Dagebliebene - Reiner Kotulla - E-Book

Dagebliebene E-Book

Reiner Kotulla

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Beschreibung

Eine Sammlung von Erzählungen über die DDR. Dabei geht es nicht um nostalgische Betrachtungen. Vielmehr wird versucht, die Kräfte zu beschreiben, die von Beginn an versucht haben, diesem deutschen Staat zu schaden, die nicht zulassen wollten, dass sich in der Deutschen Demokratischen Republik eine Gesellschaft entwickelte, die auf die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verzichtete, die getreu der Prämisse, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, handelte. Die globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat ist nicht nur falsch; sie kränkt auch die Bürger und Bürgerinnen dieses Staates. Die Protagonisten der Kurzgeschichten sind erfunden. Ihre historische Wahrheit beruht darin, dass sie zur Zeit des Bestehens der beiden deutschen Staaten unter den dort herrschenden Verhältnissen hätten existieren können.

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Seitenzahl: 266

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Reiner Kotulla

Dagebliebene

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte:                             © Copyright by Reiner KotullaUmschlag:              © Copyright by Reiner Kotulla

Verlag:                            Reiner Kotulla, 2019

Martinskirchweg 1835638 [email protected]

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Dagebliebene

 

Erzählungen zum verdeckten Krieg gegen die DDR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Reiner Kotulla, geboren in Berlin (später DDR), war Betriebsschlosser, Schlosser unter Tage, Bauhilfsarbeiter, Soldat und Lehrer, bis er 2000 mit dem Schreiben begann. „Seine Romane bieten linke Gesellschaftskritik neben Unterhaltung, Fiktion, Spannung, Lokalkolorit und Erotik“, meinte letztens jemand, der seine Überzeugungen teilt.

 

 

 

 

 

Die Geschichtserzählungen sind frei erfunden. Alle Figuren in diesen Erzählungen, mit Ausnahme der namentlich angeführten historischen Persönlichkeiten, sind Erfindungen des Erzählers. Keine ist identisch mit einer toten oder lebenden Person. Ihre historische Wahrheit beruht darin, dass sie zur Zeit des Bestehens der beiden deutschen Staaten DDR und BRD und den dort herrschenden Verhältnissen hätten existieren können.

 

Mein besonderer Dank gilt Brigitte Müller, die mich immer wieder auf Fehler hingewiesen hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Vorwort...........................................................................................................7

Prolog...........................................................................................................9

Er hat mich vergewaltigt (1949)...........................................................................................................17

Druschba (1950)...........................................................................................................30

Wir waren dabei (1951)...........................................................................................................43

Buttertransport und Pappmascheehäuser (1953)...........................................................................................................60

Sie trugen funkelnagelneue Bauarbeiteranzüge (1953)...........................................................................................................63

Bei einem Feuergefecht… (1953)...........................................................................................................70

Das Kilo Kupfer kostet heute drei Mark (1954)...........................................................................................................75

Klubhaus oder Nietenhose(1956)..................................................79

Plötzlich war das alte Geld wertlos (1957)...........................................................................................................84

Schade, ich würde sie gerne wiedersehen (1958/1990 )...........................................................................................................93

Die Sache mit Jutta (1958)...........................................................................................................112

Die Rache des Großbauern (1959)...........................................................................................................120

Da fiel der zweite Schuss (1975)...........................................................................................................143

Den Spaziergänger verschweigt er (1979)...........................................................................................................164

Im Westen waren gerade Mäntel mit Bindegürtel modern (1979)...........................................................................................................171

Ich brauche nur ein Passbild (1987)...........................................................................................................174

Den sollte er jetzt verraten? (1987)...........................................................................................................187

Das Haus denen, die es erhalten! (1995)...........................................................................................................197

Sie wissen schon, Filmleute (2010)...........................................................................................................203

Epilog...........................................................................................................210

Die DDR – nur eine Fußnote der Geschichte?...........................................................................................................220

 

Vorwort

 

Seit Jahren kann man beobachten, dass in Film-, Bild-, Ton- und Textproduktionen über die Deutsche Demokratische Republik dieser Staat auf Flucht, Stacheldraht und Stasi reduziert wird. Unter dem Vorwand der „Geschichtsaufarbeitung“ wird die DDR systematisch delegitimiert, kriminalisiert und denunziert.

Hinzu kommt der ständige Gebrauch diffamierender Begriffe wie „SED-Diktatur“ und „Unrechtsstaat“.

Über letzteren bemerkte der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde 2015: „Die globale Kennzeichnung der DDR als Unrechtsstaat ist nicht nur falsch, sie kränkt auch die Bürger und Bürgerinnen der ehemaligen DDR.“1

In vielen Gesprächen mit „geborenen“ DDR-Bürgern habe ich erfahren, dass es in der DDR auch ein Leben neben den oben genannten Faktoren gab.

Dieses Leben zu beschreiben, bleibt Autoren vorbehalten, die vorurteilsfrei das Wirken der „Dagebliebenen“ aufzeichnen.

Meine Geschichtserzählungen sollen der Aufklärung unter der folgenden Fragestellung dienen:

Wer? Warum? Gegen wen?

Der Gang der Geschichte war immer eine Abfolge von Aktion und Reaktion. Und da wir Menschen unser Leben immer unter konkreten Umständen gestalten, und weil die vorgefundenen Umstände nicht Resultat eigenen Handelns sind, sondern Erbe, kann man die Vergangenheit nur in ihrer Entwicklung und im jeweiligen Kontext betrachten.

Die Erzählungen sollen Geschichte anschaulich machen, konkret und verständlich.

