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Seit ein Unfall Gabriel Evans und Jenna Walker zusammen gebracht hat, erscheint ihm die Hoffnung auf ein normales, glückliches Leben nicht mehr allzu fremd. Doch gerade als Gabriel dachte, dass er seiner dunklen Vergangenheit entkommen ist, findet Detective Gabriella Pérez plötzlich ein mysteriöses Notizbuch. Gemeinsam entdecken Gabriel und seine Freunde die schockierende Wahrheit hinter Denise Rutherfords Tod. Je mehr Gabriel jedoch in die rätselhafte Welt seiner Schwester eintaucht, merkt er, dass sich ihre Leben immer mehr miteinander verschmelzen und ihn eines Tages vor die selbe Entscheidung stellen.
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Seitenzahl: 304
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Epilog
Vergebung. Eine Sache, nach der wir alle uns schon einmal gesehnt haben. Vergebung gibt uns eine zweite Chance. Eine Chance es besser zu machen und Vergebung heilt das Gewissen. Zu mindestens ist es das, was wir uns erhoffen. Vergebung war nie etwas, worüber Garett Rutherford nachgedacht hat. Es gab keine Vergebung für seine Familie und all die Dinge, die sie mit ihrem Immobilien-Imperium anrichteten. Es gab keine Vergebung für Garetts Medikamentenschmuggel im Krankenhaus und es gab auch keine Vergebung, als es darum ging, ob er überhaupt noch weiterhin als Arzt praktizieren durfte. Das Schwerste jedoch ist nicht, um die Vergebung bei anderen Leuten zu bitten. Das ist lediglich eine Frage des Stolzes. Das Schwerste ist sich selbst zu vergeben. Sich nicht tagtäglich von seinen Schuldgefühlen jagen und innerlich auffressen zu lassen. Denn genau das tat Garett seit über einem Jahr. Es gab keinen Moment, in dem er sich nicht die Schuld für Denise Tod gab. Er war es, der Denise in diesen Supermarkt geführt hatte. Er war derjenige, der erste Hilfe geleistet hatte und er war derjenige in dessen Armen sie letzten Endes auch gestorben war. Schuldgefühle entstehen nicht einfach so. Meistens merken wir auch gar nicht, wann uns dieses Gefühl überkommt. Es kommt schleichend. Von Tag zu Tag baut sich die Schuld in uns immer mehr auf, so wie es einst bei Garrett war. Es ist zwar einfach sein altes Leben hinter sich zu lassen und sich neu zu erfinden. Auch wenn Gabriel ihm vieles abnahm, so konnte er seinen Ballast und die Schuld nicht loswerden. Es gab keinen Tag an dem Gabriel nicht an sein altes Leben zurück dachte. An all die Entscheidungen, die ihn hergebracht hatten und all die Dinge, die er getan hatte auf der Suche nach seinen Antworten. Denise war Tod. Er nicht. Wieso verdiente er es weiterzuleben und sie nicht? Diese Fragen werden mit der Zeit auch nicht weniger.
Ganz im Gegenteil.
Je mehr Zeit verging und Gabriel in das Leben seiner Schwester eintaucht, blieb ihm letzten Endes nur noch eine Frage, die er sich stellen konnte:
Wer war Denise Rutherford überhaupt?
Mit weit aufgerissen Augen starrte Garett auf den leblosen Körper seiner Schwester. Er lauschte ihren Atemzügen, die vergeblich nach Luft schnappten und beobachtete dabei wie ihre Lippen immer bläulicher wurden. Ihre Stimme rau und stockend. Jedes ausgesprochene Wort schien wie eine Qual durch ihren ausgetrockneten Hals.
„Bleib bei mir Denise. Hilfe ist unterwegs“, sprach er ihr immer wieder zu. Seine Hand hatte er dabei fest auf ihre Wunde gedrückt, in der Hoffnung ihre Blutung so nur ansatzweise stillen zu können.
„Es ist okay, Gary. Ich…“
„Nein, sag es nicht. Ich lass dich nicht sterben. Hörst du das? Man kann die Sirenen schon hören. Gleich ist jemand da.“
Garetts Stimme überschlug sich immer wieder aufs Neue. Verzweifelt huschte sein Blick durch die Gegend in der Hoffnung irgendeinen Weg zu finden seiner Schwester vor der Ankunft des Krankenwagens noch zu helfen. In seinem Kopf ging er jegliche Semester und dessen Lehrstoff durch, um eine Antwort auf all die Fragen in seinem Kopf zu finden. Tue ich das richtige? Kann ich noch mehr tun? Wie kann ich sie retten? Er spürte, wie Denise Griff schwächer wurde und ihre Hand drohte von seiner auf den Boden zu sacken. Wage nahm er sein Umfeld wahr. Das Heulen, der immer näherkommenden Sirenen, die Stimmen der ersten Polizisten, die bereits am Tatort angekommen waren, um Zeugen zu befragen. Alles was Garett in diesem Moment tat, war sich auf Denise zu konzentrieren. Ihr Bitten und ihr Flehen und ihr ständiges Versprechen, dass alles okay sei, trieb ihn immer mehr am Rande der Verzweiflung. Sie gab auf. Denise gab auf und das tat sie nie. Umso mehr lag es an ihm stark zu sein. Nicht nur für sich, sondern auch für sie. Und gerade als Garett seinen Mund öffnete, um ihr weiterhin gut zu zusprechen, spürte er wie eine viel zu vertraute Stimme hinter ihm ertönte. Mit aller Kraft an seiner Schulter rüttelte und ihn schließlich mit einem Ruck zurück in das Hier und Jetzt zog.
