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Sie kommen aus unterschiedlichen Welten. Hat ihre Liebe eine Chance?
Über den Sommer arbeitet Raven als Haushaltshilfe bei einer reichen Familie. Als der älteste Sohn für die Ferien aus England nach Hause kommt, braucht es nur einen Blick. Gavin und Raven verlieben sich. Ihre Gefühle sind tief, sie sind echt, doch Gavins Familie tut alles, um die beiden auseinanderzubringen. Mit Erfolg! Mit gebrochenem Herzen versucht Raven, ihr Leben wieder aufzunehmen. Zehn Jahre später steht Gavin auf einmal wieder vor ihr. Hat ihre Liebe eine zweite Chance?
"Einfach perfekt! Von der ersten bis zur letzten Seite." READ MORE SLEEP LESS
Der neue Roman von Bestseller-Autorin Penelope Ward
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Seitenzahl: 411
Titel
Zu diesem Buch
Prolog
TEIL EINS
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TEIL ZWEI
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Penelope Ward bei LYX
Leseprobe
Impressum
PENELOPE WARD
Our Second Chance
Roman
Ins Deutsche übertragen von Katrin Mrugalla
Über den Sommer arbeitet Raven als Haushaltshilfe bei einer reichen Familie. Als der älteste Sohn für die Ferien aus England nach Hause kommt, braucht es nur einen Blick. Gavin und Raven verlieben sich. Ihre Gefühle sind tief, sie sind echt, doch Gavins Familie tut alles, um die beiden auseinanderzubringen. Mit Erfolg! Mit gebrochenem Herzen versucht Raven, ihr Leben wieder aufzunehmen. Zehn Jahre später steht Gavin auf einmal wieder vor ihr. Hat ihre Liebe eine zweite Chance?
Ich ging die ausladende, geschwungene Treppe hoch. Auf dem Weg zur Hauptsuite kam ich an Gavins altem Zimmer vorbei, und jedes Mal, wenn ich das tat, dachte ich an ihn.
Dass ich in diesem Haus arbeitete, war gelinde gesagt eine ziemliche Ironie. Die Villa, in der einst das Leben getobt hatte, war jetzt eine leere Hülle voller Echos. Doch das hatte ihrer Schönheit nichts anhaben können. Sie lag im schicken Palm Beach, vom Haus aus sah man den Atlantik, und durch die offenen Fenster drang ständig das Murmeln der Wellen.
Dies war der Ort, an dem ich mich unsterblich verliebt und das Herz gebrochen bekommen hatte, alles im selben Sommer.
Zehn Jahre später war ich wieder hier. Von den Bediensteten waren nur noch der Butler, die Haushälterin und ich angestellt – die Tagespflegerin. Wir waren für ihn da, und zwar nur für ihn. Mr M hatte Fred und Genevieve all die Jahre gut behandelt, deshalb waren sie ihm treu geblieben, obwohl andere reiche Patienten auf dieser Insel sie garantiert gern abgeworben und ihnen auch mehr bezahlt hätten.
Und ich? Ich war hier, weil er mich gebeten hatte zu bleiben. Als mir der private Pflegedienst, für den ich arbeite, diese Adresse nannte, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Und beinahe hätte ich den Auftrag mit der Begründung abgelehnt, es gäbe einen Interessenskonflikt – ich konnte mir kaum vorstellen, nach all der Zeit für Gavins Vater zu arbeiten.
Doch siegte meine Neugierde darauf, was ich dort wohl vorfinden würde und wie ernst Mr Ms Zustand sein mochte. Ich hatte vorgehabt, einen Tag zu arbeiten und dann um einen anderen Auftrag zu bitten. Wahrscheinlich würde sich Mr M nicht einmal mehr an mich erinnern. Aber dann … hat er mich Renata genannt. Das hat alles verändert.
Ein Tag folgte auf den anderen, und allmählich bekam ich das Gefühl, mich um ihn zu kümmern war das Mindeste, was ich tun konnte – er war immer gut zu mir gewesen, damals wie heute. Es hatte sich wie eine Fügung des Schicksals angefühlt.
Ich öffnete die Tür zu seinem Schlafzimmer. »Mr M, wie geht es Ihnen nach Ihrem Nickerchen?«
»Mir geht es gut«, erwiderte er, den Blick in die Ferne gerichtet.
»Prima.«
Er schaute mich an. »Du siehst hübsch aus, Renata.«
»Danke.«
»Gern geschehen.«
Ich zog die Jalousien hoch, um Licht ins Zimmer zu lassen. »Hätten Sie nachher vielleicht Lust, ein bisschen spazieren zu gehen? Heute ist es nicht so heiß.«
»Ja.«
»Okay. Abgemacht.«
Das mag wie ein normales Gespräch zwischen Patient und Pflegerin klingen, aber die Situation war alles andere als normal. Mein Name lautet nicht Renata, und Mr M war schon seit einiger Zeit nicht mehr klar im Kopf.
Renata war meine Mutter. Sie hat mehr als ein Dutzend Jahre als leitende Haushälterin hier gearbeitet und stand Mr M wirklich nahe – Gunther Masterson, Promi-Anwalt der Stars. Ich ließ ihn in dem Glauben, ich sei seine alte Freundin und Vertraute. Inzwischen wusste ich, wie viel sie ihm bedeutet hat. Ich wusste, dass ich ihr ähnlich sehe, und ich hatte nichts dagegen, die Erinnerung an sie wachzuhalten. Also spielte ich mit.
Es war schon seltsam, jetzt auf die Zeit zurückzuschauen, als ich dieses Haus auf keinen Fall betreten durfte – das dunkelhaarige, aufmüpfige Mädchen von der anderen Seite der Brücke, das wie ein entzündeter Daumen aus der Schar perfekter blonder Palm-Beach-Debütantinnen herausstach; das Mädchen, das einst die Zuneigung von Ruth Mastersons geliebtem ältesten Sohn gewonnen hat, Erbe des Masterson-Vermögens, der Sohn, der sich gegen sie aufgelehnt hat, um mit mir zusammen zu sein.
Jahre später hat sich die Situation in der Villa grundlegend verändert. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass mir Mr M einmal so ans Herz wachsen würde.
Gerade als ich ihm aus dem Bett helfen wollte, klopfte es an der Tür.
»Komm rein«, rief ich.
Genevieve trat ein und sagte die Sätze, die den weiteren Tagesablauf vollkommen durcheinanderwirbeln sollten.
»Mr Masterson? Ihr Sohn Gavin ist gerade aus London gekommen.« Sie sah mich besorgt an. »Wir haben ihn nicht erwartet. Aber er ist unten und kommt in Kürze zu Ihnen herauf.«
Mir wurde flau im Magen.
Wie bitte?
Gavin?
Gavin ist hier?
Nein.
Nein. Nein. Nein.
Genevieve wusste, was das bedeutete. Sie hat damals schon hier gearbeitet, als all das zwischen Gavin und mir passiert ist.
»Es tut mir leid, Raven«, flüsterte sie so leise, dass Mr M es nicht hören konnte.
Nachdem sie gegangen war, setzte die Panik ein. Er hat doch auf der anderen Seite des Ozeans zu sein. Er muss uns doch informieren, wenn er kommt.
Ich hatte keine Chance, mich vorzubereiten. Bevor ich wusste, wie mir geschah, drehte ich mich um und schaute in das schockierte Gesicht des einzigen Manns, den ich je geliebt und den ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass heute – an einem beliebigen Mittwoch – der Tag sein würde, an dem er zurückkehrte.