Sie arbeiten mit allen epischen Mitteln, auch denen der Perspektive und können damit den Lesern den Stoff besonders nahebringen, indem sie Gefühle wecken, laden sie zur Identifikation ein und stiften Kontakte zwischen Lesern und Akteuren.

Historische Erzählungen erhöhen die Vorstellungskraft und das Interesse an Geschichte. Sie können das vorhandene Geschichtsbild erweitern und festigen.

Sie haben vor allem dort ihre Berechtigung, wo es darauf ankommt, dem Leser Vergangenes, Alltägliches lebendig und gefühlsbetont darzustellen. Sie ermöglichen ihm echte Anteil- und Parteinahme sowie Wertungen und Schlussfolgerungen.Ich versuche, mit meinen Kurzgeschichten Kräfte zu beschreiben, die von Anbeginn versucht haben, diesem deutschen Staat durch Sabotage, Spionage, Diversion, Abwerbung, Hetze, mediale Manipulation und andere Mittel zu schaden. Sie wollten nicht zulassen, dass sich in der Deutschen Demokratischen Republik eine Gesellschaft entwickelt, die auf Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verzichtete. Die getreu der Prämisse, von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, handelte.Zum Verständnis der jeweiligen historischen Situation wird jeder Kurzgeschichte ein Text „Zur Sache“ nachgestellt.

Diese Vorgehensweise folgt dem Forschungsansatz „vom Einzelnen zum Allgemeinen“. Indem subjektive Erlebnisse in einen historischen Kontext (Text „Zur Sache“) gestellt werden, wird vermieden, dass sie als Einzelerscheinungen abgetan werden können, die keinen Bezug zur allgemeingesellschaftlichen Realität haben.

 

Prolog

 

Wanderer kommst du nach B (1945)

 

Ein wenig schwerfällig, denn er war in die Jahre gekommen, bewegte sich Wasja durch die Straßen der zerstörten Stadt, dem Ziel seiner Reise. Lange hatte seine Kindheit nicht gedauert, da musste er schon die Heimat verlassen.

Eiskalt war es im Wald, im Osten des riesigen Landes, wo er aufgewachsen war. Und das meist draußen auf eisigem Boden. Seine Mutter, Soja, war eigentlich noch viel zu jung für diese Aufgabe gewesen. Doch danach hatte keiner gefragt.

Bald nachdem sie ein letztes Mal Hand an ihn gelegt hatte, war sie den anderen in die Wälder gefolgt, um seinesgleichen, die auf Schienen hierhergebracht werden sollten, zu vernichten.

Weil sie nicht wusste, wohin es ihn verschlagen würde, hatte sie ihm eine Nachricht beigelegt. „Sorge dafür unbekannter Genosse“, hatte sie geschrieben, „dass Wasja überlebt.“

Lang und entbehrungsreich war sein Weg gewesen, und nun war Wasja in die Jahre gekommen. Mühsam bewegte er sich jetzt auf der Straße, die einmal den Namen Stalinallee tragen sollte. Gähnende Ruinen rechts und links, das Feuer erloschen, der Gestank nach Verbranntem erhalten geblieben.

Manchmal wirkten die Restfassaden wie eine Theaterkulisse: ein Schlafzimmer, das Ehebett und darüber an der Wand das Bild mit den pausbackigen Engelchen, eine Küche, von der die Ecke mit dem Kochherd stehen geblieben war oder ein Wohnzimmerrest mit Sofagarnitur und darüber das Bild des Führers.

Doch Wasja war nicht allein, eine ebenso alte Genossin folgte ihm in gemessenem Abstand. In der Steppe hatten sie sich kennen gelernt. Nina und er sollten am Ziel zusammenbleiben, wenn auch wiederum auf Abstand. Stolz und Achtung gebietend, würden sie einer erneut feindlichen Umwelt trotzen.

Sie erreichten die Straße, von der der Fackelspuk ausgegangen war. Respektvoll umfuhren sie das Tor, durch das 45 Jahre später ein neuer Herr, ebenso gemessenen Schrittes gehend, der immerhin von Befreiung sprechen würde. Und genau deshalb hatten Nina und Wasja die Strapazen auf sich genommen.

Bald dröhnten und schepperten die beiden hintereinander her – die letzten Meter – bis sie schließlich nebeneinander zum Stehen kamen, darauf wartend, den letzten Schritt zu tun, damit sie endlich Ruhe finden konnten.

So entbehrungsreich ihr Weg auch gewesen war, erinnerten sich beide gerne daran, wie sie die Banditen das Fürchten gelehrt hatten. Natürlich nicht alleine, viele waren sie gewesen, die unter dem Kommando des Marschalls am 8. Mai 1945 Berlin befreiten.

Und Wanderer, wenn du nach Berlin kommst, vergiss nicht, den beiden Panzern vom Typ T34/76 im Tiergarten, denen man die Namen Nina und Wasja hätte geben können, einen Besuch abzustatten. Gedenke ihrer Kommandanten, Iwan und Pawel, der Fahrer Viktor und Boris, der Ladeschützen Oleg und Dimitrij, der MG-Schützen Andrej und Artjom und der Funker Michail und Igor.

Und bitte, lass dich nicht abermals dazu verführen, dieses riesige Land im Osten erneut erobern zu wollen! Denke an das Schicksal deiner Vorväter, die bei Stalingrad und anderswo in die Flucht geschlagen wurden, unter anderem von Nina, Wasja und seiner Mutter Soja, der Partisanin und Dreherin.

 

An Ereignisse im vierten Lebensjahr, so sagt man, erinnert sich in der Regel ein erwachsener Mensch. Das war im April 1945. Meine Mutter, den Kinderwagen, in dem das Notwendigste verpackt war, vor sich herschiebend, mich an der Hand, auf dem Weg in die Prinz-Adalbert-Straße von Berlin-Karlshorst.

