Crown of Blood and Ruin - Geliebt von meinem Feind - LJ Andrews - E-Book

Crown of Blood and Ruin - Geliebt von meinem Feind E-Book

LJ Andrews

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Du trägst die Krone der Fae – doch ist eure Liebe wirklich unsterblich? Das Finale der heißen Fae-Fantasy-Saga für Erwachsene!

Weil Elise an der Seite des neuen Fae-Königs Valen regiert, hat sie das Volk der Menschen verraten. Von wenigen verehrt, von den meisten gehasst, wird ihre Liebe zum König der Fae auf eine harte Probe gestellt. Da erfahren Elise und Valen, dass ihre Feinde deutlich mehr Macht besitzen, als sie sich jemals vorgestellt haben. Klingen reichen nicht aus, um sie zu besiegen. Bedroht von Valens inhaftiertem Bruder und Elises brutaler Schwester steht an allen Fronten Krieg bevor. Dieser Kampf könnte für Elise und Valen die Rettung sein... oder das Ende.

Band 3 der düsteren Fae-Fantasy-Saga mit starken »Die Schöne und das Biest«-Vibes: romantisch und voller Action!

Geliebt von meinem Feind – die spicy Fae-Fantasy-Saga von LJ Andrews:
1. Curse of Shadows and Thorns
2. Court of Ice and Ash
3. Crown of Blood and Ruin

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 536

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Weil Elise an der Seite des neuen Fae-Königs Valen regiert, hat sie das Volk der Menschen verraten. Von wenigen verehrt, von den meisten gehasst, wird ihre Liebe zum König der Fae auf eine harte Probe gestellt. Da erfahren Elise und Valen, dass ihre Feinde deutlich mehr Macht besitzen, als sie sich jemals vorgestellt haben. Klingen reichen nicht aus, um sie zu besiegen. Bedroht von Valens inhaftiertem Bruder und Elises brutaler Schwester steht an allen Fronten Krieg bevor. Dieser Kampf könnte für Elise und Valen die Rettung sein … oder das Ende.

Autorin

Die »USA Today«-Bestsellerautorin LJ Andrews ist bekannt für ihre düstere Romantasy-Saga »The Broken Kingdoms«, die im amerikanischen Original zehn Bände umfasst und auf TikTok zum Bestseller-Phänomen geworden ist. Sie liebt dunkle Welten, die von unbeugsamen Love-Interests bevölkert werden. Wenn LJ Andrews nicht schreibt, hält sie ihre vier Kinder im Zaum, verbringt Zeit mit ihrem heißen Ehemann oder wandert durch die Berge von Utah.

Geliebt von meinem Feind – die spicy Fae-Fantasy-Saga von LJ Andrews:

1. Curse of Shadows and Thorns

2. Court of Ice and Ash

3. Crown of Blood and Ruin

LJ Andrews

CROWN

of

Blood

and

Ruin

Geliebt von meinem Feind

Roman

Deutsch von Maike Claußnitzer

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Crown of Blood and Ruin (The Broken Kingdoms, Book 3)« bei Victorious Publishing, New York.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2022 by LJ Andrews

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Published by Arrangement with VICTORIOUSPUBLISHINGLLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Redaktion: Ulrike Gerstner

Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon nach einer Originalvorlage von Authortree

Umschlagillustration: Authortree

BL · Herstellung: fe

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-364-131461-3V001

www.blanvalet.de

Teil 1

Kapitel 1Nachtprinz

Die Holzbretter stanken nach Erbrochenem.

Der beißende Geruch brannte mir bei jedem Atemzug im Rachen. Niemand am Tisch schien sich daran zu stören. Der Mann gegenüber von mir ließ immer wieder Teile von seinem Räucherhering fallen und aß sie dann trotzdem, als wären sie nicht vom übelriechenden Auswurf eines anderen überzogen.

Mit einem Schmatzen lehnte er sich lässig auf seinem Stuhl zurück, den Blick auf mich gerichtet. »Ihr seid also Hersir Legion Grey, ja?«

Einer meiner Mundwinkel hob sich. »Schon den ganzen Tag.«

Er schnaufte und wischte sich das, was ihm aus der Nase lief, mit dem Handrücken ab. »Sagt mir eines: Warum sollte ich an Euch verkaufen? Euer König hat mir einen guten Preis geboten. Und er ist der verdammte König.«

Der Händler sah aus dem trüben Fenster, vor dem drei Dutzend Leibeigene angekettet waren wie Schweine auf dem Weg zur Schlachtbank. Er klopfte mit der linken Hand auf den Tisch und griff dann nach seinem Trinkhorn. Linkshänder. Die kurze Klinge an seiner Taille würde meine schwächere Seite treffen. Leicht abzuwehren.

Ich trank einen Schluck Starkbier.

Seine Klinge war nicht schlecht geschmiedet, aber auch kein Meisterwerk. Der Stahl war nicht gut ausbalanciert. Klobig. Schwer. Die Hiebe würden schnell und heftig, doch wenig kontrolliert erfolgen.

»Nun?«, fragte er. »Warum wollt Ihr sie?«

Ich hob den Blick. »Ich bin ehrgeizig, Hersir, und in Timoran herrschen ungewisse Zeiten. Ihr stammt nicht von diesen Gestaden, aber ich habe tiefe Taschen. Ich mache Euch das Angebot nur aus dem Grund, dass ich ein paar kräftige Leibeigene, die meine Tore bewachen, gut gebrauchen könnte.«

Der Händler zog eine Augenbraue hoch. Immer wieder streckte er sein rechtes Bein. Tat es vielleicht weh? Eine alte Verletzung? Ich würde es auf die Probe stellen, wenn er sich die Chance verdiente aufzustehen.

»So wie es aussieht, Hersir Grey, habt Ihr doch schon reichlich gutes Fleisch, das Euch den Rücken deckt.« Sein Blick huschte zu der einschüchternden Mauer aus Männern hinter mir. Thor, Ari und Brant standen mit verschränkten Armen da, Klingen an ihren Gürteln, finstere Mienen aufgesetzt.

Ich kämpfte gegen den Drang an, die Augen zu verdrehen.

Narren. Ich war als Legion Grey hier, ein Taugenichts von einem Händler aus Neu-Timoran. Sie sollten meine Geschäftspartner darstellen, meine Gefährten. Früher waren wir dafür bekannt gewesen, unser Glück an Spieltischen zu versuchen, und hatten als tollkühne, reiche junge Männer gegolten, die einen Blick für gute Geschäfte hatten.

Nicht als Krieger eines Königs.

Ari war der Einzige, der allen Grund hatte, dreinzuschauen, als hätte er Schmerzen. Bestimmt hatte er sie wirklich. Da er sich auf Illusions-Wildwut verstand, lag es ausschließlich an Ari, dass meine Fae-Züge verborgen blieben. Aber Wildwut neigte dazu, den Körper auszulaugen, wenn man sie zu sehr beanspruchte.

Und dieser Bastard von einem Händler hörte einfach nicht auf zu reden.

»Sie sind schlecht gelaunt, weil wir sie nicht zum Trinken eingeladen haben«, sagte ich bedeutungsvoll mit einem scharfen Blick zu Thor. Er hatte schon früher selten gelächelt, aber seit wir Burg Rabensporn das letzte Mal verlassen hatten, konnte nur eine Person meinem alten Freund noch irgendeine Emotion entlocken.

Elise war nicht hier, also war das Mindeste, was er tun konnte, den sorglosen, ehrgeizigen Handelspartner von Legion Grey zu spielen.

Wie Mattis.

Der Tischler verstand sich darauf, in solch eine Rolle zu schlüpfen, ohne sich anmerken zu lassen, wie gut er mit dem Schwert an seiner Taille umgehen konnte. Mattis lachte in einer Ecke und schlug auf die Tischplatte; er stürzte mit einem anderen Mann, der sich unter seiner Kapuze verbarg, ein Trinkhorn rotes Gewürzbier hinunter.

Frey würde sein Gesicht nicht zeigen. Noch nicht. Hier würde man ihn zu schnell erkennen.

Mein stinkender Zechkumpan neigte sein Horn, den Blick weiter auf mich gerichtet. »Tut mir leid, Hersir. Aber ich ziehe mich nicht aus einem Geschäft mit dem König zurück, nur um Euren Ehrgeiz zu stillen. Kauft lieber auf dem freien Markt am Rabensporn ein. Und ein guter Rat: Lasst es nicht zur Gewohnheit werden, Euren eigenen Königshof zu überbieten.«

»Ich glaube, Ihr begeht einen Fehler.«

Dieses Gespräch würde gleich eine andere Wendung nehmen. Während der Händler polterte und seine eigene Wichtigkeit wie ein eitler Gockel zur Schau trug, lastete die unter dem Tisch versteckte Axt immer schwerer auf meinem Schoß.

Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über sein wettergegerbtes Gesicht. »Ich bin nicht zum Handelspartner von Königen aufgestiegen, indem ich Fehler begangen habe, Junge.«

»Junge?«, wiederholte ich lachend. »Kühn von Euch, Hersir.«

»Glaubt Ihr etwa, der Ruf des wilden Legion Grey, Händler, der mit Kaufmannstöchtern ins Bett geht, während er ihren Vätern das Geld aus der Tasche zieht, sei nicht zu mir gedrungen? Für mich seid Ihr nur ein unsteter Geselle mit dickem Geldbeutel.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Sagen das etwa alle über mich?«

Er grinste und zeigte dabei einen Goldzahn vorn im Mund. »Ja. Gut, dass ich keine Tochter habe, Hersir Grey. Ich treibe keinen Handel mit Euch. Ein gutes Verhältnis zu einem König ist verlockender als ein Geschäft mit einem Jungen wie Euch.«

Ich verzog den Mund, als ich mein Trinkhorn hob. »Ich kann Euch nur zustimmen. Natürlich möchte ich Euch eine letzte Gelegenheit geben, mir Eure Handelsware freiwillig zu überlassen.«

»Jetzt soll ich sie einfach so weggeben?« Er lachte leise. »Ihr seid wirklich merkwürdig. Wie Ihr so lange in der Geschäftswelt zurechtkommen konntet, werde ich wohl nie erfahren.«

»Wenn ich recht verstehe, lehnt Ihr ab?«

Der Händler sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Ja, Hersir Grey. Ich weigere mich, Euch meine Leibeigenenware zu überlassen.«

»Verstanden.« Ich packte den Griff meiner Streitaxt fester. Das Leder, das Holz und der Stahl hatten etwas Tröstliches. Etwas Vertrautes und Tödliches. »Leider wird dieser Abend nicht gut für Euch ausgehen. Der König hat kein Interesse an gutwilligem Handel mit Euresgleichen. Er hat Euch nur eine Chance geben wollen.«

Sein Grinsen verflog. »Was sagt Ihr …«

Bevor der Händler den Satz vollendete, drang die geschwungene Klinge meiner Axt schon in seine Finger, die auf der Tischplatte ruhten. Ein grauenvoller kehliger Schrei durchbrach den Frieden des Wirtshauses. Meine Leute aus Ruskig stürzten sich auf seine Männer, bevor diese auch nur wussten, wie ihnen geschah.

Mattis’ Schwert durchtrennte die Wirbelsäule eines Händlers. Frey schlug seine Kapuze zurück und warf einen Dolch auf den Wirt. Die Spitze drang dem Mann in die Kehle. Ich hinterfragte es nicht. Der ettanische Krieger hatte gewiss seine Gründe, ihn zu töten.

Gäste des Wirtshauses schrien. Einige griffen zu den Waffen. Sie überlebten es nicht lange. Ein paar starrten Frey mit offenem Mund an, lächelten sogar mit einem Anflug von Triumphgefühl. Als ich mich von meinem Sitz erhob, kümmerten sich Thor, Mattis und Brant gerade um den Rest der Handelsmannschaft und stießen sie auf die Knie, Messer an ihren Kehlen.

Ari atmete erleichtert aus, als er die Illusion verfliegen ließ, die er über meine Züge gebreitet hatte.

Ich schob die Manschetten meines Wamses zurecht und trat an die Seite des Händlers. Seine Stirn war schweißbedeckt, seine Haut blass. Blut sprudelte auf den Tisch und vermischte sich mit verschüttetem Bier.

Angesichts meiner tiefdunklen Augen und meiner spitzen Ohren zuckte er zurück. Ich strich mit einem Finger über die Klinge der Streitaxt und ging in die Hocke, eine Hand in seinen Nacken gelegt.

»Ich sollte mich entschuldigen. Wisst Ihr, ich war nicht ganz aufrichtig, was unser Treffen angeht.« Ich ließ das volle Gewicht meiner Hand auf dem Griff der Axt ruhen, die seine Fingerknöchel durchschnitt. Der Händler stöhnte und schloss die Augen. »Zunächst sollte ich allerdings wohl einige der schlimmsten Gerüchte aufklären, die über mich in Umlauf sind. Ich gehe nicht mit allen möglichen Töchtern ins Bett. Ich bin mit einer Tochter Timorans voll und ganz zufrieden. Dafür hättet Ihr Verständnis, wenn Ihr sie sehen würdet, Hersir, das versichere ich Euch. Wahrhaft schön und zugleich furchterregend …«

»Vielleicht könnten wir etwas schneller machen. Diese Dreckskerle denken, sie könnten sich losreißen, und das ist ziemlich lästig«, sagte Ari grinsend. Die Händler in den Griffen meiner Männer wehrten sich und versuchten, nach den Waffen zu greifen, die in den Scheiden an ihren Gürteln steckten.

»Verzeiht mir«, sagte ich mit einem vergnügten Blick auf meinen Händler. »Wenn ich anfange, von Elise zu sprechen, neige ich dazu, kein Ende zu finden.«

»Wer seid Ihr?«, stieß er hervor.

»Ihr seid doch hier, um mit dem König Handel zu treiben, nicht wahr? Wie gesagt, er – ich – möchte keine Geschäfte mit Euch machen. Aber ich nehme Euren Fang.«

Vielleicht lösten der Blutverlust und die abgehackten Finger ein wenig Wahnsinn in dem Händler aus. Er lachte. Speichel verfing sich in seinem drahtigen Bart. »Ihr seid verrückt. H … hierfür wird Euer K … König Euch niedermetzeln.«

Ich warf Thor einen betont ratlosen Blick zu. »Er redet ständig von meinem König. Oh – ich glaube, ich verstehe.« Ich kniff die Augen zusammen. »Ihr sprecht wohl von dem falschen König. Es sieht Calder ähnlich, immer noch so anmaßend zu sein.«

»F… falscher König?«

Ich richtete mich auf und führte meine Lippen nahe an sein Ohr. »Ihr seid in mein Land gekommen, in der Absicht, mit Magie zu handeln, mit meinen Leuten zu handeln. Ihr habt mir praktisch den Krieg erklärt.« Ich nickte Thor zu. »Tötet sie.«

Es ging schnell. Messer und Dolche drangen in die Handelsmannschaft ein; der Anführer zuckte bei jedem dumpfen Aufprall auf den stinkenden Bodendielen zusammen. Weniger behutsam, als ich es hätte tun können, riss ich die Axt aus seiner verstümmelten Hand. Der Händler schrie auf und krümmte sich über den Tisch. Er zitterte.

»Ich lasse Euch heute am Leben«, sagte ich. »Gern geschehen. Wenn die Rabensporn-Wachen kommen – und das werden sie – , um Euch vor den falschen König zu führen, bestellt Ihr ihm hoffentlich schöne Grüße von mir. Sagt ihm, dass König Valen Ferus kommt. Und noch einmal: Ich weiß seine Handelsgeschäfte sehr zu schätzen. Seine Karawanen waren und sind für das wahre Volk dieses Landes unglaublich nützlich.«

Der Händler starrte mich benommen vor Furcht an. Solch eine Miene schenkte mir eine gewisse Befriedigung. Eine, die ich jedes Mal genoss, wenn wir das hier taten. Seit Monaten griffen wir Calders Handelspartner an, warfen ihm Knüppel zwischen die Beine, schwächten ihn.

Mit einer raschen Geste bedeutete ich meinen Männern zu gehen. Brant ließ ein Leintuch neben dem Händler fallen, klopfte ihm auf die Schulter und ließ ihn mit dem schäbigen Verbandszeug allein. Die Raben würden den Mann holen kommen; sie würden ihn zu Calder bringen. Entweder ließ der junge König ihn töten oder … Nein. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass Calders Jähzorn das Leben des Händlers fordern würde.

Draußen waren Frey und Mattis damit beschäftigt, die Leibeigenen zu befreien. Ich streifte das verdammte Wams ab. Warum die Timoraner diese Kleidung bequem fanden, würde ich nie verstehen.

Mattis warf mir grinsend meine zweite Streitaxt zu. »Gut gemacht, mein König.«

Gelächter tönte durch die Nacht. Einige der Leute stammten eindeutig nicht aus Timoran, und das Blut aus ihren von Prellungen überzogenen, übel zugerichteten Körpern verströmte einen durchdringenden, süßlichen Fäulnisgeruch. Alver. Magiebegabte aus einem fernen Königreich. Ich grinste und konnte mir vorstellen, dass Junius, unsere Alverfreundin, erfreut gewesen wäre zu erfahren, dass wir ihre Leute gefunden und sie dem Rabensporn wieder entrissen hatten.

»Frey? Frey!«, rief eine tiefe, kehlige Stimme über alle anderen hinweg.

Frey ließ sein Schwert fallen. Ein schmerzliches Lächeln trat auf seine Lippen. Er drängte sich eilig durch das Gewühl und prallte auf einen anderen, in Lumpen gekleideten Mann. Weitere Blicke richteten sich auf meinen Leibwächter; man flüsterte seinen Namen. Allerdings war das hier auch Freys Siedlung. Seine Heimat. Ein Ort, dessen Bevölkerung der Rabensporn niedergemacht oder geraubt hatte. Man hatte die Frauen und Kinder getötet, die Männer versklavt.

»König Valen«, hatte Frey vor Wochen gesagt. »Ich habe eine Bitte persönlicher Natur.«

»Persönlich inwiefern?«

»Nenn es Rache.«

Der Ruf nach Vergeltung war mir nur allzu vertraut. Ich hatte genickt. »Was für eine Bitte hast du?«

»Ich will meine Leute, meinen Bruder befreien. Dann will ich die umbringen, die ihn schon seit zwei Umläufen gefangen halten.«

Er hatte ein paar Einzelheiten genannt. Erklärt, dass die Ettaner in den südlichen Siedlungen für das alte Etta, für meine Familie kämpften. Zur Strafe für ihre Rebellion tötete oder verkaufte man sie. Sie würden eine Karawane mehr sein, die wir Calder nehmen konnten. Aber noch besser: Frey hatte diesen speziellen Händler mit seinem besonderen Fang aufgespürt.

