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Daphne Hagedorn erbte das Millionenvermögen ihrer Eltern. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Daniel bekam nur den Pflichtteil. Er verschleuderte ihn mit Reisen, Frauen, Partys und Drogen.
Als Daniel nach einer Überdosis ins Koma fällt und stirbt, rächt sich Daphne an seinem Dealer. Daniel war nicht nur ihr Bruder, sondern auch Spielzeug für ihre sadistischen Spiele.
Hauptkommissar Samuel Keller verfällt Daphnes Schönheit und Charme. Zu spät erkennt er, dass die schöne Erbin eine Psychopathin war. Kann sein Kollege Martin Baier den Fall lösen und Sam sowie seinen Neffen Ben retten?
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Thriller
Neuauflage
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin weder im Ganzen noch teilweise reproduziert oder vervielfältigt werden. Dieses Verbot beinhaltet ausdrücklich auch die Übersetzung in andere Sprachen sowie die Verwendung in elektronischen Systemen.
Alle Rechte vorbehalten
Die Autorin weist darauf hin, dass jede Ähnlichkeit ihrer frei erfundenen Protagonisten zu lebenden Personen oder deren Geschichten, reiner Zufall ist.
Impressum
Text: Wine van Velzen
Covergestaltung: © 2020 Copyright by Wine van Velzen
Vorwort
Das Erbe
Daphne, das Kind
Daniel
Vorbereitungen
Tod
Mike
Das Treffen
Zwei Wochen später
Spendenball
Rache
Petra und Ben
Vermisst
Gefangen
Ben
Spuren und Fragen
Dr. Werner
Leichenfund
Fakten
Daphne
Ben
Pläne und Polizeiarbeit
Sado-Maso
Verdacht
Die Falle
Befragung
Gefesselt
Sam
Die Schlinge zieht sich zu
Das Apartment
Einsatz
Anreise
Die Klinik
Besuch der Freundin
Zugeständnisse
Der Kreis schließt sich
Die Autorin
Daphne Hagedorn erbte das Millionenvermögen ihrer Eltern. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Daniel bekam nur den Pflichtteil. Er verschleuderte ihn mit Reisen, Frauen, Partys und Drogen.
Als Daniel nach einer Überdosis ins Koma fällt und stirbt, rächt sich Daphne an seinem Dealer. Daniel war nicht nur ihr Bruder, sondern auch Spielzeug für ihre sadistischen Spiele.
Hauptkommissar Samuel Keller verfällt Daphnes Schönheit und Charme. Zu spät erkennt er, dass die schöne Erbin eine Psychopathin war. Kann sein Kollege Martin Baier den Fall lösen und Sam sowie seinen Neffen Ben retten?
Nach dem Brand in der Villa, in dem ihre Eltern umkamen, war Daphne Hagedorn die Haupterbin deren Vermögens. Sie bekam die Villa, die sie wieder aufbauen ließ, die Firmenanteile und den größten Teil des Millionenvermögens. Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Daniel bekam nur den Pflichtteil, den sie ihm auf seine Konten überwies. Ihr Vater Jörg Hagedorn hatte nie einen Hehl daraus gemacht, was er von seinem Sohn hielt und die Geschwister wussten, wie er sein Testament verfasst hatte.
Daphne stieg nach dem Abitur in die Fußstapfen ihres Vaters. Sie studierte Betriebswirtschaft und machte ihren Master mit den Schwerpunkten, Management, Logistik, Marketing und Unternehmensführung. Sie arbeitete unter seinen wachsamen Augen. Fehler akzeptierte Jörg Hagedorn bei seiner Tochter nicht. Lob sprach er nicht aus, auch wenn sie mehr leistete, als ihre Kollegen. Er hatte sie hart, unnachgiebig und streng erzogen. Und doch liebte er sie. Er hatte Daphne schon als Kind geformt. Gefühle, Mitleid und Sorge um andere Menschen waren ihr fremd. Sie funktionierte genauso, wie ihr Vater sie haben wollte. Nach dem Tod ihrer Eltern atmete sie auf. Endlich konnte sie die Firma verkaufen. Sie behielt nur fünfundzwanzig Prozent der Aktien, um weiterhin ihren Einfluss geltend zu machen.
