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So nicht, Mann! - Wie Frauen das Spiel um die Macht gewinnen Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe des Bestsellers Im Gegensatz zu Frauen nutzen Männer Sprache viel öfter als Machtinstrument, senden völlig andere Körperbotschaften und zeigen ein ausgesprochenes Revierverhalten. Diesen Machtdemonstrationen begegnet frau am besten mit Arroganz – nicht als Lebenshaltung, wohl aber als effektives Werkzeug. Wie das konkret funktioniert, zeigt Peter Modler seit Jahren in seinen Arroganztrainings für Frauen, in denen typische Situationen aus dem Berufsleben nachgestellt werden. Seine erstaunlichen Erkenntnisse veranschaulicht Modler mit Hilfe zahlreicher Beispiele und Tipps, mit denen Frauen lernen, wie sie sich im Alltag besser durchsetzen können.
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Seitenzahl: 268
Dr. Peter Modler
Das Arroganz-Prinzip
So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf
FISCHER E-Books
Meinen Töchtern
Die Kandidatin Frau Meier ist exzellent vorbereitet. Ausgestattet mit einem enormen Detailwissen weist sie ihrem Gegner immer wieder Widersprüche nach. Sie legt die Fehler in seiner dürftigen Argumentation offen, demonstriert große Erfahrung und Weitblick. Inhaltlich punktet sie laufend. Doch es nützt ihr nichts: Ihr Gegenspieler setzt sich trotzdem durch. Allerdings nicht mit Argumenten.
Es beginnt bereits bei der Begrüßung. Während die beiden aufeinander zugehen, streckt Herr Müller schon früh den Arm aus und hält ihr die Hand entgegen. Für die Zuschauer sieht es so aus, als hätte Müller an einer unsichtbaren Schnur gezogen, die Frau Meier nun zwangsläufig die Hand heben lässt – wie wenn sie von ihm dazu den Befehl bekommen hätte. Als es dann tatsächlich zum Handschlag kommt, tätschelt Müller gleichzeitig und für alle sichtbar mehrfach den Handrücken. Eine eindeutig herablassende Geste. Müller zeigt beiläufig, wie wenig ernst er Meier nimmt.
Frau Meier hat in den folgenden eineinhalb Stunden überhaupt kein Problem, auf jedes Thema sachlich einzugehen und qualifizierte Antworten zu geben. Sie weiß in vielem offensichtlich Bescheid. Herr Müller hingegen hat deutliche Lücken. Jedes Mal aber, wenn ihm etwas unangenehm wird, fängt er an, von etwas Anderem zu reden. Meier hakt ein paarmal nach, lässt es jedoch irgendwann sein, weil es ihr zu blöd wird. Später stellt sich heraus, dass Müller auch Lügen erzählt hat.
Ein Mittel, das Müller laufend einsetzt, sind Wiederholungen. Während Meier sich um originelle Argumentation zu bemühen scheint, hält ihr Müller immer wieder simple Aussagen entgegen wie »stimmt nicht«. Das macht er so lange, bis Frau Meier aufgibt und auf etwas Anderes zu sprechen kommt. Besonders wirksam ist das, wenn Müllers Aussagen extrem kurz sind. Etwa wenn Frau Meier ihn an eine frühere Stellungnahme erinnert, die ihm mittlerweile peinlich ist, und er dann dreimal hintereinander einfach ins Mikrophon sagt: »falsch«. Nach dem dritten Mal wechselt Frau Meier genervt das Thema.
Sie weist das Publikum immer wieder ironisch auf Schwachstellen von Müllers Argumentation hin (»Wir wissen alle, dass Herr Müller in seiner eigenen Welt lebt«), während Müller Ironie höchst selten einsetzt. Stattdessen startet er wiederholt direkte Angriffe: »Das war allein Ihr Fehler« oder »Alle wissen, dass Sie daran schuld waren«.
Das Ganze endet bewegungstechnisch ähnlich wie am Anfang. Während sich beide die Hand geben, tätschelt Herr Müller demonstrativ gönnerhaft und grinsend zweimal den Rücken von Frau Meier, Motto: Netter Versuch, Baby, aber du hast es eben nicht drauf.
Solche Dinge passieren laufend auf diesem Planeten. Dieses Mal für Millionen Leute sichtbar, weil es vor laufenden Kameras geschah. Tatsächlich hießen die Protagonisten auch gar nicht Müller und Meier, sondern Trump und Clinton.
Frau Meier bzw. Clinton hat die US-Präsidentschaftswahl sicher nicht allein wegen dreier Fernsehduelle verloren. Aber in diesen drei Auftritten fand sie jedenfalls kein Mittel gegen einen Gegenspieler, der inhaltlich viel weniger kompetent war als sie, stattdessen aber mit handwerklich einfachsten Strategien ihre Argumentationsketten kappte. Ein geradezu tragischer Vorgang, der sich aber mit genau derselben Struktur in vielen Organisationen und Firmen täglich wiederholt. Und insofern sind Trump und Clinton auch völlig austauschbar. Sie sind gar kein Einzelfall, sondern sie stehen für etwas ganz Anderes: für die Konfrontation zweier Kommunikationswelten.
