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»Eine tobende Macht entfaltete sich zwischen uns. Es war mehr als nur Magie. Es war unser Schicksal.« Der Mirror – bis vor Kurzem war diese Welt für Rayne nur ein schimmernder Umriss am Himmel über London. Doch nun will Adam sie zur Mirrorlady ernennen und damit das Schicksal aller in ihre Hände legen. Während Rayne noch versucht, sich durch die Intrigen und Machtspiele der Oberen zu navigieren, tobt in der unteren Welt längst Krieg. Denn die Chaosmagie, die Adams Mutter entfesselt hat, greift weiter um sich. Da stößt Rayne auf ein Geheimnis ihres verstorbenen Vaters. Es könnte die Rettung oder den Untergang bedeuten. Für ihre Liebe – und für die ganze Welt. Band 3 der atemberaubenden Urban-Fantasy-Trilogie von »Vortex«-Autorin Anna Benning!
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Seitenzahl: 521
Anna Benning
Wen das Schicksal betrügt
Band 3
Der Mirror – bis vor Kurzem war diese Welt für Rayne nur ein schimmernder Umriss am Himmel über London. Doch nun will Adam sie zur Mirrorlady ernennen und damit das Schicksal aller in ihre Hände legen. Während Rayne noch versucht, sich durch die Intrigen und Machtspiele der Oberen zu navigieren, tobt in der unteren Welt längst Krieg. Denn die Chaosmagie, die Adams Mutter entfesselt hat, greift weiter um sich. Da stößt Rayne auf ein Geheimnis ihres verstorbenen Vaters. Es könnte die Rettung oder den Untergang bedeuten. Für ihre Liebe – und für die ganze Welt.
Alle Bücher von Anna Benning bei FISCHER KJB:
Die Dark Sigils-Trilogie:
Band 1: Was die Magie verlangt
Band 2: Wie die Dunkelheit befiehlt
Band 3: Wen das Schicksal betrügt
Die Vortex-Trilogie:
Band 1: Der Tag, an dem die Welt zerriss
Band 2: Das Mädchen, das die Zeit durchbrach
Band 3: Die Liebe, die den Anfang brachte
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Anna Benning wurde 1988 als jüngstes von drei Kindern geboren. Die Leidenschaft für Geschichten bestimmt seit vielen Jahren ihren Weg: Nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Stationen als Buchrezensentin und Aushilfsbuchhändlerin arbeitete sie als Lektorin in einem Verlag. Eines Tages fasste sie sich ein Herz und brachte ihre eigenen Geschichten zu Papier. Mit »Dark Sigils« veröffentlicht sie nach »Vortex« bereits ihre zweite Trilogie.
Weitere Informationen zur Autorin unter www.annabenning.de und auf Instagram und TikTok unter annabenning.books
[Widmung]
[Zitat]
Rückblick
Prolog
Teil 1 Das Erbe
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
Teil 2 Zwei Seelen, eine Magie
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
Teil 3 Invictus
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
Teil 4 Die Prädiktion
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
Epilog
Danksagung
Dark Sigils
Für Jana
Eigentlich hätte ich dir auch meine anderen Bücher schon widmen müssen, so oft, wie du mir bei meinen Schreibkrisen geholfen hast.
Danke für einfach alles.
(Würden wir chatten, käme an der Stelle ein GIF. Das mit den Hunden, die sich umarmen. Du weißt schon.)
Das Schicksal sendet nie Boten aus.
Dazu ist es zu klug. Oder zu grausam.
Oscar Wilde
»Ein Tremblett mit fehlgeleitetem Herzen wird das Ende des Mirrors herbeiführen. Mit dem Sigil, das verlorenging, werden beide Welten in Dunkelheit getaucht. Nur die erste Magie kann entscheiden, in welche Richtung sich die Waage neigt. Heilung oder Verderben. Die Wahl liegt in ihren Händen.«
In Nova – der Stadt außerhalb der Zeit – erfuhr Rayne Harwood erstmals von der Prädiktion über die Familie Tremblett. Adam Tremblett hat lange geglaubt, die Prophezeiung über den Untergang des Mirrors würde sich auf ihn beziehen, doch nachdem seine totgeglaubte Mutter wieder aufgetaucht ist, ist die Lage unklarer denn je. Denn Leanore Tremblett gelang es, mit einer Nachbildung des Ignis-Sigils wichtige Politiker der echten Welt – Prime – mittels Chaosmagie zu ihren Marionetten zu machen. Während sie die Welt immer weiter unter ihre Kontrolle bringt, müssen Rayne, Adam und die anderen Sigil-Träger mit den Verlusten umgehen, die sie erlitten haben. Sie haben zwar das achte Dark Sigil, die Schattenathame, geborgen und vor Leanore in Sicherheit bringen können. Doch der Preis dafür war hoch. Celine ist tot, Nikki und Adam haben ihre Magie verloren, und ausgerechnet Rayne soll nun als Mirrorlady neue Hoffnung bringen …
27. Mai 2037
Mirror-London, Septem
Am Tag von Adam Trembletts fünfzehntem Geburtstag verloren Tausende Menschen ihr Leben.
Er selbst trug die Schuld an ihrem Tod. Zwar hatte er ihn weder herbeigewünscht noch mit eigenen Händen verursacht, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er ihn hätte verhindern können. Wäre er damals nur etwas reifer gewesen, hätte er gewusst, was er heute wusste – über seine eigene Mutter, über die Natur der Chaosmagie –, vielleicht wären all diese Menschen dann noch hier.
Ein Diener war spätabends in Adams Zimmer gekommen, hatte sich tief vor ihm verbeugt und erklärt, dass die Mirrorlady ihn sprechen wolle. Also folgte er dem Diener durch den Tremblett-Flügel, vorbei an dem Klavier, an dem er manchmal heimlich saß, wenn sonst niemand hier war, und vorbei an der Sofagruppe, die nie jemand benutzte. Schließlich bog Adam in das Arbeitszimmer seiner Mutter ab, in dem an diesem Abend nur gedimmtes Licht auf die Bücherregale, die Gemälde und den großen Schreibtisch hinabfiel.
Seine Mutter stand vor der großflächigen Fensterreihe. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, den Blick offenbar auf Prime gerichtet.
Es war etwas, das die Bewohner des Mirrors nur selten taten. Nach oben sehen. Prime schwebte zwar an jedem Tag und zu jeder Stunde direkt über ihnen, doch die wenigsten interessierten sich für die alte, rückständige Welt. Aus der Sicht derer, die im Mirror lebten, war Prime schließlich nur ein fahles Abbild all dessen, was ihre eigene Welt schon vor langer Zeit hinter sich gelassen hatte.
Adam sammelte sich für einen Moment, so, wie er es vor einem Gespräch mit seiner Mutter immer tat. Er wusste nie, was ihn erwarten würde, also versuchte er, sich innerlich auf alle Möglichkeiten vorzubereiten.
»Komm zu mir«, sagte da Leanore unvermittelt, und Adam folgte ihrer Anweisung. Er kam neben ihr zum Stehen und bemerkte erst dann, dass sie ihn wohl schon die ganze Zeit in der Spiegelung des Fensterglases beobachtet hatte. Im fahlen Licht des Mirrors standen sie nebeneinander, dieselben silbrigen Haare, dieselben hellgrauen Augen … und denselben eisernen, unnachgiebigen Zug um den Mund, auch wenn Adam oft wünschte, es wäre nicht so.
»Hat dir das Feuerwerk gefallen?«, fragte sie, und Adam stockte innerlich. Darüber wollte sie mit ihm sprechen? Über das Feuerwerk?
Jedes Jahr an Adams Geburtstag stiegen im Mirror Raketen empor. Überall versammelten sich die Menschen in ihren Bezirken, vor ihren Häusern oder den Geschäften, während die Welt in die buntesten Farben getaucht wurde. Das ganze Spektakel dauerte oft mehr als eine Stunde, und es sollte allen in Erinnerung rufen, dass die Trembletts den Mirror fest in der Hand hatten. Der nächste Herrscher auf dem Thron würde selbstredend wieder ein Tremblett sein und der danach ebenfalls. Eine starke Blutlinie. Eure Anführer für alle Ewigkeit.
»Es war … beeindruckend«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Pris hat es geliebt.«
Bei der Erwähnung ihrer Tochter legte sich für den Bruchteil einer Sekunde ein weicher Ausdruck auf Leanores Gesicht. Es war diese eine Sache, in der Adam und seine Mutter einander wirklich verstanden: die gemeinsame Liebe für Priscilla. Und das gemeinsame Leid, weil sie ihre Krankheit nicht heilen und ihr Leben nicht retten konnten.
Schon verhärtete sich der Blick seiner Mutter wieder – wurde kalkulierend. Und obwohl Adam erst fünfzehn Jahre alt gewesen war, hatte er sofort verstanden: Nein, es ging bei diesem Gespräch nicht um das Feuerwerk.
»Es wurden besorgniserregende Neuigkeiten an mich herangetragen«, sagte Leanore schließlich. »Wie es aussieht, hat es heute Abend einen Ausbruch von Chaosmagie hier in der Stadt gegeben.«
Adam nickte ernst. Solche Vorfälle waren im Mirror nicht selten. Seit Ignis keinen Träger mehr hatte, wurde mehr und mehr Chaosmagie freigesetzt. Ab und an stiegen auch Abbys daraus hervor, die dann auf die Leute losgingen. Es war eine Katastrophe, aber mit genügend Magiehäschern konnte man dem Ganzen zumindest schnell Einhalt gebieten. Eigentlich. Denn etwas an dem Tonfall seiner Mutter verriet Adam, dass heute irgendetwas anders war.
