Dämonen kehren immer wieder zurück: Gruselroman Sammelband 7 Romane - Alfred Bekker - E-Book

Dämonen kehren immer wieder zurück: Gruselroman Sammelband 7 Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Diese Ausgabe enthält folgende Beiträge: Alfred Bekker: Wiedergänger W.A.Hary/Art Norman: Mark Tate - Rivalen der Nacht W.A.Castell: Die Diamanten der Dämonen Walter G. Pfaus: Die Gruft der Grünen Spinnen A.F.Morland: Das Spinnen-Phantom Wolf G. Rahn: Skeletthände sind nicht zärtlich Wolf G. Rahn: Die untoten Rächer Unverhofft wird ein Kleinganove wegen eines Autounfalls ins Polizeipräsidium gebracht. Bei der routinemäßigen Durchsuchung wird ein Diamant bei dem Ganoven gefunden. Es ist nicht bekannt, dass ein oder mehrere Diamanten gestohlen wurden, und so entschließt sich der zuständige Beamte, einen Fachmann zu bemühen. Dieser behauptet, der Stein habe einen Wert von vielen Millionen Schilling und sei in Indien gestohlen worden. Außerdem habe der Stein magische Kräfte und es wäre seinetwegen schon viel Blut geflossen. Der Kleinganove behauptet, eine Inderin hätte ihm den Stein gegeben. Die Inderin behauptet, sie wisse von nichts. Doch dann taucht plötzlich ein junger Detektiv auf. Er möchte der Inderin helfen und verfügt über bemerkenswerte Fähigkeiten.

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Alfred Bekker, Wolf G. Rahn, W.A.Hary, Art Norman, A.F.Morland, Walter G. Pfaus, W.A.Castell

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Inhaltsverzeichnis

Dämonen kehren immer wieder zurück: Gruselroman Sammelband 7 Romane

Copyright

Wiedergänger

Mark Tate - Rivalen der Nacht

Die Diamanten der Dämonen

Die Gruft der grünen Spinnen

DAS SPINNEN-PHANTOM

Skeletthände sind nicht zärtlich

Die untoten Rächer

Dämonen kehren immer wieder zurück: Gruselroman Sammelband 7 Romane

Alfred Bekker, Wolf G. Rahn W.A.Hary, Art Norman, A.F.Morland, Walter G. Pfaus, W.A.Castell

Diese Ausgabe enthält folgende Beiträge:

Alfred Bekker: Wiedergänger

W.A.Hary/Art Norman: Mark Tate - Rivalen der Nacht

W.A.Castell: Die Diamanten der Dämonen

Walter G. Pfaus: Die Gruft der Grünen Spinnen

A.F.Morland: Das Spinnen-Phantom

Wolf G. Rahn: Skeletthände sind nicht zärtlich

Wolf G. Rahn: Die untoten Rächer

Unverhofft wird ein Kleinganove wegen eines Autounfalls ins Polizeipräsidium gebracht. Bei der routinemäßigen Durchsuchung wird ein Diamant bei dem Ganoven gefunden. Es ist nicht bekannt, dass ein oder mehrere Diamanten gestohlen wurden, und so entschließt sich der zuständige Beamte, einen Fachmann zu bemühen. Dieser behauptet, der Stein habe einen Wert von vielen Millionen Schilling und sei in Indien gestohlen worden. Außerdem habe der Stein magische Kräfte und es wäre seinetwegen schon viel Blut geflossen. Der Kleinganove behauptet, eine Inderin hätte ihm den Stein gegeben. Die Inderin behauptet, sie wisse von nichts. Doch dann taucht plötzlich ein junger Detektiv auf. Er möchte der Inderin helfen und verfügt über bemerkenswerte Fähigkeiten.

Copyright

COVER TONY MASERO

Eine Cassiopeiapress Romanzeitschrift: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

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Zum Blog des Verlags geht es hier:

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Wiedergänger

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 108 Taschenbuchseiten.

Ein Vampir-Schocker.

Rabenschwarz, blutig, grausam, zynisch – und so kalt wie eine Totengruft!

Die Welt wird von Vampiren aus dem Verborgenen beherrscht. Sie sind organisiert wie die Mafia und haben die Erde unter sich aufgeteilt

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

„Der Mann in diesem Sarg ist ein Verdammter!", dröhnte die sonore Stimme des groß gewachsenen, korpulenten Mannes. Mit dem langen grauen Bart und den etwas wirr herumstehenden Haaren wirkte er wie ein biblischer Patriarch. Seine Kleidung glich der eines Reverends. Mit der Faust tickte er gegen den dunklen Eichensarg, der in der Mitte der Bühne aufgebahrt war. Es herrschte absolute Stille in der Halle. Die Blicke der Zuschauer waren wie gebannt auf Moses Jordan gerichtet, einem der charismatischsten Prediger, die Amerika je gesehen hatte.

Moses Jordan ließ den Blick über die Reihen der Zuschauer schweifen. "Norman Guthridge, der Mann in diesem Sarg, ist körperlich tot. Aber seine Seele leidet noch immer. Sie leidet unter der Schuld, die unser Bruder Norman, dieses verirrte Schaf vor dem Herrn, auf sich geladen hat..."

Orgelmusik setzte ein.

Moses Jordan öffnete den Eichensarg. Ein knarrender Laut entstand dabei, als er den Deckel zur Seite schob. Der bärtige Prediger blickte auf den bleichen, wächsern aussehenden Leichnam im Inneren des Sargs.

"Ich werde dich jetzt ins Leben zurückholen, Norman!", kündigte Moses Jordan an. "So kannst du deine Sünden öffentlich vor all diesen Menschen hier bereuen und auf Vergebung hoffen..."

Die Orgelmusik schwoll zu einem dramatischen Crescendo an.

Das Licht veränderte sich. Es wurde stockdunkel in der Halle. Nur Moses Jordan wurde von Scheinwerfern grell angeleuchtet. Sein Gesicht wirkte jetzt geradezu gespenstisch.

Jordan schloss die Augen.

Seine Züge verzogen sich, wie unter einer nicht näher definierbaren Qual. Es wirkte, als ob der Prediger eine unglaubliche Kraftanstrengung zu verrichten hätte. Er beugte sich über den Toten, ohne dabei die Augen zu öffnen. Dann legte er der Leiche die Hand auf die Stirn.

"Die Kraft des Herrn fahre in dich, Norman! Sie ist hier anwesend, jetzt, in diesem Augenblick! Die Kraft möge durch meinen Körper hindurch in dich fahren und dir die Augen ein letztes Mal öffnen, damit deine verdammte Seele Frieden zu finden vermag..."

Moses Jordan öffnete die Augen.

Er wandte ruckartig den Kopf in Richtung des Publikums.

Die Orgelmusik wurde mit einem swingenden Rhythmus unterlegt. Ein Gospelchor erklang aus dem Hintergrund.

"Fasst euch bei den Händen, Brüder und Schwestern! Fasst euch bei den Händen und betet dafür, dass diese sündige Seele ein letztes Mal ins Leben zurückkehrt... Lasst den Herrn unter uns sein und ein Wunder der Barmherzigkeit vollbringen. Hallelujah!"

"Amen!", antwortete das Publikum.

"Herr, lass unseren Bruder Norman erwachen!", rief Jordan.

Er hob seine Hand. Das Licht änderte sich. Es wurde bläulich und kalt. Die Szenerie auf der Bühne wirkte wie ein Blick in die Unterwelt.

Im Sarg bewegte sich etwas.

Die Menschen in der Halle hielten den Atem an.

Der Gospelchor verstummte.

Die Orgel verharrte im Tremolo.

Der Leichnam setzte sich auf. Jordan hielt dabei immer die Hand auf die Stirn des Toten, so dass das wächsern wirkende Totengesicht für das Publikum im Schatten der Hand und des Unterarms lag.

"Norman, hörst du mich?"

"Ja...", kam es dumpf zurück.

"Norman, du hast ein sündiges Leben im Dienste Satans geführt..."

"Ja..."

"Du warst ein Zuhälter an der Bowery in New York City. Du hast junge Frauen dazu gezwungen, ihren Körper zu verkaufen! Du hast sie dir mit Drogen gefügig gemacht. Außerdem hast du zahlungsunfähige Schuldner brutal verprügeln lassen! Norman, deine Mutter, die hier unter uns sitzt und ein gottgefälliges Leben in Wrinkleton, Massachusetts geführt hat, wird es nicht gerne hören, aber es hat keinen Sinn, etwas zu beschönigen! Du warst ein Verbrecher!"

Ein unartikulierter Laut war die Antwort. Er klang wie ein Stöhnen. Ein Laut des Schmerzes.

Jordan fuhr fort: "Norman, du wärst verloren gewesen, wenn deine Mutter nicht diesen starken Glauben gehabt und dafür gesorgt hätte, dass dein totes Fleisch heute hier, an diesem Ort ist. Hallelujah!"

"Amen!", antwortete die Gemeinde.

"Die Macht Gottes kann das Fleisch auferstehen lassen. Das steht in der Bibel - und ihr alle seit jetzt schon Zeuge dieses Wunders, das das kommende Himmelreich vorwegnimmt! Hallelujah!"

"Amen!"

"Norman, bereust du, was du getan hast? Bereust du deine Sünden? Bereust du, dass du in unglaublicher Skrupellosigkeit dem Mammon und der Hurerei gedient hast?"

Wieder ein ächzender, stöhnender Laut.

"Ja, es tut weh so etwas zu hören! Das reinigende Feuer Gottes tut weh! Deine Seele erleidet furchtbare Schmerzen! Du hast gedacht, dass mit dem Herzanfall, der dein armseliges irdisches Dasein beendete, alles vorbei wäre! Aber du hast dich geirrt... Du musst durch das Feuer der Verdammnis gehen, hin zum Licht der Vergebung unseres einzigen Herrn! Halleluja!"

"Amen!"

"Du bereust, was du getan hast, Norman? Dann sag es allen, die hier sind! Sag es deinen Eltern, die mit uns für dich beten! Sag deiner Schwester, die immer versucht hat, dich vom Weg des Übels abzubringen, dass du bereust! Sag es uns allen, um endlich deinem Schöpfer entgegentreten zu können! Halleluja!"

"Amen!", murmelte das Publikum.

"Norman, bereust du aufrichtig?"

Sekundenlang herrschte absolute Stille in der Halle. Eine gespannte Atmosphäre der Erwartung war überall spürbar. Das Publikum hielt den Atem an.