Die beiden Systeme, die da aufeinandertreffen, bezeichnen Fachleute als »vertikal« und »horizontal«. Damit ist etwas ganz Einfaches gemeint, was aber sehr weitreichende Folgen hat. Leuten, die »vertikal« kommunizieren, geht es in erster Linie um Rang und Territorium – und erst danach um Inhalte. Müller bzw. Trump gehört ganz eindeutig zu diesem Typ. Menschen aber, die »horizontal« kommunizieren, sind an Rang- und Revierfragen kaum interessiert, wohl aber an Zugehörigkeit und Inhalten. Entdeckt wurden diese Systeme von der amerikanischen Soziolinguistin Deborah Tannen. Im Verlauf dieses Buches werde ich detaillierter darauf eingehen. So viel will ich aber schon jetzt sagen: Es gibt eine Mehrheit von Frauen, die sich »horizontal« verhält (wie auch eine Minderheit von Männern), während eine Mehrheit von Männern »vertikal« auftritt (eine Minderheit von Frauen aber auch).
Im beruflichen Alltag kann dieser einfache Sachverhalt zu dramatischen Folgen führen, bis hin zum völligen Karriereabbruch, zu traumatischen Erfahrungen und zu schwerem Unrecht.
Denn leider bedeutet die Existenz dieser beiden großen Systeme, dass etwa in überwiegend vertikal geprägten Branchen – also z.B. in Produktionsbetrieben – Leute, die horizontal kommunizieren, nur unter Schwierigkeiten Gehör finden, obwohl sie fachlich oft hervorragend sind. Sie verstehen oft nicht, dass dort eine andere Sprache benutzt wird, als sie es gewohnt sind, und dass sich etwa gute Leistung in einer vertikalen Umgebung überhaupt nicht von allein durchsetzt. In Konflikten haben Fachwissen und inhaltliche Logik nämlich dort merkwürdigerweise kaum Gewicht. Das kann für Betroffene sehr belastend werden. Wie sich mit solchen Situationen trotzdem sinnvoll umgehen lässt, vor allem, wenn man selbst aus einem Umfeld mit horizontalem System stammt, davon handelt dieses Buch.
Das Buch erschien zum ersten Mal 2009 und ist seither ein Bestseller geworden. Natürlich freut sich jeder Autor über so etwas. Aber in diesem speziellen Fall habe ich angesichts des Erfolgs durchaus ambivalente Gefühle. Denn offensichtlich besteht ja bei vielen Frauen ein enormer Bedarf an einem Buch, mit dem sie praktische Hinweise bekommen, wie sie sich gegenüber Männern bzw. vertikal Kommunizierenden in organisationalen Konflikten behaupten können. Dass dieser Bedarf immer noch derartig hoch ist, kann ein bisschen depressiv machen. Aber es entspricht eben auch genau den Erfahrungen, die ich landauf, landab in meinen Seminaren mache. Und das steht leider im direkten Gegensatz zu den idyllischen Behauptungen, die viele Medien verbreiten: dass die Zukunft ohne Zweifel weiblich sei oder sich intelligente Frauen fast automatisch durchsetzen oder bald überall hierarchiefrei gearbeitet würde. Da wird in vielen Fällen einfach nur ein Mythos verbreitet, den man gerne als Realität annehmen möchte.
An diesem Sachverhalt ändert sich übrigens auch nichts Wesentliches, wenn immer mehr Menschen vor Bildschirmen kommunizieren und sich nur noch in Videokonferenzen austauschen (vgl. Kap. 12).
Tatsächlich gibt es immer noch sehr viele kompetente Frauen, deren Fähigkeiten in Firmen und Organisationen ungenutzt bleiben. Das kann schon sehr frustrieren. Nichts gegen eine Quotenregelung, aber wenn es um Durchsetzungsfähigkeit geht, ist sie nicht wirklich entscheidend. Es ist meiner Erfahrung nach ziemlich unwichtig, warum eine Frau die jeweils aktuelle Position erhielt. Den Ausschlag gibt, wie sie sich dort verhält. Kommt sie mit der vertikalen Kommunikation der Leute dort klar?
Nachdem ich selbst viele Jahre diverse Firmen geleitet habe, arbeite ich seit 1998 als selbständiger Unternehmensberater. Aus persönlicher Erfahrung kenne ich sehr unterschiedliche berufliche Wirklichkeiten – vom Azubi bis zum geschäftsführenden Gesellschafter. Natürlich hatte ich es in all diesen Arbeitsfeldern gleichermaßen mit Männern und Frauen zu tun. Das besondere Verhältnis zwischen den Geschlechtern im Arbeitsalltag tauchte aber als eigenes Themenfeld erst in den Jahren meiner beratenden Tätigkeit auf.
