Damit die Welt verwandelt wird - Anselm Grün - E-Book

Damit die Welt verwandelt wird E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Die sieben leiblichen und sieben geistlichen Werke der Barmherzigkeit sind ein wesentliches Thema im Christentum. Anselm Grün stellt Zeichen der Nächstenliebe vor und zeigt, wie diese im Alltag umgesetzt werden können. Oftmals sind Aufforderungen, wie "die Hungrigen speisen" nicht nur wörtlich gemeint, sondern beziehen sich auch auf seelische Anforderungen. Anselm Grün zeigt uns, wie wir mit Barmherzigkeit nicht nur anderen Menschen helfen, sondern auch die Welt positiv verändern und unser eigenes Glück finden können.

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Seitenzahl: 132

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2017

ISBN 978-3-7365-9003-8

Neuausgabe des 2008 im Gütersloher Verlag erschienen gleichnamigen Titels.

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0591-9

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Covergestaltung: Stefan Weigand, wunderlichundweigand

Portraitfoto Pater Anselm Grün: © Hsin-Ju Wu

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm Grün

Damit Welt verwandelt wird

Die sieben Werke der Barmherzigkeit

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Einleitung
Teil I Die leiblichen Werke der Barmherzigkeit
1 Hungrige speisen
2 Durstige tränken
3 Nackte bekleiden
4 Fremde beherbergen
5 Gefangene erlösen
6 Kranke besuchen
7 Tote begraben
Teil II Die geistigen Werke der Barmherzigkeit
1 Irrende zurechtweisen
2 Unwissende lehren
3 Zweifelnden recht raten
4 Trauernde trösten
5 Lästige geduldig ertragen
6 Denen, die uns beleidigen, gern verzeihen
7 Für Lebende und Tote beten
Schluss
Zitierte und weiterführende Literatur

Einleitung

Der biblische Text, auf den die sieben Werke der Barmherzigkeit zurückgehen, ist die große Gerichtsrede Jesu im Matthäusevangelium (Matthäus 25,31–46). Jesus spricht da von sich als dem Menschensohn und als dem König. Er wird beim Letzten Gericht die Menschen aus aller Welt zusammenrufen und sie voneinander scheiden. Zu denen, die er in seine Herrlichkeit einlädt, wird er sprechen:

Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ich habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.

Matthäus 25,34–36

Matthäus nennt die, die diese Liebeswerke vollbracht haben, Gerechte. Die Gerechten wundern sich nicht darüber, dass sie diese guten Werke für die Menschen getan haben, sondern darüber, dass sie Christus gespeist, getränkt, besucht und bekleidet haben. Sie haben nur den konkreten Menschen gesehen, aber nicht Christus. Doch Jesus antwortet ihnen:

Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Matthäus 25,40

Jesus identifiziert sich mit den Hungrigen, Durstigen, Fremden, Nackten, Kranken und Gefangenen. Dieser Text hat seit jeher die Christen bewegt. Er wurde als die Zusammenfassung des ganzen Evangeliums bezeichnet. Jesus beurteilt unser Christsein an unserem Verhalten gegenüber dem Nächsten. Am Ende unseres Lebens wird es darauf ankommen, wie wir unseren Mitmenschen begegnet sind und wie wir sie behandelt haben. Aber Jesus spricht hier nicht moralisierend. Vielmehr geht es in unserem Verhalten zum Nächsten um unsere Beziehung zu Jesus Christus, um die entscheidende Wirklichkeit unseres Glaubens. Auch wenn wir nicht darum wissen, so tun wir das, was wir dem Nächsten tun, letztlich Christus. Für Immanuel Kant war an diesem Text vor allem wichtig, dass wir die Liebe um ihrer selbst willen tun, und nicht, um Lohn davon zu erwarten. Die Befreiungstheologie hat diesen Text ins Zentrum ihrer Botschaft gestellt. G. Gutiérrez sieht diesen Text als Beweis, dass am Sakrament des Nächsten vorbei kein Weg zu Gott führt:

Denn die Liebe zu Gott kann nicht anders, als sich in der Liebe zum Nächsten ausdrücken.

Gutiérrez, Theologie der Befreiung 186, zit. bei Luz 523

Die Rede Jesu spielt vor allem auch im Dialog mit anderen Religionen eine wichtige Rolle. Die Liste von Liebeswerken, die Jesus von seinen Jüngern fordert, finden wir auch in anderen Religionen und ihren Texten, etwa im ägyptischen Totenbuch, in altbuddhistischen Texten und bei Ovid. Die Menschen wissen gar nicht, dass sie Christus im Mitmenschen dienen:

Die Norm, nach der der Menschensohn in Matthäus 25,31–46 die Menschen richtet, scheint nichts mit einer besonderen Religion zu tun zu haben; sie ist universal.

Luz 524

Paul Tillich sieht in Matthäus 25 einen Text, der

das Bild Jesu von einem Partikularismus befreit, welcher ihn zum Besitz einer bestimmten Religion machen würde.

Tillich Werke V, 66f, zit. bei Luz 524

Auch wenn wir Paul Tillich nicht folgen, so öffnet dieser Text die Botschaft Jesu dennoch für alle Menschen in allen Religionen. Wie wir uns dem Menschen gegenüber verhalten, darin wird letztlich unsere Beziehung zu Jesus Christus sichtbar, ganz gleich, ob wir an Christus glauben oder nicht, ganz gleich, ob wir im Bruder oder in der Schwester Christus erkennen oder nicht.

Schon die frühe Kirche hat die sechs Werke, die Jesus hier aufzählt, um das siebte Werk, die Bestattung der Toten, erweitert. Lactantius, der sprachgewaltige Prediger, hat zu Beginn des 4. Jahrhunderts diese Erweiterung im Blick auf die Stelle im Buch Tobit (Tobit 1,17) vollzogen. Er wusste noch – wie die gesamte frühe Kirche –, dass die Aufzählung der guten Werke einen biblischen Hintergrund hat. Gott fordert schon im Alten Testament die Menschen auf, dem Nächsten Barmherzigkeit zu erweisen. So verlangt Gott beim Propheten Jesaja statt des äußeren Fastens:

Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden, und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.

Jesaja 58,6f

In der jüdischen Auslegung der alttestamentlichen Texte, im Talmud, wird der Mensch immer wieder aufgerufen, Gott zu folgen, der die Kranken besucht (Abraham bei Mamre) und die Nackten bekleidet (Adam) und die Toten bestattet (Mose). Die rabbinische Theologie unterscheidet »Liebeswerke« von Almosen. Almosen beziehen sich auf Geldleistungen. Liebeswerke sind dagegen Taten, die den ganzen Einsatz der Person fordern. Nach einem jüdischen Text ruht die Welt auf drei Säulen, der Torah, dem Kult und den Liebeswerken. Und an den Liebeswerken entscheidet sich auch, ob der fromme Jude das Gericht besteht.

Schon Origenes hat die Werke der Barmherzigkeit nicht nur rein äußerlich verstanden, sondern sie spirituell ausgelegt. Die Hungernden speisen wird für ihn: die Brüder und Schwestern mit geistlicher Speise nähren. Beim Bekleiden denkt er an das Kleid der Weisheit, das wir den Menschen anbieten sollen. Den Bruder besuchen kann auch bedeuten, ihn zu trösten. Die spirituelle Schriftauslegung hat im Gefolge des Origenes die Werke der Barmherzigkeit als Bilder für unsere Beziehung zu Jesus Christus gesehen. So versteht Makarius die Gastfreundschaft als Einkehr Christi in der menschlichen Seele. Wir sollen nicht nur den Bruder in unser Haus aufnehmen, sondern Christus in das Haus unserer Seele einziehen lassen.

