Cradle to Cradle - Michael Braungart - E-Book
SONDERANGEBOT

Cradle to Cradle E-Book

Michael Braungart

0,0
10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 10,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Autos aus Autos? Schuhe als Düngemittel für unsere Balkonblumen? Zukünftig gibt es nur noch zwei Arten von Produkten: Verbrauchsgüter, die vollständig biologisch abgebaut werden können, und Gebrauchsgüter, die sich endlos recyclen lassen. Nicht weniger müssen wir produzieren, sondern verschwenderisch und in technischen und biologischen Kreisläufen. Eine ökologisch-industrielle Revolution steht uns bevor, mit der Natur als Vorbild. Dieses Buch wurde mit nachhaltigen Materialen produziert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für unsere Familien und für alle Kinder aller Lebewesen für alle Zeiten

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2014

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN 978-3-492-96479-1

© 2014 Piper Verlag GmbH, München Covergestaltung: semper smile, München Covermotiv: mylisa/shutterstock Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Diese Welt wird den derzeitigen Krisenzustand nicht überwinden, wenn sie die Denkweise beibehält, die diese Situation hervorgebracht hat.

Albert Einstein

Betrachte die Sonne.

Sieh den Mond und die Sterne.

Erkenne die Schönheit der Natur.

Und dann denke nach.

Hildegard von Bingen

Das, was ihr als eure natürlichen Ressourcen bezeichnet, sind für uns unsere Verwandten.

Oren Lyons, Medizinmann der Onondaga

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Dieses Buch erscheint in vielen Sprachen. Unter anderem auf Spanisch, Italienisch, Koreanisch oder auch Chinesisch. Die amerikanische Originalausgabe wird auf Kunststoffpapier gedruckt, mit Farben, die später wieder als Druckfarben eingesetzt werden können. Aus dem weißem »Papier« wird – sollte dieses Buch nicht mehr gebraucht werden – wieder weißes »Papier« gleicher Qualität. Anderswo, so auch in Deutschland, dauern manche Dinge eben etwas länger. Immerhin zum Trost: Das Papier des vorliegenden Buches wird ohne jede Verwendung von Chlor und optischen Aufhellern produziert. Die Abwasserbelastung wurde deutlich reduziert. Ein Beispiel für Öko-Effizienz – Optimierung des Bestehenden anstatt echter Innovation.

Die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Mitteleuropa sind nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit riesig und auch in diesem Buch erkennbar. Während in Deutschland der moralinsaure Blaue Engel die Verbraucher mit Schuldgefühlen zum Vermeiden, Vermindern, Reduzieren, Verzichten, Minimieren usw. veranlassen soll, wird in den USA munter weiter verschwendet. Doch auch die Natur ist verschwenderisch, wenn Ressourcen im Überfluss zur Verfügung stehen. Ein Kirschbaum im Frühling – was für eine Verschwendung von Formen, Farben, Energie und Rohstoffen.

Solche Verschwendung fördert die Vitalität der Natur, da alle Materialien in Kreisläufe zurückgehen. Es kommt also nicht darauf an, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, sondern ein Feuchtgebiet daraus zu machen.

Westeuropäisches Schulddenken, nördlich protestantisch geprägt, geht davon aus, dass Menschen von Anfang an böse und naturfeindlich sind, dass Menschen und Industrieunternehmen reguliert und kontrolliert werden müssen, um möglichst wenig schädlich für die Natur und ihre Mitmenschen zu sein. Die zentrale Botschaft dieses Buches geht im Gegensatz dazu von einem positiven Menschenbild aus. Wenn die Menschen es lernen, alle ihre Stoffströme in Nährstoffkreisläufe zu bringen, so wie es die Ameisen für biologische Nährstoffe vormachen, hat die Erde kein Überbevölkerungsproblem. In Anlehnung an Joseph Beuys’ optimistische Prognose kann jeder Mensch Künstler und in diesem Sinne auch Nährstoffmanager sein.

Zwischen Herstellern und Kunden solcher intelligenter Produkte entsteht eine Partnerschaft. Je mehr von einem Produkt gekauft wird, desto schneller können Nährstoffkreisläufe geschlossen werden, um Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückzubringen. Technische Nährstoffe, wie zum Beispiel Metalle, können über »Ökoleasing« in technische Nährstoffkreisläufe zurück gebracht werden.

Als ich 1988 ein Fernsehgerät untersuchte und dabei 4360 verschiedene Chemikalien nachweisen konnte, stellte ich die Frage, ob denn ein Kunde Sondermüll als Eigentum haben oder nur eben fernsehen wolle. Damals wurde ich als »Ökokommunist« beschimpft. Eigentum war im Kalten Krieg Religion für den Westen. Heute sind Dienstleistungskonzepte wie Leasingmodelle längst Realität.

Anfang der neunziger Jahre konzentrierte ich meine wissenschaftliche Arbeit in den USA, wo ich in New York ein eigenes Büro aufbaute und William McDonough kennen lernte. Bill hat mir sehr geholfen im US-Kontext meine Konzeptionen zu formulieren und weiter zu entwickeln. Die amerikanische Mentalität, auch mal verwegen über Dinge zu spekulieren, die man nicht studiert hat, kommt mir sehr gelegen. Wer hier zu Lande einen wissenschaftlichen Vortrag hält und dazu eine schräge Anmerkung macht, passend oder nicht passend, gilt gleich als unseriös. In den USA gilt ein wissenschaftlicher Vortrag, der nur wissenschaftlich ist, schnell als langweilig. Auch die Art und Weise, wissenschaftliche Fragestellungen einem breiten Publikum zu vermitteln, ist völlig unterschiedlich.