Als sein Bruder, dessen Züge seinen zum Verwechseln ähnelten, sich aus seiner Umarmung löste und Freys Gesicht mit beiden Händen umfasste, durchzuckte ein Schmerz meine Brust. Seltsam, wie es mir flau im Magen werden ließ, Zeuge der Wiedersehensfreude der Brüder zu werden.

Frey hatte seinen Bruder gerettet; ich hatte meinen im Stich gelassen.

»Ihr seid von König Valen Ferus befreit worden«, rief Thor über das Lachen hinweg. Die Stimmen verklangen sofort; der Wind trug nur noch etwas Getuschel mit meinem Namen herbei. »Wir sind auf der Seite der magischen Leute. Aller Magie. Wir kämpfen darum, dieses Land zurückzuerobern.«

Diese Leibeigenen waren zweifelsohne misshandelt und geschlagen worden, die Götter allein wussten, wie lange schon. Dennoch erhellte, während Thor sprach, ein Lächeln nach dem anderen die Nacht. Mehr Hoffnung leuchtete aus dunklen Augen.

»Kämpft an unserer Seite!«, rief Frey. »Viele von euch sind meine Leute – ihr seid Axels Leute.« Er packte die magere Schulter seines Bruders.

Axel sah zu mir und hielt meinem starren Blick einen halben Atemzug lang stand, bevor er ein Knie beugte und sich die Faust aufs Herz presste. »Ich kämpfe für den wahren König.«

Auch andere knieten nieder. Manche zögerten.

Brant trat vor und schlitzte sich die Handfläche auf. Sein Blut hatte den gleichen süßlichen Gestank wie das vieler Sklaven der Karawane. »Wir kämpfen für alle Magie.«

Noch mehr Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Diejenigen mit stinkendem Blut lachten und schlugen sich mit der Faust auf die Brust.

Brant verstand seine eigene Magie kaum, weil er erst vor einem halben Umlauf herausgefunden hatte, dass auch er zu den Alvern gehörte. Seine Magie hatte sich allerdings schon als nützlich erwiesen. Brants Gabe der Vorsehung und des Vorausahnens vor Gefahren hatte uns mehr als einmal den Hals gerettet.

Seit ich meinen wahren Namen offenbart hatte, strömten immer mehr Ettaner und Nachtvolk nach Ruskig, um Zuflucht zu finden und sich ihren Leuten dort anzuschließen. Calder war gezwungen, jenseits unserer Grenzen Handel zu treiben, und hatte seltsame Wildwut – oder Mesmer, wie Junie ihre Magie nannte – ins Land gebracht. Mit Brants Hilfe hatten wir dem falschen König auch sie genommen.

Mattis trat an meine Seite, die Arme vor der Brust verschränkt. »Ein Erfolg mehr, finde ich. Calder schwächelt. Er fürchtet dich.«

»Uns«, sagte ich. »Er fürchtet uns.«

Es stimmte. Burg Rabensporn hatte ihre Abwehrmaßnahmen verzehnfacht. Man hatte Sorgen wegen der wachsenden Bedrohung durch die Wildwut, aber zugleich bedeutete es, dass Calder verzweifelt war. Eines wusste ich über mächtige Männer, die wild entschlossen waren, die Kontrolle zu behalten: Sie waren unberechenbar. Gefährlich. Wir mussten bei unserem Aufstand Vorsicht walten lassen.

Einige sträubten sich immer noch und verlangten, alle Timoraner niederzumetzeln. Ich dachte an Elise. So furchtbar ungern ich es mir vor Augen führte: In Ruskig gab es nun neue Gesichter, die sie musterten, als hätte sie es verdient, zusammen mit den Leuten auf dem Rabensporn verbrannt zu werden.

Dazu würde es nicht kommen.

Sie würde helfen, die Narben zwischen den Völkern in diesem Land zu heilen. Elise Lysander war die Wahl meines Herzens, und diese Leute würden sich daran gewöhnen, dass ihr König auf Zeit eine timoranische Prinzessin liebte.

»Calder wird zurückbeißen«, murmelte Thor, als Frey und Brant die Leibeigenen für die Reise zu Gruppen ordneten.

»Soll er doch«, sagte ich. »Er verliert an Boden. Wir sind fast so weit, und das weiß er. Also wird er ihn früher oder später ins Freie bringen, und wenn er es tut, gehört Sol uns.«

Thor schloss die Augen. »Valen, ich werde nicht in der Lage sein, ihn zu töten.«

Sol war Calders einzige Waffe gegen mich. Ich hatte geglaubt, der Sonnenprinz wäre tot, aber Burg Rabensporn hatte meinen Bruder – einen Dunkelfae – all die Zeit über gefangen gehalten, seine Wildwut missbraucht, um bedrohliche Gifte zu erzeugen, und Sol als ganz eigene Art von Bestie benutzt.

Ich ging davon aus, dass Sol von mir erwarten würde, ihn zu töten, wenn er eine Bedrohung für unsere Leute darstellte. Aber genau wie Thor wusste ich nicht, ob ich in der Lage sein würde, es wirklich zu tun, wenn der Zeitpunkt gekommen war.

»Ich habe nicht vor, meinen Bruder zu töten. Doch wenn sie ihn wieder ans Licht schaffen, habe ich die feste Absicht, ihn mir zurückzuholen. Um ihn nach Hause zu dir zu bringen.« Ich legte Thor eine Hand auf die Schulter und wandte mich dann ab, um die neue Karawane zurück nach Ruskig zu führen.

Geschwächt von unseren Angriffen konnte der junge König sein Volk kaum noch ernähren, aber ich bezweifelte, dass ihm das etwas ausmachte. Er konzentrierte sich zu sehr darauf, sich meinen Kopf zu holen, um Zeit für eine echte Strategie zu haben.

Bald genug würde sein Kopf mir gehören.

Kapitel 2Prinzessin auf Abwegen

»Noch einmal! Jetzt pariert aber richtig. Das machen wir doch so, oder? Ich werde jedenfalls nicht derjenige sein, der eure Innereien von einem Schlachtfeld kratzt, weil ihr Narren vergesst, wie man eine verdammte Klinge hebt«, brüllte Halvar uns an.

An der Stirnseite der Grasfläche hielt er zwei schartige kurze Klingen erhoben, eine in jeder Hand. Das Wappen auf seiner Tunika zeigte überkreuzt eine Axt und einen Dolch, die mit Dornen umschlungen waren. Das Siegel der Ferus. Er sah von Kopf bis Fuß nach dem ersten Ritter aus, der er war.

So schelmisch der Mann auch sein konnte, mit seinen Waffen war Halvar ziemlich furchteinflößend und schrecklich anspruchsvoll. Aus gutem Grund, wie ich annahm. Und er hatte nicht unrecht – niemand wollte die Innereien unserer Nachbarn auf einem Schlachtfeld sehen.

Ich hob meinen Sachs. Das Heft der Hiebwaffe war dick, aber die Lederumwicklung hatte sich etwas gelöst, sodass mir eine scharfe Metallkante in die Handfläche drang.

Ein Kuss traf meine Wange, bevor ich zuschlagen konnte. Erschrocken wirbelte ich herum, nur um Halvars verschlagenes Grinsen vor mir zu sehen.

»Du bist natürlich keine Närrin«, sagte er. »Dich nehme ich von all meinen vulgären Äußerungen aus.« Er sah Kari, meine Fechtpartnerin, an. »Und dich auch, meine schöne Kriegerin.«

Kari kniff die Augen zusammen. »Halvar.«

Er sah mich an. »Sie wird so schüchtern, wenn ich süße Worte in aller Öffentlichkeit auch nur flüstere. Ich verstehe das nicht.« Er wandte sich wieder an Kari. »Ich würde meine Lippen an den unanständigsten Stellen auf dich drücken, meine Liebste, ganz gleich, wer es sieht. Du musst es nur zulassen!«

Hier und da ertönte ein Auflachen aus der Reihe der Übungsgegner. Karis Gesicht lief rot an, und ihre Augen blitzten warnend auf. Ohne jeden Zweifel würde Halvar später dafür bezahlen – und ebenfalls ohne jeden Zweifel würde er jede Sekunde davon genießen.

Ich grinste und verlagerte meinen Griff um die Waffe. »Geh beiseite und lass uns weiterüben.«

»Solange ihr auch wisst, wie ich es meine. Ihr, meine beiden Schönen, dürft meine grausamen Worte nicht so ernst nehmen.«

»Das ist ja wohl kaum gerecht«, sagte ich. »Ich werde genau wie alle anderen von dir ausgebildet.«

»Ach ja.« Er senkte die Stimme, sodass nur noch ich ihn hörte. »Aber diese anderen sind nicht meine künftige Königin.«

Hitze durchströmte mich und drehte mir den Magen um. »Mich muss erst noch ein König bitten, mehr als nur eine Geliebte zu sein.«

»Tu nur weiter so, als wäre es nicht vom Schicksal vorherbestimmt, wenn du möchtest, liebe Elise.«

Ich rammte Halvar meinen Ellenbogen in die Rippen. Andere starrten uns schon an. »Dennoch … Behandle mich so wie alle anderen. Ich muss lernen, die Klinge wie ein Ritter zu führen.«

»Wie du wünschst. Klingen hoch. Breiterer Stand.« Halvar verpasste mir mit dem Handrücken einen Schlag gegen die Mitte, der mir ein leises Ächzen abrang. »Bauch anspannen.«

Nach einem letzten Augenzwinkern für Kari kehrte Halvar vor die Reihen zurück und hob eines seiner Schwerter. Als er die Klinge herabsausen ließ, griffen wir an.

