Dare You to Love Me - Penelope Ward - E-Book

Dare You to Love Me E-Book

Penelope Ward

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Beschreibung

Sie weiß, dass er der Falsche für sie ist. Und doch kann sie ihm nicht widerstehen ...

Aspyn Dumont hat keine Zeit für die Liebe. Denn neben ihrem Job in einem Altersheim, bei dem sie Tagesausflüge für Senioren plant, hat sie nach einem tragischen Schicksalsschlag auch das alleinige Sorgerecht für ihre Nichte übernommen. Doch dann taucht eines Tages ausgerechnet ihr Erzfeind aus der High-School Troy Serrano im Altersheim auf, um seinen Großvater zu besuchen. Und als wäre das nicht schon genug, soll Aspyn von nun an auch noch die Ausflüge der beiden betreuen! Widerwillig stimmt sie zu und merkt dabei schnell, dass Troy sich verändert hat. Er ist nicht länger der oberflächliche Junge von damals, sondern ein verantwortungsbewusster und noch dazu verboten gutaussehender Mann. Und auch Troy lernt neue Seiten an Aspyn kennen, die tiefe Gefühle in ihm auslösen, so dass er alles daranlegt, sie von sich zu überzeugen ...

"Eine gefühlvolle und verboten heiße Romance, die ein bisschen tabu, aber vor allem unfassbar sexy ist!" HARLEQINJUNKIE

Der neue Roman von Bestseller-Autorin Penelope Ward



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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

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19

Epilog

Danksagung

Leseprobe

Die Autorin

Die Romane von Penelope Ward bei LYX

Impressum

PENELOPE WARD

Dare You to Love Me

Roman

Ins Deutsche übertragen von Richard Betzenbichler

Zu diesem Buch

Aspyn Dumont hat keine Zeit für die Liebe. Denn neben ihrem Job in einem Altersheim, bei dem sie Tagesausflüge für Senioren plant, hat sie nach einem tragischen Schicksalsschlag auch das alleinige Sorgerecht für ihre Nichte übernommen. Doch dann taucht eines Tages ausgerechnet ihr Erzfeind aus der High-School Troy Serrano im Altersheim auf, um seinen Großvater zu besuchen. Und als wäre das nicht schon genug, soll Aspyn von nun an auch noch die Ausflüge der beiden betreuen! Widerwillig stimmt sie zu und merkt dabei schnell, dass Troy sich verändert hat. Er ist nicht länger der oberflächliche Junge von damals, sondern ein verantwortungsbewusster und noch dazu verboten gutaussehender Mann. Und auch Troy lernt neue Seiten an Aspyn kennen, die tiefe Gefühle in ihm auslösen, so dass er alles daranlegt, sie von sich zu überzeugen …

1

Aspyn

»Was gibt’s?«, fragte ich meine Vorgesetzte Laura Rowlings, die mich in ihr Büro gerufen hatte.

»Du erinnerst dich doch, dass Louis Serrano letztes Wochenende verschwunden war, oder?«

Ich arbeitete im Horizons, einem Seniorenheim, und war dort zuständig für die Koordinierung der unterschiedlichen Aktivitäten. Mr Serrano war einer der Bewohner. Sein erwachsener Enkel hatte vergangene Woche gegen die hier geltenden Regeln verstoßen und eine Verwarnung bekommen.

»Ja. Ich habe an dem Tag nicht gearbeitet, aber ich habe gehört, dass es ein ziemlicher Zirkus war. Sein Enkel hat ihn abgeholt, oder?«

»Genau.« Laura nickte. »Er hat ihn auf eine Spritztour mitgenommen, und das ohne Absprache mit der Heimleitung. Wir dachten, Louie wäre irgendwohin spaziert. Dann brachte ihn der Enkel zurück, als wäre nichts gewesen. Er kannte unsere Vorschriften und hat nicht einmal so getan, als wäre ihm das neu. Und dies war schon das zweite Mal, dass er so ein Ding abgezogen hat.«

Ich persönlich verstand zwar nicht, warum es eine so große Sache sein sollte, wenn jemand mit seinem Verwandten einen kleinen Ausflug unternahm, aber es gab nun mal die strikte Anweisung, so etwas vorher abzuklären. Natürlich hätte Mr Serranos Enkel sich die Erlaubnis holen müssen, aber die Leitung tat so, als hätte er dem alten Mann zu einem Gefängnisausbruch verholfen. Die meisten Bewohner hatten gar keine Verwandten mehr, die zu Besuch hätten kommen können. Deshalb erschien es mir seltsam, jemanden zu verteufeln, nur weil er sich um einen Menschen kümmerte, der ihm am Herzen lag. Ehrlich gesagt, fand ich das Ganze eher liebenswert.

»Hast du mich deswegen hergerufen?«, fragte ich.

Laura seufzte. »Ja. Dieser Enkel ist offenbar von Seattle wieder hierher nach Meadowbrook gezogen, um sich um seinen Großvater zu kümmern, solange sein Vater verreist ist. Der Vater – Mr Serranos Sohn – ist ein paar Monate lang in Europa unterwegs. Dieser Typ ist der festen Überzeugung, sein Großvater müsse regelmäßig hier rauskommen. Nancy hat ihm jetzt zugestanden, dass er ihn zweimal pro Woche zu festgelegten Zeiten ohne vorherige Genehmigung abholen darf – unter der Voraussetzung, dass er ihn zu bestimmten Zeiten wieder zurückbringt.«

»Dabei hat sie so über ihn geschimpft …« Ich schüttelte den Kopf. »Es wundert mich echt, dass Nancy ihm dieses Zugeständnis gemacht hat.«

»Tja, sie war wütend, bis er am nächsten Tag hier aufgetaucht ist und sich in aller Form entschuldigt hat. Der Typ sieht nicht schlecht aus. Eingebildet, aber charmant. Ich habe ihn gesehen, als er zu ihr ging. Ich glaube, Nancy hat sich ein wenig in ihn verguckt.«

Ich verdrehte die Augen. »Okay.«

»Aber weil man ihm wegen seiner früheren Regelverstöße nicht hundertprozentig vertrauen kann, wollte Nancy diese regelmäßigen Ausflüge nur erlauben, wenn eine Heimbetreuerin dafür sorgen kann, dass Mr Serrano sicher und pünktlich wieder zurückgebracht wird.«

Schlagartig wurde mir klar, worauf das hinauslaufen würde. »Lass mich raten … Ich bin diejenige, die den Babysitter für diesen Armleuchter von Enkel spielen soll?«

»Ich kann niemanden sonst damit beauftragen. Du bist die einzige Angestellte, die ich für eine derartige Aktion entbehren kann. Fahr einfach mit und halte dich im Hintergrund.«

»Wann geht es los?«

»Heute um vierzehn Uhr.«

Wie bitte? Ich schaute auf die Uhr an meinem Handy. »Keine lange Vorwarnzeit. Das ist in zehn Minuten.«

»Ich weiß, und es tut mir leid. Nancy hat vergessen, mir Bescheid zu geben. Ich weiß es selbst erst seit Kurzem. Den Singkreis, den du um drei Uhr im Speisesaal abhalten solltest, habe ich bereits abgesagt.«

Ich blickte an mir hinunter. Auch wenn ich nicht zum Pflegepersonal gehörte, wollte die Heimleitung, dass ich in der gleichen Kluft zur Arbeit kam wie die Pflegerinnen. Diese Schwesterntracht war für jemanden, der die Aktivitäten koordinierte, nicht unbedingt erforderlich, aber mir gefiel, dass ich mir nicht jeden Tag überlegen musste, was ich zur Arbeit anziehen sollte – vergleichbar mit den Schuluniformen von früher, nur viel bequemer. Das bedeutete allerdings auch, dass ich mich heute in meiner Schwesterntracht, die mit der Disney-Figur Goofy bedruckt war, in der Stadt herumtreiben musste.

Mein einziger Trost war, dass Mr Serrano einer meiner Lieblinge war. Er war unglaublich freundlich, dazu aber auch schlagfertig und witzig. Es machte mir nichts aus, etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

Ich rannte zur Toilette und kämmte mein glattes hellbraunes Haar. Seit zwei Jahren war ich schon nicht mehr beim Friseur gewesen, deshalb reichten sie mir mittlerweile fast bis zum Hintern.

Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, ging ich den Flur hinunter. Ich hatte keine Ahnung, wo es hingehen würde, und war ein wenig nervös und ziemlich gespannt auf den Enkel, der angeblich unsere sonst so unbeugsame Heimleiterin bezirzt hatte.

Als ich Punkt vierzehn Uhr Mr Serranos Zimmer betrat, war ich überrascht, ihn allein vorzufinden.

