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Eine rebellische Adlige. Ein verfluchter Feind. Eine verbotene Liebe, die ein Königreich zu Fall bringen wird ... Der Auftakt der heißen Fae-Fantasy-Saga für Erwachsene!
Vor langer Zeit stahlen Elises Vorfahren dem Fae-König die Krone. Jetzt ist es Elises Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Familie den Thron behält – und zwar durch eine gute Partie. Das Problem ist nur, dass die junge Adlige sich lieber in Spielhallen herumtreibt statt auf Bällen zu tanzen. Deshalb wird Elises Zukunft in die Hände des mysteriösen Mitgiftunterhändlers Legion Grey gelegt. Er schürt ihren Zorn sowie eine verbotene Leidenschaft. Und er trägt ein Geheimnis in sich, das nicht nur Elises Starrsinn in die Knie zwingen wird, sondern das gesamte Königreich ...
Band 1 der düsteren Fae-Fantasy-Saga mit starken »Die Schöne und das Biest«-Vibes: romantisch und voller Action!
Geliebt von meinem Feind – die spicy Fae-Fantasy-Saga von LJ Andrews:
1. Curse of Shadows and Thorns
2. Court of Ice and Ash
3. Crown of Blood and Ruin
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 512
Vor langer Zeit stahlen Elises Vorfahren dem Fae-König die Krone. Jetzt ist es Elises Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ihre Familie den Thron behält – und zwar durch eine gute Partie. Das Problem ist nur, dass die junge Adlige sich lieber in Spielhallen herumtreibt, statt auf Bällen zu tanzen. Deshalb wird Elises Zukunft in die Hände des mysteriösen Mitgiftunterhändlers Legion Grey gelegt. Er schürt ihren Zorn sowie eine verbotene Leidenschaft. Und er trägt ein Geheimnis in sich, das nicht nur Elises Starrsinn in die Knie zwingen wird, sondern das gesamte Königreich …
Die »USA Today«-Bestsellerautorin LJ Andrews ist bekannt für ihre düstere Romantasy-Saga »The Broken Kingdoms«, die im amerikanischen Original zehn Bände umfasst und auf TikTok zum Bestseller-Phänomen geworden ist. Sie liebt dunkle Welten, die von unbeugsamen Love-Interests bevölkert werden. Wenn LJ Andrews nicht schreibt, hält sie ihre vier Kinder im Zaum, verbringt Zeit mit ihrem heißen Ehemann oder wandert durch die Berge von Utah.
Geliebt von meinem Feind – die spicy Fae-Fantasy-Saga von LJ Andrews:
1. Curse of Shadows and Thorns
1. Court of Ice and Ash
2. Crown of Blood and Ruin
LJ Andrews
Geliebt von meinem Feind
Roman
Deutsch von Maike Claußnitzer
Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Curse of Shadows and Thorns (The Broken Kingdoms, book 1)« bei Victorious Publishing, New York 2021.
Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
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Copyright der Originalausgabe © 2021 by LJ Andrews
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Published by Arrangement with VICTORIOUSPUBLISHINGLLC
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Redaktion: Ulrike Gerstner
Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon nach einer Originalvorlage von Authortree
Umschlagillustration: Authortree
BL · Herstellung: SaM
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-31459-0V002
www.blanvalet.de
All denen gewidmet, die unablässig bemüht sind, das Gute auf der Welt zu sein. Ich bin an eurer Seite.
Ich war zu lange geblieben.
Aber ehrlich gesagt konnte ich nicht den Willen aufbringen, zu gehen. Noch nicht. Das hier war meine Gelegenheit, so zu tun, als wäre ich jemand anders, jemand mit einem Leben, das nicht der Kontrolle und den Ansprüchen Dritter unterworfen war.
Ein schwerer Körper krachte dumpf auf die schmierigen Bodendielen der Spielhalle. Erst war ein Ächzen von dem Mann zu vernehmen, dann folgten die gebrüllten Flüche an die Götter, als wäre seine Trunkenheit deren Schuld. Ein Grinsen umspielte meinen Mund, eines, das ich sofort hinter meinen Karten versteckte. Es war nicht klug, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, wenn ich die Einzige in der Spielhalle war, die gegen das Gesetz verstieß.
Korman, der Nachtwächter, hatte sich einen Schneidezahn ausgeschlagen, als er auf dem Boden der verruchten Spielhalle gelandet war. Rotes Gewürzbier ergoss sich aus dem Krug über Kormans wollenes Rüstwams und klebte ihm das Kartenblatt an seiner Brust fest wie Ehrenabzeichen. Verwirrt betastete er seinen Mund. Als er Blut an seinen schmutzigen Fingerspitzen sah, fluchte er mehr als einmal und ließ dann dröhnendes Gelächter folgen.
Ich rutschte beiseite, als Halvar, ein Stallknecht vom Anwesen, sich vorbeugte, um Kormans Hand zu umfassen.
»Hoch mit dir«, sagte Halvar und klopfte dem schwankenden Nachtwächter auf den Rücken.
Korman kämpfte sich unbeholfen auf seinen Platz am Tisch zurück. Ein Aalfischer stellte donnernd ein neues Horn mit rotem Gewürzbier vor ihn und lachte dann auf, als Korman es so schnell hinunterstürzte, dass die Tropfen durch seinen rotbraunen Bart auf den Tisch rannen.
»Hast du genug?«, fragte Halvar.
»Weitermachen«, lallte Korman, die Lippen rot vor Blut.
Das Spiel wurde fortgesetzt, als wäre es überhaupt nicht erst unterbrochen worden.
Halvar hob den Blick zu meiner Seite des Tisches. Das dunkle Braun seiner Augen erinnerte mich an geröstete Kastanien, und manchmal, wenn ein ungewöhnliches Licht in seinem Blick aufblitzte, fragte ich mich, ob vielleicht ein bisschen Nachtvolk in seinem Blut steckte. Seine Ohren hatten keine ausgeprägten Spitzen, doch laut den Fae-Mären konnten einige Nachtleute ihre wahre Natur mithilfe ihrer Wildwut, der Magie der Erde und der Illusion verbergen.
Aber hätte der Stallknecht über Magie verfügt, dann hätte er zweifelsohne darauf geachtet, nicht aufzufallen, statt sich in Spielhallen der Trinkerei hinzugeben. König Zyben pflegte Nachtleute magisch zu binden und an seinen Henker zu überstellen.
Ich hoffte, dass Halvar nicht zu den Fae gehörte. Ich mochte ihn zu sehr, und das Nachtvolk war als erbarmungslos bekannt.
Ich fuhr mir mit der Hand über den Nacken und zog am Rand meiner fadenscheinigen Kappe, um sicherzugehen, dass mein Zopf weiterhin daruntersteckte. Es beunruhigte mich ein wenig, dass Halvars Blick etwas zu lange auf mir ruhen blieb. Er erkannte mich nicht, wiederholte ich zum hundertsten Mal im Geiste. Warum sollte er auch? Ich war auf dem Anwesen kaum von Bedeutung.
Halvars sonnengebräunte Haut wies noch Schmutzflecken von der Arbeit des Tages auf, aber jeder Mann in der Spielhalle stank nach ungewaschener Haut und altem Fisch, vermischt mit ein wenig Salzwasser, weil wir uns so nahe am Schicksalsozean befanden. Genau das war auch der Grund, dass ich mir die mondlichtfahlen Wangen mit Erde beschmiert hatte, bevor ich mich in die Spielhalle geschlichen hatte.
»Junge«, sagte Halvar und trank selbst noch einen Schluck, »spiel aus, sonst hast du ausgespielt.«
Ich verstärkte den Griff um meine Spielkarten. Die beiden fehlenden Fingerspitzen an meiner linken Hand machten es mir schwerer, sie festzuhalten, aber das ließ ich mir nicht anmerken, als ich die Karten auffächerte. So ungeübt ich in diesem Spiel auch war, ich hatte genug Taschenspielertricks und Kartenpartien in der Stadt beobachtet, um zu wissen, dass ich ein ganz ordentliches Blatt vor mir hatte. Die Schultern eingezogen, um den Männern am Tisch den Blick darauf zu verdecken, spielte ich drei goldene Äxte aus, die auf die verbogenen, vergilbten Karten gemalt waren.
Der Aalfischer stöhnte und verfluchte den Schwindlergott, als er sein Blatt auf den Tisch warf.
Korman war schon wieder bierselig in seinem Horn versunken und bemerkte es gar nicht.
Ein Finanzier von den Handelsdocks hielt dagegen und konterte meinen Spielzug mit zwei Goldäxten und drei schwarzen Wolvyn.
Halvar lachte leise. »Was für ein Scheißpech, Junge.«
Mein Herz klopfte dumpf. Spiel sie nicht. Zieh keine Aufmerksamkeit auf dich.
»Wartet«, sagte ich mit der tiefsten Stimme, die ich zustande brachte. Es klang lächerlich. Nie war ich dankbarer für die Menge Bier gewesen, die die Runde gemacht hatte, da niemand in seinem Rausch etwas zu bemerken schien. Man könnte es Stolz nennen, aber ich konnte nicht widerstehen und schmetterte die Karte auf den Tisch, die ich mir den ganzen Abend aufgespart hatte. Die kämpfenden Kronen: eine blutrot, eine schwarz wie ein Himmel ohne Sterne.
»Kronen sind gegen Wolvyn Trumpf.«
Noch bevor ich meine Hand wieder vom Kartenstapel zurückgezogen hatte, fand Korman sich abermals auf dem Rücken wieder, als am Tisch Vorwürfe laut wurden, die Kartenabzählen, Trickserei, Hinterlist und Betrug einschlossen.
