Das Artefakt von Himmel und Erde - Wolf Awert - E-Book

Das Artefakt von Himmel und Erde E-Book

Wolf Awert

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Beschreibung

Nach ihrem Zusammentreffen mit den Drachen weiß Tamalone nicht, worum sie sich als Erstes kümmern soll. Den Magieverstärker? Ein Wesen zu finden, das in die Zukunft schauen kann? Und wenn das nicht gelingt, Pando seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen? Aber bereits der Gedanke daran lässt sie erschaudern. Oder muss sie zurück zu Pandos Mutter, um ihr diesen Plan auszureden? Wie will sie denn einen unsterblichen Drachen töten? Der Hintergrund: Unerwartet tauchen auf der Welt Halva Gestaltwandler auf. Dem Aussehen nach wilde Tiere, doch mit Vernunft gesegnet und der entsetzlichen Fähigkeit, biologische Grenzen zu durchbrechen und sich mit anderen Arten fortzupflanzen. Bereits ihre bloße Gegenwart bringt in den anderen vernunftbegabten Arten, den Drachen, Elfen und Menschen, die finstersten Seiten zum Vorschein. Die Elfen versuchen deshalb, die Gestaltwandler und ihre Mischlings-Nachkommen einzufangen und wegzusperren, doch der Keim des Zerfalls breitet sich unaufhaltsam aus. Unter den Elfen droht ein Bürgerkrieg, die Menschen dringen in den Siedlungsraum der Elfen ein und die Drachen scheinen unschöne Geheimnisse zu haben. Am Ende beginnt sogar Halva, sich selbst zu zerstören. In dieser Welt macht sich die Viertelelfe Tamalone auf, ihre Ziehmutter wiederzufinden und die Rätsel ihrer Herkunft zu lösen. Niemand rechnet mit dem, was ihre Suche auslösen wird – sie selbst am wenigsten.

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Das Artefakt von Himmel und Erde

Wolf Awert

Band 6 der Drachenblut-Reihe

©Wolf Awert 2021

Machandel Verlag Haselünne Charlotte Erpenbeck

Cover: Detlef Klewer

1. Auflage 2021

ISBN 978-3-95959-185-0

Karte der Welt Halva

Was bisher geschah

Nach ihrer Begegnung mit der Drachenmutter hat Tama drei große Aufgaben zu erledigen. Stark muss sie werden auf des Drachen Wunsch hin. Doch nur die Vergangenheit, die ihr immer wieder vorenthalten wurde, kann ihr den Sinn all ihrer Handlungen erklären. Und dann gibt es jenen ominösen Plan für die Zukunft, den nur die Frau kannte, die von ihr immer Mutter genannt wurde. Doch war Mutter kein Mensch, sondern ein Halbdrache. Bei einer Begegnung mit ihr im Haus der Familie erfährt sie, dass dieser Plan nur in einigen Zukunftsbildern ihrer leiblichen Mutter Altwi existiert. Wie soll man mit kaum mehr als nichts den Untergang der Welt aufhalten können? Aber die Alternative ist noch schrecklicher. Die Drachenmutter will den unsterblichen Altvater töten.

Personae dramatis

GODWIN, Altvater aller Drachen

KRIECHER: Drache mit einem gelähmten Flügel

TAMALONE, genannt Tama, ein Dreiviertelmensch mit einigen rätselhaften Fähigkeiten

PANDO, ein Gestaltwandler in Tierform und Freund Tamas

DORMAN, Pando in Menschengestalt

CHAMSIANA, Pando in Elfengestalt

Waldelfen

SUMPFWASSER, Erster Berater der Waldelfen und Tamas Auftragsgeber

LUFTHAUCH: Waldläufer

BORK, Truppführerin der Waldelfen

LIND und MAITRIEB, zwei ihrer Jäger

IMMERGRÜN: Ein Diener zweier Herren

ZIMTCHEN: Offizier der Wehrhüter und angeblich Sumpfwassers Tochter

SONNENKRANZ, Sprecher des Elfenrates

Stadtelfen in NA-R

TREIBGUT, Magier der Komposits und Hersteller von Artefakten

KÖNIG NACHTNEBEL, Artefakthändler und Treibguts Partner

WILLJA, Viertelelfe, arbeitet an Artefakten

STEINDORN, ehemaliger Stadtkommandant

GEFLECKTER GELBZAHN, sein Sohn und Ratsmitglied

SCHWIMMENDES SCHWERT, Leiterin der Bürgerwehr und Ratsmitglied

ZAUBERTÄSCHL, Ratsmitglied verantwortlich für Handel und das Viertel des Handwerks

ZWEI-ARTEN-GRAU, Ratsmitglied verantwortlich für Fragen der Magie

WIND-ÜBER-DEN-DÄCHERN, neuer Stellvertreter von Schwimmendes Schwert

SCHMUTZWASSERLINSE, verantwortlich für Erweiterung der Stadt

WEGERICH, Truppführer und Kommandant über einen kleinen Bezirk im Handwerkerviertel