Gabriel riss seine Augen auf und sah geradewegs in die besorgten Gesichter von Jenna und Gabriella als der Druck auf seiner Brust immer stärker wurde.
„Du hast eine Panikattacke“, sagte er zu sich selbst. Setzte sich dabei gleichzeitig auf und streckte seinen Rücken so gut er konnte durch. Die Hände seitlich auf den Tisch neben sich abgestützt.
„Ein und ausatmen. Ein und aus und schön durch die Nase.“
Als er versuchte sich ein wenig mehr aufzustellen, rutschte er mit seinen Händen von der Tischecke ab. Versuchte sich dabei vergeblich irgendwo festzuhalten und fegte mit seinem Fall Denise Akte mit sich vom Tisch.
„Gabe!“, schrie Jenna laut auf. Lies sich neben ihn auf den Boden fallen und suchte ihn beinahe panisch nach möglichen Verletzungen ab.
„Nein“, schob er sie nach Luft schnappend von sich.
„Er hat eine Panikattacke“, stellte Gabriella fest. Stürmte ohne ein weiteres Wort in die Küche und durchforstete seine Schubladen nach einer Papiertüte. „Ganz ruhig, okay? Das wird wieder. Tief ein und ausatmen.“
Jenna startete einen weiteren Versuch und hob langsam ihre Hand. Diesmal ließ es Gabriel geschehen. Versuchte sich unter ihrer Berührung zu entspannen. Er konzentrierte sich auf seine Atmung. Orientierte sich dabei an Jennas und versuchte ihrem gleichmäßig stetigen Atmen zu folgen.
„Ich habe es!“, rief Gabriella aus der Küche und stürmte schnellen Schrittes herüber. Mit einem lauten Knall ließ sie sich vor ihm auf den Boden fallen. Ignorierte dabei den Schmerz, der ihre Knie durchfuhr. Gabriel entriss ihr förmlich die Tüte und fing erleichtert an in sie hin einzuatmen. Lauschte dem Knistern des Papiers, welche seine tiefen Atemzüge verursachten.
„So ist es gut. Das wird wieder.“
Stumm nickte Gabriel Jenna zu. Nahm dabei einen weiteren tiefen Atemzug. Er spürte wie ihre Hand die ganze Zeit über in kleinen Kreisbewegungen über seinen Rücken strich. Vermutlich spürte wie sein Sweatshirt an seinem verschwitzten Rücken klebte und wie angespannt seine Schulter waren. In der Zwischenzeit hatte Gabriella angefangen die Akten, welche Gabriel bei seinem Fall mit sich zu Boden gezogen hatte wieder aufzusammeln. Angefangen bei den Tatortbildern, damit Gabriel sich diese nicht mehr länger angucken musste. Sein Blick folgte ihren Bewegungen. Nahm noch immer das Zittern ihrer Finger wahr als Gabriella sich nun daran machte sämtliche Bilder von Vivian Durand einzusammeln.
„Warte“, raunte Gabriel plötzlich lauter als zunächst beabsichtigt. Legte seine Papiertüte nach einem letzten Atemzug wieder zur Seite und schob sich mit einem Ruck vom Boden ab, um unter den Tisch zu krabbeln, wo ein Bild seine Aufmerksamkeit besonders auf sich zog. Im Gegensatz zu dem schwarz-weißen Bild welches Gabriella ihm vorhin von Vivian gezeigt hatte, war dieses farbig. Gestochen scharf, da die Kamera sie hier nicht in ihrer Bewegung erwischt hatte und dabei ein wichtiges Detail entblößte.
„Was hast du?“, fragte Jenna verwirrt nach. Hastig huschte sein Blick über das Bild, ehe er Gabriella mit einem Ruck den Rest der Bilder entriss, um diese miteinander zu vergleichen.
„Nein“, murmelte er.
„Nein, nein, nein!“
Trotz seiner schwachen Beine rappelte er sich an seinem Stuhl auf und zog nun auch das Notizbuch an sich. „Gabe, hey. Was hast du?“
Er schüttelte seinen Kopf. Blätterte wild durch die Seiten, ohne zu wissen wonach er suchte.
„Gabriel“, ermahnte ihn Jenna erneut, diesmal eine Spur strenger.
„Es muss hier sein.“
Verwirrt rappelten sich nun auch Jenna und Gabriella auf, um nachzusehen wonach Gabriel so verzweifelt zu suchen schien.
„Ich brauche mehr Gaby! War das alles? War das alles was du von Denise hast?“, brüllte er.
„Was? Nein, also ja. Die Akten, das Buch und…“
Plötzlich schien auch ihr ein Gedanke zukommen und Gabriella stürmte zu ihrer Aktentasche zurück, wo sie einen dicken Umschlag herausholte und den Inhalt auf dem Tisch verstreute.
„Stopp!“, schrie Gabriel als er einen der Zettel an sich heranzog. Nachdenklich strich er mit seinen Fingern über das Rutherford Buildings Emblem.
„Das ist derselbe Termin, der in ihrem Buch steht“, erklärte Gabriella.
„Schon klar, aber warum hatte Denise einen Firmenblock?“
Die Frage war mehr an sich selbst gerichtet als an die beiden Frauen. Gedankenverloren strich er weiterhin über den edlen Druck.
„Er ist zu hochwertig für einen einfachen Notizblock.
Das Papier ist dicker. Das Firmenemblem ist gestanzt, nicht gedruckt.“
Überrascht über seine wenn auch verwirrten Worte warfen nun auch die beiden Frauen einen Blick über seine Schulter auf den Notizblock und tauchten somit in ihre alltäglichen Rollen eines Detective und einer Anwältin ein.