Im Rahmen eines Lehrauftrags war mir bei den Studierenden aufgefallen, wie unterschiedlich sich Frauen und Männer in meinen Seminaren verhielten. Weil sich das eindrücklich oft wiederholte, machte ich diese Unterschiede im beruflichen Kontext schließlich selbst zum Thema und entwickelte nach und nach die sogenannten »Arroganz-Trainings®«. Diese richteten sich ursprünglich nur an weibliche Firmenführungskräfte, die lernen wollten, besser mit vertikal auftretenden Kollegen, Kunden oder Vorgesetzten umzugehen. Die enorme Nachfrage nach diesen Veranstaltungen hat mich selbst überrascht. Mittlerweile weiß ich, dass die in den Trainings entwickelten Methoden sogar von Frauen eingesetzt werden, die in einem eher weiteren Sinne »führen«, also nicht in einem klassischen Firmenkontext tätig sind: Mütter mehrerer Kinder, Lehrerinnen im schulischen Umfeld, Ärztinnen in Kliniken, Professorinnen an der Uni, Redakteurinnen, Anwältinnen, Selbständige. Management-Anforderungen gibt es eben nicht nur in offiziellen Chefpositionen. Weil ich mit der Nachfrage nicht nachkam, habe ich eine eigene Coaching-Ausbildung zu diesen Methoden entwickelt.
Die Arroganz-Trainings® arbeiten an verschiedenen Aspekten der beruflichen Kommunikation mit Männern bzw. Vertretern des vertikalen Systems (siehe www.drmodler.de). Dazu gehören in erster Linie Körperbotschaften, Revierverhalten oder Sprache als Machtinstrument. Entscheidend beim Vorgehen in solch einem Training aber ist, dass die Teilnehmerinnen von ihrer jeweiligen konkreten Situation ausgehen, für die sie eine Lösung finden möchten. Ich stelle ihnen im Seminar dafür einen Sparringspartner zur Verfügung, an dem sie mehrere Handlungsalternativen austesten können. Dieser Sparringspartner muss lediglich zwei Bedingungen erfüllen: Er muss ein Mann sein (bzw. vertikal kommunizieren), und er muss sich artikulieren können.
Der Sparringspartner befindet sich zunächst nicht im selben Raum. Er wird erst hereingerufen, sobald ein konkretes berufliches Problem mit einem vertikal auftretenden Geschäftspartner, Chef oder Mitarbeiter auftaucht. Dann hört er sich die Schilderung dieses Problems an, und bei dem anschließenden Durchspielen der Situation übernimmt er die Rolle des betreffenden Gegenübers. Die Frau, um deren Problem es sich dabei handelt, geht wieder zurück an ihren Platz und beobachtet den weiteren Verlauf der Handlung, während ihre Rolle durch eine andere Seminarteilnehmerin stellvertretend übernommen wird. Damit bekommt die vorgestellte Szene etwas Objektiveres und ist für die Betroffene deshalb besser nachvollziehbar.
Während sich die Szene weiterentwickelt, wird immer wieder bei der Betroffenen nachgefragt, ob der aktuelle Ablauf noch realistisch ist. Tatsächlich ist er das fast immer. Es handelt sich bei diesem Vorgehen um eine Methode, die vom klassischen Psychodrama nach Jakob Moreno, der Organisationsaufstellung und dem »Provokativen Stil« Noni Höfners inspiriert ist. Über Jahre hat sich dabei interessanterweise herausgestellt, dass Alter, Bildung oder berufliche Qualifikation des Sparringspartners völlig unerheblich für die Problemlösung sind. In bestimmten Situationen reagieren diese vertikal handelnden Leute alle gleich. Offensichtlich gibt es Reaktionsmuster, auf die die meisten Männer intuitiv und ganz selbstverständlich zurückgreifen. Und das Erstaunliche und Lehrreiche für die Seminarteilnehmerinnen dabei ist die Erkenntnis, dass diese Reaktionsmuster ganz andere sind als die von Frauen bzw. horizontal Kommunizierenden.
Natürlich werden in so einem Seminar oft auch weiter zurückliegende Ereignisse bearbeitet und danach gefragt, warum das damals eigentlich nicht geklappt hat. Warum ging das womöglich so furchtbar schief? Die gefundenen Lösungen sind für die betroffenen Frauen meistens so nützlich, dass sie die Lösungsstruktur nach ihrer Rückkehr in den beruflichen Alltag ohne weiteres umsetzen können. Erfreulich oft bekomme ich positive Rückmeldungen von Teilnehmerinnen, dass »der Knoten geplatzt« sei, und dass sich in der Praxis bewährt, was sie sich im Workshop angeeignet hatten.
In diesem Buch fasse ich anhand zahlreicher Beispiele die wichtigsten Erkenntnisse zusammen, die ich in vielen Arroganz-Trainings® erlangt habe. Dabei will ich aber nicht Arroganz als Lebenshaltung empfehlen. Vielmehr verstehe ich die im Buch dargestellten Anwendungsformen von Arroganz als Werkzeuge, die die Betroffenen in ihrer alltäglichen »Tool-Box« dabei haben sollten, um sie bei Bedarf auch einsetzen zu können – bei Bedarf wohlgemerkt. Also bevorzugt an einem Arbeitsplatz, an dem das berufliche Klima wegen bestimmter vertikaler Vertreter als belastend erlebt wird. Dann darf der Werkzeugkasten hervorgeholt werden und das passende Instrument zum Einsatz kommen.
