Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft - Robin Schone - E-Book
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Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft E-Book

Robin Schone

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Beschreibung

Eine Zeitreise, die verboten-sinnliche Abenteuer bereithält: »Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft« von Robin Schone als eBook bei venusbooks. Was würdest du tun, wenn du eines Morgens in einem fremden Bett und in einem längst vergangenen Jahrhundert aufwachst? Elaine glaubt zu träumen, als sie in den Armen eines attraktiven Mannes erwacht, der garantiert nicht ihr gefühlskalter Ehemann ist! Lord Charles Arlcotte scheint Elaine für seine junge Braut zu halten – und sich danach zu sehnen, sie in die leidenschaftlichen Geheimnisse des Ehebetts einzuweihen. Doch welches Rätsel verbirgt sich hinter Elaines Zeitsprung in das viktorianische England? Zwischen ihr und Charles erwacht eine dunkle Leidenschaft, die bald schon sehr viel mehr zu werden verspricht – aber Elaines neues Leben hält auch Gefahren für sie bereit … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der provokante historische Liebesroman »Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft« von USA-Today-Bestsellerautorin Robin Schone wird Fans von »Outlander« begeistern. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 513

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Über dieses Buch:

Was würdest du tun, wenn du eines Morgens in einem fremden Bett und in einem längst vergangenen Jahrhundert aufwachst? Elaine glaubt zu träumen, als sie in den Armen eines attraktiven Mannes erwacht, der garantiert nicht ihr gefühlskalter Ehemann ist! Lord Charles Arlcotte scheint Elaine für seine junge Braut zu halten – und sich danach zu sehnen, sie in die leidenschaftlichen Geheimnisse des Ehebetts einzuweihen. Doch welches Rätsel verbirgt sich hinter Elaines Zeitsprung in das viktorianische England? Zwischen ihr und Charles erwacht eine dunkle Leidenschaft, die bald schon sehr viel mehr zu werden verspricht – aber Elaines neues Leben hält auch Gefahren für sie bereit …

Über die Autorin:

Robin Schone begann schon mit 15 Jahren romantische Geschichten zu schreiben, heute ist sie eine gefeierte amerikanische Bestsellerautorin. Für ihre stets außergewöhnlichen und beliebten historischen Liebesromane wurde sie 2008 von der Romantic Times ausgezeichnet. Robin Schones Romane wurden bereits in 13 Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrem Mann in den USA.

Robin Schone veröffentlichte bei venusbooks bereits ihre Dark-Victorian-Romance-Romane »Silk and Sin – Ein unmoralisches Angebot«, »Silk and Sin – Ein gefährliches Spiel«, »Verführt von einem Lord« und »Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft«.

Die Website der Autorin: www.robinschone.today/

***

eBook-Neuausgabe November 2023

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2001 unter dem Originaltitel »Awaken, my Love« bei Kensington Publishing Corp., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Wenn die Leidenschaft erwacht« im Ullstein Taschenbuch.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2001 by Robin Schone

Published by Arrangement with Robin Schone

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images sowie © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96898-271-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Liebe Leserin, lieber Leser, in diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

www.facebook.com/venusbooks

www.instagram.com/venusbooks

USA-Today-Bestsellerautorin Robin Schone

Dark Fire – Das Erwachen der Leidenschaft

Dark Victorian Romance

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Bischoff

venusbooks

Für meine treuen Leserinnen

Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

Prolog: Sie

Heiß.

Feucht.

Ihr Fleisch flehte um Erlösung.

Neben ihr in ihrer gemeinsamen Chicagoer Eigentumswohnung schlief Matthew, wie er siebzehn Jahre hindurch ihre sexuellen Gefühle verschlafen und sie gezwungen hatte, die leidenschaftlichen Bedürfnisse selbst zu stillen, die er entfachte. Früher entfacht hatte. Immer wieder hatte er sie beiseite geschoben: »Schlaf, Schatz; morgen Abend nehmen wir uns Zeit«, oder: »Schlaf, Schatz; morgen haben wir einen anstrengenden Tag«, oder einfach: »Schlaf, ich bin fix und fertig.«

Ihre Hüften wölbten sich vor, ihre Finger waren glitschig vor Begierde. Nach ihrem Mann. Nach irgendjemandem. Irgendwo. Gott, was für eine Verschwendung. Es war nicht seine Schuld, nicht Matthews Schuld. All diese Jahre, seit einer Ewigkeit sehnte sie sich nach etwas, was nie sein konnte, nie sein würde, sehnte sie sich nach mehr als Selbstbefriedigung, mehr als flüchtiger, heimlicher Lust – brannte, brannte ...

Im Höhepunkt stockte ihr der Atem, körperlich implodierende Einsamkeit. Nie spürte sie deutlicher als in diesen Augenblicken, wie allein sie war. Dankbar gab sie sich dem Vergessen einsamer Befriedigung hin.

Prolog: Er

Kalt.

Trocken.

Ihr Fleisch wies ihn zurück.

Morrigan wandte den Kopf ab und biss sich auf die Lippen, um über sich ergehen zu lassen, was sie ihm seit ihrer Heirat vor einem Jahr verweigert hatte. Er biss die Zähne zusammen. Obwohl er als einer der freizügigsten Männer Englands galt, konnte er nicht guten Gewissens eine andere aufsuchen und war daher gezwungen, seine Leidenschaft an einer Frau zu stillen, die froh wäre, wenn er genau das täte, was sein launisches Wesen ihm nicht erlaubte.

Er wölbte den Rücken, drang mit seiner Männlichkeit tief in seine Frau ein. Spannung sammelte sich am unteren Ende seines Rückgrats. Gott, was für eine Verschwendung. Es war nicht ihre Schuld, nicht Morrigans Schuld. Er hatte es nicht gewusst, hatte nicht über seine eigenen Wünsche hinaussehen können. Seine eigenen Begierden. Aber er begehrte, er wollte mehr. Mehr als das hier, mehr als Pflicht, mehr ...

Im Höhepunkt stockte ihm der Atem. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht geahnt, was Einsamkeit war, doch nun wusste er, dass er in solchen Momenten immer allein sein würde. Dankbar gab er sich dem Vergessen einsamer Befriedigung hin.

Kapitel 1

Dorset, England, 1883

Die Reitgerte hob und senkte sich – ein-, zweimal, schlug einen lautlosen Takt. Ein dunkles Gewirr geometrischer Muster zeichnete sich im Schlafzimmer ab, das Himmelbett als farbloser Würfel, der Nachttisch als gedrungener Zylinder, ein Stuhl als dämmriges Viereck. Die Frau im Himmelbett lag totenstill, ihre patrizischen Züge waren kaum mehr als ein verschwommener heller Fleck. Eine gestärkte weiße Haube rahmte ihr Gesicht ein, unsinnlich, unweiblich, unnachgiebig.

Charles Lucien Villiers Mortimer, zwölfter Baron von Arlcotte, ballte die Hand um die Reitgerte zur Faust.

Er war zweiunddreißig Jahre alt. An ihrem zwanzigsten Geburtstag hatte er dieses Dornröschen geheiratet. Bis gestern Abend, ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, war sie Jungfrau geblieben. Und er – er hatte ein langes, nutzloses Jahr enthaltsam gelebt, wider alle Wahrscheinlichkeit hoffend, er könne in diesem eiskalten Körper einen Funken Leben entfachen.

Etwas Goldenes schimmerte im Schatten.

Er hatte Morrigan einen Ring aus purem Gold geschenkt, um ihre Vereinigung zu feiern und den Ehering zu ersetzen, den sie verloren hatte, gleich nachdem er ihn ihr vor einem Jahr an den Finger gesteckt hatte. Ein Symbol für einen Neubeginn, hatte er ihr erklärt und ihr den breiten Reif an den Finger geschoben. Eheleute brauchten sich nicht für das zu schämen, was Mann und Frau miteinander taten, hatte er ihr versichert und sie sanft auf den Mund geküsst.

Sie hatte den Kopf abgewandt und seine Küsse zurückgewiesen. Ihr Körper war steif und abweisend geblieben, hatte seinen Samen verschmäht.

Sein Ring lag auf dem Nachttisch.

Kalter Zorn übermannte ihn. Sie musste wach sein; das Aufziehen der Bettvorhänge hatte die frühmorgendliche Stille scharf wie ein Schuss durchschnitten.

Die Frau, seine kindliche Braut, die nun körperlich, wenn schon nicht seelisch seine Ehefrau war, blieb unter seinem prüfenden Blick reglos wie eine Statue liegen. Als ob es die vergangene Nacht nie gegeben hätte – als ob es ihn nie gegeben hätte –, woran er selbst zweifeln würde, hätte er nicht ihr Blut von seinem Glied gewaschen als Zeugnis für das unfreiwillige Opfer seiner jungfräulichen Braut.

Charles überkam der Wunsch, die Bettdecke wegzureißen, um nachzusehen, ob sie ihr Nachthemd wieder über ihre Hüften gezogen hatte, aber das hatte sie gewiss getan.

Er war es müde, unnötige Kraft auf einen hoffnungslosen Fall zu verschwenden. Und Morrigan war ein hoffnungsloser Fall, wie ihm nun klar wurde.

Als er ihr vor dreizehn Monaten zufällig im Wald begegnet war, hatte sie einen Feentanz um einen Steinkreis aufgeführt, seltsam anmutig und betörend wie Eva. Ihr schwarzes Haar war wallend über ihren Rücken gefallen, und sie hatte händeweise Frühlingsblumen in die Luft geworfen und sie sich auf den Kopf rieseln lassen.

