Verführt von einem Lord - Robin Schone - E-Book
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Verführt von einem Lord E-Book

Robin Schone

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Beschreibung

Er entfacht eine Leidenschaft in ihr, die sie beide verbrennen könnte: Der Regency-Roman »Verführt von einem Lord« von Robin Schone eBook bei dotbooks. London, im 19. Jahrhundert. Ein vollkommenes Symbol der Tugend – als Tochter des Premierministers und Ehefrau eines einflussreichen Mannes hat sich Lady Elizabeth niemals einen Fehltritt erlaubt. Doch dann begegnet sie Lord Ramiel Safyre: Seine glühenden Blicke entfachen eine unstillbare Sehnsucht in ihr – nach ungezähmter Leidenschaft, die in ihrer lieblosen Ehe bisher nie eine Rolle spielte. Um ihren Mann zurückzugewinnen, unterbreitet sie Ramiel daher ein gewagtes Angebot: Er soll Elizabeth die Kunst der Verführung leeren. Aber ist sie bereit, dafür alles aufs Spiel zu setzen … sogar ihr Herz? »Ein unglaublich sinnlicher Roman, der Sie lange nicht loslassen wird!« Affaire de Cœur Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Verführt von einem Lord« von Romance-Bestseller-Autorin Robin Schone lockt mit purer Leidenschaft und Romantik. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 590

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Über dieses Buch:

London, im 19. Jahrhundert. Ein vollkommenes Symbol der Tugend – als Tochter des Premierministers und Ehefrau eines einflussreichen Mannes hat sich Lady Elizabeth niemals einen Fehltritt erlaubt. Doch dann begegnet sie Lord Ramiel Safyre: Seine glühenden Blicke entfachen eine unstillbare Sehnsucht in ihr – nach ungezähmter Leidenschaft, die in ihrer lieblosen Ehe bisher nie eine Rolle spielte. Um ihren Mann zurückzugewinnen, unterbreitet sie Ramiel daher ein gewagtes Angebot: Er soll Elizabeth die Kunst der Verführung leeren. Aber ist sie bereit, dafür alles aufs Spiel zu setzen … sogar ihr Herz?

»Ein unglaublich sinnlicher Roman, der Sie lange nicht loslassen wird!« Affaire de Cœur

Über die Autorin:

Robin Schone begann schon mit 15 Jahren romantische Geschichten zu schreiben, heute ist sie eine gefeierte amerikanische Bestsellerautorin. Für ihre stets außergewöhnlichen und beliebten historischen Liebesromane wurde sie 2008 von der Romantic Times ausgezeichnet. Robin Schones Romane wurden bereits in 13 Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrem Mann in den USA.

Die Website der Autorin: www.robinschone.today/

Bei dotbooks erscheint auch ihr historischer Liebesroman »In den Armen des Earls«.

***

eBook-Neuausgabe November 2018

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Duft der Leidenschaft« im Goldmann Verlag.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1999 by Robin Schone

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »The Lady's Tutor« bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 by RM Buch und Medien Vertriebs GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY 10018 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von Period Images und shutterstock/Osher Avzirov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-686-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Verführt von einem Lord« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Robin Schone

Verführt von einem Lord

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schulte-Randt

dotbooks.

Kapitel 1

Ramiel würde sich von keiner Frau erpressen lassen – ganz gleich, wie groß ihr Bedürfnis nach sexueller Befriedigung sein mochte.

Er lehnte an der Tür zur Bibliothek und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Frau, die vor dem deckenhohen Erkerfenster stand. Nebelschwaden griffen nach ihr und den geteilten Draperien. Sie glich einem Monolithen aus schwarzer Wolle, der von zwei Wächtern umgeben war, den herabwallenden gelben Seidenvorhängen.

Elizabeth Petre.

Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und war von Kopf bis Fuß von einer Haube und einem formlosen Mantel verhüllt, so dass er sie weder am Gesicht noch an den Körperumrissen wiedererkannte. Andererseits, auch wenn sie nackt gewesen wäre und ihm mit ausgebreiteten Armen und gespreizten Beinen einladend entgegengeblickt hätte, hätte er sie nicht wiedererkannt. Sie waren einander noch nie begegnet.

Denn er war der Bastardscheich, der illegitime Sohn einer englischen Komtess und eines arabischen Scheichs. Sie dagegen war mit dem Schatzkanzler verheiratet und die Tochter des englischen Premierministers.

Angehörige ihres Standes verkehrten nicht mit seinesgleichen.

Höchstens hinter verschlossenen Türen und zwischen seidenen Laken ... Ramiel dachte an die schwarzhaarige Frau, deren Bett er vor einer Stunde verlassen hatte. Die Marquise von Clairdon hatte ihm auf dem Ballum rancum, einem Hurenball, aufgelauert, wo sie wie die Prostituierten nackt getanzt hatte. Sie hatte ihn benutzt, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu stillen, und für wenige Stunden war er zu dem Tier geworden, für das sie ihn hielt. Er hatte sich in ihren Schoß gebohrt, um diesen einen Moment völliger Losgelöstheit zu erleben, in dem es weder Vergangenheit noch Zukunft, weder Arabien noch England gab – nur blindes Vergessen.

Vielleicht hätte er auch diese Frau genommen, wäre sie nicht mittels Erpressung in sein Haus eingedrungen.

Seine Muskeln spielten in stummer Angriffslust, als Ramiel sich geschmeidig von der kühlen Türverkleidung aus Mahagoni abstieß und über den Perserteppich schritt, der den Boden der Bibliothek bedeckte. »Mrs Elizabeth Petre, was bezwecken Sie damit, in mein Haus einzudringen, indem Sie meinen Status als freier Bürger dieses Landes in Frage stellen?«

Seine Stimme mit ihrer kehlig weichen Modulation – ein Merkmal englischer Vornehmheit und Zurückhaltung, das die arabische Wildheit überdeckte – hallte in dem vier Meter hohen Erker eindringlich nach.

Ramiel spürte, dass seine Besucherin erschrak. Durch die Feuchtigkeit des Nebels konnte er ihre Furcht beinahe riechen.

Er wollte, dass sie Angst hatte.

Er wollte, dass sie begriff, wie verletzlich sie war, allein im Arbeitszimmer des Bastardscheichs, wo weder ihr Gemahl noch ihr Vater sie beschützen konnten.

Er wollte ihr auf elementare und nachdrückliche Weise begreiflich machen, dass er, nur er, über seinen Körper bestimmte und dass er sich nicht durch Erpressung zu sexuellen Handlungen zwingen ließ.

Unter dem hell brennenden Kronleuchter blieb er stehen und wartete, dass sie sich umwandte und sich den Folgen ihres Handelns stellte.

Die Gasflammen knisterten in der eisigen Stille.

»Kommen Sie, Mrs Petre. Bei meinem Diener waren Sie nicht so zurückhaltend«, sagte er herausfordernd, weil er zu wissen glaubte, was sie wollte. Sie sollte es aussprechen: Ich möchte mich mit einem Araber im Bett herumwälzen; ich will von einem Bastard bestiegen werden. »Was könnte eine Dame wie Sie von einem Mann wie mir wollen?«

Langsam, ganz langsam drehte sich die Besucherin um, ein dunkler Umriss aus schwerem Wollstoff, zu beiden Seiten vom schimmernden Gelb der Seidenvorhänge umgeben. Der schwarze Schleier vor ihrem Gesicht verbarg nicht das Erschrecken, das sein Anblick in ihr auslöste.

Ein spöttisches Lächeln kräuselte Ramiels Lippen.

Er wusste, was sie dachte. Jede englische Frau dachte das, wenn sie ihn zum ersten Mal sah.

Ein Mann, der zur Hälfte Araber ist, hat kein Haar, das golden leuchtet wie reifer Weizen in der Sonne.

Ein Mann, der zur Hälfte Araber ist, trägt keine maßgeschneiderte Kleidung wie ein englischer Gentleman.

Ein Mann, der zur Hälfte Araber ist ...

»Ich möchte, dass Sie mich lehren, wie man einem Mann ... Vergnügen bereitet.«

Wegen des Schleiers war ihre Stimme gedämpft, aber die Wörter drangen klar und unmissverständlich zu ihm.

Diese Antwort entsprach nicht seinen Erwartungen.

Eine zeitlose Sekunde lang setzte Ramiels Herzschlag aus. Erotische Bilder wurden vor seinen Augen lebendig ... Bilder einer Frau ... sie war nackt ... nahm ihn ... auf jede erdenkliche Weise, wie eine Frau einen Mann nur nehmen konnte ... zu seinem Vergnügen ... und zu ihrem eigenen ...

Sengende Hitze durchschoss seine Lenden. Ohne dass er sich dagegen wehren konnte, spürte Ramiel, wie sein Fleisch anschwoll und hart wurde. Für einen Moment gab er sich Vorstellungen hin, die niemals Wirklichkeit werden würden, weil er im Exil lebte, in diesem kalten Land ohne Leidenschaft, wo die Frauen ihn zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse benutzten – oder ihn schmähten für die seinen.

Seine Nerven bebten vor Zorn.

Zorn auf Elizabeth Petre, die unter dem Vorwand, lernen zu wollen, wie sie einem Mann Gutes tat, selbstsüchtig und auf der Suche nach eigener Befriedigung in sein Haus eingedrungen war.

Zorn auf sich selbst, weil er mit achtunddreißig Jahren noch immer sehnsüchtig nach dem verlangte, was sie ihm bot, obwohl er wusste, welche Lüge dahinter stand: Englische Frauen interessierten sich nicht dafür, was einem Bastardscheich gefiel.

Langsam und unbarmherzig verringerte Ramiel den Abstand zwischen sich und der Frau, die sich hinter ihrem die Wohlanständigkeit sichernden Mantel verbarg.

Immerhin wich sie nicht zurück, sondern hielt seinem Zorn stand. Dafür zollte Ramiel ihr Anerkennung.

Er begnügte sich damit, ihren Schleier zurückzuschlagen. Aus nächster Nähe und ohne den schwarzen Tüll vor den Augen konnte sie seine arabische Herkunft deutlich erkennen. Er hatte eine dunkle Haut, die von der Sonne ausgedörrt schien, und sein Haar war sonnengebleicht.

Jetzt sah sie, dass der englische Gentleman nur Fassade war, reine Äußerlichkeit. Er hatte das Mannsein in einem Land gelernt, in dem eine Frau nur halb so viel wert war wie ein Mann. In Arabien wurde eine Frau für ein geringeres Wagnis verkauft, vergewaltigt oder gar getötet.

Ja, Elizabeth Petre sollte Angst haben.

»Jetzt sagen Sie mir noch einmal, was Sie wollen«, murmelte er mit seidener Stimme.

Sein Geruch nach Branntwein, Parfüm, Schweiß und Sex erfasste sie, doch sie zuckte mit keiner Wimper.

»Ich möchte, dass Sie mich lehren, wie man einem Mann Vergnügen bereitet«, wiederholte sie ruhig und legte den Kopf in den Nacken, um seinem Blick begegnen zu können. Bei ihrer Größe von kaum einem Meter sechzig war der Weg für ihre Augen weit.

Elizabeth Petre hatte eine sehr helle Haut. Sie war von jenem viel gepriesenen Weiß, das auf dem Auktionsblock eines arabischen Sklavenmarktes über das Schicksal einer Frau entschied. Jung war sie nicht mehr. Ramiel schätzte sie auf Anfang dreißig. Von den äußeren Winkeln ihrer hellbraunen Augen strahlten sternförmig feine Linien aus. Das Gesicht, das sie zu ihm erhoben hielt, war eher rund als oval, die Nase breit statt gebogen, und sie hatte schmale Lippen. Ihre Pupillen waren geweitet, ansonsten verriet ihr Gesicht keinerlei Anzeichen für die Angst, die sie zweifellos empfinden musste.

Mal'un, verdammt. Warum zeigte sie ihre Angst nicht? Ein Muskel zuckte in seiner Wange. »Und was bringt Sie auf den Gedanken, ich könnte Sie zur Meisterschaft in dieser Kunst führen, Mrs Petre?«

»Weil Sie der ...« Sein Beiname, »Bastardscheich«, ließ sie zögern. Sie war kühn genug, Sex von ihm zu erpressen, aber die Unverschämtheit, ihm ins Gesicht zu sagen, er sei ein Bastard, besaß sie nicht.

»Weil Sie der einzige Mann sind, der ...« Auch diesen Satz konnte sie nicht vollenden: dass er der einzige Mann in ganz England sei, von dem es heiße, er habe zu seinem dreizehnten Geburtstag einen Harem als Geschenk erhalten.

Sie schob ihr Kinn noch höher. »Weil ich gehört habe, wie ... wie eine Frau sagte, wenn Englands Ehemänner nur die Hälfte Ihrer Künste beherrschten, gäbe es im ganzen Königreich keine weibliche Untreue mehr.«

Ramiels schmerzhafte Verbitterung entlud sich in einer bissigen Bemerkung. »Dann schicken Sie mir Ihren Mann, Madam. Ich werde ihn lehren, wie er sich Ihre Treue erhält.«

Elizabeth Petres Lippen spannten sich unter dem Druck eines aufsteigenden Gefühls – Angst oder Zorn, das ließ sich nicht von ihrem Gesicht ablesen. Ihre Züge waren undurchdringlich wie die einer Sphinx. »Ich sehe, Sie rauben mir auch den letzten Rest meines Stolzes. Nun gut. Ich liebe meinen Mann. Wie er mich am Herumstreunen hindert, das braucht er nicht zu lernen. Weit gefehlt, Sir. Ich verspüre kein Verlangen, mit Ihnen das Bett zu teilen. Ich möchte nur, dass Sie mir beibringen, wie ich meinem Mann Vergnügen bereiten kann, damit er das Bett mit mir teilt.«

Alle Hitze wich aus Ramiels Körper. »Sie wollen nicht, dass die Hände eines Arabers Sie beschmutzen, Mrs Petre?«, fragte er gefährlich leise.

»Ich bin nicht daran interessiert, meinen Mann zu betrügen«, entgegnete sie tonlos.

Ramiels Augen weiteten sich in widerstrebender Bewunderung. Mut besaß Elizabeth Petre.

Tatsächlich gingen Gerüchte, dass der Schatzkanzler eine Mätresse habe.

Edward Petre war ein Bürgerlicher. Hätte er dem Hochadel angehört, dann würde sich die Öffentlichkeit kaum für seine außerehelichen Affären interessieren. Aber seine Wähler kamen aus der Mittelklasse, und diese Schicht erwartete von ihren Vertretern die gleiche moralische Disziplin, wie die Königin sie vorlebte.

Zweifellos sorgte sich Elizabeth Petre mehr um die möglichen Folgen für die politische Laufbahn ihres Mannes als um den Verlust seiner Dienste im ehelichen Schlafzimmer.

»Eine liebende Ehefrau bittet keinen Fremden, sie zu lehren, wie sie ihrem Mann gefallen kann«, sagte er bissig.

»Falsch. Nur eine feige Frau, die ihren Gemahl nicht liebt, tut dies nicht. Eine feige Frau schläft allein, Nacht für Nacht. Eine feige Frau nimmt hin, dass ihr Mann sein Vergnügen bei einer anderen sucht. Nur eine Frau, die ein Feigling ist, unternimmt nichts dagegen. Eine richtige Frau ist nicht feige, sie handelt.«

Feige, Feigling, hallte es in der plötzlich eintretenden Stille nach.

Zarter weißer Nebel wärmte Ramiels Gesicht – ihr Atem. Er mischte sich in der kalten Winterluft mit den langen, regelmäßigen Dunstwolken, die aus seinem Mund drangen.

Elizabeth Petre blinzelte heftig.

Ihre Wimpern schlugen auf und nieder, und für einen Moment glaubte Ramiel, sie unternähme einen ungeschickten Flirtversuch. Dann sah er den glitzernden Tränenschleier vor ihren Augen.

»Ich will nicht feige sein.« Sie straffte die Schultern. Das Quietschen von Fischbein begleitete die Bewegung – es stammte von einem zu eng geschnürten Korsett. »Daher bitte ich Sie noch einmal, mich zu lehren, wie man einem Mann Vergnügen bereitet.«

Das Blut hämmerte in Ramiels Schläfen.

In vielen Dingen waren die Unterschiede zwischen arabischen und englischen Frauen nur klein.

Araberinnen gingen verschleiert, Engländerinnen trugen ein Korsett.

Araberinnen nahmen es wortlos hin, wenn ihre Männer sich Konkubinen hielten, Engländerinnen übersahen die Mätressen ihrer Männer einfach und fügten sich auf diese Weise.

Weder in der arabischen noch in der englischen Gesellschaft verlangten Frauen kühn nach sexueller Unterweisung durch einen anderen Mann, um das Interesse ihres Gemahls wachzuhalten.

Ein stechender Geruch stieg in Ramiels Nase, der von ihrem Mantel ausging. Sie hatte die Wolle frisch reinigen lassen. Die Frauen, die zu ihm kamen, dufteten gewöhnlich durchdringend nach Moschus. Noch nie hatte ihn eine Frau aufgesucht, die nach Benzin roch.

Ramiel überlegte, welche Farbe ihre Haare haben mochten ... und was sie tun würde, wenn er die Hand ausstrecken und ihr den hässlichen schwarzen Hut vom Kopf nehmen würde, der ihr Haar vor seinen Blicken verbarg. Brüsk trat er einen Schritt zurück. »Und wie, Mrs Petre, stellen Sie sich den Unterricht vor? Wie wollen Sie lernen, Ihrem Mann zu gefallen, ohne mit mir ins Bett zu gehen?« Ihr Blick blieb ruhig. Sie war blind für das sexuelle Erwachen, das Ramiels Körper prickelnd durchrann. »Frauen, die im Harem leben ... lernen, ihrem Gebieter zu gefallen, indem sie Geschlechtsverkehr mit einem fremden Mann haben?«

Für eine Sekunde war Ramiel wieder zwölf Jahre alt und nach Arabien zurückgekehrt. Eine blonde Konkubine, die gelangweilte Favoritin eines Wesirs, hatte den unbeschnittenen und ungläubigen Sohn des Scheichs auserkoren, damit er ihre Neugier befriedigte. Ramiel, noch halb betäubt vom Schlaf und gefangen zwischen Brüsten, die nach Opium rochen, hatte geglaubt, sie wäre eine houri, ein Engel aus dem islamischen Himmel, der auf die Erde gesandt worden war, um ihm einen Vorgeschmack auf die paradiesischen Wonnen im Jenseits zu gewähren.

Am folgenden Tag hatte man die Konkubine gesteinigt. »Eine arabische Frau würde eine solche Tat mit dem Tod bezahlen«, entgegnete er knapp.

»Aber Sie sind mit diesen Frauen zusammen gewesen ...«

»Ich war mit einer Menge Frauen zusammen ...«

Sie ignorierte seinen schroffen Ton. »Wenn eine Araberin ohne die Notwendigkeit persönlicher Erfahrung in der Lage ist zu lernen, wie sie einem Mann gefällt, sehe ich keinen Grund, warum Sie als ein Mann, der die Früchte einer solchen Ausbildung genießen durfte, nicht wiederum eine Engländerin unterweisen können.«

Viele Engländerinnen hatten Ramiel gebeten, ihm die sexuellen Techniken zu zeigen, die arabische Männer anwendeten, um ihren Frauen Vergnügen zu bereiten. Keine Frau allerdings hatte jemals verlangt, dass er ihr zeigte, was arabische Frauen taten, um die Lust ihrer Männer zu steigern.

Von den Nachwirkungen harter alkoholischer Getränke und einer Nacht mit noch härterem Sex ließ sich Ramiel zu seiner nächsten Frage verleiten. Vielleicht war auch die Wirkung daran schuld, die Elizabeth Petre auf ihn hatte. Und die schmerzhaft bittere Erkenntnis, dass keine Frau, weder in der östlichen noch in der westlichen Welt, für ihn tun würde, was diese Frau für ihren Mann wagte. Damit ihr Gemahl sich von seiner Geliebten abwandte und zu ihr zurückkehrte, wollte sie lernen, wie sie ihm sexuelles Vergnügen bereitete, und setzte dafür ihren Ruf und ihre Ehe aufs Spiel.

Was müsste geschehen, dass eine ehrbare Frau wie sie ihn wollte, einen Mann, der in England geboren worden war, dann die Sitten Arabiens angenommen hatte und nun weder der einen noch der anderen Kultur angehörte?

Wie würde es sein, eine Frau zu haben, die bereit war, alles zu tun, um seine Liebe zu erlangen?

»Gesetzt den Fall, ich würde den Unterricht übernehmen, Mrs Petre – was erwarten Sie von mir?«

»Dass Sie mich alles lehren. Alles, was Sie wissen.«

Das Wort alles hallte in der eisigen Morgenluft nach.

Ramiel blickte ihr direkt in die Augen. »Und doch haben Sie gesagt, Sie besäßen kein Interesse daran, mit mir zu schlafen«, entgegnete er rau.

Ihre Züge blieben beherrscht. Es war das Gesicht einer Frau, die sich gegenüber der Leidenschaft eines Mannes verschloss – und gegenüber der eigenen. »Ich bin sicher, Sie besitzen genug Kenntnisse für uns beide.«

»Zweifellos. Aber meine Kenntnisse beziehen sich auf Frauen.« Plötzlich empfand er Ekel vor ihrer Unschuld. »Männer zu verführen gehört nicht zu meinen Gewohnheiten.«

»Aber Frauen ... Sie flirten mit Ihnen, oder etwa nicht?«, beharrte sie.

Der nackte Körper der Marquise hatte vor Schweiß geglänzt, als sie sich vor Verlangen gewälzt und aufgebäumt hatte. Ihr Benehmen war auf unmissverständliche Weise direkt gewesen, ohne jede Verstellung, im Bett und auch außerhalb.

»Anfängerinnen flirten. Die Frauen, mit denen ich schlafe, sind keine Jungfrauen.« Unverblümt musterte er ihren weiten, schwarzen Mantel, der alles verbarg, was einen Mann erregte. Weder die Wölbungen der Brüste noch die rundlichen Konturen weiblicher Hüften zeichneten sich darunter ab. »Das sind erfahrene Frauen, die wissen, was sie wollen.«

»Und was ist das, wenn ich fragen darf?«

»Vergnügen, Mrs Petre.« Er war mit Absicht deutlich und vulgär. »Die Befriedigung ihrer sexuellen Begierden.«

»Und Sie glauben, weil ich älter bin als diese Frauen und mein Körper nicht mehr die gleiche Vollkommenheit besitzt, interessiert mich die Befriedigung meiner Begierden nicht, Lord Safyre?«

Ramiels Blick glitt zurück zu ihren Augen.

Pure Lust durchzuckte ihn wie ein elektrischer Schlag. Der Impuls kam von Elizabeth Petre.

Sinnliches Verlangen, sexuelle Begierde ...

Aber noch immer war ihr Gesicht eine starre, ausdruckslose Maske.

Eine tugendhafte Frau suchte keinen anderen Mann auf, um von ihm zu lernen, wie sie ihrem Gemahl Gefallen bereitete.

Eine tugendhafte Frau gab nicht zu, in ihrer Ehe körperliche Befriedigung zu suchen.

Wer war Elizabeth Petre, dass sie tat, was andere Frauen niemals wagen würden?

»Ein Mann ist mehr als ein System von Zahnrädern und Hebeln, die nur in Bewegung gesetzt oder umgelegt werden müssen, um ihm Befriedigung zu verschaffen«, stieß Ramiel scharf hervor, während ihm zur gleichen Zeit das Blut heiß durch die Lenden pochte und er dachte, wie kühl und vollkommen ihre blasse Haut wirkte. »Die Erfüllung des Mannes hängt davon ab, in welchem Maße die Frau fähig ist, von ihm Vergnügen zu empfangen. Wenn Sie zu Letzterem bereit sind, werden Sie Ihr Ziel erreichen.«

Sie richtete sich auf, begleitet von einem weiteren, vielsagenden Krachen ihrer Korsettstangen. Zorn flackerte in ihren Augen auf – oder war es der Widerschein einer Kerzenflamme vom Kronleuchter an der Decke?

»Ich habe zwei Kinder, Sir, und bin mir dessen völlig bewusst, dass ein Mann nicht aus Zahnrädern und Hebeln besteht. Wenn die Befriedigung meines Gemahls von mir und meinem weiblichen Verlangen abhinge, hätte er das Ehebett wohl kaum verlassen. Zum letzten Mal, Lord Safyre: Sind Sie bereit, mich zu lehren, wie man einem Mann Vergnügen schenkt, oder sind Sie es nicht?«

Ramiel straffte sich.

Elizabeth Petre bot ihm die Gelegenheit an, die tiefsten Fantasien eines Mannes zu erfüllen. Sie war bereit, sich von ihm alle Formen der erotischen Liebe zeigen zu lassen. All das zu tun, was er schon immer mit einer Frau hatte tun wollen.

»Ich werde Sie bezahlen«, bot sie steif an.

Er betrachtete sie durch den Schleier seiner dichten Wimpern und versuchte, hinter die gefühllose Maske ihrer Züge zu dringen. »Wie wollen Sie mich bezahlen, Mrs Petre?«

Die schamlose Zweideutigkeit der Frage war überdeutlich.

»In englischer Währung.«

Ihre absichtlich schroffe Antwort ließ ebenfalls keinen Raum für Missverständnisse.

Er bewegte den Blick vielsagend durch die Bibliothek, zu den deckenhohen Regalen, die mit in Leder gebundenen Büchern vollgestellt waren, zu den kostbaren Seidentapeten an den anderen drei Wänden, zu der mit Perlmuttintarsien verzierten Kredenz und zum Kamin, dessen Mantel aus geschnitztem Mahagoniholz als ein Meisterstück englischer Handwerkerkunst gelten konnte.

»Das ist einer der Vorteile, wenn man einen Scheich zum Vater hat – ich brauche Ihr Geld nicht«, entgegnete er mit gespielter Gleichgültigkeit. Dabei fragte er sich, wie weit sie in ihrem Wunsch nach Unterweisung in erotischem Wissen gehen würde – und wie weit er in dem Versuch gehen würde, Vergessen zu erlangen. »Ihr Geld nicht und das von keinem anderen Menschen, um genau zu sein.«

Ihre Augen hielten seinem Blick reglos stand.

Sie hatte ihn erpresst ... aber sie war keine Bettlerin.

»Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie verlangen, Mrs Petre?«, fragte er leise.

»Ja.«

In ihren hellen, haselnussbraunen Augen leuchtete Unwissenheit.

Elizabeth Petre glaubte, eine Frau wie sie – eine ältere Frau, deren Körper »keine Vollkommenheit mehr besaß«, eine ehrbare, verheiratete Frau mit zwei Kindern – wäre für einen Mann wie ihn nicht reizvoll. Sie ahnte nichts von der mächtigen Kraft der Neugierde, die einen Mann antrieb, eine Frau zu erobern, und sie wusste auch nicht, welche Anziehung weibliches Verlangen auf einen Mann ausüben konnte.

Ramiel kannte sich in diesen Dingen umso besser aus. Er wusste auch, dass gegenseitiges Verlangen einen Mann und eine Frau fester aneinander binden konnte als ein in der Kirche oder in der Moschee gegebenes Eheversprechen.

Ein schwacher schwefelgelber Schein drang durch die Erkerfenster ins Zimmer. Irgendwo über dem gelben Nebel, der so typisch war für Londoner Wintermorgen, ging die Sonne auf. Ein neuer Tag erwachte.

Ramiel fuhr auf dem Absatz herum, schritt über den orientalischen Teppich zu der Wand mit den Regalen und entnahm einen schmalen, ledergebundenen Band.

Der duftende Garten des Scheich Nefzaui.

Auf Arabisch lautete der Titel: Al Rand al atir wa nuzhat al Khatir – »Der duftende Garten zum sinnlichen Ergötzen der Seele«. Die englische Ausgabe hieß Der duftende Garten zur Erholung der Seele.

Ramiel hatte das Buch so fleißig auswendig gelernt wie englische Jungen Griechisch- und Lateinfibeln. Während die hiesigen Lehrbücher einen Jungen darauf vorbereiteten, die großen griechischen und lateinischen Dichter im Original zu lesen, hatte Ramiel aus Der duftende Garten gelernt, wie man eine Frau befriedigte.