„Ich kenne das Papier. Es ist dicker als die anderen. Wir haben solche Blöcke in der Kanzlei, aber nur wir. Also Namenspartner und die höhergestellten Anwälte. Unsere Anfänger haben einfache Blöcke.“
„Zeig mal her“, mischte nun auch Gabriella dazwischen. Riss ihrer Freundin den Block förmlich aus der Hand und blätterte einige der umgeklappten Seiten zurück.
„Da steht nichts“, presste Gabriel bei einem weiteren tiefen Atemstoß hervor.
„Vielleicht nicht, vielleicht doch, aber…“
„Gaby, guck mal“, schnitt Jenna ihr das Wort ab. Genau wie Gabriel hatte auch sie sich das farbige Bild von Vivian angeschaut und denselben Hinweis gefunden, welchen ihn erst so aufgewühlt hatte.
„Was ist?“
„Das Logo. Es ist dasselbe Logo. Kaum zu erkennen auf den ersten Blick, aber der Kaffeebecher hier trägt das Firmenlogo auf sich.“
Um ihren Verdacht ein wenig zu bestärken, riss sie eine der hinteren, unbeschriebenen Seiten des Blocks heraus. Faltete diese knapp bis zur Mitte zusammen und hielt den fehlenden Teil des Logos auf dem Kaffeebecher an das Bild heran. Gabriel spürte wie ihm erneut die Tränen in die Augen stiegen. Sein Magen sich ein weiteres Mal umdrehte und der Druck auf seiner Brust wieder zunahm. Seine Hände sich wieder zu Fäusten ballten als sein Verdacht sich mit jedem Wort welches Jenna und Gabriella austauschten bestätigte.
„Hier. Auf diesem Foto erkennt man das Logo besser.
Es ist ein wenig verschwommen, aber ganz. Sie hat einen Kaffeebecher in der Hand“, fuhr Jenna fort. Tippte mit ihrem Finger dabei umso deutlicher auf eins der anderen Fotos.
„Sie muss im Gebäude gewesen sein. Der Kaffeestand befindet sich im Gebäude. Direkt am Eingang im Wartebereich und vor der Sicherheitskontrolle“, brach Gabriel sein Schweigen und verstärkte unter seiner aufsteigenden Wut den Druck seiner zusammengeballten Faust. Seine Fingernägel schnitten bereits schmerzhaft in seine Haut, doch das war ihm im Moment egal.
„Also war sie drinnen“, bestätigte Gabriella mit einem kleinen Nicken.
„Aber wie? Wenn du sagst, dass das hinter der Sicherheitskontrolle ist, dann muss Denise…“
„Einen Weg gefunden haben reinzukommen oder viel wichtiger: Sie muss einen Grund gehabt haben überhaupt erst reinzugehen“, sprang Gabriella auf den Gedanken ihrer Freundin mit auf.
„Und das anscheinend Undercover.“
Gabriels Herz fing an in seiner Brust zu rasen. Das Blut in seinen Ohren fing erneut an zu pochen. Langsam löste er seine krampfhaft zusammen geballten Fäuste. Heiße Tränen stürmten über seine Wange als er plötzlich laut anfing zu schreien. Zu Fluchen. Ein Schrei der Verzweiflung, welcher in diesem Moment Jenna und Gabriella das Blut in ihren Adern gefrieren ließ. Er stand auf. Schmiss den Stuhl hinter sich mit voller Kraft auf zu Boden und ließ mit dem lauten Knall die beiden aufs Neue zusammenzucken. Bevor eine von ihnen überhaupt reagieren konnten, hatte Gabriel sich bereits umgedreht und war so schnell er konnte die Treppen zu seiner Dachterrasse hinaufgestürmt.
Es störte ihn nicht, dass das Holz der Kiste welches er vor sich immer wieder auf den Boden schepperte, bereits in seine Hand schnitt. Sich sämtliche Splitter dabei schmerzhaft in seine Hand bohrten. Es störte ihn nicht, dass das Blut bereits an seinem Ringfinger herunterlief. Das zerbrochene Glas unter seinen Schuhen auf den Steinfliesen der Dachterrasse entlang kratzte. Nichts von dem nahm Gabriel in diesem Moment wirklich wahr. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Machte es beinahe unmöglich Jennas und Gabriellas Stimmen in dem Chaos seiner Gedanken und dem Krach, welcher ihn umgab herauszufiltern. Keiner von ihnen traute sich einzugreifen. Ihn zu berühren. Nicht weil sie Angst hatten, dass er sie verletzten würde. Sie von sich schieben würde, sondern dass sie es nicht schaffen, würden ihn festzuhalten und zu beruhigen.
„Gabe!“, schrie Jenna als dieser nach der zweiten Holzkiste griff und sie vor sich auf den Boden knallte. Immer wieder schrie Gabriel vor Schmerzen laut auf. Er spürte wie seine Kräfte nachließen und trotzdem gab Gabriel sein bestes, das letzte Stück Kraft, welches sein Körper besaß, irgendwie zu bündeln um den Druck, die Wut, welche ihn durchfuhr abzubauen.
„Gary!“, versuchte es nun Gabriella. Näherte sich ihm langsam Schritt für Schritt bis sie den perfekten Moment erwischt ihn mit einem gekonnten Polizeigriff zu packen und festzuhalten.