Der hl. Augustinus führt diese Tradition weiter. Er unterscheidet nun zwischen Wohltaten, die den Leib des Nächsten betreffen, und Wohltaten, die sich auf seine Seele beziehen. Diese Aufteilung in leibliche und geistige Werke der Barmherzigkeit wurde dann im Mittelalter weiter entfaltet. Thomas von Aquin entfaltet diese vierzehn Werke als Tugenden der Liebe. Im Mittelalter prägte man sich durch lateinische Merkverse die vierzehn Werke der Barmherzigkeit ein. Die Kunst nahm sich dieser Werke der Barmherzigkeit an. Der Einband des Melisende-Psalters aus dem Jahre 1131 stellt die sieben Werke der Barmherzigkeit da. Wer den Psalter liest, soll sich daran erinnern, dass sein Gebet sich in einem neuen Verhalten ausdrücken soll. Oft erscheinen die Werke der Barmherzigkeit auch bei Weltgerichtsdarstellungen, so etwa an der Galluspforte des Basler Münsters um 1170 oder in Parma im Baptisterium im Jahre 1196. Der Elisabethschrein in Marburg stellt die Werke der Barmherzigkeit dar. Elisabeth galt dem Mittelalter als die Heilige, die exemplarisch vorgelebt hat, was Jesus in seiner Gerichtsrede von den Christen fordert.

In der Reformationszeit traten die Werke der Barmherzigkeit zurück. Da diskutierte man vor allem, ob die Werke für das Gericht entscheidend sind oder ob es nicht allein auf die Gnade Gottes ankomme. Die Gerichtsrede Jesu passte nicht so recht in die Lehre von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben. Daher geriet sie aus dem Blick. In der Neuzeit hat man dann die Werke der Barmherzigkeit institutionalisiert. Es wurden Krankenhäuser, Obdachlosenheime und Suppenküchen geschaffen. Die persönlichen Werke der Barmherzigkeit wurden als wenig effektiv belächelt. Wenn man den Menschen helfen wolle, müsse man das politisch und gesellschaftlich tun. Die Wohltätigkeit müsse organisiert werden. So wurden in den letzten fünfzig Jahren kaum Bücher über die Werke der Barmherzigkeit geschrieben.

Im Jahr 1958 hatten der Südwestfunk Baden-Baden und der Bayerische Rundfunk in München katholische und evangelische Dichter und Schriftsteller eingeladen, zu den leiblichen und geistigen Werken der Barmherzigkeit zu sprechen. So bekannte Schriftsteller wie Josef Martin Bauer, Otto Karrer, Albrecht Goes, Luise Rinser, Edzard Schaper und Reinhold Schneider hatten aus der Situation der Nachkriegszeit eindrucksvoll darüber gesprochen.

Erst fünfzig Jahre später hat Bischof Joachim Wanke anlässlich des 800. Geburtstags Elisabeths von Thüringen Theologen und Personen des öffentlichen Lebens eingeladen, über die Werke der Barmherzigkeit nachzudenken und sie in unsere Zeit zu übersetzen. Im Vorfeld des Jubiläumsjahres 2007 hat der Bischof Menschen befragen lassen, was sie heute unter Barmherzigkeit verstehen. Ihre Antworten sind dann eingeflossen in eine Neuformulierung der sieben Werke der Barmherzigkeit. Es ist ein Versuch, die klassischen Werke der Barmherzigkeit in unsere Zeit zu übersetzen:

1. Ich besuche dich.2. Ich teile mit dir.3. Ich höre dir zu.4. Du gehörst dazu.5. Ich bete für dich.6. Ich rede gut über dich.7. Ich gehe ein Stück mit dir.

In diesem Buch möchte ich der klassischen Einteilung in sieben leibliche und sieben geistige Werke der Barmherzigkeit treu bleiben. Aber dennoch möchte ich versuchen, diese Werke so zu beschreiben, dass wir uns heute angesprochen fühlen. Dabei sehe ich zwei Schwierigkeiten: die eine ist die Gefahr des Moralisierens. Ich möchte nicht als der Besserwisser auftreten, der anderen ins Gewissen redet, dass sie endlich diese Werke vollziehen und für die Hungernden reichlich spenden sollen. Die andere Schwierigkeit besteht in der politischen Dimension des Helfens. Sind die christlichen Werke der Barmherzigkeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Sollen wir nicht vielmehr die Welt politisch verändern, so dass es keine Armen und Nackten und Obdachlosen mehr gibt?

Die Botschaft Jesu möchte uns die Augen öffnen, wie wir in der ganzen Welt den Geist der Barmherzigkeit und nicht der Ausbeutung, der Achtung und nicht der Verachtung wirksam werden lassen. Allerdings genügt es nicht, die Werke der Barmherzigkeit nur den Politikern aufzubürden. Dann würden wir uns damit entschuldigen, unseren Beitrag für eine menschlichere Welt zu leisten. So wichtig die politische und wirtschaftliche Sicht ist, wir können mit den Werken der Barmherzigkeit nicht warten, bis auf der ganzen Welt Gerechtigkeit und Frieden und Wohlstand herrschen.

Bei allem politischen Engagement gibt es in der nächsten Umgebung immer genügend Raum, die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit zu vollziehen. Dabei möchte ich den Lesern und Leserinnen kein schlechtes Gewissen vermitteln, dass sie zu wenig tun. Ich möchte nur, wie es Jesus in seiner Gerichtspredigt tut, uns die Augen öffnen, damit wir dort, wo Gott uns anrührt, bereit sind, dem Bruder oder der Schwester Barmherzigkeit zu erweisen, ob es nun leiblich oder geistig geschieht. Aus der Gerichtspredigt Jesu geht hervor, dass Jesus nicht moralisiert, dass er vielmehr denen, die diese Werke der Barmherzigkeit erfüllen, einen reichen Lohn verheißt. Doch das Paradox ist, dass sie die Werke tun, nicht weil sie belohnt werden, sondern weil sie sich vom notleidenden Menschen berühren lassen. Indem ich mich vom Bruder und von der Schwester anrühren und zu einem Werk der Barmherzigkeit anregen lasse, erlebe ich einen inneren Lohn. Ich spüre, dass mein Leben dadurch reicher wird, indem ich gebe, dass es heiler wird, indem ich mich dem Kranken zuwende, und dass ich meine eigene Blöße bedecke, wenn ich Nackte bekleide.

Unser Tun hat immer auch eine Auswirkung auf uns selbst. Die Werke der Barmherzigkeit tun auch uns selbst gut. Wir erweisen darin auch uns selbst Barmherzigkeit. Doch wir tun sie nicht, um uns selbst etwas Gutes zu erweisen. Wir tun sie, weil wir unser Herz anrühren lassen von den Armen, Hungernden, Obdachlosen, Kranken und Gefangenen. Das Paradox ist: Indem wir uns vergessen, weil wir uns auf einen anderen Menschen einlassen, erfahren wir selbst Erfüllung unseres Lebens, eine innere Dankbarkeit, dass ein Gebeugter aufrechter von uns weggeht und dass ein Nackter seine königliche Würde wiederentdeckt.

Die Grundhaltung der vierzehn Werke ist die Barmherzigkeit. Daher möchte ich ein paar Gedanken über diese Haltung schreiben. Die Bibel kennt verschiedene Begriffe und Bilder von Barmherzigkeit. Das Alte Testament kennt vor allem zwei Worte für Barmherzigkeit: »hesed« und »rachamim«. Dabei ist es vor allem Gott, der barmherzig ist. Doch die Barmherzigkeit Gottes verlangt auch von den Menschen, dass sie sich gegenseitig Barmherzigkeit erweisen. Barmherzigkeit ist dabei nie nur eine Gesinnung, sondern immer auch ein Tun.