"Ja!", kam die gequälte Antwort. "Ja! Ja! Ja!"

Dann sank der Leichnam zurück in den Sarg.

Das Licht ging aus. Die Finsternis verschluckte den Sarg ebenso wie Moses Jordan.

Wenig später beleuchtete ein Spotlight dessen Gesicht und Oberkörper.

Jordan breitete die Arme aus.

"Die Seele von Norman Gutheridge hat ihren Frieden vor dem Herrn gefunden. Halleluja!"

"Amen!", erscholl es.

2

Minuten später erreichte Moses Jordan seine Garderobe. Abschminken stand jetzt auf dem Programm. Er schloss die Tür hinter sich, setzte sich vor den Spiegel. Er sah müde aus. Die Veranstaltung hatte ihn ziemlich geschlaucht. Aber war der Kampf für das Gute nicht jeden Einsatz wert? Er atmete tief durch.

"Bravo! Gute Show!", sagte eine schneidende Stimme. Ein Mann im grauen Maßanzug saß mit übereinander geschlagenen Beinen in einem tiefen Ledersessel auf der anderen Seite der Garderobe. Moses Jordan hatte ihn zuvor nicht bemerkt. Entsprechend erschrocken fuhr er herum. Als ob er aus dem Nichts erschienen wäre!, ging es Jordan durch den Kopf. Sein Gegenüber blickte ihn mit hellblauen Augen an. Der Mann im grauen Maßanzug hatte ein feingeschnittenes, fast engelsgleiches Gesicht, dessen Linien für einen Mann sehr weich wirkten. Sein hellblondes Haar war leicht gelockt, was den engelhaften Eindruck noch verstärkte. Jordan war bei ihrer ersten Begegnung an die Putten des Barock erinnert gewesen.

Der Mann mit dem Engelsgesicht klatschte in die Hände.

"Du bist wirklich gut, Mo!", meinte er, wobei nicht ganz eindeutig erkennbar war, in wie weit er das tatsächlich so meinte. Spott und echte Bewunderung schienen sich mehr oder minder die Waage zu halten. "Du hast Show-Talent!"

"Es ist für die gute Sache!", betonte Moses Jordan ernst.

Ein zynisches Lächeln erschien auf dem Engelsgesicht.

"Oh, natürlich! Du hast die Nummer inzwischen perfekt drauf, wie mir scheint!"

"Es ist keine Nummer!", erwiderte Jordan eisig. "Ich rette verlorene Seelen, verstehst du? Ich kämpfe gegen die Verdammnis!"

"Klar doch!" Der Mann mit dem Engelsgesicht erhob sich. Jordan hatte seit ihrem ersten Zusammentreffen versucht, das Alter des Blonden zu schätzen. Er wirkte sehr jung. In seinem Maßanzug sah er aus wie einer der blutjungen Yuppies in Wall Street. Nur die Augen verrieten eine Erfahrung, die nicht zu dem Gesamteindruck passen wollte.

Der Blonde sah Moses Jordan jetzt direkt in die Augen.

Ein leicht spöttischer Zug spielte um seine Lippen.

"Mir scheint, es wird Zeit, dass du noch etwas dazulernst und einen Schritt weiter gehst..."

Jordan verengte die Augen. Der Unterton, in dem sein Gegenüber mit ihm sprach, gefiel ihm nicht.

"Was meinst du damit?", fragte der Prediger.

Der Blonde lächelte. "Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass die schlimmste Form der Verdammnis der Vampirismus ist!"

"Ja."

"Dann werde ich dir jetzt zeigen, wie du diesem Gegner entgegentreten kannst... Das Aufwecken von Toten war eine Art Vorübung dafür." Er grinste. "Solltest du übrigens nicht zu oft machen, Mo! Schadet dem Teint!" Er kicherte.

3

"Hey, Mike! Ich weiß nicht, ob ich wirklich noch mit zu dir will..."

Ein Sternenmeer aus Neonlichtern verbreitete so viel Licht, dass es für jeden New Yorker schwer war, überhaupt noch etwas von den echten Sternen am Nachthimmel zu sehen.

Teresa Pender war 23 Jahre alt, dunkelhaarig und sehr sexy. Das eng anliegende schwarze Kleid betonte ihre aufregende Figur.

Ein guter Fang!, hatte Mike Tensold gedacht, als er es geschafft hatte, die junge Frau an einem der Billard-Tische des LAST CHOICE auf sich aufmerksam zu machen. Das LAST CHOICE war ein Heavy Metal-Schuppen im Süden von Yorkville. Tensold hatte sie so weit gehabt, dass sie bereit war, mit ihm zu gehen. Fünf Minuten Fußweg hatten sie hinter sich.

"Nun komm schon, mach keine Zicken! Mein Wagen ist nur noch einen Block entfernt!", sagte Tensold.

Der gereizte Unterton war unüberhörbar.

So nah am Ziel...

Nein, er würde sich nicht davon abbringen lassen, sich das zu nehmen, was er haben wollte.

Tensold dachte dabei nicht so sehr an ihren formvollendeten Körper, sondern an ihre inneren Werte.

Ihr Blut.

Denn Mike Tensold war ein Vampir.

Der Durst nach Blut wurde beinahe unerträglich. Lange würde er nicht mehr warten, um über sie herzufallen, seine Reißzähne auszufahren und sie in ihren weichen, weißen Hals zu schlagen.

Mike Tensold musterte die junge Frau, fasste sie am Handgelenk, als sie vor ihm zurückweichen wollte.

"Lass mich los, du tust mir weh!"

Instinktiv musste sie erfasst haben, dass Tensold keiner der üblichen Kerle war, die im LAST CHOICE herumhingen, auch wenn seine äußere Aufmachung mit Lederjacke und einem langen Haarschopf, der zu einem Zopf zusammengefasst war, ihn so erscheinen ließen.

Anfangs hatte Teresa die düstere Aura, die diesen Mann umgab, fasziniert. Ja, sie war regelrecht davon angezogen worden. Aber jetzt verkehrte sich die Faszination in Unbehagen.

"Lass mich los, ich gehe nicht mit dir mit!", sagte sie bestimmt.

"Hey, was soll das, Baby?"

"Ich habe es mir eben anders überlegt, das ist alles."

Sie versuchte, sich mit aller Kraft loszureißen, aber sein Griff war eisern. Wie ein Schreibstock.

Teresas Unbehagen wandelte sich in pures Grauen. Der Puls schlug ihr bis zum Hals. Eine Sekunde lang war sie unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Er zog sie an sich, drückte sie gegen die Wand. Im tiefen Rückenausschnitt ihres Kleides spürte sie den kalten Stein.

Teresa schrie aus Leibeskräften.

Sie hoffte, dass irgendein Passant ihr half.

Aber in dieser Seitenstraße gab es um diese Uhrzeit kaum Menschen.

Und die Insassen der Autos, die in mehr oder minder regelmäßigen Abständen um die Ecke bogen und dem Lauf der Einbahnstraße bis zur nächsten Kreuzung folgten, konnten ihren Schrei nicht hören.

Tensold drückte ihr seine Hand auf den Mund.

Ihr Schrei erstarb.

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Entsetzen, als sie sah, wie die Vampirzähne ihres Gegenübers sichtbar wurden. Einen Sekundenbruchteil später bohrten sich die Zähne in ihren Hals, zerfetzten die Membran ihrer Schlagader. Das Blut spritzte auf. Und Mike Tensold begann zu trinken.

Er gab sich ganz diesem unvergleichlichen Genuss hin. Begierig schlürfte er den kostbaren Lebenssaft in sich hinein. Immer wieder biss er neu zu. Der Hals der jungen Frau war eine einzige Wunde. Als Mike Tensold mit ihr fertig war, ließ er den schlaffen, leblosen Körper zu Boden sinken. Das Blut troff ihm von den Lippen, hatte teilweise seine Kleidung besudelt.

Sein schrecklicher Durst war gestillt.

Zunächst jedenfalls.

Er wandte sich von der Leiche ab, blickte die Häuserzeile entlang. In einiger Entfernung stand ein Mann in den Fünfzigern. Er war gedrungen und etwas übergewichtig. Bei Fuß führte er eine riesige Dogge.

"Was tun Sie da...?", stammelte der Passant fassungslos.

Tensold schnellte ihm entgegen.

Mit einer Armbewegung wischte er sich das Blut von den Lippen.

Der Passant ließ seine Dogge los.

Das Tier sprang auf Tensold zu. Der Vampir fing es mit einem mörderischen Schlag ab. Der Körper der Dogge wurde gegen die nächste Hauswand geschleudert. Mit einer Blutspur rutschte die Dogge zu Boden und blieb regungslos liegen.

Der Passant taumelte zurück. Das Grauen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann begann er zu laufen. Tensold holte ihn rasch ein. Ein einziger Schlag genügte, um dem Mittfünfziger das Genick zu brechen.

4

Chase Blood ließ sich vom Lift in die oberen Stockwerke des Empire State Buildings tragen. Dorthin, wo Franz, Fürst von Radvanyi, der Herr der New Yorker Vampire, seine Residenz hatte und sein geheimes Imperium regierte.

Im Vorzimmer wurde Chase gleich weitergeleitet.

Der Fürst erwartete die Nummer zwei unter den Vampiren New Yorks offenbar sehr dringend.

Augenblicke später betrat Chase das Büro.

Der Fürst war über dreihundert Jahre alt und stets wie ein Adeliger des 17.Jahrhunderts gekleidet. Das Haar fiel ihm lang über die Schultern. Unter dem brokatbesetzten Gehrock war ein weißes Rüschenhemd zu sehen. Dazu trug er eine Kniebundhose. Sein Gesicht wirkte totenbleich, die Haut fast wie Pergament. Dieser Eindruck entstand vor allem durch den starken Gebrauch von Puder.

Er saß mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem zierlichen antiken Rokoko-Diwan. Davor befanden sich ein kleiner runder Tisch und ein paar Sessel, bei denen es sich offenbar auch um Antiquitäten handelte. Diese Möbelstücke bildeten einen eigenartigen Kontrast zu dem modernen Computer-Equipment, über das der Fürst sein Imperium regierte.

In einem der Sessel hatte eine attraktive, gut gekleidete Frau Platz genommen. Ihr dunkles Kleid wirkte elegant und zeichnete perfekt die Linien ihres Körpers nach. Das Gesicht war feingeschnitten, die Augen wach und intelligent.