RÄTSELKRAUT, der eigentlich GRÜNKELCH heißt, ein Verkäufer Nachtnebels

Menschen in NA-R

MERJINA, Frau, reinrassiger Mensch, arbeitet an Artefakten

SCHLANGENAUGE, Führer der Unterwelt

Familie in NA-R

ALTWI, Tamalones leibliche Mutter

HOGGER, ihr Sohn und Tamas Halbbruder

BAERBEN, ihre ältere Tochter und Tamas Halbschwester

NEVEN, ihre jüngere Tochter und Tamas Halbschwester

„MUTTER“ oder die Unaussprechliche. Eine rätselhafte Frau unklarer Rasse

AUREON und ARGENTON, ihre Söhne

POLA-POLON, Merjinas Sohn

Sonstige

TORSO, Gestaltwandler und Froschmensch von gewaltiger Sprungkraft

PALUDA, Tochter von Torso

AUFPASSER, Verwalter der Bergbausiedlung

SEELE DES AUSGLEICHS, seine Begleiterin

HORNFINGER, (hist.) vergessener Expeditionsleiter der Waldelfen

CILLIA, (hist.) Hornfingers Frau

GALMEI, noch nicht mehr als ein Name, aber vielleicht Tamalones Vater

DER WANDERER, ein Wesen aus der Welt der Toten

EIN GEIST, Wesen der Vergangenheit im Dunklen Viertel

Personen in Centrell

BLAUER DREISPORN, Bewohnerin des Hauses Blau

BLAUER SCHLAFMOHN, Freundin von Blauer Dreisporn und die Unaussprechliche in einer ihrer Gestalten

BARIONSTAB, Familienältester des Hauses Barion

Tamalone

Tamalone hielt die Luft an.

„… Godwin angreifen und ihn töten.“

Diese wenigen Worte blieb in der Luft hängen, ließen sich durch nichts vertreiben und lösten in Tama ein Entsetzen aus, das ihr die Kehle zuschnürte. Sie konnte nicht glauben, was sie soeben gehört hatte.

„Damit wird sie uns alle umbringen. Weißt du das?“ Tama rief sich ein Bild von ihrer bisher einzigen Begegnung mit der Drachenmutter zurück, die niemandem vertraute außer der Frau an, die sie aufgezogen hatte, die für alle außer ihr die Unaussprechliche hieß. Nur für sie allein hieß sie Mutter. Kriecher nannten die Elfen die Drachenmutter, weil sie mit ihrem lahmen Flügel nicht fliegen konnte. War die Verkrüppelung der Grund für einen so grenzenlosen Hass? Und Mutter saß da, gab kein einziges Wort von sich und rührte sich noch nicht einmal. Als hätte ein böser Zauber sie eingefroren.

„Hat Godwin ihr die Fähigkeit zu fliegen genommen?“

„Nein, sie wurde mit diesem verkrüppelten Flügel geboren. Was Godwin ihr angetan hat, war schlimmer, weil es mit Absicht und Plan geschah. So etwas würde ihm auch keine andere Frau unseres Volkes jemals verzeihen. Da sie aber nicht darüber spricht, gibt es niemanden, der mehr darüber weiß, als dass es geschah.“

„Niemand außer dir und ihr selbst.“

„Außer ihr. Ich weiß nur, was sie mir erzählt hat, aber das kann nicht alles gewesen sein.

„Und selbst das war schon schlimmer als die Unfähigkeit zu fliegen.“

Mutter nickte.

„Aber weiß sie denn nicht, dass Godwin ein unsterblicher Gott ist? Wie kann sie hoffen, ihn zu vernichten?“

„Ich weiß nur, dass Godwin das von sich selbst behauptet, aber niemand glaubt es ihm. Dass ihn viele für einen Aufschneider halten, ist ein Teil seines Zorns, doch ist das nicht alles, was zwischen den beiden steht. Ihr Zerwürfnis geht tiefer. So tief, dass er sie für alle Zeiten gedemütigt sehen wollte und auch mehrfach versucht hat, dieses Ziel zu erreichen. Aber sie ist eine stolze Frau, die sich nicht demütigen lässt. Deshalb wird er sie irgendwann töten müssen, wenn er vor sich selbst weiterbestehen möchte. Ein Gott kann nicht an sich selbst zweifeln. Aber er wird darauf achten, sich dabei nicht zu beschmutzen. Er selbst tötet nur im Zorn oder im Kampf. So wie es einem Gott zusteht. Für Rache oder Neid wird er sich jemanden suchen. Das wird einfach sein. Er braucht nur zu warten, bis sie zu einem Mann geworden ist, und dann jemandem gegenüber anzudeuten, dass der lahme Drache nicht mehr unter seinem Schutz steht. Früher oder später wird eines der Jungmännchen seinen Stolz vergessen und seine Spielchen mit ihm treiben. Er wird ihn aus der Luft angreifen, und dagegen kann Kriecher sich nicht wehren. Du siehst, der Wunsch Godwin zu töten, entspringt nicht nur dem Wunsch nach Rache, sondern ist auch eine Frage des Überlebens.“