Zwanzig Schritte später hustete ich, als Kari mich wieder einmal auf den Rücken warf.

Aufgewirbelter Staub landete auf meinen Wangen, blieb an dem Schweiß auf meiner Haut kleben. Sie beugte sich über ihre Knie, schöpfte Atem und streckte dann die Hand aus, um mir aufzuhelfen.

»Alles in Ordnung, Elise?« Kari strich sich die hellen Haare aus den Augen. Timoranerin wie ich, doch zugleich eine ehemalige Rabin. Ich empfand aufgrund unseres früheren Lebens eine gewisse Verbundenheit mit ihr, aber auch, weil Kari das Herz eines Fae gewonnen hatte, genau wie ich. Halvar ließ sich von ihrem Vorleben in Timoran nicht aus der Ruhe bringen und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Ich wünschte, andere würden sich ebenso verhalten.

»Mir geht es gut.« Ich rappelte mich auf und ließ neidvoll den Blick über die anderen schweifen, die immer noch kämpften. Meine Freundin Siv schlug mit derart geschmeidiger Kraft zu, während sie mit zwei Gegnerinnen übte, und hatte eine der Frauen schon im Schwitzkasten.

»Du bist besser geworden«, sagte Kari und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken ab. So schüchtern sie auch auf Halvars öffentliche Liebesbekundungen reagierte, sie behielt ihn im Blick, während er an den Reihen entlangschritt und Haltungen und Griffe korrigierte.

»Ich mag besser geworden sein, lande aber immer noch auf dem Boden. Wenn das so weitergeht, kann ich genauso gut als Köder dienen, während ihr anderen alle den Rabensporn plündert.«

Kari kicherte und schüttelte den Kopf. »Wie Hal schon gesagt hat, wirst du es als Geliebte des Königs vermutlich nicht nötig haben, eine Klinge zu führen.«

Sie sagte es, um mich aufzumuntern, aber es wirkte nicht. Ich musste wissen, wie man kämpfte. Ich hatte die Absicht, an Valens Seite zu stehen, bis er den Thron zurückgewonnen hatte, der ihm von Rechts wegen zustand. Kein Teil von mir hatte vor, nur Zierrat zu sein, der von einem gepolsterten Sitz oberhalb des Schlachtfelds zusah.

»Gut«, rief Halvar, als das letzte Paar ein Unentschieden verkündete. »Ab mit euch allen. Ruht euch aus, esst, trinkt, teilt das Bett miteinander. Das kümmert mich wenig. Bei allen außer dir, meine liebreizende Rabin.«

Er zeigte auf Kari. Seine dunklen Augen glommen vor Begehren. Sie tat so, als würde sie ihn ignorieren, aber kaum dass seine Lippen ihr etwas ins Ohr flüsterten, blitzte in ihren Iriden ein ähnliches Verlangen auf.

Siv schob ihre Dolche in die Scheiden, eilte dann an meine Seite und hakte sich bei mir ein. »Heute Abend kommen sie zurück.«

Ich seufzte erleichtert. »Ja. Hoffentlich noch vor Einbruch der Nacht. Sobald es dunkel ist, postiert Calder zu viele Raben in der Nähe der Tore von Ruskig.«

Siv nickte. Einer ihrer Mundwinkel zuckte. »Denkst du eigentlich je darüber nach, wie viel sich geändert hat? Ich stelle mir Mattis an der Seite des Nachtprinzen vor, wie er endlich für Etta kämpft. Ich staune immer noch darüber. Und du – einst eine Kvinna, jetzt die Geliebte des Königs von Etta.«

»Ich darf darüber nicht zu lange nachdenken, sonst tut mir der Kopf weh«, sagte ich mit einem Auflachen. Es kümmerte mich kaum, ob Valen mich als Geliebte oder Königin bezeichnete, solange er mich sein nannte. Als er sich als Legion Grey ausgegeben hatte, hatte ich nicht damit gerechnet, mich in ihn zu verlieben – und ganz gewiss nicht damit, dass er König der Wildwut werden würde.

Je mehr ich an ihn dachte, desto stärker zitterte mein Körper. Zu lange war er fort gewesen, hatte mehr seiner Leute von Sklavenhändlern und Kaufleuten zusammengeholt. Alle spürten seine Abwesenheit, aber ich wollte gern glauben, dass sie mir am stärksten zusetzte.

Siv ließ mich allein, sobald wir die Hütte erreicht hatten, die sie sich mit Mattis teilte.

Momente allein verschafften mir Zeit, um nachzudenken. Wie Siv gesagt hatte, waren in weniger als einem Umlauf sehr viele Dinge geschehen. Aber es würde noch mehr kommen, bevor wir den Sieg für uns beanspruchen konnten. Am schwersten lastete Sol Ferus auf meinem Herzen.

Valen sprach kaum von seinem Bruder. Doch ich sah seinen Augen den Schmerz an. Sol wurde zum Vorteil des Rabensporns benutzt, und mehr als alles andere wollte ich ihn retten. Für Valen, für Sol, für Thor. Zu wissen, dass er am Leben war, aber täglich gefoltert und manipuliert wurde, war für seinen Geliebten fast mehr, als er ertragen konnte.

Thor sprach wenig mit anderen, doch mir gegenüber redete er sich einen Teil der Last von der Seele. Vielleicht lag es daran, dass auch ich wusste, wie riskant es war, von einem Mitglied des Hauses Ferus geliebt zu werden.

Vielleicht auch daran, dass wir Freunde waren.

Sol musste auf freien Fuß kommen. Ich spürte es in meinen Knochen, dass er zur Wiederherstellung Ettas genauso gebraucht wurde wie Valen. Aber solange die dunkle Wildwut des Sonnenprinzen gegen uns stand, war er zugleich das größte Hindernis.

Einige forderten seinen Tod, nannten ihn eine Gnade. Einen Weg, ihn von seiner Qual zu befreien. Aber ich hatte mir schon vorgenommen, alles zu tun, was in meiner Macht stand, um Sol lebend herzubringen. Valen hatte so viele verloren.

Er hatte schon einmal um seinen Bruder getrauert; das würde er nicht wieder tun.

Ich versetzte ein paar Brombeerranken auf dem Weg zum königlichen Langhaus einen Tritt. In Ruskig setzte allmählich der Winter ein, aber Mondfahne, Nesseln und Vogelbeeren hoben sich noch von den dunklen, moosbewachsenen Bäumen ab. Immer neue Hütten wurden errichtet, und mittlerweile sah der Zufluchtsort des Nachtvolks wie eine kleine Stadt aus. Im Zentrum gab es eine Kapelle für Gottesdienste, einen Platz für Verlautbarungen und einen kleinen Markt. Wir verwendeten in Ruskig keine Münzen, aber der Handel wuchs, je mehr wir wurden.

Ein schmaler Hohlweg führte zu einem verborgenen Strand, an dem wir Lachs und Hering fingen. Calder blockierte die meisten Handelswege und hoffte zweifelsohne darauf, uns auszuhungern. Allerdings ging es mit der Erdwildwut einher, dass oft genug Magie vorhanden war, um dickere Beeren und nahrhafteres Gemüse wachsen zu lassen, und es half, wenn Stieg und Casper ihre Luft- und Wasserwildwut einsetzten, um die Strömungen in unsere Fischernetze fließen zu lassen.

Für den Augenblick hatten wir genug, um unsere Bäuche zu füllen.

Über den Baumwipfeln verblasste die Sonne. Laternen erhellten hier und da Hüttenfenster, aber erst, als ich das Langhaus erreichte, fiel mir das Grüppchen von Männern auf, das die Tür bewachte.

Ich stöhnte. Klok war ein Ältester aus Ruskig und recht freundlich. Aber die anderen waren neu oder stammten aus Crispins Flüchtlingsschar. Ich hatte zu dem Trupp gehört, der die Flüchtlinge aus den feuchten Meereshöhlen nach Ruskig gebracht hatte.

Crispin, ihr Anführer, beachtete mich kaum. Manchmal rümpfte er die Nase, wenn er mich sah, sagte aber nie ein Wort. Ich wünschte, ich hätte das Gleiche über einige seiner Männer behaupten können.

Je mehr sie sich über die Timoraner ausließen, desto öfter sahen mich Neuankömmlinge mit den gleichen Vorbehalten, der gleichen Verachtung an.

An der Tür des Langhauses verabschiedete Klok sich gerade von den Männern. Er bemerkte mich und neigte den Kopf zum Gruß. Ich erwiderte sein Lächeln und wünschte, er würde bleiben, bis ich drinnen war. Da Valen nicht da war, wurden einige Leute in ihrer Wortwahl mir gegenüber etwas dreister.

Natürlich hätte ich das vor dem König nie erwähnt. Valen hatte schon genug Sorgen, ohne sich auch noch um ein paar harte Worte gegen mich kümmern zu müssen.

Ich hielt den Atem an und tat mein Bestes, den Kopf einzuziehen und durch die Tür zu schlüpfen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Aber das Schicksal war launisch und hatte ganz gewiss nur wenig für mich übrig.