Es geht mir bei diesem Ansatz um nichts Anderes als um die gute, alte Chancengleichheit, von deren menschlicher und wirtschaftlicher Notwendigkeit ich überzeugt bin. Wir sind darin weniger weit, als man glauben möchte. Ich habe leider im Lauf der Jahre immer noch viel zu viele Betriebe und Organisationen angetroffen, in denen das berufliche Potential von Frauen weder wahrgenommen noch unterstützt (trotz anderslautender Lippenbekenntnisse), manchmal sogar deutlich abgewertet wurde. Ich muss gestehen, dass mich dieses Verhalten persönlich anwidert. Da kommen jede Menge gut ausgebildete, motivierte Frauen in Firmen und Institutionen, die oft von Anfang an schlechter bezahlt werden und die auf lange Sicht auch nicht in die Verantwortungspositionen gelangen, für die sie eigentlich befähigt wären. Das ist nicht nur ungerecht; ich verstehe auch einfach nicht, wie Männer solche Vorgänge billigend in Kauf nehmen können.
Fast zehn Jahre nach seinem ersten Erscheinen hatte ich dieses Buch komplett überarbeitet. Nun ergänze ich es um ein weiteres Kapitel, das sich mit den Auswirkungen durch die vermehrte Arbeit im Homeoffice bzw. in Video-Meetings beschäftigt. Neuere Forschungsergebnisse wurden ebenso berücksichtigt wie inzwischen neu formulierte Fragen. Manchen inzwischen verbreiteten Annahmen widerspreche ich, weil ich sie für falsch halte (z.B. dass Frauen bei ihrer Karriere dafür bestraft werden, wenn sie dasselbe verlangen wie Männer). Einige Themen tauchen ganz neu auf: der Umgang mit inkompetenten Vorgesetzten etwa; die Fehler, die viele Frauen machen, wenn sie aus der Elternzeit zurückkommen; die Bedeutung politischer Deals in vermeintlich hierarchielosen Organisationen; das unterschätzte Gewicht einer Sitzungsleitung. Die vertikalen Spiele am deutschen Bundesverfassungsgericht kommen ebenso vor wie die Relevanz von Gummitwist für das Leistungsverständnis vieler Frauen, die Lehren für weibliche Führungskräfte aus der Fußball-Bundesliga oder die tatsächlichen oder nur scheinbaren Veränderungen in Bürolandschaften ohne Einzelschreibtische. Neue aussagekräftige Graphiken wurden eingearbeitet. Darum ist das überarbeitete Buch umfangreicher als die Erstausgabe 2009.
Einschränkend möchte ich noch auf ein paar wichtige Aspekte hinweisen: In diesem Buch geht es nicht um Konflikte innerhalb des horizontalen Systems. Was etwa Frauen unter ihresgleichen am Arbeitsplatz tun, kommt in diesem Text kaum vor; wohl aber in einem anderen Buch von mir.[1] Auf den folgenden Seiten jedoch rede ich ausschließlich von horizontal Kommunizierenden bzw. Frauen versus vertikal Auftretende.
Mein persönlicher Arbeitskontext ist der der westlichen Industriegesellschaften; ich habe keine eigenen Erfahrungen mit einem asiatischen oder afrikanischen Berufsumfeld (selbst wenn hin und wieder Menschen aus diesen Kulturkreisen mit großer Begeisterung an meinen Seminaren teilnehmen).
Die vorgestellten Methoden können nicht bei traumatischen Erlebnissen sexueller Gewalt oder anderer krimineller Handlungen angewandt werden. In solchen Fällen müssen umgehend therapeutische und/oder strafrechtliche Schritte eingeleitet werden.
Die Methoden der Arroganz-Trainings® nützen auch dann nicht viel, wenn die gesamte Organisation eines Unternehmens bereits grundlegend schief liegt. An solche strukturellen Fehler muss man anders herangehen.
Alle Methoden, die ich hier vorstelle, sind von mir über einen langen Zeitraum getestet und modifiziert worden. Ich kann aber nicht garantieren, dass sie in jedem Einzelfall angebracht sind und zwangsläufig zum gewünschten Erfolg führen.
Bei diesem Buch handelt es sich um kein wissenschaftliches Werk, sondern um einen Erfahrungsbericht mit konkret anwendbaren Lösungsvorschlägen.
Ich bin weder Geschlechterforscher noch Psychologe, sondern beruflich als externer Berater im Interesse meiner Klientinnen an der pragmatischen Lösung einer entscheidenden Frage interessiert: Wie komme ich im beruflichen Konflikt konkret mit diesem vertikalen Verhalten produktiv weiter?
Da ich pragmatisch vorgehe, scheue ich mich auch nicht vor vereinfachten Aussagen. Natürlich sind nicht alle Männer und nicht alle Frauen gleich zu bewerten. Aber damit sich strukturell etwas erkennen und ändern lässt, sind manche Verallgemeinerungen vorläufig von gewissem Nutzen.