Das Buch enthielt wertvolle Ratschläge für eine Frau, die wissen wollte, wie sie einem Mann Vergnügen bereitete. Ohne sich Zeit zu lassen, über sein Handeln nachzudenken, kehrte er zu den Erkerfenstern zurück und reichte der Besucherin das Buch. »Morgen früh, Mrs Petre. Hier. In meiner Bibliothek.« Was hatte Muhamed gesagt ... wann war sie eingetroffen? »Punkt fünf Uhr.«

Eine schmale Hand in schwarzem Ziegenleder glitt aus den Falten des schweren Wollmantels. Fest schlossen sich die Finger um den kleinen Band. »Ich verstehe nicht ...«

»Sie verlangen, dass ich Sie unterrichte, Madam. Das werde ich tun. Der Unterricht beginnt morgen früh. Hier ist Ihr Lehrbuch. Lesen Sie die Einführung und das erste Kapitel.«

Sie senkte den Kopf. Der hochgeschlagene Schleier hielt das Deckenlicht fern, so dass ein Schatten auf ihr Gesicht fiel und ihre Miene verbarg. »Der duftende Garten des ...« Sie unternahm nicht den Versuch, den Namen des Autors auszusprechen. »Ich nehme an, dieses Buch handelt nicht davon, wie man Blumen züchtet.«

Belustigt verzog er die Lippen. »Nein, Mrs Petre, davon handelt es nicht.«

»Sicher besteht keine Notwendigkeit, sofort mit dem Unterricht zu beginnen. Ich werde Zeit brauchen, um das Gelesene zu verarbeiten ...«

Ramiel wollte ihr nicht die Zeit zum Verarbeiten geben. Er wollte sie schockieren.

Er wollte sie erregen.

Er wollte sie aus diesem reizlosen schwarzen Mantel schälen, ihr die kalte englische Zurückhaltung vom Leib reißen und die Frau entdecken, die sich darunter verbarg.

»Sie haben mich gebeten, Sie zu unterrichten, Mrs Petre. Wenn ich diesen Auftrag erfüllen soll, werden Sie meinen Anweisungen Folge leisten müssen. Neben dem Vorwort und der Einführung umfasst Der duftende Garten einundzwanzig Kapitel. Morgen werden wir die Einleitung und das erste Kapitel durchgehen. Am Tag darauf besprechen wir das zweite Kapitel – und so weiter, bis Ihre Ausbildung beendet ist. Wenn Sie es vorziehen, mehr Zeit zum Nachdenken zu haben, müssen Sie sich einen anderen Lehrer suchen.«

Das entfernte Geräusch einer zufallenden Tür im Mansardendach hallte durch das Haus nach unten. Wie zur Antwort folgte der stumpfe Klang von Metall – im Kellergeschoss rückte der Koch eine eiserne Bratpfanne auf der Herdplatte zurecht, um das Frühstück für die erwachende Dienerschaft zu bereiten.

Die behandschuhte Hand und das Buch verschwanden im Inneren des schwarzen Wollmantels. Das Korsett protestierte hörbar gegen die rasche Bewegung. »Fünf Uhr ist zu spät. Wir müssen um halb fünf anfangen.«

Ramiel war ziemlich gleichgültig, um welche Zeit sie den Unterricht abhielten. Ihn interessierte nur die Frage, wie viel eine Frau wie Elizabeth Petre von einem Mann wie ihm lernen würde. »Ganz wie Sie wünschen.«

Ihr Hals war schlank wie die Hand, die er gesehen hatte. Die Schuhe, die unter den Falten des weiten Mantels hervorsahen, waren zierlich.

Was versuchte sie mit dem engen Gefängnis der Fischbeinstäbe so krampfhaft zurückzuhalten? Fleischesfülle oder ... Verlangen?

»Jede Schule hat ihre Regeln, Mrs Petre. Regel Nummer eins lautet: Ihnen ist nicht erlaubt, ein Korsett zu tragen, während Sie sich in meinem Haus aufhalten.«

Ihr zartes, weißes Gesicht lief rubinrot an.

Ramiel fragte sich, ob ihre Haut überall diese feurige Farbe annahm, wenn sie sexuell erregt war.

Hatte ihr Mann sie jemals sexuell erregt?

Sie riss den Kopf nach hinten. »Was ich trage oder nicht trage, Lord Safyre, geht Sie nichts an ...«

»Im Gegenteil, Mrs Petre. Sie haben mich aufgesucht, damit ich Ihnen beibringe, wie Sie einem Mann Vergnügen bereiten. Solange wir daran arbeiten, dieses Ziel zu erreichen, ist Ihre Kleidung für mich durchaus von Belang. Seien Sie versichert: Ein quietschendes Korsett gefällt keinem Mann.«

»Vielleicht keinem Mann Ihrer Natur ...«

Ramiels Lippen wurden unwillkürlich schmal.

Ungläubiger. Bastard. Es gab kaum Ausdrücke, mit denen man ihn noch nicht beschimpft hatte, weder auf Arabisch noch auf Englisch.

Er war seltsam enttäuscht darüber, dass sie die gleichen Vorurteile zu haben schien wie andere Menschen.

»Sie werden herausfinden, Mrs Petre, dass alle Männer einander gleichen, wenn es um ihr sexuelles Vergnügen geht.«

Sie reckte das Kinn – eine Geste, die ihm zunehmend vertraut wurde. »Ich werde keinerlei körperlichen Kontakt mit Ihnen dulden.«

Ramiel lächelte spöttisch. Es gab Dinge, die einen Menschen sehr viel tiefer berührten als Körperkontakt.

Wörter.

Der Tod.

Dabid ...

»So sei es.« Er senkte den Kopf und die Schultern zu einer halben Verbeugung. »Sie haben mein Wort als Mann des Ostens und des Westens. Ich werde Ihren Körper nicht berühren.«

Gegen jede Wahrscheinlichkeit gelang es ihr, das Rückgrat noch mehr zu straffen. Wieder krachte ihr Korsett. »Sicher werden Sie verstehen, dass unsere Unterrichtsstunden in strengster Vertraulichkeit stattfinden müssen ...«

Ramiel war verblüfft über die Ironie der englischen Etikette. Elizabeth Petre erpresste ihn und doch erwartete sie, dass er sich ihr gegenüber wie ein Gentleman verhielt und diskret schwieg.

»Im Arabischen gibt es ein Wort dafür, wenn ein Mann über die persönlichen Dinge spricht, die sich zwischen ihm und einer Frau ereignet haben: Biba. Er bricht ein Schweigegebot. Seien Sie versichert, ich werde Sie unter keinen Umständen kompromittieren.«

Ihr Mund straffte sich zu einem hochmütigen Ausdruck, den die Engländer treffend als »steife Oberlippe« bezeichneten. Es war offensichtlich, welchen Wert sie dem arabischen Ehrenkodex beimaß. »Guten Tag, Lord Safyre.«

Er neigte den Kopf. »Ma'a salamat, Mrs Petre. Ich bin sicher, Sie finden selbst hinaus.«

Elizabeth Petres Rückzug wurde vom Rascheln ihres Wollmantels und dem scharfen Klicken der Bibliothekstür begleitet, die sich öffnete und wieder schloss. Ramiel starrte auf die wehenden gelben Nebelfetzen draußen vor den Erkerfenstern und fragte sich, wie sie zu seinem Haus gelangt war. Mit einer öffentlichen Droschke? Oder mit der eigenen Kutsche?

Wahrscheinlich mit einer Droschke. Sie wusste, in welche Gefahr sie geriet, sollte ihre Verbindung entdeckt werden.

»Al ibn.«

Ramiels Magen zog sich zusammen.

Der Sohn.

Er war der Bastardscheich, er war Lord Safyre, und er war al ibn. Der Sohn, der gefehlt hatte. Niemals wieder würde er den Titel Ramiel ibn Sheikh Safyre tragen – Ramiel, Sohn des Scheichs Safyre.

Er wandte sich um. Seine Glieder waren plötzlich verkrampfter als während der vergangenen dreißig Minuten. Muhamed trug einen Turban, pludrige Hosen mit tief hängendem Schritt und einen thobs, ein weites, knöchellanges Hemd. Er diente Ramiel seit sechsundzwanzig Jahren. Ramiels Vater hatte ihm den Eunuchen zum Geschenk gemacht, damit er den unehelichen Scheichsohn beschützte, der im Alter von dreizehn Jahren bei der Aufgabe versagt hatte, sich selbst zu schützen. Und mit neunundzwanzig war es ihm nicht besser ergangen.

Ramiel griff in die Innentasche seines Hausmantels und zog die Karte heraus, die er hineingestopft hatte. An der unteren rechten Kartenseite stand in schnörkeligen Buchstaben eine gedruckte Adresse.

»Folge Elizabeth Petre, Muhamed, und sorge dafür, dass die Schwierigkeiten, in denen sie bereits steckt, nicht noch größer werden.«

Ramiels Gesichtsausdruck verhärtete sich.

Männer wie der Schatzkanzler heirateten Frauen von makelloser Tugend, damit sie ihnen Kinder schenkten – es würde dem Minister kaum gefallen, wenn seine Gemahlin sich die gleichen erotischen Zerstreuungen gönnte, wie er sie bei seiner Geliebten suchte. Ramiel war aus dem Land seines Vaters verbannt worden und hatte nicht die Absicht, das Land seiner Mutter auf die gleiche Weise verlassen zu müssen. Wenn ihm aus diesem Unterricht Ärger erwuchs, musste er vorbereitet sein.

»Sobald sie sicher zurückgekehrt ist, überwachst du das Haus. Folge ihrem Mann. Ich will wissen, wer seine Geliebte ist, wo er sich mit der Dame trifft und wie lange diese Liaison bereits besteht.«

Kapitel 2

Die schwere Morgenluft legte ihren erstickenden Griff um die säuerlich riechende Droschke, als wäre sie ein lebendes Wesen, dessen Herz im gleichen Rhythmus schlug wie das von Elizabeth Petre und das atmete, wenn auch sie atmete. Auf ihren Beinen lag, schwer von dem Buch, das sie vor dem Haus des Bastardscheichs hineingestopft hatte, ihre Handtasche und drückte gegen ihren Schoß. Jenseits der feuchten Scheiben der Droschke bewegten sich im langsam aufsteigenden Morgennebel schattenhafte Gestalten. Verkäufer priesen schreiend ihre Waren an. Alles war wie immer, als lägen nicht die längsten dreißig Minuten ihres Lebens hinter ihr, in denen sie versucht hatte, den berüchtigtsten Frauenhelden Englands zu überreden, ihr beizubringen, wie sie einem Mann sexuelles Vergnügen bereitete.

Die Stimme des Bastardscheichs suchte sie noch immer heim – sein kehlig weicher Tonfall, der englische Vornehmheit und Zurückhaltung ausdrückte. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie verlangen, Mrs Petre?

Ja.

Lügnerin, Lügnerin, Lügnerin, krächzten die Droschkenräder. Eine Frau wie sie konnte unmöglich den Preis kennen, den ein Mann wie er dafür verlangte, sie in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einzuweihen.

Heißer Zorn brandete in Elizabeth auf.

Wie konnte er sich erdreisten zu behaupten, das Vergnügen eines Mannes hänge von der Fähigkeit einer Frau ab, Vergnügen zu empfinden – als trüge sie die Schuld daran, dass ihr Mann sich eine Mätresse hielt!

Der Duft seines Parfüms – nein, des Parfüms jener Frau, mit der er geschlafen hatte – hing noch in ihrer Nase.

Er roch, als hätte er sich darin gesuhlt.

Nein, er roch, als hätte er sich in der Frau gesuhlt, die dieses Parfüm trug.

Von ihm ging ein Dunst aus, als hätte er sich mit jedem Zentimeter seines Fleisches an ihrem Fleisch gerieben.

Elizabeth schloss die Augen vor dem aufsteigenden Bild dunkler Haut auf dem blassen Leib einer Frau. Wie er sie umschlang, tief mit ihr verbunden ...

Hinter ihren Lidern flackerten blaue und grüne Lichtpunkte auf.

Nein, keine blauen und grünen Punkte, es waren Lichter aus strahlendem Türkis. In derselben Farbe leuchteten die Augen des Bastardscheichs.

Sein Haar war hell wie bei einem Engländer und seine dunkle Haut arabisch, aber die Augen ließen sich weder dem Osten noch dem Westen zuordnen.

Sie weckten in ihr die Ahnung von fremdartigen Gegenden und versprachen Vergnügungen, denen sie sich nur in ihrer Fantasie hingab.

Diese Augen hatten sie als Frau erkannt und ihr Verlangen gesehen. Das Hinterrad der Droschke sackte in ein Schlagloch, und Elizabeth riss erschrocken die Augen auf. Sie schlang die Arme um ihren Leib und starrte auf das abgenutzte Leder der Sitzbank gegenüber.

Frauen wie sie – ältere, mit Makeln behaftete Frauen – wurden nicht von Männern wie dem Bastardscheich auserwählt; aber auch sie verdienten Vergnügen. Sie würde keinen Rückzieher machen, nur weil er sie jede Sekunde ihres Alters spüren ließ, jede Unvollkommenheit ihres Körpers.

Sie hatte siebzehn Jahre damit zugebracht, die gehorsame Tochter zu sein und sich brav dem Willen ihrer Eltern zu unterwerfen. Weitere sechzehn Jahre folgten als pflichtbewusste Ehefrau, die ihre eigenen Wünsche unterdrückte, um ihren Gatten nicht abzustoßen.

Der Bastardscheich hatte gesagt, das Buch, das er für ihren Unterricht verwenden wolle, umfasse einundzwanzig Kapitel.

Drei Wochen. So lange würde sie diese spöttisch-wissenden, türkisfarbenen Augen ertragen.

Sie würde alles ertragen, buchstäblich alles, wenn es darum ging, das notwendige Wissen zu erwerben.

Die Droschke kam ruckartig zum Stehen.

Elizabeth brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie am Ziel angelangt waren und nicht erneut in einem Verkehrsstau standen. Weitere Sekunden waren nötig, bis sie den Türgriff fand und den Wagenschlag öffnete.

Ihr Blick durchdrang den schwarzen Schleier. Die Gegend wirkte fremdartig, als hätte sich das Straßenbild in den vergangenen zwei Stunden auf unheimliche, aber offenkundige Weise verändert. Dass es bei ihrer Abfahrt noch dunkel gewesen war und jetzt der Tag anbrach, war kein hinreichender Grund für diese Veränderung.

»Macht einen Shilling und zwei Pence, Ma'am.«

Sie starrte zu dem Droschkenkutscher hinauf.

Er schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen; Nahrungsmangel und vierzehnstündige Arbeitstage hatten seinen Körper ausgemergelt. Ein Lichtkranz umgab seinen Kopf – die Morgensonne, die durch die niedergepressten Rauchschwaden und die darüber lastenden Nebelschichten schielte, ein feuchtes, stinkendes Gemisch, das sich im November, Dezember und Januar über London legte und dieses Jahr bis in den Februar hinein nicht weichen wollte.

Elizabeth war gesund und wohlhabend, mit einem angesehenen Politiker verheiratet und hatte zwei Söhne. Warum konnte sie sich nicht mit dem zufrieden geben, was sie besaß?

Sie suchte in ihrer Handtasche, nahm ein Zweishillingstück heraus und warf es dem Mann hinauf. »Behalten Sie das Wechselgeld.«

Der Kutscher fing die Münze in der Handfläche auf und lüftete seinen Hut. »Danke, Ma'am. Brauchen Sie wieder mal 'ne Droschke?«

Noch war es nicht zu spät, flüsterte die alte Elizabeth in ihr. Sie konnte jede weitere Begegnung mit dem Bastardscheich vermeiden, wenn sie den Kutscher dafür bezahlte, dass er das Buch zurückbrachte.

Aber sie war nicht mehr dieselbe Frau wie noch vor einer Woche. Sie würde nie wieder dieselbe sein.

Ihr Mann hatte seine Geliebte in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Während er seine Lust bei einer anderen befriedigte, hatte sie ihre körperlichen Bedürfnisse unterdrückt, in dem Glauben, der Schlüssel zum Eheglück läge in der Familie und die Freuden des Fleisches wären unwichtig.

Ihre ganze Ehe war auf Lügen gegründet gewesen.

»Danke. Nicht heute. Aber morgen früh werde ich Sie brauchen. Um vier Uhr.«

Ein Grinsen wischte die tief eingegrabenen Spuren der Erschöpfung aus dem Gesicht des Droschkenkutschers, und sein wahres Alter wurde sichtbar. Er war noch jung, an Jahren und vielleicht auch an Erfahrung. Mit einem Zungenschnalzer trieb er das Pferd an. »Geht klar, Ma'am.«

Elizabeth starrte der Droschke nach. Sie wurde rasch vom morgendlichen Strom der Pferde und Kutschen und den wabernden gelben Nebelschwaden verschluckt.

Sie hatte nicht damit gerechnet, eine Stunde warten zu müssen, bis der Bastardscheich von seinen nächtlichen Ausschweifungen nach Hause kam. Jetzt musste sie einen Grund erfinden, warum sie zu einer Zeit zurückkehrte, zu der sie sonst nicht einmal wach war.

Ein plötzlicher Schauer überlief sie. Jemand beobachtete sie. Ihr Magen zog sich zusammen, und sie drehte sich um.

Doch der Gehsteig war leer.

»Hering für 'nen Halfpenny! Frischer Hering! Holt euch Heringe zum Frühstück! Hering für 'nen Halfpenny!«

Auf dem Gehweg gegenüber schob ein halbwüchsiger Junge einen Karren vor sich her und pries mit lauter Stimme seine Waren an. An der Mauer eines Backsteingebäudes in der Nähe lehnte eine dunkle Gestalt ...

Ein Pferdegespann versperrte ihr die Sicht. Von den Tierleibern stieg Dampf auf, denn die Pferde zogen einen schweren, mit Fässern beladenen Wagen. Als das Fuhrwerk sie passiert hatte, sah Elizabeth, dass der Fischverkäufer stehen geblieben war. Eine Gestalt in einem schwarzen Mantel beugte sich über den Karren.

Eine Frau, ohne Zweifel eine Dienstmagd, die frischen Hering zum Frühstück kaufte.

In ihre Angst mischte sich Erleichterung. Niemand wusste, dass sie sich mit dem Bastardscheich getroffen hatte.

Das galt für heute.

Nach dem Fußmarsch, der sie drei Straßeneinmündungen weiter bis zu ihrem Stadthaus brachte, war Elizabeth in klebrigen Schweiß gebadet.

Und sie konnte noch immer das Parfüm riechen.

Verstohlen drehte sie den Schlüssel im Schloss der Vordertür und öffnete. Dabei überraschte sie den Butler, der sich in sein Jackett mühte.

Ihr Herz setzte für einen Schlag aus.

Nachdem der arabische Hausdiener ihr den Zutritt verwehrt hatte, hatte sie ihm ihre Visitenkarte gereicht, in der Absicht, die politische Macht ihrer Familie zur Einschüchterung zu benutzen.

Ganz sicher hatte der Diener die Karte an seinen Herrn weitergegeben.

Der sie ohne Zweifel noch hatte. Die Karte, deren eine Ecke sie eingeknickt hatte, wie es üblich war, wenn man anzeigen wollte, dass man persönlich vorgesprochen hatte.

Der Bastardscheich sagte, jede Schule habe ihre Regeln. Seine erste Regel lautete, dass sie in seinem Haus kein Korsett tragen durfte.

Um vorgelassen zu werden, hatte sie ihn erpresst. Es war doch möglich, dass er nun seinerseits Erpressung einsetzte, um sie zu demütigen.

»He, was soll das? Hier kommt nich' jeder ...«

Elizabeth riss ihren Schleier zurück, gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass zwei riesige, mit Sommersprossen übersäte Hände sie hinausbeförderten.

Der Butler erstarrte. Das schwarze Jackett hing halb angezogen von seiner Schulter herab. »Mrs Petre!«

»Guten Morgen, Beadles.« Sie hatte ihren Butler noch nie ohne Handschuhe gesehen. Seine sommersprossigen Hände vor Augen, stieß sie eine Erklärung hervor: »Es ist ein wunderschöner Tag. Ich dachte, ein Morgenspaziergang zu dieser frühen Stunde würde meinen Appetit anregen. Hat Mr Petre sein Frühstück bereits eingenommen?«

Beadles zog hastig das Jackett zurecht, während sein Gesichtsausdruck übergangslos von Feindseligkeit zu Beflissenheit wechselte. »Nein, das hat er nicht, Mrs Petre.« Ihm wurde bewusst, dass er keine Handschuhe trug, und er verbarg die Hände hinter dem Rücken. »Sie hätten nach einem Diener läuten sollen. Zu dieser frühen Stunde ist es für eine Frau ohne Begleitung nicht sicher draußen.«

Elizabeth stellte fest, wie rasch er in den gepflegten Tonfall der besseren Gesellschaft fiel, nachdem er sich noch Sekunden vorher des Gossenidioms bedient hatte.

»Das war nicht notwendig, Beadles. Ich bin nicht weit gegangen.« Unter dem Wollmantel ihre Handtasche umklammernd, sprach sie ruhig weiter, als wäre nichts dabei, dass die Hausherrin einen Morgenspaziergang unternahm, bevor die Dienerschaft aus den Federn war. »Bitte läuten Sie nach Emma. Ich muss mich umkleiden, um zu ...« Um zu was? Schlafen zu gehen? »Um zu frühstücken.«

Beadles war viel zu wohlerzogen und hätte nie eine Bemerkung über das befremdliche Verhalten seiner Herrin gewagt. Sein Schädel, auf dem sich die Haare bereits lichteten, glänzte im schwachen Schein der frühen Morgensonne, deren Strahlen durch die offene Haustür in die Eingangshalle fielen.

Elizabeth biss sich auf die Lippen, um ein nervöses Lachen zurückzuhalten.

Alles war so furchtbar normal ... beinahe enttäuschend normal.

Wer würde schon vermuten, dass Mrs Elizabeth Ann Petre, Tochter des Premierministers und Gattin des Schatzkanzlers, sich den Weg in das Haus des Bastardscheichs erpresst hatte, weil sie hoffte, ihn dazu bewegen zu können, ihr Lehrer im Fach »Sexuelles Vergnügen« zu werden?

Vielleicht würde sie aufwachen und feststellen, dass sie nur geträumt hatte. Ihr Gemahl war so, wie sie ihn immer gesehen hatte: ein Mann, dem Politik mehr lag als der Umgang mit Frauen.

Vielleicht würde sie aufwachen und feststellen, dass die hässlichen Gerüchte über seine Mätresse reine Fantasie waren.

Ihr Plan, Unterricht bei dem Bastardscheich zu nehmen – ein Vorhaben, das ihr eben noch aufregend und kühn erschienen war –, wirkte plötzlich nur noch geschmacklos.

Sie hatte mit einem fremden Mann über ihre ehelichen Schwierigkeiten gesprochen. Mit einem Mann, der Dinge in den Mund nahm, die kein Gentleman aussprach, wenn Damen anwesend waren – »mit mir zu schlafen«.

Und sie hatte über Dinge geredet und Ausdrücke benutzt, die einer Dame nicht über die Lippen kommen durften – niemals und unter keinen Umständen.

Elizabeth zwang sich, mit gemessenen Schritten nach oben zu gehen, statt die Stufen hinaufzurennen.

Sie musste mit ihrem Mann sprechen.

Sie brauchte ihn, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer eine tugendhafte und ehrbare Frau war.

Sein Schlafzimmer grenzte an das ihre. Sie wollte hineinspähen, um zu sehen, ob er wach war. Dann würden sie endlich das Gespräch führen, das schon vor Jahren hätte stattfinden müssen. Wäre sie nur früher mutig genug gewesen, es zu suchen!

Mit pochendem Herzen schob sie Edwards Tür auf.

Das Zimmer war leer. Die gestärkten Leinenlaken und der laubgrüne Bettüberwurf aus Samt waren glatt gezogen.

In diesem Bett hatte heute Nacht niemand geschlafen.

Feuchtigkeit brannte hinter ihren Lidern.

Langsam schloss sie die Tür wieder – als fürchtete sie, mit einer jähen Bewegung ihre Tränen zum Fließen zu bringen, die in dieser Woche allzu dicht unter der Oberfläche lauerten. Dann drehte sie sich um ... und ihr Herz blieb für einen Moment stehen.

Die schlichte, rundgesichtige Frau, die in ihrem Zimmer stand, sah Elizabeth mit einem rätselhaften Lächeln über das ungemachte Bett hin an. »Sie sind früh auf den Beinen heute Morgen, Mrs Petre. Ich habe Ihnen eine heiße Schokolade nach oben gebracht. Den schlimmsten Teil des Winters haben wir hinter uns, aber draußen herrscht noch immer eine ziemliche Kälte.«

Elizabeth holte tief Luft, um den Schrei niederzukämpfen, der aus ihr herausbrechen wollte. »Danke, Emma. Das war sehr aufmerksam von Ihnen.«

»Der Dekan war am Telefon. Es ging wieder um unseren jungen Master Phillip.«

Als Elizabeth den Namen ihres jüngsten Sohnes hörte, erhellte ein Lächeln ihre Augen. Phillip absolvierte sein zweites Semester in Eton. Mit seinen elf Jahren war er ein unerschrockener, aufgeweckter Junge, und sie vermisste ihn sehr.

Es spielte keine Rolle, dass er nicht die geistigen Fähigkeiten geerbt hatte, die seinen Vater und seinen Großvater auszeichneten. Phillip konnte herrlich lachen. Dieser Charakterzug und seine knabenhafte Lust am Schabernack hatten Elizabeth in den vergangenen Monaten reichlich Gelegenheit verschafft, ihre Bekanntschaft mit dem Dekan zu vertiefen.

Emma stellte das Silbertablett auf den Nachttisch und rückte das Geschirr zurecht. »Der Dekan hat mit Mr Petres Sekretär gesprochen.«

Elizabeth schritt wie beiläufig zu ihrem Schreibtisch. Der dunkelblaue Wollteppich, über den sie ging, wirkte unverkennbar englisch im Vergleich zu dem Orientteppich in der Bibliothek des Bastardscheichs mit seinen warmen, leuchtenden Farben. »Ich verstehe. Mr Petre hat das Haus bereits wegen eines Termins verlassen, nehme ich an.«

Emma schenkte leise den Kakao ein, und ein betörender Duft nach Schokolade breitete sich im Zimmer aus. »Das weiß ich nicht, Madam.«

So viele Lügen, dachte Elizabeth grimmig, während sie die Handtasche mit dem verbotenen Buch unter die Rollklappe ihres Schreibtischs schob.

Emma wusste genau, dass Mr Petre nicht in seinem Bett geschlafen hatte. Und zweifellos wussten alle anderen Dienstboten im Haus ebenfalls Bescheid.

Wie lange hatte die Dienerschaft sie vor der Tatsache geschützt, dass ihr Gemahl das Bett einer anderen Frau dem ihrem vorzog?

Elizabeth zog Mantel und Hut aus und legte sie über die holzverstrebte Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls. Die schwarzen Handschuhe folgten.

Schweigend nahm sie das zierliche, rosenmusterverzierte Porzellangedeck in Empfang, das Emma ihr reichte. Weil sie dem wissenden Blick der Kammerzofe nicht begegnen wollte, wandte sie den Kopf zur Seite und starrte aus dem Fenster.

Blassgelbe Sonnenstrahlen beschienen den winterlich toten Rosengarten. Ausgedörrtes Heu war über den nackten Boden gebreitet, ein hässlicher, aber wirksamer Schutz für das empfindliche Wurzelwerk in der Erde.

Die Stimme des Bastardscheichs hallte in ihrem Kopf wider.

Sie werden herausfinden, Mrs Petre, dass alle Männer einander gleichen, wenn es um ihr sexuelles Vergnügen geht.

Wie oft hatte ihr Mann die Nacht überhaupt nicht zu Hause verbracht, wenn sie geglaubt hatte, er wäre früh aufgestanden, um seinen Pflichten im Parlament nachzukommen?

Sie lehnte die Stirn gegen das kalte Glas. Heißer Dampf stieg aus ihrer Tasse auf und legte sich auf der Fensterscheibe nieder.

Heute war Montag. Für zehn Uhr stand eine Krankenhausbesichtigung in Elizabeths Terminkalender, und um zwölf Uhr lud sie als Gastgeberin zu einem Wohltätigkeitsessen. Sie musste sich überlegen, was sie anzog, und eine kurze Ansprache vorbereiten. Aber ihre Gedanken kreisten nur um das leere Zimmer nebenan.

Wenn es nun nicht ihre fehlende Erfahrung war, die Edward abstieß? Vielleicht war sie selbst abstoßend? Ihr Körper, ihr Wesen, der völlige Mangel an politischem Charisma? Denn weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten diese besondere Eigenschaft an sie weitervererbt.

Ein Spatz erhob sich flatternd in die Luft. Im Schnabel trug er einen vertrockneten Grashalm, den er in sein Nest flechten wollte.

Plötzlich wusste Elizabeth, was ihr fehlte.

Sie brauchte die reine, unkomplizierte Liebe eines Kindes.

Vielleicht musste sie auch Gewissheit erlangen, dass ihr geheimes Treffen mit dem Bastardscheich die Beziehung zu ihren beiden Söhnen nicht irgendwie befleckt hatte?

Elizabeth wandte dem leblosen Rosengarten den Rücken zu. »Sagen Sie Mr Petres Sekretär, er soll den Verein mildtätiger Frauen benachrichtigen. Er muss den Termin zur Krankenhausbesichtigung absagen und die Rede beim Wohltätigkeitsessen kann ich auch nicht halten. Als Grund geben Sie an, dass ich durch einen unerwarteten Notfall verhindert bin.«

»Sehr wohl, Madam.«

Elizabeths Lebensgeister erwachten wieder. Die Rolle der begehrenswerten Ehefrau mochte jenseits ihrer Möglichkeiten liegen, aber das hinderte sie nicht daran, eine gute Mutter zu sein.

Sie schenkte Emma ein seltenes Lächeln. »Geben Sie der Köchin Bescheid. Sie möchte einen Picknickkorb für zwei hungrige Buben herrichten. Dann lassen Sie eine Kutsche vorfahren, die mich zum Bahnhof bringt. Ich werde den Tag mit meinen Söhnen verbringen.«

Ein süßlich schwerer Duft wehte in ihre Nase.

Das Parfüm.

»Aber zuerst bereiten Sie mir bitte ein Bad vor.«

»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten lassen, Mrs Petre?«

Der Dekan warf einen betont deutlichen Blick auf seine reich verzierte goldene Taschenuhr. Sein sauber getrimmter Bart, silbergrau vom Alter, zuckte gereizt.

Er mochte Gespräche mit Frauen nicht, selbst wenn es sich um die Mutter von zwei Schülern handelte. Schon gar nicht passte ihm, dass sie ohne Voranmeldung hereingeplatzt war.

Elizabeth lächelte. Sie ließ sich nicht einschüchtern, obwohl der alte Schulvorstand offenbar genau das im Schilde führte. Sie hatte dem Bastardscheich die Stirn geboten. Kein Mann würde sie danach aus der Fassung bringen können.

»Nein, danke, Dekan Whitaker. Was hat mein Sohn dieses Mal angestellt?«

»Master Phillip hat heute Morgen beim Frühstück einen Mitschüler angegriffen.« Der Dekan ließ die Uhr in seine Westentasche zurückgleiten und sah sie mit einem zwingenden Blick unter den buschigen weißen Brauen an. »Er musste gewaltsam zurückgezogen werden.«

»Wie hat der andere Schüler ihn derart in Rage gebracht?«, fragte Elizabeth scharf. Ihr Mutterinstinkt war erwacht.

»Master Phillip behauptete, Master Bernard sei ein Whig und gegen die Demokraten und damit eine Provokation für sein soziales Gewissen.«

Elizabeth schwankte zwischen Belustigung und Entsetzen.

Phillip hatte nie das geringste Interesse an Politik gezeigt. Aber auf Faustkämpfe hatte er sich bislang auch nicht eingelassen.

Die Nachricht, dass sich nun anscheinend gleichzeitig die Neigung für beides in ihm entwickelte, ließ sie innerlich aufhorchen. »Und was hat Master Bernard dazu zu sagen?«, fragte sie freundlich.

»Nichts, Madam. Die schockierende Gewalttat Ihres Sohnes hat ein zitterndes Nervenbündel aus ihm gemacht.«

Einige Sekunden lang musterte Elizabeth den empörten Dekan. »Würden Sie mir sagen, in welche Klasse Master Bernard geht?«, fragte sie dann.

»Master Bernard besucht die ... zehnte Klasse.« Der Dekan rückte diese Mitteilung nur zögerlich heraus.

Mit gutem Grund.

Phillip war elf und besuchte die sechste Klasse. Wenn Bernard in die zehnte ging, würde er in einem Jahr seinen Abschluss machen.

Ihr Sohn musste in der Tat vor Wut außer sich gewesen sein, um aus einem Mitschüler, der mindestens vier Jahre älter war als er, ein »zitterndes Nervenbündel« zu machen.

»Haben Sie vor, Phillip von der Schule zu verweisen, Dekan Whitaker? Wenn das der Fall ist, muss ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass ich bereits seit längerer Zeit darüber nachdenke, ob ich Phillip auf ein anderes College schicke. Wie ich höre, bietet Harrow ein weit höheres Niveau als Eton. Und sollte ich mich entschließen, Phillip die Schule wechseln zu lassen, werde ich natürlich auch Richard von Eton nehmen. Ich weiß, es sind nur noch sechs Monate bis zu seinem Examen, aber ...«

»Es besteht kein Grund zu voreiligen Entschlüssen, Mrs Petre.« Der Dekan verlor nur ungern Geld, so wenig wie er wollte, dass die Schule an Prestige einbüßte – schließlich hatten der Vater und der Großvater von Phillip auch in Eton studiert und waren einflussreiche Persönlichkeiten. »Ich bin sicher, dass ein angemessener finanzieller Beitrag ... außerdem war der angerichtete Schaden gering und Jungen sind eben Jungen ...«

Elizabeth erhob sich. »Bitte setzen Sie sich mit Mr Kinder, dem Sekretär meines Mannes, in Verbindung. Er wird alles Nötige veranlassen, um für den entstandenen Schaden aufzukommen. Und jetzt möchte ich meine beiden Söhne sprechen.«

»Master Phillip befindet sich in Arrest, und Master Richard hat Unterricht. Dürfte ich vorschlagen, dass Sie vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt ...«

»Nein, Dekan Whitaker«, sagte sie entschieden. »Harrow klingt immer verlockender.«

»Also gut, Mrs Petre.« Der Dekan hob eine kleine Messingglocke und läutete. Unverzüglich trat der Büroangestellte ins Zimmer, ein Mann mittleren Alters mit hängenden Schultern, der so eingeschüchtert wirkte, wie der Dekan herrisch war.

»Mr Hayden, bringen Sie die beiden Petres ins Besucherzimmer. Wenn Sie mir bitte folgen möchten, Mrs Petre.«

Auf dem Parkett im Gang hallten die Schritte von zwei Schuhpaaren wider – dumpf und zurückhaltend die Sohlen des Dekans, hart und fordernd Elizabeths Absätze.

Eton war ein bedrückender Ort, dachte Elizabeth. Überall glänzendes, dunkles Holz ohne jede Fingerspuren auf den polierten Flächen, die zeigten, dass in diesen ehrwürdigen Räumen Hunderte von Jungen lebten.

Der Dekan stieß eine Tür auf und wich einen Schritt zurück, um sie eintreten zu lassen. »Bitte machen Sie es sich bequem, Mrs Petre. Master Phillip und Master Richard werden gleich hier sein.«

Das Besucherzimmer war kein Raum, in dem man es sich hätte »bequem« machen können. Zwei lederbezogene Sessel mit hoher Lehne standen einem achtbeinigen Sofa aus Walnussholz gegenüber, dessen Rückenlehne in drei Rundbögen unterteilt war. In dem düsteren, granitverkleideten Kamin neben dem Sofa brannte ein kümmerlich kleines Kohlenfeuer.

Elizabeth zog Mantel, Hut und Handschuhe aus, setzte sich auf die Sofakante und starrte in die Kohlenglut.

Sie wünschte sich, ihre beiden Söhne mit nach Hause nehmen zu können, wo sie es warm hatten und in Sicherheit waren.

Sie wünschte sich, es hätte ihr genügt, ihren Söhnen eine gute Mutter zu sein. Sie wünschte sich ...

»Hallo, Mutter.«

Elizabeth fuhr auf dem Sofarand herum.

Phillip stand in der Tür, das rötlich braune Haar verwegen nach hinten gekämmt. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen.

Sein linkes Auge war zugeschwollen und im rechten glänzte eine zurückgehaltene Träne.

Am liebsten wäre sie hinübergerannt, um ihn mit ihren Umarmungen und Küssen zu erdrücken.

Sie wollte ihn in ihren Armen davontragen, weg von Eton mit seinen Gefahren.

Sie wollte ihm die Achtung zuteil werden lassen, um die er so tapfer gekämpft hatte.

»Hallo, Phillip.«

»Du hast mit dem Dekan gesprochen.«

Elizabeth sparte sich eine Antwort. Sie war offensichtlich. »Werde ich von der Schule verwiesen?«

»Möchtest du das?«

»Nein.«

»Willst du mir erzählen, warum du dich mit einem großen Jungen aus der zehnten Klasse geprügelt hast? Er muss doch viel zu stark für dich gewesen sein.«

Phillip ballte die Fäuste. »Bernard ist ein Whig ...«

»Bitte beleidige nicht meine Intelligenz, indem du diesen Unsinn wiederholst. Außerdem heißt es nicht mehr Whig ... diese Leute werden jetzt ›Liberale‹ genannt.«

Seine Schultern sackten ein. »Ich bin kein kleiner Junge mehr, Mutter.«

»Das weiß ich, Phillip.« Sie lächelte schief. »Dein blaues Auge ist der Beweis.«

Er straffte sich – und wirkte noch jünger als elf. »Bitte, Mutter. Frag mich nicht, warum ich Bernard angegriffen habe. Ich möchte dich nicht anlügen.«

»Tut mir Leid, aber genau das muss ich dich fragen, und weil du mich früher nie belogen hast, glaube ich, dass du auch jetzt die Wahrheit sagen wirst.«

Phillip starrte auf seine Schuhspitzen. Schließlich murmelte er: »Er hat etwas gesagt.«

»Über dich?«

»Nein.«

»Über Richard?«

Er hob das Kinn und starrte über ihren Kopf hinweg. »Ich möchte es dir nicht sagen, Mutter.«

Plötzlich war Elizabeth von bösen Vorahnungen erfüllt. Kinder erzählten den Klatsch weiter, den sie aus dem Mund ihrer Eltern hörten. Wenn ihr die Gerüchte über Edwards außereheliche Beziehung zu Ohren gekommen waren, konnten auch ihre Söhne damit konfrontiert worden sein.

»Hat Master Bernard etwas über deinen Vater gesagt, Phillip?«

Phillip blinzelte. Er hielt den Blick noch immer starr über ihren Kopf gerichtet.

Ganz offensichtlich bedeutete das Blinzeln »ja«.

Warum war sie als Ehefrau so gefügig gewesen? Sie hätte das Unglück verhindern können, das ihr Mann, sie selbst, ihre Kinder nun erlitten.

»Phillip.«

Der Ton ihrer Stimme war ihm wohl vertraut, und er sah sie in stummem Flehen an.

Elizabeths Herz schmerzte vor Mitgefühl.

Bis auf die Haarfarbe war Phillip seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, die gleichen dunkelbraunen Augen, die Patriziernase ... Im Inneren jedoch hatte er nicht die geringste Ähnlichkeit mit Edward.

Edward mit einem blauen Auge, das war ein Bild, das Elizabeth sich nicht vorstellen konnte. Nicht einmal, als Edward in Phillips Alter gewesen war.

Sie legte die Hand auf den Platz neben sich. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«

Mit seinen dunkelbraunen Augen betrachtete Phillip sie argwöhnisch. »Was?«

»Eine Tafel Cadbury-Schokolade.«

Die Bestechung zeigte Wirkung, wo alle Mutterliebe dieser Welt versagte. Wie ein Pfeil schoss Phillip zu dem Korb, der neben ihren Füßen stand.

»Du solltest gewalttätiges Verhalten nicht belohnen, Mutter.«

Die vorwurfsvolle Stimme gehörte keinem Kind und auch keinem Erwachsenen, sondern einem jungen Mann, der sich irgendwo zwischen diesen beiden Lebensaltern befand.

Elizabeth wandte sich mit aufrichtiger Freude ihrem Ältesten zu. »Und du solltest deinem kleinen Bruder nicht erlauben, sich auf Zweikämpfe mit Jungen einzulassen, die doppelt so alt ...« Ihr Mund blieb vor Schreck offen. »Richard!«

Ihr Erstgeborener war blass und hager. Jede Ähnlichkeit mit dem kräftigen Jungen, der sie während der Schulferien täglich bestürmt hatte, ihm ein neues Fahrrad zu kaufen, war verschwunden. Sogar sein Haar, tiefschwarz wie das seines Vaters, wirkte stumpf und kraftlos.

Sie stand auf und legte ihm die Hand an die Stirn. »Richard, bist du krank?«

Er wehrte sich nicht gegen die Berührung. »Inzwischen geht es mir wieder gut.«

»Warum hat der Dekan mich nicht benachrichtigt?«

»Es war nichts, Mutter. Nur ein Schnupfen.«

»Isst du genug?«

»Mutter.«

»Möchtest du nach Hause kommen, um dich zu erholen?«

Nun wich er vor ihrer Hand zurück. »Nein.«

»Hättest du gern ein paar Sahnebonbons?«, fragte sie unbeirrt weiter.

Ein zögerndes Lächeln straffte seine Lippen. »Dagegen hätte ich allerdings nichts einzuwenden.«

»Dann komm, damit wir sie genießen können. Die Köchin hat für uns einen Picknickkorb gepackt.«

Phillip hatte den Korb bereits erobert und plünderte die darin enthaltenen Schätze. Feierlich reichte er Richard die Dose mit den Sahnebonbons.

Es sah aus, als würden die beiden Jungen einen Pakt besiegeln.

Bei Apfelwein und Roastbeefscheiben, Stilton-Käse, sauer eingelegtem Gemüse und knusprigem Brot mit Erdbeermarmelade erzählte Richard zwischen Trinken und Kauen stolz von seinen Studienfortschritten, während Phillip sich brüstete, mit welchen Tricks er dem Lernen entkam. Viel zu schnell verging die gemeinsame Zeit.

Schließlich räumte Elizabeth die Teller und Schüsseln in den Korb; den Rest der Mahlzeit wickelte sie in zwei Servietten. »Richard, du musst mehr essen. Phillip, keine Prügeleien mehr. Und jetzt will ich, auch wenn ihr euch in eurer männlichen Würde dagegen sträubt, eine Umarmung.«

Als hätte er bereits ungeduldig auf die Erlaubnis gewartet, stürmte Phillip zu ihr und presste sein Gesicht an ihren Busen. »Ich liebe dich, Mama.«

Richard überragte Elizabeth um fünfzehn Zentimeter. Sie war überrascht, dass er ebenfalls die Arme um sie schlang und das Gesicht in ihrem Nacken vergrub, wie früher, als er noch ein Kind war. Warmer, feuchter Atem streifte ihre Haut. »Das gilt auch für mich, Mama.«

Elizabeth sog den Geruch seiner Haut tief ein, ein Duft nach Seife, Schweiß und ihm selbst. Richard reifte langsam zum Mann heran und entfernte sich von ihr, aber er roch noch immer wie ihr kleiner Junge von früher.

Sie blinzelte die Tränen zurück. »Dein Vater und ich lieben euch auch.«

Diese Erklärung wurde mit Schweigen beantwortet. Wie in stummer Absprache entzogen sich Richard und Phillip gleichzeitig ihren Armen.

In diesem Augenblick fasste Elizabeth den unumstößlichen Entschluss, alles zu unternehmen, um wieder eine richtige Familie aus ihnen zu machen.

Die Bahnfahrt zurück nach London zog sich quälend lange hin. Das gleichförmige Rattern hätte sie schläfrig machen sollen, bewirkte aber das Gegenteil.

Sie dachte an Edward und sein leeres Bett. Und sie dachte daran, wie sich ihre Söhne stumm zurückgezogen hatten, nachdem sie ihren Vater erwähnt hatte. Dann musste sie an den Bastardscheich denken und das Parfüm, das an ihm gehaftet hatte.

Wie sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich vorzustellen, dass Edward mit seiner Geliebten das gleiche Vergnügen erlebte, das der Bastardscheich offensichtlich bei der Frau empfunden hatte, mit der er in jener Nacht zusammen gewesen war.

Am Bahnhof stand der Kutscher mit dem Wagen bereit. Ihr Mann war nicht zu Hause.

Nachdem sie höflich, aber bestimmt zuerst den Butler und dann ihre Zofe hinausgeschickt hatte, die sie zu einem leichten Abendessen überreden wollten, machte Elizabeth sich zum Schlafen bereit. In dem Augenblick, als Emma die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte sie das Buch hinter der Schreibtischklappe hervor.

Es roch nach Leder und Druckerschwärze, als wäre es noch ganz neu. Vorsichtig blätterte sie zur Titelseite und las die fetten Lettern auf dem kräftigen weißen Leinenpapier:

DER DUFTENDE GARTEN DES SCHEICH NEFZAUI

Handbuch der Arabischen Erotologie (XVI. Jahrhundert)

Überarbeitete und verbesserte ÜbersetzungCosmopoli: MDCCCLXXXVI, für die Kama Shastra Society von London und Benares, Weiterverbreitung nur zu privaten Zwecken erlaubt (Seitenzahl: xvi + 256)

Erotologie?

Dieses Wort hatte Elizabeth noch nie gehört oder gelesen. Als Erscheinungsjahr war 1886 angegeben – das Buch kam tatsächlich frisch aus der Druckerei.

Ungeduldig überflog sie das Inhaltsverzeichnis und hielt inne, als sie die Einleitung aufschlug. Wie aus eigenem Antrieb schien ihr Blick zu den ersten Absätzen zu springen.

Lobpreis gebührt Gott, dass er dem Manne sein höchstes Vergnügen bei den Geschlechtsteilen des Weibes finden lässt und dass die Geschlechtsteile des Mannes dem Weibe zu höchstem Entzücken verhelfen.

Er hat die Sexualität des Weibes so geschaffen, dass sie ihre Lust und Befriedigung erst dann zu finden imstande ist, wenn der Mann sein Werkzeug vollkommen in sie hineingestoßen hat; umgekehrt finden die sexuellen Organe des Mannes weder Rast noch Frieden, bis sie in die weiblichen Tiefen eingedrungen sind.

Ein stechender Schmerz der Sehnsucht schoss zwischen ihren Schenkeln hoch, gefolgt von der Erinnerung an den spöttischen Blick der türkisfarbenen Augen des Bastardscheichs.

Sie hegte nicht den geringsten Zweifel, dass er seine Zustimmung, ihr Lehrer zu sein, nur gegeben hatte, um sie demütigen zu können.

Ein Mann wie er würde es einer Frau niemals verzeihen, dass sie sich den Einlass in sein Haus durch Erpressung erzwungen hatte.

Ein Mann wie er würde nie verstehen, dass eine Frau, deren Haar die ersten Silbersträhnen des Alters aufwies und deren Körper von zwei Schwangerschaften gezeichnet war, das gleiche brennende Verlangen erfüllte wie die jungen, schönen, nicht mit der Bürde der Tugend belasteten Frauen.

Grimmig setzte Elizabeth sich an den Schreibtisch und nahm Feder und Papier aus der oberen Schublade.

Der Bastardscheich brauchte nie zu erfahren, wie sehr sie sich nach körperlichem Vergnügen sehnte. Es genügte, wenn er wusste, dass sie sexuelle Unterweisung suchte, um ihren Mann zufrieden stellen zu können.

Kapitel 3

Die Gaslaterne vor dem Haus leuchtete wie ein Signalfeuer. Ein helles, blechernes Wiehern durchdrang den Morgennebel. Es stammte von dem Pferd vor der Droschke, die an der gegenüberliegenden Straßenseite auf sie wartete.