Chase verzog unwillkürlich das Gesicht.

Petra Brunstein! Die Vampirin gehörte zu den zahlreichen Beratern des Fürsten. Und sie war Chase' persönliche Feindin. Nur zu gerne hätte sie Chase' Position in der Hierarchie der New Yorker Vampire eingenommen.

Um ihre Mundwinkel spielte ein verächtlicher Zug, als sie den Kopf in Chase' Richtung wandte.

"Ich habe dich schon erwartet", sagte jetzt der Fürst. Er wandte sich an Petra. "Wenn du uns bitte jetzt allein lassen würdest..."

"Ja, Herr", erwiderte sie und erhob sich. Als sie Chase erreichte, blieb sie kurz stehen. Ihre dunklen Augen musterten ihn. "Es hätte eine so schöne Nacht werden können, aber dein Anblick sorgt bei mir immer dafür, dass mir übel wird!"

Chase lächelte dünn.

"Das Phänomen kenne ich..."

Petra rümpfte die Nase. "Was ist das für ein apartes After Shave, das du heute benutzt hast? Das Altöl deiner Harley?"

"Ich dachte, damit treffe ich deinen Geschmack, Petra!"

"So long, du Ahnungsloser. Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen, dass wir uns demnächst wieder über den Weg laufen."

"Ich fürchte, da hast du Recht!"

Chase sah ihr nach, bis sie den Raum verließ. "Diese Kratzbürste wird sich wohl nie ändern!", murmelte er dann vor sich hin.

Der Fürst deutete indessen auf die Sessel der kleinen Sitzgruppe. "Setz dich, Chase. Es gibt ein Problem, dass ich dringend mit dir besprechen muss."

"Ja, Herr!"

Chase neigte leicht den Kopf.

Er setzte sich.

Der Fürst hob die Augenbrauen, die unter den Schichten von Puder kaum sichtbar waren. Einen Augenblick lang musterte der Herr des New Yorker Vampir-Imperiums sein Gegenüber. Obgleich kaum jemand etwas davon ahnte, war der Dreihundertjährige die weitaus mächtigste Person im gesamten Big Apple. Allerdings übte er seine Macht vorzugsweise aus dem Hintergrund heraus aus. Sein langer Arm reichte sowohl in die Spitzen führender Wirtschaftsunternehmen als auch in Behörden, Verwaltung und Polizei hinein.

Unter allen Umständen aber war ihm daran gelegen, dass die Menschen nicht erfuhren, wer sie in Wahrheit beherrschte.

"Hast du die Lokalnachrichten gesehen?", fragte der Fürst.

"Nein, Herr, ich..."

"Schon gut, ich habe ohnehin direktere Informationsquellen. Die Computer des New York Police Department zum Beispiel. In der letzten Nacht wurde eine junge Frau in Yorkville umgebracht. Der Täter war ganz offensichtlich ein Vampir, daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Ein weiterer Toter hängt wahrscheinlich mit diesem Fall zusammen. Man fand ihn nur wenige Meter vom ersten Opfer entfernt. Ihm wurde nicht das Blut ausgesaugt, daher vermute ich, dass er den Täter beobachtete..." Der Fürst atmete tief durch. "Ich möchte, dass du ermittelst, wer dahinter steckt, Chase."

"Ja, Herr."

"Ich hoffe nicht, dass >du> so dumm warst..."

"Nein!", wehrte Chase ab.

"Ich habe nichts dagegen, wenn ein Vampir sich zwischendurch einen Imbiss gönnt! Das ist die natürlichste Sache der Welt - zumindest für uns. Aber dann muss das diskret geschehen! Sonst macht es die Menschen auf uns aufmerksam! Es gibt schon genug dieser lästigen Vampirjäger, die sich für die Erfüllungsgehilfen des Guten halten! Wir müssen ihre Zahl nicht noch durch unser Zutun vergrößern."

"Diese Meinung teile ich, Herr."

"Das hoffe ich", erwiderte Fürst von Radvanyi mit einem Unterton, in dem durchaus etwas Drohendes mitschwang. "Ich erinnere mich sehr ungern an die Schwierigkeiten, die daraus resultierten, dass du die Tochter dieses Polizisten getötet hast..."

"Malloy!", murmelte Chase. Er hob den Blick. "Malloy ist tot. Er liegt bei seiner Tochter auf dem Trinity Cemetery."

"Er möge in Frieden ruhen. Aber diese Geschichte sollte uns allen als warnendes Beispiel dienen. Ein Vampir, der auf offener Straße seinen Durst befriedigt, muss zur Rechenschaft gezogen werden! Er gefährdet uns alle!"

"Ja, Herr."

"Außerdem müssen wir eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen."

Chase ahnte, worauf der Fürst hinauswollte.

"Sie meinen, dass fremde Vampire dafür verantwortlich sein könnten?"

Immer wieder kam es vor, dass sich Vampire unautorisiert im Machtbereich des Fürsten aufhielten. Die meisten von ihnen hatten es bereut. Außerdem versuchten immer wieder die vampirischen Gegner des Fürsten, ihre jeweiligen Gebiete auch auf New York auszudehnen. Umgekehrt war natürlich auch der Fürst bestrebt, seinen Machtbereich stetig auszudehnen.

"Ich denke, du weißt, was zu tun ist, Chase. Ein umfangreiches Dossier aus Polizeiunterlagen steht dir zur Verfügung. Wenn ein Abgesandter unserer Konkurrenz in Chicago dahinter steckt - töte ihn!"

"Ja, Herr. Und wenn es einer unserer eigenen Leute sein sollte?"

"Dann auch. Schließlich kann ich nicht zulassen, dass meine Befehle so sträflich missachtet werden!"

5

Moses Jordan stieg in die dunkle Limousine und setzte sich zu dem Mann mit dem Engelsgesicht auf die Rückbank.

Er war diesmal nicht wie ein Business-Mann gekleidet, sondern trug einen schneeweißen Anzug, der an die Gala- Uniformen der US-Marine erinnerte. Die helle Kleidung ließ sein Gesicht noch etwas blasser erscheinen.

"Fahren Sie los, Nolan!", sagte er an den Chauffeur gewandt.

Jordan atmete tief durch.

"Ich war etwas überrascht, dass du mich jetzt noch sprechen wolltest, Gabriel", sagte Jordan. "Ich meine, um diese Zeit..."

"Es ist genau die richtige Zeit, Mo!"

"Worum geht es denn?"

"Um den Kampf gegen den Vampirismus."

"Und wohin fahren wir?"

"Zum Trinity Cemetery."

"Ich verstehe nicht..."

Gabriel lächelte kalt. "Du wirst bald verstehen, Mo! Ich habe dir gesagt, dass wir einen Schritt weiter gehen müssen in unserem Kampf. Und außerdem gibt es so viele Fragen, die ich dir bisher nie beantworten durfte. Aber in dieser Nacht wird dir vieles klar werden."

Gabriel musterte den bärtigen Prediger einige Augenblicke lang.

Moses Jordan schluckte.

Die Art und Weise, in der dieser weiß gekleidete Mann mit dem Engelsgesicht ihn ansah, verursachte ein Gefühl des Unbehagens. Gabriels Blick war sehr intensiv. Beinahe so, als würde er direkt in die Seele des Predigers zu blicken vermögen.

Gabriel lächelte.

"Hab keine Angst, Mo. Du bist ein Hirte unter ahnungslosen Schafen. Ein Hirte im Auftrag des Herrn. Einer wie du sollte keine Angst haben - und keinen inneren Zweifel, denn der Zweifel ist der Tod des Glaubens."

Jordan musste unwillkürlich schlucken.

Was weißt du bis jetzt über diesen Mann?, ging es ihm durch den Kopf. Gabriel... Wie aus dem Nichts war er nach einer der zahllosen Predigt-Veranstaltungen aufgetaucht und hatte Jordan angesprochen.

Der Prediger erinnerte sich noch genau daran.

Ein Augenblick, den er nicht vergessen würde.

Gabriel hatte davon gesprochen, ihn in seinem Kampf um die Seelen unterstützen zu wollen. Er sei ein Diener Gottes, so hatte er behauptet. Und er hatte ihm gezeigt, wie man die Seelen Toter für kurze Zeit ins Leben zurückholte.

Er besaß ein umfassendes okkultes Wissen und war bereit, es mit Moses Jordan zu teilen. Jordan war der Faszination der neuen Möglichkeiten erlegen, die ihm nun zur Verfügung standen.

"In jedem von uns schlummern ungeheure Kräfte von denen die meisten Menschen nicht den Hauch einer Ahnung besitzen!", hatte er Gabriels Worte noch im Ohr. "Das gilt auch für dich, Mo!"

Bis sie den Trinity Cemetery erreichten, schwiegen sie.

Dort angekommen stiegen sie aus.

Die Limousine fuhr weiter.

Dann betraten sie den Friedhof, gingen die Reihen der Gräber entlang. Die emporragenden Bäume und Sträucher sorgten dafür, dass es hier in der Nacht dunkler war als an den meisten anderen Orten im Big Apple.

Nebelschwaden waren vom nahen Hudson River aufgestiegen, hatten sich wie Tentakelarme eines formlosen Ungeheuers langsam durch die Straßenschluchten gedrängt. Wie Bänke aus grauer Watte standen sie vor den Hecken und zwischen den Gräbern.

Ein Anblick, der Moses Jordan unwillkürlich schaudern ließ.

>Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt wird leben, wenn er auch stürbe>.

Jesus hatte das gesagt.

Die Angst vor dem eigenen Tod war der entscheidende Faktor gewesen, der ihn so sehr an den Glauben gefesselt hatte. Die Aussicht auf Auferstehung des Fleisches, wie es in der Bibel hieß. Aber Orte, die ihn an den Tod gemahnten, mochte Moses Jordan bis heute nicht, so fest er in seinem Glauben auch sein mochte.

Sein Blick ging die Reihe der Gräber entlang.

Namen, Geburts- und Todesdaten.

Plötzlich blieb Gabriel stehen.

"Genau hier muss es geschehen", sagte er dann.

"Wovon sprichst du?"

"Du wirst es gleich sehen. Es ist ein Wunder, Mo! Ein Wunder, dass der Herr vollbringen wird - durch dich!"