Zehn Jahre zuvor
Meine Mutter kam zu mir in die Küche. »Wir müssen ein wenig umplanen, Raven.«
Ich war gerade dabei, die glänzende Granitkücheninsel abzuwischen. »Was ist los?«
»Du musst aufhören zu putzen und stattdessen einkaufen gehen. Die Jungs kommen heute aus London zurück. Ruth hat es mir eben erst gesagt.«
Die Jungs waren Gavin und Weldon Masterson, die Söhne von Ruth und Gunther Masterson – unseren Arbeitgebern. Gavin war etwa einundzwanzig, und Weldon war drei oder vier Jahre jünger. Ich hatte sie nie kennengelernt, weil mich meine Mutter, als ich klein war, nie mit zur Arbeit genommen hatte. Gelegentlich sprach sie allerdings von den Jungs. Nach allem, was ich gehört hatte, war ihre Rückkehr aus London jedes Jahr ein Ereignis wie Christi Wiederkunft. Ich wusste, dass Gavin gerade in Oxford seinen Abschluss gemacht hatte und dass Weldon dort ins Internat ging.
Meine Mutter arbeitete seit mehr als zehn Jahren bei den Mastersons als Haushälterin. Vor Kurzem hatten sie beschlossen, dass sie im späten Frühjahr und in den Sommermonaten eine zusätzliche Hilfe im Haus brauchten, und so hatte mir Mom für dieses Jahr einen Teilzeitjob als Haushälterin dort verschafft. Anders als viele auf der Insel gehörten die Mastersons nicht zu denen, die im Sommer in den Norden flüchteten. Sie blieben das ganze Jahr über hier.
Ihre Villa lag direkt auf der anderen Seite der Brücke, gegenüber von West Palm Beach, wo ich wohnte, aber es war dort wie in einer völlig anderen Welt.
»Um wie viel Uhr kommen die beiden?«, fragte ich.
»Offenbar sind sie gerade am Palm Beach International gelandet.«
Klasse.
Sie reichte mir eine Liste. »Geh damit zum Lebensmittelladen und kauf ja nichts, das nicht bio ist. Ruth kriegt sonst Zustände.«
Das Einkaufen dauerte länger, als mir lieb war. Es war nervig, die ganzen Etiketten lesen zu müssen, um sicher sein zu können, dass alles den Anforderungen entsprach.
Als ich die Lebensmittel in der Küche verstaute, bemerkte ich, dass jemand in der Frühstücksnische am Fenster saß.
Ich erkannte ihn von den Fotos. Es war der jüngere Sohn, Weldon. Mit seinen dunkelblonden Haaren und den feinen Gesichtszügen sah er Ruth sehr ähnlich.
Er schlang gerade eine Schüssel Chili con Carne hinunter, hatte das Gesicht in seinem Handy vergraben und schien mich gar nicht wahrzunehmen.
»Hallo«, sagte ich. »Ich bin Raven.«
Nichts. Nicht ein Wort.
»Hallo«, wiederholte ich.
Nichts.
Bin ich unsichtbar?
Er trug keine Kopfhörer. Ich wusste, dass er mich gehört hatte, trotzdem hatte er nicht einmal aufgesehen.
Ich murmelte leise vor mich hin. Er würde mich garantiert nicht hören, so beschäftigt, wie er mit Scrollen war. »Oh, okay. Schon verstanden. Du bist ein ichbezogener hirnloser Blödmann, der es nicht nötig hat, jemanden mit einem kleineren Bankkonto wahrzunehmen. Stopf dir ruhig weiter das Maul voll und tu so, als gäbe es mich gar nicht. Nun, du kannst mich auch mal.«
»Mich auch«, hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir.
Mist!
Ich drehte mich langsam um und sah mich einem Paar faszinierender blauer Augen gegenüber.
Der andere Bruder. Gavin.
Er lächelte mich strahlend an. Anders als Weldon, der keine eigene Persönlichkeit zu haben schien, verströmte Gavin Masterson schon allein durch sein Lächeln einen unglaublichen Charme. Außerdem sah er umwerfend gut aus. Ehrlich, er sah wie ein Filmstar aus – definitiv viel erwachsener als auf den Fotos an den Wänden.
Mir sank der Mut. »Ähm …«
»Schon okay. Ich verrate es niemandem.« Er grinste und richtete den Blick auf Weldon. »Ehrlich gesagt hat er es verdient.«
»Dennoch, das war … unpassend«, stotterte ich. »Ich wollte nur …«
»Ich finde, es war großartig. Wir brauchen hier mehr Leute, die sagen, wie es ist, damit der Bezug zur Wirklichkeit in diesem Haus nicht ganz verloren geht.«
Okay. »Mal ernsthaft, wie konntest du das überhaupt hören?«, fragte ich. »Ich habe geflüstert. Ich könnte nicht mal mit Sicherheit behaupten, dass ich gesprochen habe.«
Er deutete auf sein Ohr. »Man hat mir gesagt, ich hätte ein sehr gutes Gehör.« Er streckte mir die Hand entgegen. »Gavin.«
Ich nahm sie. »Ich weiß.«
Seine Hand war viel größer als meine. Seine langen männlichen Finger fühlten sich warm und elektrisierend an.
»Nett dich kennenzulernen, Raven.«
Ich hatte ihm meinen Namen nicht gesagt.
Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Du weißt, wer ich bin …«
»Natürlich weiß ich das. Deine Mutter redet die ganze Zeit von dir. Ich wusste, dass du jetzt hier arbeitest. Ich habe nach dir gesucht … um dich zu begrüßen. Obwohl ich dich eben beinahe Chiquita genannt hätte.«
»Chiquita?«
Ich zuckte zusammen, als er die Hand ausstreckte und einen kleinen Aufkleber von meinem T-Shirt abzog. Bei der leichten Berührung bekam ich eine Gänsehaut. Er legte ihn sich auf den Handrücken. Chiquita. Ein Aufkleber für Chiquita-Bananen. Er musste von dem Bananenbündel abgefallen sein, das ich gekauft hatte.
Mein Gesicht fühlte sich heiß an. »Oh.« Garantiert war ich rot angelaufen.
Ich sah wieder hoch. Gavins Haar war dunkler als Weldons – mittelbraun, vorne etwas länger und zerzaust. Er sah wie eine jüngere Ausgabe seines Dads aus. Gavin war genau mein Typ. Groß, ausdrucksstarke Augen und ein Mörderlächeln, das etwas Schalkhaftes hatte. Er trug eine Lederjacke, was seine mysteriöse Anziehungskraft noch verstärkte.
»Hast du nicht mitbekommen, dass wir hier 32 Grad haben? Du bist angezogen, als wärst du noch in London. Mir wird schon heiß, wenn ich dich nur anschaue.«
Okay, das klang nicht gut.
»Soso.«
Ihm ist es auch aufgefallen. Klasse.
»Nun …«, sagte er. »Ich bin gerade vom klimatisierten Auto direkt ins klimatisierte Haus gekommen, ich habe die Hitze noch gar nicht so bemerkt. Allerdings ist mir durchaus bewusst, dass es draußen brütend heiß ist.« Er zog die Jacke aus. »Aber wenn dir allein bei meinem Anblick heiß wird, ziehe ich sie eben aus.« Er zog sich das T-Shirt über den Kopf und entblößte seine muskulöse Brust. »Besser so?«
Ich schluckte kräftig. »Ja.«
Er verschränkte die gebräunten Arme vor der Brust. »Wo gehst du noch mal zur Schule?«
Ich richtete den Blick wieder auf sein Gesicht. »Ich pausiere gerade. Ich bin in West Palm auf die Forest Hill Highschool gegangen. Im Herbst will ich ein paar College-Kurse belegen.«
»Verstehe.«
»Ich hoffe, nach zwei Jahren mit den Scheinen auf eine größere Universität wechseln zu können«, fügte ich hinzu.