Daran erinnere ich mich heute. Aus einem Fenster des vierstöckigen Hauses schlugen Flammen, ein unauslöschbares Bild.

„Das war dein Kinderzimmer“, sagte meine Mutter. Eine der berüchtigten Phosphorbrandbomben, in der Form einem Bleistift ähnlich, war vom Dach bis in den Keller geschlagen und hatte unterwegs alles verbrannt.

Über das danach berichtete meine Mutter später: „Deine Tante Edith und ich, wir hielten im Krieg und danach vor allen Dingen in der Sorge um dich, zusammen. Während ich meinem Dienst bei der Stadtverwaltung nachkam, kümmerte sich Edith vorwiegend um dich. Du bist für sie immer wie ein Sohn gewesen, was mich oft eifersüchtig machte, doch mein Glaube an den Endsieg ließ mich bis zuletzt meiner Dienstpflicht nachkommen. Oftmals lief ich auf dem Weg zu meiner Dienststelle oder nach Hause durch brennende Straßen, rettete mich ständig in Sekundenbruchteilen vor herabstürzenden Häuserwänden. Und dann, Ende April 45, wurde auch das Dienstgebäude ein Opfer der Brandbomben und ich war meiner Verantwortung entbunden.

Edith und ich begaben uns mit dir auf die Suche nach einer Unterkunft. Abwechselnd schoben wir den Kinderwagen, den du zum Glück kaum noch brauchtest, vor uns her. In ihm hatten wir unsere ganze Habe, zum Beispiel die uns damals noch wichtig erscheinenden Papiere und Dokumente untergebracht.

Gähnende Ruinen rechts und links der Frankfurter Allee, das Feuer erloschen, der Gestank nach Verbranntem erhalten geblieben.

Manchmal wirkten die Restfassaden wie eine Theaterkulisse: ein Schlafzimmer, das Ehebett und darüber an der Wand das Bild mit den pausbackigen Engelchen, eine Küche, von der die Ecke mit dem Kochherd stehen geblieben war oder ein Wohnzimmerrest mit Sofagarnitur und darüber das Bild des Führers.

Bald erkannten wir die Nutzlosigkeit dieser Wohnungssuche, wollten dir weitere solcher Bilder ersparen und traten den Rückweg nach Karlshorst an.“

Das zweite, mir in Erinnerung gebliebene Bild: eine Leiche im abgesoffenen U-Bahn-Schacht.

Erst viel später erfuhr ich die Ursache: Auf dem Grund eines Spreekanals hatten sie die Ladung explodieren lassen, die ein Loch in die U-Bahn-Schachtdecke riss, durch das Millionen Kubikmeter Wasser in die Tunnel stürzten und die dort vor den Fliegerbomben Schutzsuchenden tötete.

Nein, das waren keine bolschewistischen Untermenschen gewesen, es waren die Ehre-Treue-Herrenmenschen, die in fanatischer Mordlust dem letzten Befehl ihres Führers „nach mir die Sintflut“ gefolgt waren, die Eigenen also.

Weiter berichtete meine Mutter: „Damals auf der Frankfurter Allee hätte sich keine von uns beiden vorstellen können, dass Edith dereinst in dieser Straße, die dann den Namen Stalins trug, eine schöne Wohnung beziehen sollte.

Jetzt erst einmal blieb uns nur noch die Gartenlaube als Zufluchtsort. Am Abend auf dem Weg dorthin, das Siegesfeuerwerk der Roten Armee am Himmel, haben wir beide bitterlich um Deutschland geweint, ob der Bolschewisten Sieg.“

 

Zur Sache

Der zweite Weltkrieg stellt ein Warnungszeichen an die gesamte Menschheit dar, den Weg des hemmungslosen Machtkampfs und der schrankenlosen Zerstörung zu beenden. Auf drei Kontinenten wurde von 1939 bis 1945 mit bis dahin nicht erlebter Rücksichtslosigkeit gegenüber jedem menschlichen Leben vom deutschen Faschismus und seinen Verbündeten ein Eroberungskrieg geführt, dessen Ziel die Ausrottung und Unterwerfung anderer Nationen und rassistisch ausgegrenzter Menschengruppen war.

Über 50 Millionen Menschen verloren ihr Leben – zum Ende zeigten die Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki, dass nun die Mittel zur völligen Vernichtung der Menschheit den westlichen Militärmächten zur Verfügung standen. Wer aus seiner Geschichte nicht lernt, ist verurteilt, solche Verbrechen und die selbst verschuldeten, ungeheuren Katastrophen erneut zu erleben.

Es gilt, die denkwürdige Klarstellung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der am 8. Mai 1985 sagte: „Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund der Vergangenheit und nach vorn in eine ungewisse dunkle Zukunft. Und dennoch wurde von Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle gemeinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“

Und Weizsäcker weiter: „Es ist ein historisches Faktum: Ohne die Übertragung der Macht an die Hitler-Clique 1933 durch die damals in Deutschland herrschenden Kreise hätte es kein 1939 gegeben. Ohne diesen Pakt von Kapital und Konzernen, von Antikommunisten und Antisemiten hätte es weder Krieg noch Völkermord und Holocaust gegeben. Und darum hätten 1945 nicht die Völker über Deutschland zu Gericht sitzen müssen. Sie taten es - zwangsläufig. Wenn wir also über Ursache und Folgen reden, müssen wir sehr früh beginnen.