Ein kräftiger, muskulöser Arm schoss vor und verstellte mir den Weg. »Wo willst du hin, De Hän?«

»Stave.« Ich hob das Kinn. »Lass mich durch.«

»In die Gemächer meines Königs? Eine Timoranerin? Du hältst mich wohl für verrückt.« Stave war einer von Crispins Männern. Er war zwei Köpfe größer als ich. Sein Bart war zottig und zu Zöpfen geflochten. Seine spitz zulaufenden Ohren verrieten seine magische Begabung. Einfache Erdwildwut, doch er wusste, wie man mit einer Klinge umging, und das brutal.

Ich zweifelte nicht an seiner Loyalität zu Valen. Genauso wenig zweifelte ich aber an seinem Hass auf alles Timoranische.

»Ich bin es langsam müde«, sagte ich in barschem Ton. »Du würdest es nicht wagen, so mit der Geliebten des Königs zu sprechen, wenn er hier wäre. Jetzt geh aus dem Weg.«

»Es ist meine Aufgabe, den König zu beschützen«, flüsterte Stave, »und das habe ich auch vor, Timoranerin.«

»Stave?« Erleichterung machte sich in meiner Brust breit. Um die Ecke bog Casper, einen Teller mit Nüssen und Beeren in den Händen. Der Wasserfae hatte sehr spitze Ohren, und seine Augen erinnerten mich eher an ein stürmisches Meer als an eine sternklare Nacht. Die meisten glaubten, dass er nicht nur zum Nachtvolk gehörte, sondern zum Teil auch ein Nyk war. Er legte sich zwei Nüsse auf die Zunge. Sein Blick huschte zwischen uns hin und her. »Was geht hier vor?«

Die gesamte Schattengilde – ergänzt um Ari, Kari, Brant, Siv und Mattis – diente Valen als innerer Rat.

Um seinen Respekt vor Caspers Stellung zum Ausdruck zu bringen, neigte Stave das Kinn und zog seinen Arm aus meinem Weg zurück. »Nichts. Ich wünsche De Hän Elise nur gute Nacht.«

Casper kniff die Augen zusammen. »Du meinst wohl Kvinna Elise.«

Ein Zucken durchlief Staves Gesicht, aber er nickte. »Natürlich.«

Casper stieß die schwere Tür auf. »Elise, wenn du gestattest?«

»Danke, Casper.« Ich sah Stave nicht an, als ich vorbeiging, aber als Casper die Tür hinter meinem Rücken schloss, ließ ich mich gegen die Wand sinken.

Die Ablehnung, die mir entgegenschlug, wurde immer schlimmer. Als Timoraner hatten auch Kari und Brant mit Vorurteilen zu kämpfen, aber da Brant seltsame fremdländische Magie im Blut hatte, schienen die Fae von Etta die ehemaligen Raben bereitwilliger zu akzeptieren.

Stave krümmte mir kein Haar, doch es war das erste Mal, dass jemand so kühn gewesen war, offen zu sagen, dass er mich nicht in Valens Nähe haben wollte.

Ich schüttelte die Unruhe ab und zog mir die verschwitzte Tunika aus.

Das königliche Langhaus war groß genug, um Platz für eine eindrucksvolle Versammlung zu bieten. Eine steinerne Feuerstelle in der Ecke heizte den Saal. Auf dem langen Tisch standen immer Brot und Krüge voll Bier bereit. Aber das Hinterzimmer war der Ort, an dem ich einen Großteil meiner Zeit verbrachte. Es war privat. Ein Ort, an dem Valen einfach er selbst und ich einfach ich sein konnte.

Auf dem Tisch strich ich mit den Fingern über ein geöffnetes Pergament und lächelte. Ich vermisste Junius, seit sie ins Östliche Königreich zurückgekehrt war, aber wir hatten einander im Laufe der Monate immer wieder Botschaften geschickt. Zu wissen, dass sie zu ihrem Alvervolk und ihrem Mann zurückgekehrt war, ließ Wärme in meiner Brust aufsteigen.

Dennoch wäre es schön gewesen, ihre Begabung dafür, Lügen zu schmecken, jetzt hier bei uns zu haben. Stave kam mir in den Sinn. Würde er Valen verraten? Nein. Nicht im Krieg. Nicht inmitten der Wiedergeburt von Etta.

Aber Valens Geliebte zu töten, um Platz für eine andere zu schaffen? Ich hatte keinen Zweifel, dass der Mann, wenn man ihm ein Messer in die Hand drückte, nur fragen würde, wohin ich gern den ersten Stich bekommen wollte.

Die Botschaft allerdings hatte mein Herz in meiner Brust still wie einen Stein werden lassen, als ich sie zum ersten Mal gelesen hatte.

… Die Geschichtenerzählerin ist in den Westen zurückgekehrt. Ich verstehe nicht, warum das Kind so froh darüber ist, wieder dort zu sein. Der Ort, Rabenflucht, ist ein noch schlimmeres Elendsviertel als Skítkast, und wenn du uns irgendwann besuchen kommst, wirst du verstehen, warum ich davon abgestoßen bin.

Elise, ich habe viel über das gegrübelt, was du beim letzten Mal über die Vorhersage des Kindes geschrieben hast. Ich habe mir wenig Gedanken darüber gemacht, bis ich zu meinen Leuten zurückgekehrt war. Offen gesagt ist es mir unangenehm, dass ich nicht früher an ihn gedacht habe.

Ich kenne einen Alver, auf den das zutrifft, was Calista beschreibt, einen Brecher von Nacht und Angst. Elise, er lebt hier im Osten. Wir nennen ihn den Nachtspalter …

Zu wissen, dass jemand, einer dieser Alver, über Magie wie die verfügte, die Calista in Trance vorhergesagt hatte, bevor sie unsere Gestade verlassen hatte, war verstörend. Ich schüttelte den Kopf. Um die Wahrheit zu sagen, wusste ich nicht, was ich von diesem Nachtspalter halten sollte.

Der Brecher von Nacht und Angst beginnt seinen Kampf, wenn eurer endet.

Calista hatte diese Worte gesagt, bevor sie aus Ruskig abgereist war. Ich wusste nicht, ob das heißen sollte, dass wir diesen Alver brauchten, aber zu wissen, dass er existierte, war … verwirrend.

Welcher Kampf stand ihm bevor? Wie würde unserer enden?

Ich faltete das Pergament wieder zusammen und versuchte verzweifelt, nicht mehr an Blut, Krieg und Schlachten zu denken. Einen Moment lang wollte ich mich in Ruhe flüchten. Hinter dem Pelzvorhang, der unser Schlafzimmer verhüllte, füllte ich den hölzernen Bottich mit auf dem Feuer erhitzten Wasser. Rosenöl und Mondfahnenblütenblätter fügten ihm eine heilsame Wirkung gegen die Schrammen und Kratzer aus den Übungskämpfen hinzu.

Während ich im Wasser lag, ließ mir ein Lachen einen Schauer über die Arme laufen. Stave blieb in der Nähe. Ich war mir sicher, dass er und seine Kumpane bis spät in die Nacht trinken würden, nur um mich wachzuhalten. Dann würden sie sich, sobald Valen zurück war, verneigen und mir so viel Respekt erweisen, als wären sie bereit, mir die Füße zu küssen.

Vielleicht hätte ich etwas über diese offene Missachtung sagen sollen?

Nein. Wenn ich an Valens Seite stehen sollte, dann musste ich lernen, allein mit Ärger und kleinlicher Missgunst fertigzuwerden.

Ich schöpfte Kraft aus dem Gedanken an Lilianna Ferus, Valens Mutter. Ihre Tagebücher deuteten an, dass es zu etwas Unmut geführt hatte, dass sie mit dem Nachtvolkkönig das Ehegelöbnis hatte sprechen sollen. Als Timoranerin hatte Lilianna dennoch ihren Platz in Etta gefunden. Sie war beliebt und weise gewesen.

Ob Stave und seinesgleichen bewusst war, dass ihr König ein halber Timoraner war?

Ein Grinsen umspielte meine Lippen, und ich ließ mich tiefer ins Wasser sinken.

Ich musste wohl eingedöst sein, denn ich hörte das Knarren der Vordertür nicht. Ich hörte auch nicht das Scharren von Stiefeln auf den Bodendielen. Das Herz schlug mir bis zur Kehle, als plötzlich Hände unter die Wasseroberfläche tauchten und sich um meine Beine schlossen.

Als ich sein tiefes Lachen auf der Haut spürte, lehnte ich mich völlig entspannt zurück.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, flüsterte Valen an der Rundung meiner Schulter. Er drückte sanfte Küsse auf meine Haut, an meinem Nacken herauf, bis unter den Bogen meines Ohrs. Die rauen Schwielen seiner Hand liebkosten unter Wasser meinen Bauch, während seine andere Handfläche mein feuchtes Haar zurückstrich.

»Du bist wieder da.« Ich seufzte und legte eine Hand um seinen Hinterkopf. »Bitte erschreck mich gern, so viel du willst, solange du hiermit weitermachst.«

Ich richtete mich auf die Knie auf, und sein Anblick schnürte mir die Brust zu. Sein mitternachtsschwarzes Haar war aus seinem Gesicht zurückgebunden. Aus der Nähe funkelten in seinen dunklen Augen grüne und goldene Sprenkel. Meine Fingerspitzen hinterließen eine feuchte Spur am Rand seines Kinns. Ich berührte seine Ohrenspitzen, seine Lippen, prägte ihn mir wieder und wieder ein.