»Cool. Und welches Fach willst du studieren?«
»Krankenpflege. Und du? Hast du nicht gerade deinen Abschluss gemacht?«
»Ja. Meinen Bachelor in Rechtswissenschaften«, erwiderte er.
»Dann studierst du ab Herbst also Jura?«
Er nickte. »Yale.«
Ich hustete und versuchte, einen gleichgültigen Eindruck zu machen. »Keine schlechte Wahl.«
»Harvard hat mich nicht genommen, also muss es reichen.« Er verdrehte die Augen – nicht angeberisch, eher selbstironisch.
»Genau. Yale, echt ein Zugeständnis. Deine Eltern müssen sehr enttäuscht sein.«
Er kicherte und sah mich durchdringend an. Es war nur ein Blick, aber ich konnte ihn spüren.
Wir wurden von Weldon abgelenkt, der aufgestanden war und auf uns zukam. Unterwegs ließ er seine dreckige, Chili-verkrustete Schüssel am Rand der Spüle stehen.
Als er den Raum verlassen wollte, rief Gavin ihm hinterher: »Was tust du da?«
»Was meinst du?«, fragte Weldon.
Kann er also doch hören.
»Spül deine Schüssel aus und stell sie in die Spülmaschine.«
Also wenn ich Gavin nicht sowieso schon gemocht hätte …
Zum ersten Mal nahm Weldon mich zur Kenntnis. »Ist dafür nicht sie da?«
Ich zwang mich, den Mund zu halten, und schaute zwischen den beiden hin und her. Gavin brauchte nichts zu sagen. Sein eisiger Blick sprach Bände.
Erstaunlicherweise gehorchte Weldon, ohne noch einmal zu widersprechen. Es war klar, wer hier das Sagen hatte.
Nachdem Weldon beleidigt abgezogen war, sagte Gavin: »Der bildet sich ein, er wäre Prinz Harry.«
Ich kicherte. »Harry hätte sein dreckiges Geschirr bestimmt weggestellt, ohne dass man es ihm hätte sagen müssen.«
»Da hast du recht. Harry macht echt einen coolen Eindruck. Will ebenfalls.«
»Apropos Royals – ich stelle es mir ziemlich cool vor, in London zu leben.«
»Ja. Wenn einen die Eltern schon ins Internat stecken, gibt es schlechtere Orte. Nachdem ich dort auf die Highschool gegangen bin, wollte ich gar nicht mehr weg, deswegen habe ich erst mal in Oxford studiert. So hatte ich einen Grund, in England zu bleiben. Ich würde gern irgendwann wieder dort leben. Es wird mir fehlen. Es ist das genaue Gegenteil von Palm Beach, und das meine ich positiv. Da drüben ist es meistens bewölkt, aber die Leute sehen nicht alle wie geklont aus.«
»Da verkneife ich mir jetzt lieber jeglichen Kommentar.«
»Oh, es macht aber mehr Spaß, wenn du das nicht tust.« Seine Augen funkelten. »Ich mag es, wenn jemand ehrlich ist. Ich kann mir kaum vorstellen, was du dir manchmal denken musst, wenn du nach Hause gehst.«
»Gelegentlich vielleicht schon. Ich bin manchmal ein bisschen militant. Aber ich bin froh, dass ich hier arbeiten kann. Es ist der schönste Ort, den ich kenne. Auf jeden Fall besser als Einkäufe einpacken.« Ich deutete auf den Tisch. »Apropos Einkäufe … ich sollte allmählich mal alles wegräumen.«
Gavin blieb, während ich alles in Schränken und im Kühlschrank verstaute. Er versuchte, mir zu helfen. Mit einem Päckchen Vollkornmehl in der Hand öffnete er mehrere Schranktüren, um zu sehen, wo es hingehörte.
Ich kicherte. »Du hast keine Ahnung, wo alles hinkommt, oder?«
»Nicht die geringste.«
»Eine Eins für guten Willen.«
Wir lachten beide, als Ruth Masterson in die Küche kam. Ich ließ immer gehässige Musik in meinem Kopf ablaufen, wenn ich sie sah, so wie die in Der Zauberer von Oz, wenn die Böse Hexe des Westens auftaucht. Kurz gesagt: Sie war nicht sehr nett.
»Gavin, da bist du ja.« Sie musterte seine Brust. »Zieh dir bitte etwas an. Und wieso hast du das Mehl in der Hand?«
»Ich habe versucht zu helfen.« Gavin nahm sein T-Shirt vom Küchentresen und zog es sich über den Kopf. »Worum geht es, Mutter?«
Nach einem kurzen Seitenblick auf mich antworte sie: »Ich brauche dich oben. Ich habe für die Gala heute Abend einen Smoking kommen lassen. Du musst ihn anprobieren, falls wir noch etwas abändern müssen. Uns bleibt nicht viel Zeit.« Wieder musterte sie mich.
Wenn Blicke töten könnten …
»Ich komme gleich.«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Ich meinte jetzt.«
»Oh. Na gut, dann.« Mit genervtem Gesichtsausdruck drehte sich Gavin zu mir. »Dann bis demnächst mal, Raven.«
Ich nickte. Der Blick seiner Mutter machte mich so nervös, dass ich keinen Ton herausbrachte.
Nachdem Gavin die Küche verlassen hatte, blieb Ruth noch einen Moment stehen und starrte mich durchdringend an. Ihr Blick hatte etwas Angeekeltes. Sie sagte nichts, aber ich verstand die Botschaft auch so.
Halt dich ja von meinem Sohn fern.
Nachdem die Mastersons zu ihrer Wohltätigkeitsveranstaltung aufgebrochen waren, fuhren meine Mutter und ich so gegen acht über die Brücke nach Hause. Die Sonne ging gerade unter, und die Palmen in der Ferne schienen in der abendlichen Brise zu tanzen.
Mit Ausnahme einiger weniger Viertel direkt bei der Brücke, in der Nähe des Wassers, war West Palm Beach, wo ich wohnte, ein vor allem der Arbeiterklasse vorbehaltenes Wohngebiet – das Gegenstück zum wohlhabenden und protzigen Palm Beach. Die riesigen Villen wichen bald bescheidenen, einstöckigen verputzten Häusern.
Ich betrachtete gerade aus dem Fenster heraus eine Frau auf ihren Rollschuhen, als mich meine Mutter aus meinen Gedanken riss.
»Ich war so damit beschäftigt, alles für die Gala fertig zu machen, dass ich gar nicht mitbekommen habe, ob du die Jungs kennengelernt hast.«
»Habe ich. Nur kurz. Weldon ist ein Idiot.«
Meine Mutter lachte. »Ja. Manchmal schon. Und Gavin?«
Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden.
Was soll das? Krieg dich wieder ein, Raven. Da hast du nicht die geringste Chance.