In Jalta entschieden im Februar 1945 die drei Hauptmächte der Antihitlerkoalition über die Bildung von Besatzungszonen. Stalin, so ist überliefert, wollte auf diese Weise verhindern, dass der Plan des US-Finanzministers Henry M. Morgenthau verwirklicht würde. Dieser sah die vollständige Deindustrialisierung vor. Deutschland sollte binnen zwanzig Jahren in ein Agrarland verwandelt werden. Der Morgenthau-Plan favorisierte ferner die Bildung eines Norddeutschen Staates, eines Süddeutschen Staates und einer Internationalen Zone im Ruhrgebiet. Die Sowjetunion wollte — trotz der Bildung von Besatzungszonen — Deutschland als Ganzes erhalten.“2

Nachdem die Sowjetarmee und polnische Truppen im März 1945 die Oder-Neiße-Linie erreicht und die anglo-amerikanischen Streitkräfte den Rhein überschritten hatten, begann die letzte Phase des zweiten Weltkrieges in Europa. Das faschistische Oberkommando konzentrierte seine stärksten Divisionen im Raum von Berlin (1 Mill. Mann). Am 16.4.1945 traten die sowjetischen Armeen an Oder und Neiße zur Berliner Operation an. Sie stellten am 25.4.1945 die Verbindung mit den amerikanischen Truppen bei Torgau an der Elbe her, kesselten Berlin ein und zwangen es am 8.Mai 1945 zur Kapitulation. Am 30. 4. 1945 hatte sich Hitler im Bunker der Reichskanzlei durch Selbstmord seiner Verantwortung entzogen. In vielen Orten Deutschlands verhinderten Antifaschisten und andere mutige Patrioten, dass faschistische Offiziere und SS-Einheiten den Widerstand fortsetzten bzw. sinnlose Zerstörungen anrichteten. Die Häftlinge der Konzentrationslager Buchenwald und Mauthausen zum wesentlichen Teil sich selbst befreiten.

Am 8. Mai 1945 kapitulierte Hitlerdeutschland in Berlin-Karlshorst vor den Mächten der Antihitlerkoalition. Die von deutscher Seite durch Generalfeldmarschall Keitel und Vertreter der Luftwaffe und der Marine unterzeichnete Kapitulationsurkunde bestimmte die Feuereinstellung aller faschistischen Streitkräfte ab 8. Mai 1945, 23.01 Uhr, und die bedingungslose Übergabe.

 

Der T-34 (von russisch танк für Panzer) war ein mittlerer Panzer aus sowjetischer Produktion. Er wurde von 1940 bis 1958 gebaut und von der Roten Armee hauptsächlich im Großen Vaterländischen Krieg eingesetzt. Er gilt als bekanntester sowjetischer Panzer des Krieges. Seine einfache Bauweise ermöglichte eine hohe Massenproduktion unter zum Teil schwierigsten Bedingungen, auch außerhalb von Fabrikgebäuden in Sibirien. Er war mit über 50.000 Exemplaren der meistgebaute Panzer des Zweiten Weltkrieges und mit insgesamt über 80.000 einer der meistgebauten Panzer überhaupt. Der T-34 war zur Zeit des deutschen Überfalls 1941 allen deutschen Panzern klar überlegen. Durch seine enorme Überzahl trug er maßgeblich zum Sieg der Roten Armee bei.

 

Sowjetische Ehrenmale in Berlin

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden im Stadtgebiet von Berlin vier sowjetische Ehrenmale angelegt. Sie sollten an die getöteten Rotarmisten erinnern, insbesondere an die etwa 80.000 Soldaten, die bei der Schlacht um Berlin gefallen waren. Diese Ehrenmale sind nicht nur Denkmale an den Sieg. Sie sind gleichzeitig auch Gedenkstätten, in Verbund mit Soldatenfriedhöfen und somit sowjetische Kriegsgräberstätten in Deutschland. Das zentrale Ehrenmal ist die große Anlage im Treptower Park. Daneben entstanden die Ehrenmale im Großen Tiergarten, in der Schönholzer Heide und das Ehrenmal im Bucher Schlosspark (Stadtbezirk Berlin-Buch). Die beiden letztgenannten befinden sich im Bezirk Pankow.

Das Ehrenmal im Tiergarten wurde auf Grund eines Beschlusses des Kriegsrats der 1. Weißrussischen Front von den Bildhauern Lew Kerbel und Wladimir Zigal gemeinsam mit dem Architekten Nikolai Sergijewski entworfen und an der damaligen Charlottenburger Chaussee errichtet. Dieses Ehrenmal ist das letzte auf dem Kampfweg der 1. Weißrussischen Front von Küstrin über Seelow bis Berlin. Am 11. November 1945 wurde es mit einer Parade der alliierten Truppen eingeweiht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Er hat mich vergewaltigt (1949)

 

Durch das kleine Fenster der Gartenlaube beobachtet Waltraud Tag für Tag die Streife, die ihren Postengang entlang der Telegrafenleitung absolvieren. Sie erinnert sich daran, was man ihnen immer wieder eingebläut hatte, dass das keine Menschen eher sibirische Tiere seien.

Einmal waren es nicht zwei, sondern drei Soldaten gewesen. Waltraud holte aus der Truhe das Fernglas, das einzige Andenken an den Geliebten, der bei Stalingrad gefallen war, und richtete es auf die drei. Zwei trugen keine Kopfbedeckung, hatten das Käppi unter die Schulterklappen geschoben. Ihre kahl geschorenen Schädel glänzten in der Sonne. Der dritte trug eine große runde Uniformmütze, dass sie sein Gesicht kaum erkennen konnte.