Bei der Beerdigung der Eltern verdeckte sie ihr Gesicht mit einem schwarzen Schleier, der am modischen Hut befestigt war. So konnte niemand die Gleichgültigkeit in ihren Augen erkennen. Das lange blonde Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, das schwarze Kostüm schmiegte sich an ihren schlanken Körper. Aufrecht standen sie und ihr Bruder Daniel in der ersten Reihe der Aussegnungshalle. Sie hörte nur mit einem Ohr zu, als der Pfarrer zu sprechen begann. Die liebevollen Worte ihrer Tante, die Schwester ihrer Mutter, so wie die betroffenen Reden der Firmenangehörigen, ließ sie emotionslos über sich ergehen. Daniel zitterte am ganzen Körper und er bemühte sich, es zu unterdrücken. Sein Blick irrte unstet umher. Er hatte Schwierigkeiten, der Zeremonie zu folgen. Fahrig wischte er sich immer wieder mit einem Taschentuch über die rot geränderten Augen, in die salzige Schweißtropfen von der Stirn hineinliefen. Er sehnte das Ende der Beerdigung herbei, um sich die bunten Pillen einzuwerfen, die in einer kleinen Druckverschlusstüte in der Innentasche des schwarzen Sakkos auf ihn warteten. Sie würden ihn ruhiger werden lassen und das Zittern würde aufhören, ebenso das Schwitzen. Daniel Hagedorn war drogensüchtig. Er wusste es, Daphne ebenso, wie auch seine Eltern es gewusst haben.
Daphne, das Kind
Als Siebenjährige wollte Daphne ein Haustier haben. Ihr Vater brachte ihr ein Kätzchen, das wenige Wochen alt war. Sie wollte das Tier nicht, um es zu streicheln oder um es lieb zu haben. Daphne quälte das Kätzchen. In ihrem Zimmer beobachtete sie das kleine Tier, wie es auf dem Teppichboden herumtollte. Sie griff nach ihm und hielt das verängstigte Kätzchen fest. Sie tat ihm weh, war neugierig, wie es auf Schmerz reagieren würde. Das Geschöpf schrie und rannte wie wild geworden im Kreis herum und strich mit ihrem Pfötchen über das verletzte Ohr. Daphne drückte ihm die Kehle solange zu, bis das Tier röchelnd am Boden lag und der Körper unkontrolliert zuckte. Kein Tag verging, an dem sie es nicht quälte. Sie brach ihm ein Bein und beobachtete ungerührt, wie es versuchte, von ihr wegzukommen. Ihre Mutter, zu der sie seit sie denken konnte, ein unterkühltes Verhältnis hatte, kam ohne anzuklopfen, in ihr Zimmer. Daphne erklärte trocken und emotionslos, die Katze wäre auf dem Schrank geklettert und hinunter gefallen. Belinda Hagedorn glaubte ihrer Tochter nicht und wollte das Kätzchen zum Tierarzt bringen. Auf dem Weg dorthin verstarb es im Käfig, der auf dem Beifahrersitz stand. Belinda hielt an, nahm das leblose Tier auf den Arm und weinte bitterlich. Sie streichelte das braun gescheckte Fell des Kätzchens und murmelte eine Entschuldigung nach der anderen. Zurück auf ihrem Anwesen ging sie zum Gartenhäuschen und holte einen Spaten. Sie hob die Erde damit aus, wickelte ihren Seidenschal um das Tier und begrub es. Die Tränen, die bereits versiegt waren, liefen ihr erneut die Wangen herab und benetzten das kleine Grab.
Daphne kletterte auf die Bäume in dem großen Garten, der zu dem Anwesen gehörte, riss Nester herunter und trat auf die Eier. Sie legte Wurststücke, mit hineingesteckten Rasierklingen in den Gärten der Nachbarn aus und beobachtete, wie sie von deren Hunden und Katzen gefressen wurden. In der Schule mobbte sie die Schwächeren. Die jüngeren Schülerinnen hatten Angst vor ihr. Daphnes Drohungen, ihren Familien etwas anzutun, sollten sie sie verraten, ließen die Kinder schweigen. Zu den Lehrern war sie höflich und nett, ihre Noten sehr gut. Niemals hätten sie geglaubt, dass Daphne ein psychisch krankes Mädchen sei. Im Gegenteil. Sie hätten sie als liebenswürdig, intelligent und hilfsbereit beschrieben.
