Dark Brightness - Bridget Lionhill - E-Book

Dark Brightness E-Book

Bridget Lionhill

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Beschreibung

Ist es möglich, sein Glück zu finden, wenn man sich selbst nicht mehr treu ist? Samantha ist endlich bereit, ihre toxische Ehe hinter sich zu lassen. Sie will ein neues Leben beginnen und wieder ihre eigenen Entscheidungen treffen. Obwohl sie fürs Erste die Schnauze voll haben sollte von Männern, zieht sie kurz darauf der wesentlich jüngere Ricardo in den Bann und lässt wieder Glück und Sinnlichkeit in ihr Leben einkehren. Doch dann tauchen langsam dunkle Schatten auf... Als sie unfreiwillig einem Geheimnis auf die Spur kommt, gerät ihr eigenes Leben in Gefahr. "Sanftmut und Wildheit - Helligkeit und Düsternis - Gut gegen Böse!" "Dark Brightness - Neu geboren" ist ein packender Romantic Suspense Roman zum Mitfiebern. Mit seinen überraschenden Wendungen und Emotionen, garantiert er Spannung bis zum letzten Kapitel. Leserstimmen: "Eine passende Mischung aus Liebe und Spannung!" "Ich liebe das Setting des Buches - Santa Monica. Wunderschön beschrieben mit spektakulären Sonnenuntergängen und wundervollem Meeresrauschen." "Ein unglaublich tolles Buch, mit unglaublich viel Gefühl, das mich lachen und weinen lassen hat." "Die Geschichte ist überraschend, wendungsreich und intensiv. Mit Sam hat sie eine Protagonistin, die eine starke Entwicklung durchmacht. Romantik als auch dramatische Ereignisse erwarten die Leser*innen und wühlen auf - ein Gefühl, das auch nach dem Lesen anhält." "Diese Geschichte hat so viele tolle Aspekte, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. - Dazu kommen Beschreibungen vom Meer, die zum Wohlfühlen einladen, eine Story, deren Spannungsbogen mich durchgehend packen konnte und ein Ende, das mich auf einen zweiten Teil hoffen lässt." "Das Buch überrascht vor allem, da es auch ein Debütroman der Autorin ist, mit seiner Tiefgründigkeit und seiner Vielschichtigkeit... - Ferner gefiel mir die Tiefgründigkeit mancher Szenen besonders gut, der Endepilog ist einfach nur Klasse. Der Roman entwickelt sich zu einem Liebesroman mit thrillerartigen Ausschlag und ist sehr durchdacht."

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Über die Autorin:

Bridget Lionhill wohnt mit ihrer fünfköpfigen Familie und einigen Tieren in einer ländlichen Gegend in Bayern. Ein Ort, an dem sie Kraft und Kreativität schöpft.

Bereits in ihrer Kindheit verlor sie sich gerne in der Fantasiewelt von Büchern und schrieb schon bald selbst Gedichte und Geschichten. Eine Leidenschaft, die sie bis heute treu begleitet. Doch bis aus kleinen Texten ein erstes richtiges Buch wurde, zogen viele Jahre voller turbulenter Familienzeit ins Land. Die Geschichte von Sam in „Dark Brightness“ ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie diese endlich zu Papier brachte.

Eine ganz neue Reise in die aufregende Welt der Bücher begann ...

„Träume lassen uns nach den Sternen greifen“

Für Püppi

Ich kenne niemanden, der sein Schicksal mit so viel Würde und Stärke getragen hat, wie du.

Danke, dass du von Anfang an an meinen Traum geglaubt hast. Danke, dass du mich angetrieben und unterstützt hast, selbst als absehbar war, dass für deine Träume keine Zeit mehr bleibt.

Du bist für immer in meinem Herz.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1: Was ich wohl dieses Mal verbrochen habe

Kapitel 2: Wie konnte ich den nur vergessen

Kapitel 3: Möge er wachsen wie unsere Liebe

Kapitel 4: Wie verliebt wir waren

Kapitel 5: Zeit zu gehen, Sam

Kapitel 6: Als Dank für deine bedingungslose Liebe

Kapitel 7: Ich will jetzt niemanden sehen

Kapitel 8: Mal sehen, was es bereithält

Kapitel 9: Von Fels zu Fels

Kapitel 10: Ein interessanter Name

Kapitel 11: Erwartet er mehr

Kapitel 12: Was für eine Genugtuung

Kapitel 13: Wie recht sie hat

Kapitel 14: Mal sehen, was der Abend bringt

Kapitel 15: Jung und sexy

Kapitel 16: Zeit, das Weite zu suchen

Kapitel 17: Niemand ist perfekt

Kapitel 18: Was ist das, was wir haben

Kapitel 19: Ich mag ihn

Kapitel 20: Es hätte nicht passieren dürfen

Kapitel 21: Nichts geht über gute Freunde

Kapitel 22: Das wäre meine große Chance

Kapitel 23: Ich brauche Platz zum Atmen

Kapitel 24: Es ist zu schön, um wahr zu sein

Kapitel 25: Ich kann es kaum erwarten

Kapitel 26: Noch nicht

Kapitel 27: Was hast du dir nur dabei gedacht

Kapitel 28: Dein Wort in Gottes Ohr

Kapitel 29: Drehen denn jetzt alle am Rad

Kapitel 30: Willkommen zu Hause, Sam

Kapitel 31: Meine Chance wird schon noch kommen

Kapitel 32: Werde ich ihn überhaupt jemals lieben

Kapitel 33: Das kann doch nicht so schwer sein

Kapitel 34: Ich kann nicht bleiben

Kapitel 35: Ich weiß doch, was ich gesehen habe

Kapitel 36: Schlaf mit mir

Kapitel 37: Himmel noch mal

Kapitel 38: Nun bin ich an der Reihe

Kapitel 39: Wahre Farben sind wunderschön

Kapitel 40: Mrs Alvarez

Kapitel 41: Hoffentlich wird alles schnell gehen

Kapitel 42: Wehre dich nicht mehr

Kapitel 43: Das kann nicht wahr sein

Epilog

Prolog

…Dunkelheit umgibt mich. Die Wände strahlen eine feuchte Kühle aus, die sich mit ihren Klauen in meinen Gliedern festkrallt. Angst kriecht durch meinen Körper, zwängt sich durch jede Pore der Haut und raubt mir dabei die Fähigkeit, gleichmäßig zu atmen. Sie legt sich zurrend um meinen Hals. Aufsteigende Panik mischt sich in meinen abgehakten Atemrhythmus. Ich spüre, wie in mir das letzte Fünkchen Hoffnung auf Rettung immer mehr erlischt – schwindende Hoffnung, nicht erfahren zu müssen, was mich hier erwarten wird.

Der Hall von schweren Schritten durchbricht die Stille. Ein leises Klicken ist zu hören, mit dem sich das Vorhängeschloss entriegelt, das mich für meinen Entführer bewacht. Die massiv geschmiedeten Bänder der Eichentür stöhnen und ein greller Lichtkegel fließt über den holprigen Steinboden in meine Richtung. Das letzte bisschen Stolz verlangt mir ab, mich nicht zusammenzukauern. Meine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Helligkeit. Es ist schwer, sie davon zu überzeugen, nicht alles auszublenden. Ich versuche, die eintretende Männergestalt zu fixieren − beobachte sie, während sie mit großen Schritten direkt auf mich zusteuert.

Ich würde mich selbst belügen, zu behaupten, bereit zu sein für etwas, das ich noch nicht erahnen kann. Doch ich bin zumindest bereit, mein Schicksal zu tragen – es wird mir sowieso keine andere Wahl lassen …

Kapitel 1

Was ich wohl dieses Mal verbrochen habe

Wenn John es nur zu schätzen wüsste, wie ich mich regelmäßig für ihn abrackere, nur um seinem Idealbild gerecht zu werden.

Energisch drücke ich mich vom Boden ab, um dem steten Rhythmus der Übungseinheiten nachzukommen. Es ist ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Wochenlang hatten wir in Santa Monica keinen Regen mehr. Selbst im Schatten spüre ich die Kraft der Sonne. Trotzdem quält mich meine Personal-Trainerin Julia seit einer Stunde unter der großen Trauerweide in unserem Garten.

Hoffentlich kommt sie bald zum Ende. Wir waren fleißig genug für heute!

Während ich die monotonen Übungsabläufe wiederhole, schweift mein Blick über den Garten. Meine Gedanken driften in die Ferne.

Gedanken, in denen keiner mitbestimmen kann.

Gedanken, die nur mir gehören.

Ich liebe diesen Platz unter der Weide. Er bietet einen weiten Ausblick über unseren Garten, der mich jedes Mal aufs Neue meine Verbundenheit mit der Natur spüren lässt. Und erst die Sicht auf das glitzernde Wasser! Wie ich das Meer liebe – hier den wilden Pazifik ebenso wie den meiner Heimat so nahen Atlantik.

Der Ozean und die bunte Vielfalt unseres Gartens – beides ist mir unverzichtbar ans Herz gewachsen. Seit John mich gebeten hat, mit dem Arbeiten aufzuhören, besteht meine einzige Aufgabe nur noch darin, die Ehefrau an seiner Seite zu sein. Gartenarbeit ist eine der wenigen Tätigkeiten, die mich erfüllen.

Vielleicht war es doch ein Fehler, meinen Posten als Antiquitätenhändlerin an den Nagel zu hängen?

