf die magischen Symbole. Für ihn vielleicht nichts weiter als skurrile Ornamente.

"Wir suchen einen Säugling", erklärte der Cop dann.

"Das Kind der Sarrascos?", fragte Corcoran.

"Woher wissen Sie das?"

"Es war nur so ein Gedanke. Die Sarrascos sind meine Nachbarn. Normalerweise hat das Kind immer viel geschrieen, aber seit kurzem hat das aufgehört..."

Der Cop nickte.

"Es ist Natalie Sarrasco. Haben Sie irgendetwas Verdächtiges bemerkt?"

"Verdächtig - was meinen Sie damit?"

"Kommen Sie bitte mit, ich möchte mir mal Ihre Wohnung ansehen."

"Haben Sie denn einen Durchsuchungsbefehl?"

Der Cop kratzte sich an einer seiner hässlichen Pockenarben und grinste breit. Ihm fehlten die oberen Schneidezähne und so sah er jetzt wie eine Art Mike Tyson nach ausgiebigem Bleichbad.

"Haben Sie denn was zu verbergen, Murray?"

"Corcoran", korrigierte Corcoran.

"Wie auch immer."

Er blickte sich um. Das Pendel hielt er jetzt wieder mit beiden Händen. Es schwang hin und her. Corcoran spürte die KRAFT. Ich muss hier her zurückkehren, dachte er. Hier unten lag der Schlüssel. Der Schlüssel zu einer Tür, die in ein düsteres Reich der Finsternis führte.

Er war ganz nahe dran, das spürte er.

9

Zehn Minuten später waren Burton, der Security Guard und der narbengesichtige Cop mit Corcoran in dessen Wohnung gegangen.

Auf den Fluren waren weitere Polizisten - mit und ohne Uniform - zu sehen.

Wenigstens war es tröstlich zu sehen, dass Corcoran nicht der Einzige war, der befragt wurde.

Das Narbengesicht sah sich in 234 D um, fasste allerdings nichts an. Er schien nach etwas ganz bestimmtem zu suchen, fand es aber nicht.

"Wie stehen Sie zu okkultistischen Praktiken?", fragte er dann unvermittelt.

"Wieso?", fragte Corcoran zurück.

"Nicht 'wieso'. Beantworten Sie einfach meine Fragen."

"Sie werden hier nichts finden, was auf derartige Praktiken hinweist", erklärte Corcoran ausweichend. Er konnte sich den Hintergrund der Frage zusammenreimen. Die ermittelnden Beamten des NYPD vermuteten hinter dem Verschwinden des Babys offenbar okkultistische Zirkel, die irgendwelche magischen Rituale - Opferrituale vielleicht - durchführten.

Jetzt meldete sich Burton zu Wort. Sein Tonfall war etwas versöhnlicher. Kein Wunder, dachte Corcoran. Schließlich wusste Burton ganz genau, wer ihn letztlich bezahlte. Die Bewohner des Dakota-House nämlich.

Burton sagte: "Sie sind noch nicht lange her, Mr. Corcoran..."

"Um so mehr verwundert mich die Art und Weise der Befragung!"

"...aber das Baby der Sarrascos ist der letzte von insgesamt fünf Säuglingen, die innerhalb des letzten Jahres in dieser Gegend verschwunden sind."

"Was haben die Ermittlungen ergeben?", fragte Corcoran pro Forma. Er kannte die Antwort nämlich, wusste sehr viel mehr darüber als dieser kleine Security Guard, der davon nur aus der Presse und aus zweiter Hand erfahren haben konnte.

Dieser Kinder wegen war Corcoran nämlich unter anderem hier.

Ihretwegen - und um der vielen anderen willen, die zweifellos noch folgen würden, wenn man der finsteren Macht nicht Einhalt gebot, die hier am Werke war.

Den Dienern der DÄMONEN DER DÄMMERUNG.