»Kann es nicht eingedämmt werden?«
»Nein, noch nicht. Ich fürchte, die Lage ist kompliziert.«
Kompliziert. Seine Mutter klang nicht besorgt, nur nachdenklich. Adam verstand immer weniger, wieso sie ihn herbeordert hatte. Noch nie hatte sie ihre Amtsgeschäfte mit ihm besprochen. Damit würden sie erst im Jahr vor seiner Krönung beginnen, zur Vorbereitung für die Machtübernahme. Wieso bezog sie ihn ausgerechnet jetzt mit ein?
»Willst du gar nicht wissen, warum es kompliziert ist?«
Adam hielt inne, dann nickte er. »Doch, natürlich.«
»Wie es scheint, ist der Ausbruch außergewöhnlich kraftvoll. Die Chaosmagie zieht sich in der Atmosphäre zwischen Mirror und Prime zusammen und … bündelt sich dort.«
Sie bündelt sich? Das Wort hatte er im Zusammenhang mit Chaosmagie noch nie gehört.
»Was bedeutet das?«
Leanore schaute Adam in der Spiegelung der Scheibe ernst an. »Es bedeutet, dass die Chaosmagie sich nicht wie sonst auflösen wird. Sie wächst immer weiter an. Die Magiehäscher gehen davon aus, dass diese Bündelung schon bald in Richtung Mirror stürzen könnte. Und womöglich ist sie so stark, dass sie alles in dem Bezirk vernichten wird.«
Vernichten?
Hatte sie das gerade wirklich gesagt?
Adam erinnerte sich noch gut daran, wie heftig sein Herz in diesem Moment gegen seinen Brustkorb gepocht hatte. Denn mit einem Mal war die Frage nicht mehr, warum sie ihn über die Situation informierte, die Frage war vielmehr: Warum tat sie nicht alles andere, statt hier mit ihm zu stehen? Wieso war sie nicht in voller Alarmbereitschaft? Wieso verzweifelte sie nicht?
»Können die Häscher das nicht verhindern?«, fragte Adam atemlos.
»Vielleicht.«
»Vielleicht?«
»Das Problem ist …«, fuhr seine Mutter mit einer Seelenruhe fort, die Adam nicht begreifen konnte, »… wenn die Häscher versuchen, sich gegen die Bündelung zu stellen, könnten sie dabei sterben. Und dann ist niemand mehr da, um die Chaosmagie aufzuhalten. Sie wird sich womöglich über ganz Mirror-London ausbreiten.« Leanore wandte sich vom Fenster ab und schaute Adam zum ersten Mal direkt ins Gesicht. »Der Oberste Magistrat hat daher vorgeschlagen, die Bündelung nicht anzugreifen, sondern lediglich die inneren Grenzen des Viertels abzuschirmen. Er will Barrieren errichten lassen und warten, bis die Chaosmagie sich über die Stadtgrenzen in die Weite bewegt und dort verschwindet.«
»Aber …« Ungläubig starrte Adam seine Mutter an. »Was würde das für die Menschen in dem Viertel bedeuten?«
»Sie würden sterben.« Die Worte kamen ohne Zögern über ihre Lippen. »Ich stehe vor einer Wahl, Adam. Einer sehr schwierigen Wahl, mit furchtbaren Konsequenzen. Lasse ich meine Häscher versuchen, dieses Viertel zu retten, und riskiere dabei, dass die Chaosmagie erst meine Armee tötet und sich dann über die gesamte Stadt ausbreitet? Oder opfere ich das Viertel, in dem Wissen, dass der Rest der Stadt in Sicherheit ist?« Sie hielt inne, und ihr erwartungsvoller Blick ließ einen kalten Schauer seine Wirbelsäule entlangkriechen. »Was würdest du tun?«
Adam ballte seine Hände zu Fäusten. »Ich?«
»Ja. Du.« Die Stimme seiner Mutter war nun eisenhart. »Du bist heute fünfzehn Jahre alt geworden, Adam. Du wirst in wenigen Jahren Mirrorlord sein. Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, die fähig sind, Entscheidungen wie diese hier zu treffen. Aber du musst einer davon sein. Also: Was würdest du tun? Würdest du versuchen, ein paar wenige Menschen zu retten, und riskierst dabei womöglich das Leben vieler? Oder opferst du das Viertel … zum Wohle der gesamten Stadt?«
Adam schaute zum Fenster. London lag tief unter ihm – und natürlich über ihm, das alte London. Das echte. Er konnte es von hier aus nicht sehen, aber er stellte sich vor, wie irgendwo über der Stadt unzählige schwarze Schwaden von Chaosmagie in alle Richtungen zogen.
Es war eine moralische Zerreißprobe. Die wohl schwierigste und grausamste Entscheidung, die es geben konnte. Adam war hin- und hergerissen, während er versuchte, in Windeseile die Konsequenzen abzuwägen. Doch jede Entscheidung, die er treffen würde, war ein Sprung ins Ungewisse, begleitet von der nagenden Frage: Was, wenn die andere Möglichkeit die bessere war?
»Nun?«, hakte seine Mutter nach, nicht drängend, eher neugierig.
Es ist reine Theorie, beruhigte Adam sich. Er musste diese Entscheidung nicht wirklich treffen. Dafür hatte er ohnehin nicht alle Informationen, die nötig wären. Er hatte schließlich nicht selbst gesehen, was gerade in der Stadt vor sich ging. Er wusste nicht, wie viele Magiehäscher bereitstanden oder wie weit die Chaosmagie sich schon ausgebreitet hatte. Seine Mutter prüfte ihn bloß und wollte wissen, ob er Entscheidungen wie diese überhaupt treffen konnte.
Und das konnte er. Das musste er.
»Ich würde das Viertel opfern«, brachte er heiser hervor. Es war die einzig vernünftige Antwort. Diejenige, die sein Kopf getroffen hatte und nicht sein Herz. In Mirror-London lebten weit über eine Million Menschen, in den Randbezirken nur ein Bruchteil davon. »Wenn die Magiehäscher Zweifel äußern, den Rest der Stadt schützen zu können, würde ich ihnen vertrauen.«
Leanore legte eine Hand auf seine Schulter. »Dann soll es so sein.«
Damit ging sie und ließ Adam zur Salzsäule erstarrt vor dem Fenster zurück.
Dann soll es so sein?
Was bedeutete das?
Er erfuhr es am nächsten Morgen. In der Nacht war die Chaosmagie in einem enormen Schwall auf den Randbezirk niedergegangen … und hatte dort alles verschlungen. Die Häuser, die Geschäfte und jedes Leben darin.
Während sein Diener Adam von den Geschehnissen erzählte, schienen die Schatten aus den Ecken seines Zimmers langsam auf ihn zuzukriechen. Das Einzige, was er noch hörte, war das Rauschen in seinen Ohren, und er spürte förmlich, wie das Gefühl von Sicherheit, das er hier im Palast stets gehabt hatte, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
In den Wochen, Monaten und Jahren danach war die Schuld sein ständiger Begleiter. In seinen dunkelsten Stunden drohte sie ihn in einen tiefen Abgrund zu ziehen. Doch Adam lernte, die zerrissenen Teile seines Inneren zusammenzuhalten. Wenn er sich der Verzweiflung hingab, würde es die Menschen nicht wieder lebendig machen. Also schwor er sich, dass ihr Tod wenigstens einen Sinn haben würde.
Er war fünfzehn Jahre alt, als er sich dem Grund seiner Existenz mit aller Klarheit bewusstgeworden war.
Es war egal, ob oder wie lange er Mirrorlord wäre – jeden Funken Macht, den er besaß, würde er nur einer Sache widmen.
Er würde die Chaosmagie vom Planeten tilgen. Ein für alle Mal.
»Lang lebe die Mirrorlady!«
Während die Worte im Thronsaal von Hunderten Stimmen inbrünstig wiederholt wurden, starrte ich entschlossen in die Ferne. Mit aller Macht zwang ich mich dazu, ruhig weiterzuatmen und mich dabei so wenig wie möglich zu bewegen.
Das hier ist ein Kampf, sagte ich mir im Stillen. Eine andere Art, als ich es vielleicht gewohnt war, aber ein Kampf war es trotzdem.
Und ich durfte ihn auf keinen Fall verlieren.
Kaum waren die salbungsvollen Worte im Saal verklungen, kam Agrona Soverall auf mich zugelaufen. Die zartrosafarbenen Haare der Obersten Magistratin ergänzten perfekt ihre purpurne Robe – keine Ahnung, warum mir der Gedanke ausgerechnet jetzt kam. Wahrscheinlich konzentrierte ich mich auf die nebensächlichen Dinge, um bloß nicht daran zu denken, was gleich geschehen würde.
Agrona blieb direkt vor mir stehen, den Rücken zur Menge gewandt, wofür ich sie beneidete. Sie ließ einige Sekunden verstreichen und schaute mich dabei so ernst an, wie ich es nur selten an ihr gesehen hatte. Dann beugte sie sich zur Seite. Im Augenwinkel nahm ich ein Funkeln wahr und wusste sofort, was es bedeutete.