Ich habe gern dort gearbeitet. Fast würde ich behaupten, die Arbeit hat mich glücklich gemacht. Die Vorfreude, wenn neue Stücke ankamen und ich sie vorsichtig auspackte. Der einnehmende Geruch, den jedes Objekt mit sich brachte. Die Geschichten, mit denen die Antiquitäten verbunden waren oder die ich mir selbst zusammengedichtet habe. Zu beobachten, wie Restauratoren vernachlässigte Schätze zu neuem Leben erweckten.

Ja − das alles fehlt mir mehr, als ich mir selbst meist eingestehen möchte!

Was schimpfe ich? Mir geht es gut. John und ich sind ein angesehenes Paar, ohne jegliche finanzielle Sorgen. Wir haben einen Traum von Eigenheim an einem der schönsten Fleckchen von Santa Monica.

„Spannung halten, Samantha!“ Julias Befehlston reißt mich aus den Gedanken und ich versuche, mich nochmals auf die Spannung meines schweißgebadeten Körpers zu konzentrieren.

„So, noch einmal alle Glieder durchschütteln und du bist für heute entlassen.“ Julia grinst und Belustigung legt sich über ihre Augen.

Mit einem leisen Stöhnen richte ich mich auf, begutachte Julias sehnigen Körperbau und bin, wie schon so oft, von dem Muskelspiel ihrer Gliedmaßen fasziniert. Ihr Körper sieht zwar durchtrainiert aus, aber ist doch zartfeminin. Als ich mich erschöpft ins kühle Gras fallen lasse, kann sie ihr schelmisches Kichern nicht mehr unterdrücken.

„Jaja, Julia! Du hast es gut mit deinen jugendlichen Jahren. Aber ich denke, für mein Alter habe ich mich ganz gut geschlagen.“

Mit angespannten Oberarmen kopiere ich liegend eine Bodybuilder-Pose und versuche dabei, einen erhabenen Gesichtsausdruck zu mimen. Julias Kichern verwandelt sich in einen mitreißenden Lachanfall. Grazil lässt sie sich neben mir ins Gras sinken.

Wie gern ich sie um mich habe.

Aus der Trainerin und mir, dem „Opfer“, hat sich längst eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt. Julia hat erst kürzlich ihren einundzwanzigsten Geburtstag ausgelassen gefeiert. Ich bewege mich bereits auf die magische vierzig zu. Viele behaupten, mit der neuen Zahl vorne am Alter ändert sich nichts, aber mindestens genauso viele erzählen davon, dass sich danach alles abwärts wendet. Und damit sind nicht nur diverse Körperteile gemeint.

Mir kommt diese Altersgrenze plötzlich viel zu schnell!

Als Julia zum Reden ansetzt, wird ihr Gesichtsausdruck auf einmal ernster. „Ich hoffe, du weißt noch, dass ich schon diese Woche wegen meinem Vorstellungsgespräch verreisen muss. Unsere beiden nächsten Folterstunden werden ausfallen.“ Sie versucht, die bedrückte Stimmung, die sich über uns legt, aufzuheitern. „Du könntest dich ja auch mal ohne mein Antreiben aufraffen und dich sportlich betätigen?“ Dabei leuchtet erneut Schalk aus ihrem Gesicht.

„Natürlich werde ich das!“ Mein sarkastischer Unterton dürfte nicht zu überhören sein. Nicht, dass ich nicht froh über meinen nach wie vor ansehnlichen Körper bin, doch ohne Julia werde ich diese Quälereien nicht freiwillig in Angriff nehmen. Wenn Julia nächste Woche nicht da ist, werde ich − wie immer in ihrer Abwesenheit – Urlaub vom Sport einlegen.

John entdeckte vor drei Jahren erste Pölsterchen an mir, die ihm nicht gefielen und auf die er mich, in seiner typischen, nicht besonders einfühlsamen Weise, hinwies. Kurz darauf engagierte er Julia hinter meinem Rücken. Sie sollte nur vorübergehend die Wartezeit füllen, bis angesagte Coaches wieder Termine frei hatten. Am Ende war ich jedoch nicht bereit sie nochmal einzutauschen – egal, welche Vorzüge mir John von den anderen Trainern anzupreisen versuchte.

Eines der wenigen Dinge, bei dem ich mich in den letzten Jahren durchgesetzt habe.

Mittlerweile genieße ich Julias Besuche so sehr, dass mein Leben ohne sie unvorstellbar wäre. Zugegebenermaßen ist das mehr ihrer Gesellschaft geschuldet, als der sportlichen Aktivitäten, zu denen sie mich anspornen soll.

Abgesehen von Julia ist mein Freundeskreis zunehmend überschaubar geworden. Nicht zuletzt, weil John viele angehende, aber auch langjährige Freundschaften vergrault hat. Er beschuldigte Besucherinnen der Tratscherei und behauptete, sie würden sich nur an unserem Status bereichern wollen. Die einzige beständige Person, die immer fest hinter mir steht und mich besser kennt als Julia, ist meine jüngere Schwester Lilly. Aber während ich John vor vielen Jahren nach Kalifornien folgte, blieb sie fest in unserer Heimat Maryland verwurzelt. Ich hätte sie gern näher um mich. Sie fehlt mir.

„Hm.“ Ein leises Stöhnen entrinnt meiner Kehle und mein Blick schweift in die Leere.

„Alles klar, Samantha?“ In Julias Stimme schwingt Sorge mit. „Du bist heute sehr nachdenklich!“

„Bin nur … ausgepowert − und ich werde dich nächste Woche vermissen! Wenn mir etwas Sorgen bereitet, dann höchstens zu wissen, wie gut du bist. Ich bin mir sicher, diese große Fitnesskette wird dich für ihre Niederlassung in den Hamptons haben wollen. Was wird dann aus mir? Ich kann dich weder als Trainerin noch als Freundin entbehren.“

Julia rückt näher zu mir und lässt ihre Arme um meinen Hals fallen. Sie drückt mich fest an sich und während ich ihre Umarmung erwidere, versuchen Tränen sich ihren Weg nach draußen zu erkämpfen.

Julia ist mein einziger Rückhalt hier in Santa Monica.

„Egal was bei meinem Vorstellungsgespräch rauskommt, du wirst immer meine Freundin bleiben, Samantha! Auch wenn ich die Trainerin bin: Ich habe in den letzten Jahren sicher mehr von dir gelernt als du von mir. Du hast viel dazu beigetragen, dass ich heute bin, wer ich bin.“ Julias Stimme bricht ein wenig beim Sprechen und sie ringt kurz um Fassung, ehe sie weiterredet. „Ich werde regelmäßig meine Familie hier besuchen und du Lilly in Maryland. Da werden wir sicher immer wieder Zeit für Mädchenabende finden. Und ganz abgesehen davon, dank Smartphones und Skype ist keine Entfernung der Welt unüberbrückbar.“

Dieses Mal ziehe ich Julia fest an mich, atme tief durch und kitzle sie dann kurz an den Seiten, um die emotionale Situation aufzulockern. Jauchzend schießt sie in die Höhe und lässt sich seitwärts rollend wieder neben mir ins Gras fallen. „Schluss mit dem Geschnulze! Wir gefühlsduseligen Ziegen!“ Damit beende ich die Szene, bevor wir beide noch in Tränen ausbrechen, und wische mir heimlich den letzten Rest von Feuchtigkeit aus den Augen.

Seitlich aufgestützt beobachte ich Julia, die ihren Blick immer wieder auf ihre Smartwatch heftet. Dieses kleine Hightech-Wunder zeigt ihr, neben meinem und ihrem eigenen Puls sowie sonstigen wichtigen Trainingswerten, auch die gute alte Uhrzeit an.

„Jetzt muss ich mich aber langsam beeilen. Habe heute noch jede Menge Termine und vor meinem Abflug nach New York noch tausend Dinge zu tun. Freu mich schon drauf, den Big Apple zu erkunden. Ich wollte schon immer mal in diese Stadt! Und danke nochmal für dein Taschengeld, Samantha! Wäre nicht nötig gewesen.“

Julia zupft verlegen ein paar Grashalme aus und wirkt für einen Augenblick wie ein kleines Mädchen. Hätte ich je ein Kind bekommen, hätte ich mir gewünscht, es wäre wie sie: anständig, fleißig und mit dem nötigen Ehrgeiz, seine Ziele zu verfolgen.

Okay, du wirst mir fehlen! Aber trotzdem wünsche ich dir, dass alles klappt mit dem Job. Hoffentlich findest du dein Glück in den Hamptons!

Ein Kloß in meinem Hals hindert mich daran, die Worte laut auszusprechen − aber ich bin mir sicher, Julia weiß, dass ich ihr nur das Beste wünsche.