„Shhhh, ganz ruhig, okay? Beruhige dich.“
„Ich…ich…“, schnappte er verzweifelt nach Luft. Heiße Tränen strömten erneut über seine Wangen. Mit einem stummen Nicken signalisierte Gabriella ihrer Freundin, dass sie ihn im Griff hatte. Ohne noch eine Sekunde länger zu zögern, rannte Jenna zu den beiden herüber.
„Hey, hey, hey. Aufstehen. Gabe, nicht“, sagte Jenna.
Es dauerte nicht lange bis seine Beine schließlich nachließen und er in Gabriellas Griff zu Boden sackte. So gut es ging versuchte Jenna die Scherben mit ihrem Fuß zur Seite zu schieben als seine Knie nachgaben, damit er sich nicht noch mehr verletzte. Die Augen vor Schock geweitet als sein Blick über das Ausmaß seiner Wut vor sich schweifte. Die zerstörten Holzkisten, der kaputte Stuhl und das Glas der unzähligen Flaschen, die er auf dem Dach hatte, stehen gelassen und welches teilweise noch immer unter seinen Füßen kratzte als er sich vergeblich versuchte ein wenig vom Boden abzustoßen.
„Gaby, das Blut“, stellte Jenna geschockt fest als sie sah, dass der Schnitt an seiner Hand doch tiefer zu sein schien als sie zunächst dachte.
„Ich hole den Verbandskasten, kommst du klar?“
„Ja, los geh und bring was zum Desinfizieren mit und eine Jacke. Er zittert am ganzen Körper.“
Noch immer strömten die stummen Tränen über sein Gesicht. Vorsichtig um ihn nicht zu erschrecken, hob Jenna ihre Hand. Näherte sich langsam seinem Gesicht, um ihm diese von der Wange zu wischen.
„Sie haben sie getötet“, schluchzte er trocken.
„Gabe…“
„Sie haben Denise getötet. Seit über einem Jahr gebe ich mir die Schuld an ihrem Tod, dabei war es nie meine Schuld gewesen.“
„War es nicht nein, aber du kannst nicht wissen, ob deine Familie… hör zu, ich weiß, dass das alles einen ziemlich überrumpeln und schockieren kann. Zutiefst schockieren kann, aber du musst dich jetzt beruhigen und dann…“
„Was dann? Rational denken? Meine Schwester wurde ermordet, Jenna. Es war kein einfacher Unfall, kein Überfall. Es war keine Panikreaktion, weil der Typ ihre Marke gesehen hat, nein. Es war geplant von vorne bis hinten hin. Aber jetzt bin ich dran, ich werde das nicht einfach auf sich beruhen lassen.“
„Tut mir leid, ich verstehe nicht ganz“, blinzelte sie verwirrt.
Mit einem spöttischen Lachen schüttelte Gabriel seinen Kopf. Sein kalter Atem streifte ihr Gesicht.
„Ich werde ihren Fall nicht einfach so ab acta legen. Ich werde nicht zwei, drei vielleicht vier Wochen warten, bis die Polizei erneut versagt und ihren Fall wieder zur Seite räumt und mir sagt, dass sie privat ermittelt hat und sie nichts tun können, weil es nicht offiziell war. Dass es noch ihre Schuld ist, weil sie es nicht lassen, sein konnte. Nein, diesmal nicht. Diesmal bin ich am Zug und ich fange da an, wo die sie aufgehört hat.“
Geschockt über die Worte, die Gabriel von sich gab ließ Jenna sich vorsichtig vor ihn auf den Boden sinken. Hielt jedoch weiterhin seine Hand als Gabriella schließlich mit dem ersten Hilfe Kasten zu ihnen kam. Es war keine Situation, in welche man sagte, dass die Wut, die Verzweiflung aus ihm sprach. Nein, ganz im Gegenteil. Wenn Gabriel sich etwas in den Kopf setzte und von etwas vollkommen überzeugt war, konnte man es ihm nicht einfach wieder ausreden. Das würde es noch schlimmer machen. Ihn umso mehr anspornen, wenn man ihm Gründe lieferte, warum er es sein lassen sollte. Und irgendwo musste Jenna ihm auch Recht geben. Ob sie wollte oder nicht, wusste sie, dass er recht hatte. Die Polizei würde nicht viel tun können. Inoffizielle Ermittlungen fanden auf eigene Gefahr statt. Waren größtenteils sogar verboten und nachdem was sie gesehen hatte, hatte Denise sich auf mehr als einfach nur dünnen Eis bewegt. Eine neue Identität deutete nicht mal eben auf einen kleinen Fall hin, sondern auf etwas viel Größeres. Etwas so Großes, dass es nötig war Undercover zu ermitteln. In seinen eigenen Notizen von sich in der dritten Person zu sprechen und dabei seinen Decknamen zu benutzen. Denise hatte sich in etwas reingeritten. In etwas Großes, was so gefährlich zu sein schien, dass sie es noch nicht mal ihren besten Freundinnen anvertrauen konnte. Gabriella, ihrer besten Freundin seit dem ersten Tag an der Academy und gleichzeitig ihre Partnerin als sie das erste Mal gemeinsam mit ihrer Marke das Revier betraten. Sie konnte sich keinen rechtlichen Beistand mit Jennas Hilfe holen, der sie im schlimmsten Fall vielleicht raushauen würde. Das alles konnte sie nicht tun. Sie war komplett auf sich allein gestellt gewesen und wenn Gabriel wirklich Recht hatte, musste sie dafür mit ihrem eigenen Leben bezahlen. Das Grollen des Donners über ihnen wurde immer lauter und es würde nicht mehr lange dauern bis der Regen auf sie hinab prasseln würde. Gemeinsam versuchten Jenna und Gabriella ihn auf den Weg zurück in sein Appartement zu stützen. Gabriel konnte sich kaum allein aufrecht halten, ohne bei jedem Schritt aufs Neue zu Boden zu sacken. Der provisorische Verband stillte die Blutung an seiner Hand für einen Moment. Es war nicht perfekt, aber für den Moment würde es genügen. Gerade als es anfing zu regnen und die ersten Tropfen, durch das noch immer geöffnete Dachfenster in sein Schlafzimmer tropften, stolperten die beiden mit Gabriel im Arm ins Wohnzimmer.
