Counting Rainbows - Emily Bähr - E-Book
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Counting Rainbows E-Book

Emily Bähr

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Beschreibung

Du musst wissen, wer du bist, um zu zeigen, wer du sein kannst! David, aka »Toast«, hat eigentlich genug zu tun. Da wären sein verhasstes Studienfach, die schwierige Situation seiner Familie, das anstehende Praktikumsjahr, die Organisation eines Charity-Events und sein brach liegendes Liebesleben. Dass er schwul ist, ist kein Geheimnis. Dass er auf Cameron Walsh steht, dagegen schon. Denn Cameron ist alles, was Toast nicht ist. Und er hat alles, was Toast nicht hat. Und doch scheinen die beiden sich wie magisch anzuziehen. Aber auch wenn Cameron gutaussehend und scheinbar sorglos ist, eines ist er nicht: ehrlich... 

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Counting Rainbows

Die Autorin

Zwischen Narnia und Westeros lebt Emily Bähr im magischen Nordirland, wo sie als Grafikdesignerin den Lebensunterhalt für sich und ihre Katzen verdient. Als bekennender Nerd liebt sie Science-Fiction, Rollenspiele, Kinobesuche und ihren Debattierclub und würde bei der ersten Gelegenheit auf den Mars auswandern. Da dies allerdings unwahrscheinlich ist, flüchtet sie sich in die magievollen, futuristischen oder romantischen Welten in ihrem Kopf, während sie im Schutz der Nacht Wikipedia nach unnützem Wissen durchforstet.  

Das Buch

Du musst wissen, wer du bist, um zu zeigen, wer du sein kannst

David, aka »Toast«, hat eigentlich viel zu viel um die Ohren. Da wären sein verhasstes Studienfach, die Organisation eines Charity-Events und sein brach liegendes Liebesleben. Es ist kein Geheimnis, dass er schwul ist. Dass er auf Cameron Walsh steht, dagegen schon. Denn Cameron verkörpert alles, was Toast nicht ist. Und er hat alles, was Toast nicht hat. Und doch scheinen die beiden sich wie magisch anzuziehen. Was Toast nicht weiß: Cameron wirkt zwar sorglos und mühelos gutaussehend, eines ist er dabei nicht: ehrlich ...

Emily Bähr

Counting Rainbows

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 1. Auflage Oktober 2022 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® E-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-95818-670-5

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Epilog

Danksagung

Content Note (Achtung Spoiler!)

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung:

Für Regan.

Content Note

Liebe Lesende,dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deswegen findet ihr auf Seite 336 eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Geschichte. Wir möchten, dass ihr das bestmögliche Leseerlebnis habt.

Eure Emily Bähr und das Forever-Team

Kapitel 1

David

Nicht einmal einem Menschen ohne Spidey-Sinn würde entgehen, dass der Typ in der engen Chino und dem Ralph-Lauren-Polo mir die ganze Zeit seltsame Blicke zuwirft. Nicht auf die gruselige Art. Eher so, als überlegte er, ob er mich ansprechen soll. Gern würde ich ihm den Gefallen tun und den ersten Schritt machen, aber noch bin ich mir nicht sicher. Ich bin neu an der Uni, das Semester hat noch nicht angefangen, und die wenigen Leute, die ich kenne, sind Freunde aus dem College, die mich heute Abend ins Lavery’s eingeladen haben. Lavery’s, die Studentenkneipe schlechthin. Denn das bin ich jetzt: ein Student.

Ich grinse zufrieden in mich hinein, weil ich irgendwie immer noch nicht glauben kann, dass ich in zwei Wochen die Vorlesungsbank drücken werde, bevor ich an den Abenden das Nachtleben in Belfast unsicher mache.

Study Hard. Party Hard. Nein, der Song ging irgendwie anders. Abwesend nehme ich einen Schluck Guinness, um über den Rand des Glases einen weiteren unauffälligen Blick in Richtung des Typen werfen zu können. Sein Outfit schreit geradezu danach, dass sein Vater Anwalt ist, dennoch kann ich nicht leugnen, dass er verdammt heiß aussieht. Als ein neuer Song einsetzt – »Diamonds« von Rihanna –, legt er leicht den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Dabei fängt sich das Licht in seinen kupferfarbenen Haaren, lässt sie wirken wie Feuer. Unwillkürlich bleibt mein Blick an seinen vollen Lippen hängen, die lautlos die Lyrics formen. Ich folge in Gedanken der Linie seines glatt rasierten Kinns, spüre, wie mein Herzschlag sich beschleunigt, bis eine plötzliche Bewegung mich aus meiner Trance reißt.

Eine junge Frau tritt an seine Seite, die mit dem kurzen paillettenbesetzten Kleid besser in diese Location passt als er. Vor allem seine weißen Segelschuhe wirken dagegen so, als wäre er auf dem Weg zum nächsten Golfplatz.

Ja. Vernünftig betrachtet, sollte mich dieser Typ nicht interessieren. Ich kann förmlich riechen, dass er als Kind mehr Taschengeld bekommen hat, als meine Eltern im Monat verdienen. Die Art, wie er das Kinn reckt, hat etwas Überhebliches. Er wirkt wie jemand, der sich nie mit unbedeutenden Informatikern herumschlägt, und genau das bin ich. Zugegebenermaßen nicht sonderlich unbedeutend, aber eben ein unscheinbarer Nerd.

Mehrmals gelange ich zu der eindeutigen Feststellung, dass der Typ nichts für mich ist, aber sag das mal dem Rest meines Körpers. Vor allem meinen Augen, die offenbar am liebsten gleich aus ihren Höhlen kullern und sich an seinem Hintern festsaugen würden.

»Alles okay? Ist dir schlecht?« Die Schwarzhaarige, die mir gegenüber auf ihrem Handy herumgetippt hat, sieht mich auf einmal besorgt an. Allerdings kann ich ihr jetzt kaum erklären, was genau in meinem Kopfkino läuft.

»Ich steh nur nicht so auf Guinness«, antworte ich ausweichend.

»Wieso hast du es dir dann bestellt?« Unter ihrem analytischen Blick fühle ich mich nackt. Und ertappt.

»Wollte cool wirken. Mit einer Fanta funktioniert das nicht so gut.«

Die Fremde stößt amüsiert Luft aus, dann wendet sie sich wieder ab. Sie sitzt zusammen mit ihrer Gruppe am nächsten Tisch, der in der Enge des Pubs keine Armlänge entfernt ist. Hin und wieder habe ich aus der Richtung bereits Gesprächsfetzen rund um das neue Semester und einen Debattierklub aufgeschnappt, doch im Vergleich zum Rest ihrer Bekannten wirkt die Schwarzhaarige seltsam abwesend, müde, als hätte diese kurze Interaktion mit mir sie bereits zu viel Kraft gekostet.

Ich starre hinab auf mein Glas, in dem inzwischen kaum noch etwas von dem dunklen Bier übrig ist. Ein Schluck, dann ist es ganz leer, und ich überlege, was ich jetzt am besten mache. Meine Collegefreunde haben sich einen der Pooltische unter den Nagel gerissen, wo sie seit gefühlt Stunden Kugeln durch die Gegend schieben, um den Eindruck zu erwecken, sie wären irgendwie cool. Ich dagegen weiß, dass ich mich dabei nur blamieren würde. Deshalb habe ich es vorgezogen, mich stattdessen an diesen Tisch zu setzen und mir so lange Mut anzutrinken, bis ich genug Selbstbewusstsein zusammenhabe, um ein paar neue Bekanntschaften zu machen. So zumindest die Theorie.

In der Praxis war das mein zweiter Drink, und bis auf ein Kribbeln in den Beinen spüre ich kaum etwas davon. Auch wenn ich mittlerweile ernsthaft darüber nachdenke, den Poloshirt-Typen doch anzusprechen, denn er starrt mich schon wieder an.

Kurz begegnen sich unsere Blicke, und ich meine zu sehen, wie sich sein Mundwinkel hebt. Eine Herausforderung?

Ich brauche noch einen Drink, bevor ich bereit bin, das rauszufinden.

Langsam richte ich mich auf, drücke mich aus meiner Nische und mache mich auf den Weg zur Bar, und weil ich so mutig bin, nehme ich dafür sogar einen Umweg in Kauf, um ja nicht zu dicht an dem rothaarigen Typen vorbeizumüssen. Ein schwieriges Unterfangen, denn mittlerweile ist es ziemlich voll. Das Lavery’s hat vier Bereiche. Einen klassischen Irish Pub im Erdgeschoss, einen Hinterhof, von dem aus eine Treppe auf die Terrasse führt. Und das zweite Stockwerk des Gebäudes, das im Vergleich zum unteren Bereich wesentlich moderner ist. Zwischen Backsteinwänden und dunklem Boden gibt es eine Handvoll Pooltische und hohe Decken, von denen Scheinwerfer und Discokugeln hängen, sodass das Ganze mehr an einen Klub erinnert und man kaum glauben kann, noch im selben Laden zu sein.

Sobald ich an den Pooltischen vorbei bin, lichtet sich die Menge etwas.

An der Bar überlege ich kurz, ob ich mir wirklich noch ein weiteres Guinness bestellen oder lieber etwas anderes probieren soll, als mir jemand zuvorkommt.

»Gin and Tonic, bitte, Hendrick’s Orbium und Fever-Tree.«

Ich wende mich um, will mich gerade beschweren, was der Typ sich einbildet, sich einfach vorzudrängeln, da wird mir klar, wer neben mir steht. Und zwar nah genug, dass mir sein vermutlich teures Aftershave sofort in die Nase steigt. Weil mir keine passenden Worte einfallen, teilen sich meine Lippen, wodurch ich vermutlich aussehe wie das Karpador auf der Brusttasche meines Shirts.

Der Mann, der kaum älter sein dürfte als ich, grinst mich an, wobei er seine perfekten Zähne leicht in seiner Unterlippe vergräbt.

»Zwei davon«, erklärt er dem Barkeeper, reicht ihm seine Kreditkarte und zwinkert mir verschwörerisch zu. Mir wird auf einmal heiß. Furchtbar heiß.

Okay, David, time to shine, sage ich mir, dabei ahne ich bereits, dass ich im Begriff bin, mich gleich furchtbar zu blamieren.

»Wer sagt denn, dass ich gern Gin and Tonic trinke?«, frage ich, will dabei anzüglich klingen, aber höre mich wahrscheinlich eher wie ein aufmüpfiger Teenager an.

»Wer sagt denn, dass der zweite Drink für dich ist?«

Shit. Denk nach.

»Ich dachte, dass du, wenn du dich schon vordrängelst, wenigstens so höflich bist, mir einen Drink zu spendieren.«

Der Typ hebt überrascht seine breiten dunklen Brauen. Aus der Nähe sieht er noch besser aus.

»Okay, erwischt. Soll ich dir lieber was anderes bestellen?«

Von seiner Ehrlichkeit entwaffnet, schüttele ich nur den Kopf, während ich langsam mein leeres Glas auf dem Tresen abstelle. »Passt schon.«

»Fresher?«, fragt er.

»Ja. Nächste Woche geht’s los. Du?«

»Dito. Jura.«

»Sieht man.« Normalerweise bin ich nicht so wortkarg, doch meine Kehle fühlt sich so staubtrocken an, dass jede einzelne Silbe eine Qual ist.

»Tut man das?« Er verzieht die Lippen.

Neben uns auf dem Tresen landen die beiden Drinks. Ich greife sofort nach einem und stürze ihn so schnell runter, dass ich mich beinahe daran verschlucke. Gestatten, David, die Coolness in Person.

»Na ja, das Polohemd, deine Schuhe … dein Portemonnaie«, antworte ich zögernd.

Er starrt auf seinen Geldbeutel, der kaum größer ist als die silberne Kreditkarte, die er darin verstaut. Dann hebt er den Blick und betrachtet mich skeptisch.

Klasse. Da bekomme ich einmal die Chance, mit einem gut aussehenden Typen zu reden, der mir auch gleich noch einen Drink spendiert, und mir fällt nichts Besseres ein, als ihn sofort in eine Schublade zu stecken, zu beleidigen und ganz nebenbei subtil darauf hinzuweisen, dass ich nicht in seiner Liga spiele. Offenbar will mein Unterbewusstsein, dass ich Single bleibe.

Ich räuspere mich, überlege mir kurz, wie ich möglichst schnell und elegant zurückrudern kann, nur um mich am Ende doch für die Flucht nach vorne zu entscheiden.

»Ich bin übrigens David.«

»Cameron.« Seine Oberlippe zuckt. »Aber glaub jetzt bloß nicht, dass du dich da rausreden kannst. Was ist falsch an meinem Outfit?«

»Nichts. Du siehst nur mehr wie ein angehender Golfprofi aus als wie ein Student.«

»Wer sagt, dass ich nicht beides bin?«

Ich versuche, ihn mir nicht bei der – meiner Meinung nach – unattraktivsten Sportart aller Zeiten vorzustellen, muss aber gestehen, dass selbst dieses Bild nichts an seiner Anziehungskraft ändert. Er könnte in seiner Freizeit sonst was tun, ich würde ihm trotzdem hinterhersabbern. Er hat einfach etwas an sich. Eine Ausstrahlung, die einen innerhalb von Sekunden in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt.

»Also David«, fährt er unbeirrt fort. »Was ist mit dir? Dein erstes Mal feiern?«

Ich nicke.

»Sieht man.«

Mein gespielt beleidigter Gesichtsausdruck bringt ihn zum Lachen.

»Und was studierst du?« Cameron mustert mich akribisch. Wahrscheinlich versucht er ebenfalls, anhand meines Outfits zu erkennen, wer ich bin. Mit den dunklen Hosen, Regenbogen-Chucks, dem Pokémon-Hemd und der Jeansjacke mache ich es ihm nicht schwer.

»Informatik«, erkläre ich. »Gerade frisch aus dem Foundation Degree.«

»Wie nett.«

»Das hab ich heute schon ein paarmal gehört.«

»Ach, wirklich?«

Der Abstand zwischen uns ist so gering, dass mir von seinem süßlich-herben Geruch schwindelig wird. Vielleicht ist es auch der Alkohol. Oder die Hitze. Oder alles auf einmal. Auf jeden Fall kann ich spüren, wie ich rot anlaufe. »Nein.«

»Noch einen Drink?«

Überrascht stelle ich fest, dass ich mein Glas bereits geleert habe.