Halvars Augen leuchteten heller, als er von seinem Platz aufsprang und seine Faust auf einen Handwerker in einem grell gemusterten Anzug niedersauste, obwohl der Mann gar nichts mit unserem Spiel zu tun hatte. Der Stallknecht lachte, als hätte er den ganzen Abend auf diesen Moment gewartet, und stürzte sich dann in das Handgemenge zwischen dem Aalfischer, dem Finanzier und einem groben Klotz von Hafenarbeitern.
Ich ließ meine letzten Karten fallen, duckte mich unter die Tische und kroch in aller Eile zur Rückseite der Spielhalle. Glas zerbrach. Holz schrammte über Holz, als Stühle und Tische umgeworfen wurden. Fingerknöchel krachten gegen Kiefer. Gelächter – immer wieder Gelächter – , als das Krieger- und Plündererblut dieser Leute sie wie so oft in einen Kampf trieb.
Den ersten Kampf des Abends, aber sicher nicht den letzten.
Als ich mich an der Biertheke vorbeischlich, ließ der Schankwirt gerade den Blick über die Schlägerei schweifen. Seine Schultern sackten herab, und ich glaubte, ihn leise »Da wären wir wieder« murmeln zu hören, bevor er einen Holzprügel packte und sich zwischen die fliegenden Fäuste stürzte.
Wie langweilig wäre das Leben ohne den Rastabend in den Hafenbuden gewesen, den allwöchentlichen Abend, an dem man Leibeigenen und Arbeitern ein paar Stunden Spaß gönnte.
Das Chaos im Rücken stieß ich die Tür mit der Schulter auf, prallte aber gegen einen anderen Körper.
Ich quietschte vor Überraschung, erinnerte mich dann jedoch sofort, dass ich einen kräftigen Jungen darstellen sollte, der beim örtlichen Schmied in die Lehre ging. Grob und furchtlos. Ich hob den Blick weit genug, um die polierten Stiefel und den Kaufmannsgürtel zu bemerken. Ein recht wohlhabender Mann.
»Entschuldigt, Hersir«, murmelte ich leise mit tiefer Stimme.
»Nicht nötig«, gab er zurück und hielt inne, um Luft zu holen. »De Hän.«
Ich erstarrte. Er hatte mich als weiblich angesprochen. Meine Hand zuckte wieder zu meinem Nacken, aber die Flechten meines Zopfs steckten immer noch unter meiner Kappe. Er beugte sich vor. Seine Haut roch nach würziger Waldluft.
»Keine Sorge«, flüsterte er. »Ich verstehe mich auf Geheimnisse.«
Ich tastete nach der Geldbörse, die ich tief in jene Hose gesteckt hatte, die ich aus dem Uniformschrank zu Hause gestohlen hatte. Der Mann legte mir eine Hand auf den Arm. Ein Schauer tanzte mir den Rücken hinab. Ich schaute nicht auf, weil ich Angst hatte, dass sich unter den Schmutz- und Ölflecken, die rund um meine Nase prangten, mein Gesicht für ihn zusammenfügen würde.
»Zahlst du etwa für mein Schweigen?«
Ich schluckte das Kratzen in meiner Kehle hinunter. »Tut das nicht jeder in Mellanstrad?«
Er lachte leise, ein Geräusch, das ich bis ins Mark spürte. »Wie wahr. Aber spar dir dein Schmiergeld für einen anderen Tag auf, De Hän.«
Damit schritt er auf das ausgelassene Treiben in der Spielhalle zu. Verstohlen sah ich ihm über meine Schulter nach. Meine Kehle schnürte sich bei seinem Anblick zu. Bei den drei Höllen, ich war so dumm! Legion Grey.
Das Gesicht, das ich den ganzen Abend zu sehen gehofft hatte, und nun hatte er mich erwischt. Würde er mich erkennen? Meinem Vater etwas erzählen? Bei allen Göttern – gar dem König?
Das dunkle Gold seines Haars, die Form seiner breiten Schultern, Hände, die zu rau wirkten, um einem Kaufmann zu gehören – alles an Legion machte ihn zur unverwechselbarsten Erscheinung in der Stadt Nieder-Mellanstrad. In den höchsten Kreisen der Gesellschaft gingen Gerüchte über Legion um. Die meisten hatten den Verdacht, dass er der Sohn irgendeiner Adelsfamilie aus den exotischen Königreichen jenseits des Horizonts war. Andere glaubten, dass er halb Timoraner, halb Ettaner war.
Diese Theorie hielt ich für sehr wahrscheinlich. Sein Haar war recht hell wie bei den Timoranern, meinen Leuten. Aber seine Haut und die Augen schimmerten im einzigartigen dunklen Ton der Ettaner, des Volkes, das meines im Zuge der Plünderungen versklavt hatte.
Seit er vor fast einem Umlauf zu Ansehen gekommen war, hatte Legion Grey sich unter den erfahrenen Kaufleuten durch seine Fähigkeit, Finanzgeschäfte für die Reichen auszuhandeln, einen Namen gemacht. Aber mehr noch stand er bei verzweifelten Müttern in der Gunst, die es darauf abgesehen hatten, den gut aussehenden Fremden zu überzeugen, sich einer oder gar zweier ihrer Töchter anzunehmen.
Er war faszinierend. Mehr nicht. Und ich hatte nicht den Wunsch, mit dem Mann zu sprechen. Zweifelsohne würde ich für ihn so unsichtbar sein wie für alle anderen.
Bevor er die Tür hinter sich zufallen ließ, sah Legion zurück zu mir. Einer seiner Mundwinkel zuckte ein wenig, dann verschwand er in der Spielhalle.
Als mein Herz zu rasen aufhörte, rückte ich meine Kappe zurecht und bog in ein schmales Gässchen ab. Die Kais von Mellanstrad war immer von einer dünnen Schicht Salzwasser und Seegras bedeckt. Es stank nach Austern, Aal und exotischen Fischen, die zwischen den gefährlichen Riffs weit draußen im Meer gefangen wurden. Die Hafenbuden setzten sich aus Mietshäusern und alten Verschlägen zusammen, die nach vielen Seestürmen schon windschief waren. Hier waren die Laternenpfähle angeschlagen und rostig. Schlammpfützen bildeten sich auf rissigem Kopfsteinpflaster. Hier verjubelten die Leute ihr bescheidenes Einkommen in Spielhallen, Bierschänken und Bordellen.
Hier war ich frei.
Ich zog den Kragen meiner Jacke hoch und duckte mich unter einen Bogengang, als ein Trio von Rabensporn-Wachen in die Straße einbog. Burg Rabensporn schickte nach dem Mitternachtsläuten oft mehr Patrouillen aus, vermutlich, um nach Ettanern zu suchen, die es wagten, falsch zu atmen. Damit konnten sie vor dem Hochgericht zur Knechtschaft verurteilt und in die grausamen Steinbrüche geschickt werden.
In den Schatten sprach ich ein rasches Gebet an die Kriegsgötter, dass Halvar unbeschadet den Weg nach Hause finden würde. Obwohl er wenig mit mir redete, wusste ich, dass der Stallbursche unter dem übrigen Gesinde auf dem Anwesen beliebt war, und er war nur für einen halben Umlauf zur Knechtschaft verurteilt worden.
Nachdem die Patrouille vorbeimarschiert war, rannte ich durch die Nebenstraßen, bis ich das lose Brett in dem hölzernen Tor fand, das die Buden von Ober-Mellanstrad trennte. Schachtelhalme und Wildrosen blieben an meiner zerlumpten Jacke hängen, als ich den Hang zu den Villen und hochgelegenen Anwesen hinaufkletterte.
Nachdem meine Beine von den Brombeerranken gepikst, gestochen, zerschrammt und misshandelt worden waren, erreichte ich das eiserne Tor des Lysander-Anwesens. Gepflegte Rasenflächen und pittoreske Langhäuser aus Fachwerk lagen auf den kleinen Hügeln rings um das weiße Herrenhaus in der Mitte verstreut. Aus Perlstein errichtet, kündete das Anwesen von Ansehen, von königlicher Abstammung.
Ich duckte mich in die Hecke und schob mich vorsichtig Stück für Stück nach hinten Richtung Keller.
Knoten bildeten sich in meinen Eingeweiden.
Entlang der geschwungenen, mit Ziegeln gepflasterten Einfahrt hielten edle Einspänner und Kutschen mit Samtvorhängen vor dem Haupteingang. Leiern und Lauten spielten drinnen eine süße Melodie.
Ich seufzte frustriert. Der Keller lag zwanzig Schritt entfernt um die Ecke, und wenn ich hineingelangen wollte, ohne erwischt zu werden, war er der einzige Eingang, den ich nehmen konnte. Ich kehrte ins Gewirr der Bäume zurück und stapfte bis zum Rasen dichter am Keller weiter.
Die nächste Einheit von Rabenwachen stand mindestens dreißig Schritt entfernt, aber sie waren ein Risiko. Dazu ausgebildet, erst zuzuschlagen und später Fragen zu stellen. Ihre Gesichtsbemalung in den königlichen Farben Blau, Schwarz und Weiß glänzte im Laternenschein. Eine Maßnahme, den Kriegern der Götter ähnlicher zu sehen. Runentalismane hingen in ihren dichten Bärten und an den Streitäxten an ihren Gürteln. Die Wachen wirkten eher bereit, in den Krieg zu ziehen, als ein Fest reicher Leute zu schützen.
Ich hielt den Atem an, bis das Blut in meinem Kopf pochte. Als die Wachen sich umdrehten und in die entgegengesetzte Richtung sahen, sauste ich über den weichen Rasen.