(Kaum zu glauben, aber dieses unsympathische Narbengesicht ist eigentlich dein Verbündeter!, dachte Corcoran mit Blick auf den Cop. Aber ich werde mich hüten, ihm auch nur eine Silbe von dem zu sagen, was ich weiß... Dieser Mann ist völlig ahnungslos, so wie das ganze Police Department, wie diese Stadt, die angeblich nie schläft -—ja, wie die ganze Welt. Was wissen sie von der Bedrohung, die im Begriff ist, die gesamte Menschheit zu bedrohen? Nichts. Sie sind nichts weiter als Bauern in einem Schachspiel, das sie nicht durchschauen, ja, von dessen Existenz sie nicht einmal etwas ahnen...)

"Wir haben die Knochen eines der Kinder am Hielscher Playground gefunden", sagte der narbengesichtige Cop. "Ist schon ein Vierteljahr her, vielleicht haben Sie davon gehört."

Corcoran sagte: "Es gibt so viele Leichen im Fernsehen."

Der Cop grinste. "Ich verstehe, was Sie meinen."

Die Knochen waren auf dem Hielscher Playground im Central Park gefunden worden, wusste Corcoran. Der Schädel hatte gefehlt. Nur der Schädel. Der Torso war zerlegt worden. Die Knochen hatte der Täter in einer ganz bestimmten Form angeordnet. Sie hatten ein pfeilartiges Zeichen gebildet, das exakt so ausgerichtet gewesen war, dass es auf das Dakota Building gezeigt hatte. Der Hinweis eines perversen Täters, so war in der Presse zu lesen gewesen. Ein DNA-Vergleich mit Blutproben der Eltern hatte dann einwandfrei erwiesen, dass die Knochen wirklich von einem der gesuchten Säuglinge stammen.

Der narbengesichtige Cop schob sich ein Kaugummi in den Mund.

"Halten Sie die Augen offen, Murray!" sagte er dann, bevor er ging.

"Ich hoffe, dass Sie den oder die Täter kriegen!", gab Corcoran seiner Hoffnung Ausdruck und verzichtete dabei darauf, den Cop wegen des 'Murray' zu korrigieren.

"Ich habe kein Verständnis für Schweine, die so etwas tun!", meinte der Cop. Seine Stimme klang etwas anders als sonst. Ein Tonfall, der zum ersten Mal erkennen ließ, dass dieser Fall für ihn kein Job wie jeder andere. "Man muss sich das mal vorstellen", murmelte er dann. "Die Knochen abzuschaben, das ganze Fleisch herunterzukratzen... Furchtbar. Und wir wissen bis heute nicht, wo das abgeblieben ist!"

10

Später sah Corcoran in einem der zahllosen New Yorker Lokal-TV-Sender den verzweifelten Aufruf von Martin Sarrasco. Der Vater des verschwundenen Säuglings wandte sich via TV an den oder die Täter. Tränenüberströmt bat er um das Leben seines Babys, immer wieder unterbrochen vom Schluchzen seiner Frau. Die Kamera hielt direkt drauf. Der Quotenrenner des Mittags. Im Laufe des Nachmittags würde man diese Szenen noch in dutzendfacher Wiederholung sehen können. Auf das Wesentliche zusammengeschnitten natürlich.

11

"Wir hatten keine andere Wahl", sagte Martin Sarrasco.

"Man hat immer eine Wahl!", erwiderte seine Frau.

"Du redest Unsinn."

"So?"

"Herrgott noch mal!"

"Nimm dessen Namen nicht in den Mund, Martin."

"Wie?"

"Sprich nicht von Gott. Das klingt irgendwie..."

Sie stockte.

Begann zu weinen.

Wieder und wieder.

Martin Sarrasco atmete tief duch. Er verdrehte die Augen. Scheiße, hat sie nicht Recht? Hat sie nicht verdammt noch mal Recht?