Valen schloss meinen nackten Körper in die Arme, zog mich an seine Brust. Er führte seine Lippen dicht an meine und verharrte nahe genug davor, um mich fast in den Wahnsinn zu treiben. »Ich habe dich vermisst.«

»Deine Abwesenheit ist mir kaum aufgefallen.«

Er kniff die Augen zusammen und knurrte leise. Ich kreischte und lachte, als er unter meine Oberschenkel fasste und meine Beine um seine Taille zog, während das Wasser auf den Boden tropfte. In seinen Armen war ich geborgen, auch noch, als er mich auf unser Bett fallen ließ.

Mit dunkler Hitze in seinen Augen schob der Nachtprinz sich über die Felle. Sein Körper bildete einen Käfig über meinem. »Wenn ich so leicht zu vergessen bin, gestatte mir, das zu ändern, meine Liebste.«

Ich hielt sein Gesicht mit beiden Händen fest. Jeder Atemzug war tiefer als der vorherige, jede Berührung eine Flamme. »Das dauert aber vielleicht seine Zeit, mein König. Vielleicht die ganze Nacht lang.«

Er lächelte, ließ mein Herz aufs Neue mit seinem verschmelzen und fiel dann über meinen Mund her. Tief, begehrlich. Perfekt.

Kapitel 3Nachtprinz

Elise zeichnete kleine Kreise auf meine Brust. Ihre Haut an meiner war mir zu einem Trost gegen die Belastungen des Lebens geworden, und ich konnte nicht genug davon bekommen. Meine Finger fuhren durch ihr Haar; unsere Beine verflochten sich miteinander. Diese Augenblicke waren zu selten.

»Wie viele sind mit euch gekommen?«, flüsterte sie.

»Über fünfzig. Einige stammen aus dem Östlichen Königreich. Ist in unserer Abwesenheit alles gut gegangen?«

Sie zögerte lange genug, um mich dem, was sie sagte, nicht ganz vertrauen zu lassen.

»Ja. Es war in Ordnung.«

»Wirklich?«

Elise verschränkte ihre Finger über meinem Herzen, stützte ihr Kinn darauf und lächelte. »Ja. Halvar drillt uns, und an den meisten Tagen bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn dafür liebe oder hasse.«

Ich lachte und zog sie enger an mich. »Er ist wie sein Vater. Dagar hat mich im Kämpfen ausgebildet, und ich erinnere mich, dass ich den Mann an manchen Tagen erstechen wollte, mich aber zugleich nach seinem Lob gesehnt habe. Ich habe ihn mehr respektiert als fast jeden anderen.«

Sie lächelte, doch es hielt nicht lange vor. Mit den Fingerspitzen strich Elise mir das Haar aus der Stirn. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wir haben dich schon vor drei Tagen zurückerwartet.«

Ich zog sie auf mich und drückte sie eng an mich, um meine Lippen auf ihre zu pressen. Ich küsste sie zärtlich und tief. Als ich mich von ihr löste, sanken unsere Stirnen aneinander. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Der Kundschafter hat doch die Botschaft überbracht, oder?«

»Hat er.« Elise schlang sich etwas von meinem Haar um ihren Finger. »Und das ist der einzige Grund dafür, dass ich nicht auf der Suche nach dir das ganze Land mit Krieg überzogen habe. Doch ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Ich glaube eher, dass du mich vermisst hast.«

Sie grinste und ließ ihren Kopf auf meiner Schulter ruhen. »Mag sein. Aber nur, weil es kälter ist, wenn ich deinen Körper nicht hier habe, um mich an ihn zu schmiegen. Nicht aus irgendeinem anderen Grund.«

Ich überschüttete sie mit Küssen, bis sie lachte und meine Taille fester packte.

»Valen«, flüsterte sie. »Ich vermisse dich jeden Augenblick, den du nicht da bist.«

»Und ich dich.«

Ich legte ihr die Hand an die Wange und reckte mich, um dort weiterzumachen, wo wir aufgehört hatten, hielt aber inne, als ich das Klappen der Tür hörte.

»König Valen«, ertönte Aris Stimme durch das ganze Langhaus.

Ich stöhnte und ließ mich auf den Rücken fallen. »Niemand hat ihn so oft behelligt, als er die Krone getragen hat. Er macht das mit Absicht.«

»Genau«, antwortete Ari, obwohl er mindestens fünfzig Schritte von unserer Schlafzimmertür entfernt war. »Es macht mir große Freude, dich zu behelligen. Zur Buße für all dein Grummeln und Schmollen als Blutgeist, mein König.«

Elise lachte leise und gab mir einen Kuss auf die Schulter. »Du bist König während eines Krieges. Da bleibt keine Zeit, sich auszuruhen.«

Ich wälzte mich unter den Pelzen hervor und schlüpfte in eine saubere Hose. Als ich meinen Gürtel festzog, sah ich sie an. »Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es mich schmerzt, dich allein zu lassen.«

Ohne mir schon die Mühe zu machen, eine Tunika anzuziehen, schlich ich mich zurück zum Bett.

Elise schloss die Arme um meinen Nacken und küsste mich auf den Kiefer. »So ist das Leben eben für die Geliebte eines Königs. Bestimmt gibt es noch viele Gelegenheiten, zu denen ich dich nur von hinten sehen werde. Aber das wird die Vorderseite nur umso schöner machen.«

Geliebte.

Wir hatten nicht viel über das gesprochen, was die Krone bedeutete. Es sprach nichts gegen Geliebte, zumindest nicht am ettanischen Hof. Mein Großvater war der Geliebte der Königin gewesen. Es war eine prestigeträchtige, abgesicherte Stellung, eine Stellung voller Liebe und Verehrung. Aber ich wollte Elise als mehr.

Ich wollte sie als meine Königin.

Das Ehegelöbnis hatte für Elise einst das Ende ihrer Freiheit bedeutet. Es war ihr aufgezwungen worden, als wir uns kennengelernt hatten, und dieser Dreckskerl Jarl Magnus hatte sie vor nicht allzu langer Zeit gezwungen, auf dem Rabensporn das Ehegelöbnis mit ihm zu sprechen. Sie ekelte sich davor, und der Gedanke, dass sie ein Ehegelöbnis würde sprechen müssen, und sei es auch mit mir, ließ mir flau im Magen werden.

Allerdings hatte ich sie noch nicht darum gebeten. Sie hatte sich für mich entschieden. Ich hatte mich für sie entschieden. Brauchten wir mehr?

Ich schenkte ihr ein rasches Lächeln und kleidete mich dann fertig an. »Wir sehen uns bald.«

»Solltest du zu lange brauchen oder zu beschäftigt sein, nachdem du eine ganze Woche fort warst, dann mach dich darauf gefasst, dass ich dich entführe und in dunkle Ecken werfe, nur um dich berühren zu können.«

»Ich freue mich darauf, ja, ich fordere es sogar.«

Elise zog sich die dickste Pelzdecke bis unters Kinn hoch und lächelte, als ich das Zimmer verließ.

Ich brauchte kein Ehegelöbnis, um zu wissen, dass ich Elise liebte und sie bis zu meinem letzten Atemzug an meiner Seite haben wollte. Aber ich wollte sie unbedingt als Königin. Den Gedanken konnte ich nicht abschütteln, als hätte eine Macht außerhalb von mir selbst ihn mir ins Herz gepflanzt.

Ettanische Königinnen konnten ohne die Anweisungen eines Königs regieren. Sie konnten Kriege erklären, Invasionen befehlen, Städte bauen und an Ratssitzungen teilnehmen. Eine Geliebte konnte die Macht nur übernehmen, wenn König oder Königin geistig oder körperlich herrschaftsuntüchtig war. Das war der Grund dafür, dass Thor die Krone hätte annehmen können, wenn er gewollt hätte. Sol war nicht er selbst; sein Verstand gehörte nicht ihm.

War ein Herrscher gefangen oder für längere Zeit abwesend, verfügte eine Geliebte nur über wenig strategische Macht. Die Entscheidungen fällte der königliche Rat.

Meine Eltern hatten sich die Krone einst gleichberechtigt geteilt. Ich hatte sie immer bewundert, die Art, wie sie zusammenarbeiteten. Die Art, wie meine Mutter Truppen ausgehoben hatte, nachdem mein Vater von den Timoranern gefangen genommen worden war. Sie waren zusammen gefallen. Bis zum Ende waren sie nie gebrochen worden.

Gewiss, ich hatte nicht vor, die Krone für immer zu tragen. Sol würde zurückkehren; das musste er. Er würde seinen Platz als rechtmäßiger König einnehmen.

Aber bis dahin sollte Elise Königin sein. Angesichts der Nervosität, die sich in meiner Brust bei dem Gedanken, sie darum zu bitten, zusammenballte, kam ich mir wie ein verdammtes Kind vor. Ich liebte sie, wollte sie und hatte keinen Zweifel daran, dass sie das Gleiche für mich empfand.