An der Kellerluke hämmerte mein Puls, während ich mich mit dem Hauptschlüssel abmühte. Aufgrund meiner fehlenden Fingerspitzen fiel mir der Schlüssel zu Boden. Flüche entschlüpften mir, als ich ihn wieder hochhob und in den Keller purzelte, in dem das Küchengesinde einen Großteil seiner Tage verbrachte.
Ich zuckte zusammen, als meine Knie über den Flusskieselboden schrammten, und beeilte mich dann, die Tür zuzuschlagen.
Stimmen grollten durch das dicke Holz. Ich rührte mich nicht. Atmete nicht.
»Hast du was gehört?«
Ich nahm an, dass ein Wachkrieger vielleicht zehn Schritte entfernt stand.
»Nichts. Sollen wir Kvin Lysander Bescheid sagen?«, antwortete eine zweite Wache.
Die erste schnaufte verächtlich. »Nur zu, fall dem Herrn lästig, wenn wir keinen Eindringling in Gewahrsam haben. Verdammte Götter, der Mann liegt auf dem Sterbebett, und du denkst zuallererst daran, ihn zu stören.«
»Könnte sich einer reingeschlichen haben. Ich mein ja nur … Das würde er doch wissen wollen.«
Jemand rüttelte am Türgriff der Kellerluke. »Sicher abgeschlossen, du verdammter Dummkopf.«
Eine ganze Weile, die sich nach hundert atemlosen Augenblicken anfühlte, inspizierten die Wachen die Tür, bis zu guter Letzt die Ketten an ihren Stiefeln klirrten, als sie davonmarschierten und einander dabei Beleidigungen an den Kopf warfen.
Ich atmete keuchend aus und schluckte die Galle hinunter, die mir in die Kehle gestiegen war. Der Keller war dunkel, und der durchdringende Geruch nach feuchter Erde und Stärke brannte mir in den Nasenlöchern. Kisten säumten die Wände des Steingewölbes, und nur das Licht des fahlen Mondes fiel bläulich und schattenhaft durch die Fenster.
Ich hatte es geschafft. Zumindest halb. Ich musste mich noch ungesehen in die Haupträume schleichen.
Es war eine törichte Hoffnung.
Bevor ich auch nur aufgestanden war, gruben sich schon Fingernägel in meine Arme und zerrten mich hinter meiner Kiste hervor.
Ich stolperte und fiel beinahe vornüber. Zwei Gestalten verstellten mir den Weg. Scharfe, zusammengekniffene Augen starrten in meine, aber am meisten Sorgen machte mir das Messer an meiner Kehle.
»Kvinna Elise«, knurrte das Mädchen, das das Messer hielt. »Wir haben dich schon gesucht.«
»Bei den drei Höllen, Siverie! Nimm das verdammte Messer weg.« Das zweite Mädchen schlug die Klinge von meiner Kehle fort. Sie war sowohl die Längste als auch die Kräftigste von uns, und eine ständige Sorgenfalte hatte sich in ihre Stirn gegraben.
»Siv«, sagte ich, die Augen weit aufgerissen, »ich bin einer Meinung mit Mavie. Ich mag es nicht besonders, wenn man Messer an meine Kehle hält.«
Ein Lächeln auf Sivs Gesicht sah man seltener als Blüten im Winter. Sie warf andauernd Blicke über ihre Schultern und hatte Klingen in ihren Schürzen oder Stiefeln versteckt. Eine Leibeigene mit einer Vorgeschichte. Ich wusste nicht, was ihre ständige Anspannung bewirkte, aber die meisten Ettaner hatten kein friedliches Leben hinter sich. Vielleicht fragte ich sie nie, warum sie alles, was sich bewegte, aufschlitzen wollte, weil ich zu viel Angst davor hatte, von dem Grauen zu erfahren, das hinter ihr lag.
Mit verkniffenen Lippen steckte Siv das Messer in ihre Schürzentasche. »Wo warst du?«
Ich lachte nervös auf und streckte die Hände aus. »Ich weiß, dass ihr beiden wahrscheinlich wütend seid …«
»Wütend?«, sagte Siv. »Warum wütend? Weil die Kvinna vermisst wurde oder weil du ohne uns gegangen bist?«
»Hör auf mit der Kvinna«, sagte ich, weil ich es hasste, wenn mein Titel mir überallhin folgte. Irgendwie sorgte er dafür, dass ich mir schmierig und schmutzig vorkam.
»Du bist die Nichte des Königs. Vor allem heute Abend«, sagte Mavie und strich die Vorderseite ihres Leibeigenenkittels glatt. »Wir werden dich also Kvinna nennen.«
Sie hielt mir den silbernen Armreif mit den beiden einander zugewandten Rabenköpfen an den Enden hin. Dann reichte Siv ihr ein Vogelbeerdiadem, das ich nur zu bald auf mein Haar setzen würde.
Ich verdrehte die Augen und nahm beides. Eine Kvinna – ein Mitglied zweiten Grades des Königshauses – zu sein, hieß, dass meine Mutter den Titel geradezu an meine Haut geklebt hatte. Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Auch als unbedeutendes Mitglied der Dynastie wurde ich auf den ersten Blick von dem Armreif verraten. Jeder kannte die Lysanders. Wie konnte man die Familie des Königs auch nicht kennen?
Manchmal wünschte ich, ich hätte so leben können wie die ettanischen Leibeigenen oder die Stadtbevölkerung in den Buden. Dieser Wunsch sprach Bände, denn an der Art, wie die Ettaner lebten, gab es so manches auszusetzen. Neu-Timoran war auf dem aufgebaut worden, was einst das Land Etta gewesen war. Dieses Land war fruchtbar und grün. Voller Wälder und Flüsse. Ich konnte nur vermuten, dass die Timoraner aufgrund dieser Schätze der Natur hier eingefallen waren, denn jenseits der Nordklippen war das alte Timoran nichts als Tundra. Kalt, hart. Unbarmherzig.
Ich nahm die Kappe ab und ließ meinen frostfarbenen Zopf über die Schulter fallen. Er hatte eine so helle Farbe, dass sie fast bläulich wirkte. Dem Aussehen nach war ich Timoranerin bis ins Mark, aber im Herzen eher Ettanerin.
»Du sorgst hier immer wieder für Aufregung, und wer kann schon sagen, was König Zyben dir antun könnte?«, beharrte Mavie, riss mir die Kappe aus der Hand und hängte sie zurück auf einen Holzpflock neben der Tür. »Glaub mir, genieß den Wein und die Feste. Das Dasein der Unterschicht ist nicht so glanzvoll, wie wir es wirken lassen.«
»Zyben bringt meiner Mutter zu viel Zuneigung entgegen, um etwas allzu Drastisches zu tun«, log ich. Auf seinem Weg hatte mein Onkel irgendwo sein Herz vergessen. Er war mir nicht sehr zugetan, denn ich spielte an seinem Hof keine sinnvolle Rolle. Nur meine Schwester Runa war vonnöten. Aber wenn ich einmal aus der Reihe tanzte, riskierte ich wirklich, dass er meinem Vater seine bitter notwendige Gunst entzog.
Wenn das Leben ermüdend und trübselig wurde, vergaß ich selbstsüchtig, dass wir als Familie zweiten Grades keine eigenen Mediks hatten, die Heiler der Burg Rabensporn. Um die Wahrheit zu sagen, glaubte ich, dass Zybens Heiler Nachtleute waren – so gut gelang es ihnen, die Blutkrankheit meines Vaters daran zu hindern, sich auszubreiten. Ohne die Gnade des Königs, ohne unsere Gefügigkeit, würde mein Vater der Anderswelt anheimgegeben sein.
Nur ein Werkzeug mehr, das der König benutzte, um seine Machtbesessenheit auszuleben.
Die Kellertür schwang klappernd auf. Siv schnaufte und bedeutete uns, den feuchtkalten Raum zu verlassen.
Ich versuchte, die Anspannung mit einem leisen Lachen zu lindern. »Du bist heute Abend ein bisschen laut, Siv.«
Im Goldbraun ihrer Augen blitzte irgendetwas auf – Wut oder Belustigung. Bei Siv war das schwer einzuschätzen. »Du bist ohne mich gegangen! Ohne uns.«
Siv hatte ihr glänzendes schwarzes Haar im Nacken zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Sie trug Narben und Spuren von Kämpfen aus ihrer Vergangenheit. Ich fand, dass sie über eine wilde Schönheit verfügte, und sie hatte schon immer Blicke auf sich gezogen – sogar von Timoranern.
»Tut mir leid«, sagte ich, während ich den Armreifen sicher befestigte. »Ich musste einfach raus, nur für einen Augenblick. Ich konnte dich nicht finden.«
»Nächstes Mal erwarte ich, gefunden zu werden, bevor du gehst«, sagte Siv.
Mavie nickte. »Ich auch.«
Siv stellte sich vor mich, während Mavie mich von hinten weiterscheuchte. Ich hatte keine Wahl, als mich in Bewegung zu setzen. Draußen im Korridor öffnete Siv eine dicke Tür in der Wand und winkte uns zu hindurchzugehen. »Es spazieren gerade zu viele Raben hier herum. Wir nehmen die Gänge für die Leibeigenen.«
»Raben« war der Spitzname der Rabensporn-Patrouillen, und wenn irgendjemand außer Mavie und mir gehört hätte, dass Siv sich einer solchen Ausdrucksweise bediente, wäre sie am Pfahl am Rande des Dickichts ausgepeitscht worden.
»Warum sind so viele da?«
»Weil der Blutgeist und seine Schattengilde die Sklavenhändlerkarawanen in den südlichen Bergausläufern angegriffen haben«, grummelte Mavie.
