Die tote Waldelfe - Wolf Awert - E-Book

Die tote Waldelfe E-Book

Wolf Awert

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Beschreibung

Nicht nur die Welt Halva selbst, auch ihre Bewohner merken inzwischen, dass Unheil vor der Tüt steht. Es herrscht Krieg zwischen Menschen und Waldelfen. Die Menschen sind Zahlreich, die Waldelfen nur wenige. Haben sie überhaupt eine Chance? Der Erste Berater des Elfenwaldes wurde von einem Geist ermordet. Wer soll ihn ersetzen? Und welcher Geist ist in der Lage, die Welt der Lebenden zu betreten und dort einen Vierteldrachen zu töten? Während Tama und ihre Verbündeten darüber nachdenken, versammelt Drachentochter Zsardyne die verstreut lebenden Halbdrachen ein. Die Drachenmutter braucht jede Unterstützung in ihrem Kampf gegen den unsterblichen Godwin. Der Hintergrund: Unerwartet tauchen auf der Welt Halva Gestaltwandler auf. Dem Aussehen nach wilde Tiere, doch mit Vernunft gesegnet und der entsetzlichen Fähigkeit, biologische Grenzen zu durchbrechen und sich mit anderen Arten fortzupflanzen. Bereits ihre bloße Gegenwart bringt in den anderen vernunftbegabten Arten, den Drachen, Elfen und Menschen, die finstersten Seiten zum Vorschein. Die Elfen versuchen deshalb, die Gestaltwandler und ihre Mischlings-Nachkommen einzufangen und wegzusperren, doch der Keim des Zerfalls breitet sich unaufhaltsam aus. Unter den Elfen droht ein Bürgerkrieg, die Menschen dringen in den Siedlungsraum der Elfen ein und die Drachen scheinen unschöne Geheimnisse zu haben. Am Ende beginnt sogar Halva, sich selbst zu zerstören. In dieser Welt macht sich die Viertelelfe Tamalone auf, ihre Ziehmutter wiederzufinden und die Rätsel ihrer Herkunft zu lösen. Niemand rechnet mit dem, was ihre Suche auslösen wird – sie selbst am wenigsten.

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Die tote Waldelfe

Wolf Awert

Band 9 der Drachenblut-Reihe

©Wolf Awert 2022

Machandel Verlag Haselünne Charlotte Erpenbeck

Cover: Detlef Klewer

1. Auflage 2022

ISBN 978-3-95959-188-1

Karte der Welt Halva

Was bisher geschah

Jemand hat Sumpfwasser den ersten Berater der Waldelfen getötet. Ein Geist, ein Magier oder jemand, der beides zugleich ist? Jetzt streiten sich Lufthauch und Immergrün um die Nachfolge. Für Zsardyne ist dieses Ereignis der letzte Schritt zur Selbstfindung. Er schließt sich seiner Mutter an, um gegen das Böse, gegen Godwin, zu kämpfen. 

Tamalone besucht zu der Zeit zusammen mit der Unaussprechlichen den Ort ihrer Jugend. Was sie dort im Haus des Aufpassers findet, ist ungeheuerlich. Als sie ihm auf dem Rückweg begegnet, behauptet er, er sei ihr Vater. Kann sie ihm glauben?

Personae dramatis

GODWIN, Altvater aller Drachen

KRIECHER: Drache mit einem gelähmten Flügel

TAMALONE, genannt Tama, ein Dreiviertelmensch mit einigen rätselhaften Fähigkeiten

PANDO, ein Gestaltwandler in Tierform und Freund Tamas

DORMAN, Pando in Menschengestalt

CHAMSIANA, Pando in Elfengestalt

ZSARDYNE, Pandos schwarze Schwester

DIE UNAUSSPRECHLICHE, Eine rätselhafte Frau unklarer Rasse. In Centrell nennt sie sich Blauer Schlafmohn, sie war Tamas Pflegmutter

Waldelfen

SUMPFWASSER, Erster Berater der Waldelfen und Tamas Auftragsgeber

LUFTHAUCH: Waldläufer

BORK, Truppführerin der Waldelfen

LIND und MAITRIEB, zwei ihrer Jäger

IMMERGRÜN: Ein Diener zweier Herren

ZIMTCHEN: Offizier der Wehrhüter und angeblich Sumpfwassers Tochter

SONNENKRANZ, Sprecher des Elfenrates

Stadtelfen in NA-R

TREIBGUT, Magier der Komposits und Hersteller von Artefakten

KÖNIG NACHTNEBEL, Artefakthändler und Treibguts Partner, arbeitet später unter Barionstab