Ihren Bruder Daniel beschützte sie. Nicht weil sie ihn liebte, sondern weil sie ihn als ihr Eigentum betrachtete. Und was ihr gehörte, durfte von niemand, außer von ihr selbst, gequält und misshandelt werden. Wenn sie unbeobachtet waren, schlug und biss sie den zwei Jahre Jüngeren. Einmal drückte sie im Pool seinen Kopf so lange unter Wasser, bis sein Körper erschlaffte. Danach schrie sie nach ihrem Vater, der Daniel aus dem Pool zog und ihn wiederbelebte. Sie stand daneben und zitternd vor Erregung, als ihr Bruder hustend und nach Atem ringend die Augen aufschlug. Ein Blick in ihre eiskalten blauen Augen und er wusste, dass er nichts sagen würde. Daphne hatte weder ein schlechtes Gewissen, noch fühlte sie Schuld oder Reue. Diese Gefühle kannte sie selbst nicht, konnte sie aber sehr gut imitieren. Dadurch täuschte sie ihre Mitmenschen und keiner sah ihr wahres ich. Bis auf ihre Mutter. Belinda hatte Angst vor ihrer Tochter. Je älter das Mädchen wurde, umso mehr wuchs sie und die Frau spürte immer deutlicher die Gewaltbereitschaft und die Kälte, die von Daphne ausging. Schweigend verschloss sie die Augen und stellte sich taub.
Daniel ging seiner Schwester aus dem Weg, so gut er konnte. Schlimm war es für ihn, wenn die Eltern ausgingen und die Geschwister alleine blieben. Daphne quälte dann den Jungen und fügte ihm Schmerzen zu. Seine blonden Haare fielen ihm schweißnass in die Stirn. Der Rotz lief ihm aus der Nase und sein Körper zitterte, während er bettelte, sie möge aufhören. Die Schmerzen, die er empfand, waren grauenvoll. Wenn Daniel sie nicht mehr ertrug, wurde er bewusstlos. Nachts schrie er laut und grell, wenn er in Albträumen gefangen war, in denen seine Schwester ihn tötete. Auch wenn das grauenvolle Monster in seinem Traum nicht wie Daphne aussah, hatte es ihre blauen eiskalten Augen. Jedes Mal, wenn er schweißnass aus solchen Albträumen erwachte, hatte er eingenässt. Seine Mutter kam dann zu ihm, um ihn zu beruhigen und zu trösten. Sie überschüttete ihn mit Liebe, die sie ihrer Tochter nicht geben konnte und auch nicht geben wollte.
Menschen zu manipulieren, war ein leichtes Spiel für Daphne. Als Erwachsene brachte sie Menschen dazu, Dinge für sie zu tun, die manchmal am Rande der Legitimation waren. Die Männer bewunderten ihre makellose Schönheit und hatten wilde Fantasien, wenn sie vor ihnen stand und ihre Augen wie Sterne leuchteten und sie ihnen das Gefühl gab, der wichtigste Mensch, in diesem Moment, für sie zu sein. Sie konnte mit ihrer Art die Männerwelt um den Finger wickeln und das nutzte sie schamlos aus.