Seine Frau saß heulend auf der Bettkante. Sie schluchzte zum Steinerweichen. Immer wieder wurde sie von Heulkrämpfen geschüttelt.

Die Tränen rannen ihr nur so das Gesicht hinunter.

Das dezente Make-up war völlig zerlaufen. Ein Aquarell der Verzweiflung.

"Ich glaube, es war ein Fehler", brachte sie schließlich heraus. "Es war ein gottverdammter Fehler. Wir hätten uns niemals auf diese Sache einlassen dürfen."

"Das sagt sich jetzt leicht."

"Habe ich vielleicht unrecht?"

"Nein...Quatsch... Verdammt, ich weiß es nicht!" Martin Sarrasco raufte sich die Haare. Die ganze Situation ist verfahren. Völlig verfahren.

Sie sah ihn an.

Er dachte: Mein Gott, sieh mich nicht so an. Ich könnte dich für diesen Blick töten. Bin ich denn allein Schuld an dem, was geschehen ist? Jetzt können wir nicht mehr heraus aus dem Schlamassel. Wir können einfach nicht. Einmal in die Sackgasse gelaufen und Schluss...

Ihr Gesicht veränderte sich, verzog sich zu einer Grimasse.

"Ich hasse dich dafür, Martin", sagte sie.

"Mach's dir nicht so einfach."

"ICH mache es mir NICHT einfach, Martin."

"Ach komm, Sue."

"So ist es doch!"

"Sue..."

" Sue...", äffte sie ihn nach. "Sue...Sue...Sue... Du willst doch alles nur unter einer süßen Soße aus beruhigenden Worten zudecken. Verdammt, ich scheiß darauf, hörst du? Ich scheiß darauf!"

"Laut genug war's zumindest."

"Aber angekommen ist es bei dir wohl noch lange nicht."

Pause.

Eine lange, unangenehme Pause, scher wie Blei.

Er wich ihrem Blick aus, sah zur Seite. "Was hätten wir denn tun können?", erwiderte er. "Wir haben von Tazilaars Kraft profitiert. Und jetzt waren wir mit dem Opfer an der Reihe. Unser Kind, es gehörte gewissermaßen von Anfang an nicht uns. Verstehst du das, Sue?"

Sie verstand es nicht.

Sie antwortete ihm auch nicht.

Sie schüttelte nur stumm den Kopf. "Sprich diesen Namen nicht wieder aus!", brachte sie dann hervor. "Den Namen dieses... dieses Monstrums, des Knochengottes!"

An der Wohnungstür klingelte es.

Sie sahen sich an.

"Das ist bestimmt irgend so ein Medienfritze", meinte Martin Sarrasco. "Ich wimmle die ab!"

Er lief zur Schlafzimmertür.

Sue meldete sich noch einmal zu Wort und der Klang ihrer Stimme ließ Martin Sarrasco erstarren.

"Es ist nicht zu fassen", sagte sie. "Du heuchelst dem Fernsehen den besorgten Vater vor und in Wahrheit weißt du ganz genau, was mit deinem Kind geschehen ist! Du weißt, dass nichts als ein paar Knochen übrig sind... sein Schädel wird jetzt bei den anderen hängen. Bei den vielen anderen. Mein Gott..."

Sie schluchzte erneut.

Sagte noch etwas, wovon Martin Sarrasco beim besten Willen nicht ein Wort zu verstehen vermochte.

Er öffnete halb die Lippen, wollte etwas erwidern, aber dann klingelte es ein zweites Mal. Diesmal ungeduldiger.

"Ja, ja", murmelte er vor sich hin.

Sein Gesicht wirkte angespannt.

Wie zur Maske erstarrt.

Während Martin Sarrasco durch den Flur ging, bemerkte er, dass er zitterte.

Tazilaar, dachte er.

Gott der Knochen.

Gebieter!