WILLJA, Viertelelfe, arbeitet an Artefakten

STEINDORN, ehemaliger Stadtkommandant von NA-R

RÄTSELKRAUT, der eigentlich GRÜNKELCH heißt, ein Verkäufer Nachtnebels

BARIONSTAB, Familienältester des Hauses Barion und Anführer der Stadtelfen im Krieg gegen die Waldelfen

Menschen in NA-R

MERJINA, Frau, reinrassiger Mensch, arbeitet an Artefakten

SCHLANGENAUGE, Führer der Unterwelt

Familie in NA-R

ALTWI, Tamalones leibliche Mutter

HOGGER, ihr Sohn und Tamas Halbbruder

BAERBEN, ihre ältere Tochter und Tamas Halbschwester

NEVEN, ihre jüngere Tochter und Tamas Halbschwester

AUREON und ARGENTON, ihre Söhne

PALUDA, Tochter von Torso

POLA-POLON, Merjinas Sohn

Sonstige

TORSO, Gestaltwandler und Froschmensch von gewaltiger Sprungkraft

AUFPASSER, Verwalter der Bergbausiedlung

SEELE DES AUSGLEICHS, seine Begleiterin

HORNFINGER, (hist.) vergessener Expeditionsleiter der Waldelfen

CILLIA, (hist.) Hornfingers Frau

DER WANDERER, ein Wesen aus der Welt der Toten

ZWEI GEISTER, Wesen der Vergangenheit im Dunklen Viertel

GALMEI, Magier der Menschen und Minenbesitzer

Personen in Centrell

BLAUER DREISPORN, Bewohnerin des Hauses Blau und zweite Tochter der Rache

BLAUER SCHLAFMOHN, die Unaussprechliche und Freundin von Blauer Dreisporn

Die Drachentöchter

DIE TOCHTER DER GEWALT, lebt bei Godwin

DIE DREI TÖCHTER DER RACHE, wurden von der Drachenmutter in die Welt geschickt

DIE ZWEI TÖCHTER VON LIEBE UND VERGEBUNG, Pando trägt das Weiß der Unschuld, Zsyrdyne das Schwarz der Fruchtbarkeit

FEUERBLÜTE, Godwins Enkelin aus einer Drachentochter

Tamalone

Ihr Name. Ta-Ma-Lone!

Diese drei Worte dröhnten in ihren Ohren, als wollten sie Hallen und Thronsäle füllen. Und der Mann, der ihr einst diesen Namen gab, stand vor ihr. Der Aufpasser – ihr Vater? Unmöglich. Sie hatte von sich immer angenommen, dass sie ein guter Mensch wäre. Trotz des Viertels Elfenblut, das in Wahrheit nur ein Achtel war. Wenn überhaupt. Wie sollte sie das weiterhin von sich selbst glauben, wenn ihr Vater …

Pandos Vater hatte gesagt, dass der Mann, der einen elfenblütigen Vierteldrachen so schnell töten konnte, dass der sich nicht hatte wehren können, der mächtigsten Magier dieser Welt sein musste. Und dass er, wenn er auch noch in der Lage war, als Geist die Welt der Lebenden zu durchwandern, sogar die Magier der alten Zeit übertroffen hätte. Außerdem war er ein Monster, das Menschen tötete, um ihnen die Haut abzuziehen und Kleidung daraus zu nähen. Auch wenn er es anders darstellte, er tauschte Leichenteile ein gegen … Doch das hatte er ihr verschwiegen. Was war die Gegenleistung für das Fleisch, das Blut, die Knochen, Haut und Haare?

Dass sich durch sein Geständnis nun auch noch der erste Mann, mit dem sie das Bett geteilt hatte, als ihr Halbbruder herausstellte, war im Vergleich zu all diesen Dingen nur noch eine lässliche Sünde.

„Wäre deine Mutter geblieben, wären unser beider Leben anders verlaufen. Doch lohnt es sich nicht, der Vergangenheit hinterherzulaufen. Es stehen uns immer noch alle Möglichkeiten offen.“

Noch mehr Worte, die das Dröhnen nur verstärkten. Laute ohne Sinn und Bedeutung. Hall und Echo, Schmerz und Unverständnis. Tama schlug sich gegen die Ohren, als ob das helfen würde.

