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Eine Highschool-Feier im abgelegenen Bald-Mountain-Hotel endet tragisch: Die Schülerin Judy Mitchell wird vergewaltigt. Offenbar von seiner Schuld getrieben, begeht der Täter Selbstmord. Judy Mitchell zieht sich völlig in sich zurück und spricht kein Wort mehr. So erfährt niemand, was in der Nacht wirklich geschah. Zwanzig Jahre später: Special Agent Jeremiah Cotton will nur einen kurzen Skiurlaub in Colorado verbringen. Auf der Flucht vor einem nahenden Schneesturm stößt er am letzten Tag des Jahres auf das Bald-Mountain-Hotel. Hier findet ein Klassentreffen der damaligen Highschool-Absolventen statt. Die Stimmung steigt - bis es einen Toten gibt. Und der Mörder hat es nicht nur auf das eine Opfer abgesehen ... COTTON RELOADED SERIENSPECIAL: Spannender als mit diesem Roman kann das Jahr nicht enden!
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Seitenzahl: 150
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Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichsten deutschen Romanserie JERRY COTTON.
COTTON RELOADED SERIENSPECIALS erscheinen zu besonderen Anlässen. Alle COTTON-RELOADED-Folgen sind in sich abgeschlossen. COTTON RELOADED gibt es als E-Book und als Audio-Download (ungekürztes Hörbuch).
Eine Highschool-Feier im abgelegenen Bald-Mountain-Hotel endet tragisch: Die Schülerin Judy Mitchell wird vergewaltigt. Offenbar von seiner Schuld getrieben, begeht der Täter Selbstmord. Judy Mitchell zieht sich völlig in sich zurück und spricht kein Wort mehr. So erfährt niemand, was in der Nacht wirklich geschah.
Zwanzig Jahre später: Special Agent Jeremiah Cotton will nur einen kurzen Skiurlaub in Colorado verbringen. Auf der Flucht vor einem nahenden Schneesturm stößt er am letzten Tag des Jahres auf das Bald-Mountain-Hotel. Hier findet ein Klassentreffen der damaligen Highschool-Absolventen statt. Die Stimmung steigt – bis es einen Toten gibt. Und der Mörder hat es nicht nur auf das eine Opfer abgesehen …
COTTON RELOADED SERIENSPECIAL: Spannender als mit diesem Roman kann das Jahr nicht enden!
Timothy Stahl, geboren 1964 in den USA, wuchs in Deutschland auf, wo er unter anderem als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Jugendzeitschrift tätig war. 1999 kehrte er nach Amerika zurück. Seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf. Außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Las Vegas, Nevada.
Die letzte Nacht
Timothy Stahl
beTHRILLED
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Projektmanagement: Lukas Weidenbach
Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: DmitryPrudnichenko | Pavel K | LifetimeStock | Krunja
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-2925-4
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
»Die letzte Nacht« ist einCOTTON RELOADED SERIENSPECIALund spielt vor den Ereignissen in
Boulder, ColoradoVor zwanzig Jahren im Sommer …
»Mach das Scheißlied aus!«
Tommy Banks drehte sich im Bett und warf irgendetwas Schweres gegen die Zimmerwand. Nebenan schmetterte »Macarena«. Die Bässe ließen das Haus vibrieren.
Er hasste seine kleine Schwester.
Noch mehr hasste er das Lied.
Und am meisten hasste er sich.
Nein, das stimmte nicht. Sich selbst hasste Tommy nicht. Nicht nur. Nicht einfach nur. Er verabscheute sich. So sehr, dass er gestern Nacht, als er in den Spiegel geschaut hatte, ins Waschbecken kotzen musste. Ja, gut, besoffen war er auch gewesen. Und wie! Das hatte auch eine Rolle gespielt bei dem, was auf der wilden Party anlässlich ihres Highschool-Abschieds passiert war. Aber nicht die größte. Und eine Entschuldigung war es auch nicht. Eine Entschuldigung gab es nicht. Nicht für so etwas …
Seine Schwester drehte in ihrem Zimmer drüben die Lautstärke auf. Bis zum Anschlag. Ihre Eltern waren nicht zu Hause, sondern auf irgendeinem Benefiz-Brunch. Ausnahmsweise bedauerte Tommy das. Sie hätten Lizzy die Stereoanlage, die sie gerade erst zum 13. Geburtstag bekommen hatte, wieder weggenommen. So einfach wäre das gewesen. Er hingegen? Er müsste rübergehen und das Mistding mit seinem Baseballschläger zertrümmern. Oder es wenigstens aus dem Fenster werfen. Irgend so was hätte er auch gemacht. Wenn er nur aus dem Bett gekommen wäre. Kam er aber nicht. Im Moment glaubte er, nie mehr aus dem Bett zu kommen. Er fühlte sich schwer wie Blei. Und elend. Einfach beschissen.