Die amerikanische Erzählweise dieses Buches gibt dem deutschen Leser aber auch die Möglichkeit, neu über bisherige Konzepte nachzudenken. Die deutsche Öko-Effizienz, die Schuldgefühle in Produktivitätsfortschritte umgewandelt hat, steht im Gegensatz zu unserer Denkweise der Öko-Effektivität. Ein bisschen Distanz kann deshalb nicht schaden. Es gibt aber auch positive Aspekte des kollektiven Schuldgefühls. In der westlichen Welt sind aus 30Jahren Weltuntergangsdiskussion viele Fachleute hervorgegangen, die beispielhafte Produkte entwickeln, die gegenüber Billigimporten aus Schwellenländern Vorteile haben.

Lange haben die Deutschen gemeint, Weltspitze im Umweltschutz zu sein. Tatsächlich jedoch stagniert das Land seit über 15Jahren. Man hat Umweltschutz wesentlich als Verringerung von Zerstörung durch »End of Pipe«-Technik begriffen.

Fast unbemerkt von uns hier in Deutschland, gibt es in den USA inzwischen sehr erfolgreich umweltverträgliches Produktdesign. Auch Rücknahmeregelungen für Produkte gehen dort oft wesentlich weiter als es deutsche US-Vorurteile erwarten lassen. Ist es nicht bemerkenswert, dass die einzige Teppichbodenrecyclinganlage in Europa in Brandenburg ausschließlich mit amerikanischen Teppichböden betrieben wird, da es in Europa keine Rücknahmeregelungen für Teppichböden gibt? Umweltverträgliches Design wird inzwischen an vielen Hochschulen der USA gelehrt. Während bei uns Kreislaufwirtschaft im Allgemeinen nur als thermisches »Recycling« verstanden wird, werden in den USA beispielhaft Umweltfachleute ausgebildet.

Der deutsche Weg, Umweltprobleme mit Verbrennungsanlagen aus der Welt schaffen zu wollen, ist eine große Bedrohung für echte Kreislaufwirtschaft. Denn in Verbrennungsanlagen gehen alle Nährstoffe verloren. Es war wohl immer schon eine deutsche Besonderheit, wenn man durch Probleme überfordert wird, nicht fortschrittlich zu werden und neue Lösungen zu suchen, sondern auf archaische Verhaltensweisen zurückzufallen und das Bedrohliche (wilde Tiere, neue Gedanken) oder vermeintlich Bedrohliche mit Feuer bekämpfen zu wollen.

Dieser schrecklichen Art deutscher Gründlichkeit setzen wir Verschwenden in Nährstoffkreisläufen entgegen. Die Denkweise in einem »Design for Reincarnation« ist inzwischen in den USA sehr populär.

Eine Vielzahl amerikanischer Firmen hat sich mittlerweile zu Öko-Effektivität bekannt. Unsere Denkweise ist sehr stark von asiatischen Traditionen beeinflusst. Wenn man in manchen Regionen in China auf dem Lande zum Essen eingeladen ist, gilt es als unhöflich, sich zu verabschieden, ohne vorher die Toilette aufgesucht zu haben. Schließlich möchten die Gastgeber die wertvollen Nährstoffe zurückhaben.

Die westliche Überbetonung des Individuums erschwert ein solches Denken in Kreisläufen. Es ist zu erwarten, und vielleicht auch zu befürchten, dass das »Cradle to cradle«-Konzept (von der Wiege zur Wiege) in Asien weit schneller begriffen wird als in unserer Gesellschaft. Es könnten daraus dann Produkte entstehen, die nicht nur kostengünstiger sind, sondern in Bezug auf Gesundheit und Umweltverträglichkeit unseren Produkte auch bei weitem überlegen. Die chinesische Erstauflage dieses Buches ist weit höher als alle anderen Auflagen zusammen.

Die Entdeckung der Prinzipien von Nährstoffkreisläufen gelang mir im Dialog mit Bill McDonough, vor dem Hintergrund einer fundierten, vorzüglichen Schul- und Hochschulbildung und durch die Förderung durch viele Menschen, die mich unterstützt haben, als dieses Denken noch nicht so populär war. Stellvertretend für viele, die mir in Deutschland über viele Jahre geholfen haben, möchte ich einige wenige nennen: Charlotte Garbe, Maximilian Gege, Monika Griefahn, Kolleginnen und Kollegen bei EPEA und im Hamburger Umweltinstitut sowie bei BAUM e.V. im Ökoinstitut und im Wuppertal-Institut, Friedhelm Korte, Rolf Kunisch, Heidrun und Siegfried Lemke, Werner Marnette, Michael Otto, Mathias Prinz, Norbert Rethmann, Klaus Steilmann, Wouter van Dieren, Alexandra von Rehlingen, Ernst Ulrich von Weizsäcker, Hubert Wolf, Rüdiger Ziegler, Peter Zühlsdorff, ebenso Fachleute im Umweltbundesamt und bei Greenpeace sowie engagierte Leute im Politikbereich und an Hochschulen. Herzlichen Dank auch für die Unterstützung, die ich durch meine Eltern, meine Geschwister, Frau und Kinder erhalten habe.

Anmerkungen, Kritik, Ergänzungen sind erwünscht.

Hamburg, im Juni 2003

Michael Braungart

Einleitung Dieses Buch war ein Baum

Endlich! Endlich haben Sie Zeit, sich in Ihren Lieblingssessel sinken zu lassen, sich zu entspannen und ein Buch in die Hand zu nehmen. Ihre Tochter sitzt im Zimmer nebenan vor dem Computer, während das Baby auf dem Teppich herumkrabbelt und mit einem Haufen bunten Plastikspielzeugs spielt. In diesem Moment haben Sie sicherlich das Gefühl, die Welt sei in Ordnung. Könnte es ein überzeugenderes Bild der Ruhe, des Wohlbehagens und der Sicherheit geben?

Betrachten wir das Ganze etwas genauer. Zuerst diesen bequemen Stuhl, auf dem Sie sitzen. Wussten Sie, dass der Bezugsstoff mutagene Substanzen, Schwermetalle, gefährliche Chemikalien und Farbstoffe enthält, die die Gesundheitsbehörden oft als gesundheitsschädigend einstufen – wovon der Kunde allerdings nichts erfährt? Wenn Sie in Ihrem Sessel hin und her rutschen, werden Partikel des Stoffbezugs abgerieben und über Nase, Mund und Lunge aufgenommen – mitsamt den gefährlichen Materialien. Wurden Sie darüber informiert, als Sie den Sessel bestellt haben?

Und der Computer, den Ihr Kind benutzt – wussten Sie, dass er mehr als tausend verschiedene Materialien enthält, darunter gefährliche Gase, die freigesetzt werden, toxische Metalle (wie Kadmium, Blei und Quecksilber), Säuren, Plastik, chlor- und bromhaltige Substanzen und andere Zusatzstoffe? Der Staub mancher Laserdruckerpatronen enthält Nickel, Kobalt und Quecksilber, Substanzen, die für den Menschen schädlich sind und die Ihr Kind vielleicht einatmet, während Sie lesen. Ist das verantwortbar? Muss das so sein? Offensichtlich könnte der Computer ohne viele dieser tausend Substanzen nicht funktionieren. Was geschieht mit ihnen, wenn Ihre Familie in ein paar Jahren diesen Computer durch ein neues Modell ersetzen will? Sie haben kaum eine andere Wahl, als das alte Modell und damit seine wertvollen wie auch gefährlichen Materialien »weg«zuwerfen. Sie wollten einen Computer benutzen, aber gleichzeitig haben Sie unbewusst zum Anwachsen der Müllberge und zur Umweltzerstörung beigetragen.

Aber Moment mal – die Umwelt liegt Ihnen doch am Herzen. Als Sie kürzlich nach einem neuen Teppich suchten, haben Sie doch tatsächlich bewusst einen aus recycelten Plastikwasserflaschen gekauft. Recycelt? Vielleicht sollte man hier der Genauigkeit halber doch downgecycelt sagen. Einmal abgesehen von den guten Absichten – Ihr Teppich ist aus Materialien hergestellt, die niemals für eine derartige Weiterverwendung gedacht waren. Sie in diese Form zu pressen, hat genauso viel Energie erfordert – und genauso viel Abfall erzeugt –, wie das bei der Produktion eines neuen Teppichs der Fall gewesen wäre. Und bei alldem ist nichts weiter herausgekommen, als das übliche Schicksal von Produkten um ein bis zwei Lebenszyklen hinauszuschieben. Auch der Teppich ist irgendwann auf dem Weg zu einer Mülldeponie und macht in Ihrem Haus nur Zwischenstation. Außerdem enthält er auf Grund des Recyclingprozesses vielleicht sogar mehr schädliche Zusatzstoffe als ein konventionelles Produkt, so dass sich vielleicht noch mehr Gase und andere Schadstoffe in Ihrem Haus ausbreiten.

Die Schuhe, die Sie auf diesem Teppich von sich geschleudert haben, sehen völlig harmlos aus. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden sie jedoch in einem Entwicklungsland hergestellt, in dem die Arbeitsschutzstandards am Arbeitsplatz – Bestimmungen darüber, in welchem Ausmaß Arbeiter bestimmten Chemikalien ausgesetzt werden dürfen – vermutlich nicht so streng sind wie in Westeuropa oder den Vereinigten Staaten, oder in dem solche Bestimmungen vielleicht gar nicht existieren. Die Arbeiter, die diese Schuhe fertigten, tragen Masken, die sie nur unzureichend vor den gefährlichen Dämpfen schützen. Wie kam es bloß dazu, dass Sie ein Gefühl von Schuld und sozialer Ungerechtigkeit mit nach Hause brachten, wo Sie doch nur neue Schuhe haben wollten?

Und diese Plastikrassel, mit der das Baby spielt – sollte es die in den Mund stecken? Wenn sie aus PVC hergestellt ist, enthält sie wahrscheinlich Phthalate und zinkorganische Substanzen, die erwiesenermaßen bei Tieren Leberkrebs hervorrufen können (und zu Störungen des Hormongleichgewichts führen können), sowie toxische Farbstoffe, Gleitmittel, Antioxidanzien und UV-Stabilisatoren. Warum? Was haben sich die Designer der Spielzeugfirma dabei gedacht?

So viel zu dem Versuch, eine gesunde Umgebung oder gar ein gesundes Heim zu schaffen. So viel zu Ruhe, Wohlbehagen und Sicherheit. Irgendetwas scheint an diesem Bild völlig schief zu sein.

Sehen Sie sich nun dieses Buch an, das Sie in den Händen halten. Dieses Buch ist im amerikanischen Original kein Baum. (In Deutschland dauert alles etwas länger.) Die US-Ausgabe wurde auf synthetischem Papier gedruckt und zu einem Buchformat gebunden, das der innovative Buchhersteller Charles Melcher von Melcher Media entwickelte. Im Unterschied zu dem Papier, an das wir gewöhnt sind, enthält dieses weder Holzmasse noch Baumwollfasern, sondern ist aus Kunststofffolie und anorganischen Füllstoffen hergestellt. Dieses Material ist nicht nur wasserbeständig (Sie können es in der Badewanne lesen), extrem haltbar und vielerorts mit konventionellen Mitteln recycelbar. Es ist auch ein Prototyp für das Buch als »technischer Nährstoff«, das heißt als ein Produkt, das sich aufspalten, in industriellen Prozessen grenzenlos verwenden und sich immer wieder zu »Papier« oder anderen Produkten verarbeiten lässt.

Der Baum, der zu den schönsten Schöpfungen der Natur gehört, spielt in unserem vielfach untereinander vernetzten Ökosystem eine entscheidende und vielseitige Rolle. Als solcher ist er, wie Sie sehen werden, ein wichtiges Modell und eine wichtige Metapher für unser Denken. Als solcher sollte er aber auch nicht zur Herstellung eines so einfachen und kurzlebigen Produktes wie Papier verwendet werden. Der Einsatz eines alternativen Materials macht unsere Absicht deutlich, uns auf der Suche nach effektiveren Lösungen bei der Papierherstellung weg von der Verwendung von Holzfasern zu entwickeln. Er repräsentiert einen Schritt in Richtung eines radikal anderen Ansatzes beim Design und der Produktion von Objekten, die wir gebrauchen und an denen wir Freude haben, einen Schritt, wie wir meinen, in Richtung der nächsten industriellen Revolution. Diese Revolution basiert auf den überraschend effektiven Designprinzipien der Natur, auf menschlicher Kreativität, auf Respekt und Toleranz, auf erfolgreicher wirtschaftlicher Entwicklung und Nachhaltigkeit. Sie hat das nötige Potenzial, sowohl die Industrie als auch die Umweltschutzbewegung in ihrer bisherigen Form zu verändern.

Auf dem Weg zu einer neuen industriellen Revolution

Wir denken gewöhnlich, die Industrie und die Umwelt lägen miteinander im Widerstreit, weil die konventionellen Methoden der Gewinnung, der Herstellung und der Entsorgung umweltschädlich sind. In den Augen vieler Umweltschützer ist jede Art von wirtschaftlicher Aktivität schlecht und die Industrie als solche (sowie das Wachstum, das sie fordert) zwangsläufig zerstörerisch. Andererseits betrachten Manager in der Industrie die Umweltschützer oft als ein Hindernis für Produktion und Wachstum.

Soll die Umwelt gesund bleiben, müssen die Industrien, so die herkömmliche Meinung, bestimmten Regeln und Einschränkungen unterworfen werden. Wollen die Industrien wachsen, kann der Natur jedoch kein Vorrang eingeräumt werden. Es scheint, dass diese beiden Systeme nicht in ein und derselben Welt gedeihen können.

Die ökologische Botschaft, die die »Konsumenten« dem Ganzen entnehmen, kann sehr hart und deprimierend sein: Hör auf, so schlecht, so materialistisch, so gierig zu sein. Tu alles, egal, wie unbequem es auch sein mag, um deinen »Konsum« einzuschränken. Kauf weniger, gib weniger aus, hab weniger Kinder – oder keine. Sind die heutigen großen Umweltprobleme – globale Erwärmung, Abholzung der Wälder, Umweltverschmutzung, Abfall – nicht die Folgen unserer dekadenten westlichen Lebensweise? Wenn du einen Beitrag zur Rettung des Planeten leisten willst, musst du Opfer bringen, Ressourcen mit anderen teilen oder sogar ganz ohne sie auskommen. Und schon sehr bald wirst du dich einer Welt voller Einschränkungen gegenübersehen. Denn dem, was die Erde aushalten kann, sind Grenzen gesetzt.

Soll das vielleicht Spaß machen?

Wir – die Autoren dieses Buches – kennen beide Welten, die der Natur und die des Geschäftslebens, und sind da anderer Meinung.

Einer von uns (Bill) ist Architekt, der andere (Michael) Chemiker. Als wir uns kennen lernten, kamen wir, wie man sagen könnte, von entgegengesetzten Polen des Umweltspektrums.

Bill erinnert sich

Ich wurde stark von Erfahrungen geprägt, die ich im Ausland gemacht hatte – zunächst in Japan, wo ich meine frühe Kindheit verbrachte. Ich verbinde Japan mit einer gewissen Knappheit an Land und Ressourcen, aber auch mit der Schönheit des traditionellen japanischen Heims mit seinen Papierwänden und tropfnassen Gärten, seinen warmen Futons und dampfenden Bädern. Ich erinnere mich auch an wattierte Winterkleidung und an Bauernhäuser mit dicken Wänden aus Lehm und Stroh, die das Innere im Winter warm und im Sommer kühl hielten. Während meiner Collegezeit begleitete ich einen Professor für Stadtentwicklung nach Jordanien, um Unterkünfte für die Beduinen zu entwickeln, die sich im Jordantal niederließen. Dort waren die Ressourcen noch knapper – Nahrungsmittel, Land, Energie und vor allem Wasser –, aber auch hier war ich beeindruckt, wie einfach und elegant und wie übereinstimmend mit den örtlichen Gegebenheiten gutes Design sein konnte. Die aus Ziegenhaar gewebten Zelte, die die Beduinen als Nomaden benutzt hatten, zogen die heiße Luft nach oben und aus dem Zelt heraus und sorgten nicht nur für Schatten, sondern auch für einen kleinen Luftzug im Inneren. Wenn es regnete, dehnten sich die Fasern aus und das Zelt wurde straff wie eine Trommel. Es war tragbar und leicht zu reparieren: Die »Faserfabrik« – die Ziegen – folgte den Beduinen überallhin. Dieses raffinierte, zweckdienliche, für die Einheimischen wichtige und prächtige Design stand in krassem Gegensatz zu den typischen modernen Designs, die ich in meinem eigenen Land gesehen hatte, Designs, die selten einen so sinnvollen Gebrauch von örtlich gegebenem Material und vorhandenen Energieströmen machten.

Als ich in die Vereinigten Staaten zurückkehrte und die Universität besuchte, wurde die Energie-Effizienz von Designern und Architekten als einziges wirkliches »Umwelt«-Thema betrachtet. Das Interesse an der Solarenergie war in den siebziger Jahren erwacht, als die Preise für Erdgas in die Höhe schnellten. Ich entwarf und baute das erste Haus in Irland mit Solarheizung (ein ehrgeiziges Projekt, da in Irland nicht so oft die Sonne scheint), was mir einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten gab, universelle Lösungen auf regionale Gegebenheiten anzuwenden. Zu den Strategien, die Experten mir empfahlen, gehörte der Bau eines riesigen Vorratsbehälters aus Stein zum Speichern von Wärme, was, wie ich nach dem Herbeischleppen von 30Tonnen Gestein feststellte, in einem irischen Haus mit seinem dicken Mauerwerk überflüssig war.

Nach dem Hochschulabschluss ging ich bei einem für seinen problembewussten und sozial verantwortlichen städtischen Wohnungsbau bekannten Unternehmen in die Lehre und gründete dann 1981 meine eigene Firma. 1984 wurden wir beauftragt, die Büros für den Environmental Defense Fund zu entwerfen, die ersten so genannten grünen Büros. Ich arbeitete an der Luftqualität in Innenräumen, ein Thema, mit dem sich kaum jemand ausführlich beschäftigt hatte. Besonders wichtig waren für uns flüchtige organische Verbindungen, Krebs erregende Stoffe und alle anderen in Farben, Tapeten, Teppichen, Fußbodenbelägen und dem Inventar enthaltenen Stoffe, durch die Probleme in Bezug auf die Luftqualität in geschlossenen Räumen oder auf Chemikalienunverträglichkeiten (MCS) hervorgerufen werden können. Da es nur wenige oder gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu diesem Thema gab, wandten wir uns an die Hersteller, von denen wir oft hörten, die Informationen seien nur für interne Zwecke bestimmt, und die uns außer den vagen, gesetzlichen Bestimmungen in den Sicherheitsdatenblättern nichts zu bieten hatten. Wir taten damals unser Bestes. Wir verwendeten Farben auf Wasserbasis. Wir nagelten Teppiche fest, statt sie zu verkleben. Wir sorgten für 0,85 m3 (statt 0,14 m3) frische Luft pro Person pro Minute. Wir ließen Granit auf Radon untersuchen. Wir verwendeten Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Wir versuchten, weniger schlecht zu sein.

Die meisten führenden Designer scheuten davor zurück, sich mit Umweltfragen auseinander zu setzen. Viele umweltbewusste Designer wandten isoliert Umwelt-»Lösungen« an, pfropften dem althergebrachten Modell neue Technologien auf oder entwickelten riesige Sonnenkollektoren, die sich im Sommer überhitzen. Die entstandenen Gebäude waren oft hässlich und zu aufwändig und die Maßnahmen nicht sonderlich effektiv. Selbst als Architekten und Industriedesigner begannen, recycelte oder dauerhafte Werkstoffe zu verwenden, beschäftigten sie sich vor allem mit Oberflächen – mit dem, was gut aussah, was leicht erhältlich war und was sie sich leisten konnten.

Ich wollte mehr erreichen. Vor allem zwei Projekte inspirierten mich, ernsthaft über meine Pläne als Designer nachzudenken. 1987 baten mich Mitglieder der jüdischen Gemeinde in New York, einen Entwurf für ein Holocaust-Denkmal vorzulegen, eine Stätte, an der die Menschen meditieren konnten. Ich besuchte Auschwitz und Birkenau, um zu sehen, wohin die schlimmsten menschlichen Absichten führen konnten: riesige Maschinen, dazu gedacht, menschliches Leben auszulöschen. Mir wurde klar, dass Design immer Ausdruck bestimmter Absichten ist. Was können Designer im Idealfall beabsichtigen, fragte ich mich, und wie könnte sich diese Absicht in einem Gebäude manifestieren? Das zweite Projekt war ein Entwurf für eine Kindertagesstätte in Frankfurt, und wiederum stand die Frage der Luftqualität in geschlossenen Räumen im Mittelpunkt. Was bedeutete es, etwas zu entwerfen, das für Kinder gesundheitlich völlig unbedenklich ist, vor allem, wenn entsprechendes Baumaterial kaum zu existieren schien?

Ich hatte es satt, mich dafür ins Zeug zu legen, weniger schlecht zu sein. Ich wollte daran mitwirken, mit ausschließlich guten Absichten Gebäude, ja auch Produkte zu entwickeln.

Michaels Geschichte

Ich stamme aus einer Familie, in der Geisteswissenschaften besonders geschätzt werden. Chemie begann mich erst zu interessieren, als wir in der zehnten Klasse eine junge und schöne Chemielehrerin bekamen. Seit Mitte der siebziger Jahre gab es in Deutschland eine politische Debatte über die Verwendung von Pestiziden und anderen problematischen Chemikalien sowie über Grenzen des Wachstums, so dass ich mein Studium gegenüber meiner Familie als sinnvoll rechtfertigen konnte. Ich studierte an Universitäten, an denen ich etwas über Umweltchemie lernen konnte, und wurde vor allem von Professor Friedhelm Korte beeinflusst, der wesentlich dazu beitrug, die »Ökologische Chemie« zu entwickeln. 1978 gehörte ich zu den Gründungsmitgliedern der »Grünen Aktion Zukunft«. Aus dieser ging die Partei der Grünen hervor, deren Hauptanliegen damals der Umweltschutz war.

Gleichzeitig machte ich mir einen Namen als Umweltschützer. Greenpeace, damals eine Gruppe von Aktivisten, unter denen kaum studierte Naturwissenschaftler oder Umweltforscher waren, bat mich, mitzuarbeiten. Ich leitete die Chemieabteilung von Greenpeace und verhalf der Organisation zu einem Protest auf wissenschaftlicher Grundlage. Doch schon bald wurde mir klar, dass es nicht ausreichte, zu protestieren und Probleme anzuprangern. Es müssen Lösungen gefunden werden. Für mich persönlich kam der Wendepunkt nach einer Protestaktion gegen eine Reihe von Chemieunfällen durch die damalig Schweizer Unternehmen Sandoz und Ciba-Geigy: Nachdem ein Feuer in einer riesigen Lagerhalle von Sandoz mit gefährlichen Chemikalien gelöscht und das giftige Löschwasser in den Rhein geflossen war und auf einer Strecke von über 160Kilometern das Ökosystem des Flusses massiv geschädigt hatte, koordinierte ich eine Greenpeace-Aktion, bei der wir auf einen der Ciba-Geigy-Schornsteine in Basel kletterten. Als wir nach zwei Tagen unsere Aktion beendeten, empfing Anton Schaerli, der Direktor des Unternehmens, uns mit Blumen für die Aktivistinnen und heißer Suppe. Obwohl er die Art, wie wir unseren Protest zum Ausdruck gebracht hatten, ablehne, habe er sich Sorgen um unsere Sicherheit gemacht. Er teile persönlich unser Anliegen und wolle hören, was wir zu sagen hätten.

Es ergab sich daraus eine ganze Serie von Gesprächen mit dem Ciba-Geigy-Vorstand. Wir sprachen auch über meinen Plan, mit finanziellen Mitteln von Greenpeace ein Umweltinstitut zur Entwicklung von Lösungen zu gründen, das ich EPEA (Environmental Protection Enforcement Agency) nennen wollte. Der Direktor war begeistert und schlug eine kleine Änderung des Namens vor: »Encouragement« statt »Enforcement«. Das klinge nicht so feindselig und sei für Manager in Industrieunternehmen akzeptierbar. Ich beherzigte seinen Rat.

Und so wurde ich 1987 Leiter der EPEA (Internationale Umweltforschung GmbH), die Büros in mehreren Ländern einrichtete und die Beziehung zum Top-Management in diesem großen Unternehmen intensivierte.

Mit Unterstützung von Alex Krauer, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von Ciba-Geigy, untersuchte ich in anderen Kulturen den Umgang mit dem Kreislauf von Nährstoffen. So verbrennen zum Beispiel die Yanomani-Indianer in Brasilien ihre Toten und rühren die Asche in Bananenbrei ein, den der Stamm dann bei einem rituellen Fest verspeist. Viele Menschen glauben an Karma und Reinkarnation, an ein »Upcycling« der Seele, wenn Sie so wollen. Diese Perspektiven erweiterten meinen Horizont und veränderten meinen Umgang mit dem Abfallproblem in der westlichen Tradition.

Aber es blieb schwierig, andere Chemiker zu finden, die an diesen Fragen überhaupt Interesse hatten, ganz zu schweigen von irgendwelchen Erfahrungen. Das Studium der Chemie klammert Lösungen von Umweltfragen noch immer weitgehend aus, und die Wissenschaft an Hochschulen als Ganzes ist mehr an der strukturellen Erforschung von Problemen als an Strategien des Wandels interessiert. Wissenschaftler werden gewöhnlich dafür bezahlt, Probleme zu untersuchen, und nicht, Lösungen zu finden. Es ist in der Tat so, dass normalerweise keine weiteren Forschungsgelder bewilligt werden, sobald eine Lösung für das zu untersuchende Problem gefunden wurde. Das bringt die Wissenschaftler, die sich – wie alle anderen auch – den Lebensunterhalt für ihre Mitarbeiter, Diplomanden und Doktoranden verdienen müssen, in eine seltsame Situation: Probleme werden für »ungeklärt« erklärt, um den akademischen Nachwuchs zu finanzieren; Politik und Industrie sind glücklich, denn solange geforscht wird, muss nicht gehandelt werden. Außerdem sind wir Wissenschaftler eher in der Analyse als der Synthese ausgebildet. Ich könnte Ihnen alles über die Bestandteile und potenziell negativen Wirkungen von Weichmachern, PVC, Schwermetallen und vielen anderen schädlichen Substanzen erzählen, mit denen ich mich während meiner Grundlagenforschungszeit beschäftigte. Aber meine Kollegen und ich hatten keine Vorstellung davon, wie sich dieses Umweltwissen mit gutem Design verbinden ließ.

Als ich Bill kennen lernte, sahen die Umweltschützer, die ich kannte, erwartungsvoll dem Weltgipfel von 1992 entgegen, bei dem die Themen »Nachhaltige Entwicklung« und »Globale Erwärmung« im Vordergrund stehen sollten. Dort sollten Vertreter der Industrie ebenso wie Umweltschützer vertreten sein. Ich hielt es strategisch für geeignet, der Industrie böse Absichten und dem Umweltschutz ethische Überlegenheit zu unterstellen, auch wenn ich für mich persönlich, wohl wissend, warum ich mich für Ökologische Chemie ursprünglich interessiert hatte, nie eine allgemeine moralische Überlegenheit in Anspruch genommen habe. Ich konzentrierte mich darauf, die oft gefährlichen oder fragwürdigen Materialien zu analysieren, die für Produkte des alltäglichen Gebrauchs, wie beispielsweise Fernseher, verwendet wurden, und hoffte, eine Strategie zu entwickeln, die es uns ermöglichen würde, die schlimmsten Folgen der Industrialisierung zu vermeiden.

Bill und ich lernten uns 1991 kennen, als die EPEA auf einem Dachgarten in New York City einen Empfang gab, um die Eröffnung ihres ersten amerikanischen Büros zu feiern. (Die Einladungen waren auf biologisch abbaubare Windeln gedruckt, um die Tatsache hervorzuheben, dass die konventionellen Wegwerfwindeln als Einzelprodukt den größten Anteil des Abfalls auf Mülldeponien ausmachten.) Wir sprachen über Toxizität und Design. Michael erklärte seine Idee von der Schaffung einer biologisch abbaubaren Mineralwasserflasche, in der Samen von seltenen Pflanzen enthalten sein sollten und die man nach Gebrauch auf den Boden werfen könne, wo sie dann zu Kompost zerfallen und der Samen im Boden aufkeimen würde. Es gab Musik und Tanz und wir sprachen über einen anderen Gegenstand moderner Herstellung: den Schuh. Michael witzelte, dass seine Gäste »gefährlichen Abfall« an den Füßen trügen, denn während sie auf dem rauen Boden des Dachgartens herumwirbelten, würden Partikel abgerieben und Staub erzeugt, den die Menschen einatmeten. Er erzählte, beim Besuch der größten Chromchemikalienfabrik Europas – Chrom ist ein Schwermetall, das bei den meisten industriellen Ledergerbungsverfahren verwendet wird – sei ihm aufgefallen, dass dort nur ältere Männer arbeiteten, die alle Gasmasken trugen. Der Aufseher habe erklärt, dass es im Durchschnitt zwanzig Jahre dauere, bis Arbeiter, die Chrom ausgesetzt seien, an Krebs erkrankten. Deswegen habe das Unternehmen entschieden, nur Arbeiter über fünfzig mit dieser gefährlichen Substanz arbeiten zu lassen.

Das konventionelle Design von Schuhen habe, wie Michael sagte, noch weitere negative Folgen. »Leder«-Schuhe sind eine Mischung aus biologischem Material (dem Leder, das biologisch abbaubar ist) und technischen Stoffen (dem Chrom und anderen Substanzen, die für die Industrie einen Wert darstellen). Bei den gegenwärtigen Methoden der Herstellung und Beseitigung lasse sich, so Michael, keiner dieser Stoffe erfolgreich zurückgewinnen, nachdem der Schuh ausrangiert sei. Von einem materiellen und ökologischen Standpunkt aus könne das Design des durchschnittlichen Schuhs wesentlich intelligenter sein. Wir diskutierten die Idee einer mit biologisch abbaubarem Material beschichteten Sohle, die nach Gebrauch abgelöst werden könne. Der Rest des Schuhs könne aus Kunststoff und Polymeren hergestellt werden, die unschädlich seien und zu neuen Schuhen recycelt werden könnten.

Während über nahe gelegene Dächer Emissionen aus einer Hochhausmüllverbrennungsanlage herüberwehten, diskutierten wir die Tatsache, dass typische Abfälle mit ihrer Mischung aus industriellen und biologischen Stoffen nicht sicher verbrannt werden können. War es nicht möglich, so fragten wir uns, statt deren Verbrennung zu verbieten, bestimmte Produkte und Verpackungen so herzustellen, dass sie sich gefahrlos verbrennen ließen, nachdem der Kunde keine Verwendung mehr für sie hatte? Wir stellten uns eine Industriewelt vor, die die Rücksicht auf Kinder zum Sicherheitsstandard machte. Wie wäre es mit Designs, die, wie Bill sich ausdrückte, »alle Kinder aller Lebewesen für alle Zeiten liebten«?