Sie sieht mir flüchtig in die Augen, drückt mich nochmal und bringt dann den Abschied schnell hinter uns. „Ich lass was von mir hören, sobald ich gelandet bin! Pass auf dich auf, Samantha!“

„Pass du lieber auf dich auf, Lady!“

Mit einem letzten Zwinkern lasse ich Julia ziehen und wünsche ihr aus tiefstem Herzen alles Glück der Welt.

~~~~~

Ausgepowert falle ich zurück in das angenehm kühle Gras, schließe die Augen und genieße den Duft von Moos, das sich hier im Schatten der Weide ausbreitet.

So dürfte es sich anfühlen, auf einer Wolke zu ruhen.

Mit tiefen Atemzügen sauge ich die Atmosphäre um mich herum ein. Ich liebe diesen Geruch. Er katapultiert mich jedes Mal zurück in meine Kindheit und weckt Erinnerungen an die Waldausflüge mit Dad:

... „Süße, schau nur – dieser wunderschöne Schmetterling da drüben!“ Dad und ich streifen zu zweit durch den Wald und sammeln schön gewachsene Wurzelstücke. Er senkt sich neben mir in die Hocke und deutet auf eine nahe gelegene Lichtung, die in märchenhaftes Licht getaucht ist. Ich lehne mich an seine Schulter und beobachte zusammen mit ihm den Freudentanz des Schmetterlings. Er kreist um ein paar Wildblumen und durchbricht dabei immer wieder die Sonnenstrahlen.

„So einen habe ich ja noch nie gesehen – können wir ihn einfangen, Dad?“ „Nicht doch, lass ihn fliegen und erfreu dich einfach an seiner Schönheit. Er wäre furchtbar unglücklich, wenn wir ihn mit nach Hause nehmen. Man sollte nicht immer alles besitzen wollen, Sam. Jeder hat ein Recht auf Freiheit.“

Dad küsst mich auf den Haaransatz und wir stehen gemeinsam auf, um noch mehr zu entdecken. Meine zierliche Hand liegt dabei behütet in seiner. ...

Ich sehe Dad vor mir, wie ihm sein ausgefranster Strohhut ins Gesicht hängt. Ein Utensil, das zu Waldspaziergängen und seiner geliebten Gartenarbeit dazugehörte, wie ein Bauhelm zu Bauarbeitern.

Ich vermisse Mom und Dad! Sie wurden uns viel zu früh genommen!

Keine Ahnung, ob das schmerzhafte Ziehen in der Brust eines Tages leichter wird und ich einfach nur Glück über die gemeinsame Zeit empfinden kann.

„Samantha! Samantha! Wo steckt sie nur immer, wenn man sie braucht!“ Johns gereizte Stimme dringt quer durch den Garten und lässt mich aus meinem Tagtraum hochschrecken.

Begleitet von einem letzten tiefen Seufzer schüttle ich die Erinnerungen, so gut es geht, ab.

Mit einem Perfekte-Ehefrau-Lächeln stehe ich auf, strecke meine Gelenke nochmal durch und gehe John entgegen. „Ich bin hier im Garten, Liebling! Hatte gerade, wie jeden Montag, meine Folterstunde mit Julia! Was ist denn so dringend?“

Vergeblich versuche ich, ihn zu beruhigen, obwohl mir noch gar nicht klar ist, wie ich ihn verärgert habe. Einige Schritte von ihm entfernt erkenne ich seinen finsteren Blick, der mich vorab für Vergehen straft, die mir noch gar nicht zur Last gelegt wurden. Altbekannte Gefühle breiten sich in meinem Innersten aus und schleichen sich mit Anspannungen durch den ganzen Körper.

Schlechtes Gewissen und Reue.

Was ich wohl dieses Mal verbrochen habe.

Kapitel 2

Wie konnte ich den nur vergessen

John eilt mit hastigen Schritten von der Terrasse herab auf mich zu. Schon an seinen Gesichtszügen erkenne ich, dass seine Laune mal wieder einen Tiefpunkt erreicht hat.

Mal wieder ist gut – wann ist seine Laune in letzter Zeit schon anders gewesen!

Er trägt einen seiner tausend dunklen Anzüge, die sich in den verschiedensten Grautönen in seinem Ankleidezimmer reihen. Graue Anzüge, weiße Hemden, weiße T-Shirts, weiße Unterwäsche, schwarze Socken – sogar seine Badeshorts sind entweder rein grau oder schwarz, ohne jegliche Farbakzente.

Was ist nur mit meinem liebevollen, farbenfrohen Hippie-Verschnitt von früher passiert, der mich mit seinem Charme um den Verstand brachte?

Vor meinem inneren Auge entsteht eine Szene, wie Johnny mich vor fast fünfundzwanzig Jahren das erste Mal geküsst hat. Ich habe ihn mit kneifender Jeans Short und zu engem Top hinter ein Gartenhäuschen gelockt und ihm die Führung überlassen. Es war der Kuss – ein Kuss, der unbekannte Hitze durch die Adern eines jungen, unbedarften Mädchens trieb. Der Tanz unserer Zungen ließ dabei Muskeln an Orten zusammenziehen, von denen mir bis dahin gar nicht bewusst war, dass ich dort welche hatte. Ein süßer Schauer rauschte über meinen ganzen Körper …

Wieder ist es Johns Stimme, die mich aus den Gedanken reißt. „Ich weiß, dass du deine Trainingsstunde hattest, denn im Gegenteil zu dir habe ich einen Überblick über all unsere Termine! Trotzdem suche ich dich schon eine halbe Ewigkeit: Zuerst im wohl klimatisierten Trainingsraum, in dem es nicht so heiß wäre und ich wüsste, wo ich dich finde −“ Johns Stimme wird immer ungehaltener. „− dann suchte ich auf den Terrassen, am Pool und schließlich im Garten. Falls man diesen Garten noch so schimpfen kann! Urwald würde dieses Durcheinander an Hecken, Bäumen und Beeten wohl eher treffen.“ Er lässt seinen Blick über den Garten schweifen, bevor er weiter auf mich einschießt. Und wie gewöhnlich reagiere ich auf seinen Ausbruch mit aufkeimendem Selbstzweifel. „Warum können wir nicht einfach einen normalen, schlichten Garten mit endloser Grünfläche bis zum Strand haben. Es würde reichen, wenn nur der Rand des Grundstücks mit Hecken und Bäumen bepflanzt wäre.“ Genervt verdreht John die Augen und veranlasst mich, nervös an meinem Sportshirt herumzuzupfen. Wie schon so oft versuche ich, mein einziges Steckenpferd an unserem Zuhause zu verteidigen.

„Du weißt, was mir der Garten bedeutet, Johnny! Und bestimmt gefällt dir dieser Urwald besser, als du jemals zugeben würdest. Schließlich warst du es, der mir die Regentschaft über unseren Garten übergeben hat, nachdem ich meinen Job an den Nagel gehängt habe.“ Meine Mundwinkel wandern wie automatisch nach oben und ich füge scherzhaft hinzu. „Also ist der Zustand unseres Gartens irgendwie auch deine Schuld!“ Verschmitzt lege ich meinen Kopf zur Seite. Eine Geste, mit der ich John früher immer zum Einlenken verführen konnte. Doch dieser einfühlsame Johnny, der nur nach Außen unnahbar wirkte, aber einen liebenswerten Kern hatte, kam leider schon lang nicht mehr zum Vorschein. Statt auf meinen Scherz und die besänftigende Geste einzugehen, verspannen sich Johns Gesichtszüge stärker und es prasseln weitere Vorhaltungen auf mich ein.

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass es nun wirklich nicht mehr passend ist, mich Johnny zu nennen! Ab und an habe ich das Gefühl, du würdest es gerade extra machen, um mich zur Verzweiflung zu treiben. Und was sollen jetzt außerdem diese Vorhaltungen schon wieder, ich wäre am Zustand des Gartens schuld? Hauptsache ich bin an allem schuld, oder? Du genießt hier dein sonniges Leben auf unserem Anwesen, während ich das alles hier finanziere.“

Mit aufgerissenen Augen sehe ich ihn an und blende die restliche Tirade an Vorhaltungen aus. Sie brechen wie ein Tornado über mich herein. Gedanken schwirren durch meinen Kopf, wie ein eingesperrter Bienenschwarm.

In den letzten Monaten musste ich mir so einiges von John vorhalten lassen – doch er hat nicht tatsächlich gerade die Frechheit besessen, mir vorzuwerfen, dass ich kein Geld zu allem um uns herum beisteuere. Obwohl ich nur kein Geld beisteuern kann, weil er mich bedrängt hat, meinen Job an den Nagel zu hängen!

Zorn steigt von meinem Bauch heraus auf und möchte sich Platz machen. Doch während ich tief Luft hole und meine Lippen öffne, um dem angestauten Ärger der letzten Monate freies Geleit zu geben, überkommt mich wieder das Gefühl, damit alles falsch anzugehen. Altbekannte Hilflosigkeit breitet sich in mir aus.

Egal, was ich ihm sage und an den Kopf schmeiße, er würde es mit fadenscheinigen Gegenargumenten zu Nichte reden und auf verdrehte Art gegen mich verwenden.

Nach einem leisen Seufzer würge ich die gerade noch so präsente Wut mit großen Schlucken hinunter und ringe um Fassung. Dann hebe ich die Arme zwischen uns über Kreuz und ziehe sie abwinkend auseinander. Zu meiner Verwunderung erlischt für einen Augenblick Johns zornige Stimme. Mir nicht bewusst, aus welchen Anschuldigungen sein Redeschwall sonst noch bestanden hat, werfe ich resignierend einfach etwas dazwischen: „Ist gut, John, lass uns darüber jetzt nicht streiten!“

Er sieht zwar noch gereizt drein, doch die Blicke auf seine Breitling Armbanduhr verraten mir, dass er in Eile ist und nicht genug Zeit hat, mir seinen Standpunkt weiter in allen Facetten darzulegen. Aber ganz kann er die Sache nicht auf sich beruhen lassen.

„Wir werden später nochmal darüber reden, Samantha! Ich sehe nicht ein, mir für das, was ich für dich und unser Leben hier leiste, auch noch Vorhaltungen machen zu lassen!“

„Es war nur ein Scherz, John! Du hast das alles komplett in den falschen Hals bekommen! Ich wollte nur −“

„Lass es gut sein, Samantha. Für solche Kindereien habe ich keine Zeit. In zwanzig Minuten habe ich ein wichtiges Geschäftsessen.“

Mit großen Augen sehe ich John an und spüre, wie sich Enttäuschung schnürend um meine Brust wickelt. „Du bist heute Abend nicht zu Hause? Ich habe heute extra dein Lieblingsessen vorbereiten lassen und muss es nur noch in den Backofen schieben. Sogar diesen grandiosen Rotwein Carruades de Lafite Rothschild, der dir in deinem Lieblingsrestaurant letzte Woche so geschmeckt hat, habe ich besorgen lassen.“

Flehend, wie ein kleines Kind, das seinen Vater zu überreden versucht, zu seiner Schulvorführung zu kommen, fixiere ich ihn. Dabei bin ich mir selbst nicht sicher, warum mir so viel daran liegt, ihn heute Abend bei mir zu haben. Noch dazu nach dieser Szene. Wahrscheinlich fühle ich mich in diesem goldenen Käfig, den wir Zuhause nennen, mittlerweile so einsam, dass mir sogar seine missgelaunte Gesellschaft lieber ist, als wieder einen Abend allein zu sein. Niedergeschlagen lasse ich meinen Blick sinken. Wie gerne würde ich mich am Boden zusammenrollen und schluchzend darin versinken.

Was ist nur los mit mir? In einem Moment bin ich kochend vor Wut, dann gebe ich wieder klein bei und am Ende bin ich immer die Einzige von uns beiden, die sich miserabel und schuldig vorkommt – obwohl es gar keinen Grund dafür gibt.

John nimmt den Trübsinn, der mich überschwemmt, überhaupt nicht wahr. Ihm scheinen meine Bedürfnisse mal wieder am Allerwertesten vorbeizugehen. Er erwidert energisch: „Ich habe dir heute Mittag eine Message geschickt, damit du dich nicht wieder beschwerst, nie Bescheid zu wissen, wann ich da bin und wann nicht! Was soll ich noch machen? Dich vor jedem Termin, den ich ausmache, um Erlaubnis fragen?“

Seine zornigen Blicke streifen mich, bevor er erneut nach der Uhrzeit sieht und seine Standpauke fortsetzt. „Es ist zu bezweifeln, dass ich dann meinen Job noch lange lukrativ ausführen könnte! Soll ich die großen Köpfe an unserer Küste vertrösten, wenn sie Termine mit mir ausmachen wollen, um Häuser zu kaufen, und ihnen dann sagen: Tut mir leid, ob ich Zeit für Sie habe, muss ich erst mit meiner Frau abklären! Was ist nur aus dir geworden Samantha? Du warst früher auch nicht so naiv!“

Mein Kopf beginnt zu brummen. Ein Leiden, das ich lange nicht kannte, mittlerweile aber regelmäßig auftritt. Mit einer Hand vorm Gesicht reibe ich über die pochenden Stellen an meiner Stirn. Versuche vergeblich, mein Gefühlschaos unter Kontrolle zu bringen und einen klaren Gedanken zu fassen.

Warum lasse ich mich mit grundlosen Anschuldigungen so durcheinanderbringen?

Ein Hauch von Mitgefühl legt sich über Johns ernsten Blick. Mit ruhigerem Ton redet er weiter. „Es tut mir leid, dass du dir so viel Mühe für mich gemacht hast und ich jetzt nicht da bin. Aber ich habe dir eine Message geschickt und du hast wahrscheinlich wieder den ganzen Tag nicht auf dein Handy geschaut! Ich muss jetzt los – der Termin heute könnte ein großer Fisch sein! Lass uns das Essen morgen nachholen. − Verdammt! − Nein. Da habe ich auch einen Termin. Die Woche sieht es eher schlecht aus. Sorry!“

Da kommt eine Idee wieder hoch, die mir heute Morgen schon durch den Kopf gegangen ist, als ich einsam an unserer großen Tafel beim Frühstück saß.

„Wie wäre es mit Samstag?“ Die Frage sprudelt nur so aus mir heraus. Auf einmal schießt meine Laune wieder in die Höhe und ich fange euphorisch an, eine To-do-Liste für ein gemütliches Treffen zu erstellen. „Ich habe unserer Haushälterin schon von meiner Idee erzählt, am Wochenende ein gemütliches Essen mit ein paar Bekannten zu veranstalten. Es wäre schön, mal wieder im kleinen Kreis einen geselligen Abend zu verbringen. Etwas essen. Ein wenig quatschen. Zu späterer Stunde ein kleiner Umtrunk am Strand …“

Über meine eigene Idee begeistert, strahle ich John an. Doch seine Miene verfinstert sich erneut.

„Genau deswegen habe ich dich gesucht!“ Sein Kiefer beginnt in der kurzen Sprechpause zu mahlen. Das Mitgefühl in Johns Stimme ist wieder komplett dem zornigen Unterton gewichen. Mein Blick bleibt an seiner pulsierenden Ader an der Schläfe hängen.

„Am Samstag ist der große Wohltätigkeitsempfang zum Jahreswechsel, an dem ich jedes Jahr der Schirmherr bin! Er ist wie jedes Jahr am ersten Samstag des neuen Jahres – also am kommenden Samstag! Ist es zu viel verlangt, dir wenigstens so wichtige Termine aufzuschreiben?! Ich dachte, ich höre nicht richtig, als mir Mrs Dought von deinen Plänen fürs Wochenende erzählte.“

Er sieht mich tadelnd an. Seinem Blick ausweichend, schaue ich nach unten und lasse ihn weitersprechen.

„Mrs Dought kümmert sich darum, dass mein Anzug in die Reinigung gebracht wird. Du kümmerst dich darum, dass du bis Samstag wieder etwas rausgeputzt bist!“

Scheiße, der Wohltätigkeitsempfang! Wie konnte ich den nur vergessen?

Stopp – was meint er mit „wieder etwas rausgeputzt“?

„Du hast deine Hände und Haare in letzter Zeit ganz schön vernachlässigt. Der dunkle Haaransatz sieht nicht besonders schicklich aus für eine Dame mit deinem Status. Du solltest dir mehr Zeit nehmen, um auf dich zu schauen und deiner Repräsentanten-Rolle als Mrs Flamming wieder mehr Aufmerksamkeit schenken!“

Fassungslos beobachte ich John, wie sein Blick abermals auf seine Armbanduhr fällt. Kälte liegt über uns und die Kluft, die schon vor vielen Jahren begonnen hatte, sich zwischen uns aufzutun, scheint Canyon-Dimensionen anzunehmen.

„Ich muss jetzt los. Warte nicht auf mich. Ich weiß nicht, wie spät es wird. Sollte es länger dauern, schlafe ich wieder auf der Ausklappcouch in meinem Büro.“ Er drückt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, der einem kühlen Stempelabdruck gleicht. „Bis dann, Samantha!“

Ehe ich meine Gedanken verarbeitet habe und etwas erwidern kann, wendet er sich ab, hastet davon und lässt mich in meiner Leere zurück. In meinem Kopf kreist alles wild durcheinander und vernebelt meine Sinne. Erst das Aufheulen von Johns Mustang katapultiert mich wieder in das Hier und Jetzt. Meine Unterlippe fängt zu beben an und Tränen bahnen sich ihren Weg.