Mein Eindruck ist mittlerweile, dass gerade in den Organisationen und Betrieben die Not groß ist, die nach außen hin einen besonders hohen Anspruch vertreten: wissenschaftliche Kompetenz, politische Solidarität, journalistische Qualität, religiöse Überlieferung, Diversity-Ideale und so weiter. Je höher der offiziell kommunizierte Anspruch, umso tabuisierter scheint die Aufarbeitung der tatsächlich heftigen Auseinandersetzungen zwischen Männern und Frauen zu sein, sobald es um echte Machtfragen geht.
Leute, die horizontal kommunizieren, und das sind nun mal mehrheitlich Frauen, treffen in den Führungsspitzen der Unternehmen vielfach auf Vertreter eines vertikalen Verhaltenskanons und erleiden immer wieder Schiffbruch – obwohl ihr eigenes Leistungsspektrum ausgezeichnet ist. Führungskräfte in Organisationen und Firmen sollten grundsätzlich »zweisprachig« aufgestellt sein und je nach Bedarf umschalten können.
Abschließend verweise ich darauf, dass sämtliche Eigennamen dieses Buches verändert wurden und trotzdem vorhandene Ähnlichkeiten mit lebenden Personen völlig zufällig und in keiner Weise beabsichtigt sind.
Peter Modler
oder: Was ein Territorium für viele Männer bedeutet
Frau Dr. Wisser war Dozentin an einer Universität, eine schlanke Frau um die dreißig mit Designerbrille und etwas höheren Schuhabsätzen als im Universitätsalltag üblich. Neben ihren Lehrverpflichtungen war sie auch für Herrn Merkow verantwortlich, einen Studenten aus dem unteren Semester, der als wissenschaftliche Hilfskraft (»Hiwi«) kleinere Büro- und Recherchearbeiten auszuführen hatte. Der Lehrstuhl genoss einen international guten Ruf; insofern herrschte auch ein gewisser Leistungsdruck am Institut. Dem wurde aber nicht jeder Mitarbeiter gerecht.
Vor allem nicht der Hiwi, der im Büro seiner Chefin Frau Dr. Wisser seinen Arbeitsplatz hatte. Er sah nämlich keinerlei Probleme darin, wenn er einen ganzen Tag im Büro unentschuldigt fehlte. Eine Woche später trottete er dann einfach ins Büro, als wäre gar nichts gewesen. Kein Wort der Entschuldigung, keinerlei Bewusstsein für die Mehrarbeit, die er durch sein Fehlen den anderen Kollegen am Lehrstuhl bereitet hatte. Frau Dr. Wisser ärgerte sich über seine Einstellung, fühlte sich aber ihrem Mitarbeiter gegenüber unsicher. Hatte sie überhaupt das Recht, Herrn Merkow zurechtzuweisen? Ihr war bewusst, dass sie im Zweifelsfall die liegengebliebene Arbeit dann eben selbst erledigen musste – »Dann weiß ich auch, dass es richtig gemacht ist«. Aber gut fühlte sie sich dabei gar nicht. Die Chefin wollte sie jedoch auch nicht heraushängen lassen.
Herr Merkow war zehn Jahre jünger als Frau Dr. Wisser: ein hochgewachsener, lässiger Jeans- und Pulloverträger mit langen Haaren, die er mit einem Stirnband bändigte. Als der Sparringspartner in der Rolle von Herrn Merkow auftrat, verhielt er sich ganz genauso wie der echte Student im richtigen Leben: Ohne anzuklopfen riss er die Tür auf, murmelte einen unverständlichen Gruß im Vorbeigehen, warf seinen Rucksack auf einen Stuhl und fing an, auf seinem Schreibtisch liegengebliebene Unterlagen durchzublättern. Dabei vermied Merkow jeglichen Blickkontakt mit Frau Dr. Wisser und tat sehr beschäftigt.
Obwohl Wisser das Verhalten des Studenten als unhöflich und unterschwellig aggressiv empfand, sah sie gar keinen Anknüpfungspunkt für ein klärendes Gespräch. Sie versuchte es zwar ein paarmal, aber Merkow gab daraufhin immer nur kurze, einsilbige Antworten, mit denen er deutlich machte, dass eine Diskussion über diesen einen lächerlichen Abwesenheitstag unter seiner akademischen Würde war.
Typisch ist, dass in so einer Situation die horizontal kommunizierende Person, hier Frau Dr. Wisser, schnellstmöglich versucht, eine verbale Klärung herbeizuführen. Bevor es dazu jedoch kommen kann, hat der angesprochene Student bereits eine Menge an Botschaften ausgesendet. Diese hatte Frau Dr. Wisser aber gar nicht als Botschaften wahrgenommen, weil es keine verbalen Aussagen gewesen waren.
Während Frau Dr. Wisser höflich auf ihren kommunikativen Einsatz gewartet hatte, war Herr Merkow mit etwas ganz anderem beschäftigt. Ihm ging es nämlich darum, sich in den wenigen Sekunden seines Auftritts des Büroraumes zu bemächtigen. Nachdem er das geschafft hatte, empfand Merkow die Situation im Grunde als entschieden – zu seinen Gunsten. Er ist damit leider kein origineller Einzelfall. Mein Eindruck aus vielen betrieblichen Situationen ist, dass Menschen, die sich vertikal verhalten, ein wesentlich ausgeprägteres Gefühl für ihr Territorium haben als viele – horizontal kommunizierende – Frauen. Aus welchem Grund auch immer: Diese Vertikalos – in der Mehrheit Männer – scheinen es, gerade im beruflichen Kontext, als deutlichen Machtzuwachs zu empfinden, wenn sie sich einen bestimmten Raum nehmen oder er ihnen überlassen wird.