Und immer wieder hallten gebetsmühlenartig Worte einer längst vergessenen Sprache in seinem Inneren wieder: ' Makator latam! Makator latam!'

Schluss damit!, durchzuckte es ihn.

Ich kann es nicht mehr hören!

Ich kann es einfach nicht mehr.

'Hast du vergessen, wem du dienst?' fragte eine unerbittliche Stimme in ihm.

In diesem Moment glaubte er, ein höllisches Gelächter in seinem Schädel widerhallen zu hören. 'Etwas' berührte sein Inneres. Eine 'Kraft', eine 'Macht', etwas Unheimliches, Unerklärbares.

Tazilaar...

'Hast du nicht gewusst, dass es kein Zurück mehr für dich gibt? Hat man es dir nicht hundertmal gesagt? Steht es nicht in den alten Schriften? Hast du das alles vergessen, Martin Sarrasco?'

Martin Sarrasco erreichte die Tür.

Bevor er sie öffnete, warf er kurz einen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk.

Kurz vor Mitternacht.

Selbst die Leute vom Fernsehen waren nicht so dreist, jetzt noch hier aufzutauchen.

Wer konnte es also sonst sein?

'Sie', dachte er.

Seine Brüder, seine Schwestern in diesem unheiligen Glauben, der sie alle zu Sklaven Tazilaars machte.

Zu Sklaven jenes Tazilaar, der alten Überlieferungen nach selbst ein Sklave noch mächtigerer Wesen war.

Ein Sklave der Dämmerdämonen.

'Hast du Schuld auf dich geladen?', fragte Martin Sarrasco sich selbst. 'Kannst du wirklich sagen, dass du immer im Dienst unserer Gemeinschaft gehandelt hast, so wie man es von dir erwartet, so wie du es geschworen hast, dort unten, in den Tiefen des Gewölbes unter dem Dakota House?'

' Verdammt!', sagte eine andere Stimme in ihm. 'Verdammt, es war mein Kind! MEIN Kind!'

Kaum war dieser Gedanke in seinem Bewusstsein aufgetaucht, glaubte Martin Sarrasco wieder das höhnische Lachen zu hören.

Seid still!, schrie es in ihm.

Seid endlich still, ihr Teufel!

Zitternd öffnete Martin Sarrasco die Tür.

Er verzichtete darauf, durch den Spion zu sehen, denn er glaubte zu wissen, wer dort draußen auf ihn wartete. Irgendein sensationsgeiler Reporter, das Mikro in der ausgestreckten Hand, neben sich ein Kameramann.

Doch er irrte sich.

Sarrasco stutzte.

Er blickte in das Gesicht eines korpulenten, rothaarigen Mannes. Die Augen, die Sarrasco ansahen, brannten wie Feuer. Eine geradezu gespenstische Intensität war ihrem Blick eigen.

"Mr. Sarrasco?", fragte der Rothaarige.

"Ja?"

"Mein Name ist David Corcoran. Ich möchte mit Ihnen über Ihr verschwundenes Kind sprechen."

"Danke, kein Bedarf!"

Sarrasco wollte die Tür zuknallen, aber Corcoran hatte bereits seinen Fuß dazwischengestellt.

"Ich habe Ihren Auftritt im Fernsehen gesehen", sagte Corcoran. "Ich bin weder von der Presse, noch vom Fernsehen."

"Was wollen Sie von mir?"

"Sagte ich das nicht bereits?" Corcoran machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. "Sie wissen so gut wie ich, dass es für Ihr Kind vermutlich bereits zu spät ist... aber andere werden ihm folgen. Andere werden ebenfalls als abgeschabte Knochen enden, die man zu seltsamen Zeichen zusammengelegt auf dem Hielscher Playground im Central Park auffinden wird."

Martin Sarrasco sah Corcoran völlig perplex an.

"Helfen Sie mir", sagte Corcoran. "Helfen Sie mir, diesem Spuk ein Ende zu machen!"