Das hebräische Wort »hesed« meint »Freundlichkeit« und »Güte«. Gott erweist sich barmherzig am Menschen, wenn er ihm freundlich und gütig und gnädig begegnet, wenn er ihm seine Schuld vergibt. Das andere Wort »rachamim« hängt mit dem Wort »rechem«, das heißt »Mutterschoß« zusammen. So wie eine Mutter sich dem Kind zuwendet, das es auf dem Schoß trägt, so wendet sich Gott mütterlich uns Menschen zu. Gott geht wie eine Mutter zärtlich mit dem Menschen um, den er gleichsam auf seinem Schoß trägt. Hier ist Barmherzigkeit die Zuneigung oder Herabneigung des Höhergestellten zum Niedrigeren. Gott wertet nicht, sondern traut dem Menschen zu, dass er sich wie ein Kind immer mehr zu dem entfaltet, als der er von Gott her gedacht ist. Diese Haltung wird vor allem von Gott gegenüber dem Menschen beschrieben, kaum von Menschen untereinander.

Das Erbarmen des Menschen gegenüber anderen Menschen wird gerne mit dem Wort »hanan« ausgedrückt, das auch in Personennamen wie Hanna oder Johanan erscheint. Die Barmherzigkeit des Menschen zeigt sich in seiner Fürsorge gegenüber den Armen und Elenden, aber auch gegenüber dem Vieh. David erweist sich gegenüber Saul als barmherzig, indem er seine Macht nicht ausnutzt, sondern ihn schont.

Manche meinen, das Alte Testament würde Gott vor allem als Richter beschreiben. Doch damit wird das Alte Testament einseitig ausgelegt. Gott ist auch im Alten Testament immer schon der barmherzige. Barmherzigkeit ist sein Wesen. Jesus hat diese Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes in den Mittelpunkt seiner Predigt gestellt. Und er hat selbst barmherzig an den Menschen gehandelt. Gerade Matthäus, der Jesus auf dem Hintergrund jüdischer Theologie beschreibt, hat ihn als den barmherzigen Heiland beschrieben. Aber über Jesu barmherziges Handeln berichten alle Evangelisten. Die griechische Sprache des Neuen Testamentes kennt drei verschiedene Worte für »barmherzig sein«:

1 »Splanchnizomai«, das heißt »in den Eingeweiden ergriffen werden«. Das wird vor allem von Gott und von Jesus Christus gebraucht. Die Eingeweide sind für die Griechen der Ort der verwundbaren Gefühle. Der barmherzige Gott lässt die Menschen bei sich selbst eintreten, in sein Herz, in seine Eingeweide. Jesus öffnet sich in seiner verletzlichen Menschlichkeit für die Menschen. Er lässt sich verwunden, um ihre Wunden zu heilen.

In den Evangelien kennen dieses Wort nur die Synoptiker. Dabei wird das Wort dreimal in Gleichnissen Jesu gebraucht. Der, dem Gott alle Schuld vergeben hat, soll auch seinem Mitknecht gegenüber barmherzig sein, anstatt von ihm unbarmherzig die Schuld einzutreiben. (Matthäus 18,27) Der Samariter erweist dem unter die Räuber gefallenen Mann Barmherzigkeit. Er öffnet sich für den, der da am Straßenrand liegt, und hat mit ihm Mitleid. (Lukas 10,33) Er lässt ihn bei sich eintreten, während der Priester und der Levit sich verschließen und vorübergehen. Und Gott als der barmherzige Vater hat Mitleid mit dem verlorenen Sohn. (Lukas 15,20)

Neunmal aber wird dieses Wort in den Wundergeschichten gebraucht. Jesus hat Mitleid mit dem Aussätzigen. Er öffnet sein Herz für den, der sich von allen abgelehnt und ausgeschlossen fühlt. (Markus 1,41) Bei Matthäus taucht dieses Wort dreimal auf, nicht dem einzelnen Menschen gegenüber, sondern der Menschenmenge, die hungrig ist, verletzt, sich nach Heilung sehnt und die keine Orientierung hat:

Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.

Matthäus 9,36