Als er sie beobachtete, hatte er gedacht, endlich habe er ein seltenes Juwel gefunden: eine leidenschaftliche Frau. Charles umklammerte die Reitgerte.

Seine Eltern hatten in duldsamem Frieden zusammengelebt wie so viele im Hochadel, die Wohlstand und Titel in einer bequemen Vernunftehe tauschten. Er hatte sich geschworen, diese Art der Hölle zu meiden. Nachdem er nun alle Konventionen in den Wind geschlagen hatte, musste er feststellen, dass seine Ehe weder bequem noch vernünftig war.

Er war sich so sicher gewesen, dass sie die Richtige sei, dieses Kind, das er gerade zu seiner Frau gemacht hatte. So sicher, dass er Leidenschaften entfesseln könnte, die gewiss in ihr steckten, nachdem sie voller Hass, Zurückweisung und Zorn aufgewachsen war. Es mussten starke Gefühle in ihr schlummern. Wo war sie, die Seelenverwandtschaft, die zwischen ihnen herrschen sollte, der Geist, der seinen ergänzte, das Geschlecht, das seines vervollständigte. Wo war es nur?

Er zwang sich, die Finger zu lockern und aufzugeben, woran er sich klammerte.

Immer wieder hatte sie ihn abgewiesen, seine Geschenke, seinen Körper, ihre Stellung. All diese langen Monate, ein ganzes Leben, hatte er wider jede Hoffnung gehofft, zu ihr durchzudringen.

Er war ihm nicht gelungen.

Die Leidenschaft, die er im Wald flüchtig erblickt hatte, hatte sich als Trugbild seiner eigenen Begierde erwiesen.

Charles seufzte, sein warmer Atem trieb als grauer Dunst durch das eiskalte Schlafzimmer.

Er wünschte, er hätte sie wärmen können und sie wäre heiß und feucht in seine Obhut, seine Fürsorge gekommen. Er hätte sie bis zu seinem Tod geehrt, sie jede Nacht geliebt, bis sie vor Lust geschrien hätte.

Aber jetzt ...

Jetzt spielte es keine Rolle mehr.

Wenn er ihre Leidenschaft nicht haben konnte, würde er sich nehmen, was er brauchte: einen Erben.

Aber noch nicht.

Die Vorstellung, jetzt bei ihr zu liegen und das Geschehene zu wiederholen, das sie in ihrer Selbstgerechtigkeit zu einem Akt der Selbstbefriedigung gemacht hatte, drehte ihm den Magen um.

Gestern Abend hatte ihn Trauer erfüllt um das, was hätte sein sollen, doch nie sein würde. Heute Morgen beherrschte ihn die Wut über das, was war und immer sein würde.

In seiner gegenwärtigen Verfassung wäre es tatsächlich eine Vergewaltigung, wenn er sein Streben nach einem Erben durchsetzen wollte. Er würde keine allzu fromme Braut entjungfern, sondern sie mit Gewalt nehmen, nur um ihr wehzutun, wie sie ihm seit einem Jahr wehgetan hatte.

Und ihm ein Leben lang wehtun würde.

Ein Mann allein.

Ein Sonnenstrahl fiel durch die Balkontür hinter Charles.

Das Licht ließ das verschwommene Gesicht seiner Frau zwischen gestärkter Nachthaube und Seidenbettlaken klar hervortreten.

Ihre Augenlider zuckten. Unter der zarten Haut sah er das pulsierende Geflecht winziger bläulicher Venen.

Ohne Vorwarnung öffnete Morrigan die Lippen, die heute roter und stärker geschwollen waren als sonst, weil sie darauf gebissen hatte, um seine Zärtlichkeiten zu ertragen. Sie atmete hörbar ein, ein ersticktes Röcheln, das in den dunklen Ecken des Schlafzimmers widerhallte.

Charles sträubten sich die Nackenhaare.

Er kannte dieses Röcheln von Soldaten auf dem Schlachtfeld, die um einen letzten Atemzug rangen: Es war das Röcheln des Todes.

Der Lichtstrahl, der das Gesicht seiner Frau beschien, teilte sich. Der Nachttisch erstrahlte im Sonnenschein. Auf der Ebenholzplatte funkelte ein goldener Ring in rötlichem Feuer.

Eine endlose Weile verging, bis der gegabelte Lichtstrahl erlosch und der Goldring in matten Glanz zurückfiel.

Eine gedämpfte Morgenröte erfüllte das Schlafzimmer und verlieh Morrigans bleichen Wangen das Strahlen eines neuen Tages. Auf der Bettdecke über ihrer Brust schimmerten samtig gelbe Glanzlichter, die sich im Takt hoben und senkten.

Ohne zu merken, dass er den Atem angehalten hatte, stieß Charles die Luft aus und atmete tief ein – kalte, feuchte Luft, durchdrungen von abgestandenem Schweißgeruch und dem Ingwerduft der weißen Laken.

Wieder brodelte die Wut in ihm hoch.

Sie spielte weiter ihr Spiel, begegnete seinem Wachen mit Schlaf, seinem Feuer mit Eis, seinen Träumen mit Tod.

Er nahm den Ring vom Nachttisch. »Es nützt nichts, Morrigan. Ich weiß, dass du wach bist.«

Morrigan blieb still liegen, reglos, voll selbstgerechter Unnahbarkeit.

Mit einem Ruck zog Charles die Bettdecke bis zu ihrer Taille fort und nahm ihre linke Hand.

Bei der unerwarteten Berührung schlug sie die Augen auf und verriet die Lüge: Sie war die ganze Zeit wach gewesen, ihrer Macht über ihn und die Farce ihrer Ehe gewiss. Er drückte ihr den Ring in die Hand und schloss ihre Finger darum.

Sie waren steif, unnachgiebig. Ihr ausdrucksloser Blick sprach seinen Bemühungen Hohn.

Er könne sie nicht zwingen, den Ring anzunehmen, sagte ihr Blick. Ebenso wenig, wie er sie mit Geschenken und Freundlichkeit hatte erweichen können.

Charles trat einen Schritt zurück.

Ihre Hand fiel kraftlos auf die Matratze. Der Goldring rollte zwischen die Laken. Morrigan machte keinerlei Anstalten, ihn zu suchen, unzugänglich bis zum Ende.

Er biss die Zähne zusammen. »Du bist meine Frau. Ob du meinen Ring trägst oder nicht, ist unwichtig. Denk darüber nach, Frau. Ich verreise für vierzehn Tage. Wenn ich zurückkomme, wirst du die Stute für meinen Hengst sein, ob du willst oder nicht, Ring hin oder her, denn ich habe einen Stall zu füllen, und bei Gott, Madam, Sie werden ihn füllen.«

Wütend zog er die Bettvorhänge mit einem scharfen Geräusch zu, das durch die stille Morgendämmerung hallte. Die glatte Seide klebte kurz an seinen Fingerspitzen, bevor sie in schimmernd gelben Falten herunterfiel.

Der Orientteppich, gekauft unter großen Mühen und Kosten für eine Frau, der weder an ihm noch an seinem Heim etwas lag, dämpfte seine Schritte, als er zur Tür ging. Trostlos fragte er sich, ob zwei Wochen genügen würden, die Wut über eine lebenslange Enttäuschung zu bezähmen.

Vor Morrigans Zimmer war das Haus unterschwellig zum Leben erwacht. Das entfernte Klappern von Töpfen und Pfannen kündete das Frühstück für gut fünfzig Dienstboten an. Die gedämpften Schritte von einer Armee schlurfender Füße drangen aus den Dachkammern und tapsten wie Holzwürmer über die verschiedenen Korridore, die sich hinter den eleganten Wänden verbargen.

Eine schmale Tür am Ende des mit Teppichen ausgelegten Ganges öffnete sich.

Charles grinste, als er die vertraute Gestalt bemerkte. Er blieb stehen, trat von der offenen Tür fort und verbeugte sich spöttisch vor der unverhohlen wutschnaubenden Frau. »Diese Runde geht an mich, Mistress Hattie.«

Kapitel 2

Elaine blinzelte in die plötzliche Dunkelheit. Was für ein seltsamer Traum. Das scharfe Geräusch hallte noch immer in ihr nach.

Es war so kalt. Matthew hatte wohl den Thermostat heruntergedreht. Etwas lag eng um ihren Kopf und ihr Kinn – sie hatte sich wohl das Kissen oder das Laken umgewickelt. Sie schob den beengenden Stoff fort und zog sich die Decke über das Gesicht.

Unruhig drehte Elaine sich um. Es war zu still. Und die Bettwäsche roch parfümiert. Anscheinend hatte sie letzte Woche den falschen Weichspüler erwischt.

Sie schob die linke Hand von ihrem Körper fort und zog gleichzeitig das linke Bein an: Ja, das war schön – die leichte Verlagerung brachte eine angenehm kühle Behaglichkeit. Die Verlagerung brachte ihr aber auch ein Brennen und Stechen zwischen ihren Beinen zu Bewusstsein.

Elaine runzelte die Stirn, was sie nur noch wacher machte. Als sie die Beine bewegte, spürte sie eine kalte, zähe Flüssigkeit.

Sie stammte gewiss nicht von ihr. Doch von Matthew stammte sie eindeutig ebenfalls nicht. Sex gab es für Matthew nur mittwochabends; und es war Montagmorgen.

0 nein. Elaine fiel ein, dass ihre Sekretärin ab heute Urlaub hatte. Sie würde sich mit einer trotteligen Aushilfe herumschlagen müssen, die ihren Kopf nicht von ihrer parallelen Schnittstelle unterscheiden konnte.