~~~~~

Nachdem John die Hofeinfahrt hinaufgerauscht ist und der dröhnende Sound seines Sportwagens leiser wird, legen sich wieder vertraute Klänge über den Garten. Das Meeresrauschen dringt von der Brandung herauf, eine leichte Brise raschelt durch die Baumwipfel und die Vögel scheinen eine mehrstimmige Arie darbieten zu wollen. Aber die Geräusche dringen nicht richtig bis zu meiner Wahrnehmung vor, obwohl ich mich normalerweise so gerne an ihnen erfreue. Starr und unfähig zu fühlen bleibe ich eine ganze Weile stehen und blicke durch einen Vorhang aus Tränen in die Richtung, in die John um das Haus eilte und verschwand.

Wie sehr würde ich mir wünschen, unsere Ehe wäre wieder etwas mehr mit Liebe und Aufmerksamkeit ausgeschmückt! Doch dieser Wunsch scheint mittlerweile so unrealistisch, wie das Einhorn, das ich mir in meiner Kindheit zu so vielen Weihnachten gewünscht hatte.

Kapitel 3

Möge er wachsen wie unsere Liebe

„Was denkt er sich nur dabei, dieses eingebildete, schleimige Riesen-Arschloch!“ Lilly kocht vor Wut, nachdem ich ihr von der Szene heute Nachmittag im Garten erzählt habe.

Sie findet in letzter Zeit kein gutes Haar mehr an John und ich war mir von Anfang an darüber bewusst, dass dieses Gespräch auf Hassparolen dieser Art hinauslaufen wird. Deshalb hatte ich eigentlich beschlossen, sie gar nicht erst anzurufen. Trotz meines Drangs, ihre beruhigende Stimme zu hören. Denn allein das Wissen, sie dort am anderen Ende der Leitung hängen zu haben, lässt mich immer ein klein wenig das Gefühl von Heimat und Familie tanken.

So saß ich in eine Decke eingekuschelt auf der Terrasse und nur mein dreihundert Dollar teurer Carruades-Rotwein sollte den Abend mit mir verbringen. Der Plan war, im Selbstmitleid zerfließend den Sonnenuntergang zu betrachten und zu hoffen, dass die Welt morgen wieder besser aussieht. Doch Lilly hat, trotz der über zweieinhalb tausend Meilen, die zwischen uns liegen, ein Gespür dafür, wann ich sie brauche. Das Telefon läutete, noch bevor ich das erste Glas Rotwein geleert hatte.

„Dieser großkotzige Vollidiot hat dich einfach nicht verdient, Sam! Er ist der größte hirnamputierte Riesen−“

„Elizabeth Marie Jameson!“ Mit diesen wenigen Worten gehe ich zwischen ihren Schwall von Kraftausdrücken und Schimpfarien, genau wissend, dass sie ihre Wirkung nicht verfehlen werden.