Nicht hinschauen, dachte ich eisern. Nacken gerade, Schultern zurück, neutraler Gesichtsausdruck.
Agronas Hände näherten sich, und in der nächsten Sekunde spürte ich, wie sich ein kreisförmiges Gewicht von oben auf meinen Kopf legte. Es war nicht das erste Mal, dass die alte Magistratin mir die Krone des Mirrors aufsetzte. Vor diesem Tag hatte es bereits mehrere Proben der Krönungszeremonie gegeben. Wir waren die Abläufe wieder und wieder durchgegangen, in allen noch so winzigen Details, und ich wusste inzwischen schmerzlich genau, wie wenig ich mich bewegen durfte, damit das juwelenbesetzte Monstrum nicht vor den Augen aller wichtigen Oberen auf den polierten Marmorboden krachte.
Nacken gerade, Schultern zurück, neutraler Gesichtsausdruck. Nacken gerade, Schultern zurück, neutraler Gesichtsausdruck.
Wie ein Mantra wiederholte ich die Worte immer und immer wieder. Doch als Agrona schließlich zur Seite trat, um die Sicht auf mich freizugeben, bekam meine stoische Fassade erste Risse.
Nicht weil mich alle Anwesenden im Saal anstarrten, als wäre ich das achte Weltwunder höchstpersönlich. Sondern weil sie völlig synchron auf die Knie fielen.
Vor mir.
Ein Kampf, wiederholte ich wie benommen. Es ist nur ein Kampf. So wie du in deinem Leben schon Tausende Kämpfe geführt hast. Das hier ist nichts anderes. Und um schreiend davonzulaufen, ist es definitiv zu spät.
Ich hatte mir vorgenommen, während der gesamten Zeremonie nicht zu Matt, Dina und Cedric zu schauen, obwohl sie kaum vier Meter von mir entfernt positioniert waren. Der Gedanke, dass meine Freunde sich ebenfalls vor mir verbeugen würden, hatte Übelkeit in mir aufsteigen lassen. Doch nun konnte ich nicht anders. Wie ferngesteuert wanderte mein Blick zur Seite und …
Ja, sie knieten. Und der Anblick war genauso irrsinnig, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich hasste es, die drei so zu sehen, aber es gehörte zum Protokoll, dass alle anwesenden Sigil-Träger mir die Treue schworen.
Und das Protokoll musste gewahrt werden.
Zumindest vorerst.
Die drei trugen knielange Brokatmäntel mit silbern oder golden schimmernden Ornamenten, jeweils in ihren Familienfarben – Dina Grün, Matt Lila, Cedric Blau. Dazu passende Hosen und Hemden, deren Stoff sanft mit jeder Bewegung changierte. Auch ihre Dark Sigils waren perfekt in Szene gesetzt: Cedric trug den Saphirschlüssel über dem Mantel, Dina hatte das Schlangenband als eine Art Gürtel um die Taille gewickelt, und Matt …
Als ich zu ihm sah, stockte ich. Nicht wegen des Seelenrings an seiner Hand, sondern wegen des kleinen Lächelns auf seinen Lippen.
Während Dina und Cedric ihre Köpfe, wie alle anderen auch, diszipliniert nach unten geneigt hielten, schielte Matt zu mir hoch. Atme, formte er stumm mit den Lippen, und tatsächlich merkte ich in der Sekunde, dass meine Lungen längst krampften, so sehr hatte mein Körper sich angespannt.
Ein kaum hörbares Räuspern ließ meinen Blick zurück zu Agrona zucken. Auch sie hatte sich vor mir verneigt, und das so tief, dass ich glaubte, in der ehrfürchtigen Stille des Thronsaals ihren Rücken knacken zu hören, als sie sich schließlich wieder aufrichtete.
Sofort taten es die Oberen ihr gleich. Einer nach dem anderen erhoben sie sich in einem endlosen Meer aus glitzernden Brokatgewändern, die teilweise so exzentrisch und überladen wirkten, dass die alte Rayne sich nur zu gerne darüber lustig gemacht hätte. Doch die alte Rayne war nicht hier. Ich hatte sie am Morgen tief in meinem Inneren eingesperrt. Denn ab heute … da musste ich eine vollkommen neue Version von mir selbst sein: Rayne Harwood, die Trägerin von Ignis und die Tochter von Melvin Harwood. Ein Mädchen, das aufgrund tragischer Umstände in Prime geboren und aufgewachsen war, das aber in seinem Herzen stets eine Obere hatte sein wollen. Diese neue Version hatte nur wenig mit mir selbst zu tun, aber sie war eine vollwertige, überzeugte Bewohnerin des Mirrors – und nun auch dessen Herrscherin.
Die reichsten und mächtigsten Oberen waren zur Krönung aus allen Mirrorstädten angereist: Rom, Tokio, New York, Peking, Mumbai – aus jeder Ecke der Welt waren sie nach London gekommen. Die meisten von ihnen wirkten begeistert, geradezu ekstatisch. Das waren die Septemtreuen, wie Agrona sie nannte. Einflussreiche Obere, vor allem Unternehmer und vermögende Familien, denen es letztlich egal war, wer auf dem Thron saß – ihre Ehrfurcht gegenüber den Sieben kannte keine Grenzen. Ihnen würde ich nichts beweisen müssen, sie vergötterten mich schon jetzt.
Doch aus der Menge begegneten mir auch vereinzelt argwöhnische, skandalsüchtige Blicke. Die meisten davon kamen von den Magistraten, die – von den Sieben abgesehen – die ranghöchsten politischen Machthaber des Mirrors waren.
Jeder einzelne von ihnen unterstand zwar ab sofort meinem Befehl, und sie würden diesem auch folgen … aber ihren Respekt? Den musste ich mir erst verdienen. Schließlich waren die Magistrate sehr alt, sehr erfahren und schon sehr, sehr lange in ihrem Amt. Sie hatten viele Mirrorlords und Mirrorladys kommen … und auch wieder gehen sehen.
Mein Atem begann erneut zu stocken. Wieso hatte ich dem Ganzen nur zugestimmt?
Wie konnte Adam glauben, es wäre eine gute Idee, ausgerechnet mich zum Oberhaupt des Mirrors zu machen?
Denn die Wahrheit war: Ich hatte nie eine Obere sein wollen, hatte mich nie nach dem Leben im Mirror gesehnt. Ich war eine Untere, durch und durch. Selbst in Prime hatte ich zu denjenigen gezählt, die innerhalb der Gesellschaft keinerlei Bedeutung hatten. Ich war in einem heruntergekommenen Waisenhaus aufgewachsen, war Teil einer kriminellen Bande gewesen. Um irgendwie an Geld zu kommen, hatte ich Duelle in Schaukampfarenen ausgetragen. Mein Leben war bisher eine Abfolge an Ereignissen gewesen, die mich wie in einem Sog mit sich gerissen hatten.
Und nun sollte ausgerechnet ich über den Mirror herrschen?
Wir brauchen jemanden, der die beiden Welten, so unterschiedlich sie sind, vereinen kann. Jemanden, der eine Einheit schafft.
Bevor meine Mutter alles in Trümmer legt.
Adams Worte hatten sich fest in meiner Erinnerung verankert. Wir hatten hier im Thronsaal gestanden, nur er und ich, ganz allein. Das war bereits einige Wochen her, aber ich sah seinen Blick noch immer ganz deutlich vor mir. Eisgraue Augen hatten mich zu Tode erschöpft, aber voller Entschlossenheit angesehen. Was hinter uns lag, war grausam und furchtbar gewesen. Wir hatten so viel verloren – Adam hatte so viel verloren – und dann …
Dann hatte er mir eröffnet, dass er mich zur Mirrorlady ernennen wollte.
Damals hatte ich keine Worte gefunden. Während Adam mein Gesicht mit beiden Händen sanft umrahmte, hatte ich ihn nur angestarrt, und jede Zelle meines Körpers war wie betäubt gewesen.
»Was sagst du dazu?«, hatte er mich leise gefragt.
»Ich überlege, ob du den Verstand verloren hast.«
»Nein, den nicht.« Ein schmales Lächeln, dem der Schmerz und die Trauer der letzten Tage deutlich anzumerken gewesen waren. »Ich meine es völlig ernst, Rayne. Ohne die Schicksalswürfel kann ich nicht länger Mirrorlord bleiben. Ich muss abdanken. Und ich möchte, dass du meine Nachfolgerin wirst.«
»Aber …« Langsam war ich aus meiner Starre erwacht, und der pure Irrsinn von Adams Worten sickerte in mich hinein. »Wieso ich? Wieso nicht Dina, Matt, Cedric – irgendjemand, der hier aufgewachsen ist und den Mirror kennt!«
»Du musst den Mirror nicht kennen. Du wirst Agrona an deiner Seite haben und auch Tynan Coldwell als deinen Berater. Cedric, Dina, Matt – sie alle kennen den Mirror gut genug, das reicht. Du musst nur sein, wer du bist.«
Mir war nicht entgangen, dass Adam sich selbst in der Liste an Unterstützern nicht aufgezählt hatte. Doch in diesem Moment war mein Kopf zu voll mit allem gewesen, um die Tragweite seiner Worte wirklich zu verstehen. Ich hatte rein instinktiv reagiert. »Ich kann das nicht.«
Adam hatte mich eingehend gemustert, bevor er einen Schritt auf mich zugemacht, sich zu mir hinabgebeugt und seine Stirn auf meine gelegt hatte.