„Du kannst dir meine Freude kaum vorstellen, als du zurückkamst. In Begleitung dieser wunderschönen Frau, die aus einem Kind eine Zauberin machte. Sie hier vor meinen Augen aufzog.“

„Freude.“ „Frau.“ „Augen.“ Erste Worte wurden verständlich und fanden ihren Weg durch Tamas Ohren.

„Ich sehe Verwunderung auf deinem Gesicht. Und Verwirrung in deinen Augen. Du verstehst nicht? Wer, meinst du, hat dafür gesorgt, dass du hier eine Bleibe fandst und genug zu essen bekamst? Wer hat dich denn beschützt, dir die Gelegenheit gegeben zu lernen und erste Erfahrungen zu machen? Bitte verzeih mir, dass ich nicht anders konnte, als mich in die Frau an deiner Seite zu verlieben. Sie ist der Grund, dass ich mit deiner leiblichen Mutter brach. Denn bis zu der Begegnung mit euch beiden hoffte ich auf ihre Rückkehr. Doch dann verließet auch ihr mich. Erst deine Begleiterin, dann du. Aber alles ist nun gut, weil ihr zurückkamt.“

„Ich habe also zwei Halbbrüder.“ Ein kurzer Satz auf halber Strecke zwischen Feststellung und Frage verbrauchte das Bisschen an Kraft, das zu Tama zurückgekehrt war.

„Das ist richtig. Sie wuchsen gemeinsam mit dir auf, bis sie eines Tages verschwunden waren. Ihre Mutter hatte sie mitgenommen. Ich hoffe, es geht ihnen gut.“

Tama lehnte sich gegen die Felswand. Ihre Beine zitterten, aber ihr Verstand kam zurück. Lug, Trug und Halbwahrheiten waren zu einem Mantel verwoben worden, der niemandem passte. Altwi und der Aufpasser erzählten ihr zwei so unterschiedliche Geschichten, dass nur eine von ihnen wahr sein konnte. Möglich auch, dass beide erfunden waren.

Altwi traute sie nicht. Ihre leibliche Mutter war eine Frau voller Geheimnisse. Dem Aufpasser traute sie noch weniger, denn seine Geschichte war voller kleiner Lügen. Sie und ihre Halbbrüder waren nicht gemeinsam aufgewachsen, wie er sagte. Sie hatten nur ein paar Jahre hier in der Siedlung verbracht. Zur selben Zeit, aber nicht gemeinsam. Sie hatten sich gelegentlich gesehen, aus der Ferne, nie miteinander gesprochen und stets Abstand gehalten. Auf wessen Geheiß wusste sie nicht. Die Unaussprechliche hatte ihren Zustand verborgen, ihre Kinder in einem Versteck zur Welt gebracht und nach Drachenart aufgezogen. Aber Tama wollte nicht über ihre Halbbrüder sprechen. Sie wollte überhaupt nicht über ihre Familie sprechen, bevor sie nicht Altwis Sicht der Dinge kannte. Sie wollte über die Geister sprechen. Und die Toten. Und die Welt der Geister und Toten. Doch dazu musste sie erst den Redefluss des Aufpassers unterbrechen, der wie ein schnell fließender Bach unaufhörlich vor sich hin murmelte.

„Glaube mir, ich habe mich die ganze Zeit nach einer Familie gesehnt. Die Frau, die ich liebte, an meiner Seite und ihre Kinder und dich noch dazu. Wir fünf. Bis heute weiß ich nicht, warum sie ging. Und jetzt weiß ich nicht, warum sie kam. Sie erschien mir freundlich, sprach mit mir über alles Mögliche, nur nicht über uns. Was ist das für eine Frau? Tamalone, du kennst sie besser als ich, hilf mir ein wenig. Ich möchte euch nicht erneut verlieren.“

Jetzt war der Moment gekommen, das Thema zu wechseln. Es schien, als wäre der Aufpasser wirklich verzweifelt, doch Tama traute ihm keinen Fingernagelkratzer über den Weg. Jemand, der so mächtig war, wie sie vermutete, würde niemals vor anderen eine solche Schwäche zeigen. Alles deutete darauf hin, dass er ihr nur etwas vorspielte, um von ihr das zu bekommen, was er von ihr haben wollte. Aber was konnte das sein?