Heftige Hitze durchzuckte meine Brust, bis ich hustete, um überhaupt wieder Luft holen zu können. »W-was?« Ich lehnte mich gegen die moosigen Flusssteinwände. »Der Blutgeist?«
Bei der Erwähnung seines Namens rieb ich aus alter Gewohnheit meine beiden verkürzten Fingerspitzen. Mavie stieß einen angewiderten Laut aus. »Verdammte Mörder. Das können keine Menschen sein, wenn ihr mich fragt. Nicht bei den Gemetzeln, die er anrichtet.«
Der Blutgeist machte die Lande von Neu-Timoran schon unsicher, solange ich zurückdenken konnte. Man sagte ihm nach, er gehöre zu der Art von Nachtvolk, der dunkle Wildwut innewohnte und die eine Vorliebe für Blut und Knochen besaß.
Timoran war in Gilden organisiert, und das war beim Blutgeist nicht anders. Die Gilde, die ihm folgte, tötete so gut wie er. Ich hatte schon das Pech gehabt, dem Blutgeist gegenüberzustehen – aber nicht einmal Siv und Mavie wussten das. Als ich vorgehabt hatte, mich auf eine Jolle zu schleichen, um die Bucht zu umsegeln, war ich stattdessen unter die Klinge des Blutgeists geraten. Er war ein Geist, der von einem Schatten zum nächsten zu huschen schien. Ich war einer Meinung mit Mavie. Das Feuer in den Augen des Geists loderte so rot wie Flammen, und die Art, wie er gleich einem wilden Tier von seinen maskierten Gildemitgliedern hatte weggezerrt werden müssen, damit er mir nicht die Kehle durchschnitt … Er konnte kein Mensch sein.
Aber es war das erste Mal seit fast einem halben Umlauf, dass ich davon hörte, dass er gesehen worden war.
»Ist alles gut?«, fragte Siv. Ihre Miene wirkte sanfter als zuvor.
»Ja.«
»Ich würde mir wegen der Schattengilde keine Sorgen machen. Die Leute schieben ihr die Schuld an allen möglichen gewaltsamen Todesfällen in die Schuhe. Es könnte auch jemand anders gewesen sein. Aber ich wünschte, du würdest stattdessen die Agitatoren ernst nehmen, Kvinna«, sagte Mavie. »Sie werden kühner.«
»Verfluchte Götter, nimmt der Ärger denn nie ein Ende?« Die Agitatoren waren ein Stachel in meinem Fleisch und in dem der gesamten Nebenlinie des Königshauses. Eiferer, die es nicht lassen konnten, alle Timoraner mit auch nur einem Tropfen königlichen Bluts anzugreifen, und darauf beharrten, dass diese Usurpatoren wären. In gewisser Weise waren wir das wohl auch, da Timoran ja das einstige Etta erobert, dessen Königshaus beseitigt und die Krone an sich gerissen hatte. Aber die Agitatoren wollten den Thron zurückholen, und wenn mein Cousin, der Kronprinz, irgendwann auf Zyben folgte, würde der Übergang zeitweise für eine Schwächung sorgen, die die Agitatoren ausnutzen konnten, indem sie den unerfahrenen Herrscher zugrunde richteten.
»Man sollte solche Dinge im Hinterkopf behalten, das ist alles. Du hast heute Abend deinen Hals riskiert, und wir sind hier, um dich daran zu erinnern«, fuhr Mavie fort.
»Mein Hals war nicht in Gefahr«, widersprach ich. »Ich bin in eine Spielhalle gegangen. Außerdem verstehe ich mich darauf, eine Klinge zu führen.«
»Ja, aber ich kann besser damit umgehen«, sagte Siv.
»Stimmt.«
Siv legte den Kopf schief. »Außerdem wusste ich einen ordentlichen Abend voller Rebellion schon immer zu schätzen.«
»Eine Spielhalle«, sagte ich. »Wie rebellisch.«
»Ja«, erwiderte Mavie und begann, an meinem Zopf herumzuzupfen und die Flechten glattzustreichen, bis ich ihre Hand wegschlug. »Da Frauen an den Spieltischen nicht willkommen sind, ist es ein bisschen rebellisch.«
»Ehrlich gesagt ist in deinem Fall alles rebellisch, was über das Träumen von einem Ehemann hinausgeht«, sagte Siv.
Bei den Göttern, sie grinste. Gewissermaßen.
Ich prustete vor Lachen, weil es leider zutraf. Für mich als Nichte – wenn auch nur zweite Nichte – des Königs beschränkte sich mein Daseinszweck darauf, den Fortbestand des Königshauses zu sichern und darüber zu schweigen. Während des letzten Umlaufs hätte ich von all dem Getuschel über meinen Zukünftigen schier wahnsinnig werden können, wenn Mavie und Siv nicht gewesen wären. Sie waren meine einzigen echten Freundinnen und klagten mit mir darüber, wie ungerecht unser Leben war.
»Mir bleibt vielleicht noch ein Umlauf, bevor der König mich verhökert wie ein preisgekröntes Schwein. Lasst mich noch ein bisschen leben, ohne mir Vorwürfe zu machen.«
Siv zog eine Augenbraue hoch. »Ein bisschen leben? So nennst du das also? Komisch, da wir doch alle wissen, warum du dich ausgerechnet in diese Spielhalle schleichst.«
Meine Wangen wurden heiß. »Wie bitte?«
»Oh, nun sei nicht so empfindlich, Kvinna«, sagte Mavie, bestimmt einfach nur, um mich zu ärgern. »Wir wissen, dass Hersir Legion dort ein- und ausgeht. Hast du endlich mit ihm gesprochen?«
Ich beschleunigte meine Schritte. »Es ist illegal für mich, überhaupt dort zu sein. Warum sollte ich die Aufmerksamkeit irgendeines Menschen, der Rang und Namen hat, auf mich ziehen?«
»Also hast du ihn wirklich gesehen.«
Ich verdrehte die Augen und verfluchte mich dafür, zugegeben zu haben, dass ich Legion Greys Gesicht hübsch fand. Seitdem waren Siv und Mavie entschlossen, uns ein heimliches Gespräch zu ermöglichen. »Wenn ihr es unbedingt wissen müsst: Ja, wir haben heute Abend miteinander gesprochen. Im Vorübergehen.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sivs Gesicht solch einen Ausdruck zeigen konnte, aber ihre Augen wurden kugelrund und dunkel. Mavie vergaß sich und quietschte so laut, dass es bestimmt jemand im Haupthaus hörte. »Wirklich! Erzähl uns mehr. Was ist geschehen?«
Es hatte keinen Sinn, zu lügen; sie würden mir die Wahrheit ohnehin bald genug entlocken. In einem Atemzug schilderte ich das kurze Gespräch und ließ nur meinen ungeschickten Moment aus, in dem ich mit ihm zusammengestoßen war.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ihr das so aufregend findet«, sagte ich mit einem Hauch von Bitterkeit. »Ich werde mit jemandem vermählt werden, den der König auswählt, und da er nicht von timoranischem Adel ist, wird Legion Grey nicht im Rennen sein.«
»Ich finde trotzdem, dass er ein ganz hervorragendes Gesicht zum Träumen abgibt.« Mavie lächelte. »Ich weiß, dass du gegen Ehegelöbnisse bist, und glaub mir, ich fand es schon immer seltsam, dass zweite oder dritte timoranische Töchter eine Lotterie potenzieller Ehemänner bekommen. Gestatte dir lieber, von Legions Lippen auf deinen zu träumen statt von …«
»… einem alten Narren, der zu viel raucht?«, schlug ich trocken vor. »Wenigstens weiß Runa, mit wem sie ihr Ehegelöbnis sprechen wird.« Meine Schwester als die Älteste hatte die Pflicht, dafür zu sorgen, dass unser erlesenes königliches Blut erhalten blieb. Sie war bereits mit unserem Cousin Calder verlobt, einem lebenslustigen Mann, der Augen für alle außer Runa hatte. Vielleicht hatte ich von uns beiden mehr Glück.
»Na, da kannst du dich bei deinem Onkel bedanken«, fuhr Siv auf. »Der ist übrigens schon seit fast einer Stunde hier. Beeil dich.«
Mir wurde flau. Es ließ sich nicht vermeiden, den König zu begrüßen, und wenn ich mich gar nicht blicken ließ, würde meine Abwesenheit auffallen. Im Gehen nahm ich meinen Mantel und den schweren Ledergürtel um meine Taille ab. Ich würde binnen einer Stunde gewaschen und angekleidet sein müssen, also hatte es keinen Sinn, mich erst in meinem Zimmer auszuziehen.
Siv blieb vor einer mit einem blauen Band markierten Stelle in der Wand stehen. Auf einen kräftigen Druck ihrer Schulter hin gab die Wand den Weg in einen großen Salon mit satinbezogenen Chaiselongues, endlosen Bücherregalen, Teetabletts aus Zinn und Bärenfellen auf dem Boden neben dem offenen Kamin frei.
»Willkommen zu Hause, Kvinna Elise.«
Die Stimme ließ mich zusammenzucken. Mein Blick huschte zu der Tür, die in mein Schlafzimmer führte. Bevan, der Haushofmeister, drückte sich in den Schatten herum und lächelte. Ich schätzte, dass er ein paar Umläufe älter als mein Vater war. Sein Haar wurde auf dem Kopf schon schütter, aber seine Haut war noch kaum erschlafft.
»Bevan«, sagte ich und warf verstohlene Blicke auf Siv und Mavie.
Der Haushofmeister musterte die beiden Leibeigenen hinter mir. »Siverie, Mavie, ich würde euch raten, Schleier anzulegen und umgehend in die Küche zurückzukehren, bevor die Köchin zur Rute greifen muss.«
Siv runzelte die Stirn, aber das lag wohl eher an dem Befehl, sich den Netzschleier übers Gesicht zu ziehen. In königlichen Haushalten war er Vorschrift. Mavie wurde blass, doch bei ihr lag das an der Köchin. Die alte Frau war wortkarg und verlieh ihrem Ärger mit Weidenruten Ausdruck.