»Hallo, Mr Serrano.«

Er saß abfahrtbereit in seinem Rollstuhl. »Ich habe gehört, Sie begleiten uns heute als Anstandswauwau, Aspyn.«

Ich lachte. »Also in erster Linie soll ich wohl auf Ihren Enkel aufpassen.«

»Er ist ein guter Junge. Na ja, ein Junge ist er nicht mehr. Er ist neunundzwanzig und Geschäftsmann. Er verdient mehr Geld, als ich je in meinem Leben verdient habe. Aber ich sehe ihn immer noch als kleinen Jungen. Ein braver Junge. Und wenn Sie den Eindruck haben, ich möchte ihn Ihnen schmackhaft machen, dann haben Sie recht.« Er zwinkerte mir zu.

»Jedenfalls …«, fuhr Mr Serrano fort, als ich nichts erwiderte. »Als er mich hier heimlich herausholte, hatte er nichts Böses im Sinn.«

»Das weiß ich, aber unsere Aufgabe ist es, auf Ihre Sicherheit zu achten, und dazu müssen wir immer wissen, wo Sie sich aufhalten.« Ich zog die Rollläden hoch, um mehr Sonne ins Zimmer zu lassen. »Und offenbar ist das mehr als einmal passiert, oder?«

»Stimmt. Das erste Mal wollte ich die Mets sehen. Im Heim gibt es nur billiges Kabelfernsehen, deshalb konnte ich das Spiel hier nicht empfangen. Beim zweiten Mal hatte ich große Lust auf ein Eis von McDonald’s. Wenn er mir welches mitbringt, ist es fast geschmolzen, bis er hier ist.«

Ich musste lächeln. »Na ja, die Leitung wollte nicht aller guten Dinge drei sein lassen. Deswegen haben Sie nun mich am Hals.«

»Da könnte es mich schlimmer treffen.« Er grinste mich an.

Was für ein Schwerenöter!

Dann ließ mich eine tiefe Stimme aufschrecken. »Goofy begleitet uns?«

Ich drehte mich um und fand mich einem großen, gut aussehenden Mann mit umwerfenden braunen Haaren gegenüber, der mich prüfend ansah. Jetzt hätte ich gern etwas anderes angehabt als die Goofy-Tracht.

»Aspyn, das ist mein Enkel Troy.«

Troy.

Ich kniff die Augen zusammen. Diese Augen. Sie kamen mir bekannt vor.

Nein.

Er ist es.

Das ist ein Albtraum.

Troy Serrano.

Herr im Himmel!

Troy.

Serrano.

Aus irgendwelchen Gründen hatte ich Mr Serranos Nachnamen nie mit diesem Kerl von der Highschool in Verbindung gebracht. Es war elf Jahre her, weshalb ich ihn nicht gleich erkannt hatte. Troy Serrano war nicht nur einer der beliebtesten Jungs an der Meadowbrook High gewesen, er war auch der Ex-Freund meiner besten Freundin in der Abschlussklasse. Er hatte sie betrogen, und sagen wir mal … Ich wurde fuchsteufelswild und habe ihm meine Meinung gegeigt. Danach waren wir Feinde.

Das war nicht gut.

Er musterte mich von oben bis unten. »Aspyn Dumont. Fast hätte ich dich nicht erkannt.«

Mr Serrano schaute zwischen uns beiden hin und her. »Du kennst die entzückende Aspyn?«

Troy runzelte die Stirn. »Entzückend? So habe ich sie nicht in Erinnerung.«

Mr Serrano lächelte, anscheinend amüsiert. »Wie habt ihr euch kennengelernt?«

Ich räusperte mich. »Wir waren zusammen auf der Highschool.«

»Das gibt’s ja nicht!« Mr Serrano schlug mit der Hand auf die Armlehne seines Rollstuhls.

Leider doch. Wie sehr ich mir wünschte, das gäbe es tatsächlich nicht.

Troy grinste süffisant. »Ja, wir kennen uns schon ziemlich lange. Aber wir haben uns nicht gerade gut verstanden.« Er schaute mir in die Augen. »Das stimmt doch, Aspyn, oder?«

Ohne das volle Ausmaß meines Fehlverhaltens zu kennen, versuchte sein armer Großvater, mich zu verteidigen. »Wie kann das sein? Aspyn ist ein wahrer Schatz.«

»Ein Schatz, der mein Auto mit einem Schlüssel zerkratzt und Abführmittel in die Donuts meiner Mannschaft gespritzt hat«, antwortete Troy höhnisch.

»Nicht in die Donuts der ganzen Mannschaft«, stellte ich klar. »Nur in die Boston Cream Donuts, weil wir wussten, dass du dir den nehmen würdest.«

Er funkelte mich wütend an. »Ach so? Na dann entschuldige. Du hast also versucht, nur mich umzubringen.«

Ich schämte mich zu Tode. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich räusperte mich. »Das war wirklich sehr kindisch von mir, und ich bin keineswegs stolz darauf. Aber damals hatte ich das Gefühl, du hättest es verdient für das, was du meiner Freundin angetan hast.« Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. »Aber das ist jetzt mehr als zehn Jahre her, und es ist sinnlos, auf etwas herumzureiten, das so lange zurückliegt. Damals waren wir ja praktisch noch Kinder.«

»Was hat er denn getan, dass er so etwas verdient hatte?«, fragte Mr Serrano.

»Ich habe meine Highschool-Freundin betrogen«, antwortete Troy.

»Also dann hat sie recht. Du hast es verdient.«

Ich liebe Sie, Mr Serrano. Ich hatte einen Knoten im Magen. »Wie gesagt, das ist lange her. Ich würde die Heimleitung ja bitten, Ihnen für die Ausflüge jemand anderen zuzuteilen, aber aufgrund der Personalsituation haben wir leider keine Alternative.«

»Fahren wir mit zwei Autos?«, wollte Troy wissen.

»Nein, ich soll bei euch mitfahren.«

»Traust du mir nicht?«

Ich hob beide Augenbrauen. »Wundert dich das?«

»Du hast keine Schlüssel dabei, oder? Sonst lasse ich dich nicht in die Nähe meines Wagens.«

Ich verdrehte die Augen. »Okay, das habe ich verdient. Und meine Schlüssel lasse ich hier.«

»Dann darfst du mitkommen.« Er grinste mich an.

Troy rollte Mr Serrano aus dem Zimmer. Ich folgte ihnen zu den sicherlich längsten zwei Stunden meines Lebens.

Ich konzentrierte mich auf Troys breite Schultern. Er hatte immer gut ausgesehen und einen unglaublichen Körper gehabt – trotz seines hässlichen Charakters. Aber jetzt war der Junge, an den ich mich erinnerte, noch attraktiver und dazu ein erwachsener Mann. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie viel Schaden er in den letzten zehn Jahren bei armen, arglosen Frauen angerichtet hatte.

Als wir über den Parkplatz gingen, strahlte die Augustsonne vom wolkenlosen Himmel und blendete mich. Troy fuhr einen schwarzen Land Rover. Er verdiente also nicht schlecht, was mich kaum überraschte. Arrogante Männer mit überhöhtem Selbstvertrauen wie er waren in aller Regel immer erfolgreich – wahrscheinlich, weil sie auf dem Weg nach oben über Leichen gingen.

Ich half Mr Serrano auf den Beifahrersitz, dann klappte Troy den Rollstuhl zusammen und verstaute ihn im Kofferraum. Ich setzte mich auf die Rückbank, Troy hinters Lenkrad.

Im Auto stank es nach seinem Rasierwasser. Es war überwältigend, so wie er selbst. Er betrachtete mich kurz aus seinen grünblauen Augen im Rückspiegel. Ich senkte sofort den Blick.

Troy wandte sich an seinen Großvater. »Wo willst du hin, Nonno?«

Nonno? Großvater auf Italienisch.

»McDonald’s.«

»Ich kann dich buchstäblich überall hinbringen, und du willst immer zu McDonald’s. Wie wär’s mit ein bisschen Abwechslung?«

»Mir schmeckt deren Eiscreme. Was kann ich dafür? Außerdem sind deine Großmutter und ich immer sonntags nach der Kirche dorthin gegangen. Es erinnert mich an sie.«

Was ließ sich dagegen einwenden?

Troy seufzte. »Na schön, alter Mann. Ganz wie du willst.« Er bog auf die Straße in Richtung McDonald’s ein.

Ein leicht unangenehmes Schweigen folgte, bis Troy die Musik einschaltete: Frank Sinatras »Come fly with me«.

»Zumindest hast du einen guten Musikgeschmack«, sagte ich.

»Sinatra ist cool.« Er deutete mit dem Daumen auf seinen Großvater. »Das spiele ich für ihn.«

Lächelnd beugte ich mich vor. »Sie mögen Sinatra, Mr Serrano?«

»Was sonst? Er war der Beste. Keiner ist besser als Old Blue Eyes.«

»Ganz meiner Meinung. So jemanden wie ihn gibt es heutzutage nicht mehr.«

Als wir zum Drive-in abbogen, rief Mr Serrano zu mir nach hinten: »Möchten Sie was Kaltes, Aspyn?«

Was Kaltes? Ich musste kurz überlegen. Wahrscheinlich meinte er eine Eiswaffel. »Nein, danke.«

»Sie ist schon eisig genug«, witzelte Troy und warf mir im Rückspiegel ein schelmisches Grinsen zu.