Mitten in der Stadt hatte Daphne eine große Eigentumswohnung, von der niemand aus ihrem engeren Umfeld wusste. Dort traf sie sich mit willigen Männern aus verschiedenen Chaträumen. Die Fantasien und Wünsche der Männer waren fast identisch. Sie wollten ihren Drang zum Sadomasochismus, kurz SM genannt, ausleben. Sie wollten verprügelt, gefesselt, ausgepeitscht und gedemütigt werden. Das war genau das, was Daphne ihnen antun wollte. Einen Raum, in dem Apartment, hatte sie von einem SM Experten einrichten lassen. Der Boden war mit schwarzem Laminat verlegt, die Wände in blutrot gestrichen. Schwarze Samtvorhänge, die das Tageslicht nicht hereinließen und einige gemalte Bilder, auf denen wilde Orgien und nackte Menschen bei Sexspielen zu sehen waren, gaben dem Raum die richtige Atmosphäre. Ein großes Bett, an dem Ketten und Fesseln an dem Gestell befestigt waren, stand in der Mitte des Raumes. Ein Holzkreuz mit Haken und Ösen daran, war an der Wand befestigt. Ein Stuhl mit hoher Lehne, an der spitze Nägel von hinten hineingehämmert waren, stand neben dem Tisch, auf dem weitere Utensilien lagen, die Schmerzen bereiten konnten. Die Spitzen der Nägel waren gerade so lang, dass sie fünf Millimeter in die Haut drangen, wenn man den nackten Rücken anlehnte. Drei Peitschen, die verschieden lange und breite Lederriemen hatten, Schnüre, Ketten, Bänder und Seile, gehörten ebenfalls zum Equipment. Ebenso Fläschchen mit wohlriechenden Ölen, Kerzen in verschiedenen Größen, Vaseline in Tiegeln, blutstillende Kompressen, Brandsalbe und anderes Verbandszeug. Alles, um ihren Sklaven größtmöglichen Schmerz zuzufügen. Riechsalz stand bereit, falls einer von ihnen in Ohnmacht fiel. Schnell fand sie heraus, wer diese Männer waren, die sich von ihr Schmerzen zufügen, sich beleidigen und beschimpfen ließen, die devot vor ihr niederknieten und um mehr bettelten. Die vor Schmerzen aufschreien und dabei lustvoll stöhnten, bis sie zum Orgasmus kamen. Es waren Männer aus den oberen Schichten, die sie fürstlich bezahlten. Daphne nahm das Geld, obwohl sie bereit gewesen wäre, diese Männer zu bezahlen, um ihre eigenen Fantasien ausleben zu können. Es breitete sich in ihr eine Genugtuung aus, wenn sie auf die geschundenen Körper sah, die mit blauen Flecken, Kratzern, Brandblasen und Striemen, überzogen waren.
Daniel
Daphne nahm die Fernbedienung, die in der Ablage ihres Wagens lag, um das zwei Meter hohe, weiß gestrichene Eisentor zu öffnen. Langsam fuhr sie die Einfahrt hinauf, vorbei an blühenden Sträucher und geschnittenen Bäumen und sah zu ihrer Villa, deren bodentiefe Fenster in der Sonne aufblitzten. Die Mittagshitze schlug ihr entgegen, als sie aus dem Wagen stieg, den sie vor der Doppelgarage abgestellt hatte. Sie nahm die Einkaufstaschen vom Rücksitz und ging ins Haus. Die Klimaanlage lief, es war angenehm kühl in der Villa, die seit drei Jahren ihr gehörte.
Die schöne Erbin stellte die Tüten mit den Logos teurer Bekleidungsmarken in dem weiß gefliesten Flur ab. Tippte den Code der Alarmanlage ein, um sie auszuschalten, und zog die roten Riemchensandalen aus. Barfuß ging sie in die hochmoderne Küche, nahm den kalten Zitronentee aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas ein. Mit kleinen Schlucken trank sie das erfrischende Getränk, schenkte noch mal nach und nahm das Glas mit ins Wohnzimmer. Das Telefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken, als sie sich auf das cremeweiße Sofa nieder ließ. Die Nummer, die es am Display anzeigte, kannte sie nicht. Als sie den Anruf entgegennahm, meldete sich das städtische Kreiskrankenhaus. Sie wurde gebeten, zu warten, und wurde weiter verbunden. Ein Dr. Werner war am anderen Ende der Leitung und fragte Daphne, ob sie die Schwester von Herrn Daniel Hagedorn sei.
Daphne stellte ihren Wagen auf dem großen Parkplatz ab und lief mit schnellen Schritten zum Haupteingang. An der Info fragte sie nach Dr. Werner und erklärte kurzangebunden, dass er sie erwarten würde. Die Frau an der Information beschrieb ihr den Weg und zeigte rechts zu den Fahrstühlen. Oberarzt Dr. Werner stand wartend vor dem Ärztezimmer, gab Daphne die Hand und führte sie in den Raum. Er hatte seit siebzehn Stunden Dienst. Seine Augen sahen müde aus, die dunklen Schatten darunter schimmerten bläulich und die Haut wirkte fahl. Die Halbglatze ließ ihn älter wirken, als er wahrscheinlich war. Umständlich rückte er Daphne den Stuhl zurecht und bat sie Platz zu nehmen.
