Dämonentöter - Jürgen Friemel - E-Book

Dämonentöter E-Book

Jürgen Friemel

0,0
3,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Abenteuer des jungen Ragnor entführen Sie auf die ferne Welt des Planeten Makar, der begleitet von zwei Monden, einsam um eine rote Sonne kreist. Auf dieser mittelalterlich geprägten Welt, auf der es nicht nur Menschen gibt, erlebt der junge Mann, dessen Herkunft zunächst im Dunkel liegt, vielfältige Abenteuer. Dabei spielt die Quasar-Magie der Hüter Amas, der Paladine des Lichts, eine zunehmend wichtige Rolle, wobei Ragnor, Stück für Stück, deren Macht zu meistern lernt. Dies ist auch dringend geboten, denn die dämonischen Heerscharen Ximons, des Gottes der Finsternis, lauern bereits an den Portalen des Orcus, begierig in Bälde über die Bewohner Makars herzufallen.

In Band 3 der Saga lernt er Standesdünkel, Neid und Hass so richtig kennen, aber findet auch seine große Liebe. Er macht sich mächtige Feinde und gewinnt neue Freunde, an deren Seite er in einem grausamen Krieg bestehen muss, welcher von einem Protektor des dunklen Gottes angezettelt wurde. Nun muss er beweisen, ob seine Beherrschung der Quasar-Magie bereits ausreicht, auch gegen leibhaftige Dämonen zu bestehen, welche sein Feind aus dem Orcus herbeiruft und die mit normalen Eisenwaffen nicht zu töten sind.

Wer sich dafür interessiert, wie es weitergeht, kann gerne auf meiner Homepage: ragnor.de vorbeischauen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jürgen Friemel

Dämonentöter

Ragnor Saga: Die Hüter AMAs - Band 3

Ich möchte mich ganz besonders bei Beate Rocholz für ihr großartiges Cover-Design bedanken, welches der gesamten Saga ein Gesicht gegeben hat.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Prolog

„Sind die Instruktoren der Grauen Legionäre ausgeschickt worden?“

            „Ja Erhabener, wie Ihr es befohlen habt. Auf jeder bekannten Welt, die noch nicht unter unserem Protektorat steht, wird ein erfahrener Zenturio abgesetzt werden, um sie zu Ximon zu bekehren. Er wird ihm ihre Seelen zuführen, damit er seinen, nie endenden, Hunger stillen kann. Die Hyperraumkapseln der Schläfer sind bereits vor drei Tagen gestartet worden.“

            Dann herrschte wieder das übliche dumpfe Schweigen der Kreaturen Ximons auf der finsteren Zentralwelt des dunklen Imperiums von Xitar. Nur das lautlose Schreien der geknechteten Seelen, die sich im Griff des finsteren Gottes wanden, hallte in den Köpfen derer wider, deren Geist die fünfte Dimension erfassen konnte. Außer Ximons Kreaturen, die sich an diesem Leiden labten, gab es nicht mehr viele, die dazu in der Lage gewesen wären, denn Ximon hatte die Hüter Amas mit Stumpf und Stiel ausrotten lassen.

            Aber dennoch hielt sich die Legende auf den Welten, die immer noch Ama anhingen, dass sie irgendwann wiederkehren würden, um Ximon und seine Schergen in ihre Schranken zu weisen.

            Lautlos glitt ein kleines ovales Schiff mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Hyperraum auf den Planeten Makar zu. Dieser lag ganz am Rande Andromedas und kreiste einsam um eine alte, rote Sonne, nur von seinen beiden Monden begleitet.

            Planmäßig verließ das Raumschiff sicher gesteuert von seinem Bordcomputer die fünfte Dimension und setzte zur Landung auf dem Nordkontinent Makars an.

            Und da passierte das Unvorhergesehene! Es war ein Zufall, wie er nur alle paar Millionen Standardjahre vorkam und doch geschah es hier und heute. In demselben Moment, als das kleine Raumschiff in die dichte Atmosphäre des Planeten eintrat und seine Ortungsgeräte für einen Moment nicht funktionierten, trat ein kleiner kristalliner Meteor, der irgendwo aus den Tiefen Andromedas stammte und schon seit Millionen von Jahren unterwegs war, ebenfalls in die Atmosphäre ein und schlug in das kleine Raumschiff. Der komplexen Elektronik gelang es zwar, das schwerbeschädigte Raumschiff zu landen und den, noch schlafenden Zenturio, der Grauen Legionen zu wecken, jedoch wurde das Hyperfunkgerät durch diese Kollision irreparabel zerstört. Auch an einen Start dieses Schiffes war nun nicht mehr zu denken.

So bescherte der „Zufall“ oder ein „gütiges Geschick“ des Schicksals dem Planeten Makar und dem, gerade zehn Jahre alten, Ragnor eine kleine Chance, sich dem Boten des Bösen, der auf ihre Welt gekommen war, zum Kampf zu stellen. Vielleicht konnte er sogar vernichtet werden, ohne dass dieser in der Lage sein würde, Hilfe von Xitar herbeizurufen.

Orte der Handlung

Kapitel 1

Die Ausrüstungsgegenstände für den Kampfeinsatz gegen die Harkonen und ihre Verbündeten waren zur Abholung bereitgestellt. Ragnor hatte beim Packen festgestellt, dass es gar nicht so einfach war, das Gepäck für sich und seinen Pagen auf das Notwendigste zu reduzieren, sodass alles auf nur einem Packpferd transportiert werden konnte.

            Graf Rurig hatte anordnen lassen, dass jeder Ritter sich im Gepäck dementsprechend zu beschränken hatte. Die Kaarborger Panzerreiter mussten immer darauf vorbereitet sein, bei Bedarf per Schiff an einen neuen Kampfplatz verlegt zu werden. Dabei kam es auf einen möglichst geringen Platzbedarf an, damit auf dem, immer zu knapp bemessenen, Schiffsraum möglichst viele Kämpfer transportiert werden konnten.

            Diese Sparsamkeit hatte natürlich einige Konsequenzen, insbesondere hinsichtlich der Bequemlichkeit. Die Kaarborger Grafenritter trugen auf allen Reiseabschnitten stets ihre komplette Panzerrüstung. Sie ritten nicht, wie die meisten Ritter in Caer, nur im Kettenhemd, wenn sie sich nicht im unmittelbaren Kampfgebiet wähnten. Diese „Unbequemlichkeit“ hatte natürlich auch ihre Vorteile, denn es war noch niemals in der langen Geschichte der Grafschaft vorgekommen, dass die Kaarborger Ritter vom Gegner ungerüstet überrascht worden waren, während ihnen dieses Kunststück bei ihren Feinden mehr als einmal gelungen war.

            Noch war der Aufbruch nicht gekommen und Ragnor trug noch nicht seine aufwendige Vollrüstung. Die fünfzig Ritter, zehn Jungritter und etwa fünftausend Milizsoldaten warteten ungeduldig auf ihre endgültigen Einsatzbefehle und vor allem auf die Bekanntgabe ihrer jeweiligen Einsatzorte.

            Die Gegner der Kaarborger waren nämlich kurz nach dem Einsetzen der Schneeschmelze an zwei Stellen gleichzeitig zum Angriff angetreten. Alle Soldaten, die auf der Insel Kaar, dem Machtzentrum der Grafschaft Kaarborg, zusammengezogen worden waren, warteten nun gespannt darauf, wie Graf Rurig die Streitkräfte aufteilen würde, um den Angriffen seiner Feinde wirkungsvoll begegnen zu können.

            Die ganze Insel diskutierte unablässig an den langen Abenden des ausklingenden Winters, welche Strategie ihr Graf wohl wählen würde, um seine Gegner zu besiegen. Es waren jede Menge Theorien im Umlauf, wie die Streitkräfte der Kaarborger ihre Feinde am besten würden besiegen können. Wie unterschiedlich die Ideen auch waren und wie abstrus manche Vorschläge auch sein mochten, in einem waren sich die Kaarborger Bürger vollkommen einig: Sie würden die Angreifer besiegen, wie sie es immer getan hatten und keiner von ihnen verschwendete auch nur einen Gedanken daran, dass das eventuell nicht so sein könnte.