So auch im Fallbeispiel: Merkow öffnete die Tür, ohne anzuklopfen: erster Schritt. Er betrat den Büroraum, ohne weiteren Blickkontakt aufzunehmen: zweiter Schritt. Er ging an seiner Vorgesetzten kommentarlos vorbei: dritter Schritt. Er okkupierte mit seinem Rucksack einen Stuhl: vierter Schritt. Er setzte sich an einen Schreibtisch und nahm die Tischfläche in Beschlag: fünfter Schritt. Damit war der Vorgang der territorialen Inbesitznahme abgeschlossen, der dem Hiwi ein starkes Gefühl von Sicherheit und Unangreifbarkeit verlieh. Es war ganz offensichtlich, dass ein argumentatives Gespräch, geschweige denn ein gedanklicher Austausch, an dieser Stelle nicht möglich war. Erst wenn die territoriale Frage vorab geklärt ist, wird eine verbale Kommunikation überhaupt erst möglich und sinnvoll. Was konnte Frau Dr. Wisser also tun, um ihr Problem zu lösen?
Etwas mehr Arroganz einsetzen.
In mehreren Versuchen, den Verlauf der Situation zu verändern, ertappte sich Frau Dr. Wisser immer wieder dabei, viel zu früh ausschließlich verbal zu reagieren. Das ließ Merkow regelmäßig unbeeindruckt. Schließlich nahm sie aber beherzt die territoriale Herausforderung an, und das machte sie folgendermaßen: Auftritt Merkow. Die Tür ging auf. Der Hiwi war erst einen Meter im Büro, aber schon stoppte sie ihn mit einer abwehrenden Handbewegung, so dass er in deutlichem Abstand zu ihrem Schreibtisch entfernt stehen bleiben musste. Er war sichtlich irritiert. Frau Dr. Wisser schaute ihn nun erst einmal an und hielt den Blick auf ihn gerichtet. Dann stellte sie dem immer noch stehenden Merkow bewusst langsam ein paar knappe, direkte Fragen wie: »Wo waren Sie letzte Woche?«, »Warum haben Sie sich nicht bei mir gemeldet?«, »Warum sollen eigentlich immer die anderen Ihre Arbeit machen?« Und sie ertrug es auch, dass dazwischen immer wieder lange, unangenehme Pausen entstanden, wenn der Hiwi nicht wusste, was er tun sollte. Sie ließ es auch nicht zu, dass er sich auf seinen Schreibtisch zubewegte oder seinen Rucksack dort ablud. Schließlich beendete sie die Szene mit dem knappen Kommentar »Gut, dann geht der Tag jetzt weiter«, und wandte sich wieder ihrer eigenen Arbeit zu, ohne ihn weiter zu beachten. Der Hiwi ließ daraufhin die Schultern hängen und schien völlig erledigt zu sein.
Die Dozentin hingegen fühlte sich prächtig: So etwas hatte sie schon lange tun wollen. Die anderen Frauen im Raum, die diese Szene beobachtet hatten, waren jedoch skeptisch. Das könne man doch nicht machen! So ein Verhalten erschien ihnen einfach zu unhöflich, viel zu hart. Ich befragte den Sparringspartner alias Merkow, wie es für ihn tatsächlich gewesen war. Und da rutschte ihm eine Formulierung heraus, die ganz großartig die unterschiedliche Wahrnehmungsweise der beiden Welten deutlich macht: »Das war ja nichts Persönliches.« Und warum war das nichts Persönliches für ihn, wenn die beteiligte Frau innerlich ganz aufgewühlt war? Weil es ja nur darum gegangen war, dass sie die Vorgesetzte sei, erklärte mir Merkow in aller Unschuld. Es war nichts Persönliches gewesen, weil er eigentlich gewusst hatte, dass diese Frau tatsächlich seine Chefin war. Sie hatte es ihm nur einmal zeigen müssen, und das konnte sie territorial am deutlichsten.
Territorial bewusstes Verhalten könnte vielen Frauen das berufliche Leben um einiges leichter machen. Aber was ist überhaupt ein »Territorium«?
Im Arbeitskontext ist die kleinste territoriale Einheit zunächst die eigene oder die fremde Schreibtischfläche. Wenn man allein in einem Büro sitzt, dann beginnt das Territorium unmittelbar an der Eingangstür. Wenn man sich in einem Besprechungsraum aufhält, dann beginnt das Territorium auch bereits an der Türschwelle. Natürlich ist es hier aber von ausschlaggebender Bedeutung, was man innerhalb dieser vier Wände tut, wie zum Beispiel, wo man seine Unterlagen und Taschen deponiert oder auf welchen Platz man sich setzt. Ein geradezu exemplarisches Territorium, das von vielen Frauen und Männern unterschiedlich bewertet wird, ist der Firmenparkplatz. Meistens hat für weibliche Führungskräfte ein mit einem Namens- oder Kennzeichenschild markierter Parkplatz keine allzu große Bedeutung. Bei vielen männlichen Kollegen ist das völlig anders: Werden an diesem Ort territoriale Verletzungen vorgenommen, so sind diese in der Regel alles andere als zufällig.