Eine leuchtende, wie ein Fluoreszenz-Phänomen wirkende Aura umgab plötzlich Gabriels Körper. Jordan wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Gabriels Gesicht leuchtete auf geheimnisvolle Weise. Er lächelte. Jordan bemerkte die eigenartige Lichterscheinung auf dem Rücken des weiß gekleideten Mannes.

Flügel!, dachte Jordan mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Schauder. Mein Gott...

Er sank auf die Knie, faltete die Hände.

"Ist es wahr, Gabriel? Du bist ein Engel! Ein Gesandter des Herrn?"

"Hast du es nicht immer geahnt, Mo? Schon bei unserem ersten Zusammentreffen?"

"Ja!", flüsterte Jordan voller Inbrunst. Er war überwältigt, zitterte jetzt am ganzen Körper. "Darum hast du mir geholfen bei meiner Mission..."

"Nicht ich!"

"Nein, ich weiß! Die Kraft des Herrn."

"Du bekommst eine neue Mission, Mo!"

"Eine neue Mission? Und was ist mit dem Kampf um die verlorenen Seelen?"

"Nur ein Teil in einer viel größeren Auseinandersetzung! Dem Kampf gegen die Verdammnis!"

"Ja", flüsterte Moses Jordan.

Gabriel trat näher an Jordan heran, legte ihm eine Hand auf den Kopf, so als wollte er ihn segnen.

"Steh auf, Moses Jordan! Deine neue Mission ist der Kampf gegen die Vampire, jene übelsten Diener des Bösen! Sie sind dem Herrn widerlich und du wirst sie vom Antlitz seiner Schöpfung tilgen wie Ungeziefer, das man zertritt!"

"Hallelujah! Amen!", rief Moses Jordan. Langsam erhob er sich.

Gabriel deutete auf eine der Grabparzellen.

"Dies ist ein Ort, an dem besonders starke Energien wirksam sind. Ein Friedhof. Aber nicht irgendeiner! Zwei Opfer der Vampire aus jüngster Zeit liegen hier begraben. Lieutenant Detective Robert Malloy vom New York Police Department! Ein Cop, der vom Dienst suspendiert wurde, weil niemand ihm glauben wollte, in welch schrecklicher Gefahr wir uns alle befinden! Und Madeleine Malloy, seine Tochter. Beide ermordet von Dienern des Imperiums der Finsternis... Malloy kämpfte allein, aber du wirst Verbündete haben, Mo! Du wirst nicht allein sein in deinem Feldzug gegen das Natterngezücht der Finsternis!"

"Du wirst mir helfen, Gabriel?"

Der Mann mit dem leuchtenden Engelsgesicht schüttelte den Kopf. "Nein, das ist nicht möglich..."

"Aber..."

Gabriel hob die Hand und Moses Jordan verstummte. Noch immer hielt er die Hände gefaltet. Ein Moment der Offenbarung!, ging es ihm durch den Kopf.

Ein Augenblick, wie ein berühmterer Namensvetter ihn vor einem brennenden Dornbusch Jahrtausende zuvor erlebt hatte. Jordans Puls schlug ihm bis zum Hals. Jede Faser seines Körpers war angespannt und wie elektrisiert.

"Ich werde dir zeigen, wie du diese Verbündeten im Kampf gegen die Vampire beschwören kannst, Mo!", kündigte Gabriel an. "Du wirst viel Kraft dazu brauchen... Es ist nicht ganz ungefährlich. Bist du dennoch dazu bereit!"

"Ich bin bereit!", flüsterte Jordan.

"Der Zeitpunkt ist günstig. Wir müssen uns beeilen..."

Eine Bewegung in der Finsternis zwischen den hoch aufragenden Bäumen lenkte Jordan einen Augenblick lang ab.

Da ist etwas!, durchzuckte es ihn.

Er verengte die Augen, ließ suchend den Blick schweifen.

Und dann entdeckte er >es>. Es war beinahe unsichtbar. Nur wenn man genau hinsah, sah man ein über zwei Meter fünfzig großes Monstrum. Es wirkte mit seinen lederhäutigen Flügeln wie die Parodie eines Engels.

Gabriel bemerkte die Verwirrung des Predigers sofort. Ein ärgerlicher Zug erschien in seinem makellosen, glatten Gesicht.

"Ptygia!", stieß er hervor. "Verschwinde! Du siehst doch, wie sehr du dieses brave Kind Gottes verwirrst..."

Jordan stand mit offenem Mund da, starrte das lederhäutige Monstrum an. Ohne Zweifel war dieses Wesen weiblich. Aber es wies auch tierhafte Merkmale auf. Blitzende Raubtierzähne wurden sichtbar. Dann schien Ptygia zu verblassen, war kaum noch sichtbar und verschmolz mehr und mehr mit dem Schatten.

"Was war das?"

"Ptygia gehört zu mir."

"Ah..." Wahrscheinlich hatte sich der Prediger die Geschöpfe des Himmels anders vorgestellt.

Gabriel legte Moses Jordan einen Arm um die Schulter. Eine besitzergreifende Geste.

"Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren... Ich muss diesen Ort verlassen!"

Jordan hob die Augenbrauen.

"Warum?"

"Das kann ich dir jetzt nicht erklären, Mo. Und es hat für dich keine Bedeutung."

"Aber..."

"Vertraust du mir, Mo?"

"Der HERR hat dich gesandt."

"So ist es."

"Warum sollte ich dir also nicht trauen?"

"Du musst mir bedingungslos folgen. In allem, was ich dir sage!"

Jordan schluckte ergriffen. "Ja, das werde ich!", versprach er und dachte: Wahrhaftig! Eine Offenbarung! Was sonst konnte dies alles zu bedeuten haben?

Seine Stimme bekam einen belegten Klang. Er wirkte zutiefst ergriffen.

"Ich bin auserwählt, nicht wahr? Ich habe es immer schon gespürt."

Gabriel nickte.

Wie es scheint, wird es ihm wohl sogar noch Spaß machen, seine schwache, sterbliche Lebenskraft zu vergeuden!, ging es dem Mann in Weiß zynisch durch den Kopf.

"Ich werde dich jetzt in das Geheimnis eines sehr mächtigen Rituals einweihen..."

6

Moses Jordan breitete die Arme aus.

Er war jetzt allein auf dem Friedhof.

Sowohl der engelhafte Gabriel, als auch seine monströse Begleiterin hatten sich davongemacht.

Jordan hoffte, dass er alles richtig machte. Er spürte eine unsichtbare, schwere Last auf seinen Schultern. Ich bin der Auserwählte!, ging ihm durch den Kopf. Auserwählt durch einen leibhaftigen Boten Gottes! Wer konnte das schon von sich sagen?

Und jener Weg des Kampfes gegen die Vampire, den Gabriel ihm vorgeschlagen hatte, war mit Sicherheit erfolgreicher, als die Vampirjagd mit Holzpflock und Armbrust, die so manch einsamer Vampirjäger betrieb.

So wie Robert Malloy, der jetzt einige Fuß unter einem Beet mit frisch gepflanzten Blumen seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Moses Jordan atmete tief durch. Seine Lippen murmelten Worte in einer unbekannten, uralten Sprache. Wie in Trance wiederholte er immer wieder dieselbe Folge von Silben, deren genauen Sinn ihm heute niemand mehr hätte übersetzen können.

Vielleicht mit Ausnahme von Gabriel.

Gabriel hatte mit einem Stück Holzkohle magische Zeichen auf einige der Gräber gezeichnet, bevor er sich davongemacht hatte.

Welche Rolle diese Zeichen bei der Durchführung des Rituals genau spielten, war Moses Jordan nicht klar.

Er musste dem Mann mit dem engelsgleichen Gesicht einfach vertrauen.

Jordan schloss die Augen.

Er spürte auf einmal, wie eine Kraft ihn von innen her erfasste. Eine geistige Kraft, deren Ursprung er nicht kannte.

Kälte erfasste ihn.

Gabriel hatte ihn diesbezüglich vorgewarnt. "Die Kälte des Limbus, der Zwischendimension... Du darfst sie nicht übermächtig werden lassen!" Immer wieder hallten diese Worte in Jordans Kopf wieder.

Aber jetzt war er allein und auf sich gestellt.

Jordans Gesicht verzog sich wie unter einem starken Schmerz. Er spürte, wie sämtliche Kräfte aus seinem Körper flohen. Seine Knie begannen zu zittern und er fragte sich, wie lange er sich überhaupt noch auf den Beinen halten konnte. Das Gefühl der Kälte breitete sich immer schneller in ihm aus.

Jordan öffnete die Augen.

Aber um ihn herum war nichts als Finsternis.

Ich bin blind!, durchfuhr es ihn schaudernd. Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Herr, lass diesen Augenblick vorüber gehen!, durchfuhr es ihn. Sein Mund murmelte derweil unablässig jene beschwörenden Worte, die Gabriel ihm beigebracht hatte. Immer wieder. Eine Wiederholung, die eine Art hypnotischen Singsang ergab.

Jordan konnte nicht sehen, wie sich die Erde auf so mancher Grabparzelle plötzlich zu regen begann. Ein Blitz zuckte aus einem der Grabsteine heraus, griff auf den am nächsten liegenden über. Weitere Blitze folgten. Sie verbanden jene Grabsteine untereinander, die mit magischen Zeichen versehen worden waren. Ein bizarres Muster, das an einen Stern erinnerte.

Der Grabstein von Rob Malloy stürzte vornüber.

Stöhnende, murmelnde Laute drangen jetzt von überall her, vermischten sich dabei mit dem Lärm der nahen Straßen.

Die Seelen der Verdammten!, ging es Jordan durch den Kopf. Sie rufen. Und sie möchten, dass ich meine Mission erfülle - - nicht zuletzt für sie!

Moses Jordan fühlte sich schwindelig. Alles begann sich zu drehen. Er musste sehr aufpassen, um auf den Beinen zu bleiben.

Etwas stieß in der Grabparzelle von Rob Malloy aus der Erde heraus, ließ sich dabei auch vom Wurzelwerk einer Staude nicht abhalten. Knackende Laute entstanden. Der Boden zu Jordans Füßen begann hier und da leicht zu zittern. Es war beinahe so, als wäre jemand auf die Idee gekommen, anstatt eines Toten eine Sprengladung in eines der Gräber hineinzulassen und diese dann nach ein paar Tagen mit Hilfe eines Zeitzünders in die Luft gehen zu lassen. Sand und Gesteinsbrocken flogen plötzlich im hohen Bogen aus der Erde heraus. Löcher bildeten sich. Ein formloses Etwas langte an die Oberfläche. Augenblicke später konnte man sehen, dass es eine Hand war.