"Wer sind Sie um Himmels Willen?"

Jetzt meldete sich Susan Sarrasco zu Wort.

Sie war in den Flur gekommen.

"Kommen Sie herein, Sir!", sagte sie.

Corcoran betrat die Wohnung.

Martin Sarrasco wich zurück, stellte sich dann neben seine Frau. Corcoran schloss die Wohnungstür hinter sich. Martin Sarrasco registrierte ein unruhiges Zucken seiner Finger. Er krallte die Hände krampfhaft zusammen.

Die Kraft Tazilaars, dachte er. Sie übernimmt langsam die Kontrolle über dich! Du wirst es nicht verhindern können. So oft hast du gesehen, wie dies bei anderen vor sich ging, jetzt bist du an der Reihe.

"Wer schickt sie?", fragte Sue Sarrasco indessen an Corcoran gewandt.

"Das ist nicht wichtig", sagte Corcoran. "Wichtig ist nur, dass keine Kinder mehr getötet werden."

"Ja", flüsterte sie.

"Wo finden die Rituale statt? Im Keller? Ich habe den gesamten Keller abgesucht. Aber dort irgendwo unter der Erde muss es irgendwo sein. Das weiß ich."

"Woher—-", stammelte sie.

"Auch das spielt keine Rolle", sagte Corcoran.

Sue Sarrasco wischte sich über das Gesicht, wischte das verlaufene Make-up an ihren Ärmel. "Es...es gibt...", stammelte sie.

"So reden Sie schon!", forderte Corcoran ungeduldig.

Er trat einen Schritt näher.

Irgend etwas ließ ihn dann stoppen.

Vielleicht ein inneres Gefühl - eine Art Instinkt - für die Gefahr. Vielleicht auch die verkrampfte Haltung, die Martin Sarrasco plötzlich einnahm. Jeder Muskel, jede Sehne seines Körpers schien auf einmal angespannt zu sein. Wie bei einem zum Sprung bereiten Raubtier. Sue Sarrasco fuhr fort. Sie hatte offensichtlich Mühe beim Sprechen.

'Etwas' hinderte sie anscheinend daran, klar zu formulieren.

Sie kämpft, dachte Corcoran. Sie kämpft mit der Macht ihres dämonischen Gebieters.

Corcoran murmelte eine Beschwörung, um die junge Frau zu unterstützen.

"Ein geheimer Eingang!", stammelte sie. "Es gibt einen geheimen Eingang! Unten... im Keller! Man findet ihn nicht gleich... ein Schacht... tief... Abwasser... nein!" Sie fasste sich an den Kopf, so als spürte sie plötzlich einen heftigen Schmerz.

An dem, was Sue Sarrasco gesagt hatte, konnte etwas dran sein, überlegte Corcoran. New York war mehr als zehn Stockwerke tief unterhöhlt. Der Untergrund von Manhattan glich dem verzweigten Bau eines Maulwurfs, der längst ganze Abschnitte seiner Wohnung schlicht vergessen hatte.

Stillgelegte Abwasserkanäle und nicht mehr benutzte U-Bahn-Schächte bildeten ein weit verzweigtes Netz.

Es war durchaus denkbar, dass es vom Keller des Dakota House aus dorthin eine Verbindung gab.

Ein idealer Ort, um monströse Rituale durchzuführen.

Kein Schrei konnte die Oberfläche erreichen.

Kein einziger verzweifelter Todesschrei.

Mit Martin Sarrasco ging unterdessen eine erschreckende Verwandlung vor sich.

In seinen Augen entstand ein rotes Leuchten.

Seine Züge waren tierisch verzerrt. Er riss den Mund auf, bleckte die Zähne wie ein Raubtier.

Die Macht seines Gebieters ist in ihm, wurde es Corcoran klar.

Martin Sarrasco stieß seine Frau von sich.