Die junge Frau nahm ihren ganzen Mut zusammen, verstaute das Fernglas wieder in der Truhe. Die Hand schon auf der Türklinke, zögerte sie, doch ihre Neugier überwog die Angst.

Die Soldaten sahen Waltraud nicht, als sie vor die Laubentür trat, also rief sie laut „Hallo!“

Der mit der großen Mütze, ein Leutnant, wandte seinen Kopf, blickte zu ihr hin und bedeutete den anderen zu halten. Auf halbem Wege trafen sie sich. Nacheinander blickte sie den drei Soldaten ins Gesicht. Auf den ersten Blick konnte sie darin nichts Tierisches entdecken. Deshalb nahm sie all ihren Mut zusammen, sah dem mit der großen runden Mütze in die Augen, stotterte ein wenig als sie die drei einlud.

Dann saßen sie um den Tisch auf der kleinen Wiese vor der Laube, tranken vom Kaffeeersatz, den man hier Muckefuck nannte, sprachen vom Wetter und sonst Wichtigem. Die beiden Postengänger verstanden kein Deutsch, sodass der Leutnant alles übersetzen musste.

Zuerst blickte Waltraud von einem zum anderen, während sie sprach, bis sie schließlich nur noch dem Leutnant in die Augen schaute. Leicht schräg gestellt, registrierte sie, dass sie ihn fragte, woher er käme. „Kasachstan, genau genommen aus der kasachischen Sowjetrepublik“, seine Antwort und sie weiter fragte, wo er gelernt hatte, so gut Deutsch zu sprechen. Da erzählte er von seinen Eltern, die schon in den 1930 er Jahren von der Wolga in den Osten gezogen waren. Er war zweisprachig aufgewachsen und hatte sich direkt nach dem Überfall der Hitler-Faschisten auf die Sowjetunion freiwillig zum Militär gemeldet.

„Überfall“, ging es Waltraud kurz durch den Kopf, Russlandfeldzug nannte sie es bisher.

„Darf ich fragen, wie sie heißen, gnädiges Fräulein?“

Da musste Waltraud lachen.

„Warum lachen Sie?“

„Gnädiges Fräulein hat mich noch nie jemand genannt. Ich heiße Waltraud und sie?“

„Wladimir Neubauer.“

„Sonst waren es immer nur zwei Soldaten, die hier vorbeikamen?“

„Nun, es hat Sabotagefälle an der Telegrafenleitung gegeben. Da müssen wir nachforschen.“

Einen Moment zögerte Wladimir, bevor er weitersprach.

„Ihnen ist da wohl nichts aufgefallen?“

Was meinte er wohl mit dieser Frage? Dachte er etwa sie oder jemand aus der Siedlung würden da etwas kaputtmachen? Und wenn, sie würde doch keinen Landsmann verraten. Das sagte sie ihm nicht, verneinte lediglich seine Frage.

„Na dann“, sagte Wladimir, bedankte sich für den Muckefuck auch im Namen seiner Kameraden.

Waltraud blickte den dreien hinterher. Ein wenig enttäuscht war sie. Wladimir, ein schöner Name dachte sie.

Tags darauf waren es wieder nur zwei Soldaten, und kurz überlegte Waltraud, sie nach Wladimir zu fragen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.

Dann, drei Tage später, hielt ein Geländewagen vor dem Gartentor. Waltraud saß vor der Laube, hatte eine Pause bei der Gartenarbeit eingelegt. Sie wusste sofort, das konnte nur Wladimir sein. Sie sprang auf, rannte los, beherrschte sich und tat gelassen.

„Holdes Fräulein, darf ich es wagen?“

„Wie bitte?“ Ihre verblüffte Reaktion.

„Das sagt Heinrich zu Gretchen, weil er sie kennenlernen will.“

Eher auf Verdacht reagierte Waltraud: „Goethes Faust, ich vermute?“

Wladimir lachte dieses offene jungenhafte lachen, das sie schon an ihm kannte.

„Im Ernst, ich möchte mich für die Einladung revanchieren und sie nun meinerseits zum Kaffee einladen.“

Waltraud freute sich, dass sie beinahe sofort die Gartentür geöffnet hätte. Doch sie besann sich.

„Ich kann doch so nicht mit ihnen gehen“, sagte sie an sich hinunterblickend.

„Ich kann warten, da sie zugesagt haben.“

Frauen, denkt Wladimir, da Waltraud 10 Minuten später immer noch nicht zurück war. Als sie dann verhaltenen Schrittes den Gartenweg herunterkam, schaute er ungläubig. Waltraud trug ein geblümtes Sommerkleid zu einfachen Sandaletten, an den nackten Füßen. Das Band entfernt, viel ihr das lange braune Haar bis auf die Schultern.

„Verweile doch…“, begann Wladimir.

„Schon gut, Herr Soldat, genug des großen deutschen Dichters. Man sagt ja, dass russische“, sie stockte, „das sowjetische Soldaten einiges an deutscher Kultur kennen.“

Inzwischen waren sie in Karlshorst, dem Sitz der sowjetischen Militäradministration angekommen. Waltraud hatte davon gehört, auch vom „Russen Magazin“, wie der Laden genannt wurde. Schließlich führte Wladimir sie ins Offizierskasino. Bei Kaffee und Kuchen und Gesprächen über ihr bisheriges Leben verging der Nachmittag und es sollte nicht der letzte gewesen sein.

Die nächsten Tage brachten für Waltraud eine derartige Veränderung ihres Lebens, derer sie sich erst viel später bewusst wurde. Ernst, mit dem sie die große Liebe erlebt hatte, war in Russland gefallen, als ein Held, wie es in dem Brief gestanden hatte. Erschossen von einem, der möglicherweise auf Befehl des Leutnant Wladimir Neubauer gehandelt hatte. Sie wusste von den Scharfschützen der Roten Armee, die, wie es hieß, feige aus sicherer Position nur darauf warteten, dass sich ein armer Landser eine Zigarette anzündete, um den Abzug an seinem Scharfschützengewehr durchzuziehen.