»Hör zu, Rayne. Ich will dir nichts vormachen. Du wirst es hassen, wahrscheinlich sogar noch mehr, als ich es getan habe. Ich weiß, dass dieser Thron dir nichts bedeutet, und mir ist bewusst, dass du dich schrecklich verloren fühlen wirst. Du hast keine Ahnung, welcher Magistrat zu welcher Familie eine gute Beziehung führt, wer sich untereinander fördert oder gegeneinander intrigiert. Dir ist das alles fremd. Aber genau deshalb musst du es sein. Weil du ein unbeschriebenes Blatt bist. Die Magistrate kennen weder deine Schwachstellen noch deine Stärken. Verstehst du? Diese Schlangengrube, die sich in den letzten Jahrzehnten gebildet hat … Sie ist ein schwarzes Loch, das meiner Mutter in die Hände spielt und das den Mirror langsam in sich verschlingt und –«
»Und was?«, hatte ich ihn zittrig unterbrochen, meine Stimme belegt von einer abgrundtiefen Angst, die ich vor niemandem preisgeben würde – außer vor Adam. »Deswegen willst du mich in diese Schlangengrube werfen? Ich bin dem nicht gewachsen, Adam. Sie werden mich auffressen.«
Adams Daumen waren zärtlich über meine Wangenknochen gewandert, dann hatte er den Kopf geschüttelt. »Im Gegenteil«, hatte er an meinen Lippen geflüstert. »Alle Schlangen werden sich die Zähne an dir ausbeißen.«
Danach hatte er mich geküsst, und dieser Kuss … Er war so voller konkurrierender Gefühle gewesen. Trauer und Entschlossenheit, Sehnsucht und Schmerz, Liebe und Verzweiflung. Adam hatte mich so geküsst, wie nur jemand küsste, der nicht wusste, wie lange er noch die Chance dazu hatte. Seine Finger hatten sich dabei fest an meinen Nacken und meinen Hinterkopf gelegt, und er hatte mich bei sich gehalten, bis die Luft in meinen Lungen knapp wurde. Und als sich unsere Blicke schließlich wieder trafen, verstummte schlagartig jeder Protest auf meinen Lippen.
Denn in diesem Moment hatte ich es ihm angesehen. Adam glaubte an das, was er sagte. Er glaubte daran, dass dieser Weg der richtige war.
Also hatte ich zugestimmt, mich zur Mirrorlady krönen zu lassen. Der Moment war schon Wochen her, aber trotzdem trieb mir die Erinnerung daran einen unwirklichen Schauer über den Rücken.
»Wir schwören, der Ersten Trägerin zu gehorchen.« Agronas Stimme erhob sich neben mir und riss mich aus meinen Gedanken. »Wir schwören, in ihrem Namen dem Mirror zu dienen.« Sie breitete die Arme aus. »Bis zum Ende.«
Ohne zu zögern, wiederholten es alle Anwesenden im Saal. Hunderte Stimmen von Hunderten Menschen, die mich nicht kannten und die mir trotzdem im Einklang die Treue schworen.
»Bis zum Ende!«
»Bis zum Ende!«
»Bis zum Ende!«
Das war mein Zeichen. Langsam und mit zittrigen Beinen stand ich von dem Hocker auf, auf dem ich bislang gesessen hatte. Das rotgoldene Kleid, das ich trug, fiel dabei in unzähligen Schichten zu Boden. Ich gab mir einen Augenblick, um tief einzuatmen, aber die Luft kam nicht in meinen Lungen an. Mein ganzer Körper schien wie betäubt. Nur Ignis, mein Sigil, das fest an meinem rechten Unterarm saß, sandte warme Impulse, die mir schließlich die nötige Kraft gaben, die ich brauchte.
Ich setzte einen Fuß vor den anderen. Dann ließ ich mich auf den Thron Septems sinken.
Der Stein war kühl, die Lehne mit dem großen Siebeneck noch viel härter, als ich es vermutet hatte. Es war nicht bequem, hier zu sitzen, aber das sollte es vermutlich auch nicht sein.
Mein Blick glitt über die Menge, doch er verweilte nirgends. Ich wusste schließlich, dass ich denjenigen, den ich so unbedingt sehen wollte, nicht unter ihnen finden würde. Adam war nicht hier. Weder im Thronsaal noch in Septem, er war nicht einmal im Mirror.
Am Ende des Tages musste ich darauf vertrauen, dass er recht behielt. Dass ich diese Rolle tatsächlich spielen konnte. Dass ich bereit sein würde, das zu tun, was der Mirror von mir brauchte. Dass ich wirklich eine Anführerin sein konnte – oder, wie Agrona es gerne sagte: ein Leuchtfeuer der Hoffnung in der düsteren Zeit, die uns allen bevorstand.
Bis zum Ende.
Später am Abend, als es bereits dämmerte und das Zwielicht vom Horizont des Mirrors über die Stadt strömte, stand ich zusammen mit Agrona auf dem höchsten Balkon des Plateaus. Es schwebte seit einigen Wochen genau dort, wo früher der Palastturm gewesen war. Mit dem Thronsaal und den Privaträumen der Sieben war das Plateau schnell zum neuen Septem erklärt worden. Darunter erstreckte sich eine Reihe ausladender Gärten, an die die verbliebenen Regierungsgebäude des Mirrors angrenzten.
Man sah diesem Ort nicht mehr an, dass er vor wenigen Monaten einem Angriff der Rebellen zum Opfer gefallen war. Wo die Trümmer des ehemaligen Palasts gelegen haben mussten, gab es nun fein getrimmte Wiesen, aufwendig gestutzte Buchsbäume und ein Meer aus Blumenbeeten, deren pudriger Duft den Abend erfüllte. In einem Marmorpavillon spielte ein Orchester, daneben stürzte ein künstlicher Wasserfall über die Fassade des Plateaus in die Tiefe, hinab in ein Becken.
Die Gäste standen in kleinen Grüppchen. Zusätzlich zu den Teilnehmern an der Krönung waren nun auch prominente Gelehrte und Künstler anwesend, und außerdem, nun ja, die Mirror-Version von Presse und Paparazzi. Schwebekameras blitzten und schwirrten umher. Zu Beginn hatte ich noch allen zugewunken, aber nachdem die ersten Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen worden waren, war die Aufmerksamkeit zum Glück von mir abgefallen.
Auf einmal wurde alles von einem bunten unwirklichen Licht umhüllt. Blendende Explosionen entfalteten sich über den Gebäuden der Stadt. Sie loderten auf und drehten sich spiralförmig umher. Glitzernde Konstellationen nahmen die Form von Schlüsseln, Schlangen, Flammen, Sonnen und den anderen Emblemen der Dark Sigils an, bevor sie in Rauchschwaden verschwanden.
Ich sah hinab auf das Meer an Menschen und auf die vielen roten Banner mit dem Ignis-Symbol, die in den Gärten platziert worden waren, und spürte, wie Gänsehaut über meine Arme wanderte.
Die letzten Tage waren als ein einziges Rauschen in meinem Kopf zurückgeblieben. Die Parade, das große Bankett, die Feierlichkeiten, die der Krönung vorausgegangen waren. Sie waren für mich nicht viel mehr als ein Störgeräusch, ein wirrer Traum, etwas, das ich einfach nicht greifen konnte.
Die meiste Zeit über war ich mir vorgekommen wie eine Marionette. Ich ging zu den Orten, an die Agrona mich schickte, schüttelte die Hände derjenigen, auf die Agrona deutete, und führte Gespräche, die sie mir vorgegeben hatte.
Ohne die alte Magistratin wäre ich verloren gewesen. Sie hatte in den letzten Wochen jede freie Minute darauf verwendet, aus mir eine brauchbare Mirrorlady zu machen. Das, was sie Adam, Dina, Matt und den anderen Trägern bereits in deren Kindheit beigebracht hatte, versuchte sie mir nun in kürzester Zeit einzuimpfen. Welcher Magistrat war für welche Stadt im Mirror zuständig? Wo lagen die Loyalitäten innerhalb der Magistrate? Von wem musste ich Ablehnung erwarten? Oder sogar Feindschaft?
Mir schwirrte der Kopf, doch die vielen neuen Informationen waren nicht die eigentliche Herausforderung. Diese bestand darin, die Feierlichkeiten rund um meine Krönung überhaupt zu ertragen. Ich hasste es, mich Tag für Tag von einer Schar an Dienern in funkelnde Kleider stecken zu lassen. Und ich hasste es, so zu tun, als wäre es in Ordnung, Feste und Paraden abzuhalten, während die Welt über unseren Köpfen – die Welt, in der ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht hatte – Tag für Tag ein bisschen mehr zugrunde ging.
Natürlich wusste ich, dass all das Teil eines größeren Plans war – eines Plans, dem ich zugestimmt hatte. Ich verstand auch, dass ich erst den Rückhalt der Oberen brauchte, um Leanore, Adams Mutter, etwas entgegensetzen zu können. Doch es änderte nichts daran, dass die vergangenen Tage sich einfach … falsch anfühlten.