Überall kam jetzt Bewegung in die Erde, mit denen die Gräber bedeckt waren.

Arme und Hände erschienen, ragten plötzlich aus dem Erdreich empor und fuhren damit fort, sich aus den Beeten heraus zu graben. Die ersten Köpfe erschienen, halbe Körper. Manche dieser Körper trugen furchtbare Zeichen der Verwesung. Seit Jahren hatten sie in der modrigen Erde gelegen und waren den Gang allen Fleisches gegangen, hatten langsam vor sich hingerottet.

Die zum Großteil umgestoßenen Grabsteine leuchteten, als ob sie aus fluoreszierendem Material bestanden hätten.

Überall schaufelten sich nun mit bloßen Händen untote Wiedergänger an die Oberfläche. Manche von ihnen mit Knochenhänden. Unartikulierte Laute drangen über ihre verwesten Lippen. Es klang wie eine Art Chor. Der Chor der verdammten Seelen!, dachte Jordan ergriffen. Alles drehte sich in seinem Kopf. Ein schreckliches Gefühl der Kraftlosigkeit hatte ihn befallen und die innere Kälte, die nun in ihm herrschte, ließ ihn zittern. Doch unentwegt sprach er die Beschwörungsformel, die Gabriel ihm beigebracht hatte.

Es ist deine Mission!, durchzuckte es ihn. Du darfst nicht nachlassen, nicht der Agonie nachgeben, die dich zu befallen droht! Du musst durchhalten, koste es was es wolle...

Die Furcht vor dem Tod, die Moses Jordan sein Leben lang beherrscht hatte und ihn schließlich zu einem fanatischen Prediger hatte werden lassen, stieg in ihm auf.

Ein Schauder, der das innerste Mark seiner Seele erfasste.

Er versuchte, dieses Gefühl zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Oh, Herr, gib mir Stärke!, dachte er, während seine Lippen immer noch unablässig jene Silben formten, die vor Äonen vielleicht einmal einen nachvollziehbaren Sinn ergeben haben mochten.

Ein greller Blitz erschien plötzlich vor seinen Augen.

Es dauerte einige Augenblicke, bis Jordan begriff, dass dieser Blitz in seinem Gehirn stattgefunden haben musste, nicht außerhalb seines Körpers auf dem Trinity Cemetery. Grelles Licht blendete ihn. Er schloss die Augen, aber das half nichts dagegen. Das blendend weiße Licht war da.

Ein Schmerz durchzuckte Jordan vom Kopf aus. Ein Schmerz von einer Intensität, wie er ihn nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte. Er schrie unwillkürlich auf. Der Singsang, den er bis dahin ständig fortgesetzt hatte, verstummte.

Jordan ließ die Arme sinken, betastete seinen Kopf.

Langsam nur verebbte diese Schmerzwelle.

Das blendenweiße Licht brannte nicht, es war eiskalt. Als es sich langsam auflöste, kehrte sein Sehvermögen zurück.

Noch immer wurde er von schrecklichen Schwindelattacken heimgesucht. Er taumelte einen Schritt zur Seite und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.

Er blickte sich um.

Ein Blick des Grauens zeigte sich ihm auf dem Trinity Cemetery.

In den kniehohen Nebelbänken standen die wiedererstandenen Toten, die sich mühsam aus dem Erdreich gegraben hatten. Der Friedhof sah aus wie eine Baustelle. Als hätten skrupellose Leichenfledderer ihn heimgesucht. Aber einige Details zeigten doch, dass hier etwas ganz anderes vor sich gegangen sein musste. Etwa die Holzstücke von geborstenen Särgen, die überall herumlagen.

Die Untoten selbst bildeten ein Bild des Grauens.

Der Grad der Verwesung war sehr unterschiedlich. Es gab Tote, die erst vor kurzem begraben worden waren. So wie der Mann in den Vierzigern und die junge Frau. Das müssen Robert Malloy und seine Tochter Madeleine sein!, ging es Jordan schaudernd durch den Kopf.

Hingemeuchelt von skrupellosen Vampiren, den Dienern des Bösen und der Finsternis...

Aber jetzt, so ging es Jordan mit einem Gefühl der Genugtuung durch den Kopf, würden sie Gelegenheit bekommen, sich an jenen zu rächen, die ihnen das angetan hatten. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so spricht der Herr!, erinnerte sich der Prediger.

Robert Malloy stand da, blickte an seinem Körper hinab. Er war bleich, seine Haut wirkte wächsern. Ebenso wie bei seiner Tochter. Malloy wandte den Blick in ihre Richtung. Seine Augen blieben ausdruckslos. Madeleine erwiderte den Blick. Sie öffnete halb den Mund, aber kein Laut kam über ihre ausgesprungenen Lippen.

Dies sind die Heerscharen des Herrn im Kampf gegen das Böse!, wurde es Jordan schaudernd klar. Er ging auf die Knie. Nicht in erster Linie aus andächtigen Gefühlen heraus, sondern vor Schwäche.

Malloy machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu, betrachtete erst seine Tochter, dann seine Hände, so als könnte er dieses neue Leben, dass ihm eingehaucht worden war noch gar nicht fassen.

Glanz trat jetzt in seine Augen.

Ein hungriger Glanz. Er hob das Kinn, es wirkte fast so, als würde der Ex-Cop Witterung aufnehmen.

Auch die anderen Untoten begannen sich zu bewegen, sie traten auf Jordan zu, bildeten einen Halbkreis um ihn. Es waren Dutzende von zombihaften Untoten, darunter lebende Leichen, die sehr stark zersetzt waren. Mehr Erde als Fleisch. Leere Augenhöhlen, aus denen die Maden heraus krochen, schienen den Prediger anzustarren.

Jordan schluckte unwillkürlich.

Doch dann sah er etwas, das ihm schier den Atem raubte.

Die zerstörten Körper begannen sich vor seinen Augen auf wunderbare Weise zu regenerieren. Modriger Humus wurde wieder zu Muskeln, Sehnen und Fleisch. Nackte Knochen bedeckten sich langsam mit Haut. Selbst halbzerfallenes Kleider-Gewebe begann sich wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.

"Es ist wahr!", sagte Jordan laut und voller Ergriffenheit. "Die Auferstehung des Fleisches - sie ist wahr! Hallelujah!"

Die Sinne schwanden ihm.

Das Bild vor seinen Augen verschwamm zu einem formlosen Brei aus Farben.

Er hatte das Gefühl zu fallen.

Dann senkte sich Finsternis über ihn.

7

Diesmal war es eine Blondine, in deren Hals Mike Tensold seine Vampirzähne schlug. Er hatte sie in den Waschraum für Herren hineingezerrt. Das LAST CHOICE schien ein gutes Jagdrevier zu sein. Er drückte die Blondine gegen eines der Waschbecken. Seine Zähne zerfetzten ihr den Hals und mit einem genießerischen Brummlaut schlürfte Tensold ihr Blut.

Der Druck ihrer Arme, mit denen sie ihn wegzustoßen versucht hatte, ließ nach. Das Leben war längst aus ihr gewichen. In ihren starren Augen stand das Grauen.

"Heh, lass mich auch mal!"

Eine Hand packte Mike an der Schulter und riss ihn herum. Blut spritzte aus der Kehle der jungen Frau empor bis an die Decke. Spiegel und benachbarte Waschbecken waren rot gesprenkelt.

Tensold wandte ärgerlich den Kopf, während seine Hände die Leiche mit sicherem Griff festhielten.

Er blickte in die leicht rötlichen Augen seines Kumpels Pel Fernandez.

Fernandez war noch ziemlich jung. Kaum zwanzig und erst seit einem halben Jahr Vampir.

"Was fällt dir ein, Bastardo!", schimpfte Tensold. "Sieh dir die Schweinerei an!" Tensold konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn Blut verschwendet wurde. "Andere Vampire hungern!"

"Sorry, aber ich dachte, wir sind wie Brüder, Mann! Und in der Kleinen ist doch genug für uns Beide, denke ich!"

Tensold hatte eine giftige Erwiderung auf den Lippen.

Aber er verschluckte sie, als plötzlich jemand von den Toiletten hereinkam, um sich die Hände zu waschen. Ein groß gewachsener, übergewichtiger Rocker mit einer Lederjacke voller Embleme und einem Piratentuch um den Kopf. Der Bart war noch etwas länger als bei den Musikern von ZZ Top. Er hatte ihn zu zwei kleinen Zöpfen zusammen geflochten, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem alt-keltischen Barbarenkrieger verlieh.

Er stand wie erstarrt da, blickte auf das Blut und öffnete dann halb die Lippen, so als wollte er etwas sagen. Aber kein einziger Laut drang aus seinem Mund. Selbst ein Kerl wie er war offenbar von dem, was er hier vorfand zu sehr schockiert, um auch nur irgendeinen Laut herauszubekommen.

"Na, los, Pel! Worauf wartest du?", rief Tensold.

Pel Fernandez schnellte auf den Rocker zu.

Diesem blieb überhaupt keine Zeit, um sich noch zu wehren.

Der junge Vampir versetzte dem Koloss einen brutalen Stoß.

Der Rocker wurde zurückgeschleudert. Er kam so hart gegen die Wand, dass er regungslos zu Boden rutschte. Blut verschmierte dort, wo er aufgekommen war.

"Erledigt!", meinte Fernandez.

Er atmete auf.

Jetzt flog die Außentür der Waschräume zur Seite. Ein Mann mit einer Machete trat ein. Er hatte schwarz gefärbtes Haar, trug Lederjacke und Jeans. Und er blieb vollkommen ruhig, während sein Blick über die Szenerie schweifte.

Tensold ließ den Körper der jungen Frau sinken, deren Blut sich nun in einer ausgedehnten Lache auf den Boden ergoss.

"Was ist dass denn für einer?", knurrte Tensold. Er fuhr seine Vampirzähne ein.

"Mein Name ist Chase Blood", sagte der Mann mit der Machete. "Und ich bin im Auftrag von Franz, Fürst von Radvanyi hier, um euch abzuschlachten!"

Und dabei entblößte Chase für einen kurzen Moment seine Vampirzähne.

Tensolds Augen verengten sich. Er sah zu Fernandez hinüber.

"Da hast du dir aber eine Menge vorgenommen! Wäre es nicht besser, wir würden einen netten Blut-Snack teilen?"