Dieses Lächeln sollte der Teufel holen. Ich mochte ihn für noch so bösartig halten, aber er sah einfach unverschämt gut aus – jetzt sogar noch besser als in der Highschool.

Troy bestellte für seinen Großvater Eiscreme und für sich eine große Portion Pommes. Natürlich konnte er essen, was er wollte, und sah trotzdem gut aus.

»Willst du wirklich nichts?«, fragte Troy. »Das geht auf mich.«

Seit etwa fünfzehn Minuten hatte ich entsetzliche Kopfschmerzen. Ein wenig Koffein wäre nicht schlecht. Also beschloss ich, sein Angebot anzunehmen.

»Ich hätte gern einen schwarzen Kaffee. Aber zahlen kann ich selbst.«

Er runzelte die Stirn. »Keine Milch, keinen Zucker?«

»Nein.«

»War ja klar.«

Ich kniff die Augen zusammen, während er meinen Kaffee bestellte.

Als er weiterfuhr, fragte ich: »Was soll das heißen … War ja klar?«

»Du scheinst mir der Typ für schwarzen Kaffee zu sein.«

Als er am Kassenfenster wieder anhielt, fragte ich weiter. »Inwiefern?«

»Du weißt schon … schlicht, bitter. Aber seit der Highschool ist viel Zeit vergangen, und vielleicht hast du dich ja verändert. Wenn du mich eines Besseren belehren willst, bin ich dafür offen.«

»Du weißt einen Scheiß über mich – damals wie jetzt.« Meine Wangen wurden ganz heiß vor Wut. »Du fällst dein Urteil aufgrund von Dingen, die ich getan habe, um meine Freundin zu verteidigen – gegen deine Handlungen.« Ich hielt ihm drei Dollar unter die Nase, die er allerdings nicht nahm.

Er legte kurz die Hand auf meine und schob sie zurück. »Steck dein Geld weg. Du bist meinetwegen hier. Dafür solltest du wenigstens nicht auch noch bezahlen müssen.«

Ich verschränkte die Arme und lehnte mich schnaubend zurück, während Troy der Kassiererin das Geld gab.

Er fuhr weiter zum Ausgabefenster, und wenig später reichte er seinem Großvater eine Softeiswaffel. Seine Fritten legte er sich auf den Schoß, dann nahm er meinen Kaffee entgegen.

Troy drehte sich um und hielt ihn mir hin. »Bist du ernsthaft noch sauer wegen etwas, das ich auf der Highschool gemacht habe?«, fragte er. »Wir gehen auf die dreißig zu, und es gibt wirklich größere Probleme auf der Welt.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Du führst dich mir gegenüber unmöglich auf und nennst mich schlicht und bitter. Das klingt für mich, als wärest du über das Ganze noch nicht hinweg.«

»Na ja, vielleicht fühlte ich mich in die Defensive gedrängt, weil du aussiehst, als würdest du mich am liebsten umbringen seit dem Moment, in dem du mich erkannt hast.«

»Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, dass das so offensichtlich war.«

Er ließ kurz seine strahlend weißen Zähne sehen. »Dann willst du mich also umbringen …?«

»Nein. So habe ich das nicht gemeint. Es ist nur …« Ich seufzte und ließ den Satz unvollendet.

Troy fuhr in eine Lücke am Straßenrand und stellte die Gangschaltung auf Parken. Dann steckte er sich eine Pommes in den Mund, drehte sich zu mir um und hielt mir die Hand hin.

»Wie wäre es mit einem Waffenstillstand? Das wäre doch sinnvoll, da wir künftig vier Stunden pro Woche zusammen verbringen werden.«

Herr im Himmel! Das klang nach viel Zeit, die ich mit ihm auskommen musste. Aber ich konnte mich wenigstens freundlich geben, um des netten Mr Serranos willen. Ich würde es für ihn tun.

Schließlich nahm ich Troys Hand und schüttelte sie. »Einverstanden.«

Mein verräterischer Körper genoss die Berührung seiner warmen Haut, sodass ich schwer enttäuscht von mir war. Es bewies, wie instinktgesteuert körperliche Anziehungskraft sein konnte. Troy Serranos Sex-Appeal hatte ich nie angezweifelt. Damals nicht und jetzt nicht. Seine inneren Werte hingegen waren äußerst fragwürdig.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in Troy ein wenig verknallt war, bevor Jasmine mit ihm zusammengekommen war. Er war der Inbegriff des beliebten Footballspielers. Und ich war genau der Typ Mädchen, der für Jungs wie ihn unsichtbar war. Ich konzentrierte mich voll auf meine Bücher, nicht auf die Hintern von Sportskanonen. Ich trug nie Make-up und lief auch nicht in knappen Röcken herum wie Jasmine und viele der anderen Mädchen. Aber ich hatte immer noch Augen im Kopf und bin auch nur ein Mensch. Als Jasmine mir vorschwärmte, wie es war, mit ihm zusammen zu sein, stellte ich mir vor, wie sich das anfühlen mochte. Dann hatte er sie betrogen und wurde mein persönlicher Feind Nummer eins.

Nach einigen Minuten ließ Troy den Wagen wieder an und fuhr zu Frank Sinatras Song die Straße hinunter. Die sanfte Musik stand in starkem Kontrast zu meinen aufgewühlten Nerven. Der nächste Song war Under my Skin, was ich schrecklich ironisch fand angesichts der Tatsache, dass mir Troy heute tatsächlich unter die Haut gegangen war.

Im Außenspiegel konnte ich Mr Serranos Gesicht sehen. Er wirkte vollkommen zufrieden mit dem Eis und seiner Lieblingsmusik als Begleitung. Wäre das Leben doch nur für uns alle so einfach!

»Wo fahren wir jetzt hin?«, fragte ich.

»Zum Einkaufszentrum«, antwortete Troy.

»Was ist da?«

»Geschäfte«, erwiderte er trocken.

»Das weiß ich«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Gehen wir zu einem bestimmten Laden?«

»Nonno sieht sich gern um.« Er schaute mich im Rückspiegel an. »Warum machst du so ein Gesicht? Da gibt es einen Disney-Shop. Wenn du willst, bring ich dich da hin, Goofy.«

»Und dein Waffenstillstand hat jetzt wie lange gehalten? Ganze drei Minuten.« Ich blies auf meinen Kaffee.

»Der gilt noch. Ich nehme dich doch bloß auf den Arm. Nun komm schon … Immerhin trägst du so eine bescheuerte Goofy-Schwesternuniform. Das schreit doch nach ein bisschen Spott.«

Ich verdrehte die Augen, obwohl er recht hatte.

Nachdem wir die Meadowbrook Mall erreicht hatten, parkte Troy und holte anschließend Mr Serranos Rollstuhl aus dem Kofferraum. Als Mr Serrano darin saß, machten wir uns gemeinsam auf den Weg vom Parkplatz zum Haupteingang, hinter dem sich direkt der Imbissbereich anschloss. Dort angekommen wollte Mr Serrano Quarkbällchen, also gingen wir zu Auntie Anne’s und stellten uns in die Schlange.

Mein Blick landete auf Troys teuer aussehender Armbanduhr und wanderte dann weiter über seinen muskulösen Unterarm und die hervortretenden Venen. Ein Hauch seines Dufts überlagerte kurz den Zimtgeruch aus dem Backshop.

»Willst du auch was?«, fragte Troy.

»Hmm?«

Will ich? Was?

Ach, die Quarkbällchen, genau.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich esse keinen Zucker.«

Er riss die Augen auf. »Überhaupt keinen Zucker? Was bleibt dann noch, wofür es sich zu leben lohnt?«

»Sechzehn Uhr«, antwortete ich.

Er grinste. »Okay, ich hab’s kapiert. Sechzehn Uhr. Der Zeitpunkt, nach dem du mich nicht mehr mit deiner Anwesenheit beehren musst.«

»Genau.«

Einige Sekunden verstrichen. »Wie bist du eigentlich bei Horizons gelandet?«

Die ehrliche Antwort würde er von mir nicht zu hören bekommen. Diese Stelle war alles andere als mein Wunschtraum. Aber nach mehreren Jahren vergeblichen Suchens, welchen Berufsweg ich einschlagen sollte, war ich froh darum. Die Arbeit bei Horizons hatte ich nach vielen verpassten Gelegenheiten angenommen.

»Das war mehr oder weniger Zufall«, sagte ich.