Ich stütze meine Stirn auf eine Hand und lausche der Stille im Hörer, bis Lilly mit gedämpftem Ton fortfährt. „Du hörst dich an wie Mom, wenn du mich so nennst!“

„Ich weiß. Und ich weiß auch, wie sie das meiste von dem, was dir in den letzten fünf Minuten über die Lippen gekommen ist, missbilligen würde. Sie konnte es nie leiden, wenn du in eine deiner Schimpfwort-Arien ausgebrochen bist! Sie hätte gesagt: Mädchen, lasst euch nicht alles im Leben gefallen. Ein loses Mundwerk wird euch dabei aber nicht voranbringen. Nur wenn ihr euren Kopf gemeinsam mit eurem Herz einsetzt, …“

„…werdet ihr in jedem Kampf die Oberhand behalten!“, beendet Lilly mein Mom-Zitat.

Erneut herrscht Stille in der Leitung. Trotz unserer geografischen Entfernung sind wir uns in Momenten wie diesen extrem nah. Für uns beide war es nach Moms Beerdigung nicht vorstellbar, wie unser Leben weiterlaufen könnte, ohne dass sie ein fortwährender Teil davon ist. Entgegen allen Befürchtungen drehte sich aber die Erde nach ihrem Tod unbeeindruckt weiter. Und doch gibt es Situationen, in denen ihr Fehlen so deutlich ist, als wäre sie ein Körperteil gewesen, das uns gewaltsam abgerissen wurde – so wie jetzt gerade. Ein Teil, dessen Aufgaben von keinem anderen übernommen werden kann. Sie war die Seele unserer Familie und wusste immer, was das Richtige zu tun oder zu sagen war. Ihre tiefgründigen Lebensweisheiten fehlen mir und ich bereue, diese oft zu leichtfertig abgetan zu haben. Aber wenn es darum geht Lilly Trost zu spenden oder ich ihr einen Schwestern-Rat geben möchte, fällt mir aus heiterem Himmel wieder ein Zitat aus Moms Repertoire ein. Oft scheint es, als würde sie mir die passenden Worte direkt auf die Zunge legen.

Ach, wie vermisse ich dich, Mom!

Wieder ist es Lillys Stimme, die die Stille zuerst durchbricht. „Mir tut es nur so weh, zu sehen, wie er dich behandelt, Schwesterchen! Und gegen die Gefühle, die ich gegen ihn hege, sind die Ausdrücke, die ich verwendet habe, sowieso noch gelinde. Wie kann er dich nur ständig allein lassen und wenn er dann mal da ist, dir nur an den Haaren herangezogene Vorhaltungen machen!“

„Naja – er hat auch nicht ganz unrecht. Ab und an habe ich auch das Gefühl, dass meine Gärtner-Euphorie mit mir durchgegangen ist und weniger oft mehr wäre. Und dass ich diesen Wohltätigkeitsempfang vergessen konnte … ich weiß auch nicht, was da mit mir los war.“

„Jetzt hörst du aber sofort auf damit, Sam! Sonst buche ich sofort einen Flug zu dir, nur um dich so lange zu schütteln, bis wieder alles richtig geordnet ist in deinem Hirnkästchen! Verdammt nochmal, er ist das Arschloch und du solltest endlich beginnen, gegen ihn aufzumucken. Jede andere Frau hätte schon vor Ewigkeiten die Scheidung eingereicht. Hätte ihn von einem grandiosen Anwalt ausnehmen lassen, wie eine Weihnachtsgans und sich dann ein schönes Strandhäuschen gekauft, in dem sie sein Vermögen auf den Kopf haut. Und du – du verteidigst ihn und versuchst die Schuld an allem nur bei dir zu suchen!“

Ich bin unverbesserlich. Mein Glück ist, Lilly zu haben, die es zu verhindern vermag, dass ich mich ewig unter Wert verkaufe.

Mir ist bewusst, dass es stimmt, was sie sagt. Verdrehte Welt, wenn die jüngere Schwester der großen erklärt, wie ihr Leben funktionieren sollte. Und sie hat auch das Recht dazu, nachdem sie es scheinbar geschafft hat ein annähernd perfektes Leben auf die Beine zu stellen.

Sie, bei der meine Eltern lange der Meinung waren, sie würde ein Modepüppchen werden, das nur Klamotten und Styling im Kopf hat. Dass sie sich in ihrem Leben einen Lebensabschnittsbegleiter nach dem anderen suchen wird, um sich ihren Lifestyle zu finanzieren. Die Optik, um jede Woche einen neuen Mann abzuschleppen, hätte sie. Oft genug habe ich fasziniert ihre Wirkung auf die Männerwelt beobachtet.

Sie hat die helle Haut sowie die blonden Haare unseres Vaters geerbt. Ihre Augen strahlen in einem Blauton, der mich an einen glitzernden Meeresspiegel erinnert. Durch ihre kesse Ausstrahlung hat sie schon so manchen Kerl um den Verstand gebracht und es herrschte, zum Leidwesen unseres Dads, eine ganze Weile ein rege wechselnder Männerverkehr bei ihr.

Aber alles kam anders, als Nicolas ihr über den Weg lief – oder vielmehr sie in sein Leben stolperte. Er erledigte Pflasterarbeiten am Bürgersteig der Hauptstraße unserer Heimatstadt Towson. Lilly lief vollgepackt mit Einkäufen auf ihren High Heels den Weg entlang und purzelte halb über ihn. Nur dank Nicolas schneller Reaktion und seinen starken Armen bretterte sie nicht Kopf voraus in den Boden.

Das Szenario von damals zeichnet ein Schmunzeln auf mein Gesicht. Selten habe ich Lilly so sprachlos und unbeholfen erlebt, wie bei diesem Zusammentreffen mit ihrem späteren Ehemann. Nicolas behauptet heute noch, es war Liebe auf den ersten Blick für ihn. Sie können stolz auf ihr Leben in Maryland sein und auf alles, was sie sich aufgebaut haben. Es freut mich, wie sie sich mit ihren beiden Kindern in unserem Elternhaus eingelebt haben.

„Bist du noch da oder redest du nicht mehr mit mir?“

Ich werde heute, zum weiß Gott wievielten Mal, aus meinen Gedanken gerissen. Sie schweifen zurzeit viel zu schnell in alle Richtungen.

Ob das eine Nebenwirkung der ständigen Einsamkeit ist?

„Natürlich bin ich noch da, Lilly. Und damit ich nicht mehr mit dir rede, müssten schon andere Naturgewalten als John Flamming zwischen uns kommen.“ Der Versuch, das Gespräch aufzulockern, gelingt und Lillys Lachen lässt es mir heute zum ersten Mal warm werden ums Herz. Aus einem Bauchgefühl heraus, lade ich sie nach Kalifornien ein. „Auch wenn in meinem Kopf alles noch ganz in Ordnung ist und du nicht kommen musst, um mich zurecht zu rütteln – es würde mich freuen, wenn du mich mal wieder besuchen kommst. Kommt doch für ein verlängertes Wochenende vorbei. Die Flüge könnte ich euch noch als nachträgliches Weihnachtsgeschenk buchen. Und ihr mir im Gegenzug leckeres Weihnachtsgebäck mitbringen, welches du sicher wieder in Hülle und Fülle mit den Kids gebacken hast.“

Die Möglichkeit, Lilly und meine geliebten Patenkinder bald wieder in die Arme zu nehmen, lässt die Stimmung steigen. „Bitte Schwesterchen – wenn du momentan irgendetwas für mich tun willst, dann lass dir die Flüge schenken und kommt mich für ein paar Tage besuchen.“

Aus Lillys langem Schweigen lässt sich schließen, dass der Gedanke an den warmen Westen eine Überlegung wert ist. „Ich werde mit Nicolas reden und unseren Terminkalender studieren. Dann melde ich mich die Tage, okay? Ein paar Dollar für die Flüge könntest du ruhig ausgeben, nachdem du dich für die Weihnachtsgeschenke mal wieder gar nicht in Unkosten gestürzt hast.“

Lillys ironische Tonlage deutet an, wie sehr es ihr missfällt, wenn ich sie und ihre Familie mit Geschenken überhäufe. Aber ich beschenke sie nun mal zu gerne.

Bevor wir uns jetzt am Ende in einen sarkastischen Schlagabtausch begeben – Gene, die von unserem Vater durchkommen – lenke ich das Gespräch lieber wieder zu meiner Einladung. „Ich studiere auch gleich den Terminkalender und schicke dir dann eine Message, wann es bei uns passen würde. Habe den restlichen Abend nicht mehr viel vor, außer mein Rendezvous mit Carruades.“

Diese Worte lassen Lilly nochmal aufhorchen und nachhaken. „Wer ist Carruades? Hast du vergessen mir von jemandem zu erzählen?“

„Nicht wirklich.“ Dass Lilly den Namen für mehr als eine Weinsorte hält, trägt weiter zu meiner Belustigung bei. Schon hat sie es geschafft, die niedergeschlagene Stimmung komplett wegzuzaubern. „Carruades ist der schweineteure Rotwein, den ich für John gekauft habe. Den werde ich mir jetzt genüsslich einverleiben. Keinen einzigen Tropfen lasse ich diesem herzlosen, herrischen Workaholic übrig!“

„Auch wenn er wesentlich schlimmere Schimpfwörter aus deinem Mund verdient hätte, es ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, Schwester. − Es tut mir leid, aber ich muss Schluss machen. Matt sitzt noch vor der Flimmerkiste und genießt es, wie gut ich durch das Telefonat mit dir abgelenkt bin. Ohne dass ich ihm Anweisung dazu gebe, würde er wohl die ganze Nacht nicht ins Bett gehen. Warum können sie nicht einfach klein und niedlich bleiben, statt sich in quertreibende Kakteen zu verwandeln?“

„Grüß ihn von mir – und Marie auch!“

„Mach ich. Ich kann es kaum erwarten, dich wieder in die Arme zu schließen. Hoffentlich finden wir einen Termin und auf das nachträgliche Geschenk mit den Tickets lass ich mich auch gerne ein. Es wäre mir eine Genugtuung, auf Johns Kosten zu verreisen.“ Ich kann Lillys schelmisches Grinsen förmlich vor mir sehen.