„Ich befürchte, ich kann Euch dabei nicht helfen, auch wenn ich es gerne täte. Für mich war diese Frau immer an meiner Seite, solange ich denken kann. Ich nannte sie Mutter, obwohl sie das nicht gerne hörte. Obwohl sie kein persönliches Wort zu mir sprach. Es ging immer nur darum, was ich tun sollte und was nicht. Und doch. Wenn es mir nicht gut ging, nahm sie mich in den Arm. Sie zeigte mir ihre Liebe, indem sie sich um mich sorgte. Nur eines tat sie nicht: viel reden.“

Tama wusste, einer Lüge begegnete man am besten mit einer Lüge oder bestenfalls mit einer Halbwahrheit. Nur wusste sie nicht, wie groß und verzweigt das Lügengespinst des Aufpassers war. Sie würde fragen müssen.

„Vater, wenn ich Euch jetzt so anreden darf, sagt mir lieber, warum uns die Welt der Toten und Geister hier in Eurem Haus so nahe ist.“

Jetzt würde er alles abstreiten. Da war Tama sich sicher. Um so größer war ihre Überraschung als sie den Aufpasser sagen hörte: „Du hast sie gespürt? Die Toten und die Geister? Ja, sie sind ganz in der Nähe, doch warum das so ist, kann ich dir nicht sagen. Vielleicht, weil wir hier eine große Mine haben. Vielleicht auch nur, weil es diesen Gang hier gibt. Aber der Gang hatte ursprünglich mit den Toten nichts zu tun. Ein Gebäude wie dieses braucht Werkräume, und die legt man am besten im Keller an. Dazu gehören auch die Gänge und Flure, die die Räume miteinander verbinden. Wie sollte es anders sein? Es verhielt sich also lange Zeit alles ganz normal. Aber irgendwann weigerten sich die Arbeiter, weiterzugraben. Ich sah mir die Stelle an und spürte die Magie unserer Ahnen. Ich habe daraufhin die Arbeiten abbrechen lassen. Seither ist hier nichts mehr geschehen.“

Lügner! Tama konnte Lebensenergie spüren und das Gedächtnis des Gesteins erahnen. Der Gang wurde ständig besucht. Wahrscheinlich sogar täglich. Aber mit Widerspruch oder Anklagen würden sie nichts erreichen. Eine Frage wollte sie noch riskieren, nur eine, aber welche? Sollte sie nach den Knochen fragen oder nach der Lederkleidung? Beide Fragen waren gefährlich, weil sie sich nicht leicht erklären ließen und seinen Argwohn schüren könnten. Also wonach fragen?

„Ich habe in einer Kammer Knochen gefunden. Menschenknochen. Was ist denn mit ihrem Fleisch geschehen? Warum wurden sie nicht bestattet?“

„Du warst in der Kammer?“ Des Aufpassers Ton hatte sich verändert, war scharf geworden und fordernd. Genau das hatte sie befürchtet.

„Wundert Euch das? Es war der Geruch faulen Fleisches, der mich neugierig machte.“

„Menschen sterben, Tamalone. Das ist ein Teil des Lebens. Hier sterben die meisten Menschen in der Mine, weil die Arbeit dort gefährlich ist, weil die Menschen bei dem, was sie tun, nicht aufpassen, weil der Fels feindlich ist und sein Erz nicht hergeben möchte. Ich könnte ihre Überreste in der Mine belassen. Es wäre ein würdiges Grab. Aber die Bergleute wollen das nicht. Ihre Toten müssen an die Erdoberfläche zurück, da sie sonst für Ewigkeiten in den Stollen umherspuken könnten. Gegen den Aberglauben der Bergleute kommt niemand an. Die Mine ist voller Geister – sagen sie. Aber ich habe dort noch nie einen gesehen, muss allerdings zugeben, dass ich unter der Erde weder lebe noch arbeite und sich meine Besuche dort in Grenzen halten.