 

Am Abend, vor der lang erwarteten Befehlsausgabe durch Graf Rurig, saß Ragnor mit seinen beiden neuen Freunden Ansgar da Lorcamon und Lamar da Niewborg auf seiner Stube. Die jungen Männer diskutierten bei hellem Kaarborger Bier lebhaft über ihren mutmaßlichen Einsatzort.

            „Ich bin ziemlich sicher, wir werden nach Norden gehen“, vertrat Ansgar da Lorcamon vehement seinen Standpunkt. Sein Vater war der Vogt von Burg Lorcamon, welche im Norden an der Grenze zu Lorca lag und momentan vom Feind belagert wurde. Natürlich hoffte Ansgar, dass er Gelegenheit haben würde, in den Kampf um die Burg seines Vaters einzugreifen.

            Lamar da Niewborg, der designierte Erbe des Barons von Niewborg, nickte zustimmend und bemerkte: „Ich glaube auch, dass wir zur Nordgrenze ziehen. Die Entscheidung in diesem Krieg wird dort fallen. Wenn mein Vater schließlich Harkonen und Ahrborgern in den Rücken fällt, werden die ganz schön blöd aus der Wäsche gucken.“ Lamar war sehr stolz darauf, dass sein, ansonsten sehr vorsichtiger und in den meisten Auseinandersetzungen von Feudalfürsten neutral verhaltender, Vater sich diesmal für ein Bündnis mit Kaarborg entschieden hatte. Er war überzeugt davon, dass sein alter Herr und seine kampferprobten Vasallen kräftig mitmischen würden, wenn es darauf ankam.

            Ragnor, der von den Ausführungen seiner Freunde ganz und gar nicht überzeugt war, schüttelte energisch den Kopf und meinte: „Ich stimme Lamar in einem Punkt zu. Letztendlich wird die Entscheidung dieses Waffengangs im Norden fallen. Im Gegensatz zu euch, gehe ich davon aus, dass Graf Rurig die Panzerreiter und damit auch uns nach Santander schicken wird. Dort ist keinerlei schwere Kavallerie stationiert, während im Norden bereits einhundert Panzerreiter stehen. Die Belagerer von Santander sind unseren Truppen im Verhältnis fünf zu eins überlegen, haben aber selbst keine schwere Kavallerie zur Verfügung.“

            Ragnor unterbrach sich einen Moment und sah gespannt zu seinen beiden Freunden hinüber, um zu sehen, ob sie seinen Ausführungen folgten, völlig anderer Meinung waren oder vielleicht gar selbst etwas einwenden wollten. Er wollte sie auf keinen Fall mit seiner Gegenthese einfach überfahren. Er hatte in den letzten Monaten gelernt, dass er recht häufig dazu neigte, Gesprächspartner, wenn auch mit guten Argumenten, gelegentlich an die Wand zu drücken. Seit ihm Ansgar genau das einmal unter vier Augen klar gemacht hatte, versuchte er dies zu vermeiden, und sein jeweiliges Gegenüber ebenfalls zu Wort kommen zu lassen.

Doch dieses Mal schien es nicht der Fall zu sein. Die beiden sahen ihn durchaus interessiert und auffordernd an, also fuhr er ermutigt und voller Eifer fort: „Ich bin mir sicher, dass Rurig hier in Kaar nicht genug Schiffsraum zur Verfügung hat, um ausreichend Fußtruppen nach Santander zu bringen, damit er das Kräfteverhältnis annehmbar ausgleichen kann. Eine Schwadron Ritter könnte hingegen die Situation in der Hafenstadt zu unseren Gunsten verändern. Santander hätte dann eine schlagkräftige Angriffswaffe, die den Gegner beunruhigen und ihn vielleicht sogar davon abhalten könnte, eine wirksame Belagerung aufzubauen.“

            „Hm“, brummte Lamar mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln, „deine Argumente und deine Schlussfolgerungen haben etwas für sich, wenn ich so recht darüber nachdenke.“ Dann lachte er plötzlich und setzte grinsend hinzu: „Aber wie dem auch sei, morgen Abend sind wir alle klüger, denn da wird der Graf die Einsatzpläne ja verkünden. Dann geht es endlich los. Ich bin schon ganz kribbelig.“

            Die jungen Männer lachten und prosteten sich zu. Sie waren in dem knappen halben Jahr, in dem sie sich nun kannten, eng zusammen gewachsen. Der Anschlag auf Miranas Leben, Ragnors Mündel, durch Fukur da Seeborg hatte maßgeblich dazu beigetragen, die beiden Jungritter fest an Ragnors „Familie“ zu binden. Selbst der Umstand, dass Lars, Ragnors alter Mentor, ihnen reinen Wein über Ragnors geheimnisvoller Herkunft und seine seltsamen Fähigkeiten eingeschenkt hatte, hatte nichts daran geändert. Da diese 'Familie' auch den Grafen Rurig umfasste, den die beiden Jungritter vorher nur flüchtig gekannt hatten, waren Ragnor und seine beiden Freunde meist weitaus besser als es die anderen Jungritter informiert, was in der Administration von Kaarborg vorging. Dies erfüllte die jungen Männer zum einen natürlich mit großem Stolz, zum anderen tat dies der kluge Graf auch nicht ganz uneigennützig, da Lamar da Niewborg für ihn ein wichtiges Bindeglied zu seinem neuen Verbündeten Kador da Niewborg darstellte. Zu diesem Zweck hatte er die Drei in jüngster Vergangenheit des Öfteren zum Abendessen eingeladen, um ihnen seine Absichten eingehend zu erläutern.

           

            Neben der Erörterung des bevorstehenden Krieges war bei diesen Kamingesprächen selbstverständlich auch die schwebende Auseinandersetzung mit Fukur da Seeborg, Hamkar da Loza und damit auch dem Thronfolger, Ralph da Caer, ein Hauptthema gewesen. Der Graf war zunächst sehr aufgebracht gewesen, als er davon erfahren hatte. Es hatte ihn sehr verärgert, dass ausgerechnet der Sohn einer seiner treuesten Vasallen ein unschuldiges Mädchen fast umgebracht hatte. Doch der Gipfel der Frechheit war, dass Fukur auch noch die Dreistigkeit besessen hatte, einen glatten Meineid zu schwören. Da er Fukurs Vater sehr schätzte, hatte er beschlossen, mit diesem über seinen ungeratenen Sohn erst einmal persönlich zu sprechen. Er hoffte, dass sich eine Gelegenheit hierfür ergeben würde, bevor es im kommenden Herbst unausweichlich zu dem Gottesurteil kam, welches die Meineide abschließend klären würde. Er würde ihn bitten, seinem Sprössling noch einmal ins Gewissen zu reden, damit er seinen Meineid widerrief und die Tat sühnte. Im Falle Hamkar da Lozas, des zweiten meineidigen Jungritters, hatte er einen Brief an dessen Vater, den Baron von Loza, den er im Gegensatz zu seinem Bruder Mark allerdings nicht besonders mochte, aufsetzen lassen, um ihm von den Geschehnissen zu berichten. Jedoch hatte er wenig Hoffnung, dass er damit viel erreichen würde. Er erwartete eher eine drastische Verschlechterung ihres persönlichen Verhältnisses, insbesondere falls Hamkar bei dem Gottesurteil im Herbst ernsthaft zu Schaden kam oder gar getötet würde. Das behagte ihm nicht besonders, da die Grafschaft Kaarborg und die Baronie Loza beide traditionelle Verbündete des Königs waren. Momentan sah er keinerlei Möglichkeit, etwas gegen die zu erwartende weitere Verschlechterung ihrer Beziehungen zu tun.