Auf den unter uns liegenden Straßen nahm der Verkehr zu, ein für New York typischer Verkehrsstau mit lautem Hupen, wütenden Fahrern und zunehmendem Chaos. Im frühen Abendlicht stellten wir uns ein geräuschloses Auto vor, das fahren konnte, ohne fossile Brennstoffe zu verbrennen oder schädliche Abgase auszustoßen. Wo immer wir hinschauten, sahen wir schlecht entworfene Produkte, Verpackungen, Gebäude, Transportmittel, ja sogar ganze Städte. Und uns war klar, dass die konventionellen Methoden des Umweltschutzes – selbst die bestgemeinten und fortschrittlichsten – nicht der Weisheit letzter Schluss waren.

Dieses erste Treffen rief sofort das Interesse wach, zusammenzuarbeiten, und 1991 verfassten wir gemeinsam die Hannover Principles, Design-Richtlinien für die Weltausstellung 2000, die beim World Urban Forum des Weltgipfels in Rio 1992 herausgegeben wurden. Die wichtigste dieser Richtlinien lautete »Eliminiere die Entstehung von Abfall« – nicht Abfall reduzieren, minimieren oder vermeiden, wie die Umweltschützer damals vorschlugen, sondern das Konzept als solches durch Design eliminieren. Wir trafen uns in Brasilien, um eine frühe Version dieses Grundsatzes in der Praxis zu begutachten: einen Abfall verarbeitenden Garten, der im Prinzip für die Gemeinde ein riesiger Darm war, der Abfall in Nahrung verwandelte.

Drei Jahre später gründeten wir die McDonough Braungart Design Chemistry. Bill führte sein Architekturbüro weiter und Michael blieb weiterhin Leiter der EPEA in Europa. Außerdem erkannten wir, dass es notwendig ist, unser Wissen auch mit anderen Fachleuten zu diskutieren. Aber nun war uns klar, welche Richtung wir einschlagen mussten, um unsere Ideen in die Praxis umzusetzen und unsere Arbeit in der chemischen Forschung, der Architektur, der Städteplanung und beim Design von Industrieprodukten und Verarbeitungsprozessen in den Dienst des Projekts zu stellen, die Industrieproduktion selbst umzuwandeln. Seit damals arbeiten unsere Institutionen mit einer großen Anzahl von Unternehmen zusammen, z.B. der Ford Motor Company, Herman Miller, Nike und SC Johnson, einer Anzahl von Kommunalregierungen sowie Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen, um die von uns entwickelten Designprinzipien umzusetzen.

Wir sehen eine Welt der vielfältigen Möglichkeiten, nicht der Grenzen. Inmitten des vielen Geredes über die Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks bieten wir eine andere Vision. Was wäre, wenn die Menschen Produkte und Systeme entwerfen würden, in denen die Fülle an menschlicher Kreativität, Kultur und Produktivität zum Ausdruck käme? Die so intelligent und sicher sind, dass unsere Spezies einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt, an dem sich alle Lebewesen erfreuen können, statt über ihn zu lamentieren?

Man denke einmal über Folgendes nach: Zusammen genommen haben alle Ameisen auf unserem Planeten eine Biomasse, die weit größer ist als die der Menschen. Ameisen sind seit Millionen von Jahren unglaublich emsig. Und dabei nährt ihre Produktivität Pflanzen, Tiere und den Boden. Die von den Menschen geschaffene Industrie ist erst seit knapp über einem Jahrhundert in vollem Gang, und dennoch hat sie in fast allen Ökosystemen dieses Planeten zu einer Verschlechterung geführt. Im Gegensatz zu den Menschen hat die Natur kein Designproblem.

1. Eine Frage des Designs

Im Frühjahr 1912 verließ eines der größten je von Menschen geschaffenen beweglichen Objekte Southampton, England, in Richtung New York. Es schien der Inbegriff des damaligen industriellen Zeitalters zu sein – ein mächtiges Symbol für Technologie, Wohlstand, Luxus und Fortschritt. Es wog 66000 Tonnen. Sein Stahlrumpf war so lang wie vier Wohnblocks. Jede seiner Dampfmaschinen hatte die Größe eines Stadthauses. Und es steuerte auf eine verhängnisvolle Begegnung mit der Natur zu.

Dieses Schiff war natürlich die Titanic, ein wahres Ungetüm, das allen Naturkräften zu trotzen schien. Nach Ansicht des Kapitäns, der Besatzung und vieler seiner Passagiere war es unsinkbar.

Die Titanic war, wie man sagen könnte, nicht nur ein Produkt der industriellen Revolution, sondern sie ist auch eine noch heute passende Metapher für die durch diese hervorgebrachte industrielle Struktur. Wie das berühmte Schiff wird diese Infrastruktur durch jene brutalen und künstlichen Energiequellen angetrieben, die unsere Umwelt aufbrauchen. Abfall wird ins Wasser und Rauch in die Luft geleitet. Sie funktioniert nach ihren eigenen, der Natur zuwiderlaufenden Regeln. Und obwohl diese Struktur unbesiegbar erscheinen mag, bergen die fundamentalen Fehler in ihrem Design Unglück und Katastrophen in sich.

Ende der Leseprobe