»Gavin ist eigentlich ganz nett.«
Sie sah mich an. »Das ist alles? Ganz nett?«
»Er ist …« Ich beschloss, ehrlich zu sein. »Er ist liebenswert … und heiß.«
»Er ist tatsächlich ein sehr gut aussehender Mann. Weldon sieht auch gut aus, aber das nimmt man wegen seiner Persönlichkeit nicht so wahr. Gavin ist gut gelungen. Ich kenne die beiden von klein auf, und deine Einschätzung trifft es gut. Es ist faszinierend, wie Kinder nach dem jeweiligen Elternteil kommen. Gavin ist ganz Gunther, und Weldon … als hätte man Ruth geklont.«
Beim Gedanken an Ruth lief mir ein Schauder über den Rücken. »Sie ist echt ein Miststück. Was ist eigentlich mit dieser Diamanthalskette, die sie immer trägt? Als würde sie sie anlegen, sobald sie wach wird. Vorgestern trug sie sie schon, da war sie noch im Schlafanzug.«
»Harry Winston. Ruth stellt ihren Reichtum gern zur Schau. Mit der Halskette signalisiert sie, dass sie was Besseres ist als die anderen.«
»Sie ist so ein Snob. Und unhöflich.«
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Ich plage mich schon seit Jahren mit dieser Frau herum. Dass sie mir noch nicht gekündigt hat, liegt nur daran, dass Gunther es nicht zulässt.«
»Sie hat mitbekommen, dass ich mich mit Gavin unterhalten habe, und mir einen vernichtenden Blick zugeworfen.«
»Tja, glaub mir, wenn es nach ihr geht, wird sie dich nicht in seine Nähe lassen.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen.«
Als ich am nächsten Tag in die Villa kam, gab es jede Menge zu tun. Die Masterson-Jungs veranstalteten eine Poolparty. Klasse. Eine Schar hübscher blonder Mädchen mit winzigen Bikinis hing um den großen, in den Boden eingelassenen Pool herum. Erst dachte ich, Gavin wäre nicht da, aber dann merkte ich, dass er in einem Liegestuhl saß, verdeckt von einer Gruppe besagter Mädchen. Vor allem eins hing wie eine Klette an ihm.
Ich verspürte einen Stich und ärgerte mich über meine Eifersucht. Schlag dir das bloß schnell aus dem Kopf.
Es war schlimm genug, dass ich die Mädchen hatte reden hören, als sie sich vorhin im Badezimmer umgezogen hatten – unter anderem hatten sie über Gavins sexuelle Leistungsfähigkeit getratscht. Bis jetzt hatte ich es vermeiden können, nach draußen zu gehen.
Dann stand auf einmal meine Mutter da und sagte: »Raven, bring ihnen diese frischen Handtücher und frag, ob sie irgendwas trinken oder essen wollen, entweder von hier oder von woanders.«
Mist.
Widerwillig ging ich zu ihnen hinaus. Die Sonne prügelte auf mich ein, Wasser aus dem Pool schwappte mir über die Füße, meine Schuhe wurden nass. Ich versuchte, die Handtücher einfach auf einen leeren Liegestuhl zu legen, damit ich wieder ins Haus flüchten konnte, aber dann fiel mir wieder ein, dass ich fragen sollte, ob irgendjemand etwas wollte.
Mit rauer Stimme rief ich: »Braucht irgendjemand irgendwas?« Meine Stimme klang höher als sonst und entlarvte meine verlogene Freundlichkeit.
Ich hatte gehofft, niemand würde mich hören, aber ganz im Gegenteil. Alle riefen ihre Wünsche durcheinander – von Starbuckslieferungen bis zu Sandwichbestellungen. Es ließ sich unmöglich alles behalten.
Schließlich tauchte Gavin aus dem ihn umgebenden Harem auf. »Halt mal. Sie ist doch allein. Einigt euch auf nur ein Restaurant.« Als sich niemand entscheiden zu können schien, sagte er: »Na gut, dann entscheide ich: Starbucks.« Er reichte dem Mädchen, das ihm am nächsten stand, sein Handy. »Tipp ein, was du willst, und gib es weiter.«
Nachdem alle ihre Bestellungen eingegeben hatten, nahm Gavin das Telefon wieder an sich.
Dann zog er ein T-Shirt an und nickte. »Fahren wir.«
»Du kommst mit?«, fragte ich und ging ihm hinterher.
»Ja. Du solltest nicht den ganzen Mist für sie tragen müssen. Du arbeitest für meine Eltern, nicht für sie.«
Gavin ging mit mir zu einem glänzenden schwarzen Mercedes, der vor der Villa geparkt war. Ich erledigte Besorgungen in der Regel mit dem alten Toyota Camry meiner Mutter. In einem derart schicken Auto wie Gavins hatte ich noch nie gesessen. Er stellte die Alarmanlage ab, und wir stiegen ein. Das Leder drückte heiß gegen meine Haut, und das Innere roch nach Gavins Fichtennadel-Rasierwasser – berauschend und erregend. Es fühlte sich irgendwie gefährlich an, mit ihm hier drin zu sein.
»Du hättest nicht mitzukommen brauchen«, sagte ich. »Ich hätte das auch allein hingekriegt.«
Er schnallte sich an. »Ich brauchte eine Pause.«
Dann ließ er den Wagen an und fuhr los – schneller, als ich erwartet hatte.
»Auf mich hast du nicht gerade unglücklich gewirkt«, erwiderte ich.
Er sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Wie kommst du darauf?«
»Nun, du hattest einen Harem hübscher Mädchen um dich herum. Welchem Mann würde das nicht gefallen?«
»Ein reicher Arsch zu sein, hat seine Vorteile, aber nicht immer ist es so, wie es aussieht.«
»Ach wirklich?«
»Ich nenne dir ein Beispiel. Hast du das blonde Mädchen neben mir gesehen?«
Ich lachte. »Du musst dich genauer ausdrücken. Die sehen alle gleich aus.«
»Da hast du vermutlich recht. Ich meine die mit dem grünen Bikini, die die ganze Zeit an mir dranhing.«
»Oh … ja.«
»Das ist meine Exfreundin aus der Highschool.«
»Okay …«
»Und erinnerst du dich an den Typen mit der orangefarbenen Badehose?«
»Ja?«
»Das ist mein ehemals bester Freund, mit ihm ist sie zurzeit liiert. Du kannst bestimmt eins und eins zusammenzählen.«
»Sie hat dich mit ihm betrogen?«
»Nicht direkt. Wir haben uns nach meiner Abreise nach London getrennt. Bevor meine Mutter beschloss, Internat wäre die bessere Lösung, bin ich hier auf die Highschool gegangen. Als ich im ersten Sommer nach Hause kam, waren die beiden zusammen.«
»Wie krass. Und jetzt flirtet sie mit dir, wenn er dabei ist. Wie blöd ist das denn.«
Er lachte. »Von wem, ihr oder ihm?«
»Beiden.«
»Du hast ein freches Mundwerk, Raven. Ich mag Mädchen, die sich nicht scheuen, ihre Meinung zu sagen.«
»Das ist mir so rausgerutscht. Die haben sich gegenseitig verdient. Wieso lädst du sie überhaupt ein?«
»Es macht mir nichts mehr aus. Das scheint alles schon ewig zurückzuliegen. Ich habe mich anderen Dingen zugewandt. Das sind einfach Leute, mit denen ich aufgewachsen bin. Wir kennen uns seit unserer Kindheit, und irgendwie werde ich sie nicht los. Sie wohnen alle in der Nähe und kommen einfach uneingeladen vorbei.«
»Was ist mit den anderen Mädchen? Bist du mit einer von denen zusammen?«
Er zögerte. »Mit zweien von ihnen hatte ich schon mal was.«
Ich konnte mir nicht verkneifen zu sagen: »Offenbar gleichzeitig.«
»Wieso sagst du das?«
»Als sich deine Freundinnen heute Morgen umgezogen haben, habe ich ein interessantes Gespräch mitgehört. Sie haben ihre Erfahrungen verglichen und eventuell einen gewissen Dreier erwähnt.«
Sie haben auch erwähnt, wie riesig deiner ist.
Er verdrehte die Augen. »Klasse.«
Seine Ohren röteten sich leicht. Ich fand das interessant, weil er mir nicht der Typ zu sein schien, der sich wegen so etwas schämte. Aber offenbar tat er das doch.
»Das war nur ein einziges Mal. Es war dumm. Ich hatte ein bisschen zu viel getrunken und …«
»Ja. Du brauchst das nicht zu erklären.«
»Wie auch immer, im Moment bin ich mit keiner von ihnen zusammen. Das liegt schon lange zurück. Trotzdem wäre es nett, wenn sie im Haus meiner Eltern, wo man sie hören kann, nicht darüber reden würden.« Er schien tatsächlich verärgert.