Ohne Vorwarnung explodierte die Stille in einem ohrenbetäubenden Geräusch. Die Bettdecke wurde mit einem kalten Luftzug weggezogen.

Elaine riss Mund und Augen auf und fuhr hoch.

»Ach, der dreckige Sassenach konnte wohl die Finger nicht von dir lassen, was? Mein armes Lämmchen, sieh dich an, voll mit seinem Dreck!«

Elaine schlug die Augen gegen das fahle Licht nieder, wo eben noch ungestörte Dunkelheit geherrscht hatte. Der aufgeschreckte Adrenalinstoß stockte beim Anblick eines weißen Baumwollnachthemds. Es war bis zu ihrer Taille hochgeschoben. Etwas Dunkles haftete verkrustet an der Innenseite ihrer Schenkel – erstaunlich wohlgeformter Schenkel unter einem dichten Büschel dunklen Schamhaares.

Elaines Augen weiteten sich.

Eine mit Leberflecken übersäte Hand streifte mit einem Ruck den Saum des Nachthemds über das buschige schwarze Haar und die besudelten Schenkel. »Na komm, Kindchen, die alte Hattie kümmert sich um ihr Lämmchen, keine Angst.«

Feine schwarze Härchen überzogen die schlanken Beine, die unter dem nun sittsam heruntergezogenen Nachthemd hervorragten. Die linke Wade war voller runzeliger weißer Narben.

Elaine zwang sich, den Blick von dem vernarbten, behaarten Bein abzuwenden.

Fahles Licht umgab die alte Frau, die sich über das Bett beugte wie ein Heiligenschein. Sie trug ein dunkles Kleid mit langem Glockenrock und eine Schürze wie Tante Jemima aus der Haferflockenwerbung. Eine bauschige weiße Haube bedeckte Kopf und Ohren. Sie wirkte wie aus einer Charles-Dickens-Verfilmung.

Elaine hatte einen Wachtraum.

Sie legte sich zurück und schloss die Augen. Verdammt. Sie könnte wahrhaftig noch ein paar Stunden Schlaf vertragen. Sie fühlte sich, als sei sie zu Fuß von Chicago bis New York und wieder zurück gegangen, aber nach dem Licht zu urteilen, das durch ihre Augenlider schien, war es Zeit aufzustehen. Auch gut. Zuerst ein Mann mit Reitgerte und nun das. Sie hatte Angst, was ihre Träume als Nächstes offenbaren mochten.

»Steh auf, du bringst noch den Teufel in Versuchung! Ich lass nicht zu, dass du auf dumme Gedanken kommst, wo er dich jetzt gehabt hat.«

Elaine sah sich mit einem Ruck aus dem Bett gezerrt. Ein schwerer schwarzer Zopf rutschte über ihre linke Schulter, gleichzeitig sickerte eine klebrige Flüssigkeit zwischen ihre Schenkel.

Sie grub die Zehen in einen Wollteppich und starrte auf die Haube der alten Frau. Sie war oben flach. Der krähenhafte Körper strahlte Wärme aus – und einen Körpergeruch, der stark genug war, einen Footballspieler auf zwanzig Meter Entfernung umzuhauen.

Elaine stockte das Herz, bevor es wild zu rasen begann. Das war kein Traum. Sie konnte sich nicht erinnern, in einem Traum je etwas gerochen zu haben. Aber es musste ein Traum sein. Das hier war nicht das Schlafzimmer, das sie und Matthew teilten. Sie trug auch nicht ihren Nylonschlafanzug. Diese schlanken, behaarten Beine gehörten nicht ihr, der molligen Elaine, die sich mit nahezu religiösem Eifer die Beine rasierte. Ihr Schamhaar hatte dieselbe Farbe wie ihr Kopfhaar, mausbraun mit grauen Strähnen. Sie hatte keine Narben an der linken Wade. Matthew sprach nicht mit schottischem Akzent und hatte auch nicht die Angewohnheit, sich als Bettlerin des neunzehnten Jahrhunderts zu verkleiden.

Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie war neununddreißig Jahre alt. Es war nicht das erste Mal, dass sie einen Traum im Traum träumte. Es gab keinen Grund, in Panik zu geraten. Da sie jetzt wusste, dass sie träumte, würde sie bestimmt gleich aufwachen. Das passierte in sexuellen Träumen immer unmittelbar vor einem gewaltigen Höhepunkt. Im Unterleib verspürte sie einen leichten Druck. Sie musste mal. Das bewies doch wohl, dass es ein Traum war?

»Was hast du, Kind?«

Bei näherem Hinsehen wirkte die alte Frau mehr denn je wie eine Figur aus einer Charles-Dickens-Verfilmung. Vielleicht die Zwillingsschwester von Scrooge aus der Weihnachtsgeschichte. Gespielt von Bela Lugosi.

»Du guckst, als hättest du deine alte Hattie noch nie gesehen!« Die Worte der gut sechzigjährigen Frau wurden von weißen Atemwölkchen unterstrichen, die diese Szene noch unwirklicher erscheinen ließen. »Ach, ich hab doch gesagt, du sollst den Knoblauch tragen, der hält Seine Lordschaft davon ab, dich zu besteigen, mein armes Kind! Keine Angst. Er ist weg, der Sassenach. Der besudelt dich nicht mehr mit seinen dreckigen Fingern. Du bist ein braves Mädchen, was anderes lass ich gar nicht zu. Setz dich her. Du solltest dich was schämen vor dem Herrn, so dazustehen im Nachthemd und mit offenem Haar.«

Elaine spürte, wie die Frau sie umdrehte und durch ein Schlafzimmer schob, das so groß war wie Matthews und ihr Wohnzimmer mitsamt Esszimmer und Küche. Das große, eckige Bett schluckte fast das gesamte Licht. Elaine stolperte, richtete sich auf und stolperte wieder. Sie fühlte sich wie Aschenputtel, die nach dem Ball einen Schuh verloren hatte.

Als sie auf eine geschwungene Holzbank mit leuchtend gelbem Seidenpolster sank, schoss ein dumpfer Schmerz durch ihren Unterleib. Sie starrte in die schattigen Tiefen eines Frisierspiegels. Ihr Haar, das nun grob aus seinem Zopf gelöst wurde, war schwarz wie die Nacht. Augen wie große, dunkle Luken in einer fluoreszierenden Zimmerdecke erwiderten ihren prüfenden Blick. Das hüftlange Haar wurde mit unzähligen spitzen Haarnadeln zu einem Knoten aufgesteckt. Tränen brannten Elaine in den Augen.

»Steh auf. Und jetzt bete um dein Frühstück, und bitte den Herrn, dass der Sassenach deine Seele nicht befleckt hat.«

Eine knorrige Hand packte das Mädchen im Spiegel am Nacken. Unbeholfen stolpernd ließ Elaine sich auf die andere Seite des Zimmers schieben. Ein wuchtiger schwarzer Wandschirm beherrschte die Ecke. Er funkelte.

Vor einem schlichten, unbehandelten Holztisch wurde Elaine mit einem Ruck zum Stillstand gebracht. Die Hand in ihrem Nacken drückte sie nieder. Wie ein Stahlträger sank sie auf die knackenden Knie, halb auf den Teppich, halb auf hartes Holz. Ein großes, morsch wirkendes Kruzifix hing über dem Tisch an der Wand. Finger so hart wie das Holz neben dem Teppich zwangen Elaine, nach vorn zu schauen.

»Jetzt betest du, Liebes, dass der ganze Dreck von deiner Seele weicht. Du betest richtig inständig, sonst kann die alte Hattie auch nichts dafür, wenn du nicht mehr Hatties kleines Mädchen bist. Das hat er gemacht, dieser dreckige Sassenach, mir mein armes kleines Mädchen weggenommen.«

Die alte Frau kniete sich erdrückend eng neben sie und leierte abwechselnd eine lehrreiche Mischung aus Gebet und Ermahnung herunter. Die Grün-, Schwarz- und Gelbtöne des Webteppichs vermischten sich mit den stechenden Schmerzen in Elaines Knien. Der Druck in ihrem Unterleib wuchs an, bis sie zu platzen glaubte.

Abrupt hörte das Jammern und Beten auf. Röcke raschelten und Knochen knackten. Der merkwürdige Körpergeruch verschwand; dankbar sog Elaine die frische Luft ein. Hinter ihr schnappte laut eine Tür zu.

Elaine sprang auf. Das war kein Traum, sondern ein Alptraum. Die alte Frau war verrückt. Dieser ganze Alptraum war verrückt. Zum Glück war das Ende in Sicht.

Sie stolperte zu dem Ebenholzwandschirm. In jedes Paneel des Paravents war eine lebensgroße Geisha geschnitzt. Die Schönheiten trugen Kimonos und hielten sittsam juwelenbesetzte Fächer. Ihre Juwelen funkelten und glitzerten im kalten Zwielicht. Hinter dem Wandschirm befand sich eine große, geriffelte Badewanne, nicht die Tür, die sie zu entdecken gehofft hatte.

Elaine drehte sich um. Badezimmer, Badezimmer, sie musste ein Bad suchen; erst dann wäre sie von diesem Alptraum erlöst. Sobald sie ein Bad fände, würde sie aufwachen, zum Klo gehen und inständig hoffen, dass sie noch ein paar Minuten Zeit hatte, bevor der Wecker klingelte. Elaine bemerkte eine kleine Tür zwischen dem »Betttisch« und dem Frisiertisch, aber sie war verschlossen. Ihrem mit gelber Seide verhangenen Bett gegenüber fiel ihr eine weitere Tür auf, größer als die erste. Aber sie traute sich nicht, sie zu öffnen, aus Angst, das alte Weib in dem Reifrock könnte wie ein makabres Schachtelmännchen vor ihr auftauchen. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus kniete sie sich neben das riesige Bett.