»Willst du mich etwa abfüllen?«

Er grinst. »Glaub mir, wenn ich dich abfüllen wollte, würde ich dafür bestimmt nicht den teuersten Gin in der Bar nehmen.«

»Wow, wie ehrenhaft.«

»Ist das ein Nein?«

»Kommt drauf an. Darf ich dieses Mal selbst entscheiden?« Keine Ahnung, woher plötzlich dieser flirtende Unterton in meiner Stimme kommt. Oder wie ich überhaupt den Mut dazu gefunden habe, aber Cameron scheint darauf anzuspringen.

»Hm … Das ist doch schon ziemlich viel verlangt.«

»Ich kann dir anbieten, dass wir uns dieses Mal in eine ruhige Ecke verziehen, statt wie zwei verzweifelte Alphamännchen an der Bar herumzustehen.«

Aus welchem dunklen Winkel meines Gehirns stammt denn der Spruch?

»Aww, du hältst mich für ein Alphamännchen.«

Ich lache. Er lacht. Irgendwas an dem Geräusch bringt meinen Puls kurz ins Stolpern. Dann wird seine Miene wieder ernst. Sein Blick undurchdringlich, düster und irgendwie sexy.

»Also David, was darf’s sein?«

Keine Stunde später weiß ich nicht mehr, was ich bestellt habe. Nicht weil der Alkohol mich alles andere hat vergessen lassen, sondern weil Cameron mich irgendwo in einer schummrigen Ecke des Lavery’s gegen die Wand drückt und mich so verlangend küsst, dass ich mich nicht einmal an meinen Namen erinnere. Normalerweise bin ich niemand, der auf einer Party gleich mit dem nächstbesten Typen rummacht, aber heute ist alles irgendwie anders. Cameron ist anders. Dieser Kuss ist anders.

Er hat etwas Verstohlenes. Als blieben uns nur Minuten, bevor die Welt uns wieder auseinanderreißt. Er ist stürmisch und intensiv, dass es mir fast den Boden unter den Füßen wegreißt. Camerons Lippen sind warm und weich, schmecken nach einer Mischung aus Vanille und dem Bourbon, den er zuletzt hatte. Sanft, und gleichzeitig fordernd, verzweifelt. Und ich? Ich bin ihm bedingungslos ergeben. Ein Wunder, dass ich nicht gleich schmelze und als Pfütze seine perfekten weißen Schuhe versaue.

Ich versuche, jede Sekunde dieses Kusses auszukosten, jede Berührung, jeden Atemzug, doch auch wenn es sich für einen Moment so anfühlt, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt, sieht die Realität anders aus.

»Cameron?«

Der Klang seines Namens lässt ihn erschrocken zurückweichen. Schwer atmend bleibe ich an die Wand gelehnt stehen und brauche ein paar Sekunden, um überhaupt zu begreifen, was passiert ist. Wir befinden uns in einem kleinen Gang, der zu einem privaten Bereich führt und mit dem diffusen Licht und einem weiteren knutschenden Pärchen so ziemlich jedes Klischee erfüllt. Vor uns steht die junge Frau, mit der Cameron sich vorhin unterhalten hat. Wer auch immer sie ist, seine Freundin, eine Freundin, Bekannte oder sonst wer, sie wirkt alles andere als glücklich, uns zusammen vorzufinden. Stirnrunzelnd betrachtet sie erst ihn, dann mich, wobei es mir vorkommt, als würde sie bei meinem Anblick die Nase rümpfen. Scheinbar denkt sie, ich wäre die falsche Gesellschaft für Cameron. Was ich, wie ich jetzt langsam wieder realisiere, auch bin.

In einer fließenden Geste streicht Cameron sich die ruinierte Frisur zurecht und wirkt dabei so, als würde er in eine Rolle schlüpfen, als hätte es diesen Kuss nie gegeben. Mir wird bewusst, dass noch niemand ein Wort gesprochen hat. Peinliche Stille, die mich mit jeder Sekunde, die verstreicht, verzweifelter werden lässt.

Ich weiß nicht, was ich erwarte. Vielleicht eine Entschuldigung. Vielleicht ein Wort des Abschieds. Seine Nummer. Oder zumindest ein vielsagendes Lächeln. Am Ende bekomme ich nichts davon. Cameron weicht meinem Blick aus, als er sich noch ein Stück weiter von mir entfernt. Kein einziger Laut kommt über seine Lippen.

Er wendet sich ab, marschiert erhobenen Hauptes zu der Frau und lässt mich mit mehr Fragen als Antworten stehen.

Und ich?

Ich sehe ihm hinterher, bleibe zurück und fühle mich furchtbar einsam. Dazu verletzt. Angepisst. Und zugegebenermaßen vollkommen verarscht.

Na, wenn das kein geiler Start ins Studentenleben ist.

Kapitel 2

Cameron, anderthalb Jahre später

»Erinnere mich bitte noch mal, warum du dachtest, es sei eine gute Idee, deinen verkorksten Jura-Klub zu einer Hausparty einzuladen?«

Unwillkürlich folge ich Liz’ Blick zu einem meiner Kommilitonen, der gerade aufs Sprungbrett unseres Pools klettert und seine Designerjacke wie eine Flagge umherschwenkt, bevor er die Kontrolle verliert. Während das Kleidungsstück sich irgendwo in Richtung von Mums Rosenhecke verabschiedet, landet er erst unsanft mit dem Hintern auf dem Brett und plumpst anschließend wie ein nasser Sack ins Becken. Kurz verstummen alle Anwesenden, die die Szene beobachten, bis sich etwas unter der Wasseroberfläche rührt.

Der Typ, ich glaube, er heißt Olcan, bricht durch die Wasseroberfläche und grölt dabei so laut, als hätte er die Schlacht von Waterloo gewonnen, woraufhin die anderen in ähnlicher Lautstärke mit einstimmen. Ich sollte morgen dringend eine Karte und eine Flasche Sekt bei den Nachbarn vorbeibringen, um mich für den Lärm zu entschuldigen, doch fürs Erste trinke ich einen Schluck meines viel zu starken Gin and Tonic und wende mich wieder meiner Schwester zu, die missbilligend ihre vollen nude geschminkten Lippen geschürzt hat.

»Es gehört zum guten Ton«, erkläre ich ihr wie selbstverständlich. »Wir sind eine Bruderschaft, die alles teilt. Sturmfreies Haus inklusive.«

Sie pustet sich verächtlich eine kurze braune Haarsträhne aus der Stirn. »Man könnte meinen, ihr Juristen feiert wenigstens mit Würde. Wenn ich daran denke, einer dieser Pappnasen mal im Gerichtssaal gegenübertreten zu müssen …«

Irritiert runzele ich die Stirn. »Hast du etwa ein größeres Verbrechen geplant?«

»Wenn das so weitergeht, kann ich für nichts mehr garantieren.« Wie aufs Stichwort ertönt irgendwo aus dem Inneren des Hauses ein lautes Klirren. »Ey, was soll die Scheiße?«

Sie stürmt so schnell davon, dass ich ihr nur hinterherschauen kann. Zugegeben – ich bin sogar ein kleines bisschen auf ihrer Seite und definitiv kein Fan davon, wenn die zukünftige Judikative des Landes mal wieder vergisst, wer sie ist, Mums Weinkeller plündert und in den Garten kotzt. Andererseits gehört es zum guten Ton, auch mal den Gastgeber zu spielen, und ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich mich bei anderen Partys zivilisierter verhalten habe. Besonders Lust darauf, mich morgen dafür bei Maisie, unserer Putzfrau, entschuldigen zu müssen, habe ich trotzdem nicht.

Noch immer an den Gasgrill gelehnt, lasse ich meinen Blick über die Terrasse und den Garten dahinter schweifen. Dafür, dass sie eigentlich gegen dieses Event war, hat sich Liz mit der Dekoration selbst übertroffen und unserem beinahe schon sterilen Garten mit den perfekt getrimmten Hecken mithilfe von bunten Laternen und Girlanden ein gemütliches Flair verliehen. Sicherlich einer der Gründe, wieso sie sich entschieden hat, Kunst zu studieren, während ich in ein paar Jahren die Firma meiner Mutter übernehmen werde.

Durch die Deko hat das Haus einiges an dem kargen Minimalismus verloren, der sonst hier vorherrscht und auf den unsere Mutter so viel Wert legt. Übermorgen, wenn sie von ihrem Trip aus London zurückkommt, wird alles wieder so sein wie vorher – weiß, modern, clean –, weshalb ich den Moment trotz des Lärms genieße. Die warmen Bokeh-Lichter spiegeln sich auf der Wasseroberfläche des Pools, dessen Rand mit dem Ozean unter uns zu verschmelzen scheint. Noch nie war unser Garten so schön.

Beinahe bin ich verärgert, so einen perfekten Abend an die laute Law Society zu verschwenden, statt in Ruhe die Aussicht aufs Meer zu genießen und den Tag mit Curtis ausklingen zu lassen. Als ich daran denke, welche Dinge man mit sturmfreier Bude noch so anstellen kann, wandert unwillkürlich ein Lächeln auf mein Gesicht, und ich ernte prompt einen Hieb auf den Hinterkopf.

»Du sabberst, Cameron«, informiert mich meine Schwester, die sich mit einem Glas Cognac in der Hand wieder zu mir gesellt. Offensichtlich hat auch sie die Gelegenheit nicht ungenutzt gelassen und sich an Mums Vorräten bedient.

»Ist drinnen alles in Ordnung?«, übergehe ich ihren Kommentar.

»Kommt drauf an, wie du ›in Ordnung‹ definierst. Ist ein Feuer ausgebrochen, das sich durch Mums Büro frisst? Nein. Hat einer deiner Leute gerade eine Weinflasche und sein iPhone gekillt bei dem Versuch, sie aufzubekommen? Ja.«

Ich gönne mir noch einen Schluck Gin. Mir ist klar, dass ich nicht zu viel davon trinken sollte, damit ich morgen einigermaßen in der Lage bin, beim Aufräumen mitzumachen, aber gleichzeitig hilft mir der Alkohol dabei, nicht zu sehr daran zu denken, was ich alles beseitigen muss.

»Hast du Curtis eingeladen?«

Verwirrt runzele ich die Stirn. »Nein.«

Ich folge dem Deuten meiner Schwester in Richtung der geöffneten Terrassentür, durch die sich ein Mann schiebt, der so gar nicht in diese Veranstaltung passen will. Sofort macht mein Herz einen Satz – dabei kann ich gar nicht so genau sagen, ob aus Freude oder nackter Panik. Mein Lächeln wird automatisch breiter, während ich nur mühevoll dem Impuls widerstehe, mich unauffällig umzusehen, um sicherzugehen, dass niemand bemerkt, wie ich Curtis anstarre.

Verlegen vergräbt er die Hände in seiner ausgewaschenen Jeans und hält den Kopf gesenkt. Aber mit dem karierten Shirt, dessen weite Ärmel geschickt kaschieren, dass er nach den Vorlesungen regelmäßig ins Fitnessstudio geht, fällt er unter Gucci, Ralph Lauren und Hilfiger trotzdem auf. Nur mit aller Willenskraft kann ich mich davon abhalten, ihn in meine Arme zu ziehen, denn selbst ohne sein Gesicht zu sehen, weiß ich, dass etwas nicht stimmt.

»Cameron«, mahnt Liz, die meine Gedanken errät.

Ich verschränke steif die Arme, und als Curtis bei mir ist, fragt er: »Kann ich mit dir reden?«

Noch immer sieht er mich nicht an, aber das wundert mich kaum. Das hier ist kilometerweit von seiner Komfortzone entfernt. Nicht nur weil er generell nicht gern zu Besuch kommt, sondern auch weil er von Partys noch weniger hält als Liz. Er wusste, was ich heute Abend vorhabe, was bedeutet, dass er einen verdammt guten Grund haben muss, hier aufzukreuzen.

»Lass uns raufgehen«, antworte ich, wobei ich Liz’ Blick auf mir spüren kann. Im Haus sind glücklicherweise alle so sehr mit Druckbetanken beschäftigt, dass uns keiner dabei beobachtet, wie wir uns ins Obergeschoss schleichen. Zu meiner Überraschung ist dieses komplett verlassen, was bedeutet, dass meine Kommilitonen zumindest so viel Anstand besitzen, sich nur im Wohnzimmer und im Garten die Kante zu geben.

Den Weg in mein Zimmer finden wir selbst ohne Licht, und als endlich die Tür hinter uns ins Schloss fällt, atme ich erleichtert aus. Hier hört man die Party kaum noch. Außerdem ist der alles überwältigende Geruch des Alkohols verschwunden, sodass ich endlich das Gefühl habe, wieder richtig Luft zu bekommen. Ich schließe die Jalousien, obwohl die zwei großen Fenster, durch die fahles Mondlicht fällt, vom Garten aus nicht einsehbar sind.

Verdammte Paranoia.

Dann wende ich mich Curtis zu, der unsicher in der Mitte des Raumes steht. Wie damals bei seinem ersten Besuch, als er panische Angst davor hatte, meine Mutter würde ihn mit Haut und Haaren zum Frühstück verputzen. Eindeutig ist dieser Fall nicht eingetreten, weshalb seine Haltung mich etwas verwundert. Ich ziehe ihn in eine Umarmung, die er nicht erwidert.

»Ich hab heute gar nicht mit dir gerechnet«, sage ich, um das mulmige Gefühl in meiner Brust zu verdrängen.

Er nickt schwach. »War das Corbyn Foster, der bei euch in der Küche …«

»Mhm, willst du ein Foto machen und an die Daily Mail verkaufen?«

Er lacht leise. »Glaube nicht, dass die sich für den Sohn des First Ministers interessieren, solange er nicht mit Strippern zusammen eine Line auf der Treppe von Stormont zieht.«

»Würde sein Vater endlich mal Stripper legalisieren, würde ich ihm das sogar zutrauen.«

Kurz drückt mich Curtis an sich, bevor er sich aus der Umarmung löst. Dabei wendet er kein einziges Mal den Blick von mir ab, während seine Miene in wenigen Sekunden erst ausdruckslos, dann traurig wird.

»Was ist los?«, frage ich und deute mit dem Kinn auf mein Bett.

Curtis schüttelt nur den Kopf, ohne meiner stummen Aufforderung, sich zu setzen, nachzukommen. Stattdessen wendet er sich von mir ab. Nachdenklich beobachte ich ihn dabei, wie er zum Fenster geht und die Jalousie, die ich eben geschlossen habe, ganz leicht öffnet, sodass er durch die Schlitze nach draußen spähen kann. Mehr als das Meer und die fernen Lichter von Carrickfergus, die sich in der Bucht spiegeln, wird er nicht erkennen, dennoch versteife ich mich automatisch. Ich bin unendlich glücklich, ihn zu sehen, aber gleichzeitig wäre es mir lieber, er wäre nicht hier.

»Du bist verkrampft«, stellt er kühl fest. »Angst, dass einer deiner Leute gleich reinplatzt und dich mit einem Kerl erwischt?«

Da ist dieser Unterton in seiner Stimme, der mir signalisiert, dass er nur eine Antwort akzeptieren wird. Dabei wissen wir beide, dass ein »Nein« gelogen wäre.

Unverbindlich zucke ich mit den Schultern. »Alte Gewohnheit. Also, wieso bist du hier?«

Er legt den Kopf schief, wodurch ihm seine wilden braunen Locken in die Stirn fallen. Ich kann den Ausdruck in seinen grünen Augen nicht deuten, in denen ich sonst immer wie in einem Buch lesen kann.

»Ich wollte mit dir reden.«

»Okay?« Unbewusst schnappe ich nach Luft, kann den provokanten Unterton in meinen Worten kaum verbergen. »Eine Nachricht hätte nicht gereicht?«

»Ich kann das nicht mehr, Cameron.«

Aus reinem Reflex liegt mir ein Spruch auf der Zunge, ob sein Handy kaputt ist, bis mir die Implikation seiner Worte klar wird. »Was?«

»Das hier.« Er macht eine allumfassende Geste, doch ich weiß auch so, was er meint. »Ich liebe dich, aber ich halte dieses Versteckspiel nicht mehr aus.«

Ich will ihn anfahren. Ihn schütteln, ihm einreden, dass er das nicht ernst meint, doch ausgerechnet jetzt bleibt meine Stimme gelassen. Als hätte mein Körper eine Art Schutzmechanismus, der genau dann greift, wenn es emotional schwierig wird.

»Okay«, entgegne ich nur reserviert. »Du weißt, dass das für mich nicht so einfach ist, aber wenn …«

»Cameron.« Er sieht mir direkt in die Augen, und der Schmerz, den ich in seinen erkenne, schnürt mir die Kehle zu. Obwohl seine Stimme bebt, ahne ich, dass er sich die nächsten Worte sehr genau zurechtgelegt hat. »Ich schaffe das nicht mehr. Ich weiß, du meinst es nicht böse, und ich weiß, wie scheiße deine Situation ist, aber ich will mit dir zusammen sein. Richtig, bedingungslos – und nicht mehr wie in einer Affäre leben.«

Ich blinzele, versuche, den Schmerz auszublenden, der sich langsam in meinem Inneren ausbreitet und meine Hände zittern lässt. »Du weißt, dass du mehr bist als das.«

»Ich weiß, aber …«

… ich spüre es nicht. Er muss den Satz nicht beenden. Ich kenne ihn besser als jeder andere, und so oft, wie wir dieses Gespräch bereits hatten, weiß ich ganz genau, was in ihm vorgeht. Nur dass es sich dieses Mal endgültig anfühlt.

Ich sehe Erwartung in Curtis’ Blick. Einen Hoffnungsfunken, der mir das Herz bricht. Selbst jetzt glaubt er an die Möglichkeit, dass ich nachgebe, ihm sage, dass ich ihn liebe und seinetwegen auf alles scheiße – meine Familie, meine Zukunft, alles. Aber das geht nicht. Ich kann nicht.

»Dann war’s das also?«

Ich presse die Lippen aufeinander, während die Stille zwischen uns sich bis in alle Ewigkeit zieht, als könnte noch irgendetwas passieren, welches das Unausweichliche verhindert. Aber die Worte, mit denen ich ihn sonst immer vertröstet habe, bleiben heute unausgesprochen, weil ich weiß, dass es keinen Sinn macht, ihm etwas vorzuspielen.

Er will mit mir zusammen sein und es in die Welt hinausschreien. Und ich? Ich will ihn, bin aber zu feige, den Preis dafür zu bezahlen.

Kapitel 3

Toast

Vielleicht war es doch nicht die beste Idee, Roisin darum zu bitten, öfter mit uns zu zocken …

»Toaaaast?«, dringt es in besorgniserregendem Tonfall aus meinem Headset.

»Ja, Roisin?«

»Da ist schon wieder so ein grünes Ding vor unserer Haustür.«

Ich seufze und bilde mir sogar ein, hören zu können, wie Dominic, der ebenfalls bei uns im Voicechat sitzt, die Augen verdreht, während Ruth leise kichert.

»Lass ihn einfach in Ruhe«, erkläre ich möglichst gelassen. »Der Creeper hat mindestens genauso viel Angst vor dir wie du vor ihm.«

Über die Tatsache, dass ich Roisin fürs Zocken begeistern konnte, bin ich nach wie vor zwiegespalten. Einerseits hatten wir seither kein einziges Mal das Problem, nicht genügend Leute für ein Spiel zusammenzubekommen – andererseits ist meine Kommilitonin nicht gerade das, was man als Naturtalent bezeichnen würde. Zumindest wenn es darum geht, sie davon abzuhalten, unsere mühevoll errichtete Minecraft-Base zu zerstören.

Keine zwei Sekunden später ertönt ein verräterischer Knall, den ich bis weit hinaus in die Wälder hören kann, wo ich eben noch versucht habe, einen Wolf aufzustöbern.

»Roisin?«

»Äh.«

Ich schüttele den Kopf. »Dominic. Bist du in der Nähe?«

»Nope.«

»Ruth?«

»Negativ.«

»Connor?«

Stille, und in der Voicechat-App auf meinem zweiten Bildschirm sehe ich, dass er stummgeschaltet ist.

»Kommst du allein klar, Roisin?«

»Äh.«

»Wieso bleibt eigentlich immer alles an mir hängen?«

Der Satz klingt dramatischer, als ich ihn meine. Insgeheim bin ich froh, dass ich es geschafft habe, die anderen zu überzeugen, für einen Minecraft-Server zusammenzulegen. Auch wenn das bedeutet, Roisin beizubringen, dass es keine enge Storyline in dem Spiel gibt und sie im Grunde einfach machen kann, was sie will. Oder dass sie meine Arbeit der letzten Tage mit einem Creeper zerstört.

Ich will gerade den Rückweg antreten, als das Klingeln meines Handyweckers mich mit voller Wucht in die Realität reißt. Ich schaue aufs Display. 14 Uhr. Fuck.

»Toast, dein Handy klingelt«, lässt mich Connor genervt wissen.

In einer hastigen Bewegung stelle ich den Alarm ab, wobei ich fast mein Handy vom Schreibtisch fege. Ich seufze mehrmals, während ich angespannt auf meine zitternde Hand starre.

»Dein Vorstellungsgespräch?« Zu meiner Überraschung ist es Dominic, der eins und eins zusammengezählt hat.

