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Luxuriös, geheimnisvoll, sexy – Royal Romance von Spiegel-Bestsellerautorin Anya Omah. Wir alle wachsen mit diesen Geschichten auf. Mädchen trifft Prinz. Mädchen verliebt sich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann ... Doch das ist eine Lüge. Denn nachdem meine beste Freundin einen echten Prinzen getroffen hat, ist sie spurlos verschwunden. Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu finden. Also bewerbe ich mich auf eine Stelle im Schloss und bekomme tatsächlich eine Zusage. Niemand darf wissen, warum ich wirklich hier bin. Vor allem nicht Kronprinz Maximilian. Doch schon die erste Begegnung mit ihm macht mir eines klar: Dieser Mann ist anders als erwartet. Freundlicher. Verführerischer. Verwirrender. Und das bringt nicht nur meinen Plan, sondern auch mein Herz in große Gefahr. Ein verführerischer Kronprinz und eine junge Frau, die nach der Wahrheit sucht … Band 1 der Northern-Royals-Dilogie.
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Seitenzahl: 465
Anya Omah
Roman
Das Märchen ist eine Lüge …
Wir alle wachsen mit diesen Geschichten auf. Mädchen trifft Prinz. Mädchen verliebt sich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann … Doch das ist eine Lüge. Denn nachdem meine beste Freundin einen echten Prinzen getroffen hat, ist sie spurlos verschwunden. Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu finden. Also bewerbe ich mich auf eine Stelle im Schloss und bekomme tatsächlich eine Zusage. Niemand darf wissen, warum ich wirklich hier bin. Vor allem nicht Kronprinz Maximilian. Doch schon die erste Begegnung mit ihm macht mir eines klar: Dieser Mann ist anders als erwartet. Freundlicher. Verführerischer. Verwirrender. Und das bringt nicht nur meinen Plan, sondern auch mein Herz in große Gefahr.
Band 1 der Northern-Royals-Dilogie
SPIEGEL-BESTSELLER-AUTORIN
Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/darkcinderella eine Content-Note.
Anya Omah, geboren in Nordrhein-Westfalen, hat als medizinisch-technische Laborassistentin und Wirtschaftspsychologin gearbeitet, bevor sie sich als Autorin selbstständig machte. Über diese Entscheidung sagt sie Folgendes: «Ich war verrückt genug, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen, und kehrte dem sicheren Bürojob den Rücken. Aber mal ehrlich … wie verrückt kann es sein, einen Traum zu leben, wenn man die Chance dazu bekommt?» Im März 2014 veröffentlichte sie ihren Debütroman, es folgten zahlreiche weitere New-Adult-Romane. Mit der Sturm-Trilogie stand sie erstmals auf der Spiegel-Bestsellerliste, Band 3, «Gewitterleuchten», stieg bis auf Platz 2. Mit den «Northern Royals» legt sie nun eine neue Dilogie vor.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Zitat auf Seite 363 aus dem Song «Dangerous Woman» von Ariana Grande; Melodie und Text von Johan Carlsson, Max Martin, Ross Golan
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-01615-6
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Liebe Leserin, lieber Leser,
darf ich dich in mein Königreich entführen und dir eine Geschichte erzählen? Sie handelt von einem Prinzen, der sich in eine Bürgerliche verliebt und mit ihr in den Sonnenuntergang reitet.
Nun ja. Nicht wirklich.
Der Teil mit dem Ritt in den Sonnenuntergang ist gelogen. Unsere Geschichte – die Geschichte von Sofia und mir – ist keine typische Cinderella-Story. Denn meine Cinderella ist selbstbewusst, schlagfertig und klug. Sie braucht keine hübschen Ballkleider und gläsernen Schuhe, um mich um den Finger zu wickeln. Unser Happy End bekommen wir auch so. Nur ist der Weg dorthin mit Lügen, Intrigen und Schmerz gepflastert.
Nicht dass wir uns missverstehen … Das hier ist keine Dark Romance. Ich wurde dazu erzogen, Frauen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen.
Wenn du dich davon angesprochen fühlst, bist du hier genau richtig, und ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen.
Dein Maximilian,
Kronprinz von Skønien
Für alle Mädchen und Frauen, die sich jeden Tag ihren Ängsten stellen. Ihr seid der beste Beweis dafür, dass es keine Krone braucht, um eine Königin zu sein.
Dangerous Game – Klergy & BEGINNERS
when the party’s over – Billie Eilish
Drive, Pt. 1 – Ben Khan
Go Fuck Yourself – Two Feet
Mount Everest – Labrinth
Love Is Complicated (The Angels Sing) – Labrinth
Electric Feel – Henry Green
From Eden – Hozier
Fall in Love with You. – Montell Fish
Too Much – Tora
Dangerous Woman – Ariana Grande
Money – Lola Young
Bitter Sweet Symphony (Live at Maida Vale) – London Grammar
Shameless – Camila Cabello
Bad Kingdom – Désirée Mishoe & Robot Koch
Sailor Song – Gigi Perez
Apartment – BOBI ANDONOV
ur so pretty – Wasia Project
People We Don’t Know – David O’Dowda
Ist das Blut?
Abrupt bleibe ich vor der angelehnten Tür der Toilettenkabine stehen und betrachte die rot verschmierten Spuren. Fingerabdrücke, nur wenige Zentimeter über dem Griff, nach dem ich gerade meine Hand ausgestreckt habe.
Instinktiv weiche ich zurück und remple dabei jemanden an. Eine junge Frau ist hinter meinem Rücken aufgetaucht, aber sie scheint weder meine Entschuldigung noch den Rempler mitbekommen zu haben. In einem Paillettenkleid, so funkelnd wie die Discokugel über der Tanzfläche des Clubs, torkelt sie an mir vorbei und verschwindet in die letzte freie Kabine.
Ich richte meinen Blick wieder nach vorne, starre die roten Schlieren an. Für die es vermutlich eine ganz harmlose Erklärung gibt. Trotzdem kommt mir der Anblick irgendwie … bedrohlich vor. Deplatziert in einem der exklusivsten Clubs Skandinaviens. Als würden Celebritys nicht menstruieren.
Mein Instinkt – vielleicht ist es auch Neugierde – lässt mich vorsichtig an die helle, mit Stuck verzierte Tür klopfen. «Hallo? Ist jemand dadrin?»
Keine Antwort oder sonst eine Reaktion. Alles, was ich höre, sind gedämpfte Bässe elektronischer Musik, Pinkelgeräusche und der Abzug einer Klospülung. Rechts von mir öffnet sich die Tür, und es treten zwei Frauen heraus. Eine davon kommt mir auf Anhieb bekannt vor. Jessica Sörensen. Die Ermittlerin aus der True-Crime-Serie Missing über einen reichen Erben, der auf einer Studenten-Party spurlos verschwindet. Alva und ich haben jede Staffel gemeinsam durchgesuchtet – bis die Serie zu unserer eigenen Realität wurde. Mit mir und meiner besten Freundin als Hauptakteurinnen. Nur dass ihr letzter Aufenthaltsort keine Party, sondern der königliche Palast war.
Das Kichern der beiden Frauen reißt mich aus meinen Gedanken. Die Schauspielerin und ihre Freundin wanken zu den Spiegeln. Ich höre, wie sie ihre Hände waschen und über einen Typen reden. Dann, wie die Musik kurz lauter und wieder leiser wird, während ich einen Blick durch den Türspalt der Kabine wage – und jemanden am Boden entdecke. Eine Frau. Mit dem Rücken an die schwarz tapezierte Wand gelehnt, den Kopf nach unten geneigt, sodass ihr blondes Haar wie ein Vorhang ihr Gesicht verdeckt.
Sie ist vermutlich nur betrunken und schläft ihren Rausch aus. Nicht gerade der glamouröseste Platz, um wieder auszunüchtern. Aber ich kenne das. In meiner Partyzeit bin ich selbst schon an den seltsamsten Orten aufgewacht, ohne jede Erinnerung daran, wie ich dort hingelangt bin. Das Blut an der Tür ist vielleicht gar nicht von ihr.
Und wenn doch? Wenn sie verletzt ist oder eine Alkoholvergiftung hat und Hilfe braucht?
Miss Discokugel, mit der ich eben zusammengestoßen bin, kommt aus der Toilette gestolpert. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, sie anzusprechen. Wenn die Frau wirklich Hilfe braucht, will ich nicht allein sein.