In der höhlenartigen Tiefe schimmerte Porzellan. Schnell zog Elaine den Nachttopf unter dem Bett hervor und verschwand hinter dem japanischen Wandschirm. Traum hin oder her, sie wollte auf keinen Fall riskieren, auf dem Topf überrascht zu werden.

Das Porzellan war kalt und schnitt ihr in die Pobacken. Ihr linkes Bein verkrampfte sich aus Protest über die unbequeme Haltung. Ihre nahezu orgastische Erleichterung endete brutal in einem heißen Strahl. Elaine zuckte zusammen. Sie biss die Zähne aufeinander und streckte, als sie fertig war, automatisch die Hand nach Toilettenpapier aus, aber es war keines da; als sie darüber nachdachte, konnte sie sich nicht erinnern, dass in ihren früheren Badezimmerträumen je Toilettenpapier vorgekommen wäre.

Sie schnitt eine Grimasse und stand auf. Allerdings konnte sie sich auch nicht erinnern, dass ihr in ihren Träumen je Urintropfen an den Innenseiten ihrer Schenkel heruntergelaufen wären.

Gleich ist alles vorbei, tröstete sie sich. Gleich würde sie wieder auf diesem gottverdammten Topf hocken und sich erleichtern. Diese Szene würde sich mehrmals wiederholen, bis sie aufwachte und zum echten Klo ginge.

Sobald Elaine sich aufrichtete, hörte sie, dass die Tür sich öffnete und wieder schloss. Sie ließ den Deckel des Nachttopfs auf dem Boden liegen, wappnete sich und trat hinter dem Paravent hervor.

»Du musst was essen und du musst viel beten. Ich lass nicht zu, dass der Sassenach all unsere schöne Arbeit zunichte macht, meine und die des Herrn. Ich hab’s dem Pastor versprochen, das hab ich, und ich lass nicht zu, dass der Teufel deine Seele holt, wie er dein Bein geholt hat. Komm her, ich hab keine Zeit für deine Launen.«

Elaine strich sich über den Bauch. Der Druck hatte nachgelassen. Sie kämpfte gegen ihre aufwallende Panik an, humpelte über den Orientteppich und hielt den Rock weit von ihren Füßen fort. Es nützte nichts. Sie stolperte trotzdem.

In der Nähe der Balkontür war es wärmer. Staub tanzte in der hellen Morgensonne. Elaine setzte sich an ein Ebenholztischchen, auf dem ein Silbertablett stand.

Mit einer schwungvollen Handbewegung stellte die alte Frau die Haube des Tabletts an den Rand der Tischplatte. Sie schnalzte mit der Zunge, eilte zum Bett und zog die gelben Vorhänge mit einem schabend metallischen Geräusch zurück.

Elaine starrte auf das Silbertablett, schüttelte aus alter Gewohnheit die Serviette aus und breitete sie über ihren Schoß. Der unappetitlichste Brei, den sie je gesehen hatte, klebte klumpig in einer zierlichen rosagrün bemalten Porzellanschale. Er war grau wie Mörtel. Weich wie Mörtel. Sie nahm den schweren Silberlöffel.

Aber er schmeckte wesentlich schlechter als Mörtel.

Sie legte den Löffel beiseite und versuchte, mit der Zunge den Haferbrei vom Gaumen zu lösen. Sie griff nach der Tasse und spülte das Essen mit dem schwächsten Tee hinunter, den zu trinken sie je das Pech hatte.

Hinter ihr hörte sie ein Kratzen. Neugierig drehte Elaine sich um; die alte Frau rief: »Komm rein, du elende Sassenach, es ist nicht abgeschlossen!«

Die Tür, die Elaine nicht zu öffnen gewagt hatte, ging auf. Eine weiße Haube hüpfte über einem Stapel gefalteter Wäsche; darunter wippte ein schwarzer Glockenrock. Die gesichtslose Gestalt knickste in Richtung Elaine.

»Bitte um Verzeihung, Eure Ladyschaft, ich bring Ihr Leinenzeug.« Die mädchenhafte Stimme hinter dem Wäschestapel klang angenehm melodisch und durch und durch englisch. »Ich bin gleich wieder weg, Madam, ich kann aber auch später wiederkommen, wenn Ihnen das lieber ist. Seine Lordschaft hat befohlen, wir sollen Ihnen ein Bad richten, Madam; das Wasser ist schon heiß, es dauert nur noch ...«

»Seit wann hat Seine Lordschaft meiner Lady was zu befehlen, du blöde Sassenach? Wechsle die Bettwäsche, aber schnell. Ich will nicht, dass du Ihrer Ladyschaft die Ohren voll plapperst. Und das Bad kannst du vergessen. Bah! Ihr Sassenach! Ihr wascht euch noch die Haut vom Leib. Das ganze Baden gehört sich nicht. Wenn der Herr gewollt hätte, dass wir baden, hätte er uns Schuppen gegeben, oder nicht? Steh nicht so rum, Mädchen! Es gibt Arbeit!«

Elaines Blick schoss zwischen dem jungen englischen Dienstmädchen und der alten schottischen Vettel hin und her. Ein verstohlenes Grinsen umspielte ihre Mundwinkel. Bad. Wasser. Ein ebenso starkes Traumsymbol wie ein Badezimmer. Der Alptraum musste bald zu Ende gehen.

Die Dienstmagd wechselte die Bettwäsche. Die alte Frau schimpfte unablässig über das Mädchen, den Sassenach, das Mädchen und wieder über den Sassenach, den Engländer. Elaine bemerkte mehr als einen mitleidigen Seitenblick der jungen Magd, die fast noch ein Kind war, nicht älter als siebzehn.

Wieder war ein Kratzen an der Tür zu hören, dieses Mal zaghafter als vorhin. Ein noch jüngeres Dienstmädchen kam herein, ein kleines Kind von sechs oder sieben Jahren. Sie trug einen blitzsauberen Nachttopf. Mit gesenktem Kopf, dass nur ihr Häubchen zu sehen war, knickste sie und trottete zum Bett. Die Kleine bückte sich, schob den Nachttopf unter das Bett und wackelte dabei mit dem Hinterteil. Dann richtete sie sich auf und schaute ängstlich von der alten Frau zu Elaine und wieder zu der Alten, die weiter die ältere Dienstmagd beschimpfte.

Offensichtlich suchte das kleine Mädchen den Nachttopf, den Elaine benutzt hatte.

Elaine fragte sich, was dieses Traumbild bedeuten mochte. Sie nahm an, dass sie in diesem Traum nicht von einem Badezimmer zum nächsten, sondern von einem Nachttopf zum nächsten laufen würde. Sie deutete auf den Paravent. Das Kind grinste breit, ließ dabei eine große Zahnlücke erkennen, wo die beiden Schneidezähne fehlten, und trottete hinter den japanischen Wandschirm. Als es wieder zum Vorschein kam, drückte es den, wie Elaine mit hochroten Wangen vermutete, sicher noch warmen Nachttopf an die Brust.

»Verschütte bloß nichts, du kleine Sassenach!«

Das Kind stolperte. Auf seiner weißen Schürze breitete sich ein gelblicher Fleck über dem Nachttopfrand aus. »Ja, Madam«, sagte es leise. »Ich meine, nein, Madam.«

Mit einem Knicks verschwand das Kind durch die Tür und kam kurz darauf ohne Nachttopf und urinbefleckte Schürze wieder. Das schmächtige Mädchen schleppte sich mit einem schweren Kupfereimer ab. Es stellte ihn neben eine schwarzgelb lackierte Kommode und reckte sich, um einen grünen Krug und eine passende Schüssel zu erreichen, die in der Mitte auf der Kommode standen.

Zufrieden beobachtete Elaine das Kind bei der Arbeit. Noch mehr Wasser. Die Kleine benutzte den Balkon vor der bodentiefen Fenstertür als Ausguss, ein weiteres Signal an Elaines Unterbewusstsein.

»Ich habe Ihren Ring gefunden, Madam – hier, er lag zwischen den Laken.«

Das ältere Mädchen stand mit ausgestreckter Hand vor Elaine und knickste. Instinktiv streckte Elaine die Hand aus.

»Was machst du da, du blöde Sassenach? Gib her, hörst du. Ich lass nicht zu, dass Ihre Ladyschaft von eitlem Tand verdorben wird!«

Aus den Augenwinkeln sah Elaine etwas Schwarzweißes herumwirbeln. Gleichzeitig fiel etwas Warmes in ihre Handfläche. Sie schloss die Finger um einen Ring.

»Ach, was hast du denn jetzt wieder gemacht, du tollpatschige Sassenach!«

Die Magd wich gerade noch rechtzeitig dem Schlag der Alten aus. Um ihr Opfer gebracht, blieb die Vettel mit ausgestreckter Hand vor Elaine stehen, als wolle sie sagen: Mach keinen Unsinn, wenn du nicht gehorchst, wird es dir leidtun.

»Gib her, Morrigan, Kind, sonst übernehme ich keine Verantwortung.«

Das ältere Dienstmädchen sammelte die schmutzige Bettwäsche ein und verließ mit dem Kind, das den Wassereimer trug, hastig das Zimmer.