»Was sind deine Aufgaben – abgesehen davon, Männer, die du nicht magst, bei Ausflügen ins Einkaufszentrum zu babysitten?«

»Ich koordiniere alle möglichen Aktivitäten.«

»Und welche sind das?«

»Ich organisiere Ausflüge, kümmere mich um die Transportmittel und führe hausinterne Veranstaltungen durch. Unter anderem.«

»Klingt gut.«

»Inzwischen gefällt es mir.« Ich zuckte mit den Schultern. »Na egal … du scheinst auch ganz gut dazustehen. Was machst du beruflich?«

»Ich bin Finanzberater – ich erstelle individuelle Finanzierungspläne, untersuche Marktnischen, wickle Geschäfte ab, erarbeite Steuerstrategien. Meine Firma hat ihren Sitz in Seattle, wo ich auch wohne, aber im Grunde kann ich von überall arbeiten. Deshalb kann ich auch eine Weile hierbleiben. Der Betrieb stellt seit einigen Jahren ohnehin alles nach und nach auf Homeoffice um.«

»Wann bist du nach Meadowbrook zurückgekommen?«

»Erst vor einem Monat. Allerdings habe ich mir das nicht freiwillig ausgesucht. Jemand musste sich um Großvater kümmern. Mein Dad war bei der Feuerwehr und ist kürzlich frühzeitig in Rente gegangen. Er wollte mit seiner Freundin nach Europa reisen, hatte aber wegen Nonno ein schlechtes Gewissen und hätte unterwegs keine Ruhe gehabt. Deshalb habe ich ihm versprochen, für eine Weile hierherzuziehen und die Stellung zu halten, damit er sich keine Sorgen zu machen braucht.«

»Also, das finde ich … löblich.«

Er grinste süffisant. »Das auszusprechen hat dich jetzt einige Mühe gekostet, oder?«

»Ein bisschen. Wie hast du das erraten?«

»Du hast ein Gesicht gemacht, als hättest du Verstopfungen. Deine Verachtung für mich legt nicht einmal dann eine Pause ein, wenn du mir ein Kompliment machst.«

»Tut mir leid, wenn ich meine Gefühle für dich nicht besser verbergen kann. Wenn jemand meine Freundinnen verletzt, dann verletzt er auch mich.«

»Gut, aber du hast es mir doch heimgezahlt, oder etwa nicht? Der ganze Mist, den du abgezogen hast? Die Kratzer in meinem Auto?«

»Einen Menschen verletzen und ein Auto verletzen – das kann man nicht miteinander vergleichen.«

»Vergiss nicht die Donuts. Das wäre Körperverletzung gewesen, wenn ich mich zu Tode geschissen hätte.«

Ich musste mir das Lachen verkneifen. »Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Schau, ich habe ja bereits zugegeben, dass ich nicht stolz bin auf das, was ich damals getan habe. Das war extrem unreif. Wir haben uns auf einen Waffenstillstand verständigt, das bedeutet aber nicht, dass ich schlagartig all das böse Blut aus der Vergangenheit vergessen kann. Das braucht seine Zeit – jedenfalls länger als die halbe Stunde, die wir jetzt zusammen verbracht haben. Du hast recht, das alles ist eine Ewigkeit her, aber mir kommt es irgendwie vor, als wäre es erst gestern gewesen.«

»Das liegt daran, dass du in einer Zeitschleife gefangen bist.«

Ich verschränkte die Arme. »Was soll das heißen?«

»Ich wette, du bist nie aus Meadowbrook fortgegangen, stimmt’s?«

»Wie kommst du auf so etwas?«

»Schlicht und einfach geraten.«

»Und was hätte das eine mit dem anderen zu tun?«

»Dieses Kaff hat sich nicht im Geringsten verändert. Schau dir das Einkaufszentrum an – alles wie früher. Du hättest längst woanders hinziehen und dir die Welt da draußen ansehen sollen. Du wärst vielleicht nicht so empfindlich wegen irgendwelchem Blödsinn aus der Highschool-Zeit, wenn du eine Weile außerhalb dieser Blase gelebt hättest.«

Ich spürte, wie ich innerlich zu kochen begann, und schaltete automatisch auf Verteidigung um. »An Meadowbrook gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Außerdem kann sich nicht jeder den Luxus erlauben, so ohne Weiteres seine Sachen zu packen und fortzuziehen.«

Natürlich hätte auch ich gern mehr von der Welt gesehen, aber dieser eingebildete Fatzke hatte keine Ahnung von meinem Leben oder von den Gründen für meine Entscheidungen.

Er schaute mir in die Augen und schien zwischen den Zeilen gelesen zu haben.

»Wieso konntest du nicht aus Meadowbrook fort?«

»Ich hatte meine Gründe. In einer Schlange vor Auntie Anne’s gehe ich nicht darauf ein.«

»Warum nicht?«

»Das ist nicht der richtige Ort dafür.«

»Sagt wer? Auntie Anne?«

»Halt den Mund!«, erwiderte ich lachend.

»Pass auf, was du sagst, Goofy.« Er zwinkerte mir zu. »Sonst hört dich am Ende noch Mickey.«

Mr Serrano schaltete sich ein. »Könnt ihr zwei nicht endlich damit aufhören?«

Gleichzeitig wandten wir uns ihm zu.

Zum Glück waren wir jetzt an der Reihe, und ich musste nicht länger mit Troy reden. Mr Serrano war selig, als er die Tüte mit den Quarkbällchen mit Zimt und Zucker in Händen hielt. Obwohl ich auf Zucker verzichtete, mochte ich noch immer das süße Aroma von frisch Gebackenem. Mein Magen knurrte – ein wenig zu laut.

Natürlich entging das Troy nicht.

»Dein Magen winselt um Gnade, Dumont«, sagte er.

»Von wegen. Er beschwert sich, dass er Zeit mit dir verbringen muss.«

»Gut gekontert«, erwiderte er kauend.

Wir warteten neben dem Verkaufsstand, während Mr Serrano seinen Snack genoss.

Dann beendete Troy meine Auszeit. »Wie geht es eigentlich Jasmine? Ich habe gesehen, dass sie ein Baby hat.«

Es überraschte mich, dass er das wusste. »Ja, ein Mädchen. Sie ist jetzt eineinhalb Jahre alt. Wie hast du davon erfahren?«

»Sie hat sich auf Facebook mit mir befreundet.«

»Ihr seid Facebook-Freunde?«

»Ja«, antwortete er mit vollem Mund.

»Seit wann?«

»So circa ein Jahr.«

»Hmm«, murmelte ich. Das fand ich ein wenig sonderbar.

»Sogar Jasmine hat mir verziehen«, sagte er. »Nur du kannst den ganzen Mist offenbar nicht vergessen.«

Dass Jasmine Kontakt zu ihm gesucht hatte, verblüffte mich. Sie war inzwischen glücklich mit einem Mann verheiratet, den sie auf dem College kennengelernt hatte. Sie waren in eine Kleinstadt in Pennsylvania gezogen, nur eine Autostunde von uns hier in New Jersey entfernt. Ich fand es merkwürdig, dass sie sich beiläufig mit Troy befreundete, wenn sie ansonsten heftig über ihn herzog. Als sie damals ein Paar waren, war sie wie besessen von Troy. Für sie gab es damals nur ein Thema: wie fantastisch er im Bett und wie groß sein Schwanz war. Er war für sie das Beste seit der Erfindung des Rads, bis sie ihn schließlich im Kino auf frischer Tat mit einer Cheerleader-Kollegin ertappt hatte.

»Seid ihr immer noch so dicke befreundet?«, fragte er.

»Seit sie geheiratet und ein Kind bekommen hat, sehen wir uns nicht mehr so oft. Aber hin und wieder besuche ich sie. Sie wohnt jetzt in New Hope.«

»Schön.«

»Ja, das ist ein schöner Ort, um sich niederzulassen.«

»Das Wort niederlassen klingt so deprimierend«, sagte er lachend.

»Aus deinem Mund wundert mich das gar nicht.«

»Wenn ich an das Wort niederlassen denke, sehe ich meinen Sarg, der in die Erde niedergelassen wird.«

»Dann hast du wohl nicht die Absicht, sesshaft zu werden?«

»In absehbarer Zeit nicht.«

»Habe ich mir gedacht.«

»Eines Tages vielleicht.« Troy wischte sich seufzend etwas Zimt aus dem Mundwinkel. »Hör mal, ich war ein Arsch, als ich Jasmine betrogen habe, aber verdammt noch mal, ich war achtzehn. Ich hatte keine Ahnung von nichts, schon gar nicht davon, wie man sich in einer Beziehung benimmt. Ich verstehe ja, dass du sauer warst, aber ich habe es mir nicht zur Gewohnheit gemacht, Frauen wehzutun.«

»Und wie schaffst du es, das zu vermeiden?« Ich war ehrlich neugierig. Mir fiel es schwer zu glauben, dass er sich so grundlegend geändert hatte angesichts seines Aussehens und seiner Ausstrahlung.

»Ich mache niemandem etwas vor. Mit mehreren gleichzeitig was zu haben, ist nicht betrügen, wenn man sich gar nicht erst einer einzigen Person verpflichtet.«

»Aha.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Du hast Angst vor Verpflichtung.«

Er schaute auf meine Hand. »An deinem Finger sehe ich aber auch keinen Ring.«

»Ich bin momentan Single, habe aber keine Angst vor einer Beziehung. Ich freue mich darauf, meinen Seelenverwandten zu finden, wenn die Zeit reif dafür ist.«

»Möge Gott verhindern, dass er dich hintergeht«, witzelte Troy. Dann riss er die Augen auf. »Wo zum Teufel ist mein Großvater?«

Sofort blickte ich auf die Stelle, wo Mr Serrano eben noch gesessen hatte. Er war verschwunden.