»Yep. Glaubt ihr, sie lassen es mir durchgehen, wenn ich sage, dass ich nicht kommen kann, weil mein Haus bei einer Explosion zerstört wurde?«

»Fürchte, da muss Roisin uns im Nether verloren gehen, damit das zählt.«

Ich grinse und bin dankbar dafür, dass Dominic meinem Bullshit in der Regel mit noch mehr Bullshit begegnet. So bin ich zumindest für ein paar Sekunden abgelenkt, bis die Panik erneut ihre kalten Klauen in mich schlägt.

»Okay, ich muss mich fertig machen. Kann sich jemand um die Base kümmern?«

»Bin dran«, erwidert Roisin mit wenig Zuversicht in der Stimme. »Viel Erfolg!«

Ich verlasse den Voicechat so schnell, dass ich kaum etwas von den Floskeln mitbekomme, die mir Mut machen sollen. Als ich das Headset abnehme, wird die Stille im Raum plötzlich erdrückend, vor allem, weil ich den halben Tag mit Minecraft verbracht habe, um mich irgendwie von der Nervosität abzulenken. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr, obwohl mir immer noch fast zwei Stunden bleiben, bis ich bei LabyrIntelligence sein muss.

Genug Zeit, zu duschen, meine Haare zu bändigen, noch einmal mögliche Interviewfragen durchzugehen und ein paar Memes in den Gruppenchat zu posten. Als ich aus dem Bad komme, trudelt eine Nachricht meiner Mutter auf meinem Handy ein, um mir Bescheid zu geben, dass sie zur Sicherheit bereits losgefahren ist, um mich abzuholen. Eines der Dinge, die wir gemeinsam haben: beinahe peinliche Überpünktlichkeit.

Ich schicke ihr einen Daumen hoch zurück und beschließe, erst das Vorstellungsgespräch durchzuspielen, während ich meine Haare an der Luft trocknen lasse. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es eher versaue, wenn ich den Recruitern keine zehn Gründe liefern kann, warum ich bei ihnen arbeiten will, als wenn diese eine widerspenstige Strähne mir ständig in die Augen hängt.

Wo ich gerade dabei bin …

Ich atme einmal tief durch, bevor ich mich meiner Reflexion im Spiegel an meiner Zimmertür zuwende.

»Also, David, wieso möchtest du unbedingt für LabyrIntelligence arbeiten?«, beginne ich mit verstellter Stimme und komme mir ein bisschen lächerlich dabei vor.

»Ach, dafür gibt es so einige Gründe!« Zu dick aufgetragen? »Seit ich an der Highschool einen Vortrag über Cybersecurity gehört habe, wollte ich nichts anderes mehr, als mich ebenfalls in diesem Feld zu etablieren. Und LabyrIntelligence als nationaler Marktführer scheint mir … Ach fuck.«

Ich mache eine Pause. Überlege. Und setze neu an. »Ich bin ein großer Fan der Matrix-Filme und wollte daher schon immer Hacker werden. Da das aber illegal ist, will ich das Nächstbeste tun, nämlich – nope. Nope. Nope.«

Ich krame mein Handy aus der Hosentasche und öffne den Gruppenchat.

Wieso will ich dort noch mal arbeiten?

Auf Kommando trudeln mehrere Nachrichten ein, als hätten meine Freunde damit gerechnet, dass ich weiter Panik schiebe.

Connor: Ständig wachsender Marktführer für Cybersecurity.

Roisin: Exzellente Karrierechancen.

Holly: Work-Life-Balance.

Dominic: Geld. Und weil du ansonsten deinen Abschluss nicht bekommst.

Connor: Oh, und vergiss die Arcade-Maschinen im Pausenraum nicht!

Anscheinend habe ich es in den letzten Tagen etwas mit der Vorbereitung übertrieben und dabei nicht nur mich, sondern auch meinen kompletten Freundeskreis auf das Vorstellungsgespräch eingestimmt. Dabei verstehe ich nicht, wieso ich so nervös bin. Als Leiter des Debattierklubs, der Literific Society, bin ich es gewohnt, vor Leuten zu stehen und so zu tun, als wäre ich kompetent und sympathisch. Normalerweise fallen mir im Schlaf für alles Argumente ein, und ich gehöre neben Dominic zu den Besten im Informatikstudium.

Warum zur Hölle mache ich mir solche Sorgen?

Ich realisiere, dass ich noch immer mein Spiegelbild anstarre. Die Antwort steht in meinen Augen geschrieben, dass ich Angst habe, die Frau von der Personalabteilung müsse mich nur zwei Sekunden ansehen, um genau zu wissen, was Sache ist.

»Sei doch mal ehrlich, David«, mime ich. »Du willst doch gar nicht für uns arbeiten.«

Ich seufze und zwinge mich dazu, den Blick abzuwenden, als ich realisiere, dass ich gefährlich nah an einem Joker-Moment dran bin. Nur ein paar Sekunden länger und ich fange an, schrill zu lachen und Gotham zu terrorisieren, da bin ich mir sicher.

Statt also weiter zu proben, knöpfe ich mein Shirt vernünftig zu und suche aus dem Schrank meinen alten Blazer, der trotz der sommerlichen zwanzig Grad draußen den Fleck verbergen muss, den ich vor ein paar Wochen in mein einziges schlichtes Hemd gebrannt habe. Und neben diesem bleibt nur die Wahl zwischen welchen mit Hawaii-Blumenmuster, jeweils einem mit D20-Würfeln, Todessternen, Toastscheiben und einem mit Entons drauf – und ich glaube nicht, dass die Personalerin meine Liebe für gelbe Enten-Pokémon teilt. Vielleicht hat mein Dad recht und ich sollte mir zumindest ein paar Hemden ohne Muster für seriösere Gelegenheiten zulegen?

Eine halbe Stunde später steige ich in Mums alten Passat und versuche, die Motorkontrollleuchte zu ignorieren. Zwar sagt sie immer, dass Marc, der Automechaniker ihres Vertrauens, behauptet, es wäre alles in Ordnung und nur das Lämpchen selbst wäre kaputt, aber ich habe ihm nie trauen können. Wie auch? Vor zwei Jahren hat er ihr erzählt, dass der Rost am Auspuff total normal wäre, bis das Teil kurze Zeit später mitten auf der M2 abgefallen ist.

»Na, nervös?«, fragt meine Mutter, wobei sie den Wagen aus der Parklücke lenkt.

»Ich doch nicht. Ich geh da rein und hau sie aus den Socken, sodass sie quasi dazu verpflichtet sind, mich einzustellen.«

Ohne sie anzusehen, weiß ich, dass Mum die Brauen so weit hochgezogen hat, dass sie unter dem Rand ihres dicken Brillengestells hervorlugen. »Ich nehme an, das heißt Ja.«

»Es geht«, entgegne ich. »Vorhin war es echt schlimmer.«

»Ich bin mir sicher, dass du das schaffst. Irgendjemand in dieser Familie muss mir ja schließlich meinen Ruhestand in der Karibik finanzieren.«

Ich verdrehe die Augen. Natürlich weiß ich, dass sie das nicht ernst meint, aber manchmal reicht so ein Spruch schon, um mich zu verunsichern.

Was, wenn ich das eben nicht kann?

Mum arbeitet Vollzeit als Store Managerin bei Tesco, während mein Dad als Lkw-Fahrer durchs Land tourt. Uns geht es nicht schlecht – gut genug auf jeden Fall, dass mit Vitamin B sogar ein WG-Zimmer in der Stadt für mich drin war, aber Mums Traum vom Ruhestand im Warmen lässt sich damit nicht finanzieren. Und da komme ich ins Spiel. Der Stolz der Familie, die große Hoffnung, der unteren Mittelschicht zu entfliehen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Eltern das Ganze besser durchgeplant haben als ich. Dabei bin ich derjenige, der alles erreichen muss. Bachelor. Master. Computernerd mit sechsstelligem Einkommen.

Ich lasse ihre Aussage unkommentiert. Mum fährt vorbei am Unicampus, der an diesem Freitagnachmittag im März bereits ziemlich verlassen wirkt, dann in Richtung Lagan über die Brücke und von dort ins Titanic Quarter, wo LabyrIntelligence erst letztes Jahr ein brandneues Bürogebäude bezogen hat. Den Koloss aus Glas und Stahl hätte ich auch problemlos mit dem Bus erreicht, doch meine und Mums immer präsente Angst, zu spät zu sein, hat dazu geführt, dass sie heute einen halben Tag Urlaub genommen hat, um mich ganz förmlich zu meinem ersten Vorstellungsgespräch zu fahren.

Draußen ziehen die SSE Arena, die H&W-Werft und das Titanic Museum an mir vorbei, bevor mein Blick einen Moment zu lange an einem riesigen lagerhallenartigen Gebäude hängen bleibt, auf dem in schwarzen Lettern die Worte »Titanic Studios« prangen. Kurz schlägt mein Herz höher, als ich erkenne, dass eines der riesigen Stahltore leicht geöffnet ist, sodass ich den Greenscreen dahinter erahnen kann.

»Filmen sie etwa noch eine Staffel ›Game of Thrones‹?«, fragt Mum irritiert.

Ich schüttele den Kopf. »O Gott, bloß nicht. Ich glaube, in der Zeitung stand was über einen Sci-Fi-Film.«

»Ist Henry Cavill dabei?«

»Hättest du wohl gern.«

»Du etwa nicht?«

Ich grinse für einen Moment, bis ich mich wieder daran erinnere, dass unser Ziel heute nicht die Studios sind, sondern ein Gebäude, das direkt dahinter liegt.

»Wow«, kommentiert meine Mum. »Ich war echt Ewigkeiten nicht mehr hier draußen. Ziemlich beeindruckend, oder?«

Nickend betrachte ich das riesige Gebäude, das mit den vielen Glasfronten und abstrakten Formen aussieht, als stamme es aus einer weit entfernten Zukunft. Dagegen wirkt das Filmstudio heruntergekommen.

»LabyrIntelligence ist das größte IT-Unternehmen des Landes«, rezitiere ich meine Unterlagen. »Mit über zweitausend Mitarbeitern. Außerdem haben sie in den letzten fünf Jahren über fünfzig Preise gewonnen und …«

»David …«

»Wusstest du, dass sie neben maßgeschneiderten Security-Lösungen für Banken und Datacenter auch noch …«

»David!«

»Sorry.«

Wir biegen auf den Besucherparkplatz vor dem Gebäude ein und halten seitlich der großen, von Obelisken flankierten Eingangspforte. Aktuell schwanke ich noch, ob ich das Gebäude nur imposant oder schon dekadent finden soll. Auf der einen Seite wirkt es cool, auf der anderen viel zu übertrieben.

»Wie ist es jetzt mit der Nervosität?«, fragt Mum.

»Die Möglichkeit besteht, dass ich mich in einem unbeobachteten Moment hinunter zum Hafen schmuggele und das Land verlasse.«

Zum ersten Mal, seit ich ins Auto gestiegen bin, sehe ich sie an und bemerke, dass mein lahmer Spruch sie nicht einmal ansatzweise zum Lächeln gebracht hat. Stattdessen liegt Sorge in ihren braunen Augen, und ihr sonst glänzendes tiefschwarzes Haar wirkt seltsam matt.

»Was hältst du davon, wenn wir heute Abend zu KFC gehen?«

»Wieso? Denkst du ernsthaft, meine Chancen stehen so schlecht?« Ich werde stutzig. Normalerweise statten wir dem Colonel nur dann einen Besuch ab, wenn es schlechte Nachrichten zu verarbeiten gibt. Und auch wenn ich mich eben vor dem Spiegel ziemlich unbeholfen aufgeführt habe, glaube ich nicht, dass meine Chancen allzu schlecht stehen.

Da realisiere ich, dass wir nicht meinetwegen zu KFC gehen werden. Die Frage liegt mir bereits auf der Zunge, doch mir wird sofort klar, dass Mum sie mir nicht beantworten wird. Sie kennt mich zu gut, weiß, dass mich schlechte Neuigkeiten jetzt nur ablenken würden. Also nicke ich nur.

Kapitel 4

Cameron

Ein lang gezogenes Gähnen durchbricht die Stille im Büro und zwingt mich dazu, von den Verträgen aufzusehen, die mir James, Mums rechte Hand, zum »Prüfen« gegeben hat. Eigentlich weiß er sehr genau, dass ich erst im nächsten Semester ein Modul zu Informations- und Medienrecht belege und dementsprechend herzlich wenig Ahnung davon habe, was genau ich tun soll. Daher bin ich mir ziemlich sicher, dass das Ganze eine perfide Taktik ist, mich zu beschäftigen, während er ständig auf die Uhr starrt, als wollte er sie zwingen, seinen Feierabend früher einzuläuten.

Normalerweise genieße ich die Freitagnachmittage in der Firma, die nicht nur meinen Lebenslauf aufpolieren, sondern mir auch jede Menge praktische Erfahrung liefern, die in der Vorlesung oder in den Pseudoverhandlungen der LawSoc nützlich sind. Aber wenn Clarice aus der Rechtsabteilung freihat und meine Mum in irgendwelchen Meetings sitzt, muss ich mit James vorliebnehmen, der keinen Hehl daraus macht, dass er mich nicht ausstehen kann.

Während ich so tue, als würde ich lesen, wandern meine Gedanken auch jetzt, knapp eine Woche später, zu der Party und einer bestimmten Person.

Curtis.

Zu behaupten, ich hätte wegen der Trennung Liebeskummer, wäre eine Übertreibung. Ja, es tut weh, aber ich bin vor allem frustriert. Darüber, wie ich mit der Situation umgegangen bin, aber auch über die Tatsache, dass mir nichts anderes übrig blieb. Denn auch wenn LabyrIntelligence nach außen hin hip, inklusiv und divers wirkt, sind einige der Leute, die die Zügel in der Hand haben, alte weiße Männer. Allen voran Peter Edwards, Gesellschafter, der ständig mitmischen will und der die Vorstellung nicht erträgt, dass sein Kapital zukünftig von jemandem betreut werden würde, der nicht seinen Vorstellungen von »normal« entspricht.

Klar kann ich nach außen hin den Schein wahren, doch mein Liebesleben muss unter allen Umständen geheim bleiben. Nicht nur hier im Büro, sondern auch an der Uni. Denn in einem Land mit nicht einmal zwei Millionen Einwohnern sind Leute mit wirtschaftlichem oder politischem Einfluss gut vernetzt – vor allem, weil gefühlt alle ihre Kinder an der Queen’s University Belfast Jura studieren.