»Ich hab gesagt, gib her. Ich hab mir für heute schon genug Unsinn von dir bieten lassen.«

Elaine musterte den Ring. Er war erstaunlich schwer. Die glatte Oberfläche schimmerte rötlich.

»Gib her!«

Elaine hob die Hand, doch statt den Ring der Alten zu geben, steckte sie ihn sich an den Ringfinger der linken Hand. Ganz unwillkürlich. Als habe das Schmuckstück einen eigenen Willen.

Erschrocken, aber fasziniert starrte sie auf den Ring an dem langen weißen Finger und auf die langen weißen Finger daneben. Pianistenhände. Als Kind hatte sie davon geträumt, solche Hände zu besitzen statt der kurzen Stummelfinger, die sie als kleine, untersetzte Erwachsene bekommen hatte, und so war sie Systemanalytikerin geworden und nicht Konzertpianistin, wie sie es sich mehr als alles andere auf der Welt gewünscht hatte. Das weiche Gold schien sich beinahe an ihren Finger zu schmiegen und im Takt mit einer Stelle zwischen ihren Schenkeln zu pulsieren.

»Tu, was ich dir sage, Kind. Deine alte Hattie weiß, was das Beste für dich ist. Und jetzt gib mir den Ring!«

Langsam hob Elaine den Kopf, ihre traumhafte Höflichkeit schlug in Wut um. Wenn sie eines nicht ausstehen konnte, so war es, herumkommandiert zu werden.

»Gib ihn mir, hab ich gesagt!«

Zwei Dinge geschahen gleichzeitig. Elaine sah, wie die alte Frau mit der Hand ausholte, zugleich wurde ihr klar, dass der bevorstehende Schlag nicht das Produkt eines Alptraums war. Das laute Klatschen der Ohrfeige erhärtete ihre Theorie. Das Brennen der fünf Finger bewies sie unwiderruflich.

Da Elaine als Systemanalytikerin logisches Denken gewohnt war, folgte eine Schlussfolgerung der nächsten.

Das hier war kein Traum, sie steckte tief in – Schwierigkeiten.

Kapitel 3

»Ach!« Hattie nahm das Tischchen mit dem Frühstück und trug es beiseite. »Steh auf. Du isst es ja doch nicht, wie ich sehe. Du willst wohl schmollen, das ist ein sicheres Zeichen des Teufels.«

Die Traumwut, die Elaine eben noch verzehrt hatte, schlug in echte Panik um.

»Der Sassenach bleibt zwei Wochen weg. Ich hab gehört, wie sein jämmerlicher Diener es selbst gesagt hat.«

Elaine steckte in Morrigans Körper.

»Keine Sorge, ich treib dir den Teufel schon aus, und wenn er wiederkommt, vergiss bloß nicht, den Knoblauch zu tragen, verstanden?«

Ihre Pupillen – Elaines? Morrigans? – weiteten sich so stark, dass sie meinte, sie müssten reißen. Der Abdruck der fünf Finger auf ihrer Wange pochte im Takt zu ihrem Herzschlag.

»Ach, schlimm, was die Männer uns Frauenzimmern antun, aber keine Angst, mein armes Lämmchen, ich beschütze dich vor Kerlen wie ihm.«

Ein hysterisches Lachen prickelte Elaine auf der Zunge. Hattie hatte behauptet, sie werde Morrigan beschützen. Aber wer wird Elaine schützen?, fragte sie sich.

Die alte Frau runzelte die Stirn. Sie hatte unheimliche Ähnlichkeit mit einer Bulldogge. »Du hast den ganzen Morgen noch kein Wort gesagt. Du bist nicht das erste Mädchen, das entjungfert wurde. Der liebe Gott hat uns Frauen so geschaffen, dass wir unter der Wollust der Männer leiden müssen. Mach die Beine breit und lass die alte Hattie nachgucken, was der Lord angerichtet hat.«

Hattie kam um den Ebenholztisch herum.

Elaine presste die Beine zusammen und öffnete den Mund, um der alten Frau in deutlichen Worten zu sagen, was sie sich anschauen konnte. Doch sofort klappte sie den Mund hörbar wieder zu.

Das Dienstmädchen hatte mit englischem Akzent gesprochen, aber Hatties Akzent war unverkennbar schottisch. Was war Morrigan? Britin oder Schottin?

Amerikanerin war sie mit Sicherheit nicht.

»Pppff!« Hattie stapfte an einen Ebenholzschrank von der Größe eines Gartenschuppens. Sie holte ein tristes graues Kleid heraus und warf es sich über die Schulter. »Du willst also wirklich schmollen.« Sie huschte zu der schwarzgelben Kommode. Ihre Stimme klang gedämpft. »Ich glaub nicht, dass der Sassenach dich hier in Dorset behält. Jetzt hat der dich gehabt, aber noch mal kriegt er dich nicht, das lasse ich nicht zu.« Den Arm voller Wäsche, drehte sie sich um. »Steh auf. Ich kann dich nicht anziehen, wenn du auf deinem Hintern sitzt.«

Elaine atmete tief durch, um den Schrei zu unterdrücken, der ihr in der Kehle saß. So. Sie war also in Dorset. Das löste zwar nicht das Rätsel um Morrigans Akzent, doch zumindest wusste sie nun, wo sie war. Dorset lag in England.

Und in England gab es Irrenhäuser.

O Gott.

Sie war im Lande Charles Dickens’, zu einer Zeit, als die Frauen erst noch das Wahlrecht erkämpfen mussten. Als Frauen und Waisen ebenso leicht eingesperrt werden konnten wie streunende Hunde und Katzen.

Elaine biss die Zähne zusammen und stand auf. Hattie legte die Kleidungsstücke auf den Stuhl. Ohne zu zögern griff sie nach der langen Knopfreihe vorne an Elaines Nachthemd.

Eiskalte Luft drang durch den größer werdenden Halsausschnitt des Nachthemds.

Seit Elaine fünf Jahre alt war, hatte sie sich nicht mehr anziehen lassen. Nun, vierunddreißig Jahre später, empfand sie es als durchaus unangenehme Erfahrung. Die alte Frau verrichtete diesen Dienst jedoch so beiläufig, dass es sich offenkundig um ein allmorgendliches Ritual handelte, bei dem Morrigan nicht mit der Wimper gezuckt haben dürfte, sosehr es Elaine auch widerstrebte, ihre kalten, harten Brustwarzen entblößen zu lassen.

Elaine musterte die kleinen, runden Brüste. Die Brustwarzen waren dunkelbraun, unverhältnismäßig lang und wirkten geschwollen.

Das weiße Nachthemd fiel um Elaines Füßen zu Boden.

»Kopf hoch, was guckst du denn?«

Eine brennende Röte trat auf die allzu blasse Haut. Elaine reckte das Kinn in die Luft. Nahezu gleichzeitig zog die Alte ihr einen wadenlangen Rock über Kopf und Arme. Widerstrebend schob sie die Hände durch etwas, das nach einer ärmellosen Zwangsjacke aussah.

»Zieh die Rippen ein, Kind; ich will nicht, dass du zeigst, was zwischen dir und dem lieben Gott bleiben soll.«

Elaines Lungen fielen in sich zusammen wie ein Akkordeon. Die Zwangsjacke war ein Korsett. Elaine hatte nie etwas Beengenderes getragen als ein verstärktes Miederhöschen. Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, dass Frauen sich durch ständiges Tragen von Korsetts tatsächlich die Rippen verformt und gebrochen hatten. Verstohlen strich sie über die schlanke, lange Taille. Wie viele Rippen hatte man ihr dafür wohl gebrochen?

Hattie zog Elaine einen steifen langen Rock über den Kopf und band ihn in der Taille zu; zwei weitere folgten, bevor sie ihr schließlich ein schweres graues Wollkleid überstreifte. Der Rock des Kleides war glockenförmig ausgestellt wie Hatties und die Röcke der beiden Dienstmädchen. Nachdem das langärmelige, hochgeschlossene Oberteil zugeknöpft war, saß es enger, als ihre eigene Haut es im zwanzigsten Jahrhundert getan hatte.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Fest. Elaine taumelte rückwärts auf den Stuhl.

»Streck die Füße aus. Wie soll ich dir denn sonst die Schuhe anziehen?«

Elaine streckte die Füße aus. Sie waren lang und schmal mit hohem Rist, völlig anders als ihre eigenen breiten Plattfüße. Ungeduldig schob die Alte Elaines unzählige Röcke auf ihren Schoß.

Die Hände der alten Frau waren wärmer als die Luft. Sie krochen die dünnen, behaarten Beine hinauf wie riesige, runzelige Schnecken, zogen zuerst ein Paar rauer Wollstrümpfe hoch und banden sie in Schenkelhöhe mit Bändern fest. Schließlich schoben sie harte schwarze Lederschuhe, deren einziges Zugeständnis an Bequemlichkeit in der abgerundeten Spitze bestand, über die schmalen Füße.

»So.« Die weißen Röcke und der graue Wollrock wurden heruntergezogen. Hattie sprang auf wie ein dürrer schwarzweißer Phönix. »Du weißt, was du zu tun hast, Mädchen. Schreiben hält den Teufel fern, sagt der Reverend.«

Hattie drehte sich um und beugte sich über den Frühstückstisch. Ihr erstaunlich ausladendes Hinterteil bellte.

Elaine verkniff sich ein ungläubiges Lachen. Jeglicher Sinn für Humor verflüchtigte sich jedoch, als der durchdringende Körpergeruch der Alten nun von einem weitaus schlimmeren überlagert wurde.