Sie erzählte Wladimir davon, der betroffen war, ehrlich ergriffen. Allerdings stelle er ihr die Frage, die sie sein Handeln verstehen ließ. „Wenn dich jemand in deiner Laube überfällt, dich vergewaltigt und deine Kinder tötet, am Ende die Laube anzündet. Was würdest du tun, hättest du ein Gewehr und die Gelegenheit, den Verbrecher zu bestrafen?“

Waltraud musste nicht lange nachdenken, zu sagen, dass sie den Tod ihrer Kinder rächen würde.

„Und genau das, Waltraud, ist vielfach in unserem Land geschehen. Deine Leute haben uns überfallen, haben gemordet, geschändet und vergewaltigt. Wir mussten uns verteidigen, mussten unsererseits Töten.“

„Und haben nicht viele von euch deutsche Frauen vergewaltigt?“

„Ja, das hat es gegeben, aber wurde es bekannt, entgingen die Täter ihrer Strafe nicht.“

Waltraud hörte ihn an, war sich aber nicht sicher, ob sie seinen Worten Glauben schenken sollte. Seiner Liebe jedenfalls konnte sie sich nicht erwehren. Nein, gestand sie sich ein, sie liebte diesen Rotarmisten, und was sie besonders erstaunte, war, dass er sie die Liebe zu Ernst vergessen ließ. Langsam zwar, doch beständig.

Dann, eines Tages, wusste Waltraud Berger, dass sie schwanger war. Nie war sie es gewesen, die bestimmte, wann sie sich treffen konnten.

Das war natürlich von seinem Dienst abhängig. Er kam, wann er konnte. Drei Tage sah sie ihn nicht, da wurde sie unruhig. Jetzt, mit dem Wissen um ihren Zustand, konnte sie es nicht abwarten, fuhr nach Karlshorst, meldete sich bei der Kommandantur.

Zuerst wollte man ihr keine Auskunft geben, doch Waltraud ließ nicht locker, bis man sie zum Büro eines Offiziers brachte, der sie anhörte. Dessen offene und freundliche Art bewirkte, dass es sich Waltraud getraute, die Wahrheit zu sagen.

Als der Mann hörte, dass Waltraud ein Kind von dem Oberleutnant erwartete, änderte sich dessen Gesichtsausdruck.

„Fräulein Wendorf, so leid es mir für sie tut, darf ich keine dienstlichen Angaben über den Mann weitergeben, den sie für den Vater ihres Ungeborenen halten. Ich werde ihre Personalien aufnehmen, man wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“

Natürlich wusste der Offizier mehr, war darüber informiert, dass Wladimir Neubauer, wegen dieser Affäre, wie man es nannte, in den Norden der sowjetischen Besatzungszone versetzt worden war, mit der strikten Anweisung, jegliche Verbindung zu Waltraud Wendorf abzubrechen. Es herrschten hier strenge Anordnungen, was die Beziehungen zwischen Soldaten der Roten Armee und deutschen Frauen betraf. Auch deshalb, weil es manchmal falsche Anschuldigungen zum Beispiel den Vorwurf der Vergewaltigung gab.

All das konnte Waltraud nicht wissen. Sie sah sich von Wladimir verraten, unterstellte ihm Feigheit und Flucht. All das, was man ihnen in der Hitler Zeit über die Russen eingehämmert hatte, tauchte wieder auf, führte dazu, dass Waltraud zu hassen begann.

Da saß sie nun in ihrer Laube, deren Dach undicht, der Ofen ein Wrack und die Gartenpumpe im Winter eingefroren war. Wie sollte sie unter diesen Umständen ein Baby versorgen? Jetzt war es August, und noch immer hoffte sie auf ein Lebenszeichen von Wladimir. Was sie nicht wissen konnte war, dass der Oberleutnant nichts unversucht gelassen hatte, Kontakt mit Waltraud aufzunehmen. Das allerdings auf dem so genannten Dienstweg, und der war auch bei der Roten Armee oft sehr lang.

Waltrauds Gedanken kreisten fast ausschließlich um den ständig näherrückenden Geburtstermin. Natürlich bemühte sie sich beim Wohnungsamt im sowjetischen Sektor Berlins um eine geeignete Unterkunft. Doch das konnte unter den Umständen die in den vierziger Jahren herrschten, kaum gelingen. So folgte sie schließlich dem Rat einer Freundin, der es nach der einseitigen Währungsreform in Westberlin materiell nicht so schlecht ging und meldete sich bei der entsprechenden Stelle dort als Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone. Als Grund für ihre Flucht gab sie an: „Ich bin von einem russischen Soldaten vergewaltigt worden und nun schwanger.“

Das verschaffte ihr Öffentlichkeit und Zuwendungen. Damit war ihr Fall ein gefundenes Fressen für die Presse im Westen der Stadt.

Zur Sache

Viele alliierte Soldaten vergewaltigten und missbrauchten deutsche Frauen nach Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zu den Gräueltaten kam es nicht nur im Osten.

Nach den Niederlagen der Wehrmacht im Osten und im Westen stieg die Angst der Deutschen vor allem in den Ostgebieten vor der Vergeltung durch sowjetische Truppen. Einen großen Teil dazu trug die Propaganda der NS-Führung bei, die nicht müde wurde, vor den „animalischen“ Soldaten aus der Sowjetunion zu warnen. Bekannt war das Bild, das die Faschisten von dem Sowjetsoldaten zeichneten, einem Plakat, auf dem ein Menschenaffe in der Uniform der Roten Armee mit gezogenem Dolch abgebildet war.

