14,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 14,99 €
»Sie gaben uns Magie. Wir gaben ihnen alles, was wir hatten.« Früher existierte Magie nur in Träumen. Sie war eine geheimnisvolle Kraft, die Wunder vollbringt. Aber so ist Magie nicht. Das weiß Rayne besser als jede andere. Wahre Magie ist düster und gefährlich – und dennoch Raynes einzige Chance, in den Armenvierteln Londons zu überleben. Mittels besonderer Artefakte, den Sigils, hat sie gelernt, die blau schimmernde Flüssigkeit zu nutzen … und mit ihr zu kämpfen. Doch als die Magie außer Kontrolle gerät, kann Rayne nur ein einziger Junge helfen. Er herrscht über die mächtigsten Sigils der Welt und stellt sie vor die Wahl: Entweder die Magie in Raynes Adern wird sie töten – oder sie bindet ihr Leben an die Dark Sigils. Für immer. Auftakt der neuen atemberaubenden Urban Fantasy-Trilogie von »Vortex«-Autorin Anna Benning!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 562
Anna Benning
Was die Magie verlangt
Band 1
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de
Für meine Eltern
Danke, dass mein Leben
voller Chancen ist.
Es fordert Blut, sagt man.
Blut fordert Blut.
William Shakespeare, Macbeth
Früher existierte Magie nur in unseren Träumen. Ich war zu jung, um es mitzuerleben – eine Welt ohne Magie. Aber noch heute sprechen die Menschen darüber. Dass sie geglaubt hatten, Magie zu kennen. Magie, so wie sie in Filmen ist. In Märchen. In Büchern. Eine geheimnisvolle, meist gute Kraft, die Wunder vollbringt.
Doch so ist Magie nicht.
Wahre Magie ist dunkel und verführerisch, eine blau schimmernde Flüssigkeit, wertvoller als Gold und süchtig machender als die wirksamste Droge. Fünfzehn Jahre ist es her, dass die Magie in unsere Welt kam. Ihre Faszination war wie ein Schwelbrand, und die Reichen und Mächtigen waren die Ersten, die ihr erlagen. Sie hätten ihre Seelen für einen Tropfen Magie verkauft. Und wenn diejenigen, die über alles bestimmen, etwas so sehr vergöttern, dann bleibt kein Raum mehr für Skepsis.
Die Magie ist heute ein Teil unseres Lebens. Sie ist überall, auf jedem Kontinent, in jedem Land und in jeder Stadt.
Menschen töten, um sie zu besitzen.
Menschen sterben, weil sie es tun.
Und andere Menschen, so wie ich, kämpfen mit ihr, um zu überleben.
Die Tribünen waren bis auf den letzten Platz mit Zuschauern gefüllt. Der Anblick jagte einen Schauer über meinen Rücken, und kaum dass wir den Eingang hinter uns gelassen hatten, drang der Lärm von allen Seiten auf mich ein. Klatschen, Anfeuerungen, Buhrufe. Ein plötzliches Gefühl von Einsamkeit überkam mich. Zwar lag Lilys Hand fest in meiner, aber ich wusste, was mir bevorstand.
Und ich wusste, dass ich es allein tun musste.
»Ist das abgefahren!«, rief Lily. Ich hörte sie kaum, doch die Worte lagen deutlich auf ihren Lippen. Sie lehnte sich zu mir. »Du hattest recht. Das ist echt eine ganz andere Nummer als bei den Amateurkämpfen!«
Allerdings. Mein Blick zuckte über die riesige siebeneckige Halle hinweg. Ein Heptadome. Gebaut dort, wo früher Fußballstadien gestanden hatten. Als sich die Leute noch für Fußball interessierten.
Es war das erste Mal, dass ich eines dieser Gebäude betrat. Von der Subway aus hatten Rolltreppen etliche Stockwerke nach oben und direkt zu den Tribünen geführt. Nun waren wir so hoch, dass ich alles überblicken konnte. Flutlichter schienen auf die sieben voneinander getrennten Kampfarenen tief unter uns hinab. Die Wände des Heptadomes bestanden aus dunklem Glas, flackernde Lichter aus Projektoren tanzten über die Flächen. Über uns wölbte sich der Himmel, auf dem heute, an diesem Herbstabend, noch einige Rot- und Orangesprengsel sichtbar waren.
Ich bohrte meine freie Hand in den Stoff meines dunkelgrünen Capes und schloss die Augen, um mich zu sammeln. Dabei nahm ich den Duft tief in mich auf. Der Heptadome war regelrecht erfüllt davon. Bittersüß, schwer und sehr intensiv. Eine Mischung aus Asche und Zucker.
Der Duft von Magie.
Schon schoss ein aufgeregtes Kribbeln über meine Haut hinweg, ob ich es wollte oder nicht. Mein Körper wusste bereits, dass eine neue Magiedosis zum Greifen nah war – und so sehr ich auch versuchte, es zu leugnen: Er freute sich darauf.
Mein Verstand verabscheute Magie.
Der Rest von mir tat es nicht.
Die sieben Heptagon-Arenen, auf die wir hinabsahen, waren bereits besetzt. Dort kämpften die Duellantenpaare parallel miteinander. Ich sah das blaue Aufflackern ihrer Magie, zwang mich aber, den Kämpfen nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Es würde mich nur noch nervöser machen.
»Ray?« Lilys tiefbraune Augen blickten mich sorgenvoll an. Obwohl die Leute um uns herum stetig nach vorne drängten, um sich ihre Sitzplätze zu suchen, blieb sie eisern stehen. »Wir können immer noch gehen und eine andere Lösung finden.«
Ich lächelte Lily an. Sie meinte es ernst, das wusste ich. Wenn ich wollte, würde sie sofort mit mir aus dem Heptadome verschwinden. Wir würden zurück in die Outskirts gehen, in das heruntergekommene Kraftwerk, in dem wir aufgewachsen waren, und weiter für Lazarus Wright arbeiten. Für den Rest unseres Lebens wären wir ein Teil seiner Bande – Nightserpents bis zum Tod. Aber alles, was uns beide als Mensch ausmachte, würde verstummen, Tag für Tag ein bisschen mehr.
»Nein, ich ziehe das jetzt durch«, sagte ich und nickte entschlossen. Besser, wir brachten die Anmeldung schnell hinter uns. Sonst überlegte ich es mir wirklich noch anders.
Der Bereich, in dem die Wettkämpfer aufgenommen wurden, lag auf halber Höhe der Tribünen, und auf unserem Weg musterte ich die Zuschauer ringsum. Obwohl die Stehplätze hier oben im Vergleich zu den Sitzen in den unteren Rängen bestimmt um einiges günstiger waren, sah ich nur fein gekleidete und mit Schmuck behängte Menschen. Sie alle stierten gebannt in die Tiefe zu den Arenen, nur wenige warfen uns einen flüchtigen Blick zu und wendeten ihn sofort wieder ab, wenn sie die vielen Flecke und Risse auf unseren Klamotten wahrnahmen.
Meine Wangen liefen rot an. »Wir hätten uns doch was anderes anziehen sollen!«, rief ich über eine aufbrandende Welle des Applauses hinweg, woraufhin Lily mit einem Grinsen den Kopf zu mir neigte.
»Wieso? Es ist gut, wenn sie dich unterschätzen.«
Damit hatte sie natürlich recht. Allerdings hätte ich dafür nicht mit meinem ausgefransten Rock und löchrigen Kniestrümpfen hier aufkreuzen müssen. Dazu musste ich nur aussehen, wie ich aussah. Ein schlaksiges, bleiches Mädchen mit kastanienbraunen Haaren, das ungefähr so bedrohlich wirkte wie ein Hundewelpe auf der Jagd nach einer Maus. Lily hatte sogar ihre schwarzen krausen Haare mit einer Schleife hochgebunden. Oder war das Teil einer Taktik? Denn trotz ihres atemberaubend hübschen Gesichts und dem unschuldigen Lächeln hatte Lily es faustdick hinter den Ohren – ich würde es ihr zutrauen.
Sie drückte erneut meine Hand und zog mich die Treppe nach unten. Ihre Haut fühlte sich warm an meiner an, und ich ließ ihre Zuversicht in mich hineinfließen. Von allen Menschen in meinem Leben hatte Lily schon immer am meisten an mich geglaubt. Genau genommen, seit ich im Alter von sechs Jahren das erste Mal angekündigt hatte, dass ich Schokolade aus dem Lagerraum des Waisenhauses klauen würde, und zwar genug, um alle Kinder damit zu versorgen. Lily hatte keine Sekunde an mir gezweifelt – und recht behalten.
Sie war mein Fels, meine Seelenverwandte. Und sie war die Einzige, die wusste, was ich heute vorhatte. Wenn ich gleich in eine der sieben Heptagon-Arenen stieg, um mich zu duellieren, würde sie am Seitenrand stehen und meinen Namen brüllen, bis sie heiser war.
Ein Teil von mir konnte immer noch nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft hatten. In den letzten Monaten hatte ich jede Woche einen Amateurkampf absolviert und damit genügend Punkte gesammelt, um heute das erste Mal in der Profiarena anzutreten.
Und nun waren wir hier.