Hattie wirbelte herum. Sie balancierte das Silbertablett in einer Hand; mit der anderen wedelte sie vor Elaines Gesicht herum, als habe ihr Zögling und nicht sie selbst einen schweren Fehltritt begangen. »Geh an deine Abschrift, sofort!«

Gleich darauf schlug die Tür hinter Hattie zu.

Elaine stand auf. In dem eng geschnürten Korsett wurde ihr von der Bewegung leicht schwindelig. Sie achtete nicht weiter auf die zu engen Schuhe und die dunklen Flecke, die vor ihren Augen tanzten. Sie musste Antworten finden, und zwar sofort.

Sie schoss auf die schwarzgelb lackierte Kommode zu. Der Teppich kam ihr entgegen.

Elaine fing sich gerade noch an dem Ebenholztischchen, bevor sie mit dem Gesicht auf den Boden schlug. Verdammt. Das Hinken rührte nicht von einem Aschenputtel-Syndrom her – ein Schuh aus, ein Schuh an –, sondern von der Tatsache, dass ihr linkes Bein kürzer war. Wertvolle Zeit verstrich, weil Elaine gezwungen war, sich im Schneckentempo zu bewegen, während ihr Herz mit der Geschwindigkeit eines Pentium-Prozessors raste.

Die oberste Kommodenschublade war voller Handtücher und Waschlappen. Sie grub ein Stück stark riechender Seife aus und schob es wieder zurück. Die zweite Schublade enthielt ganz ähnliche Unterwäsche wie die, die sie gerade trug, und vier Nachthemden. In der dritten Schublade entdeckte sie Unterwäsche völlig anderer Art, Seide und Spitze, die sie unter anderen Umständen bis in ihre femininen Zehenspitzen in Begeisterung versetzt hätte. Satinkorsetts stapelten sich fein säuberlich in der vierten Schublade, Korsetts mit Körbchen, nicht solche Folterinstrumente wie das, welches ihr im Augenblick die Brust platt drückte. Sie nahm ein Spitzenhöschen heraus und glitt mit den Fingern durch die im Schritt offene Mittelnaht.

In der untersten Schublade lag unter einem Sortiment von hauchdünnen Gaze- und Spitzennachthemden mit Lochstickerei eine große blaue Murmel. Elaine grub weiter. Ein vertrauter Geruch wehte zu ihr herauf. Sie hob eine Schachtel mit Seife und Puder an und erkannte den Duft der Bettwäsche wieder: Ingwer. Sie legte die Schachtel beiseite und nahm das Stück weißer Seide, auf dem diese gelegen hatte.

Etwas war in die Seide gewickelt.

Behutsam schob Elaine den glatten Stoff auseinander. Ein kleines trockenes Blatt brach ab. Morrigan hatte einen Mistelzweig aufbewahrt. Schnell faltete Elaine das Seidentuch wieder zusammen und schob es in die Schublade.

Der ausladende Schrank war voller Kleider in allen erdenklichen Farben und Stoffen. Elaine breitete den Rock eines gelben Satinkleides aus. Mit seinen Volants, Bordüren, Litzen und Troddeln hatte es mehr Ähnlichkeit mit einem Vorhang als mit einem Kleid und entsprach eindeutig nicht der Mode in der Zeit von Charles Dickens. Diese Entdeckung war im Augenblick allerdings nicht so wichtig, sie hatte keine Zeit, darüber in Panik zu geraten. Vor einem großen Drahtkorb, der hinter den Kleidern verborgen war, zuckte Elaine zurück.

Hängte Hattie Morrigan etwa an der Decke auf, wenn sie sich nicht benahm?

Elaine schob sich mit dem Hinterteil zuerst aus dem Kleiderschrank und rückte das Sortiment Schuhe zurecht, das unter den Kleidern stand. Im Sockel des Schranks befanden sich unzählige Schubladen mit sämtlichen Accessoires, die eine Dame des neunzehnten Jahrhunderts sich nur wünschen konnte: Taschentücher, Handschuhe, Schals, Täschchen, Seidenstrümpfe, elastische Strumpfbänder, aber absolut nichts, was einer Frau des zwanzigsten Jahrhunderts auf der Suche nach Antworten geholfen hätte.

Hastig schaute Elaine sich weiter um und hinkte auf die andere Seite des Zimmers.

Die große schwarze Bibel auf dem Ebenholzschreibtisch enthielt weder eine Familienchronik noch einen Hinweis auf den Besitzer, sie war so unpersönlich wie die Gideon Bibel in einem Hotelzimmer. In der obersten Schublade lagen Tintenfässchen und der Vorläufer eines modernen Füllfederhalters, wie Elaine vermutete, kaum mehr als eine Stahlfeder an einem verjüngten Holzgriff, wie sie ihn von Pinseln kannte. Den Stapel unbeschriebenen Papiers werde ich als Toilettenpapier benutzen, beschloss sie.

Elaine öffnete eine zweite Schublade und hätte beinah triumphierend aufgelacht. Sie nahm den Stoß Zettel heraus und blätterte ihn rasch durch. Vor Enttäuschung hätte sie weinen mögen.

Sorgsam waren ganze Bücher der Bibel Vers für Vers abgeschrieben: Hosea, Daniel, Ezechiel, Klagelieder, Jeremias, Isaias. Die Schrift war klein, unbeholfen und stark nach links geneigt.

Sorgsam legte sie die Blätter wieder zurück und öffnete die unterste Schublade. Sie quoll über von weiteren Blättern, die mit derselben – Morrigans – Handschrift beschrieben waren, Seite um Seite mühsamer Bibelabschriften, die Arbeit von Monaten, vielleicht sogar Jahren.

Elaine bezwang die aufkommende Hysterie, die sich Bahn zu brechen drohte. Entschlossen stellte sie sich Morrigans bleiches, schmales Gesicht mit den roten, geschwollenen Lippen und den dunklen, gehetzten Augen vor, das sie eben im Spiegel erblickt hatte. Das Mädchen war erst – wie alt? Achtzehn? Neunzehn? Selbst im reifen Alter von neununddreißig Jahren hatte Elaine noch ihre Geheimnisse und kleinen Verstecke für Dinge, die allein ihren Augen vorbehalten waren. Es musste doch Briefe, Bücher oder sonst etwas geben, woraus sie entnehmen konnte, ob Morrigan Engländerin oder Schottin war, verdammt, so etwas musste es einfach geben!

Sie stand auf und stolperte blindlings an das Beistelltischchen mit dem schweren Kandelaber, der aussah, als seien die Kerzen noch nie angezündet worden.

»Was machst du da?«

Elaines Herz pochte heftig gegen das Fischbeinkorsett. Sie wirbelte zur Tür herum und suchte Halt an dem Tischchen. Der Kandelaber neigte sich bedrohlich in Richtung Tischkante.

Hattie schwenkte das Silbertablett, auf dem vorhin das Frühstück gestanden hatte. Hinter der Alten sah Elaine einen dunklen Korridor, der ihr bewies, dass es jenseits der vier Wände dieses Schlafzimmers noch etwas geben musste.

Misstrauen glomm in den feuchten Augen der alten Frau. »Ich hab gesagt, du sollst schreiben. Die Worte des Herrn zu kopieren hält dich vom Bösen fern.«

Hattie schloss die Tür. »Du warst böse, aber die alte Hattie kümmert sich um dich. Knie nieder und bete zu Gott. Ich lasse nicht zu, dass der Teufel deine Seele holt.«

Elaine hinkte an den schlichten Holztisch und kniete nieder. Das altersmatte Kruzifix überwachte ihre linkischen Bewegungen.

Lieber Gott ...

Es fiel ihr kein Gebet ein. Elaine leckte sich die Lippen. »Bete, Kind. Hab ich nicht gesagt, dass du beten sollst?« Hattie stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Elaine sah sich in einen Wirbel aus Schwarz und Weiß gehüllt. Ihr Kopf wurde zurückgerissen und ihr Kinn an eine knochige weiße Brust gedrückt.

»Du bist Hatties Mädchen.« Elaine zwang sich, reglos in dem Strom schlechten Mundgeruchs zu verharren, und konzentrierte sich auf ein trockenes Fleischstückchen, das an der fleckigen Schürze der Alten klebte. »Die alte Hattie lässt nicht zu, dass du dir schadest.«

Abrupt ließ sie Elaine los.

»Und jetzt senk den Kopf und mach die Augen zu.«

Dunkelheit.

Kälte.

Elaine fröstelte.

Ohne Vorwarnung rann heiße Flüssigkeit auf ihre Lippen und ihr Kinn. Instinktiv schreckte sie zurück und öffnete die Augen.

»Nein, Kind, mach die Augen zu. Du musst und wirst beten. Mund auf. Ich geh nicht eher weg, als bis der Teufel aus deinem Leib ausgetrieben ist. Morgen bist du wieder Hatties Mädchen. Ich lass nicht zu, dass der Lord dich mir wegnimmt.«

Morgen.

Hoffnung durchzuckte Elaine.

Sie schloss die Augen und öffnete den Mund.

Morgen früh würde sie in bügelfreier Bettwäsche aufwachen. Sie und Matthew würden bei Sara-Lee-Croissants und starkem, heißem Kaffee lachen. Sie würden in den Bus steigen und im morgendlichen Berufsverkehr feststecken.

Ein glühend heißes Gebräu ergoss sich in ihren Mund. Automatisch schluckte Elaine es hinunter.

Matthew würde in der Michigan Avenue aussteigen, Elaine bei Randolph. Sie würde sich durch die Menschenmenge und Autos kämpfen, um die Straße zu überqueren.