Ihm wurde schlecht. Als bräche in seinem Bauch ein Vulkan aus Säure und halb verdautem Essen aus, schoss ihm die Übelkeit heiß in die Kehle hoch.
Jetzt kam er doch aus dem Bett. Er stürzte heraus, rutschte auf dem Vorleger aus, fing sich am Türrahmen, stolperte mit drei Schritten und der Hand vor dem Mund über den Flur und warf sich förmlich ins Badezimmer, das er sich mit seiner Schwester teilte.
Sie sang jetzt mit in ihrem Zimmer. Laut. Der stampfende Rhythmus trieb ihm den Rest seines Mageninhalts vollends in den Mund und über die Lippen.
Tommy schaffte es gerade noch zur Toilette. So einigermaßen jedenfalls. Er würde später aufwischen. Bevor Mom und Dad heimkamen. Schon damit er ihnen keine Fragen beantworten musste. Scheiße, er hätte sie nicht einmal ansehen können. Nach allem …
So wie er sich selbst nicht ansehen konnte. Er scheute den Blick in den Spiegel. Vornübergebeugt hing er am Waschbecken, klammerte sich am Rand fest. Als seine Beine nicht mehr so stark zitterten und er halbwegs stehen konnte, drehte er das kalte Wasser auf und schaufelte es sich mit beiden Händen ins Gesicht.
Auch im Becken klebten noch Reste von Erbrochenem. Lizzy schien heute noch nicht im Bad gewesen zu sein, sonst hätte er sie kreischen hören. Oder auch nicht. Er hatte ja geschlafen wie ein Toter.
Gott, er wünschte sich fast ein bisschen, er sei tot. Wenn er daran dachte, was er getan hatte …
Hör auf!, schnauzte er sich an. Das wird keiner erfahren, Mann! Niemals!
Irgendwann lag er wieder im Bett. Wie er hineingekommen war, wusste er nicht. So wie er sich auch nicht mehr daran erinnern konnte, in der Nacht noch heimgefahren zu sein. Mann, in seinem Zustand, den langen Weg aus den Bergen bis hier runter. Es war ein Wunder, dass er noch lebte.
Oder eine Strafe, dachte er, und ihm wurde wieder schlecht. Aber es kam nichts mehr. Sein Magen war leer. Und er fühlte sich auch selbst leer. Leer und doch voller Scheiße.
Er glaubte zu lachen. Es klang nicht die Spur belustigt. Dann hatte er wahrscheinlich nicht gelacht. Sondern geschluchzt. Ihm war definitiv zum Heulen zumute.
Nebenan lief immer noch laute Musik. Lizzy sang wieder mit. Gar nicht mal so falsch, fand er. Eigentlich sogar ganz schön.
Sein Bett und Körper pulsten im Takt der Bässe.
Durchs Fenster drang ihm trotz der Jalousien viel zu helles Sonnenlicht in die tränenden Augen. Er drückte das Gesicht ins Kissen, spürte, wie es feucht wurde und wie ihm sein fieberheißer Atem daraus entgegenschlug. Die Musik von nebenan erfüllte das ganze Haus, die ganze Welt, wie ihm schien.
Der Song lullte ihn ein.
Killing me softly …
*
Judy Mitchell wimmerte und weinte, als würde er sie umbringen.
Aber, Herrgott, so schlimm konnte es doch nicht sein! Oder?
Und es würde eh schneller vorbei sein, als er dachte. Tommy spürte schon, wie er kam. Biss sich auf die Lippen, hörte jemanden stöhnen, wunderte sich, wie so ein Stöhnen über Judys vor Angst und Abscheu bebende Lippen kommen konnte, es klang so … Ach, er wusste nicht, wie es klang, und er wusste erst, als es aufhörte, dass er es war, der da gestöhnt hatte.
Und dann war es warm und nass um seinen Schwanz. Hieß das etwa, sein Gummi war …?
»Verdammt!«, hörte er sich keuchen.
Tropfen lösten sich von seinem Gesicht und fielen auf Judy hinab. Wie glitzernde Perlen blieben sie auf ihrem Gesicht, ihren vor Schluchzen zuckenden Brüsten, ihrem nackten Bauch kleben; eine lief in ihren Nabel.