»Warum lächelst du so?«, fragte Ari und hob ein Trinkhorn vom Tisch an die Lippen. Er sah müde aus, aber ihm lagen immer geistreiche Sticheleien auf der Zunge. Sein Blick huschte zu dem Pelzvorhang vor der Schlafzimmertür. »Gleichgültig. Ich möchte es lieber nicht wissen. Leb wohl, meine liebe Kvinna Elise!«

»Einen schönen Tag noch, Ari«, rief sie zurück. »Auch wenn du meinen verdorben hast, indem du ihn mitnimmst!«

Ari grinste. »Das ist alles ein Teil meines Plans, dich von ihm zu befreien, damit ich meine Drohung, das Ehegelöbnis mit dir zu sprechen, doch noch in die Tat umsetzen kann.« Lachend wich er meiner Faust aus. »Ein Scherz, mein König. Ein harmloser Scherz.«

»Und ich sollte in Betracht ziehen, dir den Kopf abzuschlagen.«

»Es ist aber doch so ein hübscher Kopf.« Ari hielt mir die Tür auf. Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. »Verzeih mir, dass ich euch so früh unterbrochen habe, es gibt allerdings Probleme an den Toren, Valen. Sie sind geschwächt, und wir haben Auseinandersetzungen über Essensrationen. Die Fischer finden, dass sie den Löwenanteil bekommen sollten, weil sie die Arbeit erledigen. Die Stadtbewohner dagegen glauben, dass ihnen, weil sie die Geschäfte an unserem schäbigen Zufluchtsort am Laufen halten, mehr Korn und Stoffe zustehen.«

»Irgendwelche heftigen Streitigkeiten?«

»Keine, die es erforderlich machen, ein Machtwort zu sprechen, aber einige sind kurz davor.«

Ich ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. Dass immer mehr Leute auf unser Gebiet zogen, bedeutete auch mehr Schwierigkeiten mit den Rationen und dem Platz. Kein Wunder, dass das Volk etwas unruhig und unzufrieden wurde. »Lass Stieg und Halvar mit den Leuten reden, die sich beschweren. Ich kümmere mich um die Wälle.«

Ari neigte den Kopf. »Eines noch. Hast du weiter darüber nachgedacht, einen Trupp in den Süden zu schicken?«

Ich wandte mich den Südwällen zu, die Ruskig gegen das Meer abschirmten. Die Idee hatte durchaus etwas für sich – einen Erkundungstrupp ins Südliche Königreich zu schicken, um auf die Suche nach Verbündeten zu gehen. Ich war nie dort gewesen, wusste aber, dass mein eigener Vater einmal Verbindungen zu im Untergrund lebenden Leuten im Reich und zu einigen der Königshäuser gehabt hatte.

Doch das war Jahrhunderte her. In all der Zeit hatten Gerüchte über Umstürze, ein zerstrittenes Volk und Unruhen unsere Gestade erreicht. Ich wusste nicht einmal, wer heute den Thron innehatte, ob ein Sterblicher oder ein Fae. Aber das Südliche Königreich galt als das Königreich, in dem Wildwut noch am ehesten geduldet war. Eine Art Geburtsort anderer Arten des Nachtvolks: Nyks, Waldleute und Sterbliche gleichermaßen.

Sie hatten vielleicht Antworten, die ich brauchte, um meinem Bruder zu helfen. Womöglich verfügten sie sogar über stärkere Magie, mit der sie uns unterstützen konnten, diesen Krieg zu gewinnen.

Wenn sie stärkere Magie hatten, vermochten sie natürlich auch darauf zurückzugreifen, um unser Land selbst zu erobern.

»Wenn du die Krone noch tragen würdest, was würdest du tun?«, fragte ich.

Er seufzte, als würde er über jedes einzelne Wort der Frage gründlich nachdenken. Ari war etwas höher gewachsen als ich, aber nicht so breitschultrig. Er trug Silberringe in den Spitzen seiner Ohren, und als er sich Strähnen seines goldenen Haars hinter die Ohren strich, erhellte ihr Glitzern die Kajalrunen, mit denen seine Wangen bemalt waren.

Die Abkömmlinge des Hauses Ferus waren die Erben des Throns, aber ich betrachtete Ari Secondar hier trotzdem noch als Anführer.

Wir mochten ja zu Anfang keine Verbündeten gewesen sein, doch mittlerweile vertraute ich ihm so sehr wie der Schattengilde.

»Das Volk von Etta ist stark«, sagte Ari leise. »Aber wenn wir dem Süden nicht als Erste die Hand zur Freundschaft reichen, wie lange dauert es dann, bis der Rabensporn es tut? Es ist ein Risiko, mein König. Wir wissen nicht, was uns an den Gestaden des Südens erwartet, aber wenn es meine Entscheidung wäre, würde ich das Risiko eingehen. Vielleicht gibt es dort Wildwut, über die wir hier nicht verfügen.«

Ich stellte die Frage, die mir Sorgen bereitete: »Was soll sie davon abhalten, uns zu überwältigen?«

Er grinste verschlagen. »Unsere Messer.«

Das traf zu. Ruskig war diejenigen, die es darauf abgesehen hatten, die Wildwut zu unterdrücken, allmählich leid. Wenn nötig, würden die Leute kämpfen, bis sie in die Anderswelt eingingen.

Ein Risiko. Eines, das ich niemandem auferlegen wollte, aber solche Entscheidungen musste ein König nun einmal fällen. Ich legte Ari eine Hand auf die Schulter. »Wir werden im Rat darüber sprechen.«

»Wie du wünschst. Ich gehe jetzt und stelle fest, ob wir den Kabbeleien über die Heringe ein Ende setzen können.«

Wann immer ich das Zentrum von Ruskig betrat, verneigten Leute sich; sie begrüßten mich voller Respekt. Ich musste mich erst noch daran gewöhnen. Den Göttern sei Dank war ich nie allein unterwegs.

Thor und Casper stießen bei einem Karren voller Leinen und Stofffarben zu mir. Casper, der ständig am Essen war, pflückte Multbeeren von einem Zweig in seiner Hand. Thor hatte die Zähne hart und unerschütterlich zusammengebissen. Er nahm nie seinen Waffengurt ab. Zweifelsohne badete er sogar damit. Als ob jeden Moment eine Schlacht losbrechen könnte.

»Wohin gehen wir heute, Valen?«, fragte Casper. Etwas Beerensaft lief ihm über die Lippen.

»Zu den Wällen. Wie haben die Leute sich seit gestern Abend eingelebt?«

»Crispin, Frey und Freys Bruder suchen Hütten für die Familien mit kleinen Kindern.«

»Axel«, sagte ich. »Freys Bruder. Die Leute haben ihm gestern Abend vertraut.«

Thor nickte. »Soweit ich weiß, war Axel schon daran beteiligt, Aufstände anzuführen. Man erzählt, dass er den Willen der Götter zu spüren vermag.«

»Was sagt er?«

»Er behauptet, dass er einen empfindlichen Magen hat.« Thor lachte düster. »Er steht aufseiten des Hauses Ferus.«

Gut. Ein potenzieller Verräter weniger, um den ich mir Sorgen machen musste. So viele neue Gesichter herzubringen, versetzte uns in Alarmbereitschaft, nachdem Ulf uns an den Rabensporn verraten hatte. Aber wenn Axel wie Frey war, würde er ein fähiger Kämpfer und loyal bis zum Ende sein.

»Die anderen ohne Kinder müssen für den Augenblick Lager unter den Bäumen aufschlagen«, fuhr Thor mit seinem Bericht fort. »Doch der erste Frost naht, und der falsche König zerstört immer wieder die wenigen Handelsstraßen, die uns noch bleiben.«

Calder sollte verdammt sein. Er war schlauer, als ich es ihm zugetraut hatte. Wir nutzten nie Hauptstraßen für unseren Nachschub. Die Pfade nach Ruskig führten durch steiniges Gelände, gefährliche Nebenstraßen, die die Wachen des Rabensporns nur äußerst ungern begingen. Irgendwie fand der Narr aber immer wieder unsere Wege, vernichtete unseren Nachschub und brachte uns dem Verhungern ein Stück näher, bevor in Timoran allmählich ein harter Winter anbrach.

An den äußeren Wällen formten Felsen und aufgerissene Erde unregelmäßige Tore, die wie Klauen aus dem anstehenden Gestein aufragten. Mondfahne wuchs in dicken Ranken über die Spalten und Risse, als könnten die Blüten gar nicht anders, als über meiner Wildwut zu blühen.

Aber obwohl sie mithilfe von Wildwut errichtet waren, gab es Stellen, an denen die Wälle bröckelten.

»Hier drüben, König Valen.«

Stave gestikulierte, damit wir uns bei einem großen Loch zu ihm und einigen anderen gesellten. Ich hatte Stave als Jungen nicht in Erinnerung, hatte aber erfahren, dass sein Vater während der Eroberung eine Palastwache gewesen war. Er hatte sich als loyal erwiesen und hasste den Rabensporn so sehr wie ich.

»Stave«, sagte ich und umfasste seinen Unterarm. »Es freut mich, Euch zu sehen. Vielen Dank, dass Ihr Euch in unserer Abwesenheit um Ruskig gekümmert habt.«

Er grinste und verteilte Lehm und Grassoden auf dem Rand des Walls. »Ich werde unser Volk immer gegen Bedrohungen verteidigen, mein König.«

Ich schlug ihm auf die Schulter und betrachtete die Bresche. Ein Riss ging durch den Stein, breit genug, dass ein Mann hindurchschlüpfen konnte. Die Wildwut belastete einen nach einer Weile, und ich wollte nie völlig ausgelaugt sein, wollte nie überrumpelt werden. Aber dieser Spalt war zu tief, um mit Erde und Lehm allein aufgefüllt zu werden.

»Tretet zurück.« Ich gab den Leuten einen Wink, beiseitezugehen.