„Ich glaube an Godwins Unsterblichkeit.“

„Es ist dein gutes Recht, daran zu glauben, aber wir müssen es trotzdem versuchen.“

„Jetzt sprichst du von wir. Willst du ihr bei diesem Irrsinn etwa helfen?“

„Sicher. Ich verdanke ihr alles, was ich habe und was ich bin. Sie ist der Sinn meines Lebens. Es fällt mir leicht, für sie zu sterben, wenn die Zeit kommt.“

Tama vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Was redete Mutter denn da? Wer lebte, hatte doch auch ein Recht auf ein eigenes Leben. Sollte das nicht mehr gelten? Hörten denn die Schwierigkeiten und Missverständnisse überhaupt nicht mehr auf? Tamas Stimme war nur noch ein Hauch, als sie weitersprach: „Und weil du gesagt hast, ich sei wichtig, hofft sie nun, dass auch ich ihr helfen werde.“

„Das würde sie niemals von dir verlangen. Was sollte ein Mensch gegen einen Drachen ausrichten können? Und dann ausgerechnet auch noch gegen Godwin, den Altvater unseres Volkes. Nein, mach dir keine Sorgen. Sie wird dich niemals darum bitten, auf ihrer Seite gegen Godwin zu kämpfen. Aber es besteht die Möglichkeit, dass du auf irgendeine Art und Weise das Schicksal zu ihren Gunsten beeinflussen wirst.“

„Das Schicksal lässt sich nicht beeinflussen. Das weiß doch jedes Volk. Nein, das kann es nicht sein. Und trotzdem frage ich mich, was ich überhaupt tun kann, wenn ich doch so wichtig sein soll.“

„Deine allererste Aufgabe ist es, am Leben zu bleiben.“

„Ich will mich aber nicht verstecken.“

Mutter lachte auf. „Jetzt denkst du wie ein Drache. Dann werde so stark, dass niemand dich töten kann.“

„Da könnte ich ja gleich versuchen, wie Godwin unsterblich zu werden.“

„Das ist eine gute Idee.“

„Mutter! Das war ein Scherz.“ Tama war sich sicher, dass ihr Gebrüll die Tür des kleinen Zimmers durchdrungen hatte. Sie riss sich zusammen und wurde wieder leise. „Gut, dann machen wir das, Mutter. Ist ja kein großes Ding. Hast du noch irgendwelche Ratschläge für mich, wie ich das mit der Unsterblichkeit hinbekomme?“

Tama hob herausfordernd den Kopf und hätte sich am liebsten selbst verwünscht, als sie den Schmerz in Mutters Gesicht sah. „Es tut mir leid, Mutter“, sagte sie, „ich wollte dich nicht verletzen, aber ich bin kreuzunglücklich. Auch wenn du es mir vielleicht nicht glaubst. Ich habe als kleine Viertelelfe nichts gemein mit deiner Mentorin, oder was sie auch immer für dich ist. Und trotzdem liebe ich sie. Kannst du dir das vorstellen? Ich bin ihr doch nur ein einziges Mal begegnet.“

„Vielleicht lernst du sie einmal besser kennen. Dann wirst du merken, wie einzigartig sie ist. Auch unter den Drachen. Man kann sie nur lieben oder hassen. Es gibt nichts dazwischen. Und noch eines. Ich bin froh, mit dir gesprochen zu haben. Ich werde dich jetzt wieder verlassen. Irgendwann komme ich zurück. Mach dich in der Zwischenzeit mit meiner Schildkröte vertraut. Lass dir von Neven dabei helfen. Über meine Schildkröte kannst du mich erreichen.“

Neven? Na, das würde was geben. „Ich habe noch eine letzte Frage, Mutter. Weißt du, über welche Fähigkeiten deine Kinder verfügen?“

Mutter schüttelte den Kopf. „Nicht von allen. Aureon liebt das Dunkel, Argenton reist gerne. Du hast Zugang zu den Köpfen der Wesen, denen du begegnest, Neven ebenso, doch ist sie stärker als du. Mehr weiß ich nicht.“

„Baerben weiß Dinge. Wer wo ist und so etwas. Und Hogger wirft mit Gegenständen, ohne sie anzufassen. Was Paluda kann, weiß ich nicht. Niemand hier spricht hier gern über seine Fähigkeiten. Aber du solltest wissen, was deine Kinder können. Und noch etwas, bevor du wieder fortfliegst. Könntest du nicht wenigstens deine beiden Söhne noch einmal in den Arm nehmen? Dann hier oben ein wenig Lärm machen und als der Vater meiner Halbgeschwister zurückkommen? Sie alle sehnen sich nach dir.“

„Sie sind Abkömmlinge der Drachen. Sie müssen lernen, ohne ihre Eltern auszukommen.“