„Lass uns ein bisschen Spaß haben“, befahl der Offizier der japanischen Armee

dem Mädchen, „du siehst hübsch aus.“ Dann zeigte er ihm sein Geschlecht.

‚Ich fürchtete mich so. Er nötigte mich, mich auf den Boden zu legen, und verletzte

mich mit seinem Bajonett. Er zog mir die Hose aus und vergewaltigte mich, bis ich blutete.‘ Die Szene, die die Koreanerin Kim Young Suk im Dezember 2000 vor einem inoffiziellen Kriegsverbrechertribunal in Tokio schilderte, könnte sich so oder so ähnlich auch in Weißrussland abgespielt haben. Oder in Frankreich. Oder in Deutschland. Niemals seit dem Dreißigjährigen Krieg wurden in einem Kampf so viele Frauen und Mädchen vergewaltigt wie im Zweiten Weltkrieg. Millionen mussten ‚bekennen‘, wie deutsche Frauen damals verschämt sagten. Zehntausende starben an den Folgen, wurden umgebracht oder begingen Selbstmord. (…) Oft waren die Opfer noch Kinder wie Kim Young Suk. Bis zu 40 Freier hatte die damals Zwölfjährige täglich zu ertragen. Einer brach ihr dabei den Arm. Während über die Gräueltaten der Russen und der Japaner erste Untersuchungen vorliegen, gibt es zu den Übergriffen der westlichen Alliierten bisher wenig wissenschaftliches Material. Nur 487 Vergewaltigungsprozesse zwischen März und April 1945 sind bei den 1,6 Millionen US-Soldaten in Deutschland aktenkundig. Über Belästigungen von Frauen durch die Briten liegen keine Berichte vor. Den schlechtesten Ruf unter den Westalliierten erwarben sich die Franzosen. Bei der Einnahme von Stuttgart und Pforzheim etwa kam es zu Massenvergewaltigungen. Im württembergischen Freudenstadt missbrauchten französische Besatzungssoldaten Bewohnerinnen des Ortes tagelang. Und die Landser der Wehrmacht? Wie hielten sie es mit der von ihnen geforderten „Manneszucht“? Dass Angehörige der SS Frauen nicht verschonten, ist bekannt. Die Wehrmacht dagegen galt lange Zeit als ‚sauber‘. Eine neue Studie der Historikerin Birgit Beck weist jetzt nach, dass Soldaten der Wehrmacht an Verbrechen gegen Frauen beteiligt waren. Zwar berücksichtigte die Wehrmachtsführung die sexuellen Bedürfnisse ihrer Soldaten, etwa indem sie ihnen – anders als die Rote Armee – regelmäßig Fronturlaub gab. Auch ließ die deutsche Armee in allen besetzten Gebieten Bordelle einrichten. Doch bis heute ist nicht erforscht, wie viele der Frauen, die in den rund 500 Wehrmachtsbordellen arbeiteten, dazu von den Deutschen gezwungen wurden. Augenzeugen berichteten in dem Dokumentarfilm „Frauen als Beute“, dass Russinnen und Jüdinnen, etwa aus Konzentrationslagern, aber auch von der Straße weg in die Soldatenpuffs im Osten verschleppt wurden. Auch auf dem westlichen Kriegsschauplatz ist Zwangsprostitution nachweisbar. So wurden Französinnen aus Internierungslagern in Wehrmachtsbordelle gebracht und zur Prostitution gezwungen. Für Beck ist dies ein Beleg dafür, dass sexuelle Gewalt bei der deutschen Armee institutionalisiert war. Für ihre Studie hat die Wissenschaftlerin Prozessakten der Militärgerichte ausgewertet. Danach kam es in allen besetzten Ländern zu Vergewaltigungen. In Polen, in der Sowjetunion, aber auch in Frankreich oder Italien. Aktenkundig sind Einzel- sowie Gruppenvergewaltigungen. Die Opfer wurden mit Waffen bedroht, geschlagen, getreten. Morde sind hingegen kaum dokumentiert. In nur zwei der von Beck untersuchten Verfahren ging es um Sexualdelikte mit anschließendem Mord. Unklar sei aber, so Beck, ob es tatsächlich nur so wenige waren. Verdächtig ist die vergleichsweise kleine Zahl an Verurteilungen: Von den über 17 Millionen Wehrmachtssoldaten wurden bis 1944 gerade mal 5349 wegen ‚Sittlichkeitsverbrechen‘ bestraft. Insgesamt aber wurden Militärurteile gegen rund 1,5 Millionen Wehrmachtsangehörige gefällt – etwa wegen Fahnenflucht oder Selbstverstümmelung. Beck nimmt an, dass die geringe Zahl der geahndeten Sexualdelikte wenig über deren tatsächliches Ausmaß aussagt. Vielmehr sei Notzucht entweder gar nicht angezeigt worden, oder sie habe in den Augen der Militärrichter nur eine ‚untergeordnete Rolle‘ gespielt, vermutet die Historikerin.

Dass Übergriffe gegen Frauen im Besatzungsalltag häufiger vorkamen, als die

Aktenlage suggeriert, legen Indizien nahe. (…) Ein wesentlicher Faktor für die geringe Zahl der Verurteilungen dürfte der ‚Gerichtsbarkeitserlass Barbarossa‘ gewesen sein. Auf Anordnung Hitlers herrschte seit dem 13. Mai 1941 kein Verfolgungszwang mehr für ‚Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht gegen feindliche Zivilpersonen begehen‘. Der Erlass erklärte alle Zivilisten für vogelfrei.