Im Halbkreis stellten sie sich hinter mir auf, sahen zu. Es verstörte mich schon genug, dass Leute sich vor mir verneigten, aber die Art, wie sie gafften, wann immer ich Wildwut einsetzte, ließ mir heiße Röte ins Gesicht steigen. Ein Summen von Magie tanzte durch meine Fingerspitzen, verschmolz mit dem Stein, als ich meine Hände flach darauflegte.

Binnen weniger Augenblicke neigte die Erde sich und erschauerte. Neue gezackte Spitzen drangen aus der Oberfläche hervor. Je mehr Wildwut ich meinem Körper entzog, desto heißer wurde mein Blut. Das Brennen war ein Trost, eine Erinnerung daran, dass wir über Waffen verfügten, die die Timoraner nicht hatten.

Allerdings hatten wir auch schon Wildwut besessen, als die Eroberung begonnen hatte, und der timoranische König hatte unser Volk trotzdem überwältigt. Verräter im königlichen Rat trugen die Schuld an unserer Niederlage. Noch ein Grund dafür, dass ich meinen inneren Rat sorgfältig auswählte.

Schweißperlen standen mir auf der Stirn, als der Wall wiederhergestellt war.

»Füllt die Zwischenräume mit Lehm aus«, rief Thor.

Die Leute verloren keine Zeit.

»Das ist immer ein beeindruckender Anblick, König Valen«, sagte Stave.

Ich schnaufte. »Er wäre noch beeindruckender, wenn ich danach nicht so aus der Puste wäre. Ich fürchte, so lange unter einem Fluch zu stehen, hat mich faul werden lassen, was die Wildwut betrifft.«

Er lachte leise, folgte Thor und mir an den Wällen entlang und füllte die Lücken mit Erde aus einem Eimer, wann immer wir stehen blieben, um Schwachstellen wiederaufzubauen.

»Das Volk von Etta hat neues Selbstbewusstsein erlangt«, sagte Stave, als wir an einem Wassereimer eine Pause einlegten. Er schöpfte sich einen Mundvoll und wischte sich die Tropfen vom Kinn. »Ihr habt hier die Hoffnung wiederhergestellt.«

Ich nahm ihm die Schöpfkelle ab. »Nicht ich allein. Es gibt viele, die mehr als ich geleistet haben.« Zum Beispiel Elise Lysander. Ohne sie wäre ich immer noch eine gedankenlose Bestie gewesen, die weiter gemordet und doch unter Blut und Gewalt gelitten hätte. Selbst nachdem der Fluch gebrochen gewesen war, hätte ich ohne Elise meinen Platz nicht eingenommen. Ich wäre gar nicht hier gewesen. Ich hätte noch nicht einmal gewusst, dass Sol am Leben war.

»Wie auch immer«, fuhr Stave fort, »die Leute sind zufrieden mit Euch. Aber es wird geredet.«

»Worüber?«

»Über die Zukunft. Eure, die unseres Volkes und des Königreichs.« Stave lächelte. »Die Leute möchten den König verheiratet sehen, glücklich, mit einer starken ettanischen Königin, um uns durch das hier zu führen.«

Erst lachte ich und stellte mir vor, wie Leute, die sich in alles einmischen mussten, hinter meinem Rücken schon ein königliches Ehegelöbnis planten. Aber dann wurde ich stutzig. »Elise ist Timoranerin.«

»Ja«, sagte Stave leise. Er sah mich nicht an, als er sich wieder daranmachte, Erde über die Risse im Wall zu streichen. »Es ist wohlbekannt, dass die Geliebte des Königs Timoranerin ist. Die Leute sprechen von einer Königin. Als König dürft Ihr doch beides haben.«

Verwirrt warf ich einen Blick auf Thor. Nahmen die Leute Anstoß an Elises Herkunft? Sie hatte ihre Loyalität wieder und wieder unter Beweis gestellt, schon bevor ich meinen Platz auf dem Thron eingenommen hatte. Bei den Höllen, ich war selbst ein halber Timoraner. Wenn sie etwas gegen Timoraner hatten, dann hatten sie auch etwas gegen mich.

Ich dachte daran, wie sie vorhin kurz still gewesen war, an ihr leichtes Stirnrunzeln heute Morgen, als ich sie nach der Zeit gefragt hatte, die wir getrennt verbracht hatten. Wut glomm in meiner Brust wie glühende Kohlen.

Was war in meiner Abwesenheit vorgefallen?

»Sich mehrere Geliebte zu halten, ist eine timoranische Sitte, Stave«, sagte Thor. »Unser König hat klargestellt, dass er vorhat, sich an dieselben Traditionen zu halten wie seine Eltern und seine Großeltern vor ihm. Mit seiner hjärta zu herrschen.«

Stave neigte den Kopf. »Natürlich. Ich habe nur wiederholt, was ich gehört habe.«

Hatte ich die Unzufriedenheit mit meiner Geliebten bisher gar nicht wahrgenommen? Ich spannte den Kiefer an. Wenn das Volk Elise nicht akzeptierte, dann sollte die Krone verflucht sein. Ich würde abdanken und sie Ari zurückgeben.

Casper drückte im Vorbeigehen meine Schulter, ein beruhigendes Lächeln im Gesicht. »Ganz ruhig, mein Freund.« So formlos sprach er sonst selten mit mir. Ich musste aussehen, als wäre ich drauf und dran, alle niederzumetzeln. »Hör nicht auf die Kleingeister. Elise wird geliebt. Wahrscheinlich mehr als du.«

Casper lachte aus vollem Hals. Sogar Thor lächelte. Ein Teil des Unbehagens hob sich von meinen Schultern. Ich würde bald mit Elise sprechen, darauf bestehen, dass sie mir die Wahrheit sagte, und herausfinden, ob ihr jemand Kummer gemacht hatte, und wenn ja, wer.

Ob ich demjenigen dafür die Gedärme herausreißen sollte, würde ich erst noch entscheiden müssen.

»Mein König!«, rief eine Frau.

Der Schrei riss mich aus meiner Wut und versetzte meine Nerven in Alarmbereitschaft. Von einem weiter entfernt gelegenen Stück des Walls aus kam eine Frau auf uns zugerannt und drängte sich durch den Reparaturtrupp, die Augen vor Angst weit aufgerissen.

»Mein König!« Keuchend und stolpernd blieb sie stehen. »Jenseits … jenseits der Schlucht. S… sie sind hier! Rabensporn!«

Der Instinkt lenkte meine Schritte. Die Hände an meinen Äxten, rannte ich zu dem Gerüst, das wir gebaut hatten, damit Bogenschützen auf den Wall gelangen konnten. Oben angekommen, beugte ich mich über den Rand. Wie die Frau gesagt hatte, erhoben sich jenseits der tiefen Schlucht zwischen den Bäumen Fackeln und blaue Banner mit dem Wappen des falschen Königs.

Ich ballte die Fäuste an meinen Seiten. Was für ein Spiel spielten sie?

Eine ganze Einheit Raben füllte die Lücken zwischen den Bäumen aus, aber vorn stand ein Mann, der ein Auge bedeckt trug. In feine Pelze gekleidet, höher aufgerichtet, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er schwenkte eine weiße Fahne.

Bei allen Göttern, ich hasste ihn.

»Thor«, sagte ich mit rauer Stimme, »wir müssen Elise holen. Ihr Vater ist zu Besuch gekommen.«

Kapitel 4Prinzessin auf Abwegen

»Elise!« Karis Stimme erscholl im Langhaus. In Panik, heiser. Irgendetwas stimmte nicht.

Ich gab es auf, mir einen Zopf zu flechten, und rannte aus dem Schlafzimmer in den großen Saal. Kari stand außer Atem da und hantierte mit einem Schwert an ihrer Taille.

»Was ist?« Ich griff nach dem silbernen Dolch auf dem Tisch, als wären Stahl und Klingen mir mittlerweile zur zweiten Natur geworden.

»Am Wall, es ist …« Sie rang darum, Atem zu schöpfen. »Er ist … da.«

»Kari, was ist los?«

»Dein Vater, Elise.« Valen trat durch die Tür, sein Gesicht wie versteinert.

Ich öffnete den Mund, aber kein Laut drang daraus hervor. Mit zitternden Fingern schob ich meinen Dolch in seine Scheide. Als ich meinen Vater zuletzt gesehen hatte, hatte er tatenlos dabeigestanden, als Jarl Magnus mich gezwungen hatte, mit ihm das Ehegelöbnis zu sprechen. Dann wieder, als derselbe Dreckskerl meine Mutter mitten ins Herz erstochen hatte.

Ich hatte keinen Vater. Nicht mehr.

Valen ging durch das Zimmer zu mir. »Er ist hier, um mit dir zu sprechen. Du musst das nicht unbedingt tun. Ich spreche mit ihm, ermorde ihn, verhöhne ihn – was du auch verlangst, ich tue es.«

Ich leckte mir die trockenen Lippen. Mein Puls raste, obwohl ein Lächeln meine Mundwinkel umspielte. Er hatte die Worte leichthin ausgesprochen, bestimmt, um mich zum Lachen zu bringen, aber trotz allem sagte der Nachtprinz die Wahrheit. Er würde alles tun, was ich von ihm verlangte.

Es war fast so, als würde er mich um die Erlaubnis bitten, diejenigen meiner Familienmitglieder umbringen zu dürfen, die mir etwas zuleide getan hatten. Als wäre es ein Geschenk, dass ich ihm machen konnte.

Ich zwang mich zu einem Lächeln und legte meine Fingerspitzen an seinen Kiefer. »Ich werde mit ihm sprechen.«