Dieses schwebende Verfahren erforderte überdies eine kluge Entscheidung, hinsichtlich des Einsatzes der Jungritter im bevorstehenden Krieg. Der Graf hoffte, dass der erste Feldeinsatz der jungen Männer endlich die Kameradschaft hervorbrachte, welche sie bisher hatten vermissen lassen. Der größte Hemmschuh auf dem Weg zur Selbstfindung der Jungritter war der Thronerbe, Ralph da Caer. Diesem traute Rurig keinesfalls zu, dass er in der Lage sein würde, jemals seine Standesdünkel ablegen zu können. Zu tief saß da wohl dessen Überzeugung, als mutmaßlicher Thronfolger hoch über den anderen zu stehen. Doch auch für dieses Problem würde er ganz sicher noch eine Lösung finden, dessen war er sich sicher.

           

            Am nächsten Morgen, nachdem Ragnor die kleine Mirana und seinen schwarzen Freund Maramba auf ein kurzes Frühstück besucht hatte, trafen sich die Jungritter, wie gewöhnlich, im Unterrichtssaal. Der Kastellan hatte darauf bestanden, dass zumindest ein Teil der Ausbildung bis zum Beginn des Einsatzes weitergeführt wurde.

            Während der Unterricht lief, welcher wegen der bereits gepackten Ausrüstung und der Vorbereitung der Pferde außer einem kurzen Fechttraining mit Schwert und Dolch keine praktischen Übungen enthielt, konnte man den jungen Männern anmerken, dass sie mit ihren Gedanken bereits bei der Befehlsausgabe durch den Grafen am kommenden Abend waren. Sie hatten daher, für jeden Beobachter leicht erkennbar, große Mühe den Ausführungen ihrer Lehrer zu folgen. Ihre erwartungsvolle Aufbruchsstimmung führte sogar dazu, dass die, sonst normale, Grüppchenbildung und die Pflege der „alten“ Feindschaften sogar einmal in einer der Pausen durchbrochen wurde. Ragnor unterhielt sich in der großen Mittagspause angeregt mit Rolf da Maarborg und Ralph da Caer über die militärische Lage, über ihren möglichen Einsatz und den wahrscheinlichen Verlauf der Kämpfe. Hierbei vertrat Ralph wie eigentlich immer die, in Caer übliche martialische, Ansicht, dass die Reichsritter, wenn sie geballt angriffen, die Feinde hinwegfegen würden, wie sie es in der Vergangenheit ja immer getan hatten. Der Prinz war zutiefst davon überzeugt, dass die Kaarborger den Krieg gar nicht verlieren konnten, da sie ja die Unterstützung der legendären Reichsritter hatten.

 

            Ragnor war sich da im Gegensatz zu ihm nicht so sicher. Nachdem, was er von Kreeg da Harkon, dem Drahtzieher auf der anderen Seite, gehört hatte, war dieser alles andere als ein Narr. Wenn er einen Krieg mit Rurig da Kaarborg anzettelte, musste er etwas in der Hinterhand haben, mit dem er den Vorteil, den Rurigs schwere Reiterei bot, ausgleichen konnte. Einen ersten guten Schachzug hatte er bereits gemacht, als er entschieden hatte, nicht nur die Grenzburgen im Norden anzugreifen, sondern die Hafenstadt Santander weit unten im Süden belagern zu lassen. Darüber hinaus hatte er eine große Piratenflotte von der Insel Krala angeheuert, die Santander und die Kaarborger Hauptverkehrsader, die Mors, bedrohte und daher den Großteil der Kaarborger Flotte band. Damit zwang er die Kaarborger, an zwei Fronten zu kämpfen, und neutralisierte den Großteil der Flotte. Überdies war sich Ragnor recht sicher, dass da noch mehr Überraschungen auf sie warteten. Es gab seiner Meinung nach irgendeinen, noch unbekannten, Faktor, mit dem bisher keiner gerechnet hatte. Ob es nun ein mögliches Eingreifen des Königreiches Lorca war oder vielleicht doch etwas völlig anderes, vermochte er auch nicht zu sagen. So ließ er des Prinzen Theorie unwidersprochen und dachte sich seinen Teil. Rolf da Maarborg hingegen, der einer der engsten Vertrauten des Prinzen war, legte, für Ragnor äußerst überraschend, ein nicht unerhebliches analytisches Talent an den Tag und widersprach Ralphs Theorie vehement. Er vermutete ebenso wie Ragnor, dass der, als äußerst schlau geltende, Baron von Harkon einige hässliche Überraschungen für die Kaarborger Truppen bereithielt.

            Während des äußerst zäh dahinkriechenden Nachmittagsunterrichtes überdachte Ragnor das Mittagsgespräch mit den beiden Jungrittern. Er kam zu dem Schluss, dass er Rolf da Maarborg zumindest in einem Punkt falsch eingeschätzt hatte. Dieser war zwar ein mürrischer, von seinen Standesdünkeln beherrschter, junger Mann, aber er war nicht der dumme Ja-Sager, für den er ihn bisher gehalten hatte. Es steckte eindeutig mehr in ihm, als er bisher vermutet hatte. Er beschloss daher, ihn zukünftig etwas genauer zu beobachten, wenn sie erst im Einsatz waren, um etwas mehr über ihn herauszufinden.

           

            Dann kam endlich der ersehnte Abend. Die, auf Kaar verbliebenen, Ritter und Jungritter, insgesamt sechzig Mann, versammelten sich im Rittersaal, um Graf Rurigs Einsatzplan kennenzulernen und ihre Befehle zu empfangen.

            Ragnor traf auf dem Weg zum Rittersaal auf seinen alten Freund Menno, der ebenfalls dorthin unterwegs war. Doch als er ihn fragte, ob er wisse, was Rurig plane, grinste dieser breit und antworte fast ein wenig beleidigt: „Klar weiß ich das, schließlich gehöre ich zum Generalstab.“

            Als er Ragnors erwartungsvolles Gesicht bemerkte, schüttelte Menno scheinbar entsetzt den Kopf und sagte abwehrend: „Rurig hat uns bis zur Befehlsausgabe zum Stillschweigen verdonnert. Ich werde den Teufel tun und gegen seinen Befehl verstoßen. Er ist in letzter Zeit ziemlich pingelig in diesen Dingen.“

            Nun musste Ragnor lachen, als er Mennos etwas zu bekümmertes Gesicht sah. Er wusste, natürlich, dass das alte Schlitzohr ein glänzender Schauspieler war und sich normalerweise nicht um irgendwelche Befehle, egal von wem sie kamen, kümmerte.

            Darum sagte er, betont mitfühlend: „Du Armer. Jetzt bist du Kommodore und doch weit weniger bedeutend als in Calfors Klamm. Du hast mein aufrichtiges Mitleid.“

            Nun konnte Menno auch nicht mehr ernst bleiben, lachte herzlich und gab unumwunden zu: „Jetzt hast du es mir aber richtig gegeben. Ich werde mir in Zukunft bessere Argumente überlegen, bevor ich versuche, dich aufs Glatteis zu führen.“

            „Also gut, dann erzähl‘ endlich, was anliegt“, drängte Ragnor, der vor Neugier fast platzte, denn sie hatten inzwischen den Rittersaal fast schon erreicht.

            „Ach, das lohnt sich jetzt nicht mehr. Wir sind fast da und ich muss mich beeilen, denn Rurig erwartet mich im Vorraum. Tut mir leid, ich hab jetzt leider keine Zeit mehr“, versetzte Menno grinsend und bevor Ragnor etwas entgegnen konnte, eilte er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen davon.