Aber Miss Discokugel geht, als würde sie auf einem Drahtseil balancieren und jeden Moment abstürzen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich lasse es also bleiben, hole tief Luft und schiebe die Tür vor mir nach innen auf. Langsam und vorsichtig. Bis sie von etwas gestoppt wird. Dem Bein der Frau, die noch immer keine Reaktion zeigt. Auch nicht, als ich die Tür ein Stückchen weiter aufdrücke. Weiter und weiter, bis ich mich durch den Spalt schieben und einen Schritt über sie hinwegmachen kann. Mein Blick scannt ihren Körper nach Verletzungen ab. Ihre nackten, schlaff herabhängenden Arme. Ihre Hände und die mit Blut benetzten Finger. Ihre entblößten, ausgestreckten Beine. An einem ihrer Füße fehlt ein Schuh. Ich entdecke eine schwarze Sandalette mit roter Sohle neben der Toilette und auf dem zugeklappten Deckel einen kleinen Spiegel mit weißen Pulverresten. Daneben ein dünnes, goldenes Röhrchen … und Blutstropfen.
Nicht gut.
Hart schluckend hocke ich mich zu der Frau auf den beige marmorierten Fußboden und lege meine Tasche neben mich. Als ich ihr Haar zur Seite schiebe, um zu überprüfen, ob sie noch atmet, entdecke ich weitere Blutspuren. Unter ihrer Nase, auf ihren Lippen, ihrem Kinn und dem Ausschnitt ihres gelben Kleides.
Hat sie eine Überdosis? Ist sie tot?
Mein Herz schlägt schneller. Fängt an zu rasen. Blut rauscht in meinen Ohren und Adrenalin durch meine Adern. Hastig presse ich meinen Zeige- und Mittelfinger gegen den Hals der Frau, suche ihren Puls. Ihre Haut fühlt sich kühl an. Aber nicht kalt. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich ein leichtes Pulsieren unter meinen Fingern wahrnehme und erleichtert aufatme.
Sie lebt.
«Hey, du!» Ich rüttle an ihren schmalen Schultern. Erst sanft, dann etwas fester. Wenn sie noch ansprechbar ist, wäre das ein gutes Zeichen. «Kannst du mich hören?»
Sie stöhnt.
«Wach auf!»
Wieder nur ein Stöhnen.
Ich hocke mich vor sie, schiebe meine Hand unter ihr Kinn, hebe vorsichtig ihren Kopf an, und der Anblick ihres Gesichts lässt mich erstarren. Denn ich weiß, wer diese Frau ist. Durch meine Recherchen und Nachforschungen habe ich so viele Bilder und Videos von ihr gesehen, dass ich sie selbst jetzt erkenne. Trotz der erschreckenden Blässe. Trotz ihrer beinahe blutleeren Lippen und der zurückgerollten Augen. Ihre bernsteinfarbene Iris ist fast vollständig unter den nur halb geschlossenen Lidern verschwunden.
Das hier ist Prinzessin Linnea.
Seit Wochen versuche ich Kontakt zu ihr herzustellen, komme jedes verdammte Wochenende in die Stadt und lasse mich auf gut Glück in ihrem Lieblingsclub sehen. Nie war sie da. Und jetzt das: die sogenannte Party Princess, vollgedröhnt auf dem Boden einer Toilette. Das klingt wie die einfallslose Headline zu einem ihrer zahlreichen Skandale. Ihrem vielleicht letzten, wenn ich nicht sofort Hilfe hole. Sie braucht einen Arzt. Wenn ich mein verdammtes Handy bei mir hätte, könnte ich jetzt einfach den Notruf wählen, aber das musste ich an der Garderobe abgeben. Mir ist nicht wohl dabei, sie allein zu lassen. Aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht.
«Ich hole Hilfe, okay? Bitte versuch, wach zu bleiben.» Und nicht zu sterben, schießt es mir durch den Kopf. Ich ertappe mich bei dem absurden Gedanken, dass ihr Tod tragischer wäre als der eines anderen Menschen, und schüttele ihn sofort wieder ab. Dann richte ich mich auf, aber ein kaum hörbares «Nicht» lässt mich verharren.
«Geh nicht.» Ihre Stimme ist ein kraftloses Flüstern, gefolgt von einem Geräusch, das eindeutig nicht von ihr kam. Eine Art Brummen. Oder Vibration.
Was ist das? Wo kommt das her?
Es klingt wie … ein Handy. Was nicht sein kann. Weil im KRONA striktes Handyverbot gilt. Die Taschenkontrolle und der Metalldetektor am Eingang machen es unmöglich, ein Telefon hineinzuschmuggeln. Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn die Mitglieder der königlichen Familie Sonderrechte hätten.
Mein Blick sucht hastig den Boden ab und verharrt an einer beigen Clutch, nicht größer als ein Kuvert. Das Brummen kommt eindeutig aus dieser Tasche, die mit geöffneter Klappe neben ihrem Oberschenkel liegt. Hektisch greife ich hinein. Und als ich tatsächlich ein Telefon in der Hand halte, kann ich nur ungläubig aufs Display starren. Genau genommen auf das Kontaktbild von niemand Geringerem als Prinz Maximilian, dem Kronerben von Skønien, der beharrlich versucht, seine Schwester zu erreichen.
Was mache ich denn jetzt?
Soll ich drangehen?
Nein.
Seine Königliche Hoheit wird warten müssen. Denn die Prinzessin braucht ärztliche und keine royale Hilfe. Also tue ich das, was ich bei jeder anderen Person auch tun würde. Ich drücke ihn weg und wähle 112. Nach dem zweiten Klingeln meldet sich eine Frauenstimme, die mich fragt, was für einen Notfall ich melden möchte. Mein Blick wandert von Linnea zu dem kleinen Spiegel und dem Röhrchen auf dem zugeklappten Klodeckel. Die Situation ist eindeutig.
«Hier ist eine junge Frau mit einer Überdosis Kokain. Sie … sie blutet aus der Nase.» Dass es sich bei der jungen Frau um Prinzessin Linnea handelt, habe ich unbewusst für mich behalten. Ein Instinkt, den ich nicht erklären kann. «Sie befindet sich auf der Damentoilette im KRONA. Das … ähm … Das ist ein Club am Hafen von Kronsted», ergänze ich. Die Adresse müsste ich eigentlich auch kennen, aber sie will mir einfach nicht einfallen. Verdammt.
Zum Glück scheint sie nicht nötig zu sein, denn die Frau am Telefon hakt nicht nach. «Atmet sie?», fragt sie stattdessen mit ruhiger Stimme.
Das Ja bleibt mir im Hals stecken, als ich die geschlossenen Augen der Prinzessin bemerke. Noch vor einer Minute waren ihre Lider geöffnet – wenn auch nur halb –, und sie hat gesprochen. Jetzt wirkt sie vollkommen leblos.
Bitte nicht.
Ich halte meine Finger unter ihre Nase und spüre … nichts. Keine Wärme. Keine Atmung.
Oh Gott, nein.
Mit zittrigen Fingern versuche ich ihren Puls zu ertasten. Erst an ihrem Hals. Dann an ihrem Handgelenk. Wieder nichts.
«Sie atmet nicht mehr», keuche ich ins Telefon. «I-ich kann ihren Puls nicht fühlen!»
«Der Rettungswagen ist unterwegs. Haben Sie schon mal Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt?»
«Nein, noch nie.»
«Dann stellen Sie jetzt das Telefon auf laut, legen Sie es neben sich und folgen Sie meinen Anweisungen.»
Druck lässt mir die Kehle eng werden. Panik droht mich zu lähmen. Tief Luft holend, atme ich sie weg, stelle den Lautsprecher des Handys an und lege es auf den Klodeckel, damit ich beide Hände frei habe. Die Kabine ist gerade groß genug, um den reglosen Körper der Prinzessin vorsichtig in eine liegende Position zu bringen.
«Was soll ich tun?», frage ich mit bebender Stimme.
«Legen Sie Ihre Handballen übereinander mittig auf den Brustkorb.»
Ich befolge ihre Anweisung. «Okay.»
«Jetzt drücken Sie mit gestreckten Armen senkrecht im regelmäßigen Rhythmus von oben auf den Brustkorb.»
«Wie oft?»
«Hundert bis hundertzwanzig Mal pro Minute.»
«Pro Minute?», wiederhole ich unsicher, obwohl ihre Anweisung klar und deutlich war. Aber ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Woher soll ich wissen, wie lang eine Minute ist?
«Fangen Sie einfach an. So fest wie möglich. Sie können dabei nichts falsch machen.»
Okay. Nicht denken, einfach machen, sage ich mir. Dann fange ich an zu zählen und drücke dabei ihren Brustkorb nach unten. «Eins, zwei, drei, vier …»
Ich drücke, drücke, drücke, drücke …
«Fünf, sechs, sieben, acht.»
Ich drücke, drücke, drücke, drücke. Wieder und wieder. Die Frau spricht weiter mit mir, versichert, dass ich das gut mache, dass durch die Herzdruckmassage das Gehirn weiter mit Blut und damit mit Sauerstoff versorgt wird, dass die Rettungskräfte auf dem Weg sind. Sie redet immer weiter, mit einer beruhigenden Konstanz. Doch allmählich geht mir die Kraft aus, und meine hektische Atmung wird immer mehr zu einem Keuchen.