»Ihr Bruder, wurde heute Morgen mit einer Überdosis Crystal Meth eingeliefert, die er sich allem Anschein nach selbst gespritzt hat. Die vielen Einstiche an seinen Armen lassen darauf schließen, dass er seit längerer Zeit süchtig ist.« Daphne saß steif auf dem Stuhl und starrte den Arzt an. Als sie nichts erwiderte und keine Fragen stellte, fuhr Dr. Werner fort.
»Soviel ich weiß, hat ihn seine Putzfrau gefunden, die sofort den Notarzt verständigte.«
Dr. Werner sah Daphne an, die ihn regungslos in die Augen sah. Was für eine wunderschöne Frau, sie ist, dachte er. Mit leiser Stimme fragte sie:
»Ist er bei Bewusstsein? Was haben sie für Maßnahmen getroffen und wann kann ich meinen Bruder in eine Privatklinik verlegen lassen?«
Der Arzt blickte auf die dünne Mappe, die vor ihm auf dem Tisch lag.
»Ihr Bruder wurde mit Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen und Hirnblutungen eingeliefert. Wir haben ihm die nötigen Medikamente verabreicht und ihn ins künstliche Koma gelegt, sein Zustand ist weder stabil, noch ist er außer Lebensgefahr. Er liegt auf der Intensivstation und wird durchgehend überwacht. Wie schwer seine Schäden am Gehirn sind, können wir noch nicht genau sagen. Beide Nieren und das Herz sind ebenfalls schwer geschädigt.«
Daphne konzentrierte sich darauf, Tränen zu erzeugen. Sie wusste, dass Angehörige bei so einer niederschmetternden Nachricht zu weinen begannen. Ihre Augen wurden feucht und die erste Träne lief über ihre Wange. Der Arzt erhob sich von seinem Stuhl und reichte ihr ein Taschentuch, das sie dankbar lächelnd annahm. Sie versteckte ihr Gesicht dahinter und schluchzte leise. Nicht zu laut und nicht zu übertrieben, es sollte ja echt klingen. Ihre Schultern begannen zu zucken, ihre Haltung fiel zusammen und sie senkte den Kopf.
Dr. Werner hatte bereits viele schlechte Nachrichten in seiner langen Dienstzeit im Krankenhaus überbringen müssen. Er kannte alle Verhaltensmuster, die Angehörige an den Tag legten, wenn er ihnen mitteilte, dass es wenig bis gar keine Hoffnung für die Patienten gab. Über die Jahre hatte er sich ein dickes Fell zugelegt und versuchte, alles so neutral wie möglich zu sehen. Doch diese wunderschöne Frau, die ihm kühl und distanziert zugehört hatte, tat ihm leid. Er setzte sich auf die Kante des Schreibtisches. Die Sorge um den Bruder und das Begreifen seiner Diagnose, ließ sie so plötzlich zusammenbrechen, dass er sie liebend gern in den Arm genommen hätte, um sie zu trösten. Er sah sie verstohlen an und musterte ihre perfekten Waden, die unter dem knielangen Sommerkleid hervorschauten und an den schmalen Fesseln endeten. Die makellose Bräune ließen ihre blauen Augen strahlen. Ihre langen, blonden Haare glänzten wie Gold. Eine Strähne, dieses seidigen Haares, fiel nach vorn und er musste sich beherrschen, um sie nicht zu berühren. Der Schmuck, den sie trug, war dezent, doch er erkannte seinen Wert. Die komplette Erscheinung von Daphne Hagedorn zog ihn an, sie gefiel ihm. Er begehrte diese junge, schöne Frau. Er konnte kaum den Blick von ihr lassen.
Mühsam riss er sich von ihrem Anblick los und starrte auf seine Hände. Er wartete stumm ab, bis ihre Schultern nicht mehr bebten und sie sich diskret die Nase putzte. Unbeholfen legte er seine Hand auf die ihre.