„Das wissen sie nicht. Sie ahnen es vielleicht, aber nicht mehr. Altwi hat ihnen versprochen, darüber zu sprechen. Sie alle sind mehr Mensch als Drache. Und mir würdest du meine Besuche etwas leichter machen. Zu mir hast du gesprochen. Aber deine eigenen Kinder sind dir weniger wert als ich. Jedenfalls würden sie das alle so sehen.“

„Als wenn dir das etwas ausmachen würde, Tama. Aber sag mir, wo du diese Sprache der verdrehten Zunge gelernt hast. Was soll so wichtig daran sein, dass sie Menschen sind?“

„Wenn du das nicht weißt, Mutter, kann es sein, dass in deinen Adern kein Menschenblut fließt?“

Mutter schwieg lange, schaute durch das Dachfenster in den Himmel. Dann gab sie sich einen Ruck.

„Ich werde tun, was du sagst. Schick mir Aureon und Argenton. Es wird die Welt nicht in den Abgrund treiben, wenn ich mir einige Augenblicke Zeit für meine Söhne nehme.“

Tama wartete bei ihren Geschwistern darauf, dass die beiden Brüder zurückkamen, und überlegte mit ihnen, was sie gegen die Räumung des Hauses tun konnten.

„Kämpfen“, sagte Hogger.

„Die werden sich wundern“, sagte Neven.

Baerben schwieg und strahlte plötzlich, als Aureon und Argenton eintraten.

„Ist eure Mutter weg?“, fragte Hogger mit viel Bitterkeit in der Stimme.

„Ja, sie wollte fort sein, bevor euer Vater kommt. Es ist ihr zu wenig Platz in dem kleinen Zimmer für alle zusammen.“

„Man könnte meinen, die beiden wären miteinander verfeindet“, sagte Hogger.

„Das sind sie ganz bestimmt nicht“, sagte Baerben, die wie immer mehr wusste als ihre Geschwister.

„Vater kommt wirklich?“, fragte Neven. „Ganz bestimmt?“ Das Leuchten auf ihrem kindlichen Gesicht hätte ausgereicht, ein ganzes Stadtviertel von NA-R mit Licht zu versorgen.

Tama war nicht mehr neugierig darauf, welche Gestalt Mutter für die Rolle als Vater ihrer Halbgeschwister gewählt hatte. Das hatte auf ihre eigenen Dinge keinen Einfluss. Jetzt war es Zeit, sich um wirklich wichtige Dinge zu kümmern. Da drohte die Räumung des Hauses, das ihre Familie bewohnte. Die musste sie sofort verhindern. Dann der Auftrag von Pandos Mutter: Werde stark! Sie würde ein Artefakt der Stärke erschaffen müssen. Das erschien ihr nicht völlig unmöglich. Der universelle Magieverstärker, einst nicht mehr als die Idee eines überreizten Gehirns, war jetzt eine ernst zu nehmende Möglichkeit. Blieb noch das ungelöste Problem, jemanden zu finden, der die Zukunft weiter und klarer sah als Altwi. Wenn jemand die Vergangenheit schaute, wie Pandos schwarze Schwester es vermochte, und es mit Baerben jemanden gab, der die Gegenwart kannte, dann musste auch jemand die Zukunft lesen können. Sie brauchte nur nach Menschen zu suchen, durch deren Adern Drachenblut floss. In ihrer Familie war das vor allen anderen Altwi. Und außerhalb ihrer Familie? Da fiel ihr niemand ein. Wahrscheinlich musste ein Seher erst noch geboren werden.

Nur kurz überlegte sie, ob sie das Elfenviertel durch die Tür verlassen sollte, durch die sie es betreten hatte. Doch dann beschloss sie einen kleinen Umweg zu machen. Durch das Viertel des Todes, von dort in das Viertel der Gestaltwandler, um da kurz nach dem Rechten zu sehen, und dann zu Treibgut. Sollten die Komposits sich doch wundern, wo sie abgeblieben war. Sie ließ sich von Aureon und Argenton bis zu jener Grenze bringen, die das Licht vom Dunkel trennte, verabschiedete sich von ihnen mit einem Kuss und tauchte in die Schwärze ein, in der niemand überleben konnte außer den Toten, den Geistern und den beiden jungen Männern, die sie mittlerweile als ihre Brüder ansah, auch wenn Aureon für sie einmal mehr als nur ein Bruder gewesen war.

Es dauerte immer ein wenig, bis sich die Augen an die Schwärze gewöhnt hatten und sie die ersten vorsichtigen Schritte tun konnte. Aber dann schritt sie zügig aus. Jetzt hatte sie es eilig.