Da bemerkte ich eine Berührung an meinem Arm. Als ob sie meinen Unmut spüren konnte, hatte Agrona eine Hand nach mir ausgestreckt. Etwas Weiches lag in ihrem Blick. »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich, habe ich dir das schon einmal gesagt?«
Ich lächelte sie an. »Ein- oder zweimal.«
»Ich kann nur hoffen, dass es ein nächstes Leben gibt, in dem ihr beide euch begegnen könnt. Er wäre sehr stolz auf dich.«
Ein Schnauben entwich mir. »Er hat dem Mirror den Rücken gekehrt und wollte in Prime leben. Er hat versucht, mich vor alldem hier zu verstecken. Ich glaube nicht, dass er sonderlich begeistert über meine Karrierewahl wäre.«
Agrona grunzte belustigt. Dann neigte sie den Kopf wieder zu mir. »Dein Vater war der größte Dickkopf dieses Planeten, und für die grauen Haare, die er mir beschert hat, hätte ich ihm eigentlich Strafarbeiten bis ins nächste Jahrhundert aufbrummen müssen. Aber …« Das Lächeln auf Agronas faltigen Lippen wackelte. »Am Ende war Melvin Harwood auch nur ein junger Mensch, der glücklich sein wollte. Wie jeder andere auch, nicht wahr?«
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.
Mein Glück war noch vor wenigen Wochen das Einzige gewesen, an das ich gedacht hatte. Selbstsüchtig hatte ich alles für meine Freiheit und meine eigene Chance auf Liebe getan. Und andere hatten den Preis dafür gezahlt.
Glück? Nein, der Gedanke an Glück war schon lange nicht mehr das, was mich jeden Morgen aufstehen ließ.
Es war die Schuld, die ich fühlte. Und der Drang, das, was ich angerichtet hatte, irgendwie wiedergutzumachen.
Mit flauem Magen schaute ich nach Prime. In der Welt, die kopfüber im Himmel hing, fuhren Autos als winzige Lichtpunkte auf den Straßen Central Londons. Die Skyscraper waren hell erleuchtet, und in der Ferne konnte ich die Umrisse der Outskirts erkennen. Es hatte sich nach außen hin kaum etwas verändert. Im reichen Stadtkern pulsierte das Leben, während in den Armenvierteln ums Überleben gekämpft wurde. Doch hinter den Kulissen war die Welt binnen kürzester Zeit eine vollkommen andere geworden. Sämtliche Konflikte zwischen den Ländern schienen verschwunden zu sein. Es war so friedlich wie vielleicht noch nie in der gesamten Menschheitsgeschichte. Wir wussten jedoch, welchen Preis dieser Frieden hatte: Alle wichtigen Politiker aus Prime unterstanden Leanores Willen. Sie hatte jeden einzelnen von ihnen mit Chaosmagie infiziert, und dank des Sigils, das sie trug – einer abgewandelten Kopie meines Sigils –, konnte sie diese Chaosmagie kontrollieren.
Sie hatte sich die gesamte untere Welt einverleibt.
Mit einem einzigen grausamen Schachzug.
»Ich wünschte, er wäre hier«, brach es aus mir heraus. Normalerweise konnte ich die Sehnsucht nach Adam tief in meinem Inneren verschließen, aber heute?
Heute fehlte er mir so sehr, dass ich es am liebsten laut hinab in die Gärten schreien wollte.
Im bunten Schein des Feuerwerks wirkte Agronas altes Gesicht, das mir in den letzten Wochen so vertraut geworden war, seltsam fremd. »Ich weiß, Liebes. Aber es würde all das, was wir gerade aufzubauen versuchen, zunichtemachen. Adam hat seine Magie verloren, und nach allem, was Leanore getan hat …« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Es hat einen tiefen Graben in das Ansehen der Trembletts geschlagen, und es ist wichtig, dass Adam sich vom Mirror und dem Plateau fernhält, so schwer es für euch beide auch sein mag.«
»Ja«, erwiderte ich leise. »Ich weiß.«
Das machte es nur nicht leichter.
Agrona schien den Gedanken in meinem Gesicht ablesen zu können. »Er wird in den Mirror zurückkehren. Eines Tages. Gib dem Ganzen einfach etwas Zeit.«
Zeit. Ja, genau das war das Problem. Agrona schien zu glauben, dass wir diese Zeit auch tatsächlich hatten. Doch ich war mir da nicht so sicher.
Leanore Tremblett war bei unserer letzten Begegnung völlig skrupellos gewesen. Ohne Reue hatte sie Kornelius Pelham ermordet, Agronas Vorgänger als Oberster Magistrat. Ohne Mitgefühl hatte sie Nikki ihr Sigil entrissen, und mit mir hätte sie dasselbe getan, wenn … wenn Celine nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre.
Leanore verfolgte ein klares Ziel, daran hatte ich keinen Zweifel. Doch niemand von uns wusste, was genau sie vorhatte. Genügte es ihr, die Kontrolle über die Politik Primes zu erlangen? Oder war das erst der Anfang von etwas noch viel Größerem?
Wir saßen auf einem Pulverfass, dessen Lunte wir nicht zu greifen bekamen … und folglich auch nicht sehen konnten, wenn der alles vernichtende Funke auf uns zugerauscht kam.
Am nächsten Morgen wünschte ich mir den Tag der Krönungszeremonie zurück. Denn als ich aus einem ruhelosen Schlaf erwacht war, wusste ich nur zu genau, dass mein neuer Alltag noch schlimmer werden würde als die Feierlichkeiten der letzten Tage.
Ich stand vor der großen Doppeltür des Thronsaals. Zwei Magiehäscher hatten sich links und rechts daneben positioniert und warteten darauf, dass ich ihnen ein Zeichen gab. Und das taten sie, um ehrlich zu sein, schon einige Minuten.
»Ich denke, du hast sie jetzt lange genug zappeln lassen, Flämmchen.« Zorya schaute zu mir herab, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. Seit Adams Abdankung war sie meine Leibwächterin – und sie nahm diesen Job so ernst, dass ich außerhalb meiner Privaträume nie ohne sie war.
Was mich früher wohl genervt hätte, gab mir heute ein Gefühl von Sicherheit. Mit ihrer beeindruckenden Körpergröße und der Heptagon-Tätowierung auf dem kahl rasierten Kopf hielt Zorya mir jeden Tag mehrere Dutzend Leute vom Hals. Nur leider konnte sie mich heute nicht vor denjenigen retten, die auf der anderen Seite dieser Tür auf mich warteten.
Ivon Tarrenbone, der sich um den Städtebau und die Infrastruktur des gesamten Mirrors kümmerte.
Esha Rao, verantwortlich für die Finanzen.
Und … Barnabas Pelham, der Ururenkel von Kornelius Pelham, der mit gerade einmal zwanzig Jahren überraschend von den anderen Magistraten als Nachfolger seines Vorfahren gewählt worden war und der seither den Magietransfer zwischen dem Mirror und Prime steuerte.
Abgesehen von Agrona waren sie die drei wichtigsten Magistrate, die es im Mirror gab. Sie kamen aus einflussreichen Familien und waren echte Hardliner, denen Ordnung und Tradition über alles ging.
Meine Vorfreude war unendlich gewesen, als ich erfahren hatte, dass ihnen meine erste Audienz gewährt wurde. Ich konnte es kaum erwarten.
Nicht.
Wie gern wäre ich zumindest mit Matt und Dina an meiner Seite in den Thronsaal gelaufen. Aber Agrona hatte auf einen großen Auftritt bestanden. Um deine Stärke zu demonstrieren, Liebes. Ugh! Deswegen hatten sich alle außer mir bereits im Thronsaal eingefunden: die drei Hardliner-Magistrate, Matt, Dina, Agrona und auch Matts Vater, Tynan Coldwell, der früher Adams Berater gewesen war – und nun meiner.
Ich straffte die Schultern und ließ meine Gesichtszüge undurchdringlich werden. Du bist jetzt die Mirrorlady. Sie sollten nervös sein, nicht du. Nur wieso raste mein Herz dann so schnell, als wollte es mir aus der Brust springen?
Ein Blick zu Zorya, schon gab sie ihren Magiehäschern ein Zeichen. Sie griffen an die beiden Türhälften und zogen sie gleichzeitig nach außen. Ich zögerte nicht und lief voran. Der neue Thronsaal hier im Plateau war zwar nicht mehr so groß, wie es der ursprüngliche gewesen war, aber groß genug, dass das Klacken meiner Schritte von den hohen Wänden widerhallte. Die Köpfe der Anwesenden drehten sich in meine Richtung, und es dauerte genau zwei Sekunden. Dann gingen sie alle vor mir auf die Knie.
O Gott. Daran würde ich mich definitiv niemals gewöhnen.
Ich lief direkt auf die drei Magistrate zu. Ivon Tarrenbone war ein älterer, etwas korpulenter Mann mit wenigen verbliebenen Haaren auf dem Kopf. Er hatte einen Spitzbart, eine breite Nase und dünne Augenbrauen. Außerdem trug er viele Ohrringe und ein Sigil-Medaillon mit einem rautenförmigen gelben Kristall um den Hals. Rechts neben ihm erkannte ich Esha Rao. Soweit ich wusste, war sie etwas jünger als Agrona, aber dadurch, dass sie sich weniger farbenfroh kleidete und die Haare streng hochgesteckt hatte, wirkte es nicht so.