„Hab dich lieb, Sam! Pass auf dich auf und lass dich nicht unterkriegen.“

„Es war schön, dich zu hören. Mir geht es dank dir schon wieder viel besser. Du weißt irgendwie immer, wie du mich aufbauen kannst. Hab dich ebenfalls lieb. Grüße an meinen Schwager. Bis dann.“

„Wir hören uns.“

Das Klicken im Telefon versetzt mir einen kleinen Stich. Erst jetzt, als die Leitung tot ist, wird mir bewusst, wie dringend ich ein Gespräch wie dieses nötig hatte. Mit einem Menschen zu quatschen, der einen durch und durch versteht und bei dem ich mir sicher bin, er wird immer hinter mir stehen, komme was wolle. Lange war ich davon überzeugt, dass auch John eine solche Person für mich ist. Doch bringt es nichts, mir nicht einzugestehen: Diese Zeiten sind längst vorbei.

Nachdem ich das Telefon auf den Beistelltisch der Terrasse gelegt habe, schnappe ich mir das mittlerweile leere Weinglas und wickle mich aus meiner Kuscheldecke, um Nachschub zu holen. Auf dem Weg zu der kleinen Teakholz-Bar auf unserer Südterrasse rieche ich kurz an einem Rosenstrauch, der an seinem Eisenspalier bis zum Balkon hoch wuchert, und lasse mich aufs Neue von seinem Duft begeistern. Vorsichtig umschließe ich mit meiner Hand eine der Blüten und sauge ihr Aroma in mich auf. Dieser Rosenstock war das Erste, was ich in unserem Garten angepflanzt habe. Am Tag des Einzuges hatte ich ihn John geschenkt und ihm eine Karte angehängt:

Möge er wachsen wie unsere Liebe!

Zum Glück hatte der Strauch nichts auf meine Worte gegeben, denn sonst würde er kaum so kräftig treiben und mir jedes Jahr aufs Neue diese wundervollen blutroten Blüten schenken.

Ich gieße mir Wein nach und beschließe, gleich die ganze Flasche mitzunehmen. Beim Wenden fällt mein Blick auf den Barspiegel, der schräg über der Theke angebracht ist. Im Spiegelbild betrachte ich die dunklen Ansätze der aufgehellten Haare, die John mir heute vorgehalten hat. Nur ihm zuliebe habe ich mit dem Blondieren angefangen und Ewigkeiten gebraucht, bis ich mich an diesen Anblick gewöhnte. Statt meiner dunklen Lockenpracht trage ich geglättete, blonde Haare, die ich, seinen Vorlieben entsprechend, meist zu einer strengen Hochsteckfrisur binde. Die Haarfarbe passt überhaupt nicht zu meinen undurchdringlichen Augen und den südländischen Genen meiner Mutter.

Warum lässt du dich nur so von John verändern? Warum bleibst du dir selbst nicht treu?

Mir kommt es vor, als würde Mom mich aus dem Spiegelbild betrachten und ermahnen. Abgesehen von den unnatürlichen Haaren finde ich in meinem Abbild immer mehr Ähnlichkeiten mit ihr, je älter ich werde. Und jede davon erfüllt mich mit Stolz.

Mom war eine verdammt hübsche Frau. Schön und selbständig!

Dad und sie haben sich geliebt und auch mal gestritten − aber sie waren immer auf Augenhöhe.

„Ich weiß, dass du mein Verhalten niemals gutheißen würdest: Kampflos klein beigeben und sich alles gefallen lassen. Aber ich hatte es anders versucht und es wurde nur schlimmer. Wie soll ich es denn sonst machen? Irgendwie muss ich meine Ehe doch retten können! Es ist mein Versuch, an dem Eheversprechen festzuhalten: In guten wie in schlechten Zeiten – auf Ewigkeit! Würde ich alles einfach hinschmeißen, so wie Lilly es mir rät, würdest du es auch nicht in Ordnung finden – oder?“

Seit John kaum mehr Zeit für mich hat, suche ich oft das Gespräch mit meiner Mutter. Obwohl sie nicht mehr da ist, bilde ich mir dann ein, sie wäre mir nah und würde zuhören. Zwar erwarte ich keine Antworten, aber ich fühle mich meist wesentlich besser, wenn ich mich mit ihr ausgesprochen habe. Tief im Herzen wird sie immer bei mir sein.

Noch einmal blicke ich dem Spiegelbild in die Augen, suche nach Kraft und Selbstwert in ihnen und ziehe mich mit dem Vorsatz zurück, gleich morgen den Friseur anzurufen und einen Termin auszumachen. Aber nicht, um die Haare zu blondieren, sondern um sie in meinem natürlichen Braunton färben zu lassen. Auch wenn mir bewusst ist, dass ich John damit zur Weißglut treiben werde.

Ich werde meine Ehe retten, aber mir trotzdem selbst treu bleiben, Mom!

~~~~~

Auf dem Weg zurück zur Sitzecke fällt mein Blick auf die Hängematte im Garten, die unser Gärtner Bill für mich aufgehängt hat. Einen passenderen Platz als unter dem Spalier mit wildem Wein hätte er nicht finden können. Mit meiner Kuscheldecke um die Schultern geschlungen laufe ich barfuß durch das kühle Gras auf sie zu und schmiege mich hinein. Sofort überkommt mich ein Gefühl von Wohlbehagen und Sicherheit.

Ich denke, dieser Ort kommt weit oben auf die Liste meiner Lieblingsplätze.

Kurz bevor die Rotweinflasche leer ist, lausche ich dem Zirpen der Grashüpfer und schlafe ein. Gute Vorsätze begleiten mich in das Land der Träume:

Morgen werde ich etwas Samantha wegpacken und wieder ein wenig mehr Sam zum Vorschein kommen lassen!

Mal sehen, wie mein Mann damit zurechtkommt!

Kapitel 4

Wie verliebt wir waren

Wie jedes Jahr findet der Wohltätigkeitsempfang im Shutters Hotel statt. Die Organisatoren haben sich dabei mal wieder selbst übertroffen. Der ganze „Grand Salon“ ist in elegantem Weiß gehalten und wird mit rot-grünen Akzenten aufgefrischt. Überall sind vereist wirkende Äste mit LED-Lichterketten verteilt, die funkeln wie kleine Diamanten. Mit Glitzer ummantelte Eiskristalle aus Kunststoff hängen zwischen unendlichen Reihen aus weißen Stoffbahnen von der Decke. Beeindruckt lasse ich den Zauber des Anblicks auf mich wirken.

Hier könnte sogar ein Ball der Eisprinzessin stattfinden.

Es wirkt alles exquisit. Doch führen einem die farblichen Dekorationen auch ein wenig den weihnachtlichen Hintergrund dieses Wohltätigkeitsempfangs vor Augen. Wie jedes Jahr bezweckt das Event, die Reichsten der Reichen daran zu erinnern, dass es nicht allen gut erging, während sie ihre Weihnachtsferien auf irgendwelchen Luxusyachten oder Privatinseln verbrachten. Es zielt darauf ab, ihnen das Portemonnaie zu öffnen. So ist es möglich, Kindern und Jugendlichen, deren Familien in der sozialen Hierarchie nicht besonders gut gestellt sind, unter die Arme zu greifen. Es werden dabei zahlreiche Sozialprojekte im Großraum von Los Angeles unterstützt. Für mich eine Herzensangelegenheit – für John eine willkommene Publicity!

Neben den Reichen, die Geld bei diesem Empfang spenden sollen, werden jedes Jahr auch einige Einrichtungen mit sozialen Projekten eingeladen. Wir ehren die Mitarbeiter für ihr Engagement und lassen sie einen Abend in das High Society Leben schnuppern.

In einem silbergrauen, hochgeschlossenen Samtkleid haste ich durch den Saal. Ich gebe mein Bestes, um nicht in meiner tollpatschigen Art über den langen Saum zu stolpern. Es wird höchste Zeit, John zu finden, um den sozial engagierten Ehrengästen persönlich die Hand zu schütteln.

Von meinem Mann fehlt jedoch jede Spur.

Ich bin mir sicher, er hat sich mit Absicht rar gemacht.

Ihm ist bewusst, wie wichtig mir das Begrüßen der Ehrengäste ist. Es soll ihnen helfen, sich willkommener in diesem gehobenen Establishment zu fühlen. Durch meine kleine Friseur-Rebellion habe ich allerdings Johns Unmut mehr als sonst auf mich gezogen. Seit diesem Termin versucht er scheinbar, sich mit allen Mitteln an mir zu rächen. Sei es, dass er seit ein paar Tagen abends gar nicht mehr nach Hause kam und lieber auf der Schlafcouch in seinem Büro übernachtete oder versehentlich mit dem Auto ein paar meiner Blumenbeete in der Hofeinfahrt ramponierte.

Nun versucht er, es an die Spitze zu treiben und, nur um mich zu ärgern, das Begrüßungsritual zu sabotieren. Seit meinem Friseurtermin kommen ab und an Zweifel auf, ob es richtig war, mich seinen Wünschen und Vorstellungen zu widersetzen. Aber jedes Mal, wenn ich an einem Spiegel vorbeigehe und mein Äußeres durch die dunklen Haare stimmiger wirkt, durchfährt mich Zufriedenheit.

Endlich bin ich wieder ein Stück mehr ich selbst. Endlich kann ich mir wieder erhobenen Hauptes in die Augen blicken.

Johns Racheaktionen haben mich allerdings doch ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurück manövriert. Kurzentschlossen ließ ich für heute meine Lockenpracht bändigen und mir eine seiner geliebten Hochsteckfrisuren zaubern. Nur ein paar Fransen im Gesicht lassen Naturlocken erahnen. Für mich ein gutes Zwischenmaß – für John scheinbar kein Kompromiss.

Er erwartet volle Unterwerfung nach seinen Wünschen und Entscheidungen. Doch diese Samantha bin ich nicht mehr bereit zu sein! − Glaube ich.

Angesichts dessen, dass die Suche nach John immer noch erfolglos blieb, verstärkt sich wieder der Zweifel an meinem Handeln.

„Samantha, meine Liebe, du siehst ja ganz gehetzt drein. Ist alles in Ordnung?“ In der Eile hätte ich fast Johns ehemaligen Chef Henry Meyer über den Haufen gerannt.

„Hallo Henry, schön dich zu sehen.“

Er gibt mir links und rechts einen Kuss auf die Wange und hält mich dann mit seinen Händen an meinen Schultern prüfend auf Abstand.

„Die ganze Zeit dachte ich mir schon, dass etwas anders ist an dir. Und jetzt auf einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen! Du siehst wieder mehr wie das ungestüme Mädchen von damals aus, das an Johns erstem Arbeitstag vor meine Füße stolperte. Du darfst mir nicht böse sein, wenn ich das so sage, aber ich finde dich mit deiner dunklen Naturhaarfarbe viel schöner. Dieses Blond, das du seit einigen Jahren getragen hast, sah extrem künstlich aus! Man konnte dich fast mit einer solariumgebräunten Barbiepuppe verwechseln.“

Viele würden feststellen, dass diese Anmerkung zu persönlich und unpassend ist. Allerdings nur diejenigen, die Henry nicht kennen. Ich kenne ihn mittlerweile lange genug. Wir pflegen seit Jahren eine freundschaftliche Beziehung zueinander und ich weiß genau, er meint es aus tiefstem Herzen ehrlich und aufrichtig. Henry war mir vom ersten Moment an sympathisch. Sein treuherziger Blick und seine warme Ausstrahlung haben mich schon immer begeistert. Eigenschaften wie diese sind im harten Immobiliengeschäft nur selten zu finden. Sein Kompliment lässt auch prompt meine Selbstsicherheit wieder steigen.

„Danke, Henry, mir gefällt es auch besser. Hast du zufällig John gesehen, ich suche ihn dringend und kann ihn nirgends finden!“

„Nein, Liebes – und wäre er an mir vorbeigekommen, hätte ich ihn zufällig nicht wahrgenommen!“

Bei Henry sitzt der Kummer, den ihm John bereitet hat, nach all den Jahren noch immer tief. Unsere Freundschaft hat darunter glücklicherweise nicht gelitten. Da er aber mit meinem Mann nichts mehr zu tun haben will, sehen wir uns leider nur noch selten. Es hatte Henry zutiefst enttäuscht, wie ein Ziehvater unendlich Zeit und Geduld in John investiert zu haben, aber nie nur einen Hauch Anerkennung zurückzuerhalten. Er hat ihm alles Nötige beigebracht und nie Dank dafür erfahren. Sogar im Gegenteil. Obwohl Henry ihm eines Tages die Leitung seines Imperiums in die Hände legen wollte, reichten John die Vorteile dabei nicht aus. Als bei ersten Nachfolgeverhandlungen die Rede davon war, er müsse größere Entscheidungen auch zukünftig von Henry absegnen lassen, hatte John begonnen Pläne für ein eigenes Unternehmen zu erstellen. Aber leider ließ er Henry und mich bis zuletzt in dem Glauben, er würde die Nachfolge antreten. Nur wenige Tage vor der Beförderung brachte John die Bombe zum Platzen und besaß dabei die Frechheit, einige Arbeitskollegen mit abzuwerben. Er konnte von Glück sprechen, dass es Henry zu dumm war, die Sache vor Gericht zu ziehen. Er hätte John damit wie eine lästige Made zerquetscht. Doch Henry war zu stolz dafür und die verlorenen Arbeitskräfte waren ihm all den Aufwand nicht wert.

An diesem Abend folgte der erste handfeste Streit zwischen John und mir. Der erste von vielen, bevor ich begann den Streitereien aus dem Weg zu gehen und lieber klein beizugeben. Obwohl es schon so lange her ist, hege ich nach wie vor ein schlechtes Gewissen gegenüber Henry – ausreichend für mich und John gemeinsam. Auch wenn Henry mir ständig beteuert, nicht für Verfehlungen meines Mannes einstehen zu müssen.

Mit einem tiefen Atemzug reiße ich mich von den Erinnerungen los. Es wird höchste Zeit, die Suchaktion fortzusetzen. „Entschuldige bitte kurz, Henry. Ich komme nachher nochmal zu dir und wir können ausgiebig reden, ja? Jetzt muss ich aber zuerst John finden und außerdem mal kurz für kleine Mädchen!“

Ich zwinkere Henry mit einem Lächeln zu, obwohl mir danach wäre, hier bei ihm für den restlichen Abend Zuflucht zu finden. Mir dessen bewusst, dass dies nicht mit meiner gesellschaftlichen Aufgabe vereinbar ist, stürze ich mich seufzend wieder ins Getümmel.

~~~~~

Froh zu wissen, wo die weniger besuchten Toiletten im hinteren Teil des Hotels sind, ziehe ich mich zurück. Nur zwei Damen sind im Raum, die ich mit einem freundlichen Kopfnicken grüße.

Kaum ist die Kabinentür hinter mir geschlossen, lasse ich mich auf die Toilette sinken und genieße es, dem Chor der Stimmen im Saal für ein paar Augenblicke zu entkommen. Meine Gefühlswelt begibt sich auf eine Achterbahnfahrt und hält mich länger in dieser Kabine gefangen als geplant. Erst als ich den Eindruck habe, ungestört im Raum zu sein, ringe ich mich zum Aufstehen durch und akzeptiere, mich langsam wieder meinen Aufgaben stellen zu müssen.

Eine perfekt gestylte Dame sieht mir aus dem gold-eingefassten Spiegel über dem Waschbecken entgegen. Doch selbst die fachmännisch aufgetragenen Make-up-Schichten lenken, bei genauerem Hinsehen, nicht von dem innerlichen Chaos dahinter ab. Von weitem höre ich jemanden näherkommen und nach wenigen Augenblicken betreten zwei kichernde Frauen den Raum, die verschiedene Gerüchte austauschen. Enttäuscht über das abrupte Ende meiner Verschnaufpause, erfrische ich mich kurz am Waschbecken, bessere das Make-up nach und verlasse mit einem gespielt freundlichen Lächeln die Toiletten.

Doch statt mich Richtung Saal zu wenden, beschließe ich, die Auszeit zu verlängern. Mein aufgewühltes Inneres braucht eine Chance, zur Ruhe zu kommen. Die extra für die Gastgeber eingerichtete Suite kommt mir dafür sehr gelegen. Sie ist für kurze Besprechungen unter vier Augen mit Spendern oder Vertretern gemeinnütziger Einrichtungen gedacht. Jetzt soll sie mir als kurzer Zufluchtsort dienen.

Mit einem Seufzer lasse ich mich in einen der weißen Ledersessel fallen, lege den Kopf zurück und schließe die Augen. Die Stille zeigt allerdings nicht ihre erhoffte Wirkung und der Wirbelsturm, der seit Tagen in meinem Innersten wütet, nimmt wieder an Fahrt auf.

Warum probiert John momentan alles, um es mir unnötig schwer zu machen?

Warum versucht er schon wieder, Machtspielchen mit mir zu treiben?

Warum ausgerechnet heute auf diesem Empfang – einer der wenigen Termine, der mich in den letzten Jahren noch Nähe zu ihm erahnen ließ?

Warum hat sich so viel zwischen uns geändert?

Meine Hände krallen sich in die Armlehnen des Sessels. Ein Versuch, die aufsteigende Wut über die eigene Machtlosigkeit irgendwohin abzuleiten. Vergebens! Natürlich bleibt keine Liebe ewig so wie in der ersten frisch verliebten Zeit. Doch von dem, was einst zwischen mir und John war, ist mittlerweile nicht mehr als ein Schatten erkennbar. Henrys Bemerkung kommt mir in den Sinn.

„Du siehst ja wieder wie das ungestüme Mädchen von damals aus, das an Johns erstem Arbeitstag vor meine Füße stolperte.“

Wie glücklich John und ich waren!

Wie verliebt wir waren!

Wie sehr ich meinen Johnny von damals vermisse!

Ich war mir sicher, es würde sich nie etwas zwischen uns drängen. Wir verstanden uns blind und wussten oft, was der andere dachte, ohne dass es ausgesprochen werden musste.

Keine Ahnung, wann wir von diesem Weg abgedriftet sind.