Also bringen wir unsere Toten an die Erdoberfläche. Ist dir nie aufgefallen, dass diese Siedlung keinen Friedhof aufweist, wir also noch nie jemanden hier bestattet haben? Das ist so, weil ich hier keinen Friedhof haben will, denn wenn wir einmal weiterziehen sollten, müsste ich alle Toten wieder ausgraben. Wir, die wir unter den Menschen die Wissenden sind, lassen unsere Toten nicht einfach so zurück. Sie haben uns immer noch viel zu geben. Und wenn wir weiterziehen, sollten wir sie mitnehmen. Es sei denn, sie wollten bleiben. Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Jetzt bringe ich sie in den Gang und lege sie dort ab. Das Gestein nimmt sie auf. In einem Punkt hast du recht. Die Toten und Geister leben nicht weit von uns entfernt. Die Mine, die Siedlung und das rote Haus in unserer Siedlung sind ganz besondere Orte. Du hast die Toten gespürt. Du glaubst nicht, wie mich das freut. Das ist die erste Voraussetzung, um zu den Wissenden zu gehören. Ich kann dich ihre Magie lehren, wenn dich das interessiert. Ich habe immer schon gewusst, dass du alle Voraussetzungen dafür erfüllst. Aber erst jetzt bist du erwachsen und mir immer willkommen.“

Tama wusste, dass sie nicht weiter fragen durfte. Der Aufpasser hatte eine vollständige Geschichte präsentieren können. Er war vorbereitet gewesen. Aber nicht gut genug für einen wachen Verstand, denn diese Geschichte erklärte nicht die zu Leder gegerbte Menschenhaut und auch nicht die Knochen. Keines der Skelette war vollständig gewesen. Es waren nur die Arm- und Beinknochen, aufbewahrt worden waren. Aber warum. Wozu waren die gut? Und was hatte er gemacht, bevor der Gang gegraben worden war?

Tama musste es dabei belassen. Zunächst einmal. Aber ganz bestimmt nicht endgültig, schwor sie sich.

„Seid Ihr so lieb und begleitet mich nach oben? Meine Beine scheinen sich aufgelöst zu haben.“

„Selbstverständlich. Ich weiß selbst, wie kraftraubend ein Aufenthalt in der Nähe von Toten und Geistern sein kann. Geht es jetzt zurück nach NA-R?“

Tama stutzte. Was sollte denn diese Frage? Sie nickte und fügte noch ein zögerndes „Ja“ hinzu.

„Ich hörte, dass der König gebrauchte Kleidung und Werkzeuge aus dem Kriegsgebiet verkauft. Ich könnte so manches davon gebrauchen.“

„Warum kauft Ihr es dann nicht?“

Achselzucken. „Zu teuer für gebrauchte Sachen. Aber ich wusste nicht, dass der König mit den Waldelfen in Verbindung steht.“

Tama schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass König Nachtnebel schon lange nicht mehr die Geschäfte führte? Dass Meister Treibgut das übernommen hatte? Das und alles, was damit zusammenhing, ging den Aufpasser nichts an. Und er sollte auch nicht erfahren, was sie darüber wusste. Nicht, solange seine Rolle nicht geklärt war.

Auf dem Weg zurück zur Oberfläche bemerkte Tama eine Ratte, die mal vor, mal hinter ihnen herlief. Ratten waren in einem Keller nichts Besonderes, aber Ratten, die nicht davonliefen, schon. Spätestens im lichtdurchfluteten Eingang dachte sie aber nicht weiter darüber nach. Dort stand wie ein drohender Schatten die Unaussprechliche. Der Schatten gab den Eingang mit einer leichten Körperdrehung frei, sodass Tama hinausschlüpfen konnte. Dem Aufpasser versperrte sie auf die angenehmste Art, die der sich denken konnte, den Weg. Sie umarmte ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals.

„Ich weiß, dass du mich zurückhaben möchtest“, sagte sie. „Und ich fühle mich geschmeichelt und in Versuchung geführt. Zu anderen Zeiten würde ich darüber nachdenken, doch nicht jetzt. Die Welt liegt mit sich selbst im Krieg. Der Streit zwischen den Komposits und den Waldelfen ist nicht bedeutsamer als ein Erdbeben oder ein neu aufgebrochenes Giftloch. Es wird noch mehr solcher Streitereien, Kämpfe geben. Und es wird auch wieder Frieden geschlossen werden. Aber dieser eine Krieg, der Krieg der Welt gegen sich selbst, ihn müssen wir verhindern, weil es nach ihm keine Zukunft mehr für uns geben kann. Nur deshalb fällt es mir nicht ganz so schwer, der Versuchung zu widerstehen. Ich kann nicht bei dir bleiben. Und Tama kann es auch nicht. Wir werden gebraucht. Wenn alles vorbei ist, sind wir wieder frei in unseren Entscheidungen, falls es uns dann noch gibt. Pass auf dich auf, pass auf, dass du in dem Strudel der Geschehnisse nicht untergehst. Auch den Menschen steht noch eine große Zukunft bevor – oder aber ihr Untergang. Wir müssen dich nun verlassen, auch wenn mir das schwerfällt.“