           

            „Es ist gar nicht so einfach, dem alten Fuchs beizukommen“, resümierte Ragnor fast amüsiert in Gedanken, nachdem er seine Enttäuschung überwunden hatte, dass Menno ihn letztendlich doch wieder geleimt hatte. „Er ist glatt wie ein Aal. Auch wenn man meint, man hätte ihn schon sicher festgenagelt, dann entwischt er einem doch wieder! Ich glaube, ich werde noch lange brauchen, bis ich es wirklich mit ihm aufnehmen kann.“

            Mit diesen Gedanken betrat er den Rittersaal, in dem es von überaus neugierigen Rittern nur so wimmelte. Zielstrebig ging er zum Jungrittertisch hinüber und setzte sich zu Ansgar da Lorcamon, Lamar da Niewborg und Oswald da Kormon.

            Letzterer bemerkte, nachdem er ihn mit einem kurzen Kopfnicken begrüßt hatte, merklich ungeduldig: „Es wird Zeit, dass wir endlich erfahren, wo wir eingesetzt werden sollen. Auf jeden Fall wird es mit Sicherheit erheblich aufregender als die ewigen Trockenübungen hier auf der Burg. Wenn ihr mich fragt, wird es höchste Zeit, dass wir in den Kampf ziehen.“

            Ragnor grinste ob Oswalds sichtlicher Ungeduld. Es war das erste Mal, soweit er sich erinnern konnte, dass Oswald derartige Gefühlsregungen hatte erkennen lassen.

            Es gab also doch ein paar Leidenschaften, die unter dieser nach außen so kühlen Oberfläche schlummerten. Bisher hatte Oswald da Kormon stets den Eindruck vermittelt, dass ihn nichts auf dieser Welt aus der Ruhe bringen konnte. Also noch ein weiterer fast perfekter Schauspieler. Die Welt schien voll von ihnen zu sein!

            In diesem Moment war Ragnor davon überzeugt, dass die Jungritter bei ihrer Rückkehr aus diesem Krieg – so sie ihn überlebten – nicht mehr dieselben sein würden. Die Zeit der Spiele war vorbei, denn es begann nun der Ernst des Lebens, auch wenn die meisten seiner Kameraden, die mit jungen erwartungsvollen Gesichtern hier saßen und nach ihrem ersten Einsatz lechzten, das Ganze noch für ein großes Abenteuerspiel hielten. Kein Wunder – denn einen Menschen töten, mussten die meisten von ihnen bisher noch nicht. Leise lächelte er in sich hinein, als er sich bei dem Gedanken ertappte, dass er ihnen in diesem Punkt bereits ein wenig voraus war. Er hatte schließlich schon Männer und sogar Orks im Kampf sterben sehen, hatte selbst getötet und war im Vergleich zu seinen Kameraden fast schon so etwas wie ein alter Hase.

Dieser Gedanke amüsierte ihn mächtig und doch galt auch für ihn, dass ein Krieg wohl etwas ganz anderes war, als ein kurzer, wenn auch blutiger, Kampf mit Gesetzlosen. Auch er hatte also noch sehr viel zu lernen.

            In diesem Moment betrat Graf Rurig da Kaarborg in Begleitung von Kommodore Menno, Sven da Momland, dem Feldkommandanten der Ritter auf Kaar und dem Kastellan Svartan da Kaarkon den Rittersaal. Das angeregte Gemurmel verstummte schlagartig, denn die Aufmerksamkeit aller Anwesenden richtete sich nun voll auf die Neuankömmlinge. Graf Rurig, bereits feldmäßig gerüstet, warf seine Panzerhandschuhe geräuschvoll auf den Tisch, griff nach einem Bierkrug, den ihm ein dienstfertiger Lakai hingestellt hatte, nahm einen tiefen Schluck und sagte mit rauer Stimme: „So meine Herren, jetzt ist es soweit. Euer Einsatz steht kurz bevor, doch bevor ich zur Befehlsausgabe schreite, werde ich Euch kurz über die aktuelle militärische Lage informieren und über die daraus resultierenden Schlussfolgerungen, die ich und mein Stab daraus gezogen haben.“ Er nahm noch einen weiteren tiefen Schluck, bevor er mit der Schilderung der aktuellen militärischen Lage begann:

„Wie Ihr alle wisst, werden wir von zwei Seiten angegriffen. Kreeg da Harkon hat mit dem Gold der Lorcaner offenbar nicht nur Söldner in großer Zahl angeworben, sondern auch die Piraten von der Insel Krala gekauft. Dadurch sind wir gezwungen, an zwei Fronten Krieg zu führen, da wir eine Eroberung von Santander durch den Feind auf keinen Fall zulassen können. Zwar sind die Befestigungen der Hafenstadt in sehr gutem Zustand, sie aber gegen eine fünffache Übermacht zu halten, ist nicht gerade ein Kinderspiel. Unglücklicherweise ist bei der ersten Abwehrschlacht gegen die Flotte der Piraten mein alter Mentor, Admiral Kalavan, gefallen, sodass der Seeflotte ein erfahrener Befehlshaber fehlt – gerade jetzt, wo sie ihn am dringendsten bräuchte. Die Piraten versuchen immer wieder, über die Mors ins Innere von Kaarborg vorzudringen, um dort zu plündern und unseren Nachschub zu stören. Im Norden ist Kreeg da Harkon, wie wir es erwartet hatten, mit starken Kräften angetreten. Wir haben inzwischen Nachricht erhalten, dass er mit mehr als zwölftausend Mann und schwerem Belagerungsgerät auf unsere Grenzfestungen Samarkon und Lorcamon marschiert. Er meint es also bitter ernst. Rein zahlenmäßig ist er uns deutlich überlegen, insbesondere da ich ja meine Burgen und Städte schützen muss und deshalb nicht alles, was ich habe, in den Kampf werfen kann.“

An dieser Stelle machte Graf Rurig eine kurze Pause, nahm einen weiteren kräftigen Schluck des köstlichen Bieres und fuhr mit grimmigem Gesichtsausdruck fort: „Aufgrund der, eben genannten, Fakten habe ich mich zu folgender Vorgehensweise entschlossen: Das Gros der gegnerischen Truppen steht im Norden. Dort müssen wir Kreeg da Harkon letztendlich entscheidend schlagen, damit wir in seine Stammlande vordringen und ihn zur Aufgabe zwingen können. Das heißt, der Schwerpunkt der Aktionen wird ganz klar in Nord-Kaarborg liegen und deshalb werde ich auch dorthin gehen. Ich werde mit fünf Regimentern Miliz von Kaar über Land nach Norden marschieren, dabei kann ich weitere zweitausend Mann Altmilizen rekrutieren, um das Kräfteverhältnis etwas annehmbarer zu gestalten. Das bedeutet allerdings, dass auf Kaar nur die Stammbesatzung verbleiben wird. Aus diesem Grund wird die Landbrücke abgebaut. Die Mehrzahl der Kampfschiffe der Binnenflotte muss im Kaarsee verbleiben, um die Insel bei einem eventuellen Angriffsversuch auf unser Zentrum zu schützen. Daraus folgt zwingend, dass ich keinen Schiffsraum habe, um Fußtruppen nach Santander zu verlegen, die ich allerdings sowieso nicht mehr zur Verfügung hätte. Ich kann neben der Kriegsgaleere aus Santander mit Mühe ein weiteres Kampfschiff entbehren. Diese beiden Einheiten werden Kommodore Menno, den ich hiermit zum Admiral der Kaarborger Flotte ernenne, nach Santander bringen. Er wird dort die Seeverteidigung sowie die Verteidigung von Santander leiten, wie es seiner Position als Oberbefehlshaber der Flotte zukommt. Sie alle hier, die bisher auf Kaar verbliebenen Ritter und Jungritter, werden ihn im Konvoi mit zwei Frachtschiffen, die ihre Schlachtpferde transportieren werden, begleiten. Sie werden unter dem Kommando von Sven da Momland stehen und zusammen mit der Flotte dafür sorgen, dass der Feind keine wirkungsvolle Belagerung von Santander aufziehen kann, bis wir den Feind im Norden geschlagen haben. Dort habe ich in den Grenzburgen genügend Ritter zur Verfügung, sodass ich die sechzig Panzerreiter wohl entbehren kann.“

            „Du hast mit deiner Vermutung ins Schwarze getroffen. Man könnte fast meinen, dass du die Pläne bereits gekannt hättest. Aber ich weiß natürlich, dass du sie nicht gekannt hast“, flüsterte Lamar seinem Freund Ragnor zu.