„Ich mache schon“, sagte Gabriella und stürmte die Treppen wieder nach oben, um das Fenster mit einem kräftigen Ruck zu schließen.
„Zeig her“, murmelte Jenna als sie vorsichtig den Verband um Gabriels Hand löste, um einen Blick auf die Wunde zu werfen.
„Die Glas-Splitter müssen entfernt werden, ich mach das schon.“
„Gabe, ich weiß nicht, ob du dich jetzt selbst verarzten solltest. Vielleicht sollten wir…“
„Ich fahre nicht ins Krankenhaus. Es gibt Menschen mit ernsthafteren Verletzungen, an denen ihr Leben hängt und nicht lausige Glas und Holzsplitter. Bringst du mir bitte die Schreibtischlampe und eine Pinzette und die Desinfektionstücher aus dem Badezimmer.“
So verwandelte Gabriel innerhalb weniger Minuten mit Jennas Hilfe seinen Couchtisch zu einem halbwegs sterilen Arbeitsplatz mit dem er arbeiten konnte. In der zwischen Zeit hatte Gabriella sich in die Küche zurückgezogen, um ihnen allen zur Beruhigung einen Tee zu kochen und eine Kleinigkeit zu Essen zu machen. Dankbar dafür, dass Gabriels Kühlschrank mittlerweile mit vernünftigen Dingen als nur Bier und übrig gebliebenes Essen vom Lieferservice gefüllt war. Neugierig und auch ein wenig schockiert über die Tatsache, dass Gabriel sich gerade selbst an seinem eigenen Tisch verarzte, sah sie ihm von seinem Ledersessel aus zu.
„Danke“, murmelte er als Gabriella ihm seinen Tee hinstellte, ohne den Blick von seiner Hand abzuwenden.
„Ich höre euch beide bis hier hindenken. Ihr wisst schon, dass ich für so etwas ausgebildet bin, ja?“, seufzte er genervt.
„Mag sein, aber normalerweise hast du das im Krankenhaus getan. An einem deutlich sterileren Ort.“
„Gaby, ist okay. Er weiß, was er tut“, unterbrach Jenna ihre Freundin sanft und zog sie dabei an ihrer Schulter ein wenig zu sich zurück. Eine Weile lang saßen die drei still da. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort was vielleicht daran lag, dass Gabriel seine ganze Konzentration auf seine Hand fokussierte und weder Jenna noch Gabriella ihn dabei stören wollten. Die Akten hatte Gabriella wieder sortiert und zusammengefaltet neben Denise Kalender auf den Tisch gelegt, damit man sich nicht bei jedem Gang in die Küche Denise toten Körper oder ihr neu entdecktes Alter Ego anschauen musste. Eine ganze Stunde hatte es beinahe gedauert, bis Gabriel guten Gewissens alle Glas- und Holzsplitter aus seiner Hand entfernen konnte und diese nach erneuter Desinfektion mit einem einfachen Druckverband verband. Das erste was er tat, nachdem er seinen Müll vom Wohnzimmer in der Küche entsorgt hatte, war sich an einer seiner gekühlten Bierflaschen im Kühlschrank zu bedienen. Den Kronkorken beim Öffnen dabei einfach auf den Boden fallen ließ, statt diesen ebenfalls im Müll zu entsorgen.
„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte Gabriella ihn streng.
„Warum nicht? Ich habe keine Tabletten genommen und wenn ich ehrlich bin, ist das hier…“
Provozierend wedelte er mit der Flasche vor sich her.
„…gerade das bessere Schmerzmittel.“
„Du hörst dich wie ein Alkoholiker an“, konterte sie sofort. Mit einem frustrierten Seufzen schloss Jenna ihre Augen und ließ den Kopf nach vorne in ihre Hände fallen. Fing dabei an sanft ihre pochenden Schläfen zu massieren in der Hoffnung, dass einer der beiden einfach Ruhe geben würde, bevor das Ganze noch zu einem riesigen Streit ausarten würde.
„Und nun?“, hackte Gabriella nach kurzem Schweigen nach. Den Blick zwischen Gabriel und Jenna hin und her schweifend. Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich hoffe, dass du diesen Fall nicht neu aufrollen lassen wirst“, antwortete Gabriel auf ihre Frage.
„Was? Warum nicht? Gary, wir…“
„Gabe. Die Tatsache, dass meine Schwester ermordet wurde, ändert nichts an meiner Entscheidung.“
Fürs erste nahm Gabriella seinen Kommentar so hin. Irgendwo hatte er auch Recht. Er hatte eine Entscheidung diesbezüglich getroffen und so schwer es ihr auch manchmal fiel musste sie es akzeptieren.
„Sein wir doch mal ehrlich. Was können deine Kollegen schon ausrichten, hm? Sie haben beim letzten Mal schon so großartige Arbeit geleistet und ich bezweifle, dass es bei diesem Mal besser wird“, zischte er über die Öffnung seiner Flasche hinweg.