„So hast du noch nie zu mir gesprochen. Was weißt du, was ich nicht weiß?“

„Alles.“

Und mit diesem einen letzten Wort löste sie ihre Umarmung, drehte sich um und ging mit Tama an der Hand auf den Wald zu. Die beiden Frauen verloren dabei kein Wort, bis sie zwischen den Blättern der Büsche und Sträucher verschwanden.

„Ich bin froh, hier unbeschadet weggekommen zu sein“, sagte Tama.

„Das versteh ich, aber ich war immer in deiner Nähe.“

„Du warst die Ratte.“

„Du hast mich bemerkt?“

Tama lachte ein glucksendes Lachen. „Das war nicht schwierig. Alle anderen Ratten sind immer vor mir weggelaufen. Nur die eine nicht.“

Und dann erzählte sie der Unaussprechlichen von all den Dingen, denen sie im Keller des roten Gebäudes begegnet war. Von der Nähe zu der Welt der Toten und Geister, von den Menschenknochen in einer Kammer, von den Häuten, die Menschen abgezogen und zu Leder gegerbt worden waren, um aus ihnen Kleidungsstücke zu machen. Auch von dem Geist aus dem dunklen Viertel, der solche Kleidung trug, obwohl sie an ihm so dünn geworden war, dass sie beinahe durchsichtig wirkte. Sie beendet ihren Bericht mit den Worten: „Der Aufpasser behauptet, mein Vater zu sein. Ich werde Altwi dazu befragen müssen. Dieses Mal wird sie mir nicht ausweichen können. Aber ich befürchte, dass er nicht nur mein Vater sein könnte, sondern auch der Mörder Sumpfwassers.“

„Du hast gesehen, dass ich ihn bei unserem Abschied lange umarmt habe. Er hat sich seit der Zeit, in der wir ein Paar waren, sehr verändert. Damals wusste ich nur, dass er Zugriff auf die Magie der Menschen hatte, und das genügte mir. Er ist stärker geworden, sehr viel stärker, aber er war meiner vorsichtigen Drachenmagie immer noch so ausgeliefert wie früher. Niemals wäre er in der Lage gewesen, Sumpfwasser zu töten, indem er Zugang zu dessen Herz fand, es festhielt, es so lange zerdrückte, bis es nicht mehr schlagen konnte. Dazu wäre selbst ich nicht in der Lage gewesen. Wir suchen einen Magier mit der Macht eines Halbdrachen oder sogar noch darüber hinaus. Eine solche Kraft hätte ich gespürt. Nein, Sumpfwassers Mörder ist er nicht.“

„Er könnte seine Magie versteckt haben.“

„Möglich, aber dann wäre er stärker oder kenntnisreicher als ein Drache.“

Als die Dunkelheit hereinbrach, wurde aus der Unaussprechlichen wieder ein hässlicher Drache mit Vogeleigenschaften. In dieser Gestalt trug sie Tama nach NeuAllerdamm-Rot und zu ihrem Haus, das mittlerweile einer Gruppe merkwürdiger Wesen Unterschlupf gewährte. Und sie alle gehörten zu ihrer Familie.

Zsardyne und die erste Tochter der Rache waren bereits anwesend. Sie hatten sich nicht damit aufgehalten, auf den Schutz der Nacht zu warten.

Baerben fiel Tama wie schon so oft um den Hals und sagte: „Zsardyne wollte mich schon entführen, weil die dritte Tochter der Rache weitergeflogen ist, aber ich gehe nicht ohne deine Erlaubnis – oder die von Vater.“

Die letzten Worte schob sie noch schnell hinterher und schaute mit vorsichtigem Blick auf die Unaussprechliche, die so gar nichts mit dem Bild eines Vaters zu tun hatte.

„Vater wird bestimmt nichts dagegen haben“, sagte Tama.