»Wir sprechen uns bald wieder«, flüsterte Siv, und gemeinsam ließen meine Freundinnen mich in der Stille meiner Gemächer allein.
»Kvinna Elise«, sagte Bevan, als das Schweigen sich schon in die Länge zog. »Es geht mich nichts an, wo Ihr Eure Zeit verbringt, aber ich flehe Euch an, was auch immer Ihr tut, bitte, tut es nie wieder unter dem Nachthimmel. Was, wenn Ihr eine Verletzung davontragt oder man Euch für eine Ettanerin hält? Es könnte Wochen dauern, solche Scherereien auszuräumen.«
»Bevan, was an mir deutet auf eine Ettanerin hin?« Das stimmte sogar: Meine Haut war voller Sommersprossen, fahl wie Papier, trocken wie eine Zwiebel. Nicht der glatte, gebräunte Teint der meisten Ettaner mit ihrem kastanienbraunen oder rabenschwarzen Haar.
»Wie auch immer, ich hoffe, Ihr beeilt Euch. Es ist ein Bad eingelassen. Ich warte unten auf Euch.« Bevan deutete auf das Badezimmer und verließ mich mit einem Kopfnicken.
Ein Kleid lag auf meiner Gänsedaunenmatratze ausgebreitet. Meine Finger zeichneten die kalten Perlen nach, die auf den indigoblauen Stoff genäht waren, dann den tiefen Ausschnitt, der zu viel Haut sehen lassen würde.
Im Badezimmer war das Wasser nur noch lauwarm, weil ich so spät dran war, aber es duftete nach Lavendel, Minze und Rosen. Ich schrubbte mit der harten Bürste den Schmutz ab und bearbeitete meine Fingernägel und mein Haar, bis ich rosig und wund war.
Sauber und angekleidet, flocht ich mein Haar noch einmal neu und setzte das Vogelbeerdiadem auf. Schwarze Spitzenhandschuhe lagen auf dem Rand einer Kommode bereit. Mein Stirnrunzeln vertiefte sich. Bestimmt hatte meine Mutter die Handschuhe herausgelegt. Ich wünschte, sie hätte es nicht getan. Musste man sich denn dafür schämen, einen Angriff überlebt und dabei Narben davongetragen zu haben? Allerdings wusste nur meine Familie von meiner Begegnung mit dem Blutgeist. Aber war die denn auch eine Schande? Vermutlich schon, weil ich mich wieder einmal davongeschlichen hatte. Jedenfalls hasste ich die Handschuhe.
Bevor ich meine Gemächer verließ, übte ich das Gehen in den neuen Schuhen mit den hohen Absätzen und knickste vor dem Spiegel. Sobald ich überzeugt war, dass ich nicht auf die Nase fallen würde, grüßte ich lässig mein Spiegelbild und brach mit gesundem Widerwillen gegen das ganze Fest auf.
An den dicken Türen des Ballsaals erwartete Bevan mich.
Er hatte ein verkniffenes Lächeln aufgesetzt. »Bezaubernd, Kvinna.«
»Danke, Bevan.«
»Wie ich höre, werden nach Eurem Treffen mit dem König gewiss Glückwünsche auszusprechen sein.«
Ich stutzte und runzelte die Stirn. »Glückwünsche?«
Bevans bronzefarbene Haut erbleichte. »Ach, nicht wichtig.«
»Nein, nein, Bevan«, schimpfte ich. »Was meinst du?«
Seine granitgrauen Augen waren unverwandt auf mich gerichtet. »Vergebt mir, aber die Gerüchte … äh, die Gerüchte in den Leibeigenengängen besagen, dass Kvin Lysander … äh …«
»Bevan! Was ist denn nur?« Das Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Magen verknotete sich.
Bevan leckte sich die rissigen Lippen. »Wie es scheint, hat Euer Vater auf Geheiß des Königs zugestimmt, dass Seine Majestät das Wettbieten um Eure Hand eröffnet, Kvinna. Ihr sollt vermählt werden.«
Meine Hände hörten einfach nicht mehr auf zu zittern. Verheiratet? Jemandem zugewiesen? Gezwungen, zu meiner Mutter zu werden, Zierrat am Arm eines Mannes.
Dieser Augenblick war mir bisher erspart geblieben, aber da mein zwanzigster Umlauf vor der Tür stand, war es nur eine Frage der Zeit gewesen. Welche Männer würden auf mich bieten, sobald der König die Brautpreisverhandlungen eröffnete? Eine entfernte Cousine von den Westklippen hatte nicht weniger als zwanzig mögliche Bewerber gehabt. Es hatte fast zwei Monate gedauert, bis ihr Gemahl gefunden war, ein Mann, der siebenundzwanzig Umläufe älter als sie war und sich geweigert hatte, für die Ehe seine Lieblingskonkubine aufzugeben.
Die timoranische Kultur war archaisch. Brautpreisverhandlungen erinnerten mich an einen urtümlichen Wettbewerb, wer am meisten Reichtum und Kraft zu bieten hatte.
Zweifelsohne würde der König für die zweite Tochter seiner Schwester einen hochmütigen und aufgeblasenen Mann wählen. Die meisten Brautpreisverhandlungen wurden von Vätern überwacht, aber mein Vater konnte an den meisten Tagen kaum noch sein Schlafgemach verlassen. Es war seit längerer Zeit bekannt, dass die Lysander-Töchter unter Zybens Aufsicht standen.
Bestimmt würde der Mann, der meine Hand kaufte, es nicht mit Freuden hinnehmen, wenn seine Frau ihre wachen Stunden in Büchern über Nachtvolkmärchen versunken oder mit Streifzügen durch die Armenviertel verbrachte.
»Es wird schon gut gehen, Kvinna«, flüsterte Bevan.
Sein Ton quoll vor Mitleid über. Bevan wusste so gut wie ich, dass mein Leben nicht mehr dasselbe sein würde. Im Gegenteil: Alles würde sich ändern. Timoranische Ehefrauen erhielten Geldzuwendungen, um nach Belieben Ausgaben zu tätigen, wandten den Blick ab, wenn ihre Männer sich Geliebte nahmen, und schwiegen über Staatsangelegenheiten. Eine eigene Meinung? Nein, das Denken überließ man besser den Männern.
Ich schloss die Augen, ballte die Fäuste und holte tief Luft, bevor ich in den Ballsaal schritt.
Drei Kristallkronleuchter hingen von der mit filigranen vergoldeten Schnitzereien verzierten Decke. Edelleute, Frauen aus dem Hofstaat, hochrangige Militärs und Geschäftsmakler berauschten sich an Gewürzlikören oder tranken frisch gepresste Säfte aus den Obstgärten hinter dem Herrenhaus.
Ringsum waren die Wände von Leibeigenen gesäumt. Maskiert mit schwarzem Netzstoff. Namenlos. Vergessen. Manche trugen einen tätowierten Raben auf dem Handgelenk oder auf der Kehle. Kunstvoll, als würde der Vogel fliegen, nichtsdestotrotz ein Symbol der Knechtschaft im Rabensporn-Reich.
Ich schüttelte den Kopf und ließ mich von der Menge der Tanzenden verschlingen. Meine Mutter Mara stand am oberen Ende des Saals, glanzvoll, herablassend. Auf einem samtbezogenen Sessel trank mein Vater, blässlich, mit dunklen Ringen unter den müden Augen, eines seiner durchdringend riechenden Stärkungsmittel. Er war sich seiner Umgebung nicht bewusst. Einst solch ein stolzer Mann, welkte Leif Lysander nun schon seit vier Umläufen dahin.
Über sein Trinkhorn hinweg erspähte er mich mit scharfen blauen Augen. Wir hatten dieselbe Augenfarbe, aber sein Blick durchschnitt mich. So krank er auch war, mein Vater versuchte, mich niederzustarren, damit ich mich in das fügte, was mir bevorstand.
Hocherhobenen Hauptes durchquerte ich den Saal zu der Estrade, auf der der König erhöht über uns andere thronte. Zyben pflegte nur mit loyalen Familien Umgang, und ein Ehebündnis zwischen der Tochter seiner Schwester und seinem zweiten Sohn war Grund genug für ihn, zu erscheinen.
Zyben starrte seine gekrümmte Nase entlang auf einen herab. Seine messerscharfen Wangenknochen traten noch stärker hervor, wenn er hämisch lächelte. Sein blondes Haar war in der Mitte seines Schädels geflochten, an den Seiten ausrasiert. Seitlich waren auf die Kopfhaut Runen tätowiert, und ein silberner Wildrosenkranz schmückte seinen Kopf. Unter einem schwarzen Umhang aus schwerem Pelz trug Zyben Ketten aus Silber, Gold und Jade.
Ich sank auf ein Knie und küsste dann den scharf geschliffenen Onyx im Ring an seinem Finger.
»Alles Gute, Nichte«, sagte er mit einer Stimme wie Spinnenfäden. Sanft. Einprägsam.
Ich wünschte, so wenig Zeit wie möglich mit dem König zu verbringen.
Seine Gegenwart löste ein beengendes Druckgefühl in der Mitte meines Brustkorbs aus, eines, das in mir den Drang weckte, ständig über meine Schulter zu sehen, als würde er mich beobachten. Aber ich spielte die kindlich liebende Nichte, lächelte und neigte den Kopf.
»Ich erwarte von dir, in der Nähe zu bleiben. Du wirst meine Rede hören wollen«, sagte Zyben. »Verstanden?«
Mein Mund verkrampfte sich. »Ja, ich glaube schon.«
Zyben setzte ein grausames Grinsen auf. Er stützte einen Ellenbogen auf sein Knie, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich bin kein Narr, Nichte. Ich sehe dir an, wie verstört du bist. Aber weigere dich und …« Sein Blick ging zum Sessel meines Vaters hinüber. Ein abgehacktes Husten drang aus der Kehle meines Vaters; sein Körper erschauerte. Ein Medik, in Königsblau gekleidet, kümmerte sich leise um ihn, während der ganze Saal den Hausherrn ignorierte.
Ich versuchte, den dicken Kloß in meiner Kehle hinunterzuschlucken. »Ich verstehe, mein König.«
Zyben ließ sich lässig auf seinem Sessel zurücksinken und winkte mich mit einem Fingerschnippen fort.
Ich eilte die Reihe der Würdenträger entlang und beendete meine Begrüßungsrunde mit zwei von Zybens Konkubinen, die mir wenig Beachtung schenkten. Dann blieb ich stehen, um ein Mädchen zu begrüßen, das mit einem schimmernden roten Kleid unter einem Überwurf aus Fuchspelz ausstaffiert war. Ein silbernes Satintuch verhüllte ihr Gesicht, aber nach ihrer Körpergröße und Figur zu urteilen war sie jung. Womöglich noch ein Kind. Ich entschloss mich zu einem einfachen Knicks.
»Ein gutes Herz«, floss ihre leise Stimme hinter dem Schleier hervor. Jetzt war ich mir sicher, dass sie jung war. »Interessant.«
»Wie bitte?« Ich hatte Gerüchte über Zybens Interesse an Sehern und Hexen gehört. Nicht gerade Nachtleute, aber wenn man den Büchern trauen konnte, trugen nicht die Fae allein die Wildwut in ihrem Blut.
»Dein Herz wohnt nicht hier«, flüsterte sie.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Es bleibt nicht viel Zeit.« Eine verzweifelte Bitte lag unter der sanften Melodie ihrer Stimme begraben. Mit rasendem Puls und schweißnassen Handflächen beugte ich mich näher heran. »Fürchte nicht die Vergangenheit. Vertrau denen, die es nicht verdient haben …«
»Kvinna«, brummte ein Wachkrieger. Ich drohte die Prozession von Gästen zum Stillstand zu bringen, die den König und seinen Haushalt begrüßten.
Ich trat einen Schritt beiseite, weil es mir widerstrebte, ein Kind alleinzulassen, das zu leiden schien. Ein Keuchen entrang sich meiner Kehle, als das maskierte Mädchen mich am Handgelenk packte. Ein warmes Vibrieren entströmte ihren Fingern. »Wenn du die Bestie in ihm siehst, lass ihn ein, um ihn loszulassen.«
»Verfluchte Götter«, hauchte ich, als die Wärme sich in etwas Nadelspitzes verwandelte, ehe sie verblasste und das Kind mich losließ. Wer war dieses Mädchen? Bevor ich Gelegenheit hatte, nachzufragen, traten zwei von Zybens Wachen zwischen uns und drängten mich stumm weiterzugehen. Ich senkte den Blick und entfernte mich von der Estrade, um von den Ballkleidern und Wämsern verschluckt zu werden.
»Elise!« Runa stürmte durch den Ballsaal auf mich zu.
Meine Schwester war eine Schönheit. Blonde Locken, rosige Lippen, ein hellblaues Kleid. Sie kicherte, als sie mich umarmte. Natürlich nur für den schönen Schein. Wir gehörten nicht zu der Art von Schwestern, die regelmäßig miteinander sprach.
Ich vergaß fast, dass Calder hinter ihr stand, sein Getränk umrührte und alle im Saal abschätzig musterte. Mein Cousin ähnelte eher seiner Mutter, der dritten Konkubine des Königs, mit smaragdgrünen Augen, rotbraunem Haar und Zähnen, die zu groß für seinen Mund waren.
»Ich habe es dir doch gesagt, Calder«, meinte Runa, »unser Fest würde sie niemals versäumen.«
Oder vielmehr: Ich konnte es nicht.
Runa nippte an einem zierlichen Weinglas. »Calder hat gesagt, du hättest etwas Wichtigeres als uns gefunden.«
Meine Schwester lachte. Vor Trunkenheit klangen ihre Worte undeutlich, aber mein Blick fiel auf Calder. Er erwiderte mein überhebliches Lächeln mit gleicher Inbrunst. Ein erbärmlicher Mann, der jeden bis auf sich selbst verabscheute.
»Ich würde nie etwas wichtiger finden als dich, Runa«, sagte ich.
Mein Cousin schnalzte mit der Zunge und stürzte mit einem geheuchelten Lächeln noch mehr von seinem farblosen Getränk hinunter. »Reizende Elise, ich habe doch nur im Scherz gesprochen.« Er grinste Runa hämisch zu, bevor er seinen Blick wieder auf mich richtete. »Es ist so schön, dich zu sehen.«
»Gleichfalls.« Mein Ton war ausdruckslos und desinteressiert.
Unvermittelt zog Runa mich beiseite. Ihre Augen glänzten vor freudiger Erregung. »Eli, hast du es schon gehört?«
Mein Magen verkrampfte sich. »Ich habe so eine Ahnung, dass der König etwas verkünden wird, ja.«
Runa quietschte: »Aber hast du denn nicht bemerkt, wer hier ist?« Ihr Blick huschte über die vielen herumwirbelnden Paare hinweg bis zu einem hochgewachsenen Hauptmann. Dunkle Locken, ein wie in Marmor gemeißeltes Gesicht. Meine Kehle wurde trocken. Meine Fingerspitzen taub.
»Jarl Magnus«, flüsterte Runa. »Er ist von weit her aus dem Östlichen Königreich angereist.«
Zyben verfügte über großen Einfluss, der sich sogar über den Schicksalsozean hinweg auf ausländische Würdenträger erstreckte. Alles, was ich aus den Gesprächen schließen konnte, die ich zwischen meinem Vater und Händlern belauscht hatte, war: Wenn ihre Schiffe unsere Kais verließen, kehrten sie mit neuen Lebensmitteln und neuem Geld zurück. Mit neuen Nachtleuten, die man ausnutzen oder töten konnte, seltsame Geschöpfe mit fremder Wildwut und fremdem Akzent.
Das Östliche Königreich bestand, nach den Landkarten zu urteilen, aus vier Regionen, die ein kleineres Meer umgaben. Wenn es in einem einzigen Königreich mehrere Regionen gab, lebte dort zweifelsohne auch eine vielfältige Bevölkerung. Ich hatte es immer gern besuchen wollen, aber eine Frau, die auf Reisen ging? Unerhört.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Runa klopfte gegen meine Wange.
»Entschuldige. Ja, ich höre zu.«
»Na, was meinst du?«
Mein Mund öffnete sich. »Warte mal. Jarl ist …«
Runa ballte die Fäuste und quietschte. »Tu nicht so überrascht, ja? Oh, stell dir vor, wenn er ein Gebot abgibt! Denk dir nur, an welche Orte du reisen wirst, wenn er gewinnt. Bei den Himmeln, du wirst am Tisch des Königs speisen.«
Einfach nur die Tochter seiner Schwester zu sein, brachte mir kaum jemals die Ehre ein, am Tisch meines Onkels zu speisen, aber Jarl Magnus war im timoranischen Militär in einen beachtlichen Rang aufgestiegen. Er entstammte einer adligen Familie und hatte ein wie aus Stein gemeißeltes Gesicht. Mehr als eine Dame hatte sich schon nach seiner Aufmerksamkeit gesehnt. Nein, ich konnte mir keine bessere Partie vorstellen.
Jarl war jung und kein unfreundlicher Mann. In Gesprächen gab er sich immer liebenswürdig und bewies das richtige Maß an Esprit.
»Jarl hat uns gerade erzählt, wie interessant es ist, mit dem Nachtvolk des Östlichen Königreichs zu tun zu haben«, plapperte Runa weiter, »und wie anders diese Lande sind. Er hat den Verdacht, dass es nicht mehr lange dauert, bis ein Bündnis mit Timoran zustande kommt. Bei den Himmeln, meinst du, einer ihrer Prinzen oder eine ihrer Prinzessinnen könnte Konkubine des Königs werden? Die Götter wissen, wie viele er schon hat.«
Bei der Vorstellung schoss mir Hitze in die Wangen. Ich wusste nicht viel über die Königshäuser der verschiedenen Reiche, aber ich konnte mir vorstellen, dass ich lieber Herrscherin meines eigenen Landes als Konkubine des Königs von Timoran gewesen wäre. Nach allem, was ich zuletzt gehört hatte, hatte Zyben mindestens zehn Geliebte, mit denen er nach Lust und Laune verfahren konnte. Ich konnte mich nicht lange mit dem Gedanken befassen, da Runa mich auch schon quer durch den Saal zu dem gut aussehenden Hauptmann in seinem ledernen Offiziersmantel schleifte.
»Jarl, sieh nur, wen ich gefunden habe«, rief Runa aus.
Ich schluckte einen Kloß in meiner Kehle hinunter, als Jarl sich mir zuwandte. Die Hälfte seines Mundes verzog sich zu einem attraktiven Grinsen. Mir stockte der Atem, als er meinen Handschuh küsste.
»Elise«, sagte er mit tiefer, volltönender Stimme. »Was für eine Freude, dich wiederzusehen.«
»Was für eine Überraschung«, antwortete ich und hoffte, dass er verstand, was ich damit sagen wollte.