„Du weißt ganz genau, dass das was anderes ist. Wir reden hier nicht mehr von einem einfachen Überfall, wir reden hier von…sie könnte…“
„Sie wurde ermordet, Gaby. Nenn es beim Wort. Denise wurde ermordet“, fuhr er im harschen Ton erneut dazwischen, nahm dabei einen weiteren großen Schluck aus der Flasche und schüttelte erneut mit einem spöttischen Lachen seinen Kopf.
„Was könnt ihr schon ausrichten? Gibt es Beweise? Vielleicht. Ist es genug? Auf keinen Fall. Was willst du ihnen sagen? Sie hat inoffiziell ermittelt. Undercover und sich offensichtlich bewusst in Gefahr gebracht. Schalt dein Detective Hirn an, Gaby!“
„Gabe, hey. Rede nicht so“, ermahnte ihn Jenna sofort. Warf ihm dabei einen mehr als wütenden Blick über seinen Umgangston gegenüber ihrer Freundin zu. Sie wusste wie schwer das Ganze für ihn war. Wie schlimm es sein müsste nach über einem Jahr endlich die Wahrheit zu erfahren was mit dem wohl wichtigsten Menschen seines Lebens passiert war, doch es war noch lange kein Grund sich Gabriella und ihr gegenüber wie ein Arsch zu verhalten.
„Sie hat sich die Fotos wohl kaum selbst zugeschickt, oder? Bedeutet also, dass jemand wusste, dass sie ermittelt. Sie wahrscheinlich Grenzen überschreitet, die sie ihre Reputation hätte kosten können und trotzdem hat sie es getan.“
„Aber warum?“, hackte nun Jenna nachdenklich nach. „Weil es um unsere Familie ging. Inoffiziell zu ermitteln, wahrscheinlich beweise zu sammeln, dass sie jemand ernst nehmen würde, wenn sie ihren Verdacht schildern würde und meine Eltern nicht rechtzeitig mit einem ihrer Anwälte reagieren könnten. Also frage ich dich jetzt, Gaby: Wie stehen die Chancen, dass dieser Fall wirklich neu aufgerollt wird, wenn dein Vorgesetzter, deine Kollegen erfahren, dass Jenna inoffiziell ermittelt und sich somit bewusst in Gefahr gebracht hat.“ Beinahe automatisch öffnete Gabriella ihren Mund. Wie sonst auch sofort zu einer Argumentation bereit mit dem Unterschied, dass ihr diesmal sämtliche Argumente fehlten.
„Dachte ich es mir doch“, murmelte Gabriel. Drei weitere Züge später war seine Flasche leer und er machte sich auf den Weg in die Küche, um eine neue zu holen. „Und das erlaubst du, ja?“, fuhr Gabriella nun leise Jenna an, die stumm ihren Kopf schüttelte. Natürlich erlaubte sie es ihm nicht. Tolerierte seinen sich in Alkohol ertränkten Frust auch nicht wirklich, doch was sollte sie schon sagen? So lange es noch bei ein, zwei vielleicht drei Bieren blieb und nicht zum Scotch oder Vodka wechselte würde sie es irgendwie ertragen und versuchen keinen weiteren Streit zu provozieren.
„Du willst wissen, was wir machen, ja?“, nahm Gabriel mit einem rauen Räuspern wieder auf dem Sofa Platz.
„Ich sage dir was wir machen. Wir machen es richtig. Du und ich. Wir. Wir haben die Chance das Richtige zu tun. Denise die Gerechtigkeit zu bescheren, welche sie bereits vor über einem Jahr verdient hätte und wenn ich es nicht so lange vor mir her geschoben hätte…“, mit einem leisen Schluchzen brach Gabriel seinen Satz ab. Atmete wie zuvor bei seiner Panikattacke tief ein und aus in der Hoffnung seine Gefühle ein wenig kontrollieren zu können, bevor er fortfuhr.
„Hätte ich nicht so lange gebraucht, dann säße ihr Mörder vielleicht schon in dem Loch, wo er hingehört. Aber jetzt wissen wir es. Ich weiß es und ich werde alles dafür tun, damit sie gerächt wird.“
Genau wie Jenna bereits auf dem Dach riss nun auch Gabriella sichtlich geschockt über Gabriels Worte ihre Augen auf und sah ihre Freundin neben sich völlig entgeistert an.
„Ist das dein Ernst? Hey, du kannst das nicht wieder tun, hörst du? Deine Selbstjustiz, dein Heldenkomplex…“
Gabriella wusste gar nicht wo sie anfangen sollte. Geschweigenden wie sie diesem starrköpfigen Idioten, der ihr gegenübersaß, davon zu überzeugen, dass seine Selbstjustiz ihn damals schon nichts weiter als Ärger eingebracht hatte.
„Ich rede nicht davon nachts auf die Straße zu gehen, sondern strategisch vorzugehen. Sich Denise Sachen gründlich anzuschauen. Ihren roten Faden wieder aufzunehmen und dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hat. Hört zu, ich verstehe, wenn ihr in euren Positionen das nicht könnt. Wenn ihr Grenzen überschreitet, aber ich muss das tun. Verstehst du es nicht, Gaby? Wir haben hier eine Chance. Die wohlmöglich einzige Chance, welche wir uns immer gewünscht haben und wenn wir diese nicht ergreifen, dann könnte ich mir das niemals verzeihen.“
Sein Blick schweifte automatisch zu Jenna herüber, die ihn bereits mit Tränen gefüllten Augen ansah und langsam ihren Kopf schüttelte.