Und schließlich Barnabas Pelham. Seine schwarzen glatten Haare fielen von einem perfekten Mittelscheitel hinab über seine Schultern. Er hatte auffällig schneeweiße Haut, scharfkantige Wangenknochen und trug einen tiefschwarzen Brokatmantel über einer grauen Weste. Ein ebenfalls schwarzer Schal wurde vorne von einer Sigil-Brosche zusammengehalten. Es war ein Siebeneck mit einer Krone in der Mitte – ein Zeichen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die starren, etwas auseinanderstehenden Augen und der beinahe unnatürlich zusammengekniffene Mund erinnerten mich sofort an Kornelius Pelham, trotzdem war sein Ururenkel ohne jeden Zweifel attraktiv. Und das schien er auch zu wissen.
Typ Arschloch, dachte ich und schämte mich gleichzeitig, dass ich so vorschnell urteilte. Wahrscheinlich sollte ich den dreien zumindest eine Chance geben.
Ich lief an ihnen vorbei und nahm auf dem steinernen Thron Platz. Dann gab ich allen ein Zeichen, sich wieder zu erheben. Während der Gesichtsausdruck von Barnabas Pelham völlig unleserlich blieb, glotzten Rao und Tarrenbone mich unverhohlen an. Ich ahnte, wie anders ich heute in ihren Augen aussehen musste, jetzt, da ich kein dramatisches Krönungskleid samt Make-up trug, das mich locker fünf Jahre älter hatte wirken lassen. Heute hatte ich zum ersten Mal wieder meine üblichen Klamotten an: einen einfachen dunkelroten Mantel, Hose und Shirt.
Wahrscheinlich schoss ihnen durch den Kopf, wie wenig ich auf einmal nach einer Mirrorlady aussah – und wie sehr nach einer Unteren. Aber ich würde mich nicht davon verunsichern lassen.
Es ist gut, wenn sie dich unterschätzen, hatte Lily mal zu mir gesagt, auch wenn es mir vorkam, als wäre das in einem anderen Leben passiert.
Die Magistrate und alle anderen setzten sich auf die steinernen Sitzbänke, die mit etwas Abstand vor dem Thron platziert waren. Nur Zorya und die beiden Magiehäscher blieben in meiner Nähe stehen.
Agrona räusperte sich. »Mylady, würdet Ihr mir erlauben, einige einleitende Worte zu sagen?«
Es war abgesprochen, dass Agrona mir diese Frage stellen würde, also nickte ich knapp. Von mir aus musste sie sich auch nicht auf einleitende Worte beschränken. Von mir aus konnte sie die gesamte verdammte Audienz übernehmen.
Agrona neigte dankbar den Kopf, dann wandte sie sich an die drei Magistrate. »Wie ihr wisst, wurde der Mirror vor dreihundertfünfundsiebzig Jahren von den sieben Trägern der Dark Sigils erschaffen. Bis heute sind wir stolz darauf, uns als Teil einer höheren Ordnung zu betrachten, die der Magie Herr werden konnte.« Sie deutete auf mich. »Die Krönung einer neuen Mirrorlady wäre normalerweise ein glücklicher Anlass für unsere Welt, um in den nächsten Wochen den Frieden und den Zusammenhalt unter allen Mirrorstädten zu feiern. Aber wir leben in düsteren Zeiten. Kornelius Pelham und Celine Attwater sind nur zwei von vielen Opfern, die vor wenigen Wochen grausam ermordet wurden. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass Leanore Tremblett dafür verantwortlich ist. Sie hat ihren eigenen Tod vorgetäuscht und operiert seither im Verborgenen. Sie ist eine Destabilisatorin und eine Fanatikerin. Und wenn wir sie gewähren lassen, wird es eine Rückkehr zu den dunklen Tagen geben, als Prime von den katastrophalen Auswirkungen unserer Magie heimgesucht wurde. Die Frage ist nun, ob wir die Augen davor verschließen … oder ob wir handeln.«
Die Magistrate ließen sich nicht anmerken, was sie von Agronas Rede hielten. Und auch Dina und Matt saßen reglos da, ihre Gesichtsausdrücke so neutral, wie es meiner hoffentlich auch war.
Agrona hatte mir versichert, dass die Magistrate unseren Plänen letzten Endes nur zustimmen konnten – so lief es nun einmal bei einer Alleinherrschaft. Aber sie wurde auch nicht müde zu betonen, dass es leichter wäre, wenn ich die drei überzeugen könnte und damit ihre Zustimmung freiwillig bekäme. Wir brauchten im Kampf gegen Leanore die Soldaten, die Magie und die Sigils, die im Besitz der Magistrate waren. Und deshalb mussten wir – musste ich – Hardliner Nummer eins und zwei sowie den Pelham-Enkel unbedingt auf unsere Seite ziehen.
»Eine Fanatikerin?«, fragte Ivon Tarrenbone nach einer kurzen Pause, den Blick auf Agrona gerichtet. »Leanore Tremblett war unsere Mirrorlady und hat viele Jahre diese Welt geführt. Nicht unerfolgreich, möchte man meinen. Ich denke, das Wort Fanatikerin ist vielleicht doch etwas respektlos, findest du nicht, Agrona?«
»Ivon«, sagte Agrona, als würde sie mit einem alten Freund sprechen. »Ich denke, du weißt dank deiner Funktion besser als jeder andere, wie viele Orte es im Mirror gibt, die aufgrund der Chaosmagie-Bündelungen unbewohnbar geworden sind. Leanore hätte das verhindern – oder zumindest den Schaden minimieren – können. Aber das hat sie nicht. Sie hat die Verbreitung der Chaosmagie jahrelang befeuert. Und in Prime wird dasselbe geschehen. Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, wie sie damals bei dem großen Empfang hier auf dem Plateau gewütet hat.«
»Wir wollen es nicht leugnen«, hakte Esha Rao ein. Sie hatte beide Arme über dem Schoß gefaltet und bewegte sich kaum einen Millimeter, während sie redete. »Aber es ist eine Frage der Perspektive. Leanore Trembletts Pläne fußen darauf, dass sie mit Hilfe der Chaosmagie eine Vielzahl von Menschen kontrolliert, oder nicht? So wie wir es sehen, wird das Ganze wie folgt enden: Diese Menschen werden früher oder später an der Infektion sterben, und ja, das ist tragisch, aber es führt auch dazu, dass Leanore Tremblett die Kontrolle über Prime nicht aufrechterhalten kann. Ihr werden die eigenen Marionetten nach und nach wegbröckeln, und egal, wer sie hier im Mirror war, sie wird keine neuen Befürworter finden. Das, was wir gerade in Prime sehen, ist der verzweifelte Versuch einer Frau, sich an die Reste ihrer Macht zu klammern. Aber sie hat sich übernommen, und das Problem wird sich von selbst lösen. Ganz ohne unser Zutun.«
Ich starrte Rao an. Verstand ich sie gerade richtig?
»Sie wollen also einfach zusehen?«
Die Magistratin wandte den Blick mit einem schmallippigen Lächeln zu mir. »Mylady, bitte verzeiht, dass ich so offen spreche, aber ich und eine Vielzahl anderer Magistrate sind der Meinung, wir sollten uns auf den Mirror konzentrieren. Wir haben, nun … selbst recht große Probleme.«
Tarrenbone stimmte mit einem ernsten Blick zu. Nur Barnabas Pelham schwieg weiterhin eisern.
Meine Hände verkrampften sich um die Armlehnen des Throns. Ich wusste bereits von Agrona, dass selbst diejenigen Magistrate, die Septem gegenüber loyal waren, mit den Entwicklungen im Mirror nicht gerade zufrieden waren. Vor allem damit, wie viel Unordnung die neue Generation der Sieben in ihren Augen angerichtet hatte.
Sebastian war auf Leanores Seite gewechselt, weil er Mirrorlord hatte werden wollen. Celine war gestorben, und Cedric hatte als ihr Bruder deren Sigil übernommen. Leanore hatte wiederum Nikkis Sigil in ihren Besitz gebracht. Und die Schicksalswürfel – das mächtigste der Dark Sigils – waren ohne Träger.
Das alles suggerierte nicht gerade Stabilität für den Mirror.
Und die Oberen standen ganz furchtbar auf Stabilität.
»Wenn du nicht verstehst, dass unsere Probleme derzeit zweitrangig sind«, sagte Agrona an Rao gewandt, »dann hast du, fürchte ich, den Ernst der Lage nicht erkannt.«
Rao wedelte bloß mit der Hand. »Bitte, Agrona. Wenn ich so sehr im Dunkeln tappe – erleuchte mich.«
»Leanore hat gegen ein Prinzip verstoßen, das auf Blut und Schweiß, auf Tränen und Opfern vieler Generationen aufgebaut wurde. Der Mirror sollte Prime vor den dunklen Seiten der Magie schützen. Stattdessen hat Leanore, während ihrer Zeit als Mirrorlady, Prime der Chaosmagie preisgegeben und hat es nun geschafft, mit einem Schlag sämtliche Regierungschefs unter ihre Kontrolle zu bringen. Unser Kontakt zu den Ländern ist vollkommen abgebrochen! Und jegliche Versuche, Treffen zu organisieren, werden ignoriert! Selbst wenn die derzeitigen Regierungsmitglieder an den Infektionen sterben, kann Leanore sich dank ihrer Ignis-Replik, immer wieder neue Lakaien schaffen. Unser Ziel muss es deshalb sein, Prime zu befreien.«
»Warum?«
»Warum?« Ich starrte Esha Rao fassungslos an. Hatte sie das gerade ernsthaft gefragt?
Die Magistratin hob eine fein getrimmte Augenbraue. »Ich sehe schlichtweg nicht, wieso wir in Aufregung geraten sollten. Die Schutzmaßnahmen, die ich in den letzten Wochen autorisiert habe, sind mehr als ausreichend. Die Barriere, die den Mirror von Prime abschirmt, wurde unter hohen Kosten mit weiterer Magie und Sigils verstärkt. Wir befinden uns in Sicherheit. Und deshalb sollten wir uns nicht damit befassen, was in Prime passiert. Sondern hier, in der echten Welt.«
Hätte ich es nicht mit eigenen Ohren gehört, ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie ignorant ein Mensch sein konnte.
»Prime ist die echte Welt!«, presste ich mit bebender Stimme hervor – ich konnte mich einfach nicht mehr zurücknehmen. »Und der Mirror wird ohne Prime keine Zukunft haben, ganz egal, wie mächtig die Schutzbarriere auch ist.«
Einige Sekunden kehrte Stille ein, und ich hoffte schon, die drei würden nun endlich einlenken. Doch da meldete sich Barnabas Pelham zum ersten Mal zu Wort.
»Was ist mit Leanores Sohn?«, fragte er mit überraschend melodischer Stimme. »Was ist mit dem ehemaligen Mirrorlord? Es heißt, er sei ebenfalls in Prime. Hat er sich seiner Mutter angeschlossen?«
Bitte was?
Ich öffnete den Mund, um Pelham so höflich wie möglich zu sagen, dass ich ihm mit meinem Magieschwert eine Kurzhaarfrisur verpassen würde, wenn er es noch einmal wagen sollte, einen derartigen Verdacht zu äußern. Doch Agrona war schneller.
»Adam Tremblett ist nach dem Verlust seiner Magie für die Situation nicht mehr relevant.«
Die Worte versetzten mir einen Stich ins Herz. Es tat weh, Agrona so über Adam reden zu hören – dabei wusste ich, dass sie es nur tat, um ihn und uns alle zu beschützen.
Bislang war es für die Oberen und auch für die Magistrate ein großes Mysterium, wie genau ihr Mirrorlord sein Dark Sigil verloren hatte. Niemand wusste etwas von der Schattenathame oder ihrer Fähigkeit, die Sigils mit nur einem Schnitt von ihren Trägern zu lösen. Und das musste auch so bleiben – genau wie es ein Geheimnis bleiben musste, wo Adam und Nikki seither waren und was sie taten.
Trotzdem wünschte ich mir oft, ich könnte die Wahrheit erzählen. Dann würden sie endlich aufhören, diese Gerüchte über die beiden zu streuen: dass ihre Sigils sie abgestoßen hätten. Dass sie ihrer Magie nicht mehr würdig gewesen wären. Dass sie nun gegen den Mirror arbeiteten.
Vor seinem Aufbruch hatte Adam versucht, mich vorzuwarnen. Er hatte vorhergesehen, dass seine Familie jegliches Ansehen verlieren würde und mir deutlich zu verstehen gegeben, ich solle mich deshalb nicht verrückt machen – aber es fiel mir schwer.
Der Mirror hatte Adam wie einen Gott verehrt.
Und jetzt?
Jetzt waren die Trembletts Hochverräter.
»Kommen wir zurück zum Thema«, sagte Agrona. »Wir wollen alles, was in unserer Macht steht, unternehmen, um Prime von der Chaosmagie – und von Leanore Tremblett – zu befreien. Dafür müssen wir vereint agieren.«
Barnabas Pelham schaute erst zu Ivon Tarrenbone, dann zu Esha Rao, und es war dieser Moment, in dem es mir bewusstwurde: Die drei hatten sich vorher abgesprochen. Ich konnte es deutlich in ihren Gesichtern ablesen. Der Verlauf dieses Gesprächs wunderte sie kein Stück, im Gegenteil.
Es lief haargenau so, wie sie es sich erhofft hatten.
»Wir sind einverstanden«, sagte Pelham gönnerhaft. »Bereits mein Ururgroßvater wusste, dass wir alle Ressourcen dafür einsetzen müssen, die Stabilität der Welt zu bewahren.«
Stabilität. Da war es wieder – das Zauberwort. Die Frage war nur, welchen Preis diese Stabilität haben würde.
»Allerdings«, setzte Pelham da auch schon nach, »halten wir es für unabdinglich, die Sicherheit des Mirrors dabei nicht außer Acht zu lassen. Die Dark Sigils wurden bereits vor zwei bis drei Jahren an die neue Generation übergeben. Und bislang gibt es keinerlei Anzeichen, dass die jeweiligen Erbfolgen gesichert werden.«
Mir musste der Mund offenstehen, als ich begriff, worauf der Typ hinauswollte. Pelham wollte ernsthaft darüber sprechen, warum noch niemand von uns verheiratet war!
Auf einmal fühlte es sich an wie in meiner Zeit im Waisenhaus, als ich meine Wutausbrüche gegen Lazarus und die anderen Nightserpents einfach nicht hatte kontrollieren können. Ich knirschte mit den Zähnen und hasste mich selbst dafür, wie leicht dieser Typ mich reizen konnte.
»Daran trägt ebenfalls Leanore Tremblett die Schuld«, schaltete sich da erstmals Tynan Coldwell in das Gespräch ein. »Zwei Hochzeiten standen bereits plangemäß bevor. Dass beide Verlobungen aufgelöst wurden, war niemals –«
»Das ändert nichts an der derzeitigen Lage«, unterbrach Esha Rao Matts Vater mit einem schmalen Lächeln. »Ich denke, da sind wir uns einig. Wenn wir unsere komplette Aufmerksamkeit auf die Krise in Prime lenken und dabei nicht beachten, dass sich eine neue, weitaus größere Krise hier mitten unter uns anbahnt, handeln wir verantwortungslos. Verlieren wir die Kontrolle über die Dark Sigils, verlieren wir alles. Die Erbfolgen müssen gesichert werden.«
»Sie hat recht«, sagte Tarrenbone. »Die aktuelle Übergangsphase ist die unruhigste, die wir seit Jahrhunderten erleben. Man hat an Ignis gesehen, was passiert, wenn auch nur ein Dark Sigil nicht rechtzeitig weitergereicht wird. Soweit wir wissen, ist Sebastian Lacroix mit Divinus verschwunden, und Solis befindet sich bei der Tochter von Leanore Tremblett, deren Blutlinie für dieses Sigil gar nicht geeignet ist – es ist Wahnsinn! Deshalb sollte die erste Aufgabe sein, diejenigen Sigils, die noch in unserem Besitz sind, zu sichern. Schnellstmöglich.«
»Ich …«, setzte ich an, wusste aber nicht, was ich antworten sollte.
Da sah ich, wie Matt sich auf seinem Platz aufrichtete. Sein Gesichtsausdruck war ernst, er schaute überallhin, aber nicht zu mir. »Meine Verlobung wird in Kürze stattfinden«, sagte er. »Die Gespräche mit der potenziellen Familie sind bereits im Gange.«
»Das Gleiche gilt für mich«, stimmte Dina ein, und ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete.
Sie wollten sich beide verloben? Aber … wann? Mit wem?
Und wieso hatten sie mir nichts davon erzählt?
»Wie erfreulich!« Tarrenbone wirkte wie eine Katze, die gerade einen vollen Napf Milch ausgeschleckt hatte. Sein zufriedener Blick richtete sich auf mich. »Natürlich wäre es ein großes Zeichen, wenn unsere Erste Trägerin ebenfalls –«
»Das wird sie«, unterbrach ihn Agrona, noch bevor ich reagieren konnte – zum Beispiel, indem ich Tarrenbone ins Gesicht spuckte. »Zu gegebener Zeit.«
Ja genau. Wenn ich neunzig war!
Agrona warf mir einen flüchtigen, aber ernsten Blick zu, der wohl so viel sagen sollte wie: Bitte verlier jetzt nicht die Beherrschung. Sie wirkte auf einmal ziemlich beunruhigt, und als Barnabas Pelham sich wieder einschaltete, wusste ich auch, warum.
»Das ist in der Tat ein gutes Zeichen. Aber es genügt nicht. Die größte Katastrophe ist mit Abstand, dass Alius und Etas noch nicht an eine neue Familie übergeben wurden.«
Die Worte durchdrangen meinen Geist wie eisige Tropfen, die plötzlich auf meine Haut prasselten, während mein Verstand versuchte, die Tragweite dessen, was Pelham da sagte, zu erfassen.
Darauf hatten es die drei also abgesehen, und zwar von Anfang an.
Es ging ihnen um Alius und Etas.
Für mich war es unvorstellbar, dass jemand anderes als Adam die Schicksalswürfel tragen könnte. Denn ihre Magie war untrennbar mit der meines Sigils verbunden, und das schon seit Generationen. Wir kannten den Grund dafür nicht, wussten nicht, wieso oder warum Ignis und Alius und Etas derart aufeinander reagierten, aber Adam und ich hatten sogar die Gedanken und Gefühle des anderen hören können. Als ob wir uns auf einer Ebene begegnet waren, die jenseits des reinen Verstandes lag. Anfangs hatten wir uns noch dagegen gewehrt, aber dann … hatte unsere Magie eine Verbindung zueinander gefunden.
Und wir ebenso.