»Ich hoffe, es ist keine Enttäuschung.«
Er verstand, was ich meinte, und ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Aber egal. Mein König sah zu und nutzte die Gelegenheit, um die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu ziehen. Mit einem Winken brachte Zyben die Musik zum Verstummen, und alle Augen wandten sich der Stirnseite des Saals zu.
»Ihr erweist dem Haus meiner Schwester Ehre«, sagte er, »indem Ihr an diesem besonderen Abend das bevorstehende Ehegelöbnis zwischen meiner ältesten Nichte Kvinna Runa Lysander und Eurem künftigen König Calder feiert.«
Höflicher Applaus brandete in der Menge auf, und Runa war außer sich. Sie fächelte ihren geröteten Wangen Luft zu und klammerte sich an den Arm des entsetzlich dummen Calder, als sei er das Einzige im Saal, was wirklich existierte.
Die Nase hoch in die Luft gereckt, fuhr der König fort: »Unsere Familie hat mehr als einen Grund zu feiern. Als König und Schirmherr des zweiten königlichen Hauses habe ich die Brautpreisverhandlungen für meine jüngste Nichte Kvinna Elise eröffnet.«
Luftschnappen, weiterer Applaus und beglückwünschendes Lächeln fanden mich wie einen Dorn inmitten von Rosen. Ich versteifte mich, bis Runa mir den Ellenbogen in die Rippen rammte, und zwang mich dann zu einem Erröten, als wäre es ein ganz reizender Augenblick. Zyben hob ein Glas und bekundete seine Zustimmung.
»Fernerhin«, fuhr mein Onkel fort, als die Stimmen leiser wurden, »ist es mir, da Kvin Lysanders schwache Konstitution ihn daran hindern wird, Bewerber auszuwählen, und solche Aufgaben unter der Würde eines Königs sind, eine Ehre, einen Aufseher über den Wettstreit um Kvinna Elises Brautpreis zu benennen. Sein Kenntnisreichtum wird gewiss zu einem interessanten Wettbieten führen. Die Ehre, das Ehegelöbnis der Kvinna vorzubereiten, fällt dem jungen Hersir Legion Grey zu.«
Mehr noch als bei der Ankündigung der hiermit eröffneten Heiratsverhandlungen wogte ein Aufkeuchen von Wand zu Wand. Frauen fächelten sich Luft zu, und alle Blicke richteten sich auf die Rückseite des Raums.
Mein Blut wurde eiskalt. Ich drehte mich nicht um, wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. Legion Grey war … mein Brautpreisunterhändler?
Er würde der Mann sein, der meine Zukunft in den Händen hielt. Der Mann, der einen Großteil meiner wachen Stunden mit mir zubringen würde, um mich in Augenschein zu nehmen, einen passenden Gemahl für mich zu finden, und festzusetzen, was ich als Ehefrau wert war, bevor er mich übergab.
Ich wusste, dass er als Handelsmakler arbeitete, aber das hier war etwas ganz anderes.
Mein Onkel grinste ziemlich selbstzufrieden. »Zweifelsohne wird der Ruf, den er sich im Außenhandel erworben hat, meiner Familie gute Dienste leisten.«
»Ich lebe, um zu dienen, mein König.«
Seine Stimme – Legions Stimme – kribbelte meinen Nacken hinauf. Der sanfte, schelmische Ton von vorhin. Ich verstehe mich auf Geheimnisse.
Ich hatte meinen verdammten Mund aufgemacht und mit ihm gesprochen. Würde er mich jetzt wiedererkennen?
»Elise«, zischte Runa, »nimm ihn zur Kenntnis. Das erwartet man von dir.«
Mir war gar nicht klar gewesen, dass alle mich anstarrten, bis eine Hofdame angewidert die Nase rümpfte. Ich zerbiss meine Nervosität und mit ihr meine Unterlippe und drehte mich langsam zur Rückseite des Raums um.
Bei den drei Höllen! Im Licht des Ballsaals waren seine Augen glühende Kohlen. Er konnte nur einen kurzen Zwischenhalt in der Spielhalle eingelegt haben, bevor er hergekommen war. Er war immer noch in das dunkle Wams gekleidet, das sein einzigartiges goldenes Haar eher kupferfarben wirken ließ. Sein Kinn war markant geschnitten, und ein feiner Hauch von Bartstoppeln verdunkelte seine Bronzehaut.
Legion hob sein Glas, das mit hellem Bier gefüllt war. Er führte das Getränk an den Mund, sah mir aber weiter unverwandt in die Augen. Das wissende Lächeln, das seine Lippen umspielte, ließ einen Schauer des Zorns über meine Haut laufen. So viel dazu, dass sein Gesicht das sein würde, das ich mir vorstellte, wenn ich einen anderen heiraten musste. Jetzt war Legion nur noch ein Mann mehr, dem ich, meine Zukunft und mein Herz nicht weiter wichtig waren. Für die Rolle desjenigen, dem das letzte Wort darüber zufallen würde, war er ehrlich gesagt sogar die schlechteste Wahl von allen.
Da alle Blicke auf mir ruhten, wünschte ich mir sehr, der Boden würde sich auftun und mich verschlingen, bis eine Hand meine ergriff.
Jarl drückte seine Lippen noch einmal auf meinen Handschuh und überrumpelte mich damit völlig. »Elise, ich möchte, dass du weißt, dass ich vorhabe, in die Verhandlungen einzusteigen. Ich hoffe, das missfällt dir nicht.«
Was sollte ich sagen? Die ganze Sache missfiel mir. Jarl war eine gute Partie, und ich konnte wohl kaum darauf hoffen, für immer unter dem Dach meiner Eltern zu bleiben. Aber Jarl vergoss sein Blut für Timoran. Ich bezweifelte, dass er je hinnehmen würde, dass ich mich mit Ettanern abgab.
Mir fehlten die Worte, doch ich zwang mich zu einem Lächeln.
Jarl wirkte beruhigt. »Möchtest du mit mir tanzen?«
»Willst du denn nicht mit Hersir Legion sprechen?«, fragte ich. Ein rascher Blick zur Rückseite des Ballsaals verriet mir, dass der Unterhändler schon von drei Männern umgeben war. Meine Eingeweide verkrampften sich.
Jarl zog an meiner Hand. »Ich möchte lieber mit dir tanzen.«
Umgeben von anderen Pärchen und mit der Wärme von Jarls Hand in meinem Kreuz vergaß ich fast, dass mein Leben nie mehr so sein würde wie bisher. Drei Tänze lang wirbelte Jarl mich durch den Saal, bis wir lachend nach Luft schnappten.
»Ich fürchte, es war ziemlich ungehörig von mir, dich so lange auf den Beinen zu halten. Sollen wir eine Pause machen?«
Ich folgte ihm zum Rand des Ballsaals, wo Runa und Calder Wein tranken. Ich erkannte Arabella, eine unserer Leibeigenen, sogar unter ihrem Netzschleier, als sie Honigkuchen und Blätterteigtörtchen auf eine Silberplatte stellte.
»Arabella«, flüsterte ich und reichte ihr ein Törtchen, »nimm das für Ellis mit.« Ihr Sohn litt seit zwei Tagen an einem immer weiter steigenden Fieber. Allmählich schlugen die Kräuterheilmittel an, aber ich konnte mir vorstellen, dass der Junge auch eine Süßigkeit zu schätzen wissen würde. Arabella schob das Törtchen heimlich in die Tasche ihres Kittels und zog sich mit einer Verbeugung zurück.
»Du sprichst also mit Gossenratten.«
Ich warf einen Blick über meine Schulter und kämpfte den Drang nieder, über Calder zu stöhnen. »Mit einer Frau, meinst du?«
Calder schnalzte mit der Zunge. Es klang wie das Gackern eines arroganten Hahns. Dann schlürfte er laut seinen Wein. »Ich muss schon sagen, sie hat gestunken. Ich finde, sie wäre besser zur Arbeit in den Hofsteinbrüchen geeignet. Außer Sichtweite.«
Es widerte mich an, dass Jarl darüber lachte, aber Runa starrte einfach ihr Weinglas an. Ich war ein bisschen stolz darauf, dass sie sich nicht an den grausamen Scherzen beteiligte, doch sie mahnte ihren Zukünftigen auch nicht zum Schweigen. Ich konnte nicht so gut den Mund halten.
»Sie ist wirklich eine sehr nette Frau«, sagte ich.
Jarl musterte mich mit verwirrter Miene.
Calder schnaufte abfällig und kniff seine Schweinsäuglein zusammen. »Ich würde sämtliches ettanisches Blut in die Steinbrüche schicken, wenn diese Leute sich nicht dabei nützlich machen würden, unsere Nachttöpfe auszuleeren. Dieser widerliche Abschaum gehört in den Schmutz, Elise.«
Runa verdrehte die Augen. »Bei den Himmeln! Müssen wir weiter solche Gespräche führen? Die Steinbrüche sind furchtbare Orte, und ich würde mich lieber über angenehmere Dinge unterhalten.«
»Ja, Runa, wir haben die Wahl«, sagte ich. »Die Ettaner nicht.«
Jarl räusperte sich. »Die Steinbrüche sind gefährlich für Timoraner und Ettaner ohne Wildwut. Nur Nachtvolk sollte in die Steinbrüche geschickt werden.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob das besser wäre«, sagte ich und rang darum, die Beherrschung zu wahren. Die Steinbrüche waren gefährlich und es ging dort brutal zu. So verschlagen und bedrohlich die Fae auch sein mochten, ich hatte dennoch Mitleid mit ihnen.
»Warum reden wir auf meinem Verlobungsfest darüber?«, jammerte Runa und holte mich damit ins Hier und Jetzt zurück.
»Wie es scheint, ist deine Schwester heute Abend auf schwierige Gespräche versessen, meine Liebe«, sagte Calder.