«Ist jemand in Ihrer Nähe, um Sie abzulösen?», fragt sie.
«Niemand … der … nüchtern wäre», antworte ich schwer atmend.
«Dann halten Sie durch. Das Rettungsteam ist jeden Moment da.»
Ich ignoriere das Brennen in meinen Armen und drücke weiter. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich Hilfe eintrifft. Meine Arme fühlen sich taub an, als ich von einer Rettungssanitäterin und ihrem Assistenten abgelöst werde. Ich mache ihnen Platz, trete hastig aus der Kabine. Mit wild klopfendem Herzen schicke ich Stoßgebete ins Universum. Bitte lass sie nicht tot sein. Bitte lass sie nicht tot sein. Bitte lass sie nicht tot sein.
«Das ist doch Prinzessin Linnea», höre ich den jungen Mann noch sagen. Und dann geht alles ganz schnell. Keine Minute später wird Linnea mit einer Beatmungsmaske auf einer Rettungsliege aus der Toilette getragen. Ohne lange darüber nachzudenken, hole ich unsere Taschen, ihr Handy und auch den Schuh aus der Kabine. Das Kokain lasse ich liegen und eile ihnen hinterher. Zum Hinterausgang des Clubs, wo uns ein paar Mitarbeiter entgegenkommen. Manche bleiben schockiert stehen. Die meisten gehen unbeteiligt weiter. Vielleicht sind solche Einsätze an Wochenenden Alltag.
Ich kenne Linnea nicht, wer weiß, ob sie überhaupt wollen würde, dass ich bei ihr bleibe. Aber es kommt mir irgendwie falsch vor, sie jetzt allein zu lassen, obwohl sie in guten Händen ist. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich für sie verantwortlich. Ich kann jetzt nicht nach Hause, ohne zu wissen, dass sie durchkommt. Und als ich gefragt werde, ob ich sie kenne, behaupte ich, eine Freundin zu sein, und steige in den Rettungswagen.
Kaum dass wir losgefahren sind, vibriert das Handy der Prinzessin. Ich halte es noch immer in der Hand, starre aufs Display und sehe, dass Prinz Maximilian anruft. Diesmal hebe ich ab.
«Eure Königliche Hoheit?»
Die Sicherheitschefin unserer Familie taucht in meinem Augenwinkel auf. Seit dieser Sache vor sechs Monaten klebt mir Thora wie ein Schatten am Arsch. Als zusätzliche Aufpasserin auf Geheiß meiner Mutter und ihrer Berater. Als hätte ich mit Nella und Filip nicht schon genug Bodyguards. Offenbar traut mir der Palast nicht zu, aus meinem Fehler zu lernen. Wobei sich die Party zu meinem Fünfundzwanzigsten – ein Geschenk meines besten Freundes Karim – eher wie Freisein als wie ein Fehler angefühlt hat. Ein Bissen der verbotenen Frucht, von der man mich seit meiner Geburt fernzuhalten versucht.
«Der Wagen ist abfahrbereit», sagt Thora. In ihrer Stimme schwingt der unmissverständliche Befehl meiner Mutter mit, dafür zu sorgen, dass Linn und ich vor zwei Uhr nachts zurück im Palast sind. Als hätte ihr eine geheime Quelle gesteckt, dass die Partys im KRONA dann erst richtig wild werden. Zumindest für diejenigen, die sich auf der Tanzfläche von der elektronischen Musik der DJane mitreißen lassen, während ich vom VIP-Bereich neidisch auf sie hinabblicke. Auf verschwitzte, sich aneinander reibende Leiber.
«Danke, Thora.» Durch die von außen verspiegelte Glasscheibe halte ich nach meiner Schwester Ausschau. Keine Ahnung, wie Linn es schon wieder geschafft hat, unseren Wachhunden zu entkommen. Sich unters Fußvolk zu mischen, gehört zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Eine von denen sein. Oder zumindest so tun, als ob. Allerdings wird ihre Abwesenheit auffallen, sollte sie in der nächsten Minute nicht wieder im VIP-Bereich auftauchen. Wobei es nicht nur ein Bereich, sondern vielmehr eine komplette Etage ist. Ein Privatclub über dem eigentlichen Club, für den Promis und alle, die sich dafür halten, bereit sind, monatlich zwanzigtausend Kronen hinzublättern. Was eventuell an dem zufälligen Schnappschuss von mir auf der Eröffnungsparty liegen könnte. Von dieser kostenlosen Werbung für Karims neuen Club war der Palast alles andere als begeistert. Wie kann es auch sein, dass ein Royal das Geschäft seines besten Freundes unterstützt?
Inzwischen habe ich jeden von hier oben einsehbaren Winkel des Clubs nach meiner Schwester abgesucht. Die kreisförmige Bar, die Tanzfläche und den Loungebereich. Nichts.
Darauf hoffend, dass sie mittlerweile zurück ist, drehe ich mich um und treffe dabei auf Thoras wachsam-besorgten Blick. Sie muss meinem gefolgt sein.
«Stimmt etwas nicht, Eure Königliche Hoheit?»
«Ich hole nur kurz meine Schwester, dann können wir los.»
Ein Bluff, um Linn noch ein bisschen Zeit zu verschaffen. Aber Thora kann derartige Täuschungsversuche leider auf hundert Meter Entfernung wittern. Sie schiebt die Augenbrauen zu einer strengen Linie zusammen und atmet so tief ein, dass sich ihr Brustkorb sichtbar dehnt. Trotz des locker fallenden Stoffs ihres Hosenanzugs erkenne ich die Anspannung in ihren Muskeln. Durchtrainierte ein Meter achtzig in Alarmbereitschaft. Heels inklusive. Würde ich sie nicht um einen Kopf überragen, hätte sie selbst auf mich eine einschüchternde Wirkung.
«Wie lange ist es her, dass Eure Königliche Hoheit Ihre Königliche Hoheit gesehen hat?»
Dass Thora sich nicht albern vorkommt, in einem Satz zweimal hintereinander die formelle Anrede zu verwenden, überrascht mich immer noch. Ich habe ihr schon öfter angeboten, darauf zu verzichten. Vor allem wenn wir unter uns sind. Thora sorgt immerhin, seit ich auf der Welt bin, für meine Sicherheit. Ich finde, dass jemandem, der eine Kugel für mich abfangen würde, gestattet sein sollte, mich beim Vornamen zu nennen. Aber Thora würde sich vermutlich lieber die Zunge abbeißen, als auf diese Förmlichkeit zu verzichten.
Während ich darüber nachdenke, wann ich Linn zum letzten Mal gesehen habe, hole ich mein Handy aus der Hosentasche und wähle ihre Nummer.
Das Freizeichen ertönt, aber dann werde ich weggedrückt.
Stirnrunzelnd versuche ich es erneut, aber jetzt ist das Besetztzeichen direkt zu hören.
«Sie hat mich weggedrückt, und jetzt ist die Leitung belegt», lasse ich Thora wissen und kann nicht verhindern, besorgt zu klingen, obwohl es hundert Gründe dafür geben könnte, dass die Leitung blockiert ist. Zum Beispiel der, dass Linn telefoniert.
Eine Option, die Thora nicht in Erwägung zu ziehen scheint. Denn ihre Miene hat sich verdüstert. Über das an ihrem Kragen befestigte Mikrofon nimmt sie Kontakt zu Nella und Filip auf. «Hat einer von euch Sichtkontakt zu Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Linnea?»
Thoras Hand wandert zu dem durchsichtigen Knopf, der in ihrem Ohr steckt. Ihre Mimik wirkt konzentriert, dann unzufrieden. Scheint, als hätte sie Antworten bekommen, die ihr nicht gefallen. Ihre nächsten Worte bestätigen meine Vermutung und treiben zugleich meinen Puls etwas höher. «Stufe 2. Ihr wisst, was zu tun ist.»
Mehr Details braucht es nicht, weil es hierfür ein Protokoll gibt. Ein standardisiertes Vorgehen, das im Notfall binnen weniger Minuten eine Kaskade an Sicherheitsmaßnahmen in Gang bringt, die vermutlich nicht nötig sein werden. Es würde mich nicht wundern, wenn Linn wie so oft ein Glas Champagner zu viel hatte und sich einfach nur ungestört amüsieren möchte. So wie es die meisten in unserem Alter tun. Das Problem ist nur: Wir sind nicht wie die meisten. Daran müssen wir ab und an erinnert werden. Linn öfter als ich. Also schreibe ich ihr eine Nachricht.
Wir müssen nach Hause. Was auch immer du treibst: Hör auf und komm sofort her, bevor Thora noch den ganzen Club auf den Kopf stellen lässt.
Ich starre abwartend aufs Display. Zunehmend genervt, beobachte ich, wie der Bildschirm wieder schwarz wird. Geduld war noch nie meine Stärke. Dank einer Erziehung, in der man immer sofort bekommt, was man möchte.
Ich rufe Linn erneut an und bin genauso erleichtert wie überrascht, das Freizeichen zu hören. Nach dem dritten hebt sie ab. «Hallo?»
Oder besser gesagt: Jemand hebt ab. Denn die Frauenstimme ist eindeutig nicht die meiner Schwester.
«Wer spricht da?», frage ich irritiert.
«Hier ist Sofia.»
Gedanklich gehe ich die überschaubare Freundesliste meiner Schwester durch. Versuche, mich an diesen Namen zu erinnern. An diese helle, leicht heisere Stimme. Ich bin gut darin, mich zu erinnern. Wurde darin ausgebildet, mir Dinge einzuprägen und sie wieder abzurufen. Aber hier muss ich passen. «Welche Sofia?»
«Larsson. Sofia Larsson.»
Sagt mir immer noch nichts. Also können sie und meine Schwester sich noch nicht lange kennen. «Okay, Sofia Larsson. Würdest du mich bitte an Linnea weitergeben?»
«Das … ähm … ist leider nicht möglich. Sie ist bewusstlos und wird gerade ins Krankenhaus gebracht.»
«Ihre Schwester hatte großes Glück. Oder besser gesagt einen Schutzengel», teilt mir die Chefärztin mit und sieht an mir vorbei. Mein Kopf dreht sich automatisch und folgt ihrem Blick zu der Person, die am Ende des Ganges im Wartebereich der Intensivstation sitzt. Eine junge Frau mit dunklen Locken. Ob sie schwarz oder braun sind, ist aus dieser Entfernung schwer zu sagen. Aber ich nehme an, dass es sich bei der Frau um diese Sofia Larsson handelt.
«Ohne die Wiederbelebungsmaßnahmen ihrer Freundin wäre sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Folgen der Kokain-Überdosis gestorben. Sie hat ihr das Leben gerettet.»
Ich reiße den Blick von der Frau los und richte ihn ungläubig auf das übermüdete Gesicht der Ärztin.
Wiederbelebungsmaßnahmen?
Kokain?
Ich habe mit allem gerechnet. Einer Alkoholvergiftung. Kreislaufzusammenbruch. Oder sonst was.
Aber verdammtes Koks? Seit wann nimmt sie dieses verfluchte Zeug?
«Sie ist wieder bei Bewusstsein und wird wohl keine bleibenden Schäden davontragen», gibt die Ärztin Entwarnung.
Tief durchatmend fahre ich mir durchs Haar. «Kann ich zu ihr?»
«Ja. Aber sie schläft, und Sie sollten sie nicht wecken, damit sie sich erholen kann.»
«Danke. Ich werde nur kurz nach ihr sehen. Und …» Obwohl außer mir, dem Personenschutz und Haakon, der vor fünf Minuten im Klinikum Kronsted eingetroffen ist, niemand in der Nähe ist, senke ich meine Stimme. Ein anerzogener Reflex. «Kann ich mich darauf verlassen, dass dieser Zwischenfall mit Diskretion behandelt wird?»
Eine Frage, mit der ich Haakon zuvorkomme. Als Krisenmanager unserer Familie musste er umgehend informiert werden. Weil es das Protokoll so vorsieht und er verdammt gut darin ist, negative Schlagzeilen abzuwenden. Spätestens übermorgen werden sämtliche Boulevardmedien von Linns Einweisung ins Krankenhaus berichten. Das wird sich kaum verhindern lassen. Zu viele Augenzeugen. Und zu viele Menschen, die sich wichtigmachen oder schnelles Geld verdienen wollen. All diese Leute ausfindig zu machen, um sie Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben zu lassen, ist selbst für Haakon unmöglich. Es geht jetzt nur noch um Schadensbegrenzung. Um die bestmögliche Außenwirkung.
Schadensbegrenzung.
Außenwirkung.
Verdammt, ich klinge schon wie Mutter. Dabei ist gerade nichts wichtig außer Linns Genesung. Und dass sie zukünftig die Finger von Kokain lässt.
«Keine Sorge, Eure Königliche Hoheit.» Die fast schwarzen Augen der Ärztin blicken resolut in meine. «Das Krankenhauspersonal unterliegt der Schweigepflicht.»
«Ich müsste bitte trotzdem jede Person sprechen, die diesen … Vorfall mitbekommen hat.» Als hätte Haakon nur auf seinen Einsatz gewartet, tritt er neben mich und streckt der Ärztin seine Hand entgegen. «Eklund. Krisenmanager der skønischen Krone.» In der anderen Hand hält er seine obligatorische Aktenmappe, in der sich zwei Dinge befinden: ein Stapel juristisch wasserdichter Verschwiegenheitserklärungen und Schecks. Problemlöser to go. Ich kann mich nicht erinnern, Haakon jemals ohne diese Aktenmappe gesehen zu haben. Was vermutlich daran liegt, dass sich unsere Wege nur bei Ereignissen wie diesen kreuzen.
Ich wende mich ab, um ihn seines Amtes walten zu lassen und nach Linn zu sehen.
Ihr Krankenzimmer ist nicht schwer zu finden. Kein anderer Raum auf dieser Etage wird von zwei Bodyguards bewacht. Nella öffnet mir schweigend die Tür, hinter der Linn schlafend im Bett liegt. Gedimmtes Licht taucht den vorderen Teil des Raums in ein schummeriges Gelb. Vom hinteren Bereich sind lediglich Umrisse erkennbar, die eine Sitzgruppe und einen Tisch mit vier Stühlen andeuten. Ich lasse meinen Blick zu meiner Schwester zurückkehren, betrachte die Kanülen in ihrem Handrücken und Arm. Zugänge, über die sie Infusionen bekommt. Weitere Schläuche verbinden sie mit einem Monitor, der ihre Vitalzeichen anzeigt: Herzfrequenz. Blutdruck. Körpertemperatur. Sauerstoffsättigung.
Ohne die Wiederbelebungsmaßnahmen ihrer Freundin hätte das Kokain sie umgebracht.
Mich durchzuckt Kälte, gefolgt von einem heftigen Schauer. Weil mir die Worte der Ärztin jetzt erst bewusst werden. Linn hätte tot sein können, wenn diese Frau nicht gewesen wäre. Tot. Ich schüttle den Kopf, versuche, diesen unerträglichen Gedanken zu vertreiben.
«Was machst du nur für Sachen?», flüstere ich und trete näher ans Bett, um über ihre Wange zu streichen. Sanft und vorsichtig. Was sie blinzelnd die Augen öffnen lässt. Verdammt. Ich hatte nicht vor, sie zu wecken. Mich streift ein schlechtes Gewissen. Aber als Linn mich aus halb gesenkten Lidern erschöpft anblickt, überwiegt Erleichterung. Sie lebt, schießt es durch meinen Kopf. Als hätte die Anzeige des Überwachungsmonitors etwas anderes behauptet.
«Hey, Schwesterchen.» Ich versuche, ein Lächeln auf meine Lippen zu zwingen, bekomme aber nur ein halbes hin.
«Hey, Brüderchen», antwortet sie kraftlos und sieht sich um. Verwirrung spiegelt sich in ihren Zügen. Sie wirkt desorientiert. «Was … wo …»
«Du bist im Krankenhaus, Linn. Aber es geht dir wieder besser. Alles wird gut. Mach dir keine Sorgen.» Nichts ist gut, und es gibt sehr wohl Grund zur Sorge. Aber sie jetzt mit einer Wahrheit zu konfrontieren, an die sie sich anscheinend nicht erinnern kann – oder will –, würde sie nur überfordern. Und Stress ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was ihr die Ärztin verordnet hat. Nämlich Ruhe.
«Schlaf», sage ich mit gesenkter Stimme. «Wir reden später.»
«Ist … Mama … hier?»
«Nein.» Dass sie ihretwegen zwei Tage früher als geplant aus Luxemburg zurückkommt, wo sie offizielle Termine hatte, behalte ich für mich. Denn auch das scheint Linn gerade nicht auf dem Schirm zu haben. «Schließ die Augen. Du brauchst Ruhe.»
«Hab … ich Scheiße gebaut, Maxi?»
Eine Riesenscheiße, will ich antworten und sie fragen, was sie sich verflucht noch mal gedacht hat. Trotzdem antworte ich sanft mit: «Nicht mehr als sonst.» Die Vorwürfe und Predigten werden noch früh genug kommen. Und diesen Part überlasse ich ohnehin lieber unserer Mutter.
«Wo ist … diese … Frau?»
Spricht sie von Sofia? «Welche Frau?»
«Da … war eine … Frau. Sie … hat mir geholfen.»
Immerhin scheint sie keinen kompletten Filmriss zu haben, wenn sie sich an diese Sofia Larsson erinnern kann. Und obwohl ich Linn jetzt gerne ausfragen würde, reiße ich mich zusammen. Ich halte sie schon viel zu lange davon ab, sich auszuruhen. «Erzähl mir morgen von dieser Frau, okay?»
Sie nickt. «Kannst du … noch etwas … bleiben?»
«Natürlich.» Ich nehme auf der Bettkante Platz und ziehe ihre Decke etwas höher über ihre Schultern, damit sie nicht friert. «Aber erwarte bloß keine Gutenachtgeschichte.»
Ein Scherz, für den ich normalerweise einen Spruch kassiert hätte. Aber der bleibt aus. Ich nehme ihre Hand und halte sie, bis ihr die Augen zufallen. Es dauert nicht lange. Als ihre Atmung schwer und gleichmäßig geworden ist, lasse ich ihre Hand los und schleiche leise aus dem Zimmer.
«Wie geht es Ihrer Königlichen Hoheit?», kommt es von Thora, die vor der Tür auf mich gewartet zu haben scheint. Sie und Nella sehen mich besorgt an.
«Den Umständen entsprechend gut.» Ich höre, wie beide vor Erleichterung aufatmen, während mir der Name der Frau durch den Kopf schießt. Sofia Larsson. Linns Schutzengel. Ihre Lebensretterin.
«Ich muss mich noch bei jemandem bedanken», sage ich und mache mich auf den Weg in den Wartebereich.
Ich warte seit Stunden. Vermutlich sollte ich gehen, aber es fühlt sich falsch an, solange ich nicht weiß, ob Linnea überlebt hat. Das Gefühl, für sie verantwortlich zu sein, hat immer noch nicht nachgelassen, so irrational es auch sein mag. Ich habe im Wartebereich der Notaufnahme ausgeharrt, bis mich ein Pfleger, der gesehen hat, dass ich mit ihr im Krankenwagen gefahren bin, hierhergeschickt hat. Auf die reguläre Station. Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer, an den ich mich klammern kann.
Linneas Bruder ist inzwischen auch hier. Vermutlich ist er fast genauso lang wie ich im Krankenhaus, aber Royals werden wohl nicht in den normalen Wartebereich geschickt. Also habe ich ihn bis vor ein paar Minuten nicht gesehen. Bis ich durch die Scheibe des Wartebereichs beobachten konnte, wie sich eine Ärztin mit einem glatzköpfigen Mann und Prinz Maximilian unterhalten hat.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es war. Sie standen ganz am Ende des Flurs, und ich habe nur sein Profil gesehen. Aber es wäre schon ein Riesenzufall, wenn um vier Uhr morgens ein Typ mit ähnlicher Statur, Frisur und Haarfarbe in dem Krankenhaus auftauchen würde, das ich ihm vor drei Stunden am Telefon genannt habe. Noch dazu mit einer Entourage aus vier Leuten, von denen drei wie Bodyguards aussahen.
Er muss es sein. Die Art, wie er sich mit den Fingern durchs dunkle Haar fährt, ist selbst aus der Entfernung unverkennbar. Und fast schon legendär. Denn das Internet – besonders YouTube und TikTok – ist voller Edits davon, wie er die Finger durch sein volles, dunkles Haar gleiten lässt. Aus verschiedenen Winkeln. Im Zeitraffer. Oder in Zeitlupe. Männer zwischen fünfzehn und fünfzig standen nicht nur in skandinavischen Friseursalons Schlange, um sich die gleiche Frisur machen zu lassen. Dunkelbraun und leicht verwuschelt, als wäre er gerade aus dem Bett gekommen. An den Seiten sind die Haare etwas kürzer als oben. Und damit eigentlich nichts Besonderes. Trotzdem ist es fast unmöglich, nicht auf diese Fan-Videos zu stoßen, wenn man seinen Namen googelt. Wobei das Wort Prinz und der Buchstabe M bereits ausreichen. Ich kenne sogar die angebliche Länge seiner Finger, weil es Menschen gibt, die nichts Besseres zu tun haben, als seine Hände in Relation zu seinem Kopf zu setzen. Unnützes Wissen über den Kronprinzen von Skønien: Check.
Aber wie finde ich heraus, wie es Linnea geht? Diese Ungewissheit macht mich wahnsinnig.
Da ich Maximilians Mimik von hier aus nicht erkennen konnte, habe ich auf seine Haltung und Gestik geachtet. Darauf, ob er während des Gesprächs mit der Ärztin in sich zusammensackt, die Hände über dem Kopf zusammenschlägt oder andere Dinge tut, die auf schlimme Nachrichten schließen lassen. Aber sein Gang war aufrecht, als er in einem der Krankenzimmer verschwunden ist. Das muss doch etwas Gutes bedeuten. Zumindest lässt es mich darauf hoffen, dass …
Jemand betritt den Wartebereich und reißt mich aus meinen Gedanken. Ein Mann mit Glatze. Es ist derselbe, den ich bei Maximilian und der Ärztin gesehen habe.
Zielstrebig kommt er auf mich zu. Er trägt eine dunkle Anzughose, in der ein Hemd steckt, das aussieht, als wäre es frisch gebügelt worden. Hektische rote Flecken, die die Haut an seinem Hals überziehen, lenken meinen Blick dorthin, bevor ich wieder in sein rundes Gesicht sehe.
«Sofia Larsson?», fragt er.
«Ja?» Meine Antwort klingt zögerlich. Als wäre ich mir meines Namens nicht sicher.
«Mein Name ist Haakon Eklund. Ich arbeite für den königlichen Palast.»
«Wie geht es Linnea?», poltert es aus meinem Mund, während ich vom Stuhl hochspringe, und das so plötzlich, dass der Mann einen Schritt zurückweicht. Ruckartige Bewegungen scheinen ihm nicht zu gefallen, weshalb ich versuche, ruhiger zu wirken und etwas langsamer zu sprechen. «Kommt sie durch?»
«Über den Gesundheitszustand Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Linnea kann ich keine Auskunft geben.»
«Ist sie denn wieder bei Bewusstsein?»
«Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Linnea ist hier in sehr guten Händen», antwortet er ausweichend.
Aber wieso?
Waren die Wiederbelebungsmaßnahmen umsonst? Hüllt er sich deshalb in Schweigen? Werde ich später aus den Nachrichten erfahren, dass sie es nicht geschafft hat? Oder hält er mich für jemanden von der Presse und hat keine Ahnung, dass ich bereits in die Situation involviert bin?
«Herr Eklund, ich habe Linnea … Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Linnea», ergänze ich rasch, weil er darauf großen Wert zu legen scheint, «bewusstlos auf der Toilette gefunden und den Krankenwagen gerufen. Ich bin diejenige, die versucht hat, sie zu reanimieren. Und alles, was ich wissen möchte, ist, ob sie lebt.»
«Nun …», beginnt er und mustert mich abschätzend. Für den Bruchteil einer Sekunde macht es den Anschein, als würde er mit der Sprache herausrücken. Doch stattdessen weicht er meinem besorgt-flehenden Blick aus und senkt ihn auf eine braune Lederaktentasche. Ich höre das Ratschen eines Reißverschlusses, als er sie öffnet und ein Blatt Papier hervorholt. «Ich bin hier, um sicherzustellen, dass Sie mit niemandem darüber reden, was sich in dieser Nacht zugetragen hat. Weder heute noch in Zukunft», fährt er fort.
«Das habe ich nicht vor.» Tatsächlich habe ich keine Sekunde darüber nachgedacht, jemandem davon zu erzählen. Was mich gerade selbst ein bisschen überrascht. Wann kommt man schon mal in die Situation, einen Royal reanimieren zu müssen? Oder überhaupt jemanden. Ich sollte vermutlich sogar darüber reden, um das zu verarbeiten. Aber mit wem? Der einzige Mensch, dem ich alles erzählt … mit dem ich immer alles geteilt habe, ist verschwunden. Alva. Es gibt niemanden, der diese Lücke, die sie in meinem Leben und Herzen hinterlassen hat, füllen kann. Weil ich sie für Alva frei halte. Ich habe die Hoffnung, meine beste Freundin wiederzufinden, noch nicht aufgegeben. Ich kann sie nicht aufgeben. «Sie haben mein Wort», verspreche ich mit fester Stimme.
«Dann», er hält mir das Blatt Papier vor die Nase, «macht es Ihnen sicher nichts aus, diese Verschwiegenheitsvereinbarung zu unterschreiben.» Seine schmalen Lippen umspielt ein Lächeln, das weder seine Augen noch mich erreicht. Alles, was bei mir ankommt, ist die Aufforderung, eine Erklärung zu unterschreiben, die ich nicht mal gelesen habe.
Ich fühle mich überrumpelt. Wobei es nicht um die Verschwiegenheitserklärung an sich geht. Mir ist bewusst, dass Promis solche Erklärungen wie Bonbons verteilen, um ihre Privatsphäre zu schützen. Würde ich vermutlich auch so machen. Aber der Ton macht die Musik. Und in dem hat sich Herr Eklund eindeutig vergriffen. Abgesehen davon, dass ich niemals etwas unterschreiben würde, wenn ich es nicht muss. Dazu kann er mich nicht zwingen. Egal, für wen er arbeitet.
«Um ehrlich zu sein, macht es mir sehr wohl etwas aus», antworte ich deshalb und kann förmlich dabei zusehen, wie die hektischen Flecken an seinem Hals höherkriechen.
«Nun … Frau Larsson.» Er räuspert sich. «Ihr Schweigen würde selbstverständlich mit einer angemessenen Geldsumme honoriert werden, wenn es das ist, was Sie wollen.»
«Das ist freundlich, aber nicht nötig.» Auch ich zwinge meine Mundwinkel nach oben. «Sie bekommen mein Schweigen kostenlos. Darauf gab ich Ihnen bereits mein Wort.»
«Ihr Wort ist in dieser Angelegenheit nicht ausreichend.» Das falsche Lächeln auf seinen Lippen ist einer unnachgiebigen scharfen Linie gewichen. «Ich benötige Ihre Erklärung zur Verschwiegenheit hier und jetzt in schriftlicher Form.» Mit dem Kinn deutet Herr Eklund zur Sitzgruppe neben dem Kaffeeautomaten. «Warum nehmen wir nicht Platz und gehen das Schreiben gemeinsam durch, damit Sie sehen, dass es keine große Sache ist?»
«Warum lässt du Frau Larsson nicht in Ruhe und akzeptierst ihr Nein?»
Prinz Maximilian.
Er ist hier. Das weiß ich, noch bevor sich mein Kopf wie von selbst zur Tür des Wartebereichs dreht. Das Timbre seiner tiefen Stimme ist mir noch von unserem kurzen Telefonat vertraut. Sie füllt jeden Quadratzentimeter dieses Raums, der keinen Herzschlag später auch von seiner Präsenz eingenommen wird. Maximilian betritt den Wartebereich, als würde ihm nicht nur dieser, sondern das ganze Krankenhaus gehören. Inklusive der Luft, die ich vor zwanzig Sekunden noch nicht so schnell eingeatmet habe.
Seine plötzliche Anwesenheit erwischt mich eiskalt. Ich kann nichts dagegen tun, dass meine Wangen flammend heiß werden, als sich unsere Blicke treffen. Was natürlich albern ist. Der Prinz ist auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. Royalem Blut. Und mit gletscherblauen Augen, umrahmt von langen dunklen Wimpern. Sein Blick ist durchdringend. Als würde er es darauf anlegen, mich nervös zu machen, was ihm – ob gewollt oder nicht – auch gelingt. Ich wende verschämt den Blick ab. Wobei ich nicht wirklich wegschaue. Statt seines Gesichts betrachte ich jetzt seine breiten Schultern. Die Muskeln seiner Oberarme und Brustpartie, über die sich der schwarze Stoff seines Hemdes spannt. Kein Wunder, dass Maximilian – neben zahlreichen auch weniger schmeichelhaften Spitznamen – Sporty Royal genannt wird. Aus der Nähe betrachtet, macht er diesem Titel alle Ehre.
Ich reiße mich vom Anblick seines Körpers los, um wieder in sein Gesicht zu sehen. Meins glüht noch immer, als hätte ich einen Fieberschub. Was er zum Glück nicht mitbekommt, da seine Aufmerksamkeit momentan Herrn Eklund gilt, dessen Flecken am Hals inzwischen stark an einen Hautausschlag erinnern.
«Aber Eure Königliche Hoheit, ich bin gerade dabei …»
«Danke, Haakon. Ich übernehme ab hier.» Der Tonfall des Prinzen ist erstaunlich ruhig, fast schon gelassen und kein bisschen von oben herab. Aber das ist auch nicht nötig. Es ist der resolute Blick, das Aufblitzen von Autorität, mit dem er diesen Eklund zum Schweigen bringt. Wie eine Schildkröte zieht er den Kopf ein und verlässt den Wartebereich.
«Ich muss mich für Herrn Eklund entschuldigen», sagt Maximilian nun wieder an mich gewandt. «Er arbeitet für meine Familie und nimmt seine Aufgabe sehr ernst.»
Meine Zunge fühlt sich an, als wäre sie an meinem Gaumen festgewachsen. Ich bin mir sicher, keine Silbe rauszubekommen. Aber als ich es versuche, klingt meine Stimme erstaunlich fest. Und eine Spur zu angriffslustig. «Die Aufgabe, andere dazu zu zwingen, Verschwiegenheitserklärungen zu unterschreiben?»
«Es tut mir leid, falls du dich gedrängt gefühlt hast.» Seine Antwort hat etwas Diplomatisches, wirkt wie einstudiert. Als hätte er ein Seminar absolviert, in dem man lernt, Situationen zu deeskalieren, ohne selbst Fehler zuzugeben. Es geht hier nicht um meine Wahrnehmung, sondern um Eklunds Verhalten, aber ich schätze, es bringt nichts, darauf herumzureiten.
«Schon okay.»
Sein rechter Mundwinkel hebt sich. Kein echtes Lächeln, aber etwas in der Art.
Ich erwidere sein Nichtlächeln, obwohl es schon wieder verblasst ist.
«Du hast meiner Schwester das Leben gerettet, dafür möchte ich dir danken.»
«Dann ist sie also wieder bei Bewusstsein?»
«Ja. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.»
Ich fasse mir an die Brust und spüre, wie sie sich unter einem tiefen Atemzug der Erleichterung hebt und wieder senkt. «Danke für die Auskunft.»
«Ich danke dir.»
Wie nett er ist, denke ich. Nicht weil er sich erneut bedankt hat, sondern weil er aufrichtig wirkt. Und er hat mich – auch wenn ich seine Hilfe nicht gebraucht hätte – vor der Schildkröte gerettet. Wofür wiederum ich mich bedanken sollte. Stattdessen wende ich mich kurz ab, um Linneas Sachen von dem Stuhl hinter mir zu nehmen. Die Sandalette mit der roten Sohle und ihre Clutch.
«Hier.» Beides halte ich ihm mit ausgestrecktem Arm hin. «Das gehört deiner Schwester.»
Bevor er die Tasche und den Schuh an sich nimmt, wirft er einen prüfenden Blick drauf. «Woher hast du das?»
«Aus der Toilettenkabine, in der ich sie gefunden habe.»
«Wie genau hast du sie gefunden?»
Ich bin unsicher, ob ich von dem Blut und dem Koks erzählen soll. Einem Impuls folgend, entscheide ich mich dagegen. «Sie war ziemlich … fertig, hat kaum reagiert, bevor sie dann bewusstlos geworden ist.»
Er sieht mich nicht an, während ich antworte, weil er damit beschäftigt ist, den Inhalt ihrer Tasche zu inspizieren.
«Ich habe nichts rausgenommen», stelle ich schnell klar, aber darauf geht er nicht ein.
«Hast du noch was anderes auf der Toilette gefunden?»
Bestimmt will er auf das Kokain hinaus. Die Ärztin wird ihm natürlich gesagt haben, was mit Linnea passiert ist.
«Ein Goldröhrchen und einen kleinen Spiegel mit … Pulverresten. Aber den habe ich dagelassen.»
«Verstehe.» Seine Antwort begleitet ein tiefes Seufzen. Und als er mir wieder ins Gesicht sieht, erkenne ich in seinem Betroffenheit und Sorge. Die kleine Furche zwischen seinen markanten Augenbrauen war vorhin noch nicht da.
Ich habe das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Um ihn aufzubauen oder die Stimmung zu lockern. Aber mir fällt nichts ein. Außerdem bezweifle ich, dass er überhaupt aufgemuntert werden will. Also schweige ich, während er seinen Blick an mir heruntergleiten lässt. Über mein kurzes, schwarzes Kleid hin zu meinen eigenen Schuhen. Nein, Moment. Die habe ich vorhin ausgezogen, weil mich die hohen Absätze beinahe umgebracht hätten. Was bedeutet, dass ich gerade barfuß vor dem Prinzen von Skønien stehe.
Ich schaue an mir herunter und stelle fest, dass der schwarze Nagellack zur Hälfte herausgewachsen und teilweise abgeblättert ist. Eine Schamwelle schwappt über mich hinweg und lässt mich instinktiv die Zehen einrollen. Obwohl mir egal sein kann, was der Prinz über meine Füße denkt, hätte ich in diesem Moment lieber die perfekte Pediküre vorzuweisen.