»Glaub mir, Mädchen sind schlimmer als Jungs«, erwiderte ich.
»Oh, da habe ich keine Zweifel. Vor allem nicht bei diesen Mädchen.«
Wir fuhren vor dem Drive-thru vor. »Was möchtest du?«, fragte er.
Überrascht schüttelte ich den Kopf. »Oh … das sollte ich nicht.«
»Was möchtest du?«, wiederholte er.
»Einen großen heißen Karamell-Macchiato.«
»Einen großen heißen Karamell-Macchiato und einen dreifachen Espresso auf Eis bitte«, sagte er in die Gegensprechanlage.
»Sonst noch etwas?«, fragte die Frau.
»Nein, danke.«
»Was ist mit den Getränken für die anderen?«
»Die können warten. Lass uns unsere erst in Ruhe trinken.«
Was? Allmählich wurde dieser Ausflug interessant.
Beim nächsten Fenster bekam Gavin die Getränke. Er reichte mir meins, fuhr weiter auf den Parkplatz, blieb an einer schattigen Stelle stehen und stellte die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
Ich trank den ersten Schluck von meinem heißen, schaumigen Getränk. »Danke.«
Er lehnte den Kopf an den Sitz. »Ah … das tut gut.«
»Macht es dir nichts aus, deine Freunde einfach so allein zu lassen?«
»Überhaupt nichts. Wenn sie ihren Kaffee so dringend brauchen, können sie in die Küche gehen und sich welchen kochen.«
Ich kicherte. »Wie kommt es, dass du so anders bist als dein Bruder?«
»Oh. Nach allem, was ich gehört habe, hat ihn das Kindermädchen fallen lassen, als er ein Baby war.«
»Echt?«
»Nein. Ich mache nur Spaß.«
»Ich hätte es dir glatt geglaubt.« Seufzend sah ich auf meine Tasse hinunter. »Nun, dies ist eine nette und unerwartete Pause. Aber deine Mutter würde garantiert ausflippen, wenn sie wüsste, dass du mit mir hier bist.«
»Sie braucht es ja nicht zu wissen.«
Er versuchte gar nicht erst herunterzuspielen, wie sie reagieren würde: verärgert.
»Ja, ich wäre mit ziemlicher Sicherheit geliefert.«
Er runzelte die Stirn und wechselte das Thema. »Was machst du sonst so noch gern, Raven?
Über die Antwort brauchte ich nicht lange nachzudenken. »Jiu-Jitsu.«
Er sah mich verblüfft an. »Das gibt es doch nicht. Heißt das, du könntest mich auf die Matte werfen?«
»Vielleicht. Bring mich lieber nicht dazu, es zu wollen, dann musst du es auch nie rausfinden.«
»Verdammt. Erzähl mir mehr. Wie bist du dazu gekommen?«
»Vor ein paar Jahren bin ich zufällig an dem Studio vorbeigekommen. Durch das Fenster konnte ich sehen, wie jemand einen anderen auf den Boden drückte, und da habe ich mir gedacht, das könnte vielleicht Spaß machen. Also habe ich mich angemeldet, und der Rest ist Geschichte.«
Zurzeit steckte ich viel von dem Geld, das ich verdiente, in Martial-Arts-Kurse.
»Machst du das zur Selbstverteidigung?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Fälschlicherweise glauben die Leute immer, Mädchen würden das nur zur Selbstverteidigung lernen. Ich meine, das ist natürlich ein Vorteil. Ich lebe nicht im besten Viertel, und es ist gut zu wissen, dass ich mich verteidigen kann, falls es hart auf hart kommt. Aber das ist nicht der eigentliche Grund. Es macht einfach Spaß. Es ist faszinierend, was der Körper alles kann, zum Beispiel jemanden mit den Beinen würgen.«
»Verdammt. Erinnere mich daran, dass ich mich nie mit dir anlege. Ich will dich nicht beleidigen, aber du bist doch winzig. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass du mich auf die Matte legen könntest.«
»Das ist das Gute an Jiu-Jitsu. Man muss nicht groß sein, um es zur Meisterschaft zu bringen. Ich kann Leute auf die Matte schicken, die fast doppelt so viel wiegen wie ich.«
Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Verdammt. Ist es merkwürdig, dass mir die Vorstellung gefällt, du würdest das an mir ausprobieren?«
Ein Bild huschte durch meinen Kopf, wie ich ihn nach unten drückte und mich auf ihn setzte. Keine Ahnung, wieso seine Hand in dieser Fantasie um meinen Hals lag.
Ich spürte, wie ich rot wurde, und schluckte. »Und du? Was treibst du sonst so?«
»Vermutlich kann ich das nicht übertreffen.«
»Machst du irgendeinen Sport?«
»Fechten und Lacrosse.«
»Fechten gehört doch auch zu den Martial Arts, oder?«, fragte ich.
»Das ist umstritten. In gewisser Weise schon – Treffsicherheit, Deckung, Antäuschen. Aber gleichzeitig ist es eine Sportart. Im Wesentlichen geht es darum, nicht getroffen zu werden. Es ist eine gute Methode, um meinen Frust mit Weldon loszuwerden.«
»Wow, ja.« Ich lachte. »Was machst du sonst noch so in London?«
»Ich mag Impro-Theater.«
»Ist das das, wo sich Leute während des Auftritts Sachen ausdenken?«
»Ja, genau.«
»Du schaust dir das an?«
»Nein, ich mache es selbst. Ich trete gern auf.«
»Echt? Das ist ja unglaublich cool. Wo?«
»Es gibt da einen Club in der Nähe der Uni. Ich konnte die Typen, die ihn betreiben, überzeugen, mich mitmachen zu lassen, obwohl ich der Jüngste war.«
»Das muss doch wahnsinnig schwierig sein, sich aus dem Stegreif etwas einfallen zu lassen.«
»Ja, aber das macht es auch unglaublich spannend. Du wärst überrascht, zu was das Gehirn unter Druck fähig ist. Und man kann eigentlich nichts verkehrt machen, denn wenn man es vergeigt, ist es sogar noch witziger.«
»Wissen deine Eltern, dass du das machst?«
»Ich habe es ein- oder zweimal erwähnt. Mein Vater fand es toll. Meine Mutter hat nicht genügend Humor, um es schätzen zu können.«
»Ja. Das kann ich mir vorstellen.«
Da wir gerade von seiner Mutter sprachen … So gern ich auch mit ihm hiergeblieben wäre, wurde ich doch ein bisschen nervös, weil ich so lange von meiner Arbeit im Haus wegblieb. Meine Mutter würde sich ebenfalls fragen, wo ich steckte. Ich hatte immer Angst, dass sie wegen mir Ärger bekommen könnte.
Dennoch redeten wir noch ein bisschen länger in seinem Wagen, doch dann schaute ich auf mein Telefon hinunter und sagte: »Wir sollten vermutlich fahren.«
»Müssen wir? Ich würde viel lieber hier sitzen bleiben und mich mit dir unterhalten. Es fühlt sich gut an, mal ein richtiges Gespräch zu führen, statt sich anhören zu müssen, wie alt man sein muss, um an Botox zu kommen, oder wo man sich auf der Insel am besten die Nägel machen lassen kann.« Er seufzte. »Aber vermutlich sollte ich dich wirklich zurückbringen, damit du keinen Ärger bekommst.«
Gavin ließ den Wagen an und fuhr wieder zurück zum Drive-thru, um die große Getränkebestellung für seine Freunde aufzugeben. Während er in die Sprechanlage sprach, nutzte ich die Gelegenheit, ihn bewundernd zu mustern. Seine großen, geäderten Hände am Lenkrad. Die klobige Armbanduhr an seinem Handgelenk. Sein dichtes Haar, vom Wind zerzaust, weil er den ganzen Tag draußen war. Er sah bereits brauner aus als am Vortag, nach nur einem Nachmittag in der Sonne.