            Ragnor nickte, eher ein wenig schüchtern lächelnd. Auch Ansgar schlug ihm ohne jeden weiteren Kommentar anerkennend auf die Schulter. Doch der Graf war noch nicht fertig mit seiner Ansprache, sondern fügte seinen Ausführungen, noch zur Überraschung der Anwesenden, hinzu: „Ach ja, bevor ich es vergesse. Es werden nicht alle Jungritter nach Santander gehen. Ralph da Caer wird als mein Adjutant mit mir nach Norden gehen. Er wird sich also morgen früh beim ersten Morgengrauen abmarschbereit bei mir melden. Alle anderen Ritter werden morgen im Laufe des Tages eingeschifft und spätestens übermorgen nach Santander aufbrechen. Admiral Menno wird die Einzelheiten der Einschiffung mit ihrem Befehlshaber Sven da Momland klären. Er wird jedem von Euch die Einschiffungsreihenfolge morgen früh per Läufer mitteilen lassen. Euer Kampfgepäck solltet Ihr alle bitte bis Mittag gepackt und deutlich mit ihrem Wappen gekennzeichnet im Marstall bereitstellen. Es wird dort von den Seeleuten zur Verladung abgeholt werden…“

            „…So und jetzt lasst uns auf unseren Sieg trinken, den wir zu erringen trachten. Ich wünsche uns, dass wir uns alle nach der Beendigung der Kämpfe gesund und munter wieder hier versammeln, um miteinander ein rauschendes Fest zu feiern.“

            Die Ritter erhoben sich und tranken dem Grafen begeistert zu. Im Anschluss an die Ansprache des Grafen setzten sie den kleinen Umtrunk noch ein wenig fort. Ralph da Caer, der vor Stolz über seine neue Rolle fast platzte, gab sich dabei ausgesprochen leutselig. Ragnor lächelte still in sich hinein, nachdem er einen Moment fast eifersüchtig reagiert hatte, als Rurig den eitlen Affen zu seinem Adjutanten ernannt hatte. Als er einen Moment richtig darüber nachgedacht hatte, meinte er Rurigs Beweggründe zu verstehen, der Ralph da Caer wohl nur deswegen erwählt hatte, um ihn aus der Jungrittertruppe zu entfernen. So würde den jungen Männern Gelegenheit gegeben, ohne den übermächtigen Einfluss des Prinzen, sich zu einer echten Gemeinschaft zusammenzufinden und sich gemeinsam im Kampf zu bewähren.

 

           Am späten Abend bat der Graf Ragnor, Menno, Lamar und Ansgar in seine Privatgemächer. Als Ragnor an Rurigs Tür klopfte, öffnete ihm sein alter Lehrmeister persönlich, sah ihm kurz prüfend in die Augen und meinte anerkennend: „Ich bin stolz auf dich. Du hast also schon begriffen, warum ich den eitlen Prinzen zu meinem Adjutanten gemacht habe. Glaub‘ mir, ich habe mir das nur ausgesprochen ungern angetan.“

            Wehmütig lächelnd fügte er hinzu: „Ich hätte liebend gern dich als meinen Adjutanten genommen, aber ich denke, so war es im Sinne der Jungritter am besten.“

            Freundlich legte er, während sie durch den Vorraum in Rurigs Studierzimmer gingen, seinen Arm um seine Schulter und fügte ernst hinzu: „Außerdem glaube ich, dass es auch gut für dich ist, dich zu beweisen, wenn ich nicht dabei bin. Sven da Momland ist ein erstklassiger Befehlshaber, und er hält große Stücke auf dich. Ich bin mir sicher, du wirst deine Chance nutzen… Ach ja, bevor ich es vergesse! Er wird dich zu seinem Adjutanten ernennen.“

            Ragnor entgegnete kein Wort, denn den Ausführungen seines großen Vorbildes war nichts hinzuzufügen. Er beneidete Rurig nicht um die Verantwortung, die dieser jetzt zu tragen hatte, doch er war sich sicher, dass der Graf seiner Aufgabe mehr als gewachsen war. Auch er nahm sich fest vor, die in ihn gesetzten Erwartungen unter allen Umständen zu erfüllen.

            Als sie schließlich alle eingetroffen waren, bemerkte Rurig ernst: „Ich habe euch zusammengerufen, weil ich euch vor meiner Abreise noch einmal in einem persönlichen Umfeld sehen wollte und weil ich mit Lamar noch dringend zu reden habe.“

            Damit wandte er sich an Lamar da Niewborg und sagte eindringlich: „Du wirst mit nach Santander gehen, aber nicht, um mit den anderen zu kämpfen, sondern, sobald es geht, per Schiff nach dem Seeländer Hafen Hiborg gebracht zu werden, um über Seeland und Caer nach Hause zu reisen. Dafür wirst du wohl, wenn du auf schnellen Pferden reist, etwa vierzig Tage brauchen. Sobald du dort bist, soll dein Vater die Ahrborger angreifen und auf Ahrweiler marschieren, damit Baron Klees da Ahrborg Söldner von der Nordfront abziehen muss, um seinen Arsch zu retten. Ich erwarte von deinem Vater nicht, dass er große militärische Risiken eingeht. Er soll mir lediglich die Ahrborger Söldner für einige Zeit aus dem Kreuz nehmen, damit sich das Kräfteverhältnis an der Nordfront zu unseren Gunsten verändert. Bis du in Niewborg bist und eure Truppen losmarschieren können, werden wir die erste Schlacht wahrscheinlich schon geschlagen haben. Wenn dein alter Herr seine Sache gut macht und wir dieses erste Gefecht siegreich gestalten, kann ich vielleicht schnell auf feindliches Gebiet vordringen und die feindlichen Truppen aus meiner Grafschaft vertreiben.”

            Lamar nickte zustimmend und versprach sich zu beeilen. So stießen die Männer mit frisch gefüllten Krügen auf den Sieg an, den sie zu erringen hofften.

           

            Ragnor stand am nächsten Morgen in der ersten Dämmerung bereits fertig angezogen am Fenster seiner Kammer, als die dumpfen Kriegshörner die Kaarborger Milizen zum Aufbruch riefen. Schnell lief er hinüber zum Rittersaal, von wo aus man auf den Turnierplatz hinuntersehen konnte, auf dem die Truppen für ihren Abmarsch nach Norden Aufstellung nehmen würden. Dort traf er überraschend auf Oswald da Kormon, der ebenfalls hinaufgestiegen war, um den Auszug der Kaarborger Truppen zu beobachten. Schweigend sahen sie zu, wie sich Hundertschaft um Hundertschaft hinter den Regimentsfahnen formierte. Endlich war der Aufmarsch beendet und fünftausend Mann standen in fünf Marschkolonnen gegliedert, die Wagen mit dem Regimentstross dahinter aufgestellt, zum Abmarsch bereit. Jeder Milizionär war mit seiner Gefechtsmontur gerüstet, die aus einem Helm mit eisernem Wangenschutz, Schild, Schwert und langer Stoßlanze bestand. Über den langen eisernen Kettenhemden trugen die Milizionäre leichte Tuniken, welche sie vor allem vor den lästigen Insekten schützten, die in den feuchten Wäldern und den Sumpfgebieten von Kaarborg häufig vorkamen.