«Kann ich dich nach Hause bringen?», höre ich ihn fragen und hebe überrascht den Blick.
«Wieso? Bist du ein Fußfetischist?»
Er runzelt die Stirn, als hätte er meine Frage nicht verstanden. Eine Frage, die nur deshalb so ungefiltert über meine Lippen kommen konnte, weil sich meine verdammten Gehirnzellen offenbar schon im Halbschlaf befinden.
Oh Gott. Kann ich mich bitte in Luft auflösen?
Ich bin es gewohnt, von der Presse Spitznamen zu bekommen. Wikinger-Royal wurde ich genannt, als ich mich während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Westafrika nicht rasiert habe. Ich war der Aggro-Prinz, nachdem ich einen Mitschüler, der Karim mit dem N-Wort beschimpft hatte, so lange in den Schwitzkasten nahm, bis er sich bei meinem besten Freund entschuldigte. Als ich deswegen aus dem Internat flog, wurde ich ein royaler Problem-Teenie und von meinen Eltern in die Militärakademie gesteckt. Alles Namen, die nicht mal ansatzweise widerspiegeln, wer ich bin, und mich in eine Schublade sperren, in die ich nicht gehöre. Die Boulevardpresse oder vielmehr Menschen im Allgemeinen lieben Schubladen. Ganz besonders, wenn es um meine Familie geht.
In die Kategorie Fußfetischist wurde ich allerdings noch nie sortiert. Und ich frage mich, wie Sofia darauf kommt. Was ich gesagt oder getan habe, um so einen schrägen Eindruck zu erwecken. Genau das will ich sie gerade fragen, da kommt sie mir stotternd zuvor.
«So … so … war das nicht gemeint.» Entschuldigend verzieht sie ihr von Afrolocken umrahmtes Gesicht. Als sich dabei ihre Nase kräuselt, blitzt ein kleiner silberner Stecker, der sich von ihrer braunen Haut abhebt, auf. «Ich wollte nur … also ich dachte …»
«Dass ich auf Füße stehe.»
«Ja … also nein …» Sie schüttelt den Kopf. «Ich meine … nicht wirklich.»
Ich kämpfe gegen das Zucken meiner Mundwinkel an, weil mich die ganze Situation ziemlich amüsiert. Mit jedem Wort, das ihre vollen Lippen verlässt, versinkt sie nur noch tiefer im Fettnäpfchen. Und statt ihr einen Rettungsring zuzuwerfen, provoziere ich, dass sie errötet. So sieht es zumindest aus. Weil ihre braune Haut jetzt einen warmen orangeroten Schimmer hat. «Nicht wirklich? Wie meinst du das?»
Diesmal antwortet sie nicht sofort. Stattdessen scheint sie über, was auch immer sie gleich sagen wird, nachzudenken. Zeit, die ich nutze, um die Farbe ihrer Augen einzuordnen. Sie ist faszinierend und surreal zugleich. Denn dieses Grün, mit dem leichten Blaustich und den hellbraunen Sprenkeln erscheint mir viel zu hell für ihren Hautton. Trägt sie Kontaktlinsen?
«Also …», leitet sie nun ihre Erklärung, auf die ich echt gespannt bin, ein. «Du hast auf meine nackten Füße gestarrt und mich währenddessen gefragt, ob du mich nach Hause bringen kannst. Und das klang im ersten Moment wie eine Anmache.»
«Nichts gegen deine Füße. Aber ich habe nur angeboten, dich nach Hause zu fahren, weil es erstens das Mindeste ist, was ich tun kann, nachdem du meiner Schwester geholfen hast, weil du zweitens nicht besonders warm gekleidet bist und weil du drittens keine Schuhe trägst. Was streng genommen zu zweitens zählt.»
«Ich habe Schuhe.» Mit dem Daumen deutet sie auf einen Stuhl, unter dem ich schwarze High Heels entdecke. «Sie sind nur nicht besonders bequem.»
«Dann bist du also keine Barfuß-Aktivistin?», scherze ich.
«Genauso wenig wie du ein Fußfetischist bist.» Ihr Lächeln lenkt meinen Blick auf die kleine Lücke zwischen ihren Schneidezähnen.
«Und? Nimmst du mein Angebot, dich nach Hause zu fahren, an?»
«Das ist wirklich nett von dir, aber ich fürchte, dazu wäre ein Boot oder Flugzeug nötig», antwortet sie. «Ich wohne in Stockholm. Aber das Hotel, in dem ich übernachte, ist ganz in der Nähe. Das sind nur zehn Minuten Fußweg. Dafür brauche ich keine Mitfahrgelegenheit.»
Stockholm. Ich frage mich, ob sie Schwedin ist. Ihr akzentfreies Skønisch spricht zwar dagegen, aber das könnte erklären, warum sie mir gegenüber so erfrischend normal ist. Als wäre ich ein Typ wie jeder andere. Die schwedische Monarchie ist volksnäher und sehr viel moderner als unsere. Die Mitglieder der königlichen Familie werden von den Bürgern dort als ihresgleichen angesehen. Mit anderen Worten: Während sich das schwedische Königshaus den Stock aus dem Arsch gezogen hat, steckt er bei uns noch bis zum Anschlag drin.
«Dann bist du nur vorübergehend in Skønien?», frage ich.
«Ja.»
Ihre Antwort ist so knapp, dass ich dem Drang, sie zu fragen, was sie nach Skønien gebracht hat, widerstehe. Es geht mich nichts an, und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mal, warum mich das überhaupt interessiert. Also schlucke ich meine Neugierde hinunter und kehre zum eigentlichen Thema zurück: ihrem Vorhaben, zu Fuß ins Hotel zu gehen. Was ich um diese Uhrzeit für keine gute Idee halte.
«Wenn deine Schuhe so unbequem sind, wie du sagst, wirst du wahrscheinlich länger als zehn Minuten für den Weg brauchen. Lass meinen Fahrer dich bringen, okay?»
«Ich möchte keine Umstände machen.»
«Und ich möchte, dass du sicher nach Hause beziehungsweise ins Hotel kommst.»
Sie zögert einen kurzen Moment, aber dann nickt sie. «Einverstanden.»
Da Nella und Thora bei Linn im Krankenhaus geblieben sind, sitzt Haakon neben Filip auf dem Beifahrerplatz. Zum Glück. Denn ich glaube nicht, dass Sofia eingestiegen wäre, wenn sie neben unserem Krisenmanager hätte sitzen müssen. Die Erleichterung war ihr jedenfalls deutlich anzumerken, als er vorne und wir beide hinten eingestiegen sind. Wovon Haakon weniger begeistert war – erkennbar an der Anspannung seines Kiefers, als ich ihn mit einem subtilen Nicken aufforderte, nach vorn zu gehen. Trotzdem hat er sich meiner stummen Anweisung gefügt. Kronprinz zu sein, hat auch seine Vorteile.
«Scheiße», zischt Sofia neben mir. Ich höre Papier knistern und einen Schlüssel klimpern. Sie scheint in ihrer Handtasche zu wühlen. Da das Wageninnere lediglich vom Armaturenbrett beleuchtet wird, erkenne ich nur ihre Umrisse. In diesem Teil von Kronsted sind die Straßen nicht nur eng und verwinkelt, sondern bei Dunkelheit auch mies beleuchtet.
In der Annahme, dass sie etwas sucht, knipse ich die Innenbeleuchtung an und frage: «Ist alles in Ordnung?»
«Ja. Mir ist nur gerade aufgefallen, dass ich mein Handy vergessen habe.»
«Hast du es im Wartebereich der Klinik liegen lassen? Dann drehen wir noch mal um.»
Sie schüttelt den Kopf. «Es liegt eingeschlossen in der Garderobe des KRONA. Aber das hat bestimmt schon zu.»
Ein Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk – ein Erbstück von Großvater – bestätigt ihre Vermutung. Es ist halb fünf, und das KRONA schließt um vier. Zumindest für Gäste. Karim könnte allerdings noch da sein und mit Abrechnungen oder so was beschäftigt sein. Ich hole mein Telefon aus der Jeanshose hervor und entdecke mehrere Benachrichtigungen auf dem Display. Zwei verpasste Anrufe und vier Nachrichten. Alle von Karim. Vermutlich will er wissen, warum ich ohne ein Wort abgehauen bin. Das ist normalerweise nicht meine Art. Ich ignoriere die Nachrichten und wähle direkt seine Nummer.
«Ich kenne den Besitzer des Clubs, vielleicht ist er noch da und lässt dich rein», erkläre ich Sofia, während das Freizeichen ertönt.
«Das wäre super, vielen Dank.»