Er hatte ein richtig schönes Gesicht. Vielleicht ist das ein merkwürdiger Begriff für einen Mann, aber das Wort passte einfach für jemanden, dessen Wimpern länger waren als die der meisten Frauen und der perfekte volle Lippen hatte, die ich nur zu gern wenigstens einmal auf meinen gespürt hätte.
Plötzlich drehte er sich zu mir, und ich wandte den Blick rasch ab, weil ich fürchtete, beim Anstarren erwischt zu werden. Aber er reichte mir nur zwei Tabletts, die ich während der Fahrt zurück zum Haus halten sollte. Ein drittes stellte ich zwischen meine Füße. Als er losraste, schlugen die Eiswürfel in den Bechern aneinander.
Wir fuhren an all den schicken Läden auf der Worth Avenue vorbei – Läden, wo die einzelnen Stücke im Fenster mehr kosteten als mein Jahresgehalt – und bogen schließlich in die Seitenstraße ein, die zum Grundstück der Mastersons führte.
Als ich ausstieg, fiel die Hitze über mich her – ein deutlicher Kontrast zu der heruntergekühlten Luft in Gavins Auto.
Rund um den Swimmingpool redeten seine Freunde noch immer alle durcheinander. Jetzt saß eins der Mädchen auf Weldons Schoß. In Gavins Abwesenheit hatte sie sich offenbar mit dem Zweitbesten begnügt. Weldon schien das nicht im Geringsten zu stören.
»Wieso hast du so lange gebraucht?«, fragte das Mädchen im grünen Bikini.
Igitt. Seine Exfreundin. Ich hasse sie.
»Ewig lange Schlange.« Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu, von dem ich eine Gänsehaut bekam.
Den Rest des Nachmittags arbeitete ich drinnen, warf aber immer wieder einen Blick nach draußen. Jedes Mal wenn ich sah, wie die Mädchen ihn umschwärmten, wurde mir übel.
Irgendwann riss sich Gavin von der Meute los, zog sein T-Shirt aus und machte einen perfekten Kopfsprung in den Pool. Das hätte ich mir wieder und wieder anschauen können. Ich tat so, als würde ich die Terrassentürfenster zum Hof putzen, nur um ihm zuschauen zu können.
Als Gavin schließlich aus dem Pool stieg und sein nasses Haar nach hinten strich, schien er sich wie in Zeitlupe zu bewegen, und ich bewunderte das Spiel der Muskeln an seinem Oberkörper.
Als könnte er spüren, dass ich ihn bewunderte, sah er in meine Richtung. Ich drehte mich weg und tat so, als würde ich ganz im Putzen aufgehen.
Kurz darauf schaute ich wieder zu ihm hin und sah, dass er mich noch immer anstarrte. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde.
Er kam zur Terrassentür, presste die Nase gegen das Glas und schielte. Ich konnte mich vor Lachen kaum halten, sprühte ein bisschen Windex auf die Scheibe und verwischte es mit kreisförmigen Bewegungen auf Höhe seines Gesichts. Er strahlte mich an, sein Atem ließ das Glas beschlagen.
Vielleicht war das der Moment, wo mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich geliefert war.
An jenem Abend musste meine Mutter lange arbeiten. Ruth brauchte sie, damit sie das Essen für ein paar Freunde auftrug, die sie eingeladen hatte. Deshalb setzte mich Mom zu Hause ab und fuhr gleich zur Villa zurück.
Da meine Mutter zum Abendessen nicht zu Hause sein würde, kam meine Freundin Marni mit Essen vom Mexikaner zu mir. Wir waren seit unserer Kindheit miteinander befreundet. Wir waren in derselben Straße aufgewachsen und hatten viel gemeinsam. Beide waren wir Einzelkinder alleinerziehender Mütter, die in Palm Beach im Dienstleistungssektor tätig waren. Marnis Mutter, June, arbeitete bei einem Catering-Service.
»Wie läuft’s bei deinem neuen Job?«, fragte Marni und schob sich ein Taco in den Mund.
Ich machte die Folie von meinem Burrito ab. »Es macht mehr Spaß, als ich gedacht hätte.«
»Alle Achtung. Ich würde es nicht ertragen, den ganzen Tag nach der Pfeife eines Haufens unhöflicher reicher Leute zu tanzen. Echt, ich arbeite lieber in der Mall.«
»Nicht alle reichen Leute sind Arschlöcher«, widersprach ich.
»Meine Mutter hat jahrelang in Palm Beach gearbeitet, und glaub mir, ich habe genügend Geschichten gehört, um zu diesem Ergebnis zu kommen.«
»Na ja, sie sind nicht alle schlecht.« Ich hatte das Gefühl, ich wäre vielleicht rot geworden.
Sie kniff die Augen zusammen und musterte mein Gesicht. »Du verschweigst mir was.«
»Wie kommst du darauf?«
»Du hast da diesen Ausdruck im Gesicht … den, den du immer hast, wenn du mir was verschweigst.«
Ich fuhr mir mit der Hand über den Mund. »Der älteste Sohn der Mastersons sieht echt gut aus … und nett ist er auch.«
Sie stieß einen tiefen, übertriebenen Seufzer aus. »Wenn du dich in Gavin verliebst, tust du mir leid.«
Allein bei der Erwähnung seines Namens fing mein Herz an zu rasen.
»Du kennst Gavin? Das wusste ich gar nicht.«
»Meine Mom hat bei ein paar Partys bei ihnen im Haus gearbeitet, also ja. Sie hat auch schon vorher von dieser Familie erzählt. Die Service-Mitarbeiter – die kennen sich alle. Sie tauschen Geschichten aus und vergleichen, in welchen Häusern es sich am angenehmsten arbeiten lässt, wer der nervigste Chef ist, solche Sachen.«
»Und, was hat sie über Gavin gesagt?«
Ich schluckte. Himmel, wurde ich tatsächlich nervös?
»Über ihn speziell nichts, aber offenbar hat die Mutter – Ruth – die Vorstellung, dass die Söhne eines Tages die Rechtsanwaltskanzlei ihres Vaters übernehmen werden, dass sie nach dem Ende des Studiums auf die Insel zurückkommen, sich auf der Insel niederlassen und eine der Berühmten Fünf heiraten.«
Es kam mir vor, als würde sie eine Fremdsprache sprechen. »Die Berühmten Fünf?«
»Es gibt fünf Familien mit Töchtern, die genauso reich wie die Mastersons sind: die Chancellors, die Wentworths, die Phillipsons, die McCarthys und die Spillaines. Offenbar schreckt Ruth vor nichts zurück, um zu erreichen, dass ihre Söhne mit einer dieser Töchter zusammenkommen.« Sie verdrehte die Augen. »Da möge Gott vor sein, dass der Stammbaum ruiniert wird.«
»Woher hast du diese Informationen?«
»Wie ich schon sagte, Mama hat bei einigen ihrer Partys gearbeitet. Alle diese Frauen betrinken sich und plaudern ihre Geheimnisse aus. Die merken gar nicht, dass die Angestellten zuhören. Ruth hat offenbar ein größeres Problem mit Wodka.«
»Also nüchtern ist sie eine Schreckschraube. Wie sie im besoffenen Zustand ist, mag ich mir gar nicht ausmalen.« Ich seufzte. »Okay, wieso erzählst du mir das alles?«
»Um dich zu warnen. Sei vorsichtig. Ich habe gesehen, wie du geschaut hast, als du ihn erwähnt hast – völlig verzückt und weggetreten. Er ist sicher hinreißend und gut aussehend, aber da kann mit Sicherheit nichts draus werden, ohne dass du verletzt wirst. Ich will nicht, dass das passiert.«
Sie erzählte mir nichts, was ich nicht tief im Inneren bereits selbst gewusst hätte. Gavin lag weit außerhalb meiner Liga. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mich diese Dosis Realität enttäuschte.