Mein Puls fing an zu rasen. »Verfluchter Mist!«

»Du hattest eine einzige Aufgabe, Goofy. So viel zum Thema Anstandswauwau.«

Ich ignorierte seinen dämlichen Kommentar und schaute mich um. »Hat er sich schon mal davongestohlen?«

Troy schüttelte den Kopf. »Bisher nicht.«

Mir schlug das Herz bis zum Hals. »Sollen wir hier warten, falls er zurückkommt, oder sollen wir ihn suchen?« Meine mangelnde Erfahrung als Aufpasserin war nicht zu übersehen.

Troy stieß einen Seufzer aus. »Du bleibst hier, ich gehe ihn suchen.«

Ein paar Minuten vergingen, aber Mr Serrano tauchte nicht auf.

Troy kam zurück und streckte mir die Hand entgegen. »Gib mir dein Handy.«

»Wozu?«

»Ich tippe dir meine Nummer ein, dann können wir in Verbindung bleiben. Ich übernehme den Teil des Einkaufszentrums.« Er deutete in die eine Richtung. »Du den anderen da.«

Ich gab ihm mein Handy, er speicherte seine Nummer in meinen Kontakten, dann trennten wir uns.

Während ich zwischen den Läden hindurchmarschierte, war ich maßlos enttäuscht von mir selbst. Wie konnte es mir nur passieren, dass ich schon am ersten Tag meiner neuen Aufgabe den armen Mr Serrano verlor? Dieser verdammte Troy hatte mich abgelenkt. Aber letztlich war es mein Fehler. Ich hatte die Verantwortung. Deshalb war ich ja überhaupt nur hier.

Nach fünf Minuten meldete sich mein Handy.

Troy: Und?

Ich tippte.

Aspyn: Nichts.

Troy: Scheiße.

Aspyn: Wo könnte er bloß hin sein?

Troy: Keine Ahnung. Ich war im Tabakladen, aber keine Spur von ihm.

Aspyn: Tabak? Er raucht?

Troy: Er mag eine gute Zigarre.

Aspyn: Eklig.

Troy: Nicht, wenn es die richtige ist. Hast du nie eine Zigarre probiert?

Aspyn: Könntest du bitte aufhören, mir Nachrichten zu schicken, und lieber nach deinem Großvater suchen?

Troy: Ich nutze die Spracherkennung und schaue mich dabei weiter um.

Aspyn: Sonst noch eine Idee, wo er gern hingeht?

Die Punkte auf dem Display bewegten sich.

Troy: Victoria’s Secret.

Aspyn: Hör auf mit dem Scheiß.

Troy: LOL. Im Ernst. Ist mir gerade eingefallen. Er könnte wirklich dort hingegangen sein.

Aspyn: Was um Himmels willen will er in einem Geschäft für Damenunterwäsche?

Troy: Meine Großmutter hat immer ein Bodyspray von dort benutzt.

Oh. Mein Herz krampfte sich zusammen.

Aspyn: Und er kauft es immer noch?

Troy: Er sprüht es auf das Bettlaken.

Aspyn: Oh mein Gott! Ist das der fruchtige Duft in seinem Zimmer?

Troy: Genau.

Ich blieb am Lageplan des Einkaufszentrums stehen, um nachzusehen, wo ich Victoria’s Secret finden würde.

Aspyn: Das ist in meinem Teil. Bin schon unterwegs.

Troy: Okay. Ich sehe mich hier weiter um.

Als ich den Laden betrat, stieß ich aus Versehen an einen Stapel bunter Wäsche, der für den Ausverkauf bestimmt war, woraufhin alles zu Boden fiel. Ich hob die Teile auf und legte sie unordentlich zurück auf den Wühltisch, dann lief ich zur Kasse.

»Entschuldigung, war zufällig ein älterer Herr im Rollstuhl gerade bei Ihnen im Laden?«

Zu meiner Überraschung nickte die Kassiererin. »Ja, tatsächlich. Vor einer Minute ist er wieder los. Er hat ein Fläschchen Love Spell Body Mist gekauft.«

»Haben Sie zufällig gesehen, in welche Richtung er verschwunden ist?«

»Tut mir leid, aber darauf habe ich nicht geachtet.«

Verdammt!

Als ich den Laden verließ, schickte ich Troy eine Nachricht.

Aspyn: Dein Großvater war hier und hat sein Bodyspray gekauft. Er ist fort, kurz bevor ich hier ankam. Ich suche weiter.

Troy: Hast du dir bei der Gelegenheit neue Unterwäsche besorgt?

Aspyn: Sehr witzig.

Troy: Hätte ja sein können.

Aspyn: Schick mir erst wieder eine Nachricht, wenn du deinen Großvater gefunden hast.

Leise fluchend steckte ich das Handy in meine Tasche.

Zwanzig weitere Minuten durchstreifte ich meinen Teil des Einkaufszentrums. Ohne Erfolg.

Plötzlich sah ich Troy auf mich zukommen. Er wirkte frustriert. Resigniert hob er beide Hände.

Als er bei mir war, blieb er stehen und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich muss ihm endlich ein Handy besorgen.«

»Er hat keins?«

»Er hat so ein altes Klappding, aber das nimmt er nie mit.«

»Wir finden ihn schon noch.« Ich seufzte und merkte, dass Troy sich ernsthaft Sorgen machte.

Das ist ganz allein meine Schuld.

Ich schluckte. »Irgendwo hier muss er schließlich stecken, oder? Rausgegangen wäre er sicher nicht.« Plötzlich hatte ich eine Idee. »Bitten wir doch den Sicherheitsdienst, ihn auszurufen.«

Er schnippte mit den Fingern. »Großartige Idee. Warum bin ich da nicht draufgekommen?«

»Weil du nicht besonders helle bist?«

Er funkelte mich zornig an, dann machten wir uns auf den Weg, um Hilfe zu suchen. Doch bevor wir jemanden fanden, berührte Troy meinen Arm und blieb stehen. Er deutete auf einen Blumenladen.

Durch die Glasscheibe entdeckte ich Mr Serrano, der an einem gewaltigen Blumenstrauß roch, den ihm soeben eine Angestellte überreicht hatte.

Troy rannte in das Geschäft, ich hinterher.

»Warum zum Teufel bist du einfach abgehauen?«, rief er. »Wir haben uns die größten Sorgen gemacht.«

Mr Serrano zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern roch weiter an den gelben Rosen. »Ich habe mir gedacht, ich störe euch nicht länger bei euren Streitereien.«

Troy biss die Zähne zusammen. »Du hättest uns wenigstens sagen können, was du vorhast.«

»Hat mein Abgang geholfen, dass ihr mit dem Zanken aufhört?«

Troy seufzte. »Na ja, schon, äh, aber …«

»Dann hat es ja seinen Zweck erfüllt.«

»Wir hätten Ihretwegen fast einen Herzinfarkt bekommen, Mr Serrano.«

»Was habt ihr beide denn geglaubt, wie weit ich in dem Rollstuhl komme?«

»An Orten wie diesen kann alles Mögliche passieren«, sagte ich. »Sie hätten leicht ausgeraubt oder betrogen werden können!«

Er schaute jetzt wieder etwas freundlicher. »Tut mir leid, dass ich Sie so aus der Fassung gebracht habe, meine Hübsche.«

»Warum kaufst du eigentlich Blumen?«, fragte Troy.

»Gelbe Rosen – die Lieblingsblumen deiner Großmutter. Aber die sind nicht für mich, sondern für dich.«

»Für mich?«, rief Troy erstaunt.

»Ja. Damit du sie Aspyn gibst und dich dafür entschuldigst, dass du so ein Schwachkopf warst.«

Ich hob abwehrend die Hände. »Das ist wirklich nicht nötig, Mr Serrano.«

»Das ist sehr wohl nötig«, widersprach er und drückte seinem Enkel den Strauß in die Hand.

Widerstrebend nahm Troy die Blumen und hielt sie mir hin. »Goofy, nimmst du diese Rosen an?« Schelmisch grinsend klimperte er mit den Wimpern, die mir für einen Mann wahnsinnig lang vorkamen.

»Obwohl ich sie dir am liebsten um die Ohren schlagen würde, nehme ich sie deinem süßen Großvater zuliebe an, der es nur gut meint.« Ich nahm den Strauß entgegen und wandte mich an den alten Herrn. »Vielen Dank, Mr Serrano.«

Dann verließen wir alle drei den Blumenladen, und ich dachte eigentlich, wir würden das Einkaufszentrum nun verlassen, aber Troy blieb vor einem Matratzengeschäft stehen.