Gewünscht hatte ich es mir nie. Doch darum ging es nicht. Es ging darum, dass Lily und ich so schnell wie möglich aus dem Waisenhaus verschwinden mussten. Dafür brauchten wir Geld, und bei den Profikämpfen wurden Wetten abgeschlossen, die dermaßen hoch waren, dass es schnell um Millionenbeträge ging. Auch die Kämpfer wurden beteiligt, zwar nur zu einem geringen Anteil, aber Lily hatte es für uns ausgerechnet: So, wie ich aussah, wettete niemand auf mich. Was bedeutete, dass die Quote und damit das Preisgeld umso höher waren. Ein Sieg würde nach Lilys Schätzung mindestens eine Prämie von 10.000 Pfund bedeuten. 10.000 Pfund und damit zwei Tickets raus aus dem beschissenen Leben in den beschissenen Outskirts.
Ein Leben, ganz weit weg von Lazarus Wright.
»Hier drüben geht es rein.« Lily und ich hatten den Eingang zum Teilnehmerbereich gefunden – eine schmucklose Halle, die durch Glasfenster von den Tribünen abgetrennt wurde. Wir stellten uns in die Schlange hinter einen stämmigen Kerl mit Glatze, der uns die Sicht auf das Anmeldepult nahm.
Ich spähte durch die Fenster nach draußen. Wie viele Zuschauer es wohl waren? Der Heptadome in Brent, im Nordwesten Londons, war einer der kleineren, aber trotzdem mussten es dreitausend oder mehr sein. In jedem Fall hatte ich noch nie vor so einem großen Publikum gestanden. Die Amateurkämpfe fanden meistens in umgebauten Lagerhallen statt. Erst wenn man in die Wettkampfliga vorrückte, durfte man in einen Heptadome.
Meine Nervosität stieg. Lily hatte meine Hand nicht eine Sekunde losgelassen, und während die Minuten vergingen, merkte ich, wie meine Finger ganz leicht zu zittern begannen.
Bitte nicht, dachte ich und schloss die Augen. Ruhig, versuchte ich meine Hände und auch den Rest meines Körpers zu beschwören. Ich musste mich zusammenreißen, heute durfte ich mir auf keinen Fall diese Schwäche erlauben. Doch meine mahnenden Worte änderten nichts.
Das taten sie nie.
Lily musste das Zittern trotz ihres Klammergriffs gespürt haben, denn sie sah erst zu mir und dann hinab zu unseren verhakten Händen. »Alles okay?«, flüsterte sie, und obwohl ich nickte, wurde Lilys Blick besorgt. »Sicher? Hast du deine Blocker genommen?«
Ja, habe ich. Zwei Pillen, gleich heute Morgen. Aber sie helfen kaum noch gegen den Tremor, sie machen mich nur müde. Das wäre die ehrliche Antwort gewesen. Nur würde die jetzt keinem von uns etwas bringen. »Klar«, sagte ich stattdessen. »Es hört bestimmt gleich wieder auf.«
Lily setzte zu einer Erwiderung an, als plötzlich eine Frau hinter uns zu quietschen begann. Sie hatte stechend rote Haare, einen ebenso roten Mund und dunkel geschminkte Augen. Und das war nicht mal das Auffälligste an ihr. Nein, das Auffälligste waren die Tattoos, denn sie war vom Hals abwärts mit der Zahl Sieben übersät. Erst als sie unsere verwirrten Blicke bemerkte, krähte sie: »Heute sind Obere anwesend!«
Obere? Mein Blick schnellte wieder zu den Tribünen. Ich versuchte, die Oberen unter den gewöhnlichen Zuschauern ausfindig zu machen, was völlig sinnlos war, denn sie sahen genauso aus wie alle anderen Menschen.
Doch da deutete die Frau mit den vielen Tattoos im Dekolleté in Richtung einer Sondertribüne. Dort, abgetrennt vom restlichen Publikum, saß eine Gruppe Menschen, die offenbar wichtig waren, denn ein Kellner brachte ihnen gerade Getränke. Sie trugen schwarze Mäntel mit Stehkragen und blickten stoisch hinab auf die Kampfarenen. Hinter ihnen standen aufgereiht einige Leute in Uniformen.
»Und was machen die hier?«, hörte ich Lily fragen.
»Vor ein paar Tagen gab es Gerüchte.« Die Augen der Frau blitzten gierig auf. »Dass sie die besten Kämpfer mit sich nehmen.«
Lily starrte erst die Frau an – und dann mich. Ich konnte den Gedanken so deutlich in ihren Augen sehen, als hätte sie ihn laut ausgesprochen. Mit sich nehmen? In den Mirror?
»So ein Schwachsinn«, raunte ich und presste die Lippen aufeinander, als die Frau mir auf meinen Kommentar hin einen angesäuerten Blick zuwarf.
»Überhaupt nicht. Das ist in den letzten Monaten schon ein paarmal vorgekommen. Die Oberen sollen vereinzelt Kämpfer ausgesucht und ihnen angeboten haben, im Mirror zu leben.«
»Und hat man wieder von ihnen gehört?«, fragte Lily.
»Nein. Wieso auch? Da oben kriegen sie wahrscheinlich so viel Magie, wie sie wollen.« Die Frau hob das Kinn, und ich sah es ihr an: Sie würde alles tun, um heute vor den Oberen einen guten Eindruck zu hinterlassen. So wie wahrscheinlich jeder Schaukämpfer. Sie alle wollten um jeden Preis in die Welt über unserer. In die Welt, in der es unendlich viel Magie gab.
Seit der Mirror sichtbar geworden war, gab es immer mal wieder Besuche von den Oberen. Allerdings trafen sie sich nur mit Politikern und Geschäftsleuten, um die Magielieferungen zu vereinbaren. Ein Mädchen wie ich, das in den Outskirts lebte – in den Armenvierteln der Stadt –, hatte jedenfalls noch nie einen Oberen gesehen. Und sie interessierten mich auch nicht. Klar, der Mirror war faszinierend. So wie einen alles faszinierte, was man nur sehen, aber nicht berühren durfte. Eine Spiegelwelt, oben im Himmel. Wer würde das nicht unglaublich finden?
Doch die Oberen selbst könnten mich nicht weniger kümmern. Sie mochten unseren Regierungen gegenüber großzügig mit ihrer Magie sein, aber nur zu dem Zweck, dass sie sie innerhalb weniger Jahre von sich abhängig gemacht hatten. Und bei uns in den Outskirts und viel mehr noch, beim Großteil der Menschheit, kam davon überhaupt nichts an. Sie ließen zu, dass wir wegen ihrer Magie verarmten. Dass wir alles hergaben, für einen winzigen Tropfen, und dadurch langsam ausbluteten.
Und das sagte alles über die Oberen aus, was ich wissen musste.
Endlich war der Kerl mit der Glatze fertig. Er trat zur Seite, so dass das Anmeldepult direkt vor uns lag.
Ein hagerer Mann mit Brille schaute uns gelangweilt entgegen. Er trug ein Sakko, das schon bessere Zeiten gesehen hatte, und ein weißes Hemd. Auf dem Tisch vor ihm war ein Siebeneck aufgezeichnet – das Symbol des Sigil-Wettkampf-Verbundes.
»Name?«, fragte er mich.
Ich holte tief Luft. »Rayne Sandford.« Ich zog die Chipkarte aus meinem Cape hervor, auf der meine bisherigen Kampfergebnisse abgespeichert waren. Der Hagere nahm sie sichtlich desinteressiert entgegen, steckte sie in ein Lesegerät und wandte sich dann an Lily.
»Pflichtbegleitung?«
Lily hob ihr Kinn. »Liliana Bellerose.«
Er nickte, schaute wieder zu mir. Dass ich erst siebzehn war, verwunderte ihn nicht. Schließlich gab es viele minderjährige Teilnehmer. Studien sagten, dass jüngere Körper die Magie bereitwilliger aufnehmen und verarbeiten konnten. Das bedeutete: schnellere Angriffe, bessere Verteidigung, höhere Gewinnchancen.
Grund genug für Lazarus, statt seiner älteren Bandenmitglieder lieber mich loszuschicken – und Isaac natürlich, sein Lieblingswaisenkind.
»Und?«, fragte der Mann ungeduldig. »Was soll’s sein?«
»Armband.«
Auf meine prompte Antwort hin hob er nun doch die Brauen. Ein Offensiv-Sigil?, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Du? Wirklich?
Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass ich zu einem defensiven Medaillon greifen würde. Oder zumindest zu einem illusionären Ring. Zu allem, aber nicht zu einem offensiven Armband. Schließlich waren das die Sigils mit dem höchsten Risiko. »Die Dinger teilen kräftig aus«, hatte Isaac mir erklärt, nachdem Lazarus ihm befohlen hatte, mich zu meinem allerersten Schaukampf zu begleiten. »Doch sie bieten keinen Schutz. Ein Armband können nur die wenigsten steuern.«
Tja, ich konnte es. Und ich brauchte keinen Schutz.
Der hagere Mann beäugte mich noch ein paar Sekunden, dann öffnete er eine von drei Kisten und hielt sie mir entgegen. Darin lagen unzählige, sehr unterschiedlich aussehende Armbänder, wie ich sie schon Hunderte Male getragen hatte. Einige waren silbern, einige golden – einige waren sehr schlicht, andere etwas extravaganter geschmiedet. Sie glichen sich nur in dem siebeneckigen Plättchen, mit dem sie im Zentrum zusammengehalten wurden.
Dem Sigil.
Darauf war eine Gravur eingebrannt, die in wenigen Minuten mit Magie aufgefüllt werden würde. Ich musterte sie kritisch. Es war ein Kreis, der von zwei Linien geteilt wurde, eine vertikal, eine diagonal. Die Gravur war mir vertraut, jedes offensive Armband hatte sie. Jedoch entdeckte ich sofort die Unreinheiten in der Zeichnung und die etwas krakeligen Striche. Als der Mann mir das Armband ungeduldig hinhielt, wollte ich schon danach greifen, aber Lily schüttelte heftig den Kopf.
»Sie will ein gutes.«
»Mädchen, die Gravuren der Sigils sind alle gleich. Is ja nicht euer erster Kampf, oder? Die Dinger sind genormt.«
»Nein, sind sie nicht.« Lily streckte das Kinn hoch. »Und meine Freundin will ein gutes.«
Ich starrte Lily ungläubig an. Was sollte das? Doch da zog sie schon ein Säckchen aus ihrer Rocktasche hervor und legte es, in eine Faust eingeschlossen, auf die Theke.
Die Augen des Mannes verengten sich zu Schlitzen, und er fuhr sich nachdenklich über das Kinn. Dabei kam ein Tattoo zum Vorschein. An der Unterseite seines rechten Handgelenks sah ich ein stilisiertes, offenes Auge hervorblitzen. Die Pupille war statt eines Kreises wie ein Siebeneck geformt.
Noch immer wanderte der Blick des Mannes von Lily zum Säckchen und wieder zurück. Als er nicht antwortete, stützte sie sich auf seiner Theke ab und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen von oben an. »Hören Sie: Ich weiß, dass Sie hier bessere Sigils haben. Da drin sind 300 Pfund. Wir wollen ein gutes.«
300 Pfund! Das war mehr, als Lazarus uns in einem Vierteljahr bezahlte. Wie konnte Lily so viel Geld riskieren?
Der Mann rieb noch einmal zögernd über das Tattoo an seinem Handgelenk, bevor er sich hinter der Theke hinabbeugte und mit einem schmalen Kästchen wieder auftauchte. Mehrere Armbänder, Ringe und Medaillons lagen darin, eines schöner als das andere. Ich biss mir auf die Unterlippe, um mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Zweihundertsieben Schaukämpfe hatte ich bereits bestritten. Zweihundertsieben! Und ich hatte wirklich geglaubt, die Sigils wären alle gleich.
Der Mann hielt das Kästchen fest umklammert. »Die wurden sehr mächtigen Sigils aus’m Mirror nachempfunden. Sauteure Repliken, versteht ihr? Bessere kriegt ihr nirgendwo.«
Mein Blick wanderte von einem Sigil zum anderen. Da war ein Ring mit einer schwarzen Kugel, die von zwei Händen gehalten wurde. Ein in sich verschlungenes Band mit einem Schlangenkopf auf der Spitze. Und daneben: ein kupfergoldenes Armband, in dessen Mitte das Sigil-Plättchen gehalten wurde, drum herum ein stilisierter Drache, der die Flügel nach links und rechts ausstreckte.
Ein Kribbeln fuhr durch meinen Körper, das ich nicht erklären konnte, und ich öffnete den Mund, ohne weiter darüber nachzudenken.
»Das da.«
Der Mann gab einen brummenden Laut von sich. »Ihr habt Glück, dass ich heute ’nen guten Tag hab«, murmelte er. »Aber ich seh das Sigil nach deinem Kampf sofort wieder hier auf’m Tresen, Schätzchen. Verstanden?«
Ich verkniff mir einen Kommentar zu seinem Schätzchen und griff nach dem Sigil. In der Sekunde, in der meine Finger das Armband berührten, wusste ich, dass er mir das beste Sigil gegeben hatte, das ich je in der Hand gehalten hatte. Der Drache sah faszinierend aus, mit den weit gespreizten Flügeln und dem Sigil-Plättchen, das genau dort lag, wo sein Herz schlagen würde. Die Gravur darauf war makellos – keine Unreinheiten. Die Linien waren perfekt ausgeführt. So etwas hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen.
»Gefäß und Sigil bilden immer eine Einheit«, hatte Lazarus mir mal erklärt – in einem seiner wenigen freundlichen Momente. Wir hatten nach meinem ersten gewonnenen Amateurkampf auf dem Dach des Kraftwerks gestanden und nach oben zu den Wolkenkratzern der Outskirts geschaut. »Im Grunde ist es zwar egal, wo sie das Magieplättchen reinsetzen. Egal, ob Ring, Medaillon oder Armband. Egal, welche Legierung – ob Gold, Silber oder sonst was. Aber je besser beides aufeinander abgestimmt ist, je besser das Gefäß den Charakter des Sigils spiegelt, desto besser fließt die Magie später durch deinen Körper.«
Lily überließ dem Mann von der Anmeldung das Geldsäckchen, und nachdem er die Scheine verstohlen unter dem Tresen abgezählt hatte, folgte ich ihr auf die Seite.
»Woher wusstest du das?«, raunte ich ihr zu.
Lily grinste. »Ich hab Isaac darüber reden hören, dass es angeblich irgendeine Untergrundorganisation in den Heptadomes gibt, die bessere Sigils an ihre eigenen Kämpfer verteilt. Er hat gesagt, sie nennen sich ›Das Auge‹, und dass man manche von denen bestechen kann, wenn das Geld stimmt. Es war ein Schuss ins Blaue.«
»Und das fliegt nicht auf?«
»Quatsch. Die Armbänder sehen eh alle unterschiedlich aus. Und was die Gravur angeht … Du hast ihn doch gehört: Die Dinger sind genormt.«
Mein Daumen strich ehrfürchtig über das Drachen-Sigil. Es passte in jeder Hinsicht perfekt zu mir. »Aber …«, setzte ich an. »… das Geld. Was, wenn ich verliere?«
»Das wirst du nicht.« In Lilys Stimme lag kein Zweifel. »Und von der Siegerprämie kannst du es mir locker zurückzahlen.«
Das stimmte. 300 Pfund für unser neues Leben.
Es war ein kleiner Preis.
Den nächsten Teil der Anmeldung hasste ich am meisten.
Wobei das nicht ganz stimmte. Ein Teil von mir vibrierte förmlich vor freudiger Erwartung, weil das Gefühl, wie Magie durch den eigenen Blutkreislauf pulsierte, mit nichts zu vergleichen war.
Fernab der Heptagon-Arenen war ich Rayne Sandford, das Mädchen aus den Outskirts, die mit den Zitterhänden. Doch dort, in der siebeneckigen Arena, war ich eine Sigil-Kämpferin. Und ich war verdammt gut in dem, was ich tat.
Wir liefen vom Anmeldepult hinüber zu den Schaltern, wo die Magie ausgegeben wurde. Jetzt, da ich offiziell am Schaukampf teilnahm, gab es ein genaues Prozedere. Eine Frau mit kurzrasierten Haaren winkte mich ungeduldig zu sich. Ich schob den Stoff meines Capes zurück und hielt ihr meinen rechten Arm entgegen, woraufhin eine ihrer fein getrimmten Augenbrauen nach oben wanderte. Zuerst dachte ich, es läge an den blauen Flecken, die auf meiner nackten Haut zu sehen waren und die ich mir bei den letzten Kämpfen eingefangen hatte, doch nein: Sie fixierte das Drachen-Sigil. Um ihr zu beweisen, dass alles seine Richtigkeit hatte, schob ich mir das Armband schnell selbst übers Handgelenk. Das kühle Metall glitt über meine Haut und ließ erneut ein Kribbeln durch meinen Körper strömen. Eine Replik eines sehr mächtigen Sigils, hatte der Mann gesagt …
Das musste ein gutes Zeichen sein.
»Du willigst ein – aus freien Stücken und in Besitz deiner geistigen Kräfte –, ein Grain Magie injiziert zu bekommen?«, fragte die Frau, und hinter ihr sah ich, wie eine zweite Frau darauf wartete, meine Zustimmung mit einem Tablet aufzuzeichnen: der obligatorische Haftungsausschluss, falls mir die Magie zu sehr zusetzte.
»Ja.«
»Und du willigst ein, als Begleitung bei der Teilnehmerin zu bleiben, bis die Magie verbraucht ist?«
Lily nickte, schaute zur Kamera. »Ja.«
Die Frau öffnete ein Kästchen, das neben ihr stand. Sie drückte ihren Daumen auf einen Fingerprintscanner, schon klappte der Deckel nach oben. Ein kühl leuchtender Schein strahlte uns entgegen. Winterblau hieß es offiziell. Wegen des weißperligen Schimmers und der sanften Kühle, die die Magie stets verbreitete.
Wenn ich nicht wüsste, was das Zeug bei einem Menschen anrichten konnte, würde ich es als wunderschön bezeichnen.
Es war immer dieselbe Menge, die sie einem gaben. Nicht mehr als ein Tropfen pro Person – ein Grain. 64,8 Milligramm, die offiziell 350 Pfund kosteten und in einem siebeneckigen Glaskern aufbewahrt wurden.
Mein Blick fixierte das Grain, als die Frau es aus dem Kästchen herauszog. Ich konnte nicht anders.
Das Verlangen nach Magie hatte viele Facetten. Bei einigen Menschen, wie Lazarus, war es ein tiefer, bodenloser Ozean. Bei anderen ein beständiges Flüstern in den Ohren. Bei mir jedoch, da war dieses Verlangen wie eine Schlange, die sich im Bewusstsein eng zusammenzog und wartete. Normalerweise bemerkte ich nicht mal, dass sie existierte. Doch nun löste die Schlange sich aus ihrer Starre und zischte vor Aufregung, während ich meinen Arm langsam nach vorn streckte. Sie wusste genau, was passieren würde. Und sie war lange genug geduldig gewesen.
Ohne weiteres Zögern presste die Frau das Grain auf mein Sigil. Ich spürte die Nadel, die sich daraufhin aus dem Armband nach unten drückte, verzog aber keine Miene. Dann floss das blau schimmernde Grain in mich hinein, und der Austausch begann. Das Blut mischte sich mit der Magie, bis mein Körper vollständig mit dem Sigil verbunden war.
Ich keuchte und war dankbar, als Lily mich an sich zog. Es gab nur wenige Momente im Leben, in denen man sich seines eigenen Körpers so sehr bewusst wurde. Die Kühle der Magie wandelte sich in eine wahre Hitzewelle, die sich Zelle für Zelle ausbreitete. Ich spürte jeden Hautpartikel, jedes Härchen, jeden Blutstropfen, der durch meine Adern floss. Als würde mein Körper von einem Fieber befallen werden, das jeden Millimeter in ein unsichtbares Feuer tauchte.
Es dauerte nicht lange, bis die Sensation verblasste. Ich starrte auf den Glaskern. Die Gravur des Sigils war nun vollständig mit winterblauer Magie umgeben. Sie leuchtete hell, feine Linien, deren Bedeutung mich nie wirklich interessiert hatte. Mich interessierte lediglich, dass die Magie das Sigil mit dem ausstattete, was ich brauchte, um den heutigen Kampf zu gewinnen.
Über die Treppen ging es nach unten in Richtung des Aufenthaltsbereiches, in dem man wartete, bis der Duellpartner ausgelost worden war. Wir ließen uns auf die Holzbänke sinken, und Lily zog mir behutsam meinen Rucksack von den Schultern.
»Alles in Ordnung?«
Mehr als das, flüsterte eine Stimme in mir. Die Magie hatte das Zittern in meinen Händen ruhiger werden lassen, und ich spürte, wie sich alles in mir darauf vorbereitete, die Macht zu nutzen, die nun in meinen Gliedern lag.
»Ja.« Ich lächelte ihr zu und lehnte mich gegen sie, während die Minuten verstrichen. Schließlich ertönte das Zeichen – ein lauter Gong, der die neuen Kampfrunden ankündigte. Sieben Kämpfe, je zwei Teilnehmer. Angespannt blickte ich nach oben zu den Anzeigetafeln, wo meine Startnummer aufleuchtete. Mein Kampf würde im vierten Heptagon stattfinden, und mein Gegner hieß Dorian Whitlock.
So ein Mist! Der Name sagte mir nichts, was bedeutete, dass der Typ schon länger in der Profiliga unterwegs sein musste. Ich kannte fast alle Amateure, immerhin war ich bereits nahezu überall in London angetreten. Lazarus ließ mich, Isaac und einige andere seiner Leute von Stadtteil zu Stadtteil wechseln, denn man durfte bei jedem Veranstalter nur eine gewisse Anzahl an Kämpfen pro Jahr absolvieren. Niemand wollte Ärger kriegen, weil ein Teilnehmer wegen zu hohen Magiedosen umkippte. Dass sich auf meiner Chipkarte Woche um Woche Kämpfe von verschiedenen Veranstaltern aneinanderreihten und mein Körper übersät mit blauen Flecken war, kümmerte sie nicht.
Ein Profi also. Na gut. Die Chance, dass ich auf einen zweiten Neuling stoßen würde, war auch gering gewesen. Jetzt musste ich einfach hoffen, dass Dorian Whitlock eine Schwachstelle hatte … und dass ich diese Schwachstelle fand, bevor es zu spät war.
In wenigen Minuten würde es losgehen, also setzte ich einen Fuß nach vorn, wankte nur ganz leicht. Dann trat ich an Lilys Seite in den Kampfbereich.
Die sieben Heptagons waren von leeren Flächen umgeben, die ausschließlich von den Schiedsrichtern und Begleitpersonen betreten werden durften. Wir liefen auf mein Heptagon zu, und ich stellte mit Schrecken fest, dass es genau unterhalb der Tribüne lag, in der die Oberen saßen. Keiner von ihnen sah zu mir, aber sobald der Kampf losging, würden sie es tun.
Eine neue Nervosität stieg in mir auf. Mir war es egal, was die Oberen von mir hielten. Mein Ziel war es nur, heute möglichst viel Geld abzustauben. Trotzdem spannte sich mein gesamter Körper an bei dem Wissen, dass diejenigen, denen die Magie gehörte und die sie tagtäglich benutzten, dabei zusehen würden, wie ich damit umging. Sie mussten das, was wir hier veranstalteten, doch völlig lächerlich finden.
Egal. Ich durfte mich jetzt nicht verunsichern lassen, dafür ging es heute um zu viel. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und machte einen Schritt nach vorn in die Scheinwerfer, die von der Decke des Heptadomes herabschienen.
»Rayne?«
Es war Lilys sanfte Stimme, die mich stoppen ließ, und ich wusste, was sie sagen würde – weil wir es jedes Mal vor einem Kampf sagten.
»Wir sind Untere.«
Ich umarmte Lily und nahm ihren Blütenduft tief in mich auf. »Und stolz darauf«, erklärte ich, stieg in die Arena und ließ Rayne Sandford hinter mir.
Mein Gegner war noch nicht in der Arena. Doch kaum dass ich über die Linie gelaufen war, kam der Schiedsrichter auf mich zu und sah mich mit ernster Miene an. Er war ein etwas rundlicher Mann mit Glatze, und auf seiner Nase saß eine klobige Brille, mit der er während des Kampfes jederzeit unsere Magiesignaturen würde nachverfolgen können. Wie mit einer Wärmebildkamera.
Nachdem ich ihm zur Bestätigung mein Sigil entgegengestreckt hatte, klärte er mich über die Sicherheitsbestimmungen auf, die ich in- und auswendig kannte. Einen Magiestoß abzubekommen, fühlte sich ein bisschen an, als würde man mit kochend heißem Wasser überschüttet, das zusätzlich mit kleinen Scherben versetzt war. Die Sigils, die wir für die Schaukämpfe verwendeten, waren angeblich etwas abgeschwächt, aber die Schmerzen waren definitiv echt.
Der Schiedsrichter wartete, bis ich nickte und erklärte, alles verstanden zu haben, dann zog er sich wieder zurück.
Ich fixierte die Außenlinie des Heptagons. Die Arena wirkte so klein. Mir kam es vor, als wäre die Fläche bei den Amateurkämpfen nahezu doppelt so groß gewesen. Hier würde ich die Magie meines Sigils viel präziser als sonst steuern müssen.
Erneut sah ich zur Tribüne der Oberen. An den Wänden darunter wurden Bilder aus dem Heptadome übertragen. Eine Kamera schwenkte gerade zur Tribüne, und nun sah ich die Oberen sogar aus der Nähe.
Auf dem rechten der drei Sitze saß ein blasses Mädchen mit blauen Haaren, die ihr in eleganten Locken bis zu den Schultern fielen. Sie trug einen ebenfalls blauen Mantel und schaute so verdrossen drein, als wäre sie überall lieber als hier.
Auf dem linken Platz: ein Junge mit schwarzen kurzen Haaren und einem dunklen Teint. Er trug einen lilafarbenen Kurzmantel mit einem sehr feinen Brokatmuster darauf und redete auf einen zweiten Jungen ein, der auf dem mittleren Platz saß. Silbrig blonde Haare umrahmten feine, fast aristokratische Gesichtszüge. Er schaute ernst drein, und sein Blick wanderte umher, wobei er seinen Kopf keinen Millimeter bewegte. Anders als die Blauhaarige wirkte er nicht gelangweilt oder genervt, sondern eher … müde.
Kellner wuselten aufgeregt um die drei herum, und hinter den Sitzen standen einige Männer und Frauen in dunkelgrauer Uniform. Das waren Wachen oder … Soldaten. Jedenfalls waren ihre Köpfe kahl rasiert, und sie hatten ein auffälliges Siebeneck-Tattoo auf der Stirn.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf das Hitzegefühl, das von dem kupfergoldenen Band an meinem Handgelenk ausging. Alles würde gut werden. Ich kannte alle Gesten, die man brauchte, um die Magie zu aktivieren. Mein gesamter Körper war nun eine Verlängerung des Sigils. Seine Magie würde jede noch so winzige Handbewegung erkennen und darauf reagieren.
In meinen Fingern war jetzt nichts mehr vom Zittern zu spüren.
Ich war bereit.
In diesem Moment betrat mein Gegner das Heptagon. Es war ein junger Mann, vielleicht zwanzig. Er war schlank aber durchtrainiert, mit schwarzen Haaren und einem schiefen Grinsen auf den Lippen.
Dorian Whitlock, erinnerte ich mich an seinen Namen. Er hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit diesem koreanischen Sänger, den Lily so mochte, jedenfalls waren auch seine Haare in der Mitte zu einer Art Irokesen hochgestylt und eins seiner Ohren war mit mehreren Piercings behangen. Dazu trug er lockere Kleidung, eine weite Hose und ein schlichtes Shirt. Kurz beäugte er mich, und sein Blick blieb dabei an einem Loch in meinem linken Kniestrumpf hängen. Sein Grinsen wurde breiter. Wahrscheinlich dachte er, was jeder in den Zuschauerrängen oder dort oben auf der Luxustribüne dachte: Die Bohnenstange in ihrem Röckchen wird nicht lange durchhalten.