„Und was ist mit dir? Du hast gesehen in was für eine Gefahr Denise sich gebracht hat und wenn du jetzt weitermachst…“
Sie traute sich gar nicht erst ihren Gedanken auszusprechen aus Angst, dass dieser sich noch bewahrheiten würde. Sie einen weiteren geliebten Menschen verlieren könnte und das würde sie beim besten Willen nicht ertragen. Wie oft konnte ein Mensch so etwas erleben? Wie viele Verluste kann man ertragen, bevor man selbst komplett daran zerbrechen würde. In der Hoffnung das weder Gabriel noch Gabriella ihre übergelaufenen Tränen sehen würden, wischte sich Jenna diese möglichst unauffällig von der Wange. Vergeblich, denn auch Gabriella schloss mit einem erschöpften Seufzen ihre Augen. Gabriel hingegen nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. Stellte diese auf dem Tisch vor sich ab, um sich langsam aus den Kissen auf der Couch aufzurappeln und zu ihr herüberzugehen.
„Hey“, hauchte Gabriel als er Jennas viel zu kalten Hände zwischen seine nahm. Ihr sanft ihre Tränen von der Wange wischte.
„Ich will, dass sie Gerechtigkeit bekommt, Gabe. Ich will es so sehr. Für sie, aber auch für dich, aber ich kann nicht leugnen, dass ich Angst habe.“
„Das habe ich auch, aber ich muss es tun. Du weißt genau wie ich, dass das meine einzige Chance ist.“
„Und du denkst dabei gar nicht an dich?“
Traurig senkte Gabriel seinen Blick. Sah auf ihre ineinander verschlungenen Hände herunter und ließ seinen Daumen in leichten Bewegungen über ihren Handrücken streichen.
„Ich verstehe“, erwiderte Jenna. Sein Schweigen war Antwort genug. Mehr als jedes Wort was sie hören musste, um seinen Standpunkt zu verstehen.
„Entschuldigt mich bitte“, schluchzte Jenna. Entzog Gabriel mit einem Ruck ihre Hand und hielt sich diese entschuldigend vor ihren Mund als sie nach ihrer Jacke griff und ohne ein weiteres Wort mit ihrer Handtasche verschwand. Sichtlich geschockt über ihre Entscheidung sah Gabriel panisch zu seiner Freundin herüber, welche nur ebenfalls stumm ihren Kopf schüttelte.
„Ich kann dich nicht aufhalten, weißt du. Ich kann dich aber auch nicht beschützen. Nicht offiziell zu mindestens. Wenn du erwischt wirst, kann ich dich nicht länger raushauen, ohne selbst Schwierigkeiten zu bekommen.“
„Ich weiß.“
„Wie kannst du ihr das antun, Gary? Und ja ich sage bewusst Gary, weil du ein Idiot bist. Du bist der größte Idiot, den ich kenne mit einem unglaublichen Drang zum Wahnsinn und Selbstzerstörung. Weißt du eigentlich was du ihr da zumutest? Du bist durch die Hölle gegangen, schon klar und ich verstehe auch, dass das deine Chance ist. Aber seien wir doch mal ehrlich. Du hast dir seit über einem Jahr jeden Tag aufs Neue selbst die Schuld gegeben, genau wie ich und jetzt siehst du diese Chance es richtig zu machen. Dein Gewissen zu bereinigen, aber hast du nur ein Funken Ahnung wie es uns geht? Glaubst du nicht, dass ich das will? Dass ich Gerechtigkeit will oder dass Jenna sie will? Sie hat ihre Schwester verloren bei einem Überfall und fünf Jahre später ihre Freundin. Freundin, Gary! Sie war nicht nur einfach die Frau, die den Mörder ihrer Schwester geschnappt hat. Sie war ihre Freundin und dann willst du…“
Gabriella ließ ihren Satz in der Luft hängen. Es war zwecklos, das wusste sie. Gary war stur und Gabriel anscheinend noch sturer. Wenn selbst Jenna ihn nicht zur Vernunft bringen konnte, wie konnte sie dann auch nur ansatzweise glauben, dass sie es könnte?
„Wo gehst du hin?“, fragte Gabriel ängstlich als nun auch sie aufstand und sich in ihre Jacke schälte.
„Nach Jenna schauen. Soll ich dir Denise Sachen hierlassen?“
„Ja.“
„Gut, viel Spaß damit, Sherlock.“
Gabriel fegte den letzten Rest der Glasscherben mit dem Kehrblech auf dem Dach zusammen und warf sie in den großen schwarzen Sack aus welchem bereits die ersten Holzstücke herausstachen. Hätte er einen Kamin wäre es, um einiges einfacher das Holz zu mindestens loszuwerden. Er könnte es einfach verbrennen. So musste er sich irgendwie überlegen, wie er es am besten loswerden könnte. Vielleicht sollte er einfach sein Glück versuchen und den Sack am Mittwoch mit den anderen Mülltonnen an die Straße zu stellen. Statt alles in einen Beutel zu stecken es vielleicht auf zwei aufteilen, damit die Stücke nicht so hervorstachen und er die Säcke wenigstens ein wenig zusammenbinden könnte, um den Inhalt zu verstecken. Vor allem weil an einigen Holzstücken noch immer sein Blut klebte. Nachdem das Dach nun wieder aufgeräumt und dank seines Wutausbruchs beinahe so aussah wie an seinem ersten Tag als er hier eingezogen war, zog er seine Tagesdecke aus dem Schlafzimmer aufs Dach hinauf. Faltete diese so gut es ging einige Male zusammen, dass er nicht länger das Gefühl haben würde auf einem kalten Boden zu sitzen. Kurz nachdem auch Gabriella verschwunden war, hatte es aufgehört zu regnen. Viermal hatte Gabriel bereits versucht Jenna zu erreichen und jedes Mal hatte sie seine Anrufe aufs Neue blockiert. Er hoffte inständig, dass Gabriella sie gefunden hatte. Sie einfach nach Hause gefahren war, um einen klaren Kopf zu bekommen und Gabriella mit ihrem Wagen vielleicht vor Jenna an ihrem Appartement angekommen war.