„Liebe Grüße von mir und all meinen Freunden. Ich habe mehrfach versucht, eine Verbindung zu dir herzustellen, weiß aber nicht, ob es mir gelungen ist. Sag, konntest du mich spüren oder gar hören?“

Tama blieb stehen, weil sie nur die Stimme vernahm, ihr aber die Gestalt, die zu dieser Stimme gehörte, verborgen blieb. Versteckte er sich oder hatte er seinen Glanz verloren? Seine Anwesenheit ahnte sie mehr, als dass sie sie sah. Ja, da war er. Groß und dunkel stand er vor ihr, auf dem Kopf der unverkennbare Hut, dessen breite Krempe tief hinunterhing und das Gesicht verbarg. Als sie seinen Umriss sah, erkannte sie ihn wieder, und mit dem Erkennen kamen auch die Erinnerungen zurück. Sie war sich sicher, in der Zwischenzeit nichts von ihm gehört zu haben. Doch diese Sicherheit verschwand, je länger sie sich davon zu überzeugen suchte.

„Ich weiß nicht“, sagte sie. „Einmal hielt ich einen Knochenring in der Hand, der mir nicht für eine Frau gemacht schien. Mir war, als wenn sein früherer Träger zu mir sprach, denn ich sah die Gestalt eines Mannes vor mir. Groß und kräftig. Mehr konnte ich nicht erkennen. Aber ich musste sofort an meinen Freund denken.“

„Der ebenfalls groß und kräftig ist.“

„Nein, er ist nur mittelgroß und schlank, besitzt aber die Fähigkeit, mit mir gemeinsam durch die Dunkelheit zu gehen. Du müsstest ihn kennen. Seine Augen leuchten in der Farbe reinen Goldes.“

„Ich danke allen Mächten, die mir zuhören“, sagte der Ledermann. „Ja, ich erinnere mich an deinen Begleiter. An ihn wandte ich mich. Und an die alte Magie wandte ich mich. An alle Gegenstände der Vergangenheit, deren Verbindung zur alten Magie noch nicht zerrissen ist. An sie alle wandte ich mich. Und gemeinsam haben wir dich erreicht. Das ist ein gutes Zeichen und ein Tag der Freude für mich.“

Tama staunte über die unerwartete Begeisterung. Was konnte ein Geist von ihr wollen, dass er einen solchen Aufwand betrieb? „Sag, man nennt dich den Wanderer zwischen den Welten, nicht wahr? Die Gestalt, die versucht, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Was kann so dringend sein, dass du glaubtest, mich unbedingt erreichen zu müssen?“

„Das weißt du nicht mehr? Du hattest mir etwas versprochen, und ich wollte wissen, ob du noch an mich denkst oder mich bereits vergessen hast. Denn du musst wissen, dass das Vergessen einer der Flüche ist, unter denen wir Geister zu leiden haben.“

Von so einem Fluch hatte Tama noch nie etwas gehört, und an ein Versprechen konnte sie sich auch nicht erinnern. Vielleicht hatte sie einfach irgendetwas so dahingesagt, das man missverstehen konnte. Erinnern konnte sie sich nur an ein paar getrocknete Blätter. Und dass sie in Treibguts Labor noch ein paar Wurzelstücke eingesteckt hatte, bevor sie aufbrach. Aber die konnte er wohl kaum meinen, wusste er doch nichts davon.

Da fiel ihr ein, dass sie mit dem Geist tatsächlich einmal ganz kurz über Wurzelstücke gesprochen hatte, weil sie herausfinden wollte, ob es das Blattmaterial war, das ihm Kraft gegeben hatte, oder die Magie an sich. Sie suchte in ihren Taschen herum – und tatsächlich, da waren sie. Tama mochte jetzt nicht darüber nachdenken, was bei Treibgut ihre Hand geführt hatte

„Hier“, sagte sie und ließ das zähe Holz in seine Hand fallen. „Sag mir, ob sie für deine Sache geeignet sind.“

„Das sind sie. Ich kann ihre Kraft bereits spüren. Wie kann ich mich dafür erkenntlich zeigen?“

„Dazu besteht keine Veranlassung. Was für dich eine so große Bedeutung besitzt, ist für mich nur eine kleine Sache.“

„Sei vorsichtig. Nichts ist, wie es scheint. Da ist mehr, was uns verbindet. Schon bei unserer ersten Begegnung wunderte ich mich über deine Kleidung. Damals trugst du Leder. So wie ich auch. Auch heute bist du in Leder gewandet. Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

Tama wurde verlegen. Diese Frage ging ihr zu weit. Weder konnte sie sie klar beantworten, noch war sie bereit, darüber zu sprechen, welche Gefühle das Leder auf ihrer nackten Haut auslöste. Sollte sie ihm sagen, dass das Leder ihr Fleisch vibrieren ließ, ihre Haut empfindlich für Berührungen machte, ihr ein Kitzeln schenkte, dass sie erwärmte? Ja, all das geschah mit ihr. Sie konnte diese Gefühle nicht deuten und nahm sie nur wahr, wenn sie genügend Zeit und Muße hatte, sich auf sie einzulassen. Das war so selten der Fall, dass es kaum erwähnenswert war. Oder sollte sie ihm einfach sagen, dass sie das Gefühl von Leder mochte? Doch damit würde sie nur die Tür für neue Fragen öffnen. Was das Leder mit ihrer Haut machte, ging niemanden etwas an. Punkt. So einfach war das. Aber sie wollte nicht unhöflich erscheinen.

„Viele Elfenjäger sind in Leder gekleidet“, sagte sie schließlich.

„Das ist keine Antwort, weil du weder ein Elfenjäger bist, noch danach strebst, selbst einer zu werden. Also versuche es noch einmal. Vielleicht kann ich dir bei der Antwort helfen.“

So langsam fand Tama den Geist mit dem Hut unverschämt. Sie hatte nicht vor, ihre Kleidung mit ihm zu bereden. Entsprechend barsch fiel ihre Antwort aus. „Wie willst du mir helfen können? Ich mag meine Kleidung, fühle mich wohl in ihr und sehe auch keinen Grund, weiter darüber nachzudenken.“ Es war an der Zeit, das Thema zu wechseln, aber der Geist blieb störrisch.

„Du fühlst dich ganz offensichtlich wohl in der Haut toter Tiere, die einmal durch den Wald oder über das Grasland gelaufen sind. Wenn das kein Grund ist, über etwas nachzudenken, dann weiß ich nicht, worüber man sonst nachdenken sollte. Viele Tiere sind ihrem Menschen in den Tod gefolgt. Ich meine nicht jene, die er erlegt hat. Ich meine die Freunde der Menschen, jene Tiere, die für ihren Herrn ihr Leben gegeben haben, manchmal sogar freiwillig mit ihm zusammen in den Tod gingen. Man kann sie nicht zählen, diese Begleiter. So groß ist ihre Zahl. Ich glaube, du hast eine naturgegebene Verbindung zu uns Toten und Geistern. Ich könnte dir helfen, diese Verbindung zu erkennen und möglicherweise zu verstärken. Woher du sie hast, vermag ich nicht zu sagen. Aber sie ist da. Niemand könnte das besser beurteilen als ich, denn ich bin ein Teil der Geisterwelt, wandere überdies zwischen den Welten, wie du im Augenblick deutlich siehst, und trage die Hoffnungen meines Volkes mit mir herum.“

„Aber vor Geistern hast du mich einmal gewarnt. Erinnerst du dich nicht mehr daran?“

„Selbstverständlich tue ich das, und ich freue mich, dass auch du meine Worte noch in deinem Ohr trägst. Traue keinem Geist, solange du seinen Herrn nicht kennst. Aber nicht jeder Geist ist einem Herrn verpflichtet. Ich wurde auserwählt, den Weg zurück ins Licht zu suchen, weil es niemanden gibt, der mir befiehlt. Für diese Aufgabe gab mir jeder andere Geist das, was er besaß. Jetzt trage ich die gesamte Substanz aller anderen Geister mit mir herum, bis auf das, was sie benötigen, um ihre Form aufrechtzuerhalten. Du siehst, viel ist es nicht, was zusammengekommen ist. Es reicht gerade einmal für die Abbildung von Hut, Mantel und Stiefeln. Eine kräftige Abbildung. Würde ich dir erlauben, mich zu berühren, würdest du sie sogar spüren können. Doch bis aus dem Bild von einem Hut ein wirklicher Hut wird, muss ich noch viel Substanz sammeln. Wer weiß, wann ich so weit bin, dass ich das Viertel des Dunkels verlassen kann. Selbstverständlich nur nachts, wenn keine Sonne scheint. Stell dir vor, wir beide könnten durch die Straßen dieser Stadt schlendern. Arm in Arm wie jene Menschen, die viel Geld und noch mehr Zeit besitzen. Wir würden gut zueinander passen. Denn du bist voller Magie, hast aber alle deine Verbindungen zu ihrer Herkunft verloren. Ich hingegen verfüge über all diese Verbindungen und noch mehr und besitze damit, was du so dringend benötigst. Mir mangelt es dafür an Substanz und Form. Ich könnte dich stark und so mächtig machen, dass niemand dir gewachsen ist, und verlange doch nicht mehr dafür, als dass du mir die Welt zurückgibst, die ich einmal besessen habe. Auch wenn ich in ihr noch weiterhin die Sonne meiden müsste. Im Sonnenwind würde mein bisschen Substanz zu schnell verwehen.“

„Das war jetzt aber eine lange Rede. Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich das alles verstanden habe. Vor allem, was du über die Verbindungen sagtest, ist mir nicht klar, aber ich verspreche, darüber nachzudenken. Doch nun muss ich weiter. Ich habe es eilig.“

„Eilig? Du bist zweifellos in Sachen Magie unterwegs; denn was kann dringender sein als Angelegenheiten der Magie? Sag mir, warum die Drachen so mächtig sind.“ Der Wanderer beantwortete seine Frage gleich selbst, bevor Tama die Möglichkeit einer Antwort hatte oder sich ihm gar zu entziehen vermochte. „Weil sie eine Verbindung zur Vergangenheit haben. Sie sind das Chaos, sind Geschöpfe der alten Götter und daher mit der ganzen Welt verwurzelt. Und die Elfen? Ihnen ist die Verbindung zur Erde eigen. Nicht ohne Grund leben sie im Wald. Nimm ihnen den Wald, und sie sind machtlos und verloren. Unter den drei Völkern der Vernunft erscheinen nur die Menschen schwach, dabei ist ihre Magie fast so stark wie die der Drachen. Die Menschen waren einst auf dem Weg, die Mächtigsten von allen zu sein. Bis das große Unglück über sie kam. Ich sage dir, die Menschen waren einst mächtig und werden eines Tages auch wieder mächtig sein, noch mächtiger vielleicht, als sie es einmal waren. Auch sie bekommen bei ihrer Geburt von der Natur die Gabe der Magie geschenkt. Das ist nicht anders als bei den Drachen und Elfen. Aber ihre Magie muss erst wachsen und sich entwickeln. Ihre Magie wächst neben ihnen her, weil ihre Körper zu schwach sind, sie zu tragen. Die Menschen müssen sich um ihre Magie bemühen. Aber wenn sie das tun, ist ihre Magie größer als die des Chaos, größer auch als die Naturmagie des Lebens, auf der die Macht der Elfen gründet. Denn die Menschen allein sind in der Lage ihre Magie von außen zu betrachten, sie zu verändern und gestalten. Doch ich muss gestehen: Nur ganz wenige werden darin zu wirklichen Meistern.“

In Tamas Kopf überschlugen sich die Gedanken. War die Magie der Menschen nicht ihre höchst eigene Magie? Hatte bisher nicht das Blut der Drachen ihrer Familie die dazu benötigte Kraft verliehen? Hatte Pandos Mutter nicht verlangt, dass sie der Drachenschuppe und der Kraft des Chaos die Macht von Form und Struktur zur Seite stellen sollte, um sie stark zu machen? Und jetzt versprach ihr dieser Geist, der sich nicht ins Gesicht schauen ließ, diese Gestalt, die nur aus Hut, Mantel und Stiefeln bestand, ihr dieses alles einfach so zu schenken? Starke Magie ohne Drachenblut? Wie sollte so etwas möglich sein? Aber wenn er recht hatte, dann brauchte sie nicht mehr hinter einem Artefakt hinterherzurennen, das ihr die benötigte Kraft geben würde.

In diesem Augenblick und in der Schwärze des Dunkels ging vor ihr die Sonne einer leuchtenden Zukunft auf, aber sie dachte auch an Mutter, die immer vor Geschenken gewarnt hatte. „Nichts im Leben gibt es umsonst“, hatte sie immer gesagt. Nun gut. Wenn ein Preis zu zahlen war, würde sie ihn zahlen. Den Weg zur Magie der Menschen zu finden, war jeden Preis wert. Doch vorsichtig würde sie sein müssen, sich der Beute von allen Seiten nähern, daran riechen, vielleicht sogar ein wenig daran lecken. So wie die Wölfe es taten, die nur dem trauten, was sie kannten.

Das alles raste durch ihren Kopf. Und der Zweifel, ob dieser Geist wirklich konnte, was er versprach.

„Was war das große Unglück, das dem Menschen ihre Magie nahm? Wer immer dahinter steckte, musste über eine große Macht verfügt haben. War es Halva, die schlafende Göttin?“

„Von einer solchen Göttin habe ich noch nie gehört.“

„Sie steht für die Ordnung und leidet unter den Gestaltwandlern. Wenn sie sich umdreht, erzittert die Erde, wenn sie ausatmet, bricht Feuer aus der Erde und wenn ihre Tränen ins Feuer fallen, spritzt Magie empor, reißt ein Giftloch in die Oberfläche der Erde und verdirbt alles um sie herum.“

„Das klingt für mich nicht nach einer Kraft, die Ordnung schafft. Das klingt für mich nach einer Dienerin des Chaos. Aber egal. Du musst nur wissen, dass die Menschen in ihrer Magie nicht schwächer sein müssen als die Drachen. Allerdings müssen sie bei der Kultivierung ihrer Kraft sehr vorsichtig vorgehen.“

Tama wurde ungeduldig.

„Ja, ja, weil wir Menschen schwach sind. Deshalb frage ich dich noch einmal. Wer hat ihnen ihre Magie genommen?“

Jetzt war es der Geist, der sich unbehaglich fühlte und unter Tamas strengem Blick hin und her wand. „Das waren sie selbst. Doch wie erzähle ich einer Blinden von der Leuchtkraft der Farben, wie erkläre ich jemandem die Vergangenheit, der nichts über sein eigenes Volk weiß?“