Schwitzte er? War doch gar nicht so heiß hier oben in den Bergen, im Gegenteil. Der Wind raunte wie mit Stimmen in den Bäumen ringsum und winselte droben um die Felsen. Es war so kalt, dass man kaum einen hochbekam.
Oder weinte er selbst etwa auch, wie Judy?
Quatsch!
Seine Augen brannten …
Judy drehte sich weg, auf die Seite, zog die Beine dicht an den Körper, senkte den Kopf, rollte sich förmlich zusammen, zu einer zitternden Kugel. Er sah ihren runden Po, sah, wie ihre nackten Zehen sich krümmten, als versuchte sie alles, was sie hatte und war, in sich hineinzuziehen. Sich zu verkriechen. Vor ihm, vor der Welt, vor allem.
Er konnte sich einerseits nicht sattsehen an ihr; andererseits ekelte sie ihn an. Wie oft hatte er sie sich so vorgestellt, Judy Mitchell, das schüchterne, aber wahnsinnig hübsche Mauerblümchen ihres Jahrgangs? Sie war nackt noch schöner, als er es sich in seinen feuchtesten Träumen ausgemalt hatte.
Nur der Sex war … scheiße gewesen.
Er zog Rotz hoch, hatte ein Zucken im Hals.
Gott, er heulte tatsächlich!
Nein, es war nicht Judy, die ihn anekelte, nicht die Art und Weise, wie sie jetzt dalag. Er ekelte sich vor sich selbst. So schlimm, dass es ihm hochkam.
Und um ihn her lachten und tanzten Teufel.
Solche Teufel, wie auch er einer war.
Als wäre der leibhaftige Teufel zugegen, der ihn verführte und trieb zu dem, was er da getan hatte. Was er angerichtet hatte. Was sich nicht mehr ungeschehen machen ließ. Was nie mehr weggehen, für immer bleiben würde. Mit ihm, mit Judy. Ein Schandmal, eine Wunde in ihrem ganzen Leben.
Die Teufel tobten, johlten, geiferten. Sie klatschten Beifall. Klopften Tommy auf die Schulter …
Er fuhr hoch.
Jemand hämmerte unten an die Tür. Es war kaum zu hören, Lizzy hatte die Musik immer noch laut aufgedreht.
Bone Thugs-N-Harmony. Tha Crossroads.
Tommy fuhr aus seinem Albtraum hoch und war erst erschrocken, dann, nach einem tiefen Atemzug, so erleichtert, als könnte er davonschweben, so spürbar schien ein Gewicht von ihm abgefallen zu sein. Er wusste, dass es nicht so bleiben würde. Die Last würde wiederkommen. Immer wieder.
Für immer bleiben …, wisperte die Spukstimme des Albtraums in seinem Kopf und wehte ihm wie ein eisiger Hauch bis ins Herz.
Die Bürde, der Jammer kamen schneller wieder als befürchtet. Nämlich als er über das Klopfen an der Eingangstür und die Musik im Haus hinweg auch noch eine energische Stimme hörte:
»Aufmachen! Wir wissen, dass Sie zu Hause sind! Hier ist das Boulder Police Department, Tommy Banks!«
*
Polizei!
»Was …?«, entfuhr es ihm. Er setzte sich im Bett auf. Die Erschöpfung, die bleierne Schwere in seinen Gliedern, die imaginären schwarzen Wolken über ihm – das alles war wie weggeblasen. Adrenalin flutete wie durch geborstene Dämme in seine Adern, schien das Blut zu ersetzen. Sein Herz raste, seine Schläfen pochten, in seinen Ohren rauschte es.
Was konnte die Polizei hier wollen?
Na, was werden die wollen, schrie es hinter seiner Stirn. Das Echo schien durch seinen ganzen Körper zu jagen.
Er sprang aus dem Bett, rannte abermals ins Bad, warf sich mit dem Rücken gegen die Tür, schlug sie zu, schloss sich ein.
Wozu? Warum tust du das? Was glaubst du …
Was sollte er denn sonst tun!? Er konnte nicht einfach runtergehen, die Tür aufmachen und so tun, als wäre nichts. Das brachte er nicht fertig! Und das würden sie ihm auch nicht abnehmen. Das brauchten sie ihm nicht abzunehmen. Sie hatten ihn doch schon. Er hatte sich verraten. Sie würden ihn mitnehmen, einsperren, befragen, durch die Mangel drehen, wieder einsperren, immer weicher klopfen.
Da konnte ihn keiner mehr rausholen.
Sein Leben war gelaufen.
Das College, bis gestern nur ein paar Wochen entfernt, war auf einmal in unerreichbare Ferne gerückt.
Komm schon, so schlimm …
Oh’ doch, so schlimm war es! Und noch schlimmer.
Er könnte sich nirgends mehr blicken lassen. Hier in der Stadt nicht mehr. Und die Tat würde ihm überallhin folgen, an den Fersen kleben wie ein Schatten. Irgendjemand würde immer dahinterkommen und ihm einen Strick daraus drehen.
An Mom und Dad wollte er gar nicht denken. Und Lizzy, was würde sie sich anhören müssen, in der Schule. Überall.
Das Herz schien Tommy in der Brust explodieren zu wollen, anzuschwellen, ihm die Luft abzudrücken. Sein Atem ging kurz und keuchend. Hinter den Augen war auf einmal ein Druck, als würden sie ihm von Daumen aus den Höhlen herausgepresst.
Er starrte aus dem Fenster und nach unten.
Vor dem Haus stand ein schwarz-weißer Streifenwagen der Polizei. Der rot-blaue Dachbalken flackerte. Störte die mittägliche Idylle der beschaulichen Wohnstraße mit ihren architektonisch verspielten Einfamilienhäusern, dem grünen Rasen der Vorgärten, den Bäumen entlang der Bordsteine.
Tommy hörte, wie unten die Tür aufging. Lizzy musste nach unten gegangen sein und hatte in ihrer Arglosigkeit geöffnet. Stimmen sprachen. Was, das verstand er nicht. Er hätte es sich denken können. Es kümmerte ihn nicht, was sie sprachen. Ihn kümmerte, was passieren würde.
Es durfte nicht passieren.
Er würde es nicht zulassen. Das, was da plötzlich aus seinem Leben geworden war, wollte er nicht. Dann lieber …
Er schaute sich um. Gehetzt, wie ein Reh auf der Flucht vor dem Puma. Er konnte nirgends hin, das wusste er. Davonlaufen war nicht seine Absicht.
Da, auf der Ablage unter dem Spiegel!
Er hörte Dads Stimme im Ohr: »Ein richtiger Mann rasiert sich nass, mein Sohn. Hier, bitte.«
Tommy hatte nie viel rasieren müssen. Babyface hatte man ihn nicht nur einmal genannt. Entsprechend wenig gebraucht und scharf war die Klinge im Rasierer.
Schritte auf der Treppe. Die Stimmen wurden lauter, sie riefen seinen Namen. Fordernd die der Polizisten, schrill die seiner kleinen Schwester.
Er trat vor den Spiegel. Sah sich. Ja, ein Babyface. Sein Blick schien zu verschwimmen, sein Gesicht sich zu verwandeln. Ein Teufel glotzte ihm entgegen. Eine rote Fratze mit spitzem Kinn und Hörnern auf der Stirn. Ihr Mund bewegte sich, glaubte er, anders als seiner – oder war doch er selbst es, der da flüsterte: »Tu’s!«
Er gehorchte, wem auch immer. Mit fahrigen Fingern fummelte er die Klinge aus dem teuren Nassrasierer. Dad, Partner in der erfolgreichsten Anwaltskanzlei von Denver und Mitglied im City Council seiner Heimatstadt Boulder, kaufte keinen billigen Kram, nicht für sich selbst und nicht für ihn. Hatte er nie getan. Für sich und seinen Jungen war ihm nur das Beste gut genug.
»O Gott …«, winselte dieser Junge, auf den nichts Gutes mehr wartete. Vom Besten ganz zu schweigen. Er hätte alles haben können. Und hatte alles kaputt gemacht. In einer einzigen Nacht. Nein, in fünf Minuten. Weniger noch, eigentlich binnen eines Augenblicks …
Er schnitt sich in die Kuppe des Zeigefingers.
»Au!« Seine Stimme klang so widerlich hell und spitz.
Die Schritte verhielten vor der Tür.
»Tommy Banks? Sind Sie da drin?«, fragte ein Mann.
Er biss sich auf die Lippe, so fest, dass es wehtat und dann blutete.
Klopfen an der Tür.
Er setzte die Klinge an seinen Hals.
Wo? Wo am besten, damit es schnell ging. Und nicht wehtat. Nicht lange.
Tommy spürte einen kleinen, beißenden Schmerz und wie Blut austrat, nur ganz wenig.
Tiefer!
Er drückte zu. Die scharfe Schneide drückte sich durch Haut, Fleisch, Knorpel, Adern.
Jemand drehte draußen den Knauf. Forderte ihn auf, die Tür zu öffnen. Man wisse doch, dass er drin sei, und werde die Tür, wenn er sich nicht kooperativ zeige, mit Gewalt aufbrechen. Ganz schnell gehe das.
Ein kieksender Laut entfuhr Tommys zusammengepressten Lippen.
Dann kam Blut hinterher. Es quoll aus dem Hals herauf. Immer mehr. Er schmeckte es. Als wäre sein Mund mit alten, warmen Pennys gefüllt.
Sein Arm, die Finger fühlten sich steif an. Als führte ihm jemand anders die Hand, schnitt sie mit der Klinge ganz über den Hals, bis unters Ohr. Und wieder zurück, bis zum anderen.
Sein Spiegelbild schien sich in Farben aufzulösen. Die Kraft floss aus ihm heraus, nahm die Wärme mit. Seine Knie wurden weich und gaben nach. Gefühlt wie in Zeitlupe, tatsächlich schwer und schnell wie ein nasser Sack ging er zu Boden.
Irgendwo krachte es. Die Tür flog auf.
Beide Wahrnehmungen fanden in Tommys Kopf nicht mehr zueinander.
Ihm wurde kalt. Wärme füllte nur noch seine Lungen. Er konnte nicht mehr atmen. Nur noch ertrinken. Im eigenen Blut.
Er ließ es geschehen.
Ein Schatten fiel über ihn und senkte sich wie eine schwarze Decke auf ihn nieder …
*
Bist du ich?
Bin ich du?
Wir sind für dich da.
Killing me softly …
*
Heute …
»So traumatisch das damals alles für die Familie Banks gewesen sein mag«, sagte Les Bedell, »Tommy Banks kam mit dem Tod relativ leicht davon.«
Der Psychologe, ehedem bester Profiler des Federal Bureau of Investigation, zupfte an der Kinnpartie seines getrimmten Fünf- oder Sechs-Tage-Barts, grau meliert wie sein schon stark gelichtetes Haupthaar.
»Das wissen wir nicht«, tönte es von der bequemen Patientencouch. »Womöglich wäre alles ganz anders gekommen. Viel früher aufgeflogen, damals schon.«
»Sie haben recht.« Les Bedell nickte, die Augen hinter den runden Gläsern seiner Brille wanderten hin und her, ihr Blick über die Zeilen auf dem gelben Notizblock in seiner Hand. Er bevorzugte handschriftliche Notizen gegenüber digitalen Hilfsmitteln oder auch nur einem Diktiergerät.
»Wir wissen aber«, fuhr er fort, »dass Tommy Banks’ Selbstmord eine Kurzschlusshandlung war.«
»Ich dachte, er hätte seine Schuld nicht mehr ertragen und deshalb Schluss gemacht.«
Bedell schüttelte den Kopf. »Reue war allenfalls ein unterschwelliges Motiv. Nur aus Gewissensqual hat er nicht gehandelt. Das hätte länger gedauert, wäre nicht schon am Tag nach der Tat geschehen. Er war kopflos, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Reagierte überstürzt. Er wusste, er hatte sich mit seinem fluchtartigen Verschwinden noch in der Nacht verdächtig gemacht …«
»… und dass sein Kondom geplatzt war und er seine DNA im Opfer hinterlassen hatte, wird ihm wohl auch klar gewesen sein.«
»Das muss er nicht unbedingt bemerkt haben«, meinte Bedell.
»So was merkt man doch!«
»Sie müssen sich das in der Situation vorstellen: Er vergewaltigt das Opfer …
»Das will ich mir nicht vorstellen.«
Bedell sprach ungerührt weiter: »… er ist erregt, ist wahrscheinlich gar nicht richtig bei sich. Er kann gemerkt haben, dass sein Kondom beim Verkehr geplatzt war, aber ob er es gemerkt hat? Auch das werden wir heute nicht mehr erfahren. Tommy Banks ist seit zwanzig Jahren tot. Und er hat sich spontan getötet, aus der Bedrängnis heraus, er benutzte, was gerade zur Hand war – eine Rasierklinge.«
»Sie hätten ihn auf jeden Fall drangekriegt.«
»Sie haben ihn ›drangekriegt‹.« Bedell lehnte sich in seinem abgewetzten Ledersessel zurück und schlug die langen Beine übereinander. »Der Selbstmord wurde, wenn schon nicht als Geständnis, so doch als Schuldeingeständnis gewertet, der DNA-Beweis war dann eigentlich nur noch eine Formsache. Die Polizei hat den Fall nicht weiterverfolgt, er galt als gelöst. Man hatte ja einen Täter.« Den letzten Satz betonte er.
»Und man musste ihm noch nicht einmal den Prozess machen«, kam es von der Couch. »Hat der Staatskasse also auch noch Geld gespart.«