»Übertreibst du da nicht ein bisschen?«, fragte ich. »Ich habe ihn erst zweimal gesehen.«
»Ja, ich weiß. Ich denke nur voraus.«
»Nun, du denkst zu viel. Ich kann doch sagen, dass jemand nett ist, ohne dass das mehr zu bedeuten hat.«
»Willst du etwa behaupten, dass du nichts mit Gavin anfangen würdest, wenn sich die Gelegenheit bieten würde?«
»Mir ist klar, dass er und ich aus unterschiedlichen Welten kommen und dass es zu nichts führen wird, wenn ich ihn anziehend finde. Ob ich etwas mit ihm anfangen würde, wenn sich die Gelegenheit ergäbe, ist rein hypothetisch.«
Sie zerknüllte das Einwickelpapier ihres Tacos. »Lass mich dir etwas über die Reichen und Mächtigen erzählen, Raven. Die vergnügen sich eine Zeit lang mit dir, und dann lassen sie dich fallen. Ich glaube sofort, dass du Gavin gefällst. Eine natürliche Schönheit wie dich hat er auf der Insel garantiert noch nie gesehen. Es ist Sommer. Er langweilt sich. Bestimmt ist es reizvoll, mit jemandem wie dir zu flirten – und ein echt netter Machtrausch. Und seiner Mutter gefällt es nicht? Vermutlich ein zusätzlicher Bonus. Aber letztendlich ist die Zukunft von Menschen, die aufwachsen wie Gavin, vorgezeichnet. Und in dieser Zukunft kommen Menschen von der anderen Seite der Brücke nicht vor.«
Was sie sagte, deprimierte mich. »Himmel. Ich hätte gar nicht erst davon anfangen sollen.«
»Oh doch. Ich bin froh, dass du es getan hast. Du kannst dich nämlich immer darauf verlassen, dass ich dir den Kopf zurechtrücke.«
»Wo warst du denn nun wirklich heute mit Raven, dass ihr so lange gebraucht habt, bis ihr mit unseren Getränken wieder da wart?«
Verdammt. Echt?
Weldon war ein Eins-A-Arschloch. Wenn ihn das wirklich interessiert, hätte er mich schon früher fragen können. Stattdessen hatte er damit bis zum Abendessen gewartet, damit er miterleben konnte, wie meine Mutter explodierte, als handele es sich um einen Publikumssport. Weldon liebte es, Ärger zu machen.
»Wie bitte?«, fragte meine Mutter, und die Vene an ihrem Hals trat hervor.
»Er redet nur Scheiße«, erwiderte ich.
Sie kniff die Augen zusammen. »So etwas sagt man nicht.«
Weldon lachte und brachte mich noch mehr in Schwierigkeiten. »Ich rede nur Scheiße? Stimmt es oder stimmt es nicht, dass du fast eineinhalb Stunden mit ihr weg warst, obwohl Starbucks gleich um die Ecke ist?«
»Was war da los?«, fragte meine Mutter, deren Gesicht rot angelaufen war.
»Raven kam heute Nachmittag in den Poolbereich und fragte, ob wir irgendwas wollten. Alle wollten was von Starbucks, und es war so viel, dass sie es gar nicht allein hätte tragen können, deshalb bin ich mitgefahren. So einfach ist das.«
»Er ist sofort darauf angesprungen«, sagte Weldon, der einfach keine Ruhe geben konnte. »Ich sehe nie, dass du Fred begleitest, wenn er ganze Berge aus der Reinigung holt. Wieso war das diesmal was anderes?«
Ich suchte verzweifelt nach einer Antwort. »Fred arbeitet für uns. Niemand arbeitet für die Holzköpfe, die hierherkommen, um am Pool rumzuhängen. Ich wollte ihr helfen.«
Das war kompletter Schwachsinn, aber ich hoffte, dass meine Mutter ihn mir abnahm. Es gab nur einen einzigen Grund, warum ich mit Raven die Getränke hatte holen wollen: Seit ich sie kennengelernt hatte, konnte ich den Blick nicht mehr von ihr abwenden. Sie sah umwerfend aus mit ihrer glatten Haut, dem wilden schwarzen Haar und den bemerkenswerten grünen Augen. Aber vor allem ihre bodenständige Persönlichkeit war wie eine Brise frischer Luft. Ich fühlte mich auf jeder erdenklichen Ebene zu ihr hingezogen. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ein Mädchen zuletzt derart meine Aufmerksamkeit erregt hätte.
Weldon lachte. »Natürlich, das hat überhaupt nichts zu tun mit ihrem hübschen Paar …«
»Weldon!«, rief mein Vater.
Weldon kicherte. »Tut mir leid. Ich sage nur, wie es ist.«
»Was spricht eigentlich gegen Raven?«, wandte mein Vater sich jetzt an meine Mutter.
Eins musste ich meinem Dad lassen: Er wusste genau, dass das eine heikle Frage war. Das Gesicht meiner Mutter verhärtete sich, und ich ahnte, dass sie im Kopf gerade ihre Munition zusammenstellte.
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. »Das ist jetzt nicht dein Ernst.«
Und schon geht es los.
»Stell noch einmal eine derart dämliche Frage, Gunther, und du schläfst auf der Couch.«
»Das Mädchen ist fleißig und respektvoll, genau wie seine Mutter, die bereits seit über einem Jahrzehnt für diese Familie arbeitet«, widersprach mein Vater, lauter jetzt.
»Es spricht nichts gegen sie«, erwiderte meine Mutter. »Sie kann gern hier arbeiten, solange sie nicht auf dumme Ideen in Bezug auf unseren Sohn kommt.«
»Ich war derjenige, der ihr angeboten hat, ihr beim Kaffeeholen zu helfen«, warf ich ein. »Ich habe ihr keine Wahl gelassen, nicht sie ist auf dumme Ideen gekommen.«
Meine Mutter richtete den Blick auf mich. »Dann lass es mich anders formulieren: Komm du nicht auf dumme Ideen, irgendetwas mit diesem Mädchen anzufangen. Glaub nicht, ich hätte nicht bemerkt, wie du an dem Tag, als du aus London zurückgekommen bist, bei ihr in der Küche herumgestanden bist, noch dazu mit nacktem Oberkörper.«
»Dann darf ich also nicht nett zu unseren Angestellten sein?«
»Ich glaube, wir beenden dieses Gespräch jetzt«, sagte mein Vater besänftigend. »Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, Ruth. Jetzt esst, bevor alles kalt wird.«
Mehrere Sekunden herrschte Schweigen. Meine Mutter schob den Lachs auf ihrem Teller hin und her. Dad warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Weldon grinste mich hämisch an, und ich musste mich beherrschen, ihn nicht von seinem Stuhl zu zerren und ihn mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen.