Ein Stück Brot wurde ihr zwischen die Zähne gestopft.

Es war verrückt.

Sie und Matthew hatten oft im Scherz darüber geredet, in einen Vorort zu ziehen, um dem Gedränge der Großstadt zu entfliehen.

Elaine spürte die scharfe Kante einer Porzellantasse an ihren Lippen. Ein Schwall lauwarmen Tees folgte.

Das alles wirkte in seiner völligen Verrücktheit durchaus normal.

Kapitel 4

Ein heftiger Schmerz durchfuhr Elaines Hinterteil.

»Ach, du verschläfst noch den ganzen Tag, Kind! Außerdem hast du die Bettvorhänge nicht zugezogen, du holst dir noch den Tod! Und was hast du dir nur dabei gedacht, deine schöne Nachthaube so zu verderben und zu schlafen wie ein Sassenach-Heide? Steh auf. Ich lass nicht zu, dass du mit deiner Faulheit den Teufel in Versuchung führst!«

Elaine kämpfte sich aus einem Gewirr glatter Laken und setzte sich auf.

Fahlgraues Licht drang durch die Balkontür. Bela Lugosi im Reifrock beugte sich über das Bett, ein zerknittertes weißes Stück Stoff in der Hand.

Elaine blinzelte. Eben hatte sie Matthew noch von ihrem verrückten Traum erzählt, als plötzlich der Sitz ihres Stuhls explodierte. Sie hatte noch das Duftgemisch ihres gemeinsamen Frühstücks in der Nase: starker, heißer Kaffee und frisch gebackene Sara-Lee-Croissants. Tränen schossen ihr in die Augen, als ihr klar wurde, dass das neunzehnte Jahrhundert Wirklichkeit und ihr Frühstück mit Matthew ein Traum war.

Hattie hob die Hand, als hole sie zu einem weiteren Schlag aus. Elaines Enttäuschung, sich nicht in ihrem eigenen vertrauten Zeitalter wiederzufinden, löste sich in Wut auf. Am Vortag war sie zu desorientiert gewesen, um sich gegen die tyrannische alte Frau zu wehren. Das war nun anders. Auf keinen Fall würde sie sich noch einmal schlagen lassen.

Hatties grimmiges Schnauben verstummte. Die Hand mit den Leberflecken sank herab; sie wich einen halben Schritt zurück. Plötzlich trat ein verschlagenes Funkeln in ihre feuchten Augen.

»Du bist ziemlich wach dafür, dass du so lange geschlafen hast. Vielleicht hast du ja gar nicht geschlafen. Vielleicht hast du was gemacht, was du gar nicht tun darfst. Hast du was Schmutziges, Sündiges getan? Vielleicht an dir selbst herumgespielt? Jetzt, wo der Sassenach-Lord dich gehabt hat, bist du wohl auf den Geschmack gekommen, was?« Elaines wütender Blick schlug um in Verständnislosigkeit. Etwas getan, was sie nicht tun durfte? Etwas Schmutziges, an sich selbst ...

Gespielt!

Brennende Hitze überzog Elaines Brust, Hals und Gesicht.

An sich selbst herumgespielt!

Diese alte Vettel! Elaine öffnete den Mund und hätte beinah vergessen, dass sie schweigen musste, dass es in diesem Land Irrenhäuser gab, dass sie zwar auf rätselhafte Weise in Morrigans Körper geraten war, aber mit dem schleppenden amerikanischen Akzent des Mittelwestens sprach und nicht mit dem schottischen oder englischen Akzent, den Morrigan sicher besaß.

»Ach, du wirst schon wieder ein braves Kind werden, ich werde dafür sorgen, dass du den Sassenach nicht noch mal ertragen musst, mein armes Lämmchen. Beten, das machen wir zwei, wir beten, dass der Allmächtige dir vergibt.« Mit einem Ruck ihrer arthritischen Hand zog ihr die Alte die Bettdecke fort. »Steh jetzt auf, steh auf und bete.«

Auf Elaines nackten Schenkeln bildete sich sofort eine starke Gänsehaut, während weiter oben ihre Ohren brannten und pochten. Hastig griff sie nach dem Nachthemd, das sich um ihre Taille gewickelt hatte, und zerrte daran, aber es saß unter ihrem Hinterteil fest. Sie sprang aus dem Bett, stieß dabei Hattie fort und zog sich das Nachthemd über die Hüften.

Elaine hasste Nachthemden. Immer wickelten sie sich einem um den Körper. Deshalb trug sie ausschließlich Schlafanzüge, um sich nicht zu strangulieren.

Angesichts des wissenden Grinsens der Alten biss Elaine die Zähne zusammen. Verdammt, verdammt und noch mal verdammt!

Hattie streckte besitzergreifend die Hand aus und begann, die lange Knopfreihe vorn an Elaines Nachthemd zu öffnen. »Viel zu verwöhnt bist du, und das hast du jetzt davon, versündigst dich mit eigener Hand. Es ist schlimm anzusehen, Morrigan, Kind, wenn man dir den kleinen Finger reicht, nimmst du gleich die ganze Hand. Ich werde nicht zulassen, dass du noch mal ausgezogen herumlümmelst. Soll der Sassenach dich doch bespringen, bis du nicht mehr laufen kannst, ich hab kein Mitleid mehr mit dir!«

Elaine fand es auch diesmal unangenehm, sich von Hattie anziehen zu lassen, von ihren Körpergerüchen und grapschenden Fingern umgeben zu sein. Ein schwerer grauer Wollstoff legte sich über ihren Kopf. Es war dasselbe Kleid, das sie schon am Tag zuvor getragen hatte – vorn prangte der Fleck von der Brühe, die Hattie darauf verschüttet hatte. Ihre Nasenlöcher weiteten sich, als sie einen Geruch wahrnahm, der nichts mit Hattie zu tun hatte.

So viel dazu, die soziale Leiter hinaufgefallen zu sein. Das Dienstmädchen und sogar Hattie hatten Morrigan zwar als Mylady angeredet, aber sie trug dasselbe Wollkleid zwei Tage hintereinander, und nach Geruch und Aussehen zu urteilen, war es schon geraume Zeit in Gebrauch. Andererseits hätte Elaine auch nie gedacht, dass eine Lady auf einem Nachttopf hockend Wasser lassen müsste oder einen Fraß vorgesetzt bekäme, für den jede Tierfutterfabrik im zwanzigsten Jahrhundert mit einem Gerichtsverfahren rechnen müsste.

Hattie schob Elaine an den Frisiertisch und schickte sich an, ihren Behinderungen auch noch Kahlköpfigkeit hinzuzufügen. Elaine vermied es sorgsam, das blasse Gesicht mit den großen dunklen Augen und den roten, geschwollenen Lippen im Spiegel zu betrachten, und stellte nüchtern fest, dass der bläuliche Schimmer in Morrigans dichtem, lockigem Haar nicht nur von der schwarzen Haarfarbe, sondern auch von der Tatsache herrührte, dass es fettig war.

Sofort hatte sie das Gefühl, dass einige Dutzend verschiedene Arten kleiner Lebewesen auf ihrer Kopfhaut herumkrabbelten. Und ihre Zunge schmeckte wie etwas, was seit einer Woche im Kühlschrank lag.

Oder zwei.

Sie fuhr mit der Zunge über ihre Zähne; die Zunge war pelzig, die Zähne waren schleimig. Ihr kam die Galle hoch.

»So, dreh dich um und streck die Füße aus. Wie soll ich dir denn die Schuhe anziehen, wenn du dich nicht umdrehst?«

Elaine schob den Stuhl zurück. Sie grub ihre Finger in die geschwungenen Armlehnen, als die Schuhe um eine Größe enger geschnürt wurden.

Hattie erhob sich mühsam von den Knien. »Heute Morgen bekommst du keinen guten Haferbrei mit Innereien zum Frühstück. Nur Tee bekommst du, das ist alles, bis du lernst, wie anständige Leute sich benehmen. So, jetzt gehst du da rüber und betest zum Herrn, dass er dich leitet.«

Ohne abzuwarten, ob Elaine ihre Anweisungen befolgte – als ob Morrigan nichts weiter wäre als ein gut trainierter Hund, dachte Elaine boshaft –, rauschte Hattie in einem schwarzweißen Wirbel aus dem Zimmer.

Elaine nutzte Hatties Abwesenheit, um voller Abscheu den gefährlich vollen Nachttopf hinter dem japanischen Paravent zu benutzen. Neben der Badewanne lag ein Nachthemd, besser gesagt ein durchnässtes Häufchen Stoff, Opfer eines nächtlichen Missgeschicks im Dunkeln. Nachdem Elaine sich erleichtert hatte, lockerte sie die Schnürsenkel. Anschließend holte sie einen Waschlappen und ein Stück Kernseife aus der obersten Kommodenschublade und putzte sich damit die Zähne. Sie nahm einen Schluck Wasser aus dem schweren grünen Krug und spuckte trotzig Seifenschaum in die Waschschüssel.

Nachdem Elaine das Notwendigste an Körperpflege erledigt hatte, setzte sie die Nachforschungen fort, die sie am Vortag unterbrechen musste und nicht wieder aufnehmen konnte, weil Hattie ihr den ganzen Tag im Nacken gesessen hatte. Das Tischchen mit dem Kandelaber enthielt eine kleine leere Schublade. Sie tastete die Innenseite des Kamins ab, der so unbenutzt wirkte wie der Kandelaber und in dem, nach ihrer bisherigen Erfahrung zu urteilen, vermutlich noch nie ein Feuer gebrannt hatte. Es gab keine lockeren Ziegelsteine, keinen Hinweis auf ein Versteck.

Elaine hatte bisher Computersysteme für millionenschwere Konzerne von Viren befreit und wollte sich nun nicht von einem Mädchen ausmanövrieren lassen, das ihre Tochter hätte sein können.

Sie beäugte den Schreibtisch mit der gigantischen schwarzen Bibel. Wo ließen sich Geheimpapiere besser verstecken als zwischen den Stapeln mit Bibelabschriften?

»Hab ich dir nicht gesagt, du sollst beten, solange ich weg bin?« Hattie stellte das Silbertablett auf den Ebenholztisch, der Morrigan offenbar als Esstisch diente. »Gestern wolltest du nicht abschreiben, heute ist es zu spät, dich bei mir einzuschmeicheln. Komm her, setz dich hin.«

Elaine atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und schob den Stapel Papier wieder in die Schublade, bevor sie aufstand und durch das Zimmer hinkte. Sie ließ sich auf den Bambusstuhl fallen. Mit boshaftem Schwung nahm Hattie die Haube vom Tablett.

Einsam prangte eine rotgrün bemalte Porzellantasse darauf, gefüllt mit einer wässrigen, bräunlich gelben Flüssigkeit. Kein einziges Dampfwölkchen stieg von ihr auf.

Sehnsüchtig dachte Elaine an den dampfend heißen Kaffee in ihrem Traum. Das hier sah eher aus, als gehöre es in den eiskalten Nachttopf und nicht in eine Porzellantasse. Sie schaute auf und begegnete Hatties Blick. Irrsinn funkelte in den fahlen Tiefen ihrer eingesunkenen Augen.

Elaine hob die Tasse an die Lippen und schnupperte verstohlen ... Tee. Obwohl es kaum möglich schien, war er noch dünner als am Vortag. Immerhin ist es bloß Tee, dachte sie dankbar.

Die beiden Dienstmädchen traten ein, während Elaine mit scheinbarem Genuss ihren Tee trank. Nach kurzem Zögern verschwand das Kind hinter dem Paravent und hielt das Nachthemd verstohlen unter den Nachttopf, als es wieder zum Vorschein kam.

Hattie zog boshaft über die Sassenach, die Engländer, her, während die ältere Magd das Bett machte. Das kleinere Mädchen kehrte mit frischem Wasser zurück und spülte wie selbstverständlich die grüne Schüssel aus. Sobald die beiden Dienstmädchen fort waren, richtete Hattie ihre Schimpftiraden mit voller Kraft gegen Elaine.

»Für deine Sünden wirst du mit mir beten, Fräulein, und dein Schmollen lass ich dir ab sofort nicht mehr durchgehen, verstanden? Steh auf und knie nieder vor dem Herrn. Ich dulde deine Faulheit nicht länger.« Als Elaine ihrem Befehl nicht sofort Folge leistete, rief sie noch schärfer: »Steh auf, sag ich, und bereue!«

Ein deftiges Schimpfwort lag Elaine auf der Zunge. Sie konnte es sich nur verkneifen, indem sie auf Morrigans ohnehin schon geschwollene Lippen biss, und während sie den Fluch innerlich herausschrie, fragte sie sich, ob dieses Wort in der Sprache dieser Zeit überhaupt schon existiert hatte oder ob es ein Produkt des zwanzigsten Jahrhunderts war wie Hamburger und Aids.

Hattie kam mit gemeiner Zielstrebigkeit durch das Zimmer. »Du setzt jetzt sofort deinen Hintern in Bewegung, gehst in den Gotteswinkel und betest zum Herrn um Vergebung. Auf der Stelle!«

Elaine straffte den Rücken, obwohl es in dem eng geschnürten Korsett wahrhaftig unmöglich war, ihn zu krümmen. Sie legte den Kopf schief, um den Blickkontakt mit den farblosen Augen der Alten zu wahren und ihr wütendes Funkeln mit ebenso glühendem Zorn zu erwidern.

Hattie beugte sich über das Silbertablett, hob ihre knotige Hand und holte weit aus.

Elaine fing die Hand so knapp vor ihrer Wange ab, dass sie den Luftzug des Schlages spürte. Die altersfleckigen Finger strahlten Hitze aus. Sie hielt Hatties Hand in der Luft fest; sie war kleiner als Elaines, die Haut war trocken und schwielig.

Es knisterte vor Spannung, als die beiden ihren Machtkampf austrugen. Hattie versuchte, sich zu befreien, um die Oberhand und – in Anbetracht ihrer misslichen Lage – wohl auch ihr Gleichgewicht wiederzugewinnen. Elaine rang darum, sie festzuhalten, um die alte Frau in ihre Schranken zu weisen und sie unter ihrer unbequemen Lage leiden zu lassen.

Morrigans Muskeln schmerzten. Lächerlicherweise war Hattie stärker als die junge Frau, obwohl sie aus dem Gleichgewicht gebracht war, aber die Willenskraft der neununddreißigjährigen Elaine siegte. Sie hielt die Hand der sich windenden Alten fest. Schweiß perlte auf ihrer Stirn und in ihren Achselhöhlen und schaffte es auf rätselhafte Weise, in ihr Korsett zu rinnen. Es fühlte sich an, als sei eine Armee Ameisen in ihre Kleider gekrochen und beiße und jucke sie nun zusammen mit den stechenden Schmerzen in ihren Muskeln.

Das kämpferische Funkeln in Hatties Augen wich fassungsloser Verwunderung, und endlich gab sie sich geschlagen. Vorsichtig ließ Elaine ihre Hand los.

Die alte Frau wich zurück, stolperte über ihr rabenschwarzes Kleid und fiel gegen den Ebenholztisch. Das Silbertablett und die leere Tasse flogen mit gedämpftem Scheppern und lautlosem Kullern zu Boden.

Sofort richtete Hattie sich auf und wich langsam weiter zurück. »Das wird dir noch leidtun, verlass dich drauf, das wird dir noch leidtun! Du wirst an deiner Sündhaftigkeit zugrunde gehen!« Die Tür schlug hinter ihr zu. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss.

»Und glaub ja nicht, Seine Sassenach-Lordschaft würde dich vor Schande bewahren.« Hinter der sicher verschlossenen Tür lebte Hattie ihr tyrannisches Wesen voll aus. »Er ist weg, sag ich dir. Für zwei Wochen oder noch länger! Du bekommst nichts zu essen und zu trinken, bis du von deinen Sünden ablässt, Morrigan Gayle!«

Elaine starrte auf das heruntergefallene Tablett und die Tasse.

Auf der Unterseite der Tasse befand sich ein Zeichen. Elaine hob sie auf. In das Porzellan war Spode eingeprägt. Draußen stahl sich ein Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke. Drinnen fiel er durch die gelben Vorhänge. Das Silbertablett fing den Sonnenstrahl ein. Blendendes Licht tanzte an der Zimmerdecke.

Elaine legte beide Hände um die Tasse. Ein Frösteln breitete sich von ihrer Magengrube aus.

Was passierte mit ihr? Sie war gewalttätig geworden, gegen eine Frau, die fast doppelt so alt war wie sie selbst. In ihrem ganzen Leben war Elaine noch nie gewalttätig geworden, sie hatte Gewalt stets ebenso verurteilt wie Feigheit.

Nun hatte sie innerhalb von einer oder zwei Stunden, die es gedauert hatte, sich anziehen und das Zimmer richten zu lassen, Verzweiflung und Zorn, Demütigung und Rage, Opfer- und Siegerhaltung, Herrinnen- und Gefangenenrolle durchlebt. Wenn sie nicht bald wieder in ihre eigene Zeit zurückkäme, würde sie tatsächlich noch durchdrehen. Eine echte Kandidatin fürs Irrenhaus.

Außerdem hatte sie einen Bärenhunger.

Kapitel 5

Elaine saß vor der offenen Balkontür, völlig vertieft in das Schaben der Feder auf dem Schreibpapier. Eine Handschrift zu fälschen wurde ihrer Ansicht nach ebenso unterschätzt, wie eine Lady zu sein. Morrigans Handschrift hatte keinerlei Rhythmus und Regelmäßigkeit. Die ausgeprägte Schrägneigung war praktisch nicht zu erreichen, ohne sich das Handgelenk zu brechen. Elaine hatte Schnörkel und Schleifen nachgezogen, bis ihre – Morrigans – Hand Blasen an Zeige- und Mittelfinger warf. Zu allem Überfluss kleckste und schmierte die Feder und trocknete ständig ein.

Warmer Sonnenschein strömte von draußen herein. Eine angenehm kühle Brise wehte Elaine das Haar in die Augen. Sie schob es hinter die Ohren und wünschte fast, sie hätte es aufgesteckt gelassen.

Die Bäume reckten in frischem Grün die Äste über den schmiedeeisernen Balkon. Der Himmel war postkartenblau.

Sie schloss die Augen gegen das grelle Sonnenlicht. Ihr Magen – Morrigans Magen, aber die Wirkung war die gleiche – schlug einen Purzelbaum, schien sich zu verschlucken und gab ein trockenes Rülpsen von sich. Noch nie hatte Elaine solchen Hunger empfunden, nicht einmal, als sie ihre Jenny-Craig-Diät gemacht hatte. Oder solchen Durst. Da sie das Jucken nicht länger hatte ertragen können, hatte sie den einzigen Krug Wasser dummerweise benutzt, um sich den Schweiß abzuwaschen, den ihre und Morrigans Prüfungen hinterlassen hatten.

Hatte Hattie vor, sie sterben zu lassen?