Gut so. Sollten sie doch alle gegen mich wetten. Das ließ meine Siegerprämie nur größer werden.
Dorian streckte dem Schiedsrichter zur Identifikation sein Sigil entgegen. Er hatte ein Amulett gewählt – ein defensives Sigil. Das war schlecht, denn es bedeutete, der Kampf würde länger dauern. Amulettträger liebten es, sich zu verschanzen und den Kampf auszusitzen, während ihre Gegner sich mit offensiven Gesten verausgabten. Aber darauf würde ich nicht reinfallen.
Mein Blick wanderte nach links. Lily hatte sich mit unseren beiden Rucksäcken an die Seitenlinie gestellt und meinen Gegner ebenfalls in Augenschein genommen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum, wie immer, wenn sie sich Sorgen machte.
Ich schaute zu den Projektionen, die auf den siebeneckigen Pfeiler in der Mitte des Domes gestrahlt wurden. Meistens flackerte Werbung darüber, doch jetzt leuchteten die Kampfpunkte der neuen Duellanten auf. Ich hatte gerade erst die Amateurliga verlassen, so dass hinter meinem Namen die Einstiegspunktzahl aufleuchtete: Genau 7.000 Punkte. Bei Dorian waren es 14.530.
Doppelt so viele.
Scheiße.
Der Schiedsrichter schaute auf seine Armbanduhr, hob eine Hand. In der gesamten Halle verebbte der Lärm. Auch in den anderen Arenen bereiteten sich die Kämpfer vor.
Die Spotlights senkten sich auf uns herab. Ich wagte nicht zu atmen. Was, wenn Dorian hören konnte, wie mein Herz nervös gegen meine Rippen pochte? Für mich wirkte es ohrenbetäubend laut, so laut, dass selbst die Oberen auf ihren Tribünen es sicherlich wahrnehmen konnten.
Noch einmal fühlte ich in mich hinein. Die Magie des Drachen-Sigils waberte durch meinen Körper, meine Finger brannten darauf, die richtigen Gesten auszuführen. Fast meinte ich, die Linien und Kreise spüren zu können, die dort in das Plättchen eingraviert worden waren. Es war um so vieles stärker als alle Sigils, die ich bislang getragen hatte.
Ich würde das hier schaffen. Schließlich hatte ich Isaac Moselby erst letzte Woche mit nur drei Magiegesten ausgeknockt. Und der Angeber wurde von allen für den besten Amateurkämpfer der gesamten Outskirts gehalten.
Ein markerschütternder Gong ertönte. Der Laut vibrierte durch den Heptadome. Dorian Whitlock verbeugte sich langsam, noch immer lächelnd, und ich tat es ihm gleich. Dabei zählte ich herunter. Sieben Sekunden zwischen einem Gong und dem nächsten. Dann war es so weit. Sieben Minuten würde der Kampf höchstens dauern – vorausgesetzt, jemand von uns konnte den anderen besiegen. Sonst käme es zu einem Stechen, und das musste ich unbedingt vermeiden. Meine Hände konnten Magie nicht lange genug präzise steuern. Selbst wenn sie jetzt ruhig waren, konnte das Zittern jederzeit wieder auftreten. Ich musste Dorian Whitlock also so schnell wie möglich ausschalten. Deshalb kam ein defensives Artefakt für mich niemals in Frage. Mich zu verschanzen brachte nichts. Ich überwältigte meine Gegner entweder innerhalb der ersten Runde – oder gar nicht.
Das Flutlicht über unserem Heptagon wurde gedimmt, Dunkelheit legte sich auf die Tribünen. Ich lehnte mich nach vorn. Meine Finger hielt ich frei nach unten gerichtet, eine neutrale Pose. Dorian fixierte mich, auch er hatte die Hände an seinen Seiten positioniert. Ein siegessicheres Lächeln lag auf seinen Lippen.
Dann schlug der Gong ein zweites Mal.
Meine rechte Hand wischte nach vorn. Es war die einfachste aller Gesten und die, die am wenigsten Magie verbrauchte: ein Magiestoß. Augenblicklich löste sich winterblauer Nebel aus meinen Fingern. Er sauste pfeilschnell auf meinen Gegner zu, schneller, als ich es von anderen Sigils gewohnt war. Doch Dorian hielt rechtzeitig beide Hände vor sich. Ein Magieschild tauchte vor ihm auf – ein flackernder Halbkreis –, und mein Angriff prallte daran ab.
So weit, so vorhersehbar.
Ich versuchte zwei weitere Stöße. Oft genug hatte es funktioniert, dass ich sofort einen Treffer landen konnte. Gerade, wenn mein Gegner nicht sonderlich wachsam war. Und dann, sobald er die Kontrolle verlor, legte ich mit weiteren Angriffen nach, in der Hoffnung, dass jegliche Reaktion zu spät kam.
Aber Dorian war wachsam. Er wich geschickt aus, rief einmal, als es knapp wurde, einen weiteren Schild herbei, und meine Magie zerbröckelte daran.
So ein Mist! Wenn jemand wie Dorian kämpfte, gab es gegen die Magieschilde eines defensiven Artefakts so schnell kein Durchkommen. Ich musste ihn mit einem Angriff überraschen.
Von der Seitenlinie hörte ich die Anfeuerungsrufe der Zuschauer. Lilys Stimme war am lautesten, doch ich zwang mich, sämtliche Geräusche auszublenden.
Dorian machte langsame Seitwärtsschritte an der Heptagonbegrenzung entlang. Ich tat es ihm gleich, so dass wir den Abstand zwischen uns immer aufrechterhielten.
Zeit, ihn aus der Reserve zu locken.
Ich hob meine Hand, an der das Sigil noch immer intensiv blau glühte. Solange es das tat, gehorchte mir die Magie aufs Wort. Erst wenn das Blau zu flackern begann, musste ich mir Sorgen machen.
Meine Hand bewegte sich in einer ruckartigen Geste nach unten, und ich stürmte vorwärts. Es fühlte sich an, als würde mein Körper plötzlich nach vorn katapultiert werden, ein Schub ging durch mich hindurch. Für wenige Sekunden war ich viel schneller, als es möglich sein sollte.
Gleichzeitig machte ich eine zweite Geste: Ich fing an zu schnipsen und deutete dabei in mehrere Richtungen. Winzige Punkte leuchteten in der Luft auf – Magiemienen. Meine persönliche Lieblingsgeste. Die Mienen kosteten mich zwar eine Menge blauer Flüssigkeit, aber sie waren auch verdammt effektiv. Es waren viele, man konnte sie kaum sehen, und wenn sie einen erwischten, kam jeder Schild zu spät.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Dorian in eine tappte und sie hochging. Ich hörte ihn vor Schmerzen keuchen.
Ein Magiestoß sauste auf mich zu, gefolgt von zwei weiteren. Dorian hatte sie so geschickt hintereinander auf mich losgelassen, dass ich ihnen nicht ausweichen konnte. Zumindest nicht, wenn ich bloß weglief.
Ich spreizte meine Finger auseinander, so dass eine kreisrunde blaue Fläche auf dem Boden entstand, und sprang gezielt auf die Plattform.
So katapultierte ich mich viele Meter nach oben. In der Luft schwebend wollte ich gerade einen Magiestoß hinabsenden, doch da wurde das gesamte Heptagon von jetzt auf gleich mit blauem Nebel geflutet.
Verdammt, ich sah nichts mehr!
Medaillonträger konnten die defensiven Gesten viel stärker anwenden. Hätte ich den Magienebel beschworen, hätte er keine halb so große Fläche ausgefüllt. Mit Dorians Sigil allerdings war der Nebel so undurchdringlich, dass es mir fast vollständig die Sicht nahm.
Auch das Publikum würde jetzt nichts mehr vom Kampf mitbekommen. Der Einzige, der uns sah – oder zumindest unsere Magiesignaturen –, war der Schiedsrichter, dank seiner Hightech-Brille.
Ich feuerte drei Magiestöße ins Nichts ab, doch ich hörte keinen Ton – ich hatte Dorian verfehlt. Da nahm ich eine Bewegung links von mir wahr. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich musste ihn einfach erwischen! Kaum dass ich eine Silhouette ausmachte, zog ich mit der Hand eine gerade Linie von oben nach unten. Diese Geste war nicht leicht auszuführen. Bei einer Magiestase musste die Linie das Ziel ganz genau treffen, sonst verfehlte sie die Wirkung, und man verbrauchte nur unnötig Magie. Ich schaffte es auf Anhieb, woraufhin Dorian völlig einfror. Es würde nur zwei Sekunden andauern, aber das genügte. Schon drückte ich meine Fäuste zusammen, zog sie voneinander weg, als würde ich eine Schwertscheide öffnen, und machte eine wegwischende Bewegung nach vorn. Blaue Magieklingen erschienen um mich herum, sausten auf meinen Gegner zu und … zersplitterten.
Erst jetzt erkannte ich, dass Dorian seinen gesamten Körper mit einer schützenden Schicht umhüllt hatte. Kein normaler Schild, eher ein Panzer. Eine starke Geste, die viel Magie kostete. Doch jetzt hatte sie ihn gerettet.