Sie knallte gegen die Wand, rutschte zu Boden.

Martin Sarrasco hob die Hände.

Corcoran spürte eine mörderische Kraft, die ihn erfasste und zurück schleuderte. Er flog mit einer derartigen Wucht gegen die Wohnungstür, dass das Holz splitterte. Sein Körper drang durch die Tür hindurch.

Erst auf dem Flur kam Corcoran zu Boden. Die Schultern und der Hinterkopf schmerzten höllisch.

In der Wohnungstür der Sarrascos befand sich ein mannsgroßes Loch.

Benommen stand Corcoran auf...

Ich hätte damit rechnen müssen, dachte er. Ich war einfach nicht genügend auf der Hut.

Corcoran war etwas benommen.

Martin Sarrascos Gesicht hatte sich auf erschreckende Weise verändert Es wirkte Tierhaft. Die Augenwülste waren überdimensional gewachsen, ebenso die Mundpartie. Die Augen traten aus den Höhlen hervor.

Das WESEN, zu dem Martin Sarrasco geworden war, schnellte vor.

Schneller, als Corcoran irgend etwas dagegen tun konnte. Die Zähne schlugen sich in Corcorans Hals, zerfetzen ihn. Er würgte noch den Anfang einer Beschwörungsformel hervor, aber es war zu spät. Martin Sarrasci beziehungsweise das, was aus ihm geworden war, zerfetzte den Dämonenjäger buchstäblich. Blut spritzte bis zur Decke. Der Kopf wurde abgerissen, gegen die Wand geschleudert. Er zerplatzte wie eine Melone. Hirnmasse tropfte von der Wand.

Mn kann nicht immer gewinnen!, dachte der Dämonenjäger, als sich sein Geist vom Körper löste.

12

Eine andere Welt, eine andere Dimension...

Vielleicht nur eine andere Variante der Wirklichkeit oder ein Schatten der Realität...

McIntire sah aus dem Wagenfenster, während er mit dem großen Chevy aus der Fahrbereitschaft der Homicide Squad über die Brooklyn Bridge fuhr. Die Silhouette New Yorks hatte sich seit dem 11. September 2001 verändert. Eine Lücke klaffte in der Skyline.

Eine Lücke, die mal das World Trade Center gewesen war.

Diese verdammten Terroristen!, ging es McIntire durch den Kopf.

Das dachten viele im Moment.

Bei manchen wurde daraus: Diese verdammten Araber.

So etwas nennt man dann auch wohl Patriotismus.

McIntyre rülpste.

Ein Mundvoll Heiniken Bier landete auf dem Comic-Heft, das sein Partner gerade auf dem Schoß hatte.

"Ey, was soll das, du Sack?"

"Häh?"

"Das Heft ist wertvoll!"

"Scheiße!"

"Das ist die Spiderman-Ausgabe zum Attentat auf das WTC!"

"Krieg dich ein!"

"Arschloch."

"Es waren doch nicht die Kronjuwelen!"

"Leck mich doch."

"Weißt du, das ist für mich der Hauptgrund, sich bei der City Police zu bewerben."

"Wovon sprichst du?"

"Na, vom Betriebsklima bei der New Yorker Polizei - wovon denn sonst, du Sackgesicht!"

13

Corcoran saß in einer Sushi-Bar in der Upper West Side, hatte schon zum dritten Male nach bestellt und wischte sich gerade den Mund ab, als ein Mann in einer Mönchskutte eintrat. Schon auf Grund seines Aufzuges lenkte dieser Neuankömmling alle Blicke auf sich. Für das Publikum der Sushi-Bar war dieser Mönch sogar noch auffälliger, als Corcoran mit seinem Knöchel langen Ledermantel.

Der Mönch hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

Corcoran hatte noch ein paar Stücke der Sushi Portion in seinem roten Bart hängen, was mich sehr appetitlich aussah.

Der Mönch trat näher an ihn heran.