„Nein, Vater hat nichts dagegen. Ich bin so selten hier, dass du auch ohne meine Erlaubnis Dinge tun kannst, die du für wichtig hältst. Du bist schon ein großes Mädchen mit einer einzigartigen Magie. Und Zsardyne wird bestimmt auf dich aufpassen.“ Sie drehte den Kopf. „Wirst du doch, oder? Wenn nicht, wirst du geröstet.“

Zsardyne in seiner Gestalt als Elfenkriegerin grinste, als er antwortete: „Ist dir nicht klar, dass ich nach menschlichen Gesichtspunkten deine Tante bin? Du solltest respektvoller mit mir umgehen.“

Tama unterbrach das Geplänkel. Sie hatte es eilig, und es gab noch viel zu klären.

„Sicher darfst du mit Zsardyne reisen, aber wir haben noch ein paar Dinge zu besprechen. Vater zuerst.“

Die Unaussprechliche schaute verdutzt. „Was sollte ich zu besprechen haben?“

„Wir haben jemanden gefunden, der die Zukunft lesen kann. Jemanden mit derselben Gabe wie Altwi. Damit liegt nicht mehr die gesamte Verantwortung auf den Schultern einer einzigen Frau. Merjina ist ein Mensch ohne ein Quäntchen Drachenblut. Sie hat ihre Gabe erst erkannt, nachdem sie ein Artefakt von mir erhielt. Ihre Gabe ist stark, die Kraft ihres Körpers hingegen gering. Sie ist klug, aber furchtsam, weiß viel, aber ist leise. Sie hat ein Kind von Vater und erwartet ein zweites Kind von Pando. Sie ist Familie. Zsardyne, Baerben, sprecht mit ihr, aber geht behutsam mit ihr um.“

Ein Raunen ging durch das Zimmer, als alles durcheinander redete, und die Unaussprechliche schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie konnte ich das vergessen?“

„Du hast es nicht vergessen. Ich habe es doch von dir erfahren.“

„Das reicht nicht. Ich hätte es hier erzählen müssen. Ich hätte es Baerben und Zsardyne erzählen müssen. Aber der Magier hat sich dazwischen gedrängt.“

Erneutes Gemurmel. „Welcher Magier?“ „Wovon redet sie?“ „Was ist hier los?“

Tama streckte sich ein wenig. „Kann jemand Altwi holen gehen oder mir sagen, wo ich sie finde? Ich brauche unbedingt noch eine Auskunft von ihr. Und ihr, Zsardyne, Baerben und du, erste Tochter der Rache, bleibt bitte noch einen Augenblick, bis wir Altwi angehört haben.“

Aureon verschwand und kam wieder mit …

„Torso“, rief Tama und rannte auf den Froschmenschen zu, doch der hatte nur Augen für die Unaussprechliche.

„Schau, Paluda“, sagte er. „Da steht deine Mutter.“

„Ich kenne sie, Vater“, antwortete das Mädchen. „Sie war schon einmal hier.“

Torso, der Froschmensch. Mutters Irrtum. Die eine Paarung, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Zu der sie nicht stand. Und Paluda, die Frucht aus dieser Beziehung. Doch als Tama das Lächeln auf Mutters Gesicht sah und ihre Freude, war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob die Sache mit dem Irrtum stimmte. Wer konnte schon in die Seele eines Halbdrachen hineinschauen?

„Setzt euch hin“, befahl Altwi. „Tama wollte etwas geklärt haben. Und Torso soll endlich seine Frau in den Arm nehmen dürfen. Lange genug hat er darauf warten müssen.“ Da war ein vorwurfsvoller Ton in Altwis Stimme. Doch Torso reagierte nicht. Die Unaussprechliche setzte sich auf den Boden, zog Paluda in ihren Schoß und Torso an sich.

„Was wolltest du von mir, Tama?“

Altwi sah müde aus.

„Ich habe nur eine Frage an dich. Oder auch zwei. Es hängt von deiner Antwort ab.“

„Ich sehe schon, du beabsichtigst eine große Angelegenheit daraus zu machen. Also frag schon, damit ich mich wieder hinlegen kann. Ich fühle mich müde seit einigen Tagen.“

„Ist der Aufpasser aus der Bergwerksiedlung, in der ich aufgewachsen bin, mein Vater? Der, den du einmal Luvv nanntest?“

„Ja.“

Nur ein Wort als Antwort. Nicht mehr. Ausgesprochen ohne irgendein Gefühl darin. Keine Anklage, keine Trauer, keine Farbe, die auf eine Erinnerung zurückschließen ließ, und kein Geruch, der einen Rest von einer ehemaligen Verbindung erkennen ließ.