            Regungslos und schweigend standen die Reihen der Miliz, die Stoßlanzen erhoben. Das Licht der heraufziehenden Morgensonne tauchte die eisernen Lanzenspitzen in ihr tiefrotes Licht, so als ob sie bereits ins Blut ihrer Feinde getaucht worden wären. Die schweigend wartenden Soldaten boten einen prächtigen Anblick und sie erinnerten Ragnor in ihrer ruhigen Disziplin an die Berufssoldaten des königlichen Belagerungsregimentes, die er in Mors getroffen hatte. Das war das höchste Lob für eine Milizinfanterie, das es geben konnte. Die königlichen Soldaten galten als die besten Fußsoldaten auf dem Nordkontinent von Makar, gleich nach den unübertroffenen Armeen der Orks.

            Einen Moment lang sah die schweigende kleine Armee wie ein, von einem begabten Maler geschaffenes, Gemälde aus, doch dann verflog der Zauber und es kam Bewegung in das Ganze. Ein lang gezogenes, dumpfes Signal aus den Kriegshörnern ertönte. Die insgesamt fünfzig Kundschafter, von denen jedes Kaarborger Milizregiment je zehn besaß, setzten sich an die Spitze des Zuges, um die Sicherung zu übernehmen. Dahinter formierten sich Graf Rurig, Ralph da Caer und General Milas, die einzigen Reiter der Truppe. Danach ordneten sich Kolonne für Kolonne die Milizregimenter, gefolgt von ihrem jeweiligen Tross, zu einem langen Zug, welcher sich langsam in Bewegung setzte.

           

            Die beiden jungen Männer sahen den abziehenden Soldaten noch lange schweigend hinterher, bis sie nur noch als eine dahinkriechende Linie kleiner Punkte in der Ferne zu erkennen waren.

            „Das ist eine verdammt lange Marschkolonne“, bemerkte Oswald da Kormon schließlich trocken und durchbrach damit die Stille. „Gar nicht so einfach, eine solche Kolonne gegen eventuelle Kavallerieangriffe wirksam zu schützen.“

            „Das stimmt, zweifellos, einfach ist das nicht. Hast du die Miliz schon einmal bei ihren Übungen beobachtet, wenn sie das Abwehren von Reitern üben?“, fragte Ragnor nach.

            „Nein, hab ich nicht. Aber es würde mich sehr interessieren, wie sie das machen“, antwortete Oswald eifrig und gar nicht mehr so unterkühlt wie noch kurz vorher. Das Thema interessierte ihn offenbar wirklich.

            „Nun, ich habe ihnen mal beim Üben mit den Grafenrittern zugesehen. Die Milizen sind in der Lage, aus der Marschkolonne heraus, blitzschnell eine Schildburg zu bilden, die sogar den Rittern, die bei der Übung natürlich nur mit stumpfen Lanzen anritten, widerstehen konnte. Sie hätten natürlich im Ernstfall einige Verluste gehabt, aber sie wären nicht auseinandergetrieben worden. Ich glaube, man braucht ganz schön viele Panzerreiter, um die Kaarborger Milizen zu vernichten“, antwortete Ragnor im Brustton der Überzeugung.

            Sein analytischer Verstand rekapitulierte, während er sprach, was er in einem abendlichen Gespräch mit dem greisen General Milas gelernt hatte und so fuhr er erläuternd fort: „Falls sie an einer ungünstigen Stelle erwischt werden, kann es dabei natürlich zu schweren Verlusten kommen. Selbst dafür haben sie Manöver eingeübt, um den Feind wirksam abzulenken, bis die Schildburgen formiert sind. Dann müssen die Ritter unverrichteter Dinge wieder abziehen.“

            Oswald nickte, sah ihn einen Moment lang fast anerkennend an und meinte zustimmend: „Das war überzeugend und ich bin nun zuversichtlich, dass die Milizen gut im Norden ankommen. Aber was du gerade beschrieben hast, ist allerdings eine ausschließlich defensive Taktik. Die Milizen können die Ritter zwar abwehren, aber sie können sie niemals wirkungsvoll bekämpfen, geschweige denn schlagen.“

            Ragnor nickte zustimmend und fügte hinzu, nachdem er erkannt hatte, dass sich Oswald da Kormon wirklich ernsthaft für Militärtaktik interessierte: „Das ist mir bei meinen Studien über die gängigen Militärtaktiken in Caer auch aufgefallen. Den Kaarborger Fußtruppen fehlt das offensive Element gegen jegliche Form von Kavallerie. Sie sind in der Geschichte Caers in der Schlacht nur als Hilfstruppen und ansonsten vor allem bei der Verteidigung oder Eroberung von Städten und Burgen eingesetzt worden. Aber ich glaube, man könnte daran arbeiten. Die Orks können mit ihren Fußtruppen Ritter schlagen. Sie haben es in den letzten Jahrhunderten einige Male eindrucksvoll bewiesen.“

            Oswald nickte nun seinerseits und meinte jungenhaft grinsend – und dies war nun das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit, dass Ragnor ihn so gefühlsbetont erlebte: „Was du da sagst, hat wiederum Hand und Fuß. Ich denke, wir sollten uns auf unserer Reise nach Santander einmal intensiver darüber unterhalten. Wenn ich mir das Potenzial der Kaarborger Miliz so ansehe, und es ein wenig mit der Kampfweise der Orks und deiner Theorie über den Einsatz von Bogenschützen mixe, könnte sich daraus eine ganz neue Form von Armee entwickeln lassen. Eine moderne Armee, bei der die verschiedenen Waffengattungen zusammenarbeiten, anstatt aneinander vorbei zu operieren. Dies könnte eine Schlagkraft kreieren, die ich mir heute nicht einmal ansatzweise vorstellen kann.“

            Ragnor stimmte ihm ehrlich erfreut zu, denn es keimte in ihm die Hoffnung, Oswald da Kormon vielleicht eines Tages zu seinen Freunden zählen zu können. Er beschloss jedenfalls, als er auf dem Weg zurück in sein Quartier noch einmal den Inhalt ihres Gesprächs überdachte, daran zu arbeiten. Ansonsten war ihm natürlich mehr als klar, dass ein radikaler Umbau von Armeestrukturen in einem, so seiner Tradition verpflichteten, Königreich wie Caer sehr schwierig werden würde. Er erinnerte sich nur zu genau an das mehr als enttäuschende Gespräch, welches er mit Sven da Momland, über den Einsatz von Bogenschützen im aktiven Kampfgeschehen, geführt hatte. Es würde seine Zeit dauern, bis man überhaupt ernsthaft daran denken konnte, substanzielle Änderungen einzuführen. Möglicherweise ließ sich Graf Rurig nach diesem Krieg davon überzeugen, in dieser Richtung erste Versuche zu unternehmen.

 

            Als der Jungritter zurück auf seine Stube kam, erwartete ihn sein Page Klaus schon ungeduldig. Der Läufer von Admiral Menno war mit den Einsatzbefehlen bereits da gewesen, kurz bevor Ragnor von seinem Morgenspaziergang zurückgekommen war. Ragnor hörte ruhig zu, als ihm Klaus lebhaft berichtete, was der Läufer an Nachrichten gebracht hatte.

Dann sagte er ganz ruhig und gelassen, um die zappelige Nervosität seines Pagen etwas zu dämpfen: „Nur mit der Ruhe, mein Junge. Wir sind erst nach der Mittagspause mit der Einschiffung unserer Pferde dran. Geh jetzt runter, sieh nach unseren Schlachtrössern und stelle unser Gepäck bereit. Du weißt ja, dass wir keine Packpferde mitnehmen werden, sondern, falls es erforderlich wird, größere Expeditionen durchzuführen, in Santander welche beschaffen werden. Wenn du mit den Vorbereitungen fertig bist, mache in Ruhe deine Mittagspause. Sei aber auf jeden Fall eine Stunde vor der Einschiffung wieder hier, damit du mir bei der verdammten Rüstung helfen kannst. Ich komme zwar inzwischen schon alleine in das Ding rein, aber zu zweit ist es weit weniger schweißtreibend. Ich werde noch einmal kurz zu Mirana und Maramba hinübergehen, um mich zu verabschieden. Ich vermute, dass wir nach der Einschiffung der Schlachtpferde nicht mehr ins Quartier zurückkehren werden. Ich habe läuten hören, dass unser geschätzter, frisch gebackener Admiral auf jeden Fall noch heute auslaufen will“.

            Klaus nickte eifrig und machte sich unverzüglich auf den Weg in die Stallungen, während Ragnor zur Wohnung seiner Freunde hinüberging. Mirana, die heute wegen des Aufbruchs keinen Unterricht hatte, begrüßte ihn mit einer stürmischen Umarmung und einem dicken Kuss schon an der Tür.

            „Lamar und Ansgar sind auch schon da“, sagte sie fröhlich. „Komm‘ rein. Maramba hat dich schon erwartet. Es gibt Eier mit Speck und heißen Kallatee.“

            Ragnor nahm die Kleine hoch, gab ihr ebenfalls einen dicken Kuss und trat mit ihr auf dem Arm durch die Tür. Der alte Lars, der bei seinen beiden Kameraden am Tisch saß, sah auf und stellte ernst und sichtlich ein wenig traurig fest: „Du bist gekommen, um dich zu verabschieden. Also setz‘ dich her und lasse uns noch einmal zusammen frühstücken und eine Tasse Tee leeren, bevor ich dich für längere Zeit nicht mehr sehen werde.“

            Ragnor setzte sich, ohne etwas zu sagen, zu den anderen an den Tisch und sie aßen und tranken gemeinsam. Maramba, der sich, nachdem er seine Speisen fertiggestellt hatte, ebenfalls zu ihnen gesellte, ermahnte die drei Jungritter eindringlich, ihre waffenlosen Kampfübungen während des Feldzuges nicht zu vergessen. Während er sprach, sah man an seinen sehnsüchtigen Augen, dass er nur zu gerne mit ihnen in den Krieg gezogen wäre, aber Rurig hatte es aus Gründen, die Ragnor auch nicht kannte, anders bestimmt. Der Schwarze hatte sich nach einem Gespräch, welches er unter vier Augen mit dem Grafen geführt hatte, wortlos und ohne erkennbares Murren gefügt.

 

            Dann war es endlich soweit. Klaus in Kettenhemd und Helm und Ragnor in seiner schweren Vollrüstung ritten langsam hinunter zum Hafen, um sich einzuschiffen. Auf ihrem Weg trafen sie, wie nicht anders zu erwarten, auf weitere schwer gepanzerte Ritter, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatten. Nachdem man sich kurz durch das Heben einer gepanzerten Faust begrüßt hatte, kroch der eiserne Lindwurm der gepanzerten Reiter in Richtung Pier. Die Ritter waren alle voll bewaffnet, bis auf ihre langen Lanzen, die bereits aus dem Lanzenarsenal der Burg auf die Schiffe gebracht und dort verstaut worden waren.

            Unten am Hafen angekommen, sah Ragnor, wie gerade eine der Kampfgaleeren ihres Geleitzuges, welche offensichtlich ihre Passagiere bereits aufgenommen hatte, langsam auf den Kaarsee hinausfuhr. Sie würde dort warten, bis die zweite Galeere, auf der Ragnor eingeschifft werden würde und die beiden Frachtschiffe, mit denen die Pferde transportiert werden würden, ebenfalls abfahrbereit waren.

            Es war ein faszinierender Anblick, wie das mächtige Schiff, getrieben durch die langen Ruder, an denen, wie Ragnor wusste, angekettete Galeerensträflinge saßen, unter dem dumpfen Klang der Basstrommel majestätisch aus dem Hafen glitt. In diesem Augenblick musste er daran denken, dass wohl einige der Söldner, die sie in Mors gefangen genommen hatten, ebenfalls auf einer derartigen Galeere gelandet waren, falls sie nicht in die Erzminen deportiert worden waren.

            Außer Ragnors Galeere, dem „Falken von Lorcamon“, lagen nur noch die beiden plumpen Frachtschiffe im Hafen, welche die Pferde transportieren würden. Die restlichen Kampfschiffe und Transportschiffe des starken Binnengeschwaders waren offenbar auf Patrouillen oder Nachschubfahrten unterwegs.

            Am Kai wurden die Ritter und ihre Knappen vom Kapitän ihrer Galeere empfangen. Während die Ritter in ihren schweren Rüstungen schwerfällig und ausgesprochen vorsichtig über die breite Planke, die zum Schiff hinüberführte, aufs Achterdeck der Galeere gingen, brachten die Pagen der Jungritter und die Knappen der Grafenritter die Pferde über eine breite Rampe auf der Kaar-23, einem der beiden Frachtschiffe, unter. Viele der Tiere waren ausgesprochen nervös und ängstlich. Einige von ihnen scheuten sogar vor dem etwas schwankenden Steg. Ragnors Tiere dagegen ließen sich problemlos verladen. Ragnor schmunzelte, als er dabei zusah, wie die beiden Chorosanipferde Klaus auf das Schiff wie brave Hunde folgten, ohne dass die Hilfe der Schiffsmannschaft benötigt wurde,.

            „Manchmal ist es eben von unschätzbarem Vorteil, wenn man sich mit Tieren richtig verständigen kann“, dachte er so bei sich, als er die verblüfften Gesichter der Seeleute sah, die so etwas noch nicht gesehen hatten. Die Knappen und Pagen würden zusammen mit den Tieren auf den Frachtschiffen reisen, um die Tiere zu versorgen, während sich die Ritter und Jungritter auf den Galeeren einschifften, was aber auch nicht sehr viel komfortabler war.     Die Seeleute hatten für die etwa dreißig Ritter, die mit Ragnor auf Mennos Flaggschiff reisen würden, Bänke und Tische auf dem Achterdeck aufgestellt und servierten ihnen auf das Geheiß des Admirals, der ebenfalls bereits an Bord war, frisches Kaarborger Bier. Dieses Angebot nahmen die Männer in ihren schweren Panzern dankbar an. So verging die Wartezeit, bis die letzten Tiere verladen waren, doch recht schnell. Als der „Falke“ zu Beginn der Dämmerung hinter den beiden schwerfälligen Frachtschiffen auslief und auch hier das restliche Gepäck verstaut worden war, konnten die Ritter endlich auch ihre schweren Rüstungen ablegen.

 

Als Mennos Flaggschiff gefolgt von den beiden Frachtern und ihrem Schwesterschiff, der „Trutz von Koman“, einige Stunden später den Kaarsee verließ und auf die Mors hinausglitt, erfüllte das Schnarchen der Passagiere bereits die Decks. Gut müde vom starken Bier schliefen sie, eng gedrängt, auf den diversen Decks des überfüllten Schiffes. Weder ihre unbequemen Schlafstätten, noch die, immer wieder erschallenden, Kommandorufe der Schiffsbesatzung, konnten sie in ihrer Ruhe stören.

 

Kapitel 2

Im ersten Morgengrauen wurde Ragnor von den hellen Schlägen der bronzenen Schiffsglocke geweckt. Sein Schädel brummte wie eine Bassgeige. Hurtig warf der junge Mann seine neue Decke aus Lammfellen, die ihn in der kalten Frühlingsnacht gut gewärmt hatte, ab. Er stemmte sich von seinem reinlichen Strohsack hoch, den man ihm am Abend vorher im Heck des Schiffes zugewiesen hatte und tastete sich durch das Halbdunkel hin zur Tür.

            Es waren noch einige andere Ritter in dem Raum einquartiert worden, aber er konnte bei der Beleuchtung mit seinen verschlafenen Augen nicht genau erkennen, wie viele von ihnen noch schliefen oder wer seine Schlafstätte bereits verlassen hatte.

            Als er die knarrende Tür öffnete, traf ihn von der Luke, die über eine Leiter in die Ruderdecks hinunterführte, ein Schwall warmer, aber übel riechender Luft. Schlagartig wurde ihm klar, wie erbärmlich die so stolze Galeere nach Schweiß und Exkrementen stank. Das war ihm gestern, bei ihrem Umtrunk auf dem Oberdeck, überhaupt nicht aufgefallen.

            Eilig trat er hinaus ins Freie, sah sich um und ging hinauf zum Achterdeck, auf dem die Mehrzahl der Ritter bereits beim Frühstück saß. Menno, der auch gerade frühstückte, rief ihn zu sich heran und reichte ihm einen vollen Krug Bier, Käse und einen Kanten dunkles Brot. Er blickte dabei spöttisch grinsend in Ragnors verschlafenes Gesicht und bemerkte natürlich sofort dessen sichtlichen Widerwillen gegen das angebotene Frühstück.

            Aufmunternd meinte er: „Setz‘ dich hin und iss. Dies ist ein prächtiges Frühstück im Vergleich zu dem, was du noch alles essen wirst, bis dieser Krieg vorüber ist. Also mache nicht so ein mürrisches Gesicht.“

            Ragnor musste unwillkürlich über Mennos gespielte Empörung lachen. Er setzte sich und nachdem er die ersten vorsichtigen Versuche hinter sich gebracht hatte, machte er sich mit gutem Appetit über das ungewohnte Frühstück her. Während er aß, gesellten sich auch Lamar und Ansgar zu ihm, die zu seiner großen Befriedigung auch nicht viel besser aussahen als er selbst. Er war gerade mit seinem Frühstück fertig, als Sven da Momland, der offensichtlich schon länger auf den Beinen war, lächelnd und dynamisch wie immer auf das Oberdeck kam. Ragnor bewunderte den untersetzten rothaarigen Ritter, der stets eine quirlige optimistische Kraft ausstrahlte, die jeden ansteckte, der mit ihm zu tun hatte. Diese grundsätzliche Sympathie, die Ragnor für den Feldkommandanten empfand, wurde auch dadurch nicht getrübt, dass er meistens nicht mit ihm einer Meinung war, wenn es um militärische Belange ging, da der „rote Sven“, wie er von seinen Leuten fast liebevoll genannt wurde, ausgesprochen konservativ war. Der Feldkommandant nickte ihm kurz freundlich zu. Er forderte ihn mit einer Handbewegung auf, ihm in Mennos Kabine zu folgen. Der Admiral stand gerade bei seinem Steuermann am Ruder, um ihm einige Anweisungen zu erteilen.

            Nachdem der Jungritter eingetreten war, bot ihm Sven da Momland einen Stuhl an und bemerkte trocken: „Also, Ragnor da Vidakar: Von heute an seid Ihr mein Adjutant. Graf Rurig hat Euch das sicher bereits mitgeteilt, aber ich möchte gern wissen, wie Ihr darüber denkt?“

            Ragnor, den die Frage ein wenig überraschte, überlegte einen Moment und antwortete sehr förmlich, da er sich keinen rechten Reim auf die Frage machen konnte: „Es ist für mich eine große Ehre, dass Ihr mich ausgewählt habt. Ich werde mein Bestes geben, Euren Erwartungen zu entsprechen. Bitte teilt mir mit, welche Aufgaben Ihr mir zu übertragen gedenkt.“

            Der „rote Sven“ nickte, offenbar zufrieden mit der wohlgesetzten Antwort und antwortete ein wenig spöttisch grinsend: „Gute Antwort, wirklich nicht schlecht nach so einem ‚Abend‘ wie der gestrige.“ Dann fuhr er plötzlich sehr ernst fort: „Ich habe mich lange mit Graf Rurig über dich unterhalten und ich muss sagen, er hält ja große Stücke auf dich. Deshalb habe ich nach reiflicher Überlegung entschieden, dich von Anfang an zum Volladjutanten zu machen. Du weißt sicher, was das bedeutet?“

            Ragnor nickte ehrlich überrascht und antwortete prompt, wie er es in seiner Ausbildung gelernt hatte: „Ja, selbstverständlich weiß ich das! Alle von mir überbrachten Befehle sind für jeden Ritter unter Eurem Kommando absolut bindend.“

            Sven da Momland nickte bestätigend, fügte aber sehr bestimmt hinzu: „Genauso ist es. Ich hoffe, du machst mir keine Schande. Und nun hinaus mit dir. Bitte Admiral Menno und Fulk da Leca herein, denn wir müssen uns dringend besprechen.“

 

            Bei der nun folgenden Kommandantensitzung, der auch Ragnor und Fulk da Leca, ein erfahrener abgeklärt wirkender Grafenritter, beiwohnten, erläuterte ihnen Menno die möglichen Gefahren ihrer Reise nach Santander: „Wie Ihr wisst, sind unsere Berichte aus Santander und über die Lage bei der Verteidigung der Morsmündung bereits mehr als drei Wochen alt. Es kann sich also einiges geändert haben. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass es möglicherweise einigen Drachenschiffe der Kralapiraten gelungen sein könnte, in die Morsmündung einzudringen. Sie könnten den Auftrag haben, jeglichen Nachschub für Santander abzufangen oder – was bei den Kralapiraten wahrscheinlicher ist – einfach auf eigene Faust zu plündern und zu morden. Wir müssen also auf alles vorbereitet sein. Deshalb empfehle ich den Rittern, im Angriffsfalle Halbrüstung zu tragen. Die Piraten werden auf jeden Fall versuchen, die Galeeren zu entern.“

            „Seid Ihr sicher, dass sie sich nicht zuerst über die Frachtschiffe hermachen werden?“, unterbrach ihn Sven da Momland, der Mennos Ausführung sehr aufmerksam gefolgt war.

            „Ja, da bin ich sicher. Die Piraten wissen, dass die Kaarborger Kriegsgaleeren normalerweise mit nur fünfzig Mann Besatzung fahren, während sich auf ihren schnellen Drachenschiffen meist mehr als einhundert Mann aufhalten, da sie von Kämpfern und nicht von Sträflingen gerudert werden. Falls es uns nicht gelingt, sie zu versenken, und sie uns dann im Gegenzug entern, sind sie normalerweise klar in der Überzahl. Falls es ihnen darüber hinaus während des Kampfes an Deck gelingt, die etwa vierhundert Galeerensträflinge zu befreien, haben wir ganz verspielt. Dann fallen ihnen die langsamen Frachtschiffe sowieso in die Hände.“

            „Das leuchtet mir ein“, stimmte der Feldkommandant etwas zögerlich zu, um dann, stur wie eine Bulldogge, seine Bedenken bezüglich der Sicherheit der Frachtschiffe weiter zu verfolgen und in einen schlauen Vorschlag zu kleiden: „Ich denke aber, es wäre trotzdem sinnvoll, vier bis fünf Ritter an Bord der Frachtschiffe zu bringen, um deren Kampfkraft zu stärken und die Knappen im Ernstfall zu kommandieren. Das könnte durchaus nützlich sein, falls wir auf eine große Anzahl Gegner treffen, von denen ein paar sich vielleicht doch direkt mit den Frachtschiffen beschäftigen wollen.“

            Menno überlegte einen Moment, lächelte dabei ein wenig über die sprichwörtliche Hartnäckigkeit des roten Sven, die er nun das erste Mal selbst erleben durfte. Schließlich nickte er zustimmend: „Ich glaube, das ist gar keine schlechte Idee, denn die engen Galeeren sind eh vollkommen überfüllt. Fünfzehn Ritter für die Verteidigung des Achterkastells und zehn für die Abwehr auf dem Vordeck sind mehr als ausreichend. Die Seitendecks werden wohl besser von meinen Leuten verteidigt, da es dort für den Einsatz von Gepanzerten viel zu eng zugeht. Wen wollt Ihr für die Aufgabe, die Frachtschiffe zu verteidigen, denn auswählen?“