Die Verbindung war in der Sekunde erloschen, als Celine mit der Schattenathame die Schicksalswürfel von Adam getrennt hatte. Und ich versuchte zu akzeptieren, dass er sie nie wieder würde tragen können. Aber dass jemand anderes es tat …
Wie sollte ich je damit klarkommen? Und was noch viel schlimmer war: Was konnte ich dagegen sagen?
Objektiv gesehen ergab es keinen Sinn, die Schicksalswürfel unter der Glasglocke mit den Magiehemmern zu bewahren, so wie wir es die letzten Wochen getan hatten. Alius und Etas waren unsere stärkste Waffe – mit ihnen konnten wir die Zeit zurückdrehen und damit alles ungeschehen machen, was Leanore anrichtete. Wenn es hart auf hart kam, wären wir ihr einen entscheidenden Schritt voraus.
Es gab keinen guten Grund, es hinauszuzögern.
Pelham tauschte noch einmal einen Blick mit Rao und Tarrenbone aus, die ihm daraufhin zunickten. Dann zog er einen Zettel aus seiner Manteltasche hervor und kam damit auf mich zugelaufen.
»Es wird Zeit, einen neuen Träger zu ernennen«, sagte er, als er unmittelbar vor dem Thron stand. »Sobald Alius und Etas wieder in sicherer Hand sind, sehen wir die Stabilität des Mirrors so weit gewährleistet, dass wir unseren Beitrag zur Rettung Primes leisten werden.«
»Wie gut vorbereitet du doch bist, Barnabas«, sagte Agrona mit spitzem Tonfall. »Und wen hattet ihr im Sinn?«
Meine Finger zitterten ganz schwach, als ich den Zettel von Pelham entgegennahm. Ich faltete ihn auseinander und überflog die Zeilen, die darauf standen. Es war keine lange Liste mit Vorschlägen, wie ich es zunächst vermutet hatte. Stattdessen prangte ein einziger Name auf dem Papier. Vorname und Nachname. Gefolgt von einer ganzen Reihe an Unterschriften, die wohl von Befürwortern stammten.
Langsam schaute ich auf und sah, wie Barnabas Pelham, der bislang kaum eine Miene verzogen hatte, mich vielsagend anlächelte.
»Wen wir im Sinn haben? Nun … mich.«
»Er hat eindeutig den Verstand verloren!«
Ein Klirren. Und noch eins. Dann ein Keuchen, ein Stöhnen, gefolgt von Klirren Nummer drei.
»Ein Magistrat als Sigil-Träger?« Wütendes Schnauben. »Das gab es in der gesamten Geschichte des Mirrors noch nie!«
Ich lag rücklings auf dem Sofa und hielt die Augen geschlossen. Dadurch konnte ich nicht sehen, wer auf der Trainingsmatte in der Mitte des Raumes gerade die Oberhand hatte. Aber anhand der puren Rage, die in Dinas Stimme zu hören war, hatte Matt heute wohl keinerlei Chance gegen sie.
»Wer denkt er, wer er ist?« Wieder ein Klirren, und ich spürte die Wucht des Schlages förmlich in meinen Knochen. »Er ist noch nicht mal einen Monat im Amt und verlangt von uns, ihm ein Dark Sigil zu schenken?« Metall schlug auf Metall, immer drängender und schneller. »Ich meine – hat der Kerl sie noch alle?!«
Ich tastete nach Echos samtigem Fell, der in seiner Raubkatzengestalt locker die Hälfte des Sofas einnahm. Seit Wochen kehrte er ständig zu mir zurück und leistete mir Gesellschaft, mal in seiner Vogelgestalt, dann wieder zerstäubte sein Körper zu Magiepartikeln und verwandelte sich wie jetzt in eine Katze.
»Dina«, hörte ich Matt sagen – wobei flehen wohl das passendere Wort war. »Auszeit. Bitte.«
Ich streichelte Echo noch einmal über den Kopf, dann öffnete ich schließlich doch die Augen. Dina lief wie ein eingesperrter Tiger umher, der zu viel Energie in sich hatte und nicht wusste, wohin damit. Auf ihren nackten Armen und Beinen leuchteten die Lichtmale grünlich auf, und Anguis lag als Peitsche fest in ihren Händen.
Auch Matts Magie war auf seinem freigelegten Oberkörper zu sehen, als ein Hauch lilafarbener Symbole. Im Gegensatz zu Dina lief er jedoch nicht umher, sondern lag flach auf dem Rücken und starrte an die Decke, während sein Brustkorb sich angestrengt hob und senkte.
»Ihm muss doch klar sein, dass du niemals zustimmen wirst«, fuhr Dina fort und schaute dabei für eine Millisekunde zu mir, bevor sie sich weiter daranmachte, Gräben in die Trainingsmatte zu laufen. »Warum solltest du auch? Du kannst jeden wählen. Und selbst wenn das den Magistraten nicht passt … Was sollen sie schon machen? Streiken?«
»Dina …«, versuchte ich, in ihre Schimpftirade einzuhaken.
»Ich baue ihm einen Kummerkasten, an den er sich mit seinem Rumgeheule wenden kann. Dieser Typ ist unfassbar! Barnabas Pelham«, äffte sie. »Genauso fischgesichtig wie sein unausstehlicher Uropa. Ich würde ihm seine Glupschaugen am liebsten in den Schädel drücken und –«
»Dina!«
Ich hatte mich auf dem Sofa aufgesetzt und meine Stimme erhoben, was zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich Wirkung zeigte. Dina hielt inne, wickelte Anguis zurück um ihre Taille und verschränkte dann die Arme vor der Brust.
»Was?«, gab sie zurück. »Sag nicht, ich hätte unrecht.«
»Dass er wie ein Fisch aussieht?«
»Dass er das nicht machen kann!« Dina warf die Hände in die Luft. »Er kann nicht einfach fordern, der nächste Träger von Alius und Etas zu werden. So funktioniert das nicht. Ich meine … es ist doch wohl offensichtlich, dass die Magistrate nur deshalb einen so jungen Typen ins Amt erhoben haben, um endlich eine Chance auf wirkliche Macht zu bekommen. Aber es ist egal, wie viele Unterstützer für Pelham bürgen, wir treffen die Auswahl.« Dina schaute nach unten, wo Matt noch immer zu ihren Füßen lag. »Kannst du vielleicht auch mal was sagen?«
Matt stöhnte bloß leise und gequält. »Ich glaube, ich verblute innerlich.«
Dina verdrehte die Augen. »Sei kein Baby, du hast schon viel Schlimmeres eingesteckt.« Sie streckte Matt eine Hand entgegen. Unter lautem Ächzen zog er sich auf die Beine und humpelte dann zu dem Regal, in dem Handtücher und Trinkflaschen bereitstanden. Wenig später ließen sich beide zu Echo und mir auf das Sofa sinken. Dina hob Echos Hinterbeine auf ihren Schoß und streichelte ebenfalls über seinen Rücken, den Blick mürrisch auf einen unsichtbaren Punkt irgendwo im Zimmer gerichtet.
Wir befanden uns in der neuen Bastion. Das alte Gemeinschaftszimmer, das seit Generationen in der Hand der Sieben gewesen war, war zusammen mit dem Rest des Palasts in die Luft gesprengt worden. Der neue Raum hier auf dem Plateau, der sich in den letzten Wochen schleichend zu unserem Haupttreffpunkt entwickelt hatte, war nicht mal halb so groß und hatte auch nicht mehr so viel Charme. Zwar standen ein gemütliches Sofa, ein paar Sessel und ein Tisch neben dem Trainingsbereich, aber es fehlte Matts Sammlung an Lustige-Sprüche-Tassen, und statt der kultigen Filmposter waren die Wände völlig kahl.
Doch Bastion 2.0, wie Matt sie nannte, hatte eine besondere, sehr exklusive Eigenschaft, die sie zum schönsten Raum im neuen Septem machte.
Sie gehörte nur uns. Nicht einmal Agrona hatte hier Zutritt. Und selbst Zorya wartete draußen.
»Wie kannst du nur so ruhig bleiben?«, fragte Dina mich, die Stirn in Falten gelegt. »Du denkst doch nicht ernsthaft drüber nach, ihm die Schicksalswürfel zu geben, oder?«
Ich schnitt sofort eine Grimasse. »Nicht wenn ich es irgendwie verhindern kann.«
Das Problem war: Ich wusste nicht, ob ich es tatsächlich verhindern konnte. Dass ein Magistrat ein Dark Sigil führte, war noch nie vorgekommen, aber das hieß nicht, dass es nicht möglich war. Barnabas Pelham war viel jünger als die anderen Magistrate. Ja, auch er würde heiraten und einen Erben zeugen müssen, aber bis sein Kind alt genug war, könnte er Alius und Etas führen.
»Es ist deine Entscheidung«, sagte Dina zu mir. »Die Magistrate testen offensichtlich ihre Grenzen aus. Aber am Ende des Tages sind das alles nur Machtspielchen. Sie werden akzeptieren, wenn du nein sagst.«
Das mochte sein. Aber die Argumente, die Pelham, Tarrenbone und Rao vorgebracht hatten, ließen sich trotzdem nicht einfach beiseitewischen. Und sie wussten genau, dass wir auf sie angewiesen waren.
Ich streichelte über Echos weißen Stirnfleck und fragte mich, was Cedric mir wohl geraten hätte. Ich vermisste ihn und seine ruhige Art so sehr. Aber nach dem Verbindungsritual mit dem Saphirschlüssel hatte er sich sofort mehrere