Das Gesicht lag im Schatten.

Für einen Moment glaubte Corcoran, glühende Augen in der Dunkelheit unter der Kapuze sehen zu können.

Meister Darenius!, durchzuckte es Corcoran. Das Glühen der Augen waren durch eine übermäßige Einnahme jener Substanz verursacht, die als Salz des Lebens bekannt war. Eine Droge, mit deren Hilfe man Raum und Zeit überwinden konnte. Corcoran hatte diese Substanz durch Darenius, den legendären Großmeister des Ordens vom Weißen Licht, kennen gelernt. Seitdem war der Dämonenjäger selbst mehr oder weniger süchtig nach diese Substanz.

Darenius schlug seine Kapuze zu zurück.

Das glühen in seinen Augen verschwand.

"Hallo Corcoran. Du hast dich ziemlich rar gemacht ", sagte er.

"Sei gegrüßt, Meister Darenius ", gab Corcoran etwas verlegen zurück." Dass ich nicht mehr ins Kloster Clairmont zurückgekehrt bin, hat natürlich seine Gründe. "

"Ja, ich weiß. Du traust unseren Mitbrüdern nicht ", stellte Meister Darenius fest.

"Wenn du an gewisse Vorkommnisse zurück denkst, dann musst du zugeben, dass mein Misstrauen durchaus begründet ist. Schließlich haben die in den Orden eingesickerten Agenten der Dämonenjünger dafür gesorgt, dass mein Fahrzeug abstürzte."

"Und wer gerettete dir das Leben?"

"Ich weiß, dass ich tief in deiner Schuld stehe, Meister Darenius."

"Darauf will ich nicht hinaus, Bruder Corcoran!"

"Ach nein?"

"Nein. Aber du solltest dich darin vielleicht erinnern. Vielleicht wird dir dann ja klar, dass jegliches Misstrauen mir gegenüber vollkommen unbegründet ist."

Corcoran hatte das Gefühl als ob ihm jemand seinen geweihten Dolch in die fette Wampe gestoßen hätte.

Genau das genau das ist der entscheidende Punkt!, ging es Corcoran durch den Kopf.

"Wie kommst du darauf, dass ich dir Misstrauen könnte?", fragte Corcoran.

"Versuchen keine Ausflüchte", sagte Meister Darenius. "Du weißt, dass es sinnlos ist."

"Meister..."

"Ich kann in deine Seele schauen. Vergiss das nicht."

"Wie könnte ich das?"

"Wie auch immer - so muss ich mich eben zu dir bemühen. Es gibt Wichtiges zu besprechen. Lass dir gesagt sein, dass es einen Unterschied zwischen Wachsamkeit und Paranoia gibt."

Dämonenmeister

von Alfred Bekker

Fahles Mondlicht fiel auf das graue Gemäuer des uralten und halb verwitterten Herrenhauses. Ein leichter Wind strich über das hohe Gras und die verwilderten Sträucher im Garten. Für Augenblicke hoben sich dunkle Schwingen pechschwarz gegen das Mondlicht ab.

Schwingen, die an die ledrigen Flügel einer Fledermaus erinnerten.

Aber das Wesen, das im nächsten Moment im hohen Gras landete, war sehr viel größer.

Ein geflügelter Affe kauerte zwischen Sträuchern und bleckte die raubtierhaften Zähne.

In pechschwarzen Augen spiegelten sich der Mond, die Sterne...

...und der Tod.

*

Das Übel ist so nahe...

So furchtbar nahe...

Pierre de Dorodonne-Clement erbleichte. Er starrte auf den Bildschirm seines Computers und musste unwillkürlich schlucken. Kolonnen von fremdartig wirkenden Schriftzeichen waren dort zu sehen. Ich bin verloren!, durchzuckte es de Dorodonne-Clement. Es gibt nichts, was mich jetzt noch schützen könnte...