„Aber …“

Tama suchte nach Worten. „Warum hast du ihn denn damals verlassen und mich mit dir genommen?“

„Ich hatte ein Gespräch zwischen ihm und seiner Freundin mitbekommen. Die, die sich Seele des Ausgleichs nannte. Ich habe nie verstanden, was sie bei ihm zu suchen hatte. Auf einmal war sie da, und nichts konnte sie mehr vertreiben. Aber ich ging nicht wegen meiner albernen Eifersucht. Ich ging, weil ich seine Pläne kannte.“

Tama wartete, aber Altwi schwieg.

„Welche Pläne?“, fragte Tama endlich.

„Die willst du nicht hören.“

In Tama kochte der Ärger hoch. „Sag mir bitte nicht, was ich hören möchte und was nicht. Sonst sitzen wir noch morgen früh hier. Ich gehe nicht, bevor ich keine Antworten auf meine Fragen erhalten habe. Ich kann mindestens so beharrlich sein, wie du stur bist.“

Altwi rang sich ein mühsames Lächeln ab.

„In deinen Worten erkenne ich meine Tochter. Was weißt du über die Magier der Menschen und die Quellen ihrer Magie?“

„Nicht viel“, gab Tama zu. „Nur, dass sie ihre Magie aus der Naturmagie anreichern können, was aber ein langsamer Vorgang ist, und dass sie den größten Teil ihrer Magie von ihren Vorfahren übertragen bekommen.“

„Dann weißt du genug. Wenn ein Sohn seinen Vater beim Übergang vom Leben in den Tod begleitet, ist es möglich, fast die gesamte Magie zu ernten. Sollte der Vater aber neben dem Sohn verunglücken, kann der Sohn nur einen kleinen Teil erhaschen, weil der Tod selbst das Ende aller Dinge ist. Auch der Magie. So erging es Luvv mit seinen beiden Eltern. Er hat sie umgebracht und war enttäuscht, wie wenig Kraft sie ihm noch schenken konnten. Für das große Ziel, das er vor Augen hatte, war das zu wenig. Die Unsterblichkeit. Das ewige Leben. Davon träumte er. Aber für die Magie dazu hätte er mehr Stärke gebraucht, als er in seinem ganzen Leben hätte zusammentragen können. Deshalb traf er eine grausame Entscheidung. Er tötete Menschen und saugte ihnen das an Magie ab, was er bekommen konnte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele er getötet hat. Einige von ihnen verfügten über überhaupt keine Magie.“

„Jetzt sag mir nicht, dass er auch dich töten wollte.“

„Schlimmer. Er hatte mittlerweile gelernt, worauf es ankam. Mich wollte er auf eine Art töten, die mich ganz langsam sterben ließ, damit ihm der Großteil der Magie nicht mehr entkam. Und dich wollte er aufziehen, bis du zur Frau herangewachsen warst. Dann hätte er auch dich getötet. Auf eine ähnliche Art. Dem mussten wir entkommen. Der Rest ist Geschichte.“

Tama war fassungslos. Der Fund der menschlichen Knochen, der Haut, der Gestank verfaulten Fleisches, das alles gab einen völlig neuen Sinn. In dem Keller lagerten keine Leichname, sondern Sterbende. Und wer nicht starb, wurde dazu gebracht. Ihr Vater war also doch ein Monster. Aber war er deshalb auch der Mörder Sumpfwassers? Die Unaussprechliche war nicht dieser Ansicht.

„Ich danke dir für deine Ehrlichkeit, Mutter Altwi. Es muss schwer für dich sein, darüber zu sprechen. Deshalb entschuldige ich mich, dich dazu gedrängt zu haben. Aber ich konnte nicht anders. Ich musste es wissen.“

Altwi nickte nur und machte Anstalten, sich zu erheben. Zsardyne hob die Hand.

„Bevor wir euch verlassen, noch ein Wort. Wenn wir die dritte Tochter der Rache gefunden haben, sind wir Drachtentöchter vollständig. Dann werden wir uns sammeln und den Angriff auf Godwin planen. Ich vermute, dass wir das unter uns Drachen ausmachen werden, aber niemand kann in den Kopf meiner Mutter schauen. Wenn sie jemanden mit Menschenblut dabeihaben möchte, komme ich zurück und erinