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Der Mann, der zu träumen wagte. Der stille, junge Buchhändler Werner Quabs liest am liebsten Bücher von aufregenden Abenteuern. Er träumt davon, in die Ferne zu ziehen und der Enge seines gleichförmigen Lebens zu entkommen. Bis er eines Tages unverhofft seinen Mut unter Beweis stellen muss: In seinem Städtchen ist ein Löwe aus dem Zirkus ausgebrochen. Doch als es darum geht, das Raubtier wieder einzufangen, beginnt mit einem Mal ein ganz anderes Abenteuer.
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Seitenzahl: 77
Rudolf Ditzen alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).
Der Mann, der zu träumen wagte.
Der stille, junge Buchhändler Werner Quabs liest am liebsten Bücher von aufregenden Abenteuern. Er träumt davon, in die Ferne zu ziehen und der Enge seines gleichförmigen Lebens zu entkommen. Bis er eines Tages unverhofft seinen Mut unter Beweis stellen muss: In seinem Städtchen ist ein Löwe aus dem Zirkus ausgebrochen. Doch als es darum geht, das Raubtier wieder einzufangen, beginnt mit einem Mal ein ganz anderes Abenteuer.
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Hans Fallada
Das Abenteuer desWerner Quabs
Roman
Inhaltsübersicht
Über Hans Fallada
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Text
Impressum
In einer kleinen norddeutschen Stadt lebte vor mehreren Jahrzehnten ein Buchhandlungsgehilfe mit dem Namen Werner Quabs. Nach vollendeter Schulzeit war Werner Quabs, da für die Landarbeit völlig untauglich, von seinem Vater in die Stadt und in die Buchhandelslehre gebracht worden mit den Worten:
»Da! Nehmen Sie ihn, Herr Rathsack, und sehen Sie zu, was Sie mit ihm anfangen können! Für Vieh und Acker taugt der Junge jedenfalls nichts. Setze ich ihn zum Melken unter eine Kuh, so finde ich ihn nach einer halben Stunde genau so wieder, wie ich ihn hingesetzt habe: auf dem Melkschemelchen, den leeren Eimer zwischen den Knien. Nur der Kuh ist es langweilig geworden, und sie ist fortgegangen, ohne dass es der Werner auch nur gemerkt hat … Schlafen? Wenn es nur Schlafen wäre! Auch der längste Siebenschläfer wacht einmal auf. Nein, der Bengel träumt, ich möchte nur wissen, von was er ewig träumt!«
Ja, von was träumte der Lehrling und spätere Gehilfe Werner Quabs allezeit? Oft sah ihn sein Lehrherr und Arbeitgeber in den kommenden Jahren misstrauisch von der Seite an. Von was träumte Werner –?
»An was denkst du wieder, Bengel? Solltest du nicht die Remittenden heraussuchen, registrieren und verpacken?! Nun? Wird’s bald?! An was hast du gedacht –?!«
»An nichts, Herr Rathsack!«
Es war zum Verzweifeln! Da lief ein Junge umher wie ein Baum, starkknochig, fast ein Riese, mit merkwürdig hellen, sehr großen Äugen im Gesicht, und war nicht wach zu kriegen für dieses Leben, das er doch lebte! Lief umher –? Stand da und dort, träumte in den Ecken, nahm für einen Kunden ein Buch aus dem Regal, reichte es schon über den Ladentisch – und vergaß urplötzlich Tisch, Kunden, Buch so völlig, dass der aus seiner Hand fallende Band wohl den Kunden, nie aber den Jungen erschreckte.
»An was hast du nun wieder gedacht, verfluchter Bengel?!«
»An nichts, Herr Rathsack!«
»Ich schicke dich zurück zu deinem Vater, Werner! Heute noch!«
»Jawohl, Herr Rathsack!«
»Aber dein Vater nimmt dich bestimmt nicht wieder auf! Und was willst du dann anfangen?«
»Das müsste ich mir erst überlegen, Herr Rathsack … Vielleicht würden Sie mich wieder nehmen, ja, bitte –?«
Es war, um sich die Haare Stück für Stück jedes einzeln auszuraufen! Er war noch gar nicht hinausgeworfen und bat schon wieder herzlich um Aufnahme!
»Werner, Junge, ich bitte dich: wache doch endlich auf! Du kannst doch nicht dein ganzes Leben verträumen! Sage mir wenigstens, an was du denkst! Vielleicht kann ich dir helfen … Also, an was denkst du ewig?«
»An nichts. Ganz bestimmt an nichts, Herr Rathsack!«
Und dabei sah Werner Quabs seinen Dienstherrn mit den großen, hellen Augen so strahlend offen an, dass der ihm fast geglaubt hätte.
»Aber er lügt doch, er lügt ganz bestimmt!« sagte Herr Rathsack dann hinterher zu seiner Frau. »Er hat was stecken im Kopfe – und ich komme auch noch dahinter!«
»Er wird es schon noch einmal von selbst verraten«, meinte dann die Eheliebste tröstend. »Das ist bei ihm wie bei den jungen Mädchen, die sich zum ersten Mal verliebt haben. Die möchten auch ihre Liebe ganz für sich allein behalten – und plötzlich weiß sie die ganze Welt, und sie steht sogar im Blättel. Lass ihm nur Zeit!«
»Ich komme ihm noch auf die Schliche!« murrte Herr Rathsack drohend.
Und er versuchte es auf verschiedene Weisen. Er gab dem Jungen Kriminalromane und Abenteuerbücher zu lesen, süße Liebesgeschichten und technische Abhandlungen, die Erlebnisse der Erfinder und Naturforscher –: er entdeckte keine Vorliebe, keine Abneigung bei dem Lehrling. Er beobachtete ihn heimlich auf seinen Gängen, horchte nach, wie Quabs seine freien Sonntage verbrachte, drang unter den fadenscheinigsten Vorwänden in die Feierabendstille seiner Bude, behielt ihn scharf im Auge, wenn er junge Mädchen bediente und reizende Frauen, schenkte ihm einen Hund, später ein Fahrrad – und erfuhr nichts!
Trotz aller Listen musste Herr Rathsack sterben, ohne dem Bengel auf die Schliche gekommen zu sein. »Lass ihn immer die Buchhandlung allein für dich führen«, sprach Herr Rathsack tröstend auf seinem Sterbebett zu seiner Frau. »Anständig ist er, solide ist er, und ein ganz tüchtiger Buchhändler ist er schließlich doch noch geworden, trotz seiner Träumerei – durch mich! Wenn du nur erfahren könntest …«
»Was denn –? Mein Guter, Lieber, was soll ich denn erfahren –?«
Aber Herr Rathsack war schon dorthin gegangen, wo es ihm bestimmt keine Beschwerden mehr machte, an was sein Gehilfe Werner Quabs eigentlich dachte. Für was ein so starker, freundlicher junger Mensch eigentlich all seine Kräfte aufsparte, welche Aufgabe er in dieser Welt vor sich sah, welchen unmöglichen, ihm unbedingt auszuredenden Heldentaten er eigentlich entgegen träumte …
Zwei Tage blieb die kleine Buchhandlung, die einzige des Städtchens, geschlossen: an Herrn Rathsacks Todestag und an Herrn Rathsacks Beerdigungstag. Dann wurden die gelben Vorhänge wieder hochgezogen, und nun wirkte Herr Werner Quabs allein, ohne Herrn und Beobachter, in dem kleinen Laden.
Zuerst schien alles unverändert. Unverändert freundlich und träumerisch gab Werner Quabs seine Ratschläge für ein gutes Buch zur Konfirmation, dekorierte zu Weihnachten wie eh und je ein klassisches und ein modernes Bücherfenster, sorgte rechtzeitig dafür, dass zu Ostern der Vorrat an Schulbüchern ergänzt bereitlag und fing vier Wochen nach Ostern an, die streng verbotenen Klatschen oder Eselsbrücken an verzweifelte oder tolldreiste Gymnasiasten unter Verschwörergemurmel zu verkaufen.
Aber allmählich, als die Jahre unverändert dahingingen mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter, als Werner Quabs wirklich der Herr der Ratsbuchhandlung wurde und die altgewordene Frau Chefin kaum noch zu Weihnachten ihre Stuben über dem Laden verließ, allmählich, als aus dem jungen Werner Quabs der Mann in den besten Jahren »Herr Quabs« wurde, merkten die Kunden doch Veränderungen: ein Zipfel vom Schleier des Geheimnisses lüftete sich.
Zuerst stellten die Kunden der Leihbibliothek fest, dass nie mehr Reise-, Abenteuer- und Tiergeschichtenbücher zu haben waren. Immer sollten sie ausgeliehen sein, oder sie waren zum Buchbinder gesandt, von dem sie nie zurückzukommen schienen. Und wenn nun die rechten Bücherkäufer die Ladenregale entlang strichen, entdeckten sie, dass Herr Quabs gar nicht mehr träumerisch und versonnen hinter seinem Ladentisch stand, sondern er schlich ihnen argwöhnisch nach, und wenn sie einen Stanley oder Hedin oder Nansen oder Hagenbeck aus den Fächern fischten, nahm ihnen Herr Quabs mit fast unhöflicher Hast das Buch aus der Hand und behauptete, es sei bestellt oder im Einband beschädigt oder viel zu teuer. Und musste er’s schließlich doch hergeben, so lief er dem Kunden noch bis unter die Ladentür, ja auf die Straße nach und behauptete, das Buch werde doch nicht ansprechen, es sei vertanes Geld, und fast flehend versicherte er zum Schluss, er werde das Buch gern umtauschen, auch nach Ladenschluss, auch etwa mit einem Fleck …
Bald war es im ganzen Städtchen bekannt, dass Herr Quabs entschlossen sei, alle Abenteuer für sich zu behalten, und rasch fanden sich rohe Burschen, die sich nicht entblödeten, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche den Laden zu betreten und die »Gesammelten Werke« von Livingstone zu verlangen oder »In Nacht und Eis« von Nansen. Sie quälten den armen Quabs, der sie mit einem Schlag seiner Faust hätte zertrümmern können, ungestraft eine halbe Stunde lang, und erst im letzten Augenblick ließen sie sich von dem erlöst Aufatmenden das Paket wieder entreißen.
Diese Botschaft, dass ein so versonnener, stiller, freundlicher Mensch plötzlich so rappelköpfisch geworden war, schien allen so unglaublich, dass nicht nur unreife Elemente, nein, dass auch gediegene Charaktere wie Gerichtsassessoren, Pfarrvikare und ergraute Gesanglehrer die Probe aufs Gerücht machten und abends dann vergnügt am Stammtisch erzählten: »Es stimmt alles, meine Herren, was erzählt wird. Nein, es ist noch viel schlimmer! Hat dieser unselige Mensch doch eine halbe Stunde lang versucht, mir einzureden, ›Das Geheimnis der alten Mamsell‹ von der Marlitt sei für meinen Jungen viel passender als ›Brehms Tierleben‹!«
Worauf sich mindestens drei weitere Herren der Stammtischrunde zum gleichen Versuch entschlossen!