Die Leitung knackt, und als Karim abhebt, bleibt das obligatorische «Seid gegrüßt, Eure Königliche Hoheit», mit dem er mich immer aufzieht, aus. «Na endlich», stößt er stattdessen hervor. «Wo bist du? Ist Linn im Krankenhaus? Zwei meiner Mitarbeiter meinten, sie wäre von Sanitätern aus der Toilette getragen worden …»
Dann wurde sie also gesehen. Fuck. Das ist gar nicht gut. Schon gar nicht, wenn da noch das Koks rumlag und sie damit in Verbindung gebracht wird. «Hast du deinen Leuten gesagt, dass …»
«Keine Sorge. Die halten dicht. Ist alles vertraglich geregelt. Also? Was ist mit ihr? Bitte sag mir, dass es ihr gut geht.» Die sonst so feste Stimme meines besten Freundes vibriert vor Sorge. Als würde ihm das Herz bis zum Hals schlagen und jeden Ton, der über seine Lippen kommt, in Schwingung versetzen. Er kennt Linn fast genauso lange wie mich.
«Es geht ihr den Umständen entsprechend gut», gebe ich Entwarnung.
«Was denn für Umstände?»
«Sie hatte einen Herzstillstand.»
«Fuck. Im Ernst?»
«Ja.»
«Warum? Was ist passiert?»
«Erzähl ich dir morgen. Oder gleich, falls du noch im Club bist. Ich … beziehungsweise eine Freundin von Linn müsste noch mal rein, weil sie ihr Handy vergessen hat. Geht das klar?»
«Sorry, der Club ist dicht. Ich hab mich sofort auf den Weg gemacht, als ich davon erfahren habe, und sämtliche Krankenhäuser abgeklappert. Aber mir wollte natürlich niemand Auskunft geben.»
«Sie liegt im Klinikum Kronsted.»
Er flucht lautstark, vermutlich weil er da war und weggeschickt wurde.
«Wo bist du jetzt?», frage ich.
«Zu Hause. Aber sag Linns Freundin, dass sie morgen ab zehn vorbeikommen kann. Ich werd da sein und ihr aufmachen.»
«Alles klar. Danke. Ich melde mich später noch mal.»
Wir legen auf, und ich richte Sofia aus, wann sie ihr Telefon abholen kann. «Ist das okay für dich?»
«Klar. Ich hatte schon befürchtet, bis zum offiziellen Einlass warten zu müssen. Danke, dass du gefragt hast.»
«Kein Problem.» Ich lege mein Handy neben mich auf den Sitz.
«Du hast mich gerade als eine Freundin deiner Schwester bezeichnet …», wechselt Sofia das Thema. «Das hab ich nur gesagt, weil ich sie nicht allein lassen wollte. Eine Fremde hätte vermutlich nicht mitfahren dürfen». Sie klingt etwas kleinlaut. «Nicht dass du denkst, ich …»
«Schon gut. Ich bin froh, dass du bei ihr geblieben bist. Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Es sei denn, du bist in Wirklichkeit von der Presse.» Der letzte Satz könnte als beiläufig hinterhergeschobener Scherz durchgehen, wenn ich es nicht bitterernst meinen würde.
Ja, ich bin Sofia dankbar. Und ja, ich bin eingeschritten, als Haakon sie dazu drängen wollte, die Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben. Aber das heißt nicht, dass mich die möglichen Konsequenzen dieses Vorfalls kaltlassen. Sofia könnte Linn der Presse zum Fraß vorwerfen und damit auch das Königshaus in Verruf bringen. Mal wieder. Ein Drogenskandal ist wirklich das Letzte, was meine Familie gebrauchen kann.
«Ich bin nicht von der Presse», beteuert Sofia. «Und ich habe auch nicht vor, diese Geschichte zu verkaufen.» Als sie weiterspricht, wird ihre Stimme leiser. «Deine Schwester wäre fast gestorben. Ich könnte nie wieder in den Spiegel sehen, wenn ich daraus Profit schlagen würde. Und ich mag mein Gesicht.»
Sie lächelt, aber ich sehe schweigend in ihre Augen, um herauszufinden, ob sie die Aufrichtigkeit ihrer Worte spiegeln. Menschen, die lügen, fällt es schwerer, Blickkontakt zu halten. Aber Sofia sieht mich einfach abwartend an. In ihrem Ausdruck ist nichts, was mich beunruhigt oder misstrauisch macht.
«Du kannst mir glauben», sagt sie.
«Okay.» Was bleibt mir auch anderes übrig, als ihr zu vertrauen? Ob das ein Fehler ist, werden die Schlagzeilen der kommenden Tage zeigen. Dachte ich.
Doch mein Misstrauen wird nur einen Augenblick später geweckt, als mein Blick auf einen Briefumschlag fällt. Er ragt zur Hälfte aus ihrer Tasche, in der sie vor einer Minute noch herumgewühlt hat. Das Wappen meiner Familie mit dem gekrönten Löwenkopf und zwei gekreuzten Äxten im Hintergrund springt mich förmlich an. Niemand außer dem skønischen Königshaus darf dieses Signet verwenden. Wieso zur Hölle hat Sofia einen Brief aus dem Palast in ihrer Tasche?
Obwohl mir die Frage auf der Zunge brennt, schlucke ich sie hinunter und hülle mich die restliche Fahrt über in Schweigen. Ich will ihr nicht vorschnell unrecht tun. Es gibt einen anderen, einen unauffälligeren Weg, um herauszufinden, was es mit dem Brief auf sich hat. Ich werde Frida, unsere Pressesprecherin, darauf ansetzen.
Hoffentlich ist es dann noch nicht zu spät.
Er hat sie gesehen.
Die Bewerbung oder besser gesagt die Absage. Ich habe sie vor zwei Wochen aus dem Briefkasten gefischt, als ich gerade das Haus verließ. Und weil ich die Angewohnheit habe, Kleinkram, den ich eigentlich nicht mehr brauche, in meine Tasche zu stopfen, habe ich ihn nicht direkt weggeworfen. Dinge, die sich einmal in den Untiefen meiner Tasche befinden, bleiben in der Regel auch dort. Es sei denn, ich miste sie aus, was etwa alle drei Monate vorkommt. Oder ich wühle auf der Suche nach meinem Handy darin rum. Dabei war das total unnötig. Ich hatte bereits im Krankenhaus festgestellt, dass es noch im Club ist. Ich habe nur aus Gewohnheit nach meinem Telefon gesucht. Dass Maximilian den Brief gesehen hat, erklärt immerhin, warum sich die Stimmung plötzlich von Hi-ich-bin-zwar-der-Kronprinz-von-Skønien-aber-echt-locker-drauf in Ich-bin-der-Kronprinz-sprich-mich-nicht-an verwandelt hat.
Ich liege inzwischen im Bett und wälze mich von einer Seite der Queensize-Matratze auf die andere. Wann immer ich die Augen schließe, blitzen Bilder auf. Von Linnea. Leblos. Von meinen Händen, die ihren Brustkorb niederdrücken. Und von Maximilian. Eisblaue Augen, die mich zu durchleuchten scheinen.
Mein Seufzen zerreißt die Stille der Nacht. Werde ich der königlichen Familie jemals wieder so nah kommen? Vermutlich hätte ich die Verschwiegenheitserklärung unterschreiben und als Gegenleistung fordern sollen, dem Palast Fragen zu Alva stellen zu dürfen. Aber daran habe ich nicht gedacht. Ich war zu sehr damit beschäftigt, dafür zu beten, dass Linnea durchkommt.
Außerdem fühlt sich allein der Gedanke, Informationen für mein Schweigen zu erpressen, schäbig an. Das bin ich einfach nicht. Aber vielleicht muss ich zu so einem skrupellosen Menschen werden, um endlich weiterzukommen? Wer sagt mir denn, dass die Personen, auf die ich Rücksicht nehme, nichts mit dem Verschwinden meiner besten Freundin zu tun haben?
Meine Gedanken kreisen noch eine Weile um die wildesten Theorien darüber, was mit Alva passiert sein könnte. Von der harmlosen Vorstellung, dass sie mit einem Grafen durchgebrannt ist, bis zu Schreckensszenarien ist alles dabei, während ich in einen unruhigen Schlaf falle.
Vier Stunden später werde ich schon wieder wach. Und mit dem Augenaufschlag sind auch die Erinnerungen wieder da. An Linnea. Maximilian. Und mein Handy, das nicht auf der Kommode liegt, als ich danach taste.
Verdammt.
Obwohl ich noch todmüde bin und erst um zwölf auschecken muss, zwinge ich mich aus dem Bett. Ich kann unmöglich noch länger auf mein Handy verzichten – erschreckend, wie sehr ich von diesem Teil abhängig bin. Hoffentlich komme ich niemals in die Situation, mich zwischen meiner Seele und meinem Handy entscheiden zu müssen. Denn dann würde ich eindeutig in die Hölle kommen.