Es gab viele Momente seit Denise Tod in denen er verzweifelt war. Überfordert und völlig überrumpelt von seinen Gefühlen. Allerdings konnte er sich an keinen einzigen Moment erinnern, in dem er so verzweifelt war. Verzweifelt und wohlmöglich wieder komplett auf sich allein gestellt. Er hatte Jenna vergrault und auch Gabriella, derer Loyalität stets Jenna gehörte. Wenn er Pater Millstone davon erzählen würde, würde auch er ihn wahrscheinlich als waghalsigen Idioten hinstellen. Sein Bestes geben ihn umzustimmen und so wie Gabriel war, würde er letzten Endes auch ihn von sich stoßen und allein dastehen.
Nachdenklich betrachtete Gabriel den Sekundenzeiger seines Weckers auf dem Nachttisch. Zählte dabei jede einzelne verstrichene Sekunde in der Hoffnung, dass es ihn irgendwann langsam in den Schlaf wiegen würde. Und tatsächlich um 01:15 Uhr schienen seine Augen endlich so schwach zu sein, dass sie jeden Moment problemlos zufallen könnten und sich morgen hoffentlich nicht vor neun Uhr öffneten. Plötzlich hörte er das Schloss seiner Haustür knacken. Erst das Hauptschloss und dann der deutlich dumpfere Ton, der von dem Öffnen seiner zwei Sicherheitsschlösser kam. Das Knarren der Tür, wessen Scharniere er schon vor Wochen einölen wollte, um dieses lästige Geräusch loszuwerden, es jedoch immer wieder aufs Neue vor sich hergeschoben hatte. Er hörte wie ein Paar Schuhe auf den Boden polterten und die darauffolgenden schlürfenden Schritte, die sich ihm langsam näherten. Und irgendwann spürte er wie sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen. Gabriel rührte sich nicht. Kein Stück. Er roch Jennas Parfum. Spürte ihre kalten Hände durch den Stoff seines Sweatshirts, machte jedoch keine Anstalten ihr zu vermitteln, dass er noch wach war. Stattdessen konzentrierte er sich darauf seine Atmung möglichst gleich zu halten. Sich nicht von seinen Gefühlen übermahnen zu lassen. Sie hatte vorhin ihr gutes Recht gehabt einfach zu verschwinden. Dafür konnte er ihr nicht böse sein, denn letzten Endes hatte er ihr das Gefühl gegeben sich gegen sie entschieden zu haben. Bei dem Gedanken schossen ihm erneut die Tränen in die Augen und Gabriel wusste, dass er diese nicht mehr länger zurückhalten könnte. Vorsichtig hob er seine Hand, die neben ihm auf der Bettdecke lag und platzierte diese auf Jennas. Ein leises Schluchzen entrang seiner Kehle als er sich langsam traute sich in ihrer Umarmung umzudrehen und ihren wohlmöglich mehr als enttäuschten Blick zu begegnen. Als es jedoch so weit war, sich ihre Blicke endlich trafen sah er, dass es ihr nicht anders ging. Stumm rollten ihr die ersten Tränen über die Wange, während sie ihre Hand sanft an seine schmiegte und über seinen Bart strich.
„Es tut mir so leid“, raunte Gabriel.
„Mir auch.“
„Nein, du hast nichts falsch getan, ich war…“
„Ich verstehe es“, schnitt sie ihm das Wort ab. Gabriel leckte sich über die Lippen. Schmeckte das Salz seiner Tränen, welche auf seinen aufgebissenen Lippen brannten.
„Du und ich, wir sind ein Team und auch wenn du manchmal ein starrköpfiger Idiot sein kannst, kannst du immer auf mich zählen. Es wäre nicht fair dir vorzuwerfen, dass du kein Recht hast Gerechtigkeit für deine Schwester zu verlangen. Ich denke für einen Moment habe ich das Vergessen, aber ich habe Angst um dich.“
Er quittierte ihre Worte mit einem stummen Nicken. Verstärkte dabei automatisch seinen Griff um ihre Hand auf seiner Brust.
„Wenn wir das tun, dann tun wir es richtig. Ich weiß, dass du der Polizei nicht traust, nachdem sie ihren Fall nach einem Monat einfach abgestempelt haben, aber Gabriella ist nicht wie ihre Kollegen. Und wenn sie diesmal diejenige sein will, die Denise Fall bearbeitet, dann darf sie es nicht melden. Wir haben lange darüber geredet und Gaby will es dieses Mal richtig machen. Sie will diejenige sein, die den Mörder ihrer Partnerin verhaftet. Sie will Gerechtigkeit, das wollen wir alle. Aber damit das funktioniert musst du mir versprechen, dass wir gemeinsam dran arbeiten. Teamwork, Gabriel okay?“
„Ihr seid dabei, ihr lässt mich nicht allein?“, fragte er erstaunt.
„Ein Team“, wiederholte Jenna ihre Worte und hielt Gabriel ihren kleinen Finger für ein Versprechen hin.
„Ein Team“, willigte er ein und verwob seinen kleinen Finger mit ihren, bevor er sie mit einem Ruck an sich zog und sein Gesicht mit einem erleichternden Seufzen in ihrem Haar versteckte.