»Wenn sie sich frisch machen möchten, können sie gern das kleine Badezimmer benutzen, dass zu meinem Büro gehört. Danach bringe ich sie zu ihren Bruder und wenn sie noch Fragen haben, werde ich sie ihnen gerne beantworten.«
Daphne griff nach ihrer Handtasche, erhob sich und nickte ihm dankbar zu. Sie ging in den angrenzenden Raum und drückte auf den Lichtschalter, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Die Belüftung sprang an und dröhnte laut in ihren Ohren. Das Badezimmer war gerade mal so groß, dass eine Toilette, ein kleines Waschbecken und eine schmale Dusche darin Platz hatten. Auf dem schmalen Regal unter dem viereckigen Spiegel lag eine Zahnbürste, ein Kamm und ein Deo Spray auf der Ablage. Daphne sah ihr Spiegelbild an. Die Wimperntusche war leicht verschmiert und ihre Augen gerötet. Zufrieden lächelte sie. Sie wusste, dass der Arzt ihr die besorgte und erschütterte Schwester abnahm. Sie richtete ihr Make-up und zog eine Grimasse, bevor sie wieder die aufgewühlte Frau spielte und zurück zu dem Arzt ging.
Dr. Werner stand am Fenster und sah hinunter auf die Parkplätze. Der silberne Porsche sprang ihm ins Auge und er wusste, dass er Daphne Hagedorn gehörte.
Der Mann an ihrer Seite kann sich glücklich schätzen. Sie ist schön, reich, intelligent und weltgewandt, dachte er. Wäre ich nicht der Arzt, der ihren Bruder behandelt, würde sie mich wahrscheinlich nicht einmal bemerken, selbst dann nicht, wenn nur sie und ich alleine in einem Aufzug stehen würden.
Frauen wie Daphne Hagedorn ignorierten Männer wie ihn. Ein leiser Seufzer schlüpfte durch seine Lippen, als er hörte, wie sie die Tür öffnete und zurück in sein Büro kam.
Zuerst sah Daphne nur die Apparate, die vielen Schläuche und hörte den Piepton, der den Herzschlag ihres Bruders wiedergab und die Geräusche der anderen Geräte, die ihn am Leben hielten. Das Zimmer hatte keine Fenster. Die Wände waren in einem blassen Grün gestrichen und es roch nach Desinfektionsmittel. Sie ging näher an das Bett und schaute in das Gesicht ihres Bruders. Er hatte eine Sauerstoffmaske auf, die seinen Mund und Nase bedeckten. Daniel war kalkweiß. Die Dauerbräune, die er von seinen Aufenthalten und Reisen zu den warmen Stränden der Welt hatte, war verschwunden. Dunkle Schatten lagen unter Daniels geschlossenen Augen. Daphne sah den Ausschlag und die Akne, rot und entzündet, stachen die Pusteln auf der blassen Haut hervor. Sein Gesicht war eingefallen und fahl, die Wangenknochen stachen hervor und die Nase wirkte spitz und schmal. Seine Arme, die auf der Bettdecke lagen, waren dünn. Die Haut um die Kanülen, die ihm an beiden Armen gelegt worden waren, war mit dunklen Blutergüssen übersät. Sein blondes Haar war stumpf und glanzlos.
Tief atmete die junge Frau ein und setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand.
Daniel, Daniel, was machst du nur für Sachen, dachte sie und nahm seine kühle Hand in die ihre. Der Arzt stand bei der Tür und bewunderte, wie gefasst diese schöne Frau war. Wieder stellte er fest, dass sie in einer Liga spielte, an die er nie heranreichen würde. Leise schloss er die Tür und ließ die Geschwister allein. Neugierig sah Daphne auf die Apparate und Schläuche, die ihren Bruder am Leben hielten. Wenn ich alle Geräte abschalte, wie lange würde es dauern, bis er stirbt? Würde er es bemerken und mit Schmerzen in den Tod gehen oder hinüberdämmern, ohne etwas zu spüren? Im Gedanken malte sie sich aus, wie er aufwacht und qualvoll nach Atem ringen würde, wie sein Körper sich aufbäumte und wild und unkontrolliert zuckte. Sie stellte sich vor, wie er die Augen aufreißt und in die ihre schaut. Er würde gebannt ihren Blick festhalten und genau wissen, wie sehr sie es genoss, in leiden und sterben zu sehen.