Schöne Scheiße.

Während ich in Gedanken vor mich hin brodele, macht sich James mit einem Räuspern bemerkbar. Ich starre direkt in sein eiförmiges Gesicht, dessen Form durch die Glatze und die runden Brillengläser, die mich immer an die Böden von Colaflaschen erinnern, zusätzlich betont wird.

»Hm?«, mache ich.

»Kannst du mir einen Tee holen?«

Kurz will der verzogene reiche Bengel in mir durchkommen und ihm mitteilen, dass er sich den gefälligst selbst holen soll, weil er derjenige ist, der bald für mich arbeitet, aber ich schaffe es geradeso, den Impuls zu unterdrücken, und lächele stattdessen.

»Klar. Oolong, Milch und Zucker wie immer?«

Der kleine Botengang ist immerhin eine Form von Beschäftigung – und jede Form von Beschäftigung lenkt mich derzeit von meiner Frustration ab. Die Kaffeeecke hier oben in der Führungsetage ist allerdings leer geräumt. Vermutlich ist das Meeting meiner Mutter eines von der Sorte, die nur mit viel Koffein erträglich ist, weshalb die Leute dort alles für sich horten. Zumindest finde ich in den Schränken nur eine Packung Pfefferminztee und eine Schachtel mit drei Zuckerwürfeln, weshalb ich zu Plan B übergehe.

Es ist kurz nach halb vier an einem Freitagnachmittag, was bedeutet, dass das Gebäude so gut wie ausgestorben ist. Zwischen Teilzeit, Hybridarbeit mit Homeoffice und frühem Feierabend keine Überraschung. Die damit einhergehende Stille finde ich immer ein wenig gruselig. Einer der Gründe, wieso ich nie bis spät in die Nacht hinein hier allein Überstunden schieben möchte.

Um die Etagen, in denen noch Leute arbeiten, zu meiden, nehme ich den Fahrstuhl direkt hinunter ins Foyer, wo ich hoffentlich James’ heiß geliebten Oolong finden werde. Mit einem Bing öffnen sich die Türen und geben den Blick auf den Eingangsbereich frei, der mit dem hellen Granitfußboden, den hohen weißen Wänden und der abstrakten Polygon-Designerlampe wie ein Raumschiff anmutet. Ich erinnere mich noch genau, wie ich zum ersten Mal mit meiner Mutter zur Arbeit durfte – ausgerechnet an dem Tag, an dem der Vorstand die ersten Pläne für das neue Gebäude besprochen hatte. Unter den verwendeten Begriffen wie »Minimalismus«, »klare Linien« und »zeitlose Eleganz« hatte ich mir damals wenig vorstellen können, bis Mum erzählt hat, dass derselbe Architekt auch unser Haus geplant hatte, was so einiges erklärt.

Ich nicke Andrew an der Rezeption zu, bevor ich auf die Sitzecke zusteuere, die ich immer als Back-up-Teequelle nutze. Zu meiner Überraschung sind die weißen Ledersofas nicht komplett verwaist. Und als ich realisiere, wer dort sitzt, erreicht meine Laune einen neuen Tiefstand.

David McCann. Ausgerechnet. Auf der riesigen Couch wirkt er verloren, wobei sein wackelndes Bein deutlich auf seine Anspannung hindeutet. Sonst treffen wir uns eigentlich nur zufällig auf dem Campus oder bei Kooperationen unserer Klubs. Was zur Hölle will er hier?

Zwischen der Rezeption und der Kaffeeecke liegen nur wenige Schritte – nicht genug, um mir ausreichend Zeit dafür zu geben, mir zu überlegen, wie ich mit dieser Situation umgehe. Ich kann ihn wohl kaum einfach ignorieren. Gleichzeitig sträubt sich alles in mir, mich mit ihm zu unterhalten. Das ist unter normalen Umständen schon schwierig, aber heute bin ich eine tickende Zeitbombe.

Bevor ich einen Entschluss fassen kann, hebt er bereits den Blick, als hätte er gerochen, dass ich mich ihm nähere. Sofort senkt er die Brauen, sodass sich ein winziges v-förmiges Fältchen dazwischen bildet, das ihn attraktiver macht, als ich zugeben will.

Von seinen schwarzen Haaren, die ihm in einzelnen Strähnen ins Gesicht hängen, über die markante Nase bis hin zu seinen Hemden mit den eigenwilligen Motiven gefällt mir alles an ihm. Jedes Mal wenn ich ihn sehe, drohe ich die Contenance zu verlieren, weil ich automatisch an unser erstes Treffen erinnert werde. Und die ganze Scheiße, die danach kam. Die übliche Scheiße.

»David«, begrüße ich ihn ausdruckslos. Dabei konzentriere ich mich auf meine Mission, um ihn nicht weiter anzustarren. Tee. Wo ist der verdammte Tee?

»Cameron.« Seine Stimme klingt mindestens so angespannt, wie ich mich fühle. Aber vielleicht kann ich das hier ohne Eskalation hinter mich bringen. Einfach still James’ Tee organisieren und dann mit einem höflichen Kopfnicken verschwinden.

»Was verschlägt dich hierher?«, rutscht es mir trotz meines Vorsatzes heraus. Wenn man zwischen Politikern, Unternehmern und sonstigen Gestalten aufwächst, die sich als »Elite« bezeichnen, wird einem der Hang zum Small Talk quasi in die Wiege gelegt. Einerseits ist das hilfreich, um peinliche Stille zu vermeiden, andererseits entsteht dadurch auch Druck, eine solche Stille gar nicht erst entstehen zu lassen.

»Äh …« Offenbar hat ihn meine Frage genauso sehr überrascht wie mich. »Vorstellungsgespräch. Du?«

»Ich arbeite hier«, erkläre ich, während ich die Schale mit den Teebeuteln nach der richtigen Sorte durchsuche.

»Du arbeitest?«

Perplex wende ich mich um und erwische ihn dabei, wie er sich auf die Unterlippe beißt und den Blick senkt. Leider verringert das seine Anziehungskraft nicht im Geringsten, auch wenn ich ihn am liebsten würgen würde.

Du arbeitest? Als würde ich mich nur auf dem Vermögen meiner Eltern ausruhen.

»Meiner Mutter gehört die Firma«, proklamiere ich daher und gebe mir nicht einmal Mühe, den arroganten Unterton zu verbergen. Die Information verfehlt ihre Wirkung nicht. Allerdings bin ich kein Arsch, der ihm wegen so eines belanglosen Seitenhiebs eine Chance verbauen will, weshalb ich etwas freundlicher hinzufüge: »Keine Sorge, ich kann gern ein gutes Wort für dich einlegen.«

Die Falte in seiner Stirn wird, falls das überhaupt möglich ist, noch etwas tiefer. »Denkst du, das habe ich nötig?«

Unwillkürlich zucke ich zusammen. Ich hatte schon taktvollere Momente. Aber statt mich zu entschuldigen, reißt mein angestauter Frust die Kontrolle an sich.

»Die meisten wären dankbar für ein bisschen Vitamin B.«

»Und andere bevorzugen es, sich ihren Erfolg zu verdienen, statt alles in den Schoß gelegt zu bekommen.«