"Ihr gehört nicht zu den New Yorker Vampiren. Und der Fürst hat euch keinesfalls erlaubt, dass ihr euch in seinem Bereich aufhaltet."

"Hey, Mann, warum so förmlich?"

Chase fuhr ungerührt fort.

"Außerdem macht ihr durch eure Unbeherrschtheit die Menschen auf uns aufmerksam. Es gibt schon Vampirjäger genug. Wir müssen keinesfalls noch etwas für die Motivierung des Nachwuchses tun!"

"Sorry, wenn wir eure Regeln verletzt haben, aber..."

"Wie viele seid ihr? Nur ihr beide?"

Tensold ballte die Hände zu Fäusten.

"Jedenfalls sind wir im Moment zu zweit - und du allein! Bevor du es auf die Spitze treibst, solltest du darüber noch mal nachdenken, Bruder!"

"Ich glaube, es ist effektiver, wenn ich mich nur mit einem von euch weiter unterhalte!", knurrte Chase.

Er packte die Machete mit beiden Händen und stürzte auf Tensold zu.

Doch der war schnell.

Und im Gegensatz zu Chase Blood war er offenbar in seinem ersten, menschlichen Leben auch Kampfsportler gewesen. Blitzartig wich Tensold zur Seite, duckte sich. Der Machetenhieb, mit dem Chase dem fremden Vampir den Kopf vom Rumpf hatte trennen wollen, ging ins Leere. Die Spitze der Machetenklinge kratzte über das Glas der Spiegel.

Tensold ließ seinen Fuß hochfahren.

Ein mörderischer Karatetritt traf Chase in Höhe des Bauchnabels. Er taumelte seitwärts, rang nach Luft.

"Verschwinden wir, da kommen sicher noch mehr von seiner Sorte!", rief er.

Der Weg zur Tür, die zum Flur führte, war frei.

Mit zwei weiten Schritten war Tensold dort.

Pel Fernandez folgte ihm.

Aber da war Chase schon wieder auf den Beinen.

Er erreichte Fernandez kurz bevor dieser seinem Kumpan zur Tür hinaus folgte. Dann ließ Chase die Machete niedersausen.

Er hieb tief in die Schulter des Flüchtenden.

Dieser schrie auf.

Der Schmerz musste höllisch sein. Chase wusste, das er seinen Gegner auf diese Weise nicht töten konnte. Aber das beabsichtigte er im Moment auch nicht.

Noch nicht.

Er zog die Klinge aus dem Körper seines Gegenübers.

Er packte den konsternierten und durch den höllischen Schmerz an seiner Schulter völlig außer Gefecht gesetzten Fernandez und schleuderte ihn durch den Waschraum. Er kam hart gegen die Wand, rutschte an ihr zu Boden. Die Wunde, die er dem fremden Vampir beigebracht hatte, würde sich nach einiger Zeit wieder schließen, je nachdem, wie viel Willenskraft Fernandez aufbrachte.

Aber für ein paar Sekunden konnte Chase es riskieren, Fernandez dort auf den Fliesen des Waschraums liegen zu lassen, ohne dass er Angst haben musste, dass ihm der junge Mann entkam.

Chase stürtzte hinauf den Flur, die blutige Machete in den Händen.

Er sah sich zu beiden Seiten um.

Von Tensold gab es keine Spur mehr.

Chase atmete tief durch.

Es hatte keinen Sinn, jetzt zu einer Verfolgung anzusetzen. Dazu war Chase auch gar nicht schnell genug. Aber schließlich war es eine Kleinigkeit gewesen, ihn und seinen Freund beim ersten Versuch aufzuspüren. Chase war überzeugt, dass ihm das wieder gelingen würde. Und wenn sein Gegner New York Hals über Kopf verließ - umso besser für ihn selbst.

Chase drehte sich herum, kehrte in den Waschraum zurück.

Fernandez hatte sich bereits etwas erholt.

Der Schnitt, den Chase ihm beigebracht hatte, reichte Fernandez bis zur Herzgegend. Die übermenschliche Wucht des Machetenschlages hatte Schlüsselbein und Rippen zerschmettert.

Fernandez war auf den Knien, versuchte gerade aufzustehen.

Chase ließ die Machete niedersausen, hieb Fernandez den rechten Arm ab. Fernandez schrie auf. Der Arm rutschte über den Boden. Er würde nachwachsen, aber Chase dachte nicht daran, seinem Gegenüber dazu noch lange genug Zeit zu geben.

Mit einem Tritt vor den Oberkörper stieß er Fernandez zu Boden. Dieser starrte auf den blutigen Armstumpf. Seine Augen waren vor Grauen geweitet. Chase kniete sich auf den Boden, beugte sich über ihn, setzte ihm die Machete an die Kehle.

"Ich will jetzt ein paar Auskünfte!", sagte Chase dann.

Fernandez war fast von Sinnen vor Schmerzen.

Er brauchte seine gesamte Willenskraft, um wenigstens die Blutung des Armstumpfs zu stoppen.

Chase fragte: "Wie viele seid ihr? Nur du und dieser mutige Freund, der dich sofort im Stich gelassen hat, als es schwierig wurde?"

"Ja!", stieß er hervor.

Chase nahm die Machete, drehte sich etwas und ließ sie dann niedersausen. Fernandez schrie auf, als ihm der linke Fuß vom Bein getrennt wurde.

Dann setzte er die Klinge wieder an Fernandez Kehle und der junge Vampir verstummte.

"Keinen Ton mehr! Wenn du dich nicht zusammenreißt, ist es aus mit dir!"

Fernandez presste die Lippen aufeinander.

"Was sollte das?", keuchte er.

"Ich mag's nicht, wenn ich angelogen werde!"

"Also gut, wir sind insgesamt etwa ein Dutzend."

"Und wer schickt euch?"

"Niemand!"

"Sorry, aber bald ist nicht mehr viel an dir dran, was ich noch abhacken könnte!"

Fernandez versuchte, Chase einen Faustschlag zu versetzen. Aber Chase reagierte kompromisslos. Er hieb zu. Ein sauberer Schnitt. Die Faust trennte sich vom Arm. Ein blutiges Stück Fleisch, das ein paar Meter durch den Waschraum geschleudert wurde und dann punktgenau in einem der Becken landete.

Chase grinste. "Zwei Punkte-Korb!"

Das Blut schoss aus dem Stumpf heraus. Fernandez hatte kaum genug Kraft, um den Heilungsprozess in Gang zu setzen und die Blutung zu stoppen.

"Ihr kommt nicht zufällig aus Philadelphia, oder?"

In Philadelphia residierte Magnus von Björndal, einer der schärfsten vampirischen Konkurrenten des Fürsten. Immer wieder hatte er versucht, seinen Einflussbereich auszudehnen, wie umgekehrt auch der Fürst Philadelphia gerne unter seinem Einfluss gesehen hätte.

Fernandez war jetzt nicht mehr in der Lage, zu antworten.

Der Schmerz machte ihn rasend.

Chase ließ die Machete niedersausen, trennte ihm den Kopf vom Leib - oder dem, was Chase davon noch übrig gelassen hatte.

Fernandez zerfiel zu grauem Staub.

Nur die Kleidung blieb zurück. Sie fiel in sich zusammen. Chase durchsuchte die Taschen, fand neben einem Ticket für den Nachtzug aus Philadelphia auch die Adresse eines Hotels in Manhattan. Dazu einen maschinell ausgestellten Rechnungsbeleg über die Inanspruchnahme des Zimmer Service für eine bestimmte Suite.

Also doch!, durchzuckte es Chase. Sie kamen aus Philadelphia.

Magnus von Björndals Leute!

Und wie es schien, ein ganzes Nest davon!

Den Fürst würden diese Nachrichten nicht gerade freuen!

Chase ging hinaus.

Er passierte den Flur, erreichte schließlich das LAST CHOICE. Die Heavy Metall Musik, die dort aus den Boxen dröhnte war derart laut, dass es ziemlich unwahrscheinlich war, dass jemand die Schreie aus dem Waschraum gehört hatte.

Umso besser, dachte Chase.

Das machte die Sache unkomplizierter.

Sein nächstes Ziel stand fest. Es war das Hotel Shapiro am unteren Broadway. Zumindest einer der Philadelphia-Vampire hatte dort übernachtet. Und möglicherweise gab es da ja ein ganzes Nest.

Chase atmete tief durch, als er ins Freie gelangte und die kühle Nachtluft in sich aufsog.

Scheiß Job!, dachte er.

8

Malloy ging die Straße entlang. Madeleine folgte ihm mit etwas Abstand. Ein paar Meter dahinter folgten weitere jener wiedererstandenen Toten, die sich aus den Gräbern des Trinity Cemetery heraus gegraben hatten. Es war weit nach Mitternacht und der Verkehr in New York hatte zwar etwas nachgelassen, war aber weit davon entfernt, sich völlig zu beruhigen. Diese Stadt schlief eben nie. Malloy drehte sich um, ließ den Blick schweifen. Er starrte einer Limousine nach, die die Straße entlangfuhr.

Dann stierte er einen Passanten an, der daraufhin etwas befremdet wirkte.

Sieh dir alles genau an!, ging es durch seinen Kopf. Sieh es dir an und nimm es sorgfältig in dir auf...

Er wirkte wie jemand, der zum ersten Mal diese Straße entlang ging. Jemand, der nicht wusste, wo er war. Sein Blick war der eines ahnungslosen Kindes.

Alles ist so fremd!, dachte er. Nichts erinnert dich an die eiskalte Welt, aus der du gekommen bist.... Es wird eine Weile dauern, bis du dich zurechtfindest...

Er stoppte abrupt, betrachtete einige Augenblicke lang einen Obdachlosen, der in einer Türnische saß.

Madeleine blieb ebenfalls stehen.

Sie wechselte einen kurzen Blick mit ihrem Vater.

Malloy atmete tief durch.

"Wir werden Vampire jagen!", sagte Malloy. Er lächelte dabei, betastete ungläubig seinen Mund, so als konnte er kaum glauben, dass er tatsächlich gesprochen hatte.

"Ja!", stieß Madeleine hervor.

Und auch sie betastete ungläubig ihre Lippen. "Es funktioniert tatsächlich..."

"Ich hätte es kaum für möglich gehalten!"

"Was ist geschehen?"

"Ich weiß nicht... Aber ich bin überzeugt davon, dass wir es bald begreifen werden."