Ich hatte eindeutig unterschätzt, wie viel besser die Sigil-Kämpfer hier im Heptadome sein würden. Erschrocken bemerkte ich, wie sich das winterblaue Leuchten meines Sigils dimmte. Ich hatte kaum noch Magie übrig. Das Grain war schon fast aufgebraucht! Wenn das passierte, war es vorbei. Wer zuerst keine Magie mehr besaß, ging als Verlierer aus dem Kampf.
Dorians Sigil konnte allerdings nicht viel besser dran sein – der Nebel kostete fast ein halbes Grain –, und auch er zögerte, bis er mich erneut angriff. Wir liefen umeinander herum. Mein Atem klang laut in meinen Ohren. Ich musste Dorian Whitlock besiegen. 10.000 Pfund!
Tu es für Lily.
Tu es, damit du Lazarus Wright nie wieder sehen musst.
Da zog mich auf einmal etwas nach unten, mit einer solchen Wucht, dass auch die Anti-Schwerkraft-Geste, die ich angewendet hatte, mich nicht retten konnte. Etwas zerrte an mir, und ich krachte bäuchlings auf den Boden, wo ich schwer atmend liegen blieb.
Eine Magieklammer! Sie hatte sich um meine Arme und Beine gelegt, dünne, blau leuchtende Seile, die mich festbanden. Und weil die Klammer eine defensive Geste war, wurde sie durch Dorians Sigil um ein Vielfaches verstärkt.
Er tauchte vor mir auf. Seine schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab, und auf seiner leicht gebräunten Haut waren rötliche Flecken zu sehen, wo meine Magie ihn getroffen hatte. Trotzdem lächelte er zufrieden zu mir herab. »Gut gekämpft, Rayne Sandford«, bekundete er, und das, obwohl der Kampf noch gar nicht abgezählt war. Diese Überheblichkeit machte mich so wütend, dass ich meine Hände zu Fäusten ballte. Es gab nur eine Chance. Also schlug ich verzweifelt auf den Boden, und eine Magiewelle löste sich von meinem Sigil kreisrund in alle Richtungen. Eine starke Geste – mit sehr hohen Kosten. Es war die letzte Geste, die ich würde ausführen können, denn die Magie in meinem Sigil flackerte bereits und würde bald versiegen. Sie musste funktionieren!
Doch die Klammer, die mich festhielt, war stärker. Die Magiewelle verpuffte im Nichts.
»Tut mir wirklich leid.« Dorian legte den Kopf schief und kniete sich vor mich.
Mir auch, hätte ich beinahe gesagt, während mir Tränen in die Augen stiegen. Weit entfernt glaubte ich, Lily schreien zu hören. Der Schiedsrichter wusste dank seiner Brille sicher bereits, was hier vor sich ging. Spätestens jetzt würde er anfangen, die sieben Sekunden abzuzählen.
Nach sieben Sekunden am Boden hätte ich verloren.
Meine Hände begannen zu zittern, und zwar so stark, dass das Kribbeln auf meinen Fingern zu einem feurigen Brennen wurde. Die letzte Geste musste mir stark zugesetzt haben, denn Hitze strömte durch meine Blutbahn und von meinem rechten Arm weiter hinein in meinen gesamten Körper. Ich würde verlieren. Diesen Kampf, Lilys 300 Pfund und jede Chance, den Karren, der unser Leben symbolisierte, noch einmal aus dem Dreck zu ziehen. Wenn ich heute verlor, würde Lazarus in ein paar Tagen herausfinden, dass ich nun an der Profiliga teilnehmen konnte. Und dann würde er alles dafür tun, dass wir niemals aus der Stadt herauskämen.
Wir hatten nur diese eine Chance.
Steh auf und kämpf!
Der Gedanke festigte sich in meinem Kopf. Ich spannte meinen gesamten Körper an, bis alles an mir zitterte und bebte. Ein stechender Schmerz fuhr in meinen Arm, und plötzlich passierte etwas, was ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Der letzte winterblaue Tropfen, der in meinem Sigil lag, wandelte sich in etwas Düsteres. Er färbte sich dunkel, bis er vollkommen schwarz war.
Der Rest der Magie, der sich in meinem Körper befand, sickerte in dunklen Schwaden aus meiner Haut heraus. Er ließ die Magieklammer um mich herum einfach wie Sand zerbröseln. Auch der Nebel löste sich langsam auf – es war, als würde meine Magie jede andere Magie in der Nähe vernichten.
»Was zur …«, keuchte Dorian. Panik stand in seinen Augen, er machte eine hastige Schildgeste, doch die schwarzen Magiefäden frästen sich geradewegs hindurch, als wäre der Schild gar nicht da gewesen. Mit voller Wucht drückte die dunkle Magie Dorian zu Boden. Sie schwappte über seinen Körper hinweg, dann verblasste sie. Er blieb reglos liegen, und für eine furchtbare Sekunde dachte ich, ihn getötet zu haben. Ich kroch auf ihn zu und griff nach seiner Hand. Schweiß benetzte Dorians Gesicht, sein Puls war schwach, aber er lebte. Ich ließ von ihm ab, und als seine Hand auf den Boden zurückfiel, entdeckte ich ein Tattoo, das unter seinem Ärmel hervorblitzte. Es war dasselbe Tattoo wie bei dem Mann an der Anmeldung: ein Auge mit einer Pupille in Form eines Siebenecks.
Diese Untergrundorganisation, von der Lily gesprochen hatte … Gehörte er etwa dazu?
Da klarte die Luft um uns herum auf, der Magienebel verschwand. Benommen sah ich zu den Monitoren an der Mittelsäule. Sieben Sekunden wurden heruntergezählt. Ich verfolgte die Zahlen, während ich meine Hände dicht an mich presste. Hatte irgendjemand etwas mitbekommen? Nein, der Schiedsrichter, der neben mir auftauchte, schaute nur zu Dorian hinab. Er prüfte, ob er sich noch mal aufraffen würde.
Er tat es nicht.
Als die sieben Sekunden vergangen waren, passierte alles gleichzeitig: der Applaus, der ringsum aufbrandete – erst zögernd, aber dann umso frenetischer, weil offenbar niemand so recht glauben konnte, dass die Bohnenstange tatsächlich gewonnen hatte. Der Schiedsrichter, der meine vor sich hin zitternde Hand in die Höhe streckte und mich zur Siegerin erklärte. Lily, die alle Regeln brach und ins Heptagon gerannt kam, um mich an sich zu ziehen. Sie sprang hoch und runter und strahlte dabei über beide Ohren. »Du hast es geschafft!«, schrie sie immer wieder und küsste meine Wange. Ich ließ mich von ihr in eine lange Umarmung ziehen, während Ärzte in den Ring liefen, um sich um Dorian Whitlock zu kümmern.
Mein Blick glitt nach oben zur Tribüne. Dorthin, wo die Oberen saßen. Sie alle klatschten, nur der Junge mit den silbrig blonden Haaren saß stoisch auf seinem Platz. Der einzige Unterschied war, dass er nun nicht mehr müde wirkte. Im Gegenteil. Während alle anderen um ihn herum miteinander redeten, starrte er mich an. So, als könnte er direkt in meinen Kopf hineinsehen, um mir alle Geheimnisse zu entlocken.
Und sein Blick … analysierend, durchdringend, neugierig … war eine ganz andere Art von Magieklammer, die mich an Ort und Stelle gefangen hielt.
Die nächsten vierundzwanzig Stunden würden die schwersten meines Lebens werden. Und sie fingen, wie jeden Morgen, mit demselben elendigen Spiel an.
Lazarus saß an seinem Schreibtisch und verteilte Aufgaben. Erst an die Mitglieder seiner Bande, die ihn schon seit Jahren begleiteten, dann an die Neuzugänge und schließlich, ganz am Ende, auch an uns: die letzten vier Jugendlichen, die vom Waisenhaus übrig geblieben waren. Er ließ uns in einer Reihe vor sich antreten, nur, um uns dann für mindestens zehn Minuten völlig zu ignorieren. In aller Seelenruhe hielt er sein Comm in der Hand – eine dünne Display-Fläche, mit der er sein gesamtes Leben organisierte –, und tat so, als müsse er erst superwichtige Details prüfen, bevor er sich mit uns befassen konnte.
Ich hatte keine Ahnung, warum er dieses Psychoding jeden verdammten Tag durchzog. Glaubte er, es wäre irgendwie originell? Sollte es eine Machtdemonstration sein? Oder wollte er einfach nur schauen, wann ich endgültig platzte und versuchte, ihm über seinen Schreibtisch hinweg eine zu verpassen? So oder so … Heute würde das letzte Mal sein, dass ich Lazarus Wright auf diese Weise gegenüberstehen musste. Das schwor ich mir.
Stumm schaute ich zur Seite. Lily stand in der Reihe direkt neben mir, ihr Gesichtsausdruck neutral, aber ich kannte sie zu gut, als dass ich ihre Nervosität nicht gespürt hätte. Gestern waren wir förmlich in unser Zimmer im Waisenhaus zurückgeschwebt, so überwältigend war das Triumphgefühl gewesen. Nicht nur, weil ich einen Kampf in einem Heptadome gewonnen hatte, sondern auch, weil niemand bemerkt hatte, dass Lily und ich in Brent gewesen waren. Niemand wusste, dass ich in die Profiliga aufgestiegen war, niemand wusste von der Siegerprämie – und das musste bis zum morgigen Tag unbedingt so bleiben.
Denn so lange würde es dauern, bevor der Sigil-Verbund das Geld auf meiner Chipkarte freischaltete und wir Teil zwei unseres Plans in die Tat umsetzen konnten. In dieser Zeit durfte uns kein einziger Fehler unterlaufen, denn sonst wäre alles zwecklos gewesen. Und ich kannte Lazarus. Selbst beim kleinsten Verdacht, dass etwas nicht stimmte, würde er uns nicht mehr aus den Augen lassen.
Das war auch der Grund, warum ich mich zwang, heute extra still zu stehen, und das, obwohl meine Arme und Beine echt weh taten. Das war nach einem Sigil-Kampf nichts Ungewöhnliches, doch dieses Mal war es irgendwie heftiger als sonst.
Mit einem Schaudern dachte ich zurück an diese schwarze Magie, die gestern regelrecht aus mir herausgeflossen war. Die dunklen Schwaden, das Kältegefühl – ich hatte keine Ahnung, was es damit auf sich gehabt hatte.
Wobei das nicht ganz stimmte. In den Outskirts gab es seit einiger Zeit Gerüchte über eine Seuche, die sich ausbreitete. Eine Magiekrankheit. Offiziell wurde die Existenz einer solchen Krankheit dementiert, aber trotzdem starben Menschen daran. Inzwischen sah man an den Straßenecken immer häufiger in sich versunkene Gestalten sitzen, deren Körper von dunklen Adern nur so überzogen waren. Es hieß, es finge klein an und breitete sich dann aus, bis die Leute irgendwann einfach umkippten und starben. Nur – das war nicht das, was mir gestern beim Kampf in der Arena passiert war, oder? Ja, die Magie hatte sich dunkel gefärbt, doch sie war in einem Schwall aus mir herausgeflossen. Sie hatte mich gerettet und keine Spuren zurückgelassen. Was auch immer passiert war, es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Ich würde Lily davon erzählen, sobald wir aus London draußen waren, denn jetzt mussten wir uns um jeden Preis auf unsere Flucht konzentrieren.
Wieder schaute ich zur Seite, diesmal zu den anderen beiden. Isaac und Enzo blickten mit geduldiger Miene nach vorn, der Inbegriff von perfekten Soldaten. Isaac hatte inzwischen seinen gesamten Oberkörper tätowieren lassen, und obwohl er genauso dünn wie wir war, wirkte er dadurch gleich viel bedrohlicher. Enzo dagegen war der Typ viele Muskeln, wenig Hirn, aber er stand in seiner Motivation, Lazarus zu beeindrucken, Isaac in nichts nach.
Früher, als im Waisenhaus noch mehr Kinder gelebt hatten, waren Enzo, Isaac, Lily und ich Freunde gewesen. Doch während Lazarus’ Schikanen dazu führten, dass Lily und ich immer verzweifelter nach einer Fluchtmöglichkeit suchten, waren die zwei Jungs den anderen Weg gegangen. Sie hatten sich mit dem Leben unter den Nightserpents angefreundet. Und seit ich Isaac bei einem Sigil-Kampf besiegt hatte, standen wir endgültig auf Kriegsfuß miteinander. Ich drohte, ihm seinen Rang als Lazarus’ Nummer eins in den Arenen abzulaufen, und das konnte er nicht zulassen.
Da drang ein Grunzen vom Schreibtisch zu uns. Lazarus schien sich über irgendetwas auf seinem Comm zu amüsieren. Er setzte sich auf, legte seine Beine auf den Tisch, würdigte uns aber noch immer keines Blickes.
Meine Hände begannen zu zittern. War das sein Ernst? Wir standen hier bald eine Viertelstunde!
»Was glotzt’n mich so an, Firecracker?«, blaffte er plötzlich und legte sein Comm zur Seite.
Ich ballte eine Hand zur Faust. Der Spitzname ging mir dermaßen auf die Nerven. Sie kann hochgehen wie ein Feuerwerk, hatte Isaac mal über mich gesagt, und seitdem nannte Lazarus mich ständig so.
»Na?«, setzte er nach.
»Nichts, hab nur nachgedacht«, sagte ich – eine kurze Antwort. Ich hatte gelernt, dass kurze Antworten am wenigsten Angriffsfläche boten.
»Nachgedacht?« Lazarus machte ein abfälliges Geräusch. »Dein ›Nachdenken‹ kostet uns zu viel Geld.« Sein Blick richtete sich missbilligend auf meine zitternden Hände. »Mach lieber deine Entspannungsübungen, und schalt den Kopf ab. Ich bin’s leid, dir ständig Pillen kaufen zu müssen.«
Isaac lachte leise, woraufhin nur noch mehr Wut durch meinen Körper pumpte. Lazarus wusste genauso gut wie ich, dass meine Betablocker einen Bruchteil von dem kosteten, was er brauchte, um seine Magiesucht zu befriedigen. Er kaufte sich schließlich ständig Happy-Uppers und drückte sich die verdammten Münzen bei jeder Gelegenheit auf den Arm! Sein Zimmer, das ich putzen musste, war voll mit den Dingern, und mehr als einmal hatte ich Lazarus dümmlich vor sich hin grinsend auf dem Boden liegen sehen.
»Du bildest dir das alles sowieso nur ein«, raunte Lazarus. »Eine Psychostörung, das ist es doch.«
»Du musst es ja wissen«, sagte ich, und Lazarus’ Augen verengten sich zu Schlitzen. Ich hörte Lily meinen Namen flüstern, eine klare Warnung, aber es war längst zu spät. Lazarus stand von seinem Stuhl auf, lief um den Schreibtisch herum und packte mich am Nacken.
»Ganz vorsichtig, Firecracker. Du gehörst immer noch mir. Und auch meine Geduld kennt Grenzen.«
Damit drückte er so fest zu, dass ich nur mit Mühe ein schmerzvolles Keuchen herunterschlucken konnte. Sein Daumen lag direkt auf dem Peilsender, den er mir unter meinem Haaransatz hatte implantieren lassen. Es war unser ganz persönliches Bandenzeichen – ein Vertrauensbeweis, hatte Lazarus damals gesagt. Und praktischerweise schickte es zusätzlich eine Warnung auf sein Comm, sobald sich einer von uns über die Stadtgrenzen bewegte. Oder wenn man versuchte, es sich herauszureißen.
Was ich schon zwei Mal getestet hatte.
Lazarus ließ von mir ab, und ich schaute ihm direkt ins Gesicht. Es war einfach unglaublich, wie sehr er sich in den Jahren aufgrund seiner Magiesucht verändert hatte. Früher war Lazarus auf eine oberflächliche Art und Weise sogar gutaussehend gewesen, aber heute? Die Augenringe, die tiefen Furchen in seinem Gesicht … Man sah ihm an, wie die Magie ihn langsam verzehrte, und das, obwohl die Regierung behauptete, es gäbe kein Suchtpotenzial. Vielleicht stimmte das auch, was eine körperliche Sucht anging, doch die Gier nach dem Glück, die Happy-Uppers mit sich brachten, hatte sich längst in Lazarus’ Gesicht eingemeißelt. Und sie ließ ihn von Tag zu Tag unberechenbarer werden.
»Hast du mich gehört, Firecracker?«, fragte Lazarus, sein Atem in meinem Gesicht. Ich spürte Lilys Hand an meiner, und wusste, woran sie mich erinnern wollte. Lass dich nicht von ihm provozieren. Riskier jetzt nichts, sonst merkt er noch, was wir vorhaben.
»Laut und deutlich«, sagte ich, während ich spürte, wie es mir sauer die Kehle hochstieg.
Zufrieden grinsend setzte Lazarus sich wieder. Er ließ sich bequem in seine Lehne sinken, dann schaute er uns der Reihe nach an. »Also gut. Ihr fahrt zur Markthalle an der Cable Street und geht dort zum Grainhändler auf der zweiten Ebene. Er hat eine Lieferung für uns, die wir ihm gern abnehmen.« Er winkte Isaac zu sich und übertrug irgendetwas auf dessen Comm. Geld wahrscheinlich. »Der Händler überlässt uns die Ware für einen Freundschaftspreis, versteht sich. Und wenn er sich weigert, erklärt ihr ihm, wie glücklich er sich schätzen kann, mich als Käufer zu haben, klar?«
Wir nickten, während das schlechte Gefühl in meinem Magen immer größer wurde. Es würde einer dieser Aufträge werden. Ausgerechnet heute.
Ich wusste genau, von welcher Lieferung Lazarus redete. Es ging um Magie. Sie war für eine von seinen legendären Partys vorgesehen, die er in unregelmäßigen Abständen in der Stadt organisierte. Morgen würde es wieder so weit sein.
»Holt die Grains, und verschwindet, ohne Aufsehen zu erregen«, wies Lazarus uns an. »Und wehe, wenn das schiefgeht.«
»Keine Sorge, Laz.« Isaac schaute mich voller Genugtuung an. »Heute wird niemand aus der Reihe tanzen.«
Wir waren schon fast aus der Tür, als Lazarus uns noch einmal zurückrief. »Ach, und Lily? Sei ein Schatz, und zieh morgen Abend nicht dein übliches Blümchenkleid an, ja? Unsere Gäste erwarten etwas Exklusiveres von dir.«
Schweigend liefen Lily und ich zurück in unser Zimmer, um uns für die Tour fertig zu machen. Der Raum, in dem wir seit ein paar Jahren schliefen, lag im Untergeschoss des ehemaligen Kraftwerks, zwischen stillgelegten Turbinen.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen, aber innerlich fühlte ich mich wie gelähmt. Unsere Gäste erwarten etwas Exklusiveres von dir, hatte Lazarus zu Lily gesagt. Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, und es waren Momente wie diese, in denen ich mich fragte, wie unser Leben nur so furchtbar hatte werden können.
Ich konnte mich gut an eine Zeit erinnern, in der das Waisenhaus sauber und schön und friedvoll gewirkt hatte. Es war egal gewesen, dass es in Londons Armenvierteln lag, weit weg vom schillernden Zentrum der Innenstadt. Dank Mimzy, der alten Heimleiterin, hatte es sich immer wie ein Zuhause angefühlt. Sie hatte Zimtplätzchen für uns gebacken, uns Bücher vorgelesen und Lily und mich sogar durch die baufälligen Hallen des ehemaligen Kraftwerks gejagt, solange ihre Beine es mitmachten. Wir waren zur Schule gegangen, und hatten – soweit man das in den Outskirts konnte – ein ganz normales Leben geführt.
Doch dann, vor fünf Jahren, war Mimzy gestorben, und ihr Sohn war aufgetaucht. Zuerst waren wir erleichtert gewesen, weil Lazarus das Waisenhaus vor der Schließung gerettet hatte, aber schon nach wenigen Monaten hatten Lily und ich gemerkt, was wirklich dahintersteckte. Denn Lazarus hatte das Waisenhaus zur neuen Basis seiner Bande erklärt, und unter den Nightserpents wurde unser Leben nach und nach zur Hölle.
Die Waisenkinder waren Lazarus’ Kapital und gleichzeitig die beste Tarnung, die er haben konnte. Dank uns hatte es keine Razzien und keine Kontrollen gegeben, und er konnte seine Macht immer weiter ausbauen.
Heute war Lazarus der heimliche König der Outskirts, und im Waisenhaus lebten außer Enzo, Isaac, Lily und mir längst keine Kinder mehr.
Im Zimmer angekommen, packte Lily eine kleine Tasche zusammen und zog sich statt einer Jeans einen sanft fallenden Rock über die Hüfte. Sie kämmte ihre Haare und tupfte sich dann mit Hilfe eines Handspiegels etwas Rouge auf die hellbraune Haut. Sie sah wunderschön aus, so wunderschön, dass ich früher immer fantasiert hatte, wie Lily irgendwann ein berühmtes Model werden würde und an Modenschauen in Paris teilnahm. Ich hatte ihre Schönheit für ein Geschenk gehalten … doch in Wahrheit war sie eine schreckliche Gefahr.
»Wenn du so weitermachst, hast du bald eine Gewitterwolke über dem Kopf.« Lily lächelte mir im Spiegel zu – offenbar hatte sie meinen Blick bemerkt. »Ich kann deine Gedanken bis hierher hören. Du musst dir wirklich keine Sorgen um mich machen, Ray.«
»Natürlich mache ich mir Sorgen! Du hast doch gehört, was Lazarus eben gesagt hat.«
Lily versicherte sich mit einem Blick zur Tür, dass wir wirklich allein waren, dann kam sie zu mir gelaufen. »Ja und? Morgen Vormittag kommt das Geld. Bis zur Party sind wir längst aus der Stadt.« Als ich nicht antwortete, schlang sie ihre dünnen Ärmchen um mich. »Es wird alles gut gehen. Das Schwerste haben wir schon geschafft. Ich meine, was du gestern gemacht hast, war unglaublich! Dein Gegner hatte fast 15.000 Punkte, und trotzdem hast du ihn einfach so ausgeknockt! Die Leute sind total ausgerastet.« Sie zog sich zurück, und ihr stolzes Lächeln wich einem besorgten Stirnrunzeln. »Geht es dir gut? Du hast vorhin so erschöpft gewirkt. Hast du doch Nachwirkungen von der Magie?«
Ich schnaubte. »Ich hab Nachwirkungen davon, so lange dieselbe Luft wie Lazarus atmen zu müssen.«
Lily grinste wieder, aber die Sorgenfalten auf ihrem Gesicht blieben. Sie hatte selbst erst ein einziges Mal ein Grain in ihren Körper gelassen. Lazarus hatte damals getestet, ob sie sich als Sigil-Kämpferin eignete. Doch egal, ob Ring, Medaillon oder Armband, Lily war mit der Magie nicht zurechtgekommen. Das hatte mich erst erleichtert. Ich hatte mich in meiner Naivität darüber gefreut, dass Lily nicht auch in die Arenen musste … bis ich begriffen hatte, was es bedeutete: Wenn Lily nicht an Schaukämpfen teilnahm, verdiente sie kein Geld. Und das kam für Lazarus nicht in Frage. Alle mussten einen Beitrag leisten. Isaac und ich kämpften mit Sigils, Enzo half bei den Einbrüchen, und Lily, Lily war in Zukunft für Lazarus’ verdammte Partys vorgesehen.
Die Partys waren der neueste Schrei bei den stinkreichen Leuten aus Central London, und sie bezahlten eine Menge dafür. Sie alle waren auf den Nervenkitzel und das Abenteuer aus, das sie sonst in ihrem priviligierten Luxusleben nicht bekamen. Die Gästeliste war sehr exklusiv, und die Orte, an denen die Partys stattfanden, wurden bis zum Schluss streng geheim gehalten.
Ich hatte keine Ahnung, was Lazarus alles von Lily verlangen würde. Ob sie sich aufhübschen sollte, um nur mit den Leuten zu tanzen und zu flirten, damit die genug Grains kauften, oder … oder ob sie mehr tun musste. Und wir würden es auch nicht herausfinden. Weil wir da längst aus der Stadt verschwunden waren.
Lily legte ihre Stirn auf meine. »Nur noch vierundzwanzig Stunden«, flüsterte sie. Dann umspielte ein freches Lächeln ihre Lippen. »Ich hab überlegt, dass wir Lazarus’ Sofa abfackeln sollten, bevor wir gehen. Und sein Büro dazu.«
Ein überraschtes Lachen entfuhr mir. »Er würde vor Wut explodieren.«
»Nenn es unser Abschiedsgeschenk an die Outskirts.« Damit schulterte sie ihre Tasche, und ich nahm meine eigene an mich.
»Es wurde übrigens keiner der Teilnehmer von den Oberen mit in den Mirror genommen«, erzählte sie mir auf dem Weg nach draußen.
»Was?«
»Na, beim Schaukampf. Ich hab nachgeschaut. Es war nichts in den Nachrichten.«
Ah, richtig. Ich erinnerte mich an die Frau in der Anmeldeschlange, die über und über mit Siebenern tätowiert gewesen war. Sie hatte sich eine Einladung ins Mirror-Paradies erhofft. Was für eine Überraschung, dass es nicht geklappt hatte.
»Echt blöd für sie«, sagte ich. »Keine Springbrunnen voller Magie und Regenbögen, aus denen Grains tropfen, während sie sich in ihrem neuen Brokatmäntelchen im Spiegel bewundert.«
Lily grunzte, so plötzlich musste sie lachen, und kaschierte es mit einem kleinen damenhaften Räuspern. »O Mann, du bist verrückt.«
»Hmm.« Ich schmiegte mich an sie. »Jedenfalls: Wenn alle so affig gekleidet sind wie die Oberen beim Schaukampf, bin ich echt froh, dass unsere Flucht nicht dorthin führt.«
Ein sanftes Lächeln legte sich auf Lilys Lippen. Kurz vor der Treppe in Richtung Erdgeschoss hielt sie mir ihren kleinen Finger hin, und ich hakte mit meinem ein. »Untere und stolz drauf.«
»Untere und stolz drauf«, antwortete ich, dann liefen wir nach oben.
Früher hatten Lily und ich oft vom Mirror geträumt. Wir hatten uns Geschichten darüber ausgedacht und überlegt, wie es dort oben sein würde. Heute war das anders. Denn im Grunde war der Mirror schuld daran, dass Leute wie Lazarus so viel Macht besaßen. Nur wegen des Mirrors konnten einige wenige das Ungleichgewicht in dieser Welt gnadenlos ausnutzen.
Meine Wut auf die Oberen war deshalb Jahr um Jahr größer geworden. Ich fragte mich, ob es sie kümmerte, was ihre Magie bei uns anrichtete. Oder ob wir ihnen völlig egal waren.
Nicht zum ersten Mal kam mir der Blick des Jungen mit den silbrig blonden Haaren wieder in den Sinn. Er hatte gestern im Heptadome neben den anderen Oberen auf der Tribüne gesessen und nach dem Kampf auf mich herabgesehen. Der angespannte Gesichtsausdruck, das intensive Starren … Obwohl er wegen des Nebels eigentlich nichts von der schwarzen Magie hatte sehen können, schien er genau gewusst zu haben, was passiert war.
Und es schien ihn alles andere als kaltgelassen zu haben.
Ich atmete tief ein, als der Aschezuckerduft, der das Kraftwerk erfüllte, von Frischluft ersetzt wurde.
Das Waisenhaus lag zwischen den unzähligen High-Rises, den riesigen Gebäudekomplexen, die in den letzten Jahren überall in den Outskirts von Tower Hamlets, Newham und Hackney aus dem Boden gesprossen waren. Dadurch wirkte das Kraftwerk, so groß die Anlage auch war, wie ein winziger Stein inmitten von Bergen.