»Hey, können wir da mal kurz rein?« Ohne auf eine Antwort zu warten, marschierte er los.

»Ich habe es nicht eilig zurückzufahren«, sagte Mr Serrano, und wir folgten seinem Enkel.

Troy schaute sich um und drückte auf verschiedene Matratzen.

»Ich das wirklich notwendig, dass du ausgerechnet heute auf Matratzensuche gehst?«, fragte ich ihn.

»Allerdings. Ich habe miserabel geschlafen.« Er setzte sich auf eine und hüpfte auf und ab. »Das Bett, das Dad in das Zimmer gestellt hat, in dem ich schlafe, ist hart wie Stein. Das ist bestimmt seine alte Matratze. Ich möchte lieber so eine bequeme Memory-Foam-Matratze haben.«

»Memory Foam!«, rief Mr Serrano. »So eine könnte ich auch gebrauchen. Hilft die mir, mich zu erinnern, wann ich aufs Klo muss?«

Ich lachte und setzte mich auf ein Bett gegenüber von Troy. Er legte sich auf den Rücken und breitete die Arme aus.

»Ah, die gefällt mir. Die ist bequem.«

Sein Hemd rutschte ein wenig nach oben, und ich bemühte mich, seine Bauchmuskeln nicht anzustarren.

Ich stand auf und setzte mich an den Rand der Matratze, von der er so schwärmte. Sie war härter, als ich es mochte. »Das ist nichts im Vergleich zu der, auf der ich gerade gesessen habe.«

Troy schwang sich hoch und ließ sich gegenüber auf die andere fallen. Ein paarmal federte er auf und ab, dann sagte er: »Nein, die da ist viel besser.«

»Da bin ich anderer Meinung.«

Eine Verkäuferin kam zu uns herüber. »Sie wissen, dass Sie nicht gewinnen können, oder?«, fragte sie ihn. »Die Ehefrau bekommt am Ende immer ihren Willen.«

Troy schnaubte. »Goofy? Das ist nicht meine Frau. Sie ist bloß jemand, der in der Highschool versucht hat, mich zu vergiften.«

»Oh, das tut mir leid. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«

»Ich gebe Ihnen Bescheid.«

»Er kann sich nicht festlegen. Verschwenden Sie nicht Ihre Zeit«, lästerte ich.

Und natürlich verließ Troy den Laden fünfzehn Minuten später, ohne eine Matratze bestellt zu haben.

Der Rest meines Nachmittags mit den Serranos verlief im Großen und Ganzen ereignislos. Aber bevor wir das Einkaufszentrum verließen, begleiteten wir Mr Serrano noch zum Tabakgeschäft, wo er sich eine Zigarre kaufte. Troy versprach ihm, er könne sie beim nächsten Ausflug genießen, wenn wir mehr Zeit hätten. Auf dem Horizons-Gelände durfte nämlich nicht geraucht werden. Dass wir noch am Disney-Laden vorbeikamen, war für Troy natürlich ein gefundenes Fressen. Er schlug vor, ich solle reingehen und etwas auf seine Kosten kaufen, zum Beispiel einen Stoff-Goofy. Diesen Vorschlag ignorierte ich jedoch, obwohl ich durchaus in Versuchung war, sein Angebot auszunutzen und etwas für meine Nichte mitzunehmen. Allerdings gönnte ich ihm die Genugtuung nicht.

Nachdem wir Mr Serrano wieder in seinem Zimmer im Heim abgeliefert hatten, wollte ich mich gerade ausstempeln gehen, als Troy mich im Flur noch einmal zurückhielt.

»Hey, Aspyn …«

Fragend schaute ich ihn an. »Ja?«

»Danke für den Tag heute und dass du mir bei der Suche geholfen hast. Ich war völlig durch den Wind, aber es hat mir geholfen, dass du dabei warst.«

»Na ja, hätten wir uns nicht gestritten, wäre er gar nicht erst abhandengekommen.«

»Die ganze Sache ist doch irgendwie verrückt, oder?«

»Was genau meinst du?«

»Dass wir beide Zeit miteinander verbracht haben. Das war echt ein großer Zufall – und ziemliches Pech für dich.«

»Da stimme ich dir zu.«

Troy schmunzelte. »Wie klein die Welt doch ist.«

Ich brauchte ein paar Sekunden, um zu kapieren, worauf er anspielte. It’s a small world after all. Der Disney-Song. Ich verdrehte die Augen. »Hör endlich auf mit deinen Disney-Scherzen.«

»Zieh dir keine Disney-Klamotten mehr an, und ich höre mit den Disney-Scherzen auf.« Er zwinkerte mir zu, bevor er sich abwendete und ging.

Die klare, frische Luft draußen auf dem Parkplatz half mir, wieder klarere Gedanken zu fassen und bessere Laune zu bekommen, aber den ganzen Weg nach Hause gingen mir die Ereignisse des Tages nicht aus dem Kopf. Andauernd dachte ich daran, wie leicht Troy mir nach all den Jahren noch immer unter die Haut ging.

Ich wollte noch bei meinen Eltern vorbeischauen und überlegte mir, meiner Mutter den Blumenstrauß zu schenken, den Mr Serrano gekauft hatte.

Ich hielt vor dem Haus und schnappte mir vom Beifahrersitz meine Tasche, in der ich mein Geld und mein Handy aufbewahrte. Ich suchte den Sitz ab. Wo ist sie?

Ich konnte mich nicht erinnern, sie zu Horizons mit hineingenommen zu haben. Mir blieb das Herz stehen.

Ich habe sie in Troy Serranos Auto liegen lassen.

2

Troy

Auf dem Weg von Nonnos Heim nach Hause hielt ich bei einem Einrichtungshaus, um mir ein Schuhregal für mein Zimmer zu kaufen. Als ich die hintere Tür meines Range Rovers öffnete, um den flachen Karton auf den Rücksitz zu legen, bemerkte ich etwas: eine kleine Tasche aus blumenverziertem Material mit einem dünnen Riemen. Sie lag neben dem Sitz, auf dem Aspyn gesessen hatte. Ich nahm sie hoch.

Mist. Ich wollte ihr gerade eine Nachricht schicken, da fiel mir auf, dass ihr Handy vorne drinsteckte. Verdammt.

Ich öffnete die Tasche, um nach ihrem Führerschein zu suchen. Das Foto zeigte die gleiche verkniffene Miene, die sie mir den ganzen Nachmittag präsentiert hatte. Ihre Adresse war nicht allzu weit von meiner Wohnung entfernt, und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte ich ihr die Sachen noch heute Abend bringen müssen. Ich gab die Adresse in mein Navi ein und fuhr los.

Unterwegs dachte ich über die letzten Stunden nach. Gegen Ende hatte Aspyn ein wenig gelassener gewirkt, insgesamt aber war sie in meiner Gegenwart ziemlich angespannt gewesen. War ich auf der Highschool tatsächlich so ein Riesenarschloch? Tief im Innersten wusste ich, die Antwort lautete: ja.

Ich hatte sie irgendwie als komischen Vogel in Erinnerung behalten. Sie war zwar mit Jasmine und mir unterwegs gewesen, hatte aber nie viel gesagt. Trotzdem hatte ich sie gemocht – bis sie dann völlig durchgedreht war. Danach hatte sie mir allen Grund gegeben, sie nicht zu mögen. Ich dachte, ich hätte das alles längst hinter mir gelassen, sie jedoch offenbar nicht. Ich respektierte sie dafür, dass sie zu ihrer Freundin hielt, obwohl sie mir dabei übel mitgespielt hatte. Aber damals hatte ich ihr Verhalten als persönlichen Angriff empfunden.

Ich muss sagen, Aspyn war definitiv hübscher, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie hatte sich in den letzten zehn Jahre echt verändert. Ihr langes sandfarbenes Haar war bildschön, glatt und üppig, und reichte ihr fast bis zum Hintern. Und auch der sah in dieser Goofy-Hose, die vorteilhaft anlag, recht hübsch aus. Sie war groß gewachsen und hatte eine tolle Figur. Schwesternkittel logen nicht. Nein, Aspyn Dumont würde ich ganz bestimmt nicht von der Bettkante stoßen, obwohl sie mir wahrscheinlich mitten in der Nacht den Schwanz abschneiden würde.

Als ich bei ihrem Haus vorfuhr, verglich ich die Nummer am Briefkasten mit der in meinem Navi, um jeden Irrtum zu vermeiden. Dann nahm ich die Tasche und ging zur Eingangstür.

Ich klopfte und wartete.

Nach etwa dreißig Sekunden klopfte ich erneut.

Keine Antwort, aber durch das Fenster konnte ich erkennen, dass der Fernseher lief. Irgendeine Kindersendung. Ich wusste ja, dass sie Disney mochte, aber trotzdem …

Ich klopfte ein drittes Mal an die Tür und rief: »Hey, Aspyn, bist du da?«

»Gehen Sie weg!«, hörte ich eine Kinderstimme hinter der Tür rufen. Es klang wie ein kleines Mädchen.