9

Mike Tensold atmete tief durch, als er sich in seiner Suite im Hotel Shapiro am südlichen Ende des Broadway befand. Er schloss die Tür hinter sich. Hier war sein Ruheraum, an dem er die Tage in einem fast komatösen Schlaf verdämmerte, so wie Vampire es zu tun pflegten.

Der Fernseher lief.

Zach McCall, einer der anderen Vampire, die mit Mike Tensold nach New York gekommen waren, saß vor dem Bildschirm, sah sich die nächtliche Wiederholung eines Footballspiels an und aß dazu Chips. Auf dem niedrigen Wohnzimmertisch standen leere Bierdosen.

"Hi, Mike!"

Tensold ging zum Fernseher, schaltete ihn ab.

McCall sah ihn ärgerlich an. Er hatte den Körper eines Dreißigjährigen, trug ein fleckiges T-Shirt und Jeans. In Wirklichkeit war er allerdings bereits über sechzig. Aber das sah ihm niemand an.

"Wir müssen reden", sagte Mike Tensold.

"Hey, was soll das? Ich weiß, dass Magnus von Björndal gewisse Erwartungen an unseren hiesigen Aufenthalt hat, aber ich finde, wir haben schon für genug Aufsehen gesorgt! Ich habe heute Abend auch noch einen kleinen Imbiss verzehrt!" Er kicherte. "Ein Zimmermädchen aus dem Shapiro!"

"Bist du verrückt?"

"Ich habe sie in einer Seitenstraße abgelegt. Aber man wird sie natürlich finden. Und die verdammten Vampirjäger werden aus den Meldungen in der Presse schon ihre Schlüsse ziehen..." Er sah Tensold an, stierte auf die Blutflecken auf dessen T-Shirt. Jetzt, da er die Lederjacke aufgeknöpft hatte, kamen sie zum Vorschein. McCall grinste. "Ich sehe, du warst auch aktiv!"

Genau darin bestand der Auftrag, den Magnus von Björndal seinen nach New York entsandten Leuten gegeben hatte. Sie sollten die Aufmerksamkeit der Vampirjäger auf New York richten, damit Fürst von Radvanyi so viel Ärger wie nur irgend möglich bekam. Sollten sich die unter dem Befehl des Fürsten stehenden Vampire doch erstmal an den Vampirjägern buchstäblich die Zähne ausbeißen... Für Magnus von Björndals Gefolgschaft würde es dann umso leichter werden, New York schließlich zu übernehmen.

"Pel und ich wurden in den Waschräumen des LAST CHOICE angegriffen", meinte Tensold.

"Und?" McCall kniff die Augen zusammen. "Was ist mit Pel?"

"Er hat's wohl nicht geschafft! Dieser Kerl hatte eine Machete."

"Ein Vampir?"

"Sicher, sonst hätte ich ihn doch alle gemacht!"

"Verdammt!"

"Scheint so, als wären die New Yorker Artgenossen auf uns aufmerksam geworden."

"War doch früher oder später mit zu rechnen!"

Tensold nickte. "Wenn du mich fragst - um Pel Fernandez ist es auch nicht besonders schade. Ich konnte ihn ohnehin nicht leiden..."

"Weil er scharf auf deinen Posten war!", stellte McCall grinsend fest und entblößte dabei kurz seine Vampirzähne.

Ein ärgerlicher Zug trat in Tensolds Gesicht. Es passte ihm nicht, dass für McCall seine Gedanken offenbar wie ein offenes Buch waren.

Das krachende Geräusch von berstendem Holz ließ die beiden Vampire herumfahren.

Jemand hatte die Tür eingetreten.

10

Robert Malloy war in einem dunklen Anzug beerdigt worden. Genau die richtige Garderobe für ein Hotel wie das Shapiro.

Trotzdem fiel er dem Nachtportier viel mehr auf als Mike Tensold mit seiner abgetragenen Lederjacke und der fleckigen Jeans. Tensold hatte als Beruf 'Musiker' ins Gästebuch eingetragen. Das Hotelpersonal war in dieser Hinsicht einiges gewohnt.

Malloy fiel wegen seines eigenartigen Ganges auf. Er wirkte zögernd, unsicher.

Zusammen mit Madeleine betrat er die Eingangshalle des Shapiro.

"Hier sind sie!", sagte er.

Madeleine nickte. "Ja."

"Du spürst ihre Anwesenheit auch, nicht wahr?"

"Ja", hauchte sie. Ein eigenartiger Glanz trat in ihre Augen.

Seine Lippen zuckten, formten etwas, das sehr entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte.

Der Portier runzelte die Stirn.

Was ist das denn für einer?, ging es ihm durch den Kopf. Irgendetwas stimmte mit dem Mann nicht... Und für die Frau galt dasselbe!

Sie traten an die Rezeption heran.

Der Nachtportier hob die Augenbrauen.

"Sie wünschen?"

Malloy und Madeleine wechselten einen kurzen Blick.

Als keine Antwort kam, meinte der Portier: "Bei Gästen, die ohne Gepäck kommen, muss ich allerdings auf Vorkasse bestehen. Ich denke, dafür haben Sie Verständnis."

Mit einer Schnelligkeit, die der Portier keinem der beiden zugetraut hatte, wurde sein Handgelenk von Malloy gepackt.

"Heh..."

Der Portier verstummte.

Malloys Griff war wie ein Schreibstock.

Er schien über eine geradezu unmenschliche Kraft zu verfügen.

Seine Hand verwandelte sich, ihre Form floss auseinander. Die Finger wurden zu Tentakeln, die den Arm hinauf wuchsen. Innerhalb einer Sekunde reichten sie bis zu den Achseln des Portiers, einen Augenblick später waren sie bereits zum Kopf emporgewachsen. Sie teilten sich. Ein kleineres etwa einen halben Finger dickes Tentakel saugte sich an der Schläfe fest. Ein Zischlaut entstand. Der Blick des Portiers wurde leer und starr.

Die Tentakel zogen sich blitzschnell wieder zurück.

Malloys Hand bekam ihre alte Form zurück.

Er ließ den Portier los.

Dieser wirkte orientierungslos und verwirrt. Er starrte Malloy an, öffnete die Lippen, brachte aber nicht ein einziges Wort heraus.

Er wirkte wie zur Statue gefroren, starrte scheinbar ins Nichts.

Malloy wandte sich an Madeleine.

"Ich weiß jetzt, was >er> wusste!", stellte er fest. "Im dritten Stock wohnen die, auf die die Merkmale zutreffen..."

"Dann hat uns unser >Sinn> nicht im Stich gelassen..."

"Er funktioniert auch hier... Seltsam..."

"Was?"

"Die Bewohner dieser Welt scheinen nichts von der Existenz der Vampire zu wissen..."

"Lass uns keine Zeit verlieren!"

"Ja."

Sie gingen die Treppe hinauf. Weder Madeleine noch Malloy kamen auf den Gedanken, den Lift zu benutzen.

"Eine unvollkommene Art der Verständigung", sagte Malloy plötzlich.

Madeleine sah ihn fragend an.

"Was?"

"Reden."

"Das stimmt."

Sie nahmen immer mehrere Stufen auf einmal. Die Suite im vierten Stock, auf deren gegenwärtige Bewohner die Vampirmerkmale zutrafen, hatten sie schnell erreicht.

Malloy zögerte, bevor er versuchte die Tür zu öffnen.

"Dieser Körper...dieses Gehirn..."

"Hast du es nicht originalgetreu genug nachgebildet?"

"Doch..." Die Karikatur eines Lächelns erschien auf Malloys Gesicht. Es verzog sich zu einer schwer deutbaren Grimasse. "Da sind einige Bewegungsreflexe... Warte!"

Im nächsten Moment trat Malloy die Tür ein, so wie es der Lieutenant Detective bei zahllosen heiklen Einsätzen getan hatte.

Die Tür flog zur Seite.

Die beiden Vampire wirbelten herum.

Ein Ausdruck vollkommener Überraschung stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

"Hier sind wir richtig!", sagte Malloy an Madeleine gewandt.

Die beiden betraten die Suite. Sie bewegten sich nicht mit besonderer Eile. Dazu bestand auch kein Grund. Sie wussten, dass die beiden Blutsauger ihnen nicht entkommen konnten.

Der Fluchtweg war ihnen schließlich abgeschnitten.

Tensold wich einen Schritt zurück. McCall erhob sich aus dem Sessel, kaute noch auf ein paar Chips herum.

"Du hättest mir auch sagen können, dass dir Radvanyis Brut so nahe auf den Fersen ist!", beschwerte sich McCall.

Tensold ging derweil zum Angriff über.

Er machte einen Schritt zur Seite, griff sich einen Spieß aus dem Kaminbesteck und stürmte damit auf Malloy zu. Malloy wich blitzschnell zur Seite. Der Stoß ging ins Leere.

Malloy packte den Spieß, riss ihn dem Vampir aus der Hand und schleuderte ihn zur Seite. Das Metall kratzte über den edlen Parkettboden. Tensold wich zurück.

Malloy setzte nach, streckte den Arm nach dem Vampir aus. Und dabei verwandelte er sich in ein langes kräftiges Tentakel, dessen dünnes Ende sich wie eine Peitschenschnur um Tensolds Hals legte.

Tensolds Augen quollen vor Schrecken aus ihren Höhlen.

Malloy - dessen Gestalt jetzt nur noch teilweise menschlich war - zog den Vampir zu sich heran. Auch der andere Arm verwandelte sich in ein Tentakel. Malloy setzte es an der Schläfe ein. Ein Zischlaut war zu hören. Tensold schrie laut auf, als sich ein fingerdickes Tentakelende in seinen Schädel hineinbohrte.

Er ließ das Knie hochfahren, schlug mit aller Kraft auf seinen Gegner ein und versuchte ihn von sich zu stoßen.

Malloy taumelte zurück.

Tensold keuchte. Aus der Wunde an seinen Kopf blutete es.

Gleichzeitig fühlte er eine unheimliche Schwäche. Eine Schwäche, die nichts mit dem zu tun hatte, was mit seinem Körper geschehen war... Die Gedanken wurden langsamer, es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.