Nie werde ich die Geschichte vergessen, die mir ein Kollege von einer seiner Klientinnen erzählte.
Ein großer mittelständischer Betrieb hatte für die Leitung der Marketingabteilung zum ersten Mal mit Frau Meier eine weibliche Führungskraft eingestellt. An ihrem ersten Arbeitstag fuhr die Managerin zu dem mit ihrem Kennzeichen markierten Parkplatz, nur um festzustellen, dass dort bereits ein anderer Wagen stand. Frau Meier war aber keine Anfängerin. Sie war mit den Hürden eines ersten Arbeitstags im neuen Betrieb vertraut, weshalb sie kein Zögern kannte: Sie ging zur Pforte und ließ einen Abschleppwagen bestellen.
Der Pförtner versuchte wortreich, Frau Meier davon abzubringen, aber sie bestand unbeirrt darauf. Obwohl es ein bisschen dauerte, bis der Abschleppwagen kam, blieb sie die ganze Zeit an der Rezeption in aller Seelenruhe stehen, was den Pförtner noch mehr ins Schwitzen brachte. Als der Abschleppwagen dann tatsächlich den anderen Wagen am Haken hatte, stürzte ein Herr in weißem Hemd und Krawatte aus dem Gebäude. Er sei doch gleich wieder weg! Dafür könne man doch Verständnis haben, da müsse man doch aus einer Mücke keinen Elefanten machen und so weiter und so fort. Frau Meier blieb in ihrem Businesskostüm völlig unbeeindruckt und erklärte dem Herrn kühl, dass das alles nicht ihr Problem sei. Dass jeder lesen könne, dürfte in dieser Firma wohl vorausgesetzt werden. Die Kosten für den Abschleppwagen musste der Mann zahlen.
Manche Betriebe sind wie Dörfer. Auch hier hatte sich das Geschehen vor dem Haus rasend schnell herumgesprochen, sämtliche Fenster an der Vorderfront des Firmengebäudes waren geöffnet, und ein großer Teil der Belegschaft hatte alles mitbekommen. Von diesem Tag an hatte Frau Meier im Betrieb einen enormen Ruf. In dieser Firma musste sie den Männern nicht mehr lange beweisen, dass man sie ernst zu nehmen hatte.
Eine beeindruckende Szene; aber so dramatisch kann es tatsächlich in Firmen zugehen, wenn Frauen und Männer im Konflikt aufeinanderprallen. Meiner Erfahrung nach ist ein Verhalten wie das von Frau Meier jedoch eher eine Ausnahme. Es gehört schon einiges an Know-how und Persönlichkeit dazu, um so eine Auseinandersetzung auch dann durchzustehen, wenn sie vor derart vielen Zuschauern stattfindet. Aber man muss ja nicht gleich auf so öffentlich inszenierte territoriale Strategien zurückgreifen. Im Alltag vieler berufstätiger Frauen genügen schon kleinere Zeichen, die aber große Wirkungen zeigen können. Wie im Falle von Frau Durwick.
Frau Durwick war eine Frau um die fünfzig, offenes freundliches Gesicht mit Lachfältchen, schulterlanges, hellblondes Haar, ungefähr 1,60 m groß. Sie war verheiratet mit einem Maurermeister. Wie so viele Handwerkergattinnen arbeitete sie selbst im Betrieb mit, in dem sie die Buchhaltung und das Personal verantwortete. Funktional hatte sie damit eine nicht unproblematische Zwitterstellung, denn nur weil ihr Mann der Chef der Firma war, war sie noch lange nicht automatisch die Chefin. Das gab ihr auch regelmäßig der Polier zu verstehen. In seiner unnachahmlichen Art veranstaltete er regelmäßig einen kleinen Auftritt bei ihr.
Frau Durwicks Büro war ein Durchgangsraum. Jedes Mal, wenn der Polier – ein breitbrüstiger Hüne von Maurer – von der Baustelle kam, riss er die erste Tür ihres Büros auf, um grußlos und im Vorbeigehen eine Rolle mit Bauplänen oder die Stundenabrechnungen ungefragt auf ihren Schreibtisch zu werfen. Dann ging er, ohne ein weiteres Wort zu sagen, durch die zweite Tür hinaus zu seinem eigenen Schreibtisch.