Der Wanderer schaute hilfesuchend in das Dunkel über seinem Kopf, als würde er von dort eine Eingebung erwarten. Dann sagte er: „Vielleicht geht es so. Wenn ein Drache geboren wird, verfügt er bereits über das gesamte Wissen seines Volkes. Er muss nur lernen, daran zu kommen. Wenn eine Elfe geboren wird, besitzt sie alle magischen Fähigkeiten, die den Elfen zu eigen sind. Wie viel sie davon nutzen kann, hängt von ihrer Kraft ab. Nur der Mensch wird dumm geboren. Würde ich sagen, dass er gar nichts weiß, wäre ich von der Wahrheit nicht weit entfernt. Er muss alles von Grund auf neu lernen. Deshalb erzählen Menschen Geschichten. Deshalb lernen die Kinder so schnell. Deshalb bewahren Familien Erinnerungsstücke auf. Bei den Menschen wird das Wissen immer größer, weil sie das Alte hüten, denn Neues kann es nur dort geben, wo das Alte sich bereits befindet. Nur wenige Tiere sind dazu fähig. Aber lassen wir das. Stell dir jetzt etwas Ähnliches in der Magie vor. Einen Teil deiner magischen Kraft erhältst du von deinen Eltern bei deiner Geburt oder noch früher. Viel ist es nicht. Aber wenn sie einmal sterben, bekommst du von ihnen die gesamte Magie, die sie freisetzen, damit das Alte nicht verloren geht. Doch kann das nur gelingen, wenn du im Augenblick ihres Todes eine Verbindung zu ihnen hast. Kannst du mir folgen?“

„Ich denke schon“, sagte Tama. „Wäre ich gierig, würde ich meine Eltern umzubringen, damit ich den Zeitpunkt ihres Todes nicht verpasse.“

Der Geist erstarrte. Dann lachte er. „Du lernst schnell. Ein guter Magier, kann auch seine Großeltern und seine Urgroßeltern um Magie bitten, und sie werden dieser Bitte nachkommen. Manchmal gelingt das auch mit fremden Vorfahren, denn nicht jeder Mensch fühlt sich zu einem Magier berufen und nimmt, was ihm zusteht.“

„Aber wie haben die Menschen nun ihre eigene Magie vernichtet?“

„Eine kleine Gruppe wollte nicht, dass sich jeder an den magischen Quellen bedienen konnte. Sie wollten alles für sich und hatten eine großartige Idee. Sie erfanden Regeln, nach denen man mit den Toten umgehen musste. Und über diese Regeln wachte mächtige Wesen, die sie Götter nannten. Nun besaßen die Götter die Macht, und die Magier als ihre Priester übten sie aus. Das war genial. Aber als die Götter die Menschen verließen, war alles zu Ende.“

Tama musste nur kurz nachdenken. „Was hindert die Menschen daran, wieder ganz von vorn anzufangen und die Magie erneut zu sammeln?“

„Das ist eine gute Frage. Vielleicht haben sie vergessen, wie man das macht. Aber vielleicht gibt es schon lange wieder große Magier, und sie halten sich nur versteckt.“

Das Gesicht des Geistes war verdeckt, aber seine Körperhaltung hatte sich verändert. So, als wollte er Tama andeuten, dass es da ein Geheimnis gab, dass nur er kannte. Tama brauchte nur zu warten.

„Es gab eine neue Macht, die niemand kennt, aber uns Geistern Hoffnung schenkt. Sie ist hier um uns herum. Es ist das Dunkel und muss das Ergebnis eines Gnadenaktes sein, denn nicht wir schufen diesen Ort. Wir Geister können uns nun in der Welt der Menschen zeigen. Ich kann durch das Viertel des Dunkels spazieren. Ich kann es aber nicht verlassen. Und jetzt stell dir vor, was ich erreichen könnte, wenn mir das möglich wäre. Aber lassen wir das. Du glaubst vielleicht, das ist nichts, weil keine Menschen hier sind. Aber es gibt dich und deinen Freund und dessen Bruder und vielleicht noch einige, die im Licht leben und uns besuchen zu können. Sie könnten etwas hierhin bringen, was uns hilft, neue Körper zu bekommen. Magische Substanzen. So wie du sie mir geschenkt hast. Und wir könnten euch die Welt der Toten und Geister aufmachen, damit ihr von ihnen lernen könnt.“

Tama erschrak. Das war zu groß. Das war zu viel. Die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, dass zwei Welten sich gegenseitig durchdrangen, waren zu gewaltig, als dass ein einzelner Verstand sie auch nur im Ansatz begreifen konnte. Hatte Pando also doch recht, wenn er vor einigen Wahrheiten warnte, weil sie zu groß waren?

„Ich danke dir für diese Geschichte“, sagte sie. „Du hast mich überzeugt. Aber ich brauche Zeit, um es ganz zu verstehen. Ich werde über all das gründlich nachdenken. Das verspreche ich dir. Doch nun muss ich weiter.“

„Aber, aber …“ Der Wanderer verschwand und tauchte an anderer Stelle wieder auf. „Wie hast du dich denn nun entschieden?“

„Wobei?“

„Bei unserer gemeinsamen Arbeit. Stark wird sein, wer die Kraft der Toten nutzt, schwach wird werden, wer dem Verlust der Lebenden zu lange hinterherjammert. Ich kann dich stark machen.“