»Entschuldigt«, entgegnete ich. »Ihr habt recht. Wir sollten feiern.«
Jarls Lächeln kehrte zurück, und ich fragte mich, ob er schon bereute, alles arrangiert zu haben, um einer Verschwörungstheoretikerin, die kein Blatt vor den Mund nahm, den Hof zu machen. Aber ich ging davon aus, dass er besser mein echtes Ich kennen sollte, wenn wir gemeinsam das Ehegelöbnis sprechen würden.
»Verzeiht, ich muss mich für einen Augenblick entschuldigen. Ich habe mich um militärische Angelegenheiten zu kümmern.« Jarl wandte sich mir zu. »Vielleicht dürfte ich nachher noch um einen Tanz bitten, Kvinna?«
Ich neigte zur Antwort den Kopf. Runa ging mit Calder, und ich war froh, ihn los zu sein. Ich hatte nicht das Bedürfnis, mit irgendwem im Saal über Nichtigkeiten zu plaudern, und so zog ich mich nach draußen auf den Balkon zurück.
Die kühle Nachtluft strich über meine Haut, sodass sich die Haare auf meinen Armen aufstellten. Ich atmete tief durch und fragte mich, ob Mavie und Siv mir gratulieren würden oder ob sie wussten, dass mein Ehegelöbnis unsere Freundschaft verändern würde. Aber vielleicht würde Jarl ja auch ein Ehemann sein, der nichts gegen eine mildtätige Ehefrau einzuwenden hatte.
Konnte ich Jarl lieben? Oder überhaupt einen der Bewerber um meine Hand?
Meine Eltern hatten einander schon vor der Erkrankung meines Vaters wenig Zuneigung bezeugt. Aber ich hatte genug Liebespaare gesehen, um zu wissen, dass Liebe möglich war. So wollte ich geliebt werden, doch ich wusste, dass es zu selten vorkam, um darauf zu hoffen. Wenn ich nicht die Stellung einer Ehefrau erreichte, bestand die Wahrscheinlichkeit, dass es mir so ergehen würde wie den gesichtslosen Prinzessinnen aus den fernen Königreichen, die darum konkurrierten, die Konkubine eines mächtigen Mannes zu werden. Das war noch weiter von meiner Vorstellung von Liebe entfernt – eher glich man dann einem Körper, der benutzt wurde, um Lust zu finden.
»Ich muss mehr tun, bevor ich untätig sein kann. Etwas Großes«, sagte ich zu dem leichten Wind.
»Es interessiert mich, zu erfahren, welche großen Taten Ihr geplant habt.«
Ich wirbelte herum und hielt mich am Balkongeländer fest. Legion erhob sich aus dem Korbsessel in den Schatten. In seinem schwarzen Wams hätte er ohne den Laternenschein ganz unsichtbar bleiben können. Ein rotes Band um sein Handgelenk zeichnete ihn als wichtigen Gast des Hauses Lysander aus, und beim Aufblitzen von Schalk in seinem Blick durchlief ein Prickeln mein Inneres.
Aus nächster Nähe konnte ich die Goldsprenkel erkennen, die mit dem Schwarz seiner Augen verwirbelt waren. Ihm wohnte eine verführerische Dunkelheit inne, als könnte er jederzeit entweder lachen oder mir die Kehle durchschneiden. Ein anderer Mann stand leicht versetzt hinter Legion; er kniff die schiefergrauen Augen zusammen, als er ein Trinkhorn voller Bier hinunterstürzte.
»Hersir Legion, ich habe Euch gar nicht gesehen.«
»Das ist mir aufgefallen.« Seine Lippen verzogen sich zu einem halben Grinsen, als wären ihm all meine Geheimnisse bekannt, während er nicht bereit war, selbst irgendetwas einzugestehen. Er neigte den Kopf. »Kvinna, es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Das hier ist Thor. Er wird mich bei den Verhandlungen unterstützen.«
Thor war Ettaner. Sein dunkles Haar lockte sich über einer umschatteten Stirn, und seine Augen waren wie eine mondlose Nacht. Ein Hauch von Enttäuschung schnürte mir die Brust zu. Legion war mir nicht wie jemand erschienen, der Leibeigene in Knechtschaft hielt. Allerdings war Thor so fein wie Legion gekleidet. Vielleicht war er einer der wenigen freien Ettaner, denen gestattet war, durch die Straßen zu streifen, ohne ständig einen Blick über ihre Schulter werfen zu müssen.
Wer auch immer Legions Begleiter war, er hatte nicht den Wunsch, meine Existenz zur Kenntnis zu nehmen, und wandte sich wieder ab, hinein in die Schatten.
Ich wusste nicht, welche Etikette zwischen einem Brautpreisunterhändler und der Frau, der er diente, erforderlich war. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
Legion trat einen Schritt näher heran. Seine Stimme klang rau: »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass ich Euch nervös mache, Kvinna.«
Das bisschen Bewunderung, das ich dem Mann noch entgegenbrachte, löste sich schnell in schiere Abwehr auf. Ich straffte die Schultern und war nicht bereit, mir vor Legion Grey meine Unzufriedenheit anmerken zu lassen. »Hersir, ich versichere Euch, dass ich nicht nervös bin. Ich bin mir gewiss, dass wir bald viele Dinge zu besprechen haben werden, wenn Ihr erfahrt, wie weit ich zu gehen bereit bin, um im Namen meiner Familie der Ehre Genüge zu tun.«
Ich rechnete damit, dass Legion die Stirn runzeln oder mich mit einem seiner Glühende-Kohlen-Blicke festnageln würde, doch er lächelte. »Ich freue mich darauf, sehr viele Dinge zu erfahren, Kvinna.«
»Verzeiht, aber ich dachte eigentlich, Ihr wärt Handelsmakler für Kaufleute.«
»Da habt Ihr recht«, sagte er und stützte sich mit einem Ellenbogen aufs Geländer. »Allerdings sind Heiratsverhandlungen prestigeträchtige Arbeit. Ich habe mich schon eine Weile darauf vorbereitet. Ich versichere Euch, Kvinna, dass Ihr in fähigen Händen seid.«
»Die einzigen Hände, die ich für fähig halte, sind meine eigenen.«
Legion zog eine Augenbraue hoch. Ein verspieltes Funkeln trat in seine Augen. »Oh, aber Ihr habt doch noch gar keine Erfahrung damit, wozu meine in der Lage sind.«
Mein Inneres machte einen Überschlag rückwärts. Das Grinsen und seine Stimme, die mich einlullte, würden mich ins Verderben stürzen. Ich würde mir gar keine Sorgen um mein Ehegelöbnis machen müssen, weil ich Legion Grey ohnehin nicht überleben würde.
Fünf. Bis zum zweiten Tag nach der Ankündigung des Königs waren bereits fünf offizielle Gebote um meine Hand eingegangen. Jarl war der einzige der Männer, den ich kannte.
Wenn ich schon geglaubt hatte, dass mir bei der Ankündigung flau im Magen geworden war, tobte es jetzt darin wie eine wildbewegte Welle. Der einzige Hoffnungsschimmer war, dass ich Legion nicht oft zu Gesicht bekommen hatte. Die Gebote zu prüfen, nahm ihn genug in Anspruch. Aber dann und wann war er einfach da. Ein stummer Schatten, der mir ohne meine Erlaubnis unter die Haut kroch, um zu ergründen, was sich darunter befand.
Ich war in meinem eigenen Heim zur Geisel geworden.
Die Augenblicke rannen mir durch die Finger wie Wasser durch ein Sieb, und ich war machtlos dagegen.
Am besten dachte ich gar nicht darüber nach.
Draußen stand ich zwischen Mavie und Siv, die nun offiziell zu meinen persönlichen Leibeigenen ernannt worden waren, die mir dienen sollten, wenn ich eine verheiratete Frau war. Sie waren ihre Schleier los, weil ich die Bedingungen festlegte, und so wurden die Schleier unverzüglich verbrannt. Wann auch immer die Verhandlungen endeten, mir würde gestattet sein, ein paar Leibeigene mit in mein neues Zuhause zu nehmen. Es war gar keine Frage gewesen, wen ich bitten würde, mitzukommen.
In der Hitze der Mittagssonne klebte die schwarze Wolle meines Kleids wie eine zusätzliche Hautschicht an mir, aber auf Befehl meines Vaters sollte ich ein Geschenk von einem möglichen Ehemann entgegennehmen. Bjorn Svart, ein reicher Reeder, der so viel rotes Gewürzbier trank, dass seine Zähne davon dauerhaft verfärbt waren. Svart wollte mich nicht aus Liebe, er wollte mich, damit ich mich um seine neun Kinder kümmerte, da seine Frau im letzten Umlauf gestorben war.
Bei dem Gedanken, von diesem Mann irgendetwas anzunehmen, stellten sich mir die Nackenhaare auf.
»Sein jüngstes Kind ist reizend«, sagte Mavie hinter mir.
»Weil das Gör noch nicht sprechen kann«, gab Siv zurück. »Die Svart-Jungs sind Dämonen und lieben Kröten. Wir müssten alle stündlich unser Bettzeug überprüfen.«
»Wenigstens schickt er ihr Geschenke«, sagte Mavie.
Meine Hände begannen unter den dünnen blauen Handschuhen zu schwitzen, die meine Finger verbargen. Ich spielte am Saum des einen herum und beteiligte mich nicht am Gespräch. Ganz gleich, was für ein Geschenk es war, es war es nicht wert, den Mann zu heiraten.
Nur allzu bald kam einer unserer Einspänner durchs Tor. Eine Staubwolke umhüllte die Räder, als er gemächlich die Einfahrt entlangrollte. Ich holte tief Luft und trat von der letzten Stufe.