Völlig zu Recht empfand Frau Durwick dieses territoriale Verhalten des Poliers als herabwürdigend. Sie fühlte sich zu einem Möbel degradiert, es gab keinen Blick, kein Wort, nur einen Übergriff. Sie suchte nach einer Möglichkeit der Verteidigung, aber sie kam auf keine. Dabei hätte sie zunächst nur eine einfache Regel einhalten müssen: Einem territorialen Angriff ist zunächst auch nur territorial zu begegnen. Nachdem Frau Durwick mehrfach daran gescheitert war, dem Polier von ihrem Schreibtisch aus gut zuzureden, begriff sie irgendwann, dass sie dem Mann, der immer wieder imperialistisch in ihr Revier eindrang, ebenfalls mit einer körperlichen Reaktion entgegenzutreten hatte.
Sobald sie also hörte, wie sich der Polier ihrer Tür näherte, erhob sie sich von ihrem Bürostuhl und ging ihm entgegen. Als er die Tür öffnete, hatte sie sich schon direkt vor ihm im Türrahmen aufgebaut. Der massige Polier trat bei ihrem Anblick unwillkürlich einen Schritt zurück. Frau Durwick stand aufrecht vor ihm und fragte nur knapp: »Ja? Was gibt’s?« Der Polier fing sofort an zu stottern, dass er in sein Büro wolle. Sie gab den Platz noch nicht frei, sondern sagte ihm laut und vernehmlich: »Deine Pläne nimmst du aber mit. Ich hol mir dann bei dir, was ich brauche.«
Der Polier konnte daraufhin gar nicht schnell genug in sein Büro flüchten. Frau Durwick wunderte sich, dass es so einfach funktionierte. Sie hatte doch gar nichts erklärt!
Aber was sollte sie auch erklären? Es war ja nur um ein Revierverhalten gegangen, und nicht um eine Psychotherapie. Der befragte Sparringspartner erläuterte nach dem Rollenspiel, dass er vom Anblick Frau Durwicks im Türrahmen bis zum Verlassen ihres Büros permanent das Gefühl hatte, sich auf verbotenem Terrain zu befinden, und dass er heilfroh war, als er in seinem eigenen Raum ankam.
Der angemessene Umgang mit dem eigenen oder dem fremden Revier ist völlig unabhängig von der sozialen Schicht, der die handelnden Personen angehören. Auch die nach außen hin vertretene Selbstdarstellung eines Arbeitgebers oder die Bildung der Beteiligten spielen keine große Rolle. Es liegt für mich mittlerweile auf der Hand, dass horizontal Kommunizierende (mehrheitlich Frauen), wenn es um das berufliche Territorium geht, eher zu denen gehören, die vor allem am Ziel und am Ergebnis der professionellen Tätigkeit interessiert sind. Nur sollten sie trotzdem nicht die politische Bedeutung von Revierspielen unterschätzen, die vertikal Auftretende so gerne im Vorfeld veranstalten.
Es hat gar keinen Sinn, sich darüber zu beklagen. Gerade unser letztes Beispiel weist darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang selten zuerst um einen Vorgang des Erklärens geht, sondern um so etwas wie ein Prä-Erklären. Damit eine solche Erklärung überhaupt eine Chance auf Gehör bekommt, muss etwas Grundlegenderes passiert sein, ein Austausch räumlicher Zeichen, der noch gar nichts mit rationaler Überlegung zu tun hat. Es ist natürlich nicht erst seit heute so; aber es ist doch erstaunlich, wie sich diese Verhaltensreflexe gehalten haben – trotz virtueller Medien, trotz dezentraler Arbeitsorganisation, trotz wechselnder Teams. Man sollte sich auch nicht dazu verführen lassen, territoriale Übergriffe nur deshalb zu vernachlässigen oder zu entschuldigen, weil sie beiläufig, auffallend nebensächlich daherkommen. Vorsicht Maskerade! Kleine Firmen, Start-ups, die angeblich gar keine Hierarchie haben, bilden dabei keine Ausnahme.
Bettina arbeitete als Programmiererin bereits seit drei Jahren in einer Software-Firma. Eine offizielle Kleiderordnung gab es nicht, alle duzten sich, und der Umgangston war formlos und kollegial. Bettina trug einen schwarzen, enganliegenden Pullover mit Rollkragen und hatte eine praktische Kurzhaarfrisur. Ihr Kollege Mike war erst seit kurzem in der Firma: ein allseits beliebter Sonnyboy, immer locker drauf, T-Shirt, Leinenhose, Dreitagebart.
Bettina wunderte sich selbst, dass sie so zwiespältige Empfindungen hatte, wenn Mike jeden Tag kurz bei ihr im Büro hereinschaute. Er schenkte ihr immer ein freundliches Lächeln, wenn er ohne Grund in ihr Büro eintrat. Aber irgendetwas war ihr dabei unangenehm, ohne dass sie hätte sagen können, was es genau war. Meistens ließ sich Mike auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder und redete über dieses und jenes, charmanter Small Talk. Und immer hatte Mike etwas dabei, was er dann kurz auf ihrem Schreibtisch abstellte: mal eine Flasche, mal einen Stift, mal eine Unterlage. Warum fühlte Bettina sich in dieser Situation so unwohl, wenn Mike eigentlich ganz nett war?
Bettinas Unbehagen rührte mit ziemlicher Sicherheit daher, dass Mike bei jedem dieser scheinbar zugewandten Besuche einen kleinen territorialen Angriff startete,