Schließlich legte meine Mutter ihre Gabel hin. »Ich sage nur noch eins.« Sie deutete mit ihrem perfekt manikürten Finger auf mich. »Dir mag nicht klar sein, wie leicht dein Leben von einer einzigen dummen Entscheidung ruiniert werden kann, Gavin. Mit einundzwanzig weiß man nicht, was gut für einen ist. Man denkt mit etwas anderem, nicht mit dem Kopf. Ich war auch mal jung und weiß, wie töricht man in deinem Alter ist. Wenn du etwas tust, womit du ruinierst, was dein Vater und ich so mühsam für dich aufgebaut haben, dann, das versichere ich dir, kann ich dir das Leben sehr viel schwerer machen. Du wirst dir dein Studium selbst finanzieren müssen. Hast du verstanden?«
Das ganze Gespräch war lächerlich. Ich hatte überhaupt nichts mit Raven angestellt – außer dass ich mit ihr so gut geredet hatte wie schon lange mit niemandem mehr. Meine Mutter ging wirklich zu weit. Es machte mich wütend, dass sie mir dauernd mit Geldentzug drohte.
Oft wünschte ich mir, ich wäre bettelarm, damit ich mir diesen Mist nicht anhören müsste. Ihre Drohungen machten mir nicht wirklich Angst. Angst machte mir eher, dass sie andere wegen dem, was ich tat, leiden ließ. Ja, ich mochte Raven – sehr sogar. Ich hätte sie sofort um ein Date gebeten, hätte ich nicht gefürchtet, dass meine Mutter ihr dann das Leben zur Hölle machen würde.
Ich musste mich um Ravens willen von ihr fernhalten. Das würde ein langer Sommer werden.
So bescheuert es auch war, gab ich mir in den nächsten Tagen doch alle Mühe, Raven aus dem Weg zu gehen. Ich wollte nicht, dass sie Ärger bekam, und ich wusste, dass meine Mutter sie – und mich – mit Argusaugen beobachtete.
Meine Entschlossenheit geriet ins Wanken, als meine Mutter eines Mittags zu einem Wohltätigkeitsessen in den Club fuhr. Sie würde mindestens ein paar Stunden fort sein. Ich sagte mir, dass ich, sollte Raven mir in dieser Zeit über den Weg laufen, ein paar Worte mit ihr wechseln würde. Schließlich hatte ich sie, nachdem ich erst so freundlich gewesen war, komplett ignoriert. Ich wollte nicht, dass sie es persönlich nahm – auch wenn sie mir nicht den Eindruck machte, als sei sie der Typ Mädchen, der deswegen schmollen würde.
Aber natürlich konnte ich Raven jetzt, wo Mutter aus dem Haus war, nirgendwo entdecken. Als ich schließlich nach draußen ging, um mir einen Kaffee zu holen, sah ich sie zufällig auf dem Rasen, wo sie in der Erde herumgrub.
Ach du Scheiße.
Ihr Hintern sah gut aus in dieser engen weißen Uniformhose.
War sie den ganzen Tag hier draußen gewesen? Kein Wunder, dass ich sie nicht gesehen hatte.
Sie hatte Ohrstöpsel in den Ohren und bewegte – auf allen vieren – den Hintern zur Musik hin und her.
Verdammt.
Verdammt.
Verdammt.
Ihr Hintern war klein, aber perfekt gerundet. So wie er hin und her wackelte, war mir gleich danach, es ihr nachzutun. Ich hatte das Gefühl, dass ich von diesem Hintern später noch in der Dusche träumen würde.
Schließlich ging ich zu ihr hin und klopfte ihr auf die Schulter. »He …«
Überrascht sprang sie auf und nahm ihre Ohrstöpsel heraus. »Oh … he.«
»Was hörst du da?«
»I Will Survive – die Version von Cake.«
Das gibt’s doch nicht. »Das Lied liebe ich«, erwiderte ich.
Sie nistete sich noch ein bisschen mehr in meinem Herzen ein, als sie hinzufügte: »Ich habe mir das ganze Fashion-Nugget-Album heruntergeladen.«
»Du magst Alternative Rock?«
»Ja.«
Natürlich. Sie muss noch großartiger sein, als ich dachte.
»Ich auch.«
Ich hoffte noch immer, irgendetwas würde mich abschrecken, damit ich dieses Mädchen aus dem Kopf bekam.
»Was treibst du eigentlich hier draußen?«
Das war eine dumme Frage, schließlich war nicht zu übersehen, dass sie Blumen pflanzte.
»Gärtnern.«
»Ich weiß. Ich bin nur überrascht.«
»Wieso ist das ein Schock?«
»Immerhin haben wir einen Gärtner.«
»Der ist offenbar krank. Deshalb hat mich meine Mutter gebeten auszuhelfen.«
»Oh. Vermutlich bin ich Mädchen nicht gewohnt, die keine Angst haben, sich dreckig zu machen. Aber weißt du was? Jetzt, wo du es erwähnst, sollte mich das eigentlich nicht überraschen.«
»Wenn man ohne Mann im Haus aufwächst, lernt man, so ziemlich alles selbst zu machen, sowohl im Haus als auch draußen. Mir macht es nichts aus, dreckig zu werden.«
Ihr Gesicht verfärbte sich rosa. Ich hätte nicht sagen können, ob ihr letzter Satz eine Anspielung war oder nicht. Ich wollte gern glauben, dass es eine war.
»Was ist mit deinem Dad passiert?« Die Hände in den Hosentaschen vergraben, trat ich gegen die Grashaufen. »Ich hoffe, die Frage ist nicht zu aufdringlich.«
Sie sah einen Moment lang zu mir hoch, und ich spürte eine Erregung, die nicht unbedingt angemessen war, hatte ich ihr doch gerade eine ernste Frage gestellt.
Raven stand auf und wischte sich die Erde von den Händen. »Schon okay. Mein Vater war ein Schläger. Meine Mutter hat ihn verlassen, als ich noch ein Baby war. Er lebt oben in Orlando.«
»Hast du Kontakt zu ihm?«
»Er ruft gelegentlich an, aber ich sehe ihn nie. Allerdings rede ich mit meiner Großmutter – seiner Mutter.«
»Das ist mies. Tut mir leid.«
»Ja, das ist es, aber irgendwie glaube ich, dass ich ohne Vater aufgewachsen bin, hat mich stärker gemacht. Keinen Vater zu haben ist besser, als den falschen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Was nicht heißt, dass ich mich über die richtige Sorte Dad nicht gefreut hätte – einen aufrichtigen Mann wie deinen Vater. Er ist ein guter Kerl. Meine Mutter spricht immer in den höchsten Tönen von ihm.«
»Das ist er. Danke.«
»Ja. Du hast echt Glück.«
Ihr Haar bewegte sich in der Brise vom Ozean. Es war so dunkel, dass es im Sonnenlicht wie mit blauen Strähnen durchsetzt aussah. Es war dicht und schön, und am liebsten hätte ich meine Finger hindurchgleiten lassen. Mit ihrer hellen Haut erinnerte sie mich an eine Porzellanpuppe, so zierlich und … perfekt. Porzellan.
Aber Porzellan war zerbrechlich, man schaute es besser nur an, berührte es aber nicht. Ihr versteht, was ich meine.
Dennoch konnte ich nicht aufhören, sie anzustarren. Sie hatte überall auf ihrer weißen Hose Erde, und es war ihr völlig egal. Ich hatte fast schon vergessen, dass ich das Haus mit einem Ziel verlassen hatte.
Scheiß drauf. »Ich wollte mir gerade einen Kaffee holen. Kannst du Pause machen und mitkommen?«
Sag ja.
Sie sah sich um. »Ich weiß nicht recht, ob ich sollte.«
Übersetzung: meine Mutter.
Ich kam gleich zur Sache. »Meine Mutter kommt so bald nicht wieder. Sie wird es nicht erfahren.«
Raven kaute auf ihrer Unterlippe herum, und ich wünschte mir, ich wäre derjenige, der daran herumknabberte.
»Okay«, erwiderte sie schließlich. »Wenn es schnell geht, macht es vermutlich nichts aus.«