Malloy war durch den Stoß des Vampirs fast bis zur Tür zurückgeschleudert wurden. Er stöhnte auf, erhob sich dann langsam. Einige Augenblicke lang bildete sein Körper eigenartige Formen aus. Tentakelartige Gliedmaßen, die keinen speziellen Zweck zu erfüllen schienen. Dann stabilisierte sich seine Form wieder. Mit einem vollkommen menschlichen Körper erhob sich Malloy wieder. In seinem Gesicht zuckte es. Er warf einen kurzen Blick zu Madeleine, die inzwischen auch zum Angriff übergegangen war. Aber McCall wich ihr aus. Offenbar war der Chips essende Vampir kein großer Kämpfer.

Tensold schnellte ein paar Schritte seitwärts, bückte sich und griff nach dem Kaminspieß.

Er schleuderte ihn wie einen Speer.

Der Spieß bekam durch die übermenschlichen Kräfte des Vampirs eine ungeheure Wucht.

Die Spitze drang durch Malloys Brustkorb hindurch.

Es war ein Akt der Verzweiflung. Natürlich wusste Tensold, dass er einen vampirischen Gegner auf diese Weise nicht zu töten vermochte. Aber immerhin konnte er ihn möglicherweise schwächen. Und in der Zeit, in der er sich regenerierte, war er verwundbar. Verdammt, warum musste dieser Kaminspieß auch aus Gusseisen sein - anstatt aus Holz!

Inzwischen zweifelte Tensold jedoch dran, es überhaupt mit einem Vampir zu tun zu haben. Zwar gab es durchaus auch Vampire, die ihre Körperform zu ändern vermochten, aber von einem tentakelbildenden Monstrum unter seinen Artgenossen hatte der Vampir noch nie etwas gehört.

Er fühlte Schwindel. Alles drehte sich vor seinen Augen.

Mit letzter Kraft hatte er sich aus den Tentakelfängen seines Gegenübers befreit. Er atmete schwer. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er hat dir einen Teil deiner Kraft genommen!, wurde es ihm klar. Auf welche Weise das auch immer geschehen sein mochte...

Der Schmerz an seinem Kopf war höllisch.

Malloy hingegen schien das in seinen Brustkasten eingedrungene Wurfgeschoss wenig auszumachen.

In seinem Gesicht zuckte wieder die Verhöhnung eines menschlichen Lächelns. Er kam näher, ging unerbittlich auf Tensold zu.

Der Vampir ahnte, dass sein Gegenüber die besseren Karten auf seiner Seite hatte.

"Im Gegensatz zu dir kenne ich keinen Schmerz!", sagte Malloy dann gedehnt. Er öffnete den Mund. Eine Art Lachen drang über seine Lippen. Er riss dabei den Mund auf wie ein heulender Wolf.

Dann packte er den Kaminspieß, zog ihn sich aus der Brust heraus.

Blut und grüner Schleim flossen aus der Wunde, die sich schon wieder zu schließen begann. Malloy schleuderte den Spieß in Tensolds Richtung. Er durchbohrte den Vampir, ließ ihn zurücktaumeln und nagelte ihn förmlich an die Wand. Die Spitze steckte in der Holzvertäfelung fest. Tensold schrie laut auf. Einen Augenblick später war Malloy bei ihm. Seine Arme wurden zu Tentakeln, die sich immer wieder teilten. Blitzschnell wuchsen sie und schnürten Tensold regelrecht ein. An mehreren Stellen bohrten sich die Tentakelenden in den Schädel. Aber da hatte Tensold schon gar nicht mehr genug Kraft, um zu schreien. Sein Blick erstarrte wie unter einem Anfall von Katatonie.

Malloy stieß unterdessen ein wohliges Brummen aus.

"Ja, das tut gut!", murmelte er, während er den Strom an mentaler Energie genoss, der jetzt über ihn hereinbrach. Pure Lebenskraft!, dachte Malloy ergriffen. Und in einer Vampirseele war so unvergleichlich viel mehr davon vorhanden als es bei einem der ach so verletzliche anderen Bewohner dieser Welt der Fall war.

Als Malloy schließlich von ihm abließ, hing der Körper des Vampirs schlaff an der Wand. Sein eigenes Gewicht zog schließlich die Spitze des Kaminspießes aus der Wand und ließ den Körper zu Boden fallen. Sehr bleich war er. Die Haut wirkte ausgetrocknet und fast wie mumifiziert. Eine grässliche Veränderung war mit Tensold vor sich gegangen.

Der Blick war gefroren.

Malloy atmete tief durch, wandte sich um und sah Madeleine zu, die es gerade geschafft hatte, Zach MacCall zu Boden zu reißen. Ihre Arme und Beine waren zu Tentakeln geworden und schnürten McCall zusammen. Der Vampir hatte zu langsam reagiert. Sein Kampfstil taugte wohl nur etwas gegen schwache Sterbliche.

Sein Kopf war noch frei.

Verzweifelt versuchte er damit, den sich immer weiter teilenden und verzweigenden Tentakeln auszuweichen. Aber schließlich fixierten diese formlosen Gliedmaßen, die entfernt an Krakenarme erinnerten, den Kopf des Vampirs. An mehreren Stellen setzten sie an. Der Vampir schrie. Aber nicht lange. Dann war auch sein Blick erstarrt.

11

Als Chase Blood das Foyer des Shapiro durchschritt, war dort gerade einiges los. Ein Wagen des Emergency Service stand vor der Tür. An der Rezeption des Nachtportiers kümmerten sich einige Pfleger und der Notarzt um den Diensthabenden. Jedenfalls nahm Chase das an, denn der Mann auf der Bahre trug die Uniform der Hotelbediensteten.

Der Mann starrte ins Leere.

Für Chase war die Situation günstig.

Er konnte unbemerkt durch das Foyer gelangen.

Niemand beachtete ihn, als er sich mit dem Lift hinauftragen ließ. In der Hand hielt er einen Blumenstrauß, den er in einem der 24 Stunden geöffneten Geschäfte in New York gekauft hatte, um seine Machete damit zu tarnen.

Minuten später stand er vor der Tür jener Suite, in die zumindest einer der Philadelphia-Vampire den Zimmerservice bestellt hatte.

BITTE NICHT STÖREN! stand an der Tür.

Als Chase die Tür leicht berührte, stellte er fest, dass sie nicht geschlossen war. Das Schild war so aufgehängt, dass man das zerstörte Schloss nicht gleich sehen konnte. Aber es konnte keinen Zweifel geben: Die Tür war eingetreten worden. Chase öffnete sie, trat dann ein.

Einen Augenblick später fand Chase die beiden Vampire.

Sie lagen auf dem Boden, den Blick starr ins Nichts gerichtet. Tensold erkannte Chase nur an der Kleidung. Er sah aus wie eine Mumie.

Das Abscheulichste waren die fingerdicken Löcher in den Schädeln der beiden Vampire.

Chase atmete tief durch.

Sein Gesicht verdüsterte sich.

So etwas wünscht man nicht mal seinen schlimmsten Feinden!, ging es Chase durch den Kopf. Eine Ahnung stieg in ihm auf. Eine Ahnung davon, was mit den beiden geschehen war.

Chase warf die Blumen zur Seite, holte die Machete hervor.

Dann machte er sich daran, den beiden mumifizierten Vampiren den Kopf abzuhacken.

Sekundenbruchteile, nachdem er ihnen jeweils den Hals durchtrennt hatte, zerfielen sie zu grauem Staub. Keine Pension wird dich irgendwann von diesem Höllenjob erlösen!, ging es ihm düster durch den Kopf.

Als er das Shapiro verließ und sich wieder im Freien befand, hatte man den Portier gerade in den Emergency-Wagen geschleppt. Chase hörte wie sich der Arzt mit einem der Pfleger unterhielt. "Muss eine Art Katatonie sein!"

"Scheintod?"

"Ja, kann man so nennen. So etwas habe ich noch nie erlebt!"

"Ich dachte, so etwas gibt es nur in Horror-Filmen, in denen jemand aus versehen lebendig begraben wird!"

"Dachte ich auch."

Chase ging an ihnen vorbei. Er hatte seine Harley in der Nähe abgestellt. Als er die Maschine erreicht hatte, schwang er sich auf den Bock und startete sie. Wenig später brauste er über den Broadway Richtung Norden. Er musste so schnell wie möglich zum Empire State Building, wo der Fürst residierte.

Das, was er im Shapiro gesehen hatte, bedeutete eine völlig neue Situation.

Und darüber musste auch der Herr des Imperiums der Finsternis in Kenntnis gesetzt werden.

12

Fürst von Radvanyi hörte stirnrunzelnd zu, dann ging er an die Fensterfront und blickte auf das Lichtermeer des Big Apple. Nicht mehr lange und die ersten Strahlen der Sonne würden sich über den Horizont wagen. Dann war es Zeit für die Vampire, sich in ihre Ruheräume zu begeben. Ein Sarg war nicht unbedingt notwendig. Wahrscheinlich schlief die Mehrheit der New Yorker Vampire in ganz gewöhnlichen Betten. Nur achtete sie peinlich genau darauf, dass der jeweilige Raum auch abgedunkelt werden konnte. Denn Sonnenlicht wirkte tödlich.

Chase Blood berichtete weiter.

Und was er zu berichten hatte, konnte Fürst von Radvanyi nicht gefallen.

Er wandte schließlich den Kopf in Chase' Richtung. Eine Strähne seiner gelockten Haarpracht fiel ihm dabei in das bleiche Gesicht. Er strich sie sich mit einer fahrig wirkenden Geste zurück.

"Die Gefahr für uns ist viel größer, als ich in meinen schlimmsten Albträumen befürchtet habe!", brachte er dann heraus. "An sich hätte ich nichts dagegen, wenn jemand für uns die Vampire aus Philadelphia zur Strecke bringt, aber unter diesen Umständen..."

">Ich> habe sie zur Strecke gebracht", betonte Chase. "Zweifellos lebten sie noch, als ich sie fand, wenn auch ihr Zustand..." Chase brach ab.

"Das, was du mir berichtet hast spricht eine eindeutige Sprache", meinte der Fürst. "Es müssen Komori gewesen sein..."

"Ich dachte, das wäre eine Legende, Herr!"

"Du Ahnungsloser! Nein, es gibt sie wirklich, auch wenn es lange her ist, seit sie das letzte Mal in unsere Welt gerufen wurden. Es muss im Jahr 1744 oder 45 gewesen sein. Jedenfalls wütete die Pest und..." Er brach ab. Nie zuvor hatte Chase den Fürst so erschüttert gesehen.

"Sie bohren ihre Tentakel durch die Schädel ihrer Opfer, nicht wahr?", fragte Chase.