Wie wenig die Militärjustiz gewillt war, Gewalt gegen Frauen hart zu ahnden, zeigt der Prozess gegen einen Obergefreiten, der wegen Vergewaltigung einer jungen Russin angeklagt war. Der Richter verurteilte den Mann wegen ‚Notzucht‘ zu 18 Monaten Gefängnis. Eine schärfere Strafe sei nicht nötig, da keine ‚besondere Schädigung des Ansehens der deutschen Wehrmacht‘ vorliege. Die Milde war verordnet. Schon 1940 befahl der Oberbefehlshaber des Heeres, General Walther von Brauchitsch, Soldaten, die bei der Vergewaltigung eine Waffe benutzt hatten, seien nicht als Gewaltverbrecher zu bestrafen. (…) Entschuldigend führte der General aus: ‚Das Leben unter völlig veränderten Bedingungen, starke seelische Eindrücke und zuweilen auch übermäßiger Alkoholgenuss

führen zu gelegentlichem Wegfall von sonst vorhandenen Hemmungen bei bisher bewährten und einwandfreien Soldaten.‘ Wie bei allen Armeen kam es auch bei den Deutschen zu Gruppenvergewaltigungen. (…) Viele Soldaten gaben auch schlicht dem Gruppenzwang bei den Vergewaltigungen nach. ‚Ich habe das Mädchen deswegen gebraucht‘, führte ein Soldat vor dem Militärrichter zu seiner Entschuldigung an, weil die anderen zu mir sagten: wenn wir sie schon gebrauchen, dann wollen wir sie auch alle gebrauchen.‘ In dem Film ‚Befreier und Befreite‘ von Helke Sander und Barbara Johr berichtet die Ärztin Renate Lutz über die Vergewaltigungen in Freudenstadt. Insgesamt 128-mal, so Lutz, sei eine ihrer Patientinnen in einer Nacht missbraucht worden. Die Angabe stammte von Familienangehörigen – das Opfer selbst war nach dem 15. Mal bewusstlos geworden. Auf die Qual der Vergewaltigung folgte für diese Freudenstädterin das Leiden an einer lebenslangen Ausgrenzung. Medizinerin Lutz: ‚Sie war sehr schlecht angesehen im ganzen Dorf.‘ Ein Schicksal, das Frauen in aller Welt teilen: Ob in Korea, in Russland oder Deutschland, eine vergewaltigte Frau gilt als ‚geschändet‘ und ‚entehrt‘. Nicht selten verließen Männer ihre missbrauchten Frauen, Väter töteten ihre Töchter. Dies lag im Kalkül der Täter: Mit den Vergewaltigungen sollten auch die Männer getroffen werden. Die (…) französischen Soldaten, die sich in Freudenstadt tagelang an den Frauen vergingen, sollten damit die Vernichtung des Ortes Oradour vergelten. In dem französischen Dorf hatten Angehörige der Waffen-SS 642 Bewohner, darunter viele Kinder, im Juni 1944 ermordet. Auch anderswo war Rache ein wichtiges Motiv für besonders brutale Vergewaltigungsexzesse. So missbrauchten Wehrmachtangehörige im Juli 1944 im Departement Ain in Südfrankreich massenhaft Frauen, um für französische Partisanenübergriffe Vergeltung zu üben. Und viele russische Soldaten, die in Ostpreußen, Pommern oder Berlin deutsche Frauen und Mädchen vergewaltigten, trieb der Wunsch nach Rache für die Verbrechen der Deutschen in der Sowjetunion an.“3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Druschba (1950)

 

Klaus Weber, mein Großvater, sah sich selbst eher als einen unpolitischen Menschen. Von den Nazis hatte er sich eine Verbesserung seiner Lebensumstände erhofft. Als es seiner Familie dann tatsächlich besser gegangen war, hatte der Krieg begonnen und er wurde eingezogen.

Ostfront, zum Glück nicht Stalingrad, sagte er, wenn er von diesem Krieg erzählte.

Schon vorher, aber dann erst recht während des Rückzuges, sei das kein herkömmlicher Krieg gewesen, nur noch Mord und Totschlag.

Einmal, auf dem Rückzug, seien sie in ein Dorf gekommen, völlig ausgelaugt, übernächtigt und hungrig. Die Öfen in den Häusern noch warm, doch von den Dorfbewohnern keine Spur.

Am dritten Tag, sie hatten sich inzwischen häuslich eingerichtet, hätten sie am nahen Waldrand Bewegungen beobachtet, nach den Gewehren gegriffen und seien in Stellung gegangen. Es wären Kinder gewesen, die sich nun zögernd dem Dorf näherten.

Der Leutnant hatte Posten eingeteilt, denn man wisse ja nie, hätte er gesagt, die Bolschewiken würden nicht davor zurückschrecken, Kinder als Schutzschild zu benutzen.

Doch die waren nähergekommen, und es hatte den Anschein gehabt, als würden sie ihr Spiel fortsetzen, das sie vor ihrer Flucht aus dem Dorf begonnen hatten.

Sie erschraken, als sie das Haus betraten und die fremden Soldaten erblickten. Dann seien sie doch näher gekommen und hätten Fragen gestellt. Zuerst hätten die Landser sie nicht verstanden, sagte mein Opa, doch dann, mit Händen und Füßen, wie er sich ausdrückte, „erkannten wir, dass sie Hunger und Durst hatten.

Wir gaben ihnen von den Vorräten, die wir im Keller gefunden hatten, und bald verloren sie ihre Scheu.“