Daphne hatte ihren Bruder vor drei Jahren den Pflichtteil ausgezahlt, den er von den Eltern geerbt hatte. Daniel ging auf Reisen, kaufte teure Autos. Er schmiss eine Party nach der anderen, mit Menschen, die sich an ihn dranhängten und sich seine Freunde nannten. Der junge Erbe bezahlte, wenn sie gemeinsam unterwegs in die angesagten Discos und Bars gingen. Er schenkte Frauen, mit denen er einmal im Bett war, kostbaren Schmuck. In seinem Haus, das davor Daphne gehörte und sie ihm zum Pflichtteil dazu gab, gingen seine sogenannten Freunde ein und aus. Einige von ihnen waren ständig dort, sie hatten sich häuslich niedergelassen und lebten von Daniels Großzügigkeit. Die Drogen, die sie mitbrachten, veränderten Daniel. Bald war er der Sucht verfallen und die Abstände, in denen er sich einen Schuss setzte, wurden immer kürzer. In den ersten Monaten, in denen er in den Drogensumpf glitt, schickte Daphne ihn in eine Klinik. Er begehrte nicht auf und fügte sich ihren Anweisungen. Sie bezahlte die horrenden Rechnungen und besuchte ihn zweimal in der Suchtklinik. Daniel wollte sein altes Leben ohne Drogen wieder haben. Er wollte nach dem Klinikaufenthalt eine ambulante Therapie beginnen, doch die Sucht und seine falschen Freunde waren stärker. Der Absturz kam so schnell, dass Daphne, die für ein Vierteljahr im Ausland war, es nicht mitbekam. Erst der Anruf aus dem Krankenhaus ließ sie wissen, wie schlecht es um Daniel stand.
Sie blieb einige Stunden auf der Intensivstation, sprach mit einigen Ärzten und noch einmal mit Dr. Werner. Im Moment konnte ihr Bruder nicht in eine Privatklinik verlegt werden. Er sei nicht transportfähig, war die allgemeine Antwort von den Angesprochenen.
Daphne ging zurück in das Krankenzimmer. Voller Hass sah sie ihren Bruder an. Sie nahm seine bleiche, zarte Hand in die ihre und drückte zu. Das Krachen und Knacksen der Knochen ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen.
»Wenn du mir einfach so wegstirbst, kleiner Bruder, werde ich sehr wütend werden. Du bist mein kleines Spielzeug, du gehörst mir. Sollten diese Drogen dich töten, werde ich deinen Dealer und deine Freunde zur Rechenschaft ziehen«, flüsterte sie ihm fanatisch zu. Tränen der Wut und der Ohnmacht stiegen in ihre wunderschönen blauen Augen. Sie konnte nichts tun, außer abwarten. Mit schnellen Schritten ging sie aus dem Zimmer. Die Krankenschwestern sahen ihr nach. Sie sahen jeden Tag Menschen, die um ihre Angehörigen bangten, die hier lagen und denen nur Gott noch helfen konnte. Sie ahnten, dass diese schöne, junge Frau bald ihren Bruder verlieren würde.
Aus diversen Magazinen kannte man Daphne Hagedorn. Immer wieder gab es Foto von ihr, wo sie auf einem Galaabend war oder wie sie zum Spendenaufruf für Krebspatienten oder einem Wohltätigkeitsverein warb. Diese Aufgabe hatte sie nach dem Tod ihrer Eltern übernommen. Belinda Hagedorn und ihr Mann Jörg waren gern gesehene Gäste und wurden ständig zu Benefizveranstaltungen eingeladen. Ihre Schecks waren meistens fünfstellig. Auch Daphne stellte Schecks aus und übergab sie mit gespielter Demut, wenn sie dabei sagte, wie glücklich sie darüber sei, anderen helfen zu können.
Hin und wieder war sie an der Seite von Prominenten und Schauspielern zu sehen. Interviews gab sie so gut wie nie, doch ihre Schönheit und die kostbaren Kleider die sie trug, verführten die Fotografen geradezu, sie ins Blitzlicht zu stellen. Daphne liebte es, im Rampenlicht zu stehen. Sie sah sich gerne die Magazine an, in denen sie abgelichtet wurde und von ihrer Großzügigkeit sprach. Sie sprach nie über ihr Privatleben und verstand es, die Paparazzi zu überlisten, die ihr manchmal folgten. Ihr gefiel die Vorstellung, dass sie geheimnisvoll, reich und schön war und die Presse nichts über ihr Privatleben herausfand. Einer der Gründe war ihr Verkleidungs- und Maskierungstalent. Perücken, große Sonnenbrillen und Hüte halfen da ungemein.
Daphne beschloss, am nächsten Tag Daniels Anwesen aufzusuchen. Sie wollte und musste sich ein Bild davon machen, wie ihr Bruder in den letzten Monaten gelebt hatte.