Kleine Erinnerungsszenen ziehen mich in ihren Bann und der Raum rundherum verblasst. Ich lasse zu, dass die Sehnsucht nach dem Mann, den ich scheinbar im Laufe der letzten Jahre verloren habe, mir den Atem raubt. Erinnerungen, die wie aus einem anderen Leben scheinen:

... John und ich genießen ein Glas billigsten Weins in unserem Zwei-Zimmer Apartment. Zur Feier des Tages zaubere ich ihm ein italienisches Menü. Morgen ist der große Tag – sein erster Arbeitstag bei Henry Meyers Online Immowelt.

Als alle Gänge vertilgt sind, lehnen wir uns auf unserer durchgesessenen Flohmarkt-Klappcouch zurück und stoßen zum zigsten Mal auf den nächsten Tag an.

„Morgen ist also dein großer Tag. Ich bin unendlich stolz auf dich und bin mir sicher, dass du alle begeistern wirst.“ Mit dem Weinglas in der Hand kuschle ich mich in die Kissen und lege meine Füße locker auf Johns Schoß. Sanft massiert er mir die Fußsohlen und sieht dabei zufrieden und mit sich selbst im Reinen aus. „Wie machst du das nur, Honey?“

„Was – die Massage? Gefällt sie dir? Mir würden da gerade noch unendlich viele andere Möglichkeiten einfallen, dich zu massieren!“ Er schenkt mir eines dieser Lächeln, die ich so an ihm liebe. Begierde blitzt dabei aus seinen bezaubernden grünen Augen und lässt mich erahnen, wohin dieser Abend führen wird.

„Ich meinte, wie du es machst, so relaxed zu wirken. Morgen ist dein großer Tag und während ich aufgeregt und hibbelig deswegen bin, sitzt du da wie Buddha persönlich: Die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person.“

„Du bist für uns beide zusammen genug aufgeregt. Außerdem hast du mir die letzten Wochen so oft gesagt, wie gut ich in meinem Job sein werde − wie ich sie begeistern werde − wie unersetzbar ich für sie sein werde, dass ich es wohl mittlerweile selbst glaube und nur so von Selbstsicherheit strotze.“ Johnny mimt zuerst eine Siegerpose, packt dann nach meiner Hüfte und zieht mich auf seinen Schoß.

Kichernd wie ein Teenager lasse ich es zu.

Kaum sind unsere Gesichter direkt voreinander, küsst er mich voller Leidenschaft. Hitze steigt in mir auf. Mit einem kehligen Raunen peitscht seine Zunge zwischen meine Lippen und wie auf Kommando spannt sich alles abwärts bis zu meinem Becken an. Er besitzt die Fähigkeit, mich wie einen Schalter zu bedienen. Wenn Johnny etwas Verführerisches im Schilde führt, ist es mir nie möglich, dagegen einzulenken – zu genau kennt er die „Knöpfe“, die meinen Körper nach seinem Willen funktionieren lassen.

Leise raunt er mir ins Ohr. „Danke, Liebling!“ Dabei knabbert er vorsichtig daran und wandert eine empfindsame Linie meinen Hals entlang.

Kleine Feuerzungen beginnen auf der Haut zu tanzen.

„Für was?“ Meine Stimme bekommt einen rauen Unterton.

Ohne seinen Mund von meiner Haut zu nehmen, flüstert Johnny weiter. „Dafür, dass du immer an mich glaubst und hinter mir stehst. Dafür, dass du meine Frau bist und ich immer auf dich zählen kann! Dafür, dass du mein Fels in der Brandung bist!“

Seine Worte zaubern mir kleine Tränen in die Augen. Mein Herz scheint fast zerspringen zu wollen vor lauter Glück und Liebe zu diesem Mann. Ich ziehe sein Gesicht zu mir und lasse meine Lippen darüber wandern, bis sie die seinen finden. Den Kuss von eben erwidernd, lege ich meine ganze Liebe und mein Verlangen hinein. „Bitte, gerne. Du machst es einem ja auch leicht, an dich zu glauben.“

Obwohl ich mich am liebsten ohne großes Vorspiel auf ihn stürzen möchte, unterdrücke ich meine Gier nach ihm, zwinkere und versuche unser Spielchen fortzuführen. „Du könntest ja als Dankeschön nochmal zu dem Thema Massagen zurückkommen.“

Das verschmitzte Grinsen hat mit Sicherheit schon mein ganzes Gesicht erfüllt.

„Ich denke, auf dieses Geschäft könnte ich mich einlassen, Mrs Flamming.“ Johnny genießt es, mich bedächtig bis auf meinen Slip auszuziehen und am ganzen Körper zu verwöhnen. Ich zerfließe förmlich unter seinen Berührungen. Leises Stöhnen lässt dabei seine steigende Lust erahnen. Seine Fingerspitzen tänzeln zart die Innenseite meines Beines hoch. Jeder Hautkontakt putscht mich höher und höher. Nur Bruchstücke von Gedanken wirren durch meinen Kopf:

Berühr mich – erfüll mich – treib mich endlich zur Erlösung!

Mein ganzer Körper fühlt sich vor lauter Anspannung an, als würde er glühen. Mit unzähligen Küssen arbeitet Johnny sich langsam auf allen vieren von den Füßen aus nach oben. Nur an meiner intimsten Stelle macht er kurz halt und blickt schelmisch zu mir hoch. „Diesen Ort heben wir uns für später auf!“

Sein Spielchen bringt mich um den Verstand. Am liebsten würde ich ihn anbetteln, nichts für später aufzuheben. Ein Wirbelsturm wurde von ihm entfacht, der mich mit sich reißt. Ich habe das Gefühl, bei der kleinsten Berührung zu zerbersten. Johnny wandert weiter, bis er wieder mit mir auf Augenhöhe ist. „Drehen Sie sich um, Mrs Flamming – Sie haben eine Massage bestellt.“

Ich wende mich auf den Bauch und ziehe scharf den Atem ein, als Johnny sich kurz auf meinen Rücken legt, um an meiner Halsflanke zu knabbern. Dabei spüre ich seine Erregung gegen meine Hüfte drücken. Seine darauffolgenden Massagebewegungen lassen mich knurrig stöhnen. Dann brechen seine Berührungen kurz ab und er flüstert zärtlich in mein Ohr.

„Jetzt sind wir so gut wie durch, Schätzchen – kommen wir zum Finale!“ Er entledigt mich meines Slips und gibt den Weg für den Showdown frei …

KNOCK – KNOCK

„Mrs Flamming! Mrs Flamming, sind Sie hier drin?“

Das Klopfen und Judys texanischer Akzent lassen mich aus meiner Gedankenflut hochschrecken. Mein Atem geht schnell, als hätte ich alles gerade real erlebt. Die Erinnerungen waren so intensiv, dass ich beim Aufstehen spüre, wie das Spitzenhöschen an mir klebt.

Was ist nur passiert mit mir? Ist es möglich, mit beinah vierzig Jahren meinen ersten feuchten Traum erlebt zu haben?

Verwirrt versuche ich, wieder Fassung zu finden. Ich schnaufe tief durch, richte mein Kleid zurecht und gehe zur Tür. Dabei kommt es mir so vor, als würde ich den Geschmack von Johnnys Küssen auf meiner Zunge schmecken.

Scheinbar schafft es mein Mann, mich immer noch anzuturnen − oder vielmehr der Mann, der er einmal war.

Kurz lege ich den Kopf gegen die Tür und versuche, mich zu sammeln. Dann drehe ich am Schloss, öffne die Tür und blicke in den langgezogenen Gang, der zu dieser Suite führt. Judy hatte sich bereits zum Gehen gewandt, dreht sich aber wieder in meine Richtung, sobald sie das Klicken des Türschlosses hört. Sie scheint nicht mehr damit gerechnet zu haben, mich hier zu finden. Ihr besorgter Blick wandelt sich schnell in einen erleichterten Ausdruck. „Mrs Flamming, da sind Sie ja! Ich suche Sie schon seit einer ganzen Weile. Ihr Mann hat schon begonnen, die ersten Ehrengäste zu begrüßen. Wir konnten nicht länger auf Sie warten. Alles in Ordnung bei Ihnen?“

Judy ist schon seit über zehn Jahren die rechte Hand von John. Anfangs überkam mich oft Eifersucht bei dem Gedanken, wie wenig Zeit er für mich hat und wie viel Zeit sie mit ihm verbringen darf. Aber nachdem sich herausstellte, dass Judy mehr meiner Gunst und den Flirtversuchen weiblicher Verehrerinnen zugewandt ist, war sie auf einmal die perfekte Sekretärin.

„Es ist alles okay, Judy. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich fühlte mich nur kurz ein wenig schwindelig und wollte mich erholen. War wahrscheinlich keine gute Idee, auf leeren Magen gleich zwei Begrüßungscocktails zu schlürfen.“ Ich schenke Judy ein entschuldigendes Lächeln und hoffe, sie merkt nicht, dass an dieser Geschichte nur die beiden Cocktails wahr sind.

„Geht es Ihnen denn nun besser oder soll ich Ihnen lieber ein Glas Wasser oder ein paar Häppchen vom Vorspeisenbuffet bringen? − Oder warten Sie, wir haben auch sicher ein paar Ärzte auf der Gästeliste …“

„Nicht nötig! Ich brauche keinen Doktor. Mir geht es schon wieder gut. Geben Sie mir noch ein paar Minuten und dann werde ich mich dem Begrüßungskomitee anschließen. Danke für Ihre Fürsorge.“

„Soll ich noch bei Ihnen bleiben, Mrs Flamming?“ Judy sieht verlegen zu Boden. Ihr jungenhafter Bob fällt ihr dabei über das Gesicht und gibt nur einen kleinen Teil davon frei.