»Äh …« Ich zögerte kurz. »Mit wem spreche ich?«

»Sind Sie verrückt? Ich verrate Ihnen doch nicht meinen Namen.«

»Warum nicht?«

»Ich kenne Sie ja nicht.«

»Ich verspreche, ich tue dir nichts. Ich heiße Troy. Ich will bloß Aspyn ihre Tasche und ihr Handy zurückgeben. Sie hat sie heute in meinem Wagen liegen gelassen.« Als sie nicht reagierte, sagte ich: »Folgender Vorschlag: Du öffnest die Tür nur einen kleinen Spalt, damit ich beides hindurchschieben kann. Du brauchst mich nicht einmal zu sehen.«

»Ich soll die Tür gerade so weit öffnen, dass Sie schießen können? Woher soll ich wissen, dass Sie keine Waffe haben?«

»Wenn ich eine Waffe hätte, könnte ich genauso gut durch die Tür schießen. Aber ich habe keine Waffe, und ich bin völlig harmlos. Fest versprochen.«

Ich hörte ein gedämpftes Gespräch, dann wurde plötzlich die Tür geöffnet. Aspyn stand vor mir mit nassen Haaren. Sie sah aus, als käme sie gerade aus der Dusche, und war ziemlich außer Atem.

Bevor ich auch nur ein Wort herausbrachte, bemerkte ich, dass das kleine Mädchen mit einer riesigen Wasserpistole auf mich zielte. Ich hob die Hände hoch, aber nicht rechtzeitig genug. Ein gewaltiger Schwall Wasser traf mich aufgrund ihrer Größe knapp unter der Gürtellinie.

Scheiße!

Weitere Wassersalven prasselten auf mich ein.

»Kiki, hör auf!«, rief Aspyn endlich.

Sie hatte sich ja reichlich Zeit gelassen.

»Was soll der Blödsinn?«, fragte ich mit Blick auf meine durchnässte Hose.

Widerwillig steckte das Mädchen ihre Waffe weg. »Du hättest die Tür nicht öffnen dürfen«, sagte sie zu Aspyn.

»Er ist kein Fremder. Ich kenne ihn.« Aspyn wandte sich leicht amüsiert an mich. »Tut mir wirklich leid.«

Ich runzelte skeptisch die Stirn. »Tatsächlich?«

»Kiki, geh in dein Zimmer und leg das Ding da weg«, befahl sie dem Mädchen.

Die Kleine warf mir einen finsteren Blick zu, ehe sie sich davonmachte.

Ich hielt Aspyn die Tasche hin, die im Wesentlichen trocken geblieben war. »Du hast das Ding da und dein Handy in meinem Wagen vergessen.«

Ihr Blick wanderte kurz zu dem enormen Wasserfleck rund um meinen Hosenschlitz, ehe sie wieder hochschaute. »Ich weiß. Ich habe versucht, deinen Großvater anzurufen, damit er mir deine Nummer gibt, aber er hat geschlafen. Und im Büro konnte niemand deine Kontaktdaten finden. Nancy hatte schon Feierabend und war nicht erreichbar. Nach dem Duschen wollte ich dich auf Facebook suchen und dir eine Nachricht schreiben. Da bist du mir zuvorgekommen. Danke, dass du die Sachen vorbeigebracht hast. Und entschuldige die Attacke eben.«

»Es hat mich gewundert, dass du sie gestoppt hast.«

»Na ja, immerhin warst du so freundlich, mir meine Tasche zu bringen, insofern …«

Ich schaute über ihre Schultern hinweg ins Haus. »Ist sie deine … Tochter?«

Aspyn zögerte. »Meine Nichte.«

»Aha. Du hast keine Kinder?«

»Nein.«

»Spielst du die Babysitterin?«

Sie senkte den Blick. »Nicht ganz.«

»Wohnt sie bei dir?«

Aspyn schaute mich an. »Meine Schwester ist … tot. Deshalb verbringt meine Nichte die eine Hälfte der Zeit bei mir, die andere bei meinen Eltern.«

Scheiße. Ich musste schlucken. »Tut mir leid, das wusste ich nicht.«

»Ich brauche dir nicht leidzutun. Da ist wieder dieser Ausdruck in deinen Augen«, spottete sie. »Die arme kleine Aspyn hängt in Meadowbrook fest.«

Mir wurde schwer ums Herz. Ich bedauerte, dass ich so blödes Zeug von mir gegeben hatte. »Das habe ich nicht gedacht. Keine Sekunde lang.«

Ihr trauriger Blick traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen, was insofern merkwürdig war, weil sie mich auf den Tod nicht ausstehen konnte.

Wassertropfen fielen auf ihr T-Shirt, als sie seufzte. »Wie auch immer … Vielen Dank, dass du mir meine Sachen vorbeigebracht hast. Das war sehr nett von dir.«

»Alles klar.« Ich steckte die Hände in die Hosentaschen. »Kein Problem.«

Ich wartete noch ein paar Sekunden, bis sie zur Türklinke griff, was ich als Zeichen deutete, dass ich mich auf den Weg machen sollte. Ich nickte ihr kurz zu und trat zurück. Sofort schloss sie die Tür.

Aspyn konnte mich gar nicht schnell genug loswerden.

Weil ich die Tasche abgeliefert hatte, war ich zehn Minuten zu spät für das Abendessen mit meinem Kumpel Eric in einem Restaurant im Ort. Eric kannte ich ebenfalls aus der Highschool, und heute traf ich ihn zum dritten Mal, seit ich wieder in Meadowbrook war.

Als ich in Boone’s Pub kam, wo es immer ein wenig nach verbranntem Fleisch und Alkohol roch, saß er bereits an einem Tisch.

Eric schaute sofort auf den nassen Fleck auf meiner Hose. »Was ist denn mit dir los? Hast du dir in die Hose gepinkelt?«

»Nein.« Ich setzte mich ihm gegenüber. »Ich wurde mit einer Super Soaker beschossen. Ich hatte keine Zeit mehr, nach Hause zu fahren und mich umzuziehen.«

»Wieso das denn?«

»Tja, da war dieses kleine Mädchen … lange Geschichte. Ich erkläre es dir später.« Ich schnappte mir eine Speisekarte. »Bestellen wir erst einmal. Ich sterbe vor Hunger.«

Nachdem wir die Bestellung aufgegeben hatten, stellte ich ihm die Frage, die mich die ganze Fahrt hierher beschäftigt hatte. »Ist dir das schon mal passiert, dass du eine Person oder eine Sache von früher siehst, und schlagartig fällt dir der ganze Scheiß wieder ein, den du unbedingt vergessen wolltest? Und du merkst, dass die ganzen Gefühle von damals eigentlich nie wirklich weg waren?«

Eric nickte. »So geht es mir, wenn ich Stoli Wodka sehe. Das erinnert mich daran, wie ich in der zehnten Klasse Christy Hemingway vollgekotzt habe.«

Aspyn war wie meine ganz persönliche Kotzgeschichte.

»Erinnerst du dich noch an Aspyn Dumont von der Highschool?«

Er brach sich ein Stück Brot ab. »Ja, sicher.«

»Sie arbeitet in dem Heim, in dem mein Großvater wohnt.«

»Tatsache? War die nicht ein Psycho?«, fragte er und griff nach der Butter.

Der Ausdruck Psycho ließ mich zusammenzucken, weil Eric diese Einschätzung von mir hatte. Nach den Vorfällen in der Highschool hatte ich ihr diesen Spitznamen verpasst. Ich hätte vorsichtiger sein sollen, was ich von mir gab. Jetzt fühlte ich mich richtig beschissen deswegen.

»Sie hatte so ihre Macken, das stimmt schon. Wir konnten uns nicht leiden und haben übereinander hergezogen. Zum großen Teil war das aber meine Schuld.«

Während wir auf unser Essen warteten, erklärte ich Eric, was es mit Aspyn auf sich hatte und wieso sie als Aufpasserin für die Ausflüge mit meinem Großvater eingeteilt worden war. Ich erinnerte ihn auch daran, warum sie mir damals so übel mitgespielt hatte.

Ich trank einen Schluck Bier und starrte auf die Flasche. »Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich überhaupt von ihr erzähle …«

»Wie sieht sie denn jetzt aus?«, fragte er.

Die Kellnerin kam mit unserem Essen, was mir eine kurze Schonfrist für die Antwort verschaffte. Ich dachte über Aspyns äußeres Erscheinungsbild nach. Ihre sandfarbenen Haare waren toll, ihr Hintern war verführerisch und ihre Haut auch ohne Make-up glatt und makellos. Sie war eine natürliche Schönheit, besonders wenn sie wütend auf mich war. Ich war verblüfft, dass ich mich zu ihr hingezogen fühlte, obwohl ich früher für sie nichts als Verachtung übriggehabt hatte. Vielleicht machte ihre Feindseligkeit sie auf irgendeine perverse Art für mich nur umso attraktiver?

Ich spielte das Ganze herunter. »Sie haut einen nicht um oder so, aber sie ist recht … hübsch. Netter Arsch und nette Titten. Es war allerdings schwierig, an dem hasserfüllten Blick vorbeizusehen.«

»Na ja, wenn du sie jetzt zweimal pro Woche siehst, ergeben sich ja einige Gelegenheiten, ihre Meinung über dich zu ändern.«

»Keine Ahnung, ob sich die Mühe lohnen würde. Sie steckt offenbar in der Vergangenheit fest.«

Er kaute eine Süßkartoffelpommes. »Wie lange willst du überhaupt in Meadowbrook bleiben?«

»Solange mein Dad auf Reisen ist. Wahrscheinlich noch ein paar Monate. Er hat kein Rückflugticket gekauft, weil sie die ganze Reise improvisieren.«

»Was macht er noch mal?«

»Er tourt mit seiner Freundin durch Europa.«

»Mann, tolles Leben.«

»Na ja, das hat er sich aber auch verdient.« Ich öffnete die Ketchupflasche und gab etwas auf meinen Teller. »Ich hüte sein Haus und passe auf, dass alles in Ordnung ist, solange er weg ist.«

Mein Vater hatte sich als Alleinerzieher den Arsch abgearbeitet, um mich großzuziehen. Wir haben nie Urlaub gemacht, und er hat sich selbst nur selten etwas gegönnt. Vor zwei Jahren lernte er dann eine Frau kennen, und zwischen den beiden funkte es. Das war seine erste richtige Beziehung, soweit ich mich erinnern konnte. In dem Jahr wurde er fünfzig und konnte bei der Feuerwehr vorzeitige Rente beantragen. Und das tat er dann auch. Sheryl und er beschlossen, durch Europa zu reisen. Beinahe wäre er nicht geflogen, weil er wegen meines Großvaters ein schlechtes Gewissen bekam. Er war unser einziger Verwandter in der Gegend. Ich versprach meinem Vater, mich um alles zu kümmern. Das war das Mindeste, was ich für den Mann tun konnte, der sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet hatte, mich aufzuziehen. Und das war keine leichte Übung gewesen. Trotz aller Bemühungen meines Dads hielt ich ihn als Junge ziemlich auf Trab. Zwar hatte ich gute Schulnoten und war ein hervorragender Sportler, ansonsten aber machte ich ihm das Leben nicht gerade leichter. Dauernd geriet ich in Prügeleien und provozierte Ärger, wo es nur ging. Er hatte eine Menge gut bei mir.

Als ich an jenem Abend nach dem Essen mit Eric nach Hause kam, legte ich die Füße hoch und googelte Aspyn Dumont. Der erste Treffer war die Todesanzeige ihrer Schwester vor acht Jahren. Eine Todesursache wurde nicht genannt, nur, dass sie eine sechs Monate alte Tochter hinterließ. Mir zog sich die Brust zusammen. Ashlyn Dumont war nur vierundzwanzig Jahre alt geworden. Ashlyn und Aspyn. Sie mussten sich nahegestanden haben. Ich war ein Einzelkind und konnte mir nicht vorstellen, wie es war, Geschwister zu verlieren. Ich bekam Gewissensbisse, weil ich Aspyn dafür verurteilt hatte, dass sie in Meadowbrook geblieben war. Nun kannte ich den Grund dafür: Sie half, für ihre Nichte zu sorgen. Das war kein leichtes Leben.

Wie ich Aspyn in der Highschool behandelt hatte, konnte ich nicht mehr ändern. Ich konnte auch die hässlichen Dinge, die ich hinter ihrem Rücken über sie gesagt hatte, nicht mehr zurücknehmen. Zumindest konnte ich ihr jedoch zeigen, dass ich mich geändert hatte – es wenigstens versuchen. Die große Frage war nur: Hatte ich mich wirklich geändert? Oder war ich noch immer dasselbe egoistische Arschloch wie damals?

Diese Frage gab mir zu denken, und ehrlich gesagt, kannte ich die Antwort nicht. Ich wusste lediglich, dass ich mir seit meiner Rückkehr nach Meadowbrook wieder vorkam wie der fiese Kerl von damals. Ich wollte ein besserer Mensch sein, und aus irgendeinem Grund war es mir wichtig, Aspyn dies zu beweisen. Aber wieso?

Sie war wie die Personifizierung all meiner früheren Fehler. Wenn ich sie dazu brachte, mich zu mögen, wäre das vielleicht die Absolution für meine Sünden.

Donnerstagnachmittag stand der zweite Ausflug mit Nonno für diese Woche auf dem Programm. Als Aspyn uns in seinem Zimmer traf, wirkte sie so glücklich wie bei unseren vorangegangen Treffen – nämlich gar nicht.

»Sind das Donuts auf deiner Schwesterntracht?«, fragte ich.

»Die trage ich dir zu Ehren.« Sie schenkte mir ein Lächeln.

Typisch. Das erste richtige Lächeln, das sie mir gönnt, bezieht sich auf ihren Versuch, mich zu vergiften.

»Hast du die extra meinetwegen gekauft?«

»Ob du es glaubst oder nicht, die hatte ich schon.«

»Das glaube ich dir sogar.«

»Meine Arbeitsklamotten sorgen immer für Gesprächsstoff.«

»Dann solltest du hier auch allen erzählen, was es mit den Donuts auf sich hat. Vielleicht ist es dir aber zu peinlich zuzugeben, dass du mich beinahe mit einem Durchfallanschlag ermordet hättest.« Ich lachte, und sie ebenfalls. »Schön, dass du deinen Sinn für Humor wiedergefunden hast.«

»Ich hatte ihn nicht verloren, er musste nur ein bisschen abgestaubt werden.«

Als sie erneut lächelte, bemerkte ich die kleinen Falten um ihre Augen, und vielleicht starrte ich sie ein wenig zu lange an.

»Können wir los?«, unterbrach sie mein Glotzen.

Ich räusperte mich. »Ja.«

»Auf geht’s«, rief mein Großvater und rollte sich selbst zur Tür hinaus.

Da es ein schöner Sommertag war, hatte ich mir überlegt, etwas im Freien zu unternehmen. Ich hatte Nonno versprochen, die Zigarre, die wir Dienstag in dem Tabakladen gekauft hatten, mitzubringen, damit er sie rauchen konnte.

Wir fuhren in einen Park ganz in der Nähe. Nachdem ich den Wagen abgestellt hatte, zog ich einen Frischhaltebeutel mit den Zigarren aus dem Handschuhfach.

Wir suchten uns einen Platz unter einem schattigen Baum. Ich nahm die Zigarre meines Großvaters aus dem Beutel und gab sie ihm.

»Hier hast du deine Macanudo, Nonno.«

Nachdem er sie sich in den Mund gesteckt hatte, zündete ich ein Streichholz an und hielt es an die Spitze.

»Vielen Dank, mein Herr.« Er zog an seinem Stumpen und strahlte über das ganze Gesicht. »Das ist das wahre Leben.«

Ich lächelte. Es brauchte wirklich nicht viel, um ihm eine Freude zu bereiten. Ich hoffte, eines Tages ebenfalls so leicht zufrieden zu sein.

Ich holte eine weitere Zigarre aus dem Beutel und hielt sie Aspyn hin.

»Was soll das?« Sie wich einige Schritte zurück, als hätte ich ihr meinen Schwanz hingehalten oder so ähnlich.

Ich hielt die Tatiana Classic hoch. »Die ist für dich. Wir rauchen ebenfalls eine.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein. Ich rauche nicht.«

»Du musst ja nicht inhalieren, nur das Aroma genießen. Deine ist mit Vanille aromatisiert. Soweit ich weiß, enthält sie keinen Zucker. Du kannst dich also ruhig bedienen.«

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Zigarre geraucht und habe nicht vor, heute damit anzufangen.«

»Versuch es einfach. Wenn es dir nicht schmeckt, wirf sie weg und trete sie aus.«

Zu meiner Überraschung willigte sie ein. Sie nahm die Zigarre, hielt sie aber falsch. Wie eine Zigarette.

Ich griff ein. »Lass sie auf dem Mittelfinger ruhen – mit dem kannst du ja gut umgehen –, dann lege deinen Zeigefinger darum.«

Sie folgte meiner Anweisung und steckte sich die Zigarre zögernd zwischen die Lippen. Irgendwie war das verdammt sexy. Ich spürte, wie meine Gedanken auf Abwege gingen.

Ich zündete ein Streichholz an und hielt es an die Zigarre. »Vorsichtig ziehen, wenn ich sie anzünde.«

Aspyn inhalierte und bekam prompt einen Hustenanfall.

»Welchen Teil von vorsichtig ziehen hast du nicht kapiert?«

»Ich habe inhaliert«, hustete sie.

»Das habe ich mitbekommen. Ich habe doch gesagt, das sollst du nicht tun. Saug nur ein bisschen in den Mund und genieße den Geschmack.«

Mein Hirn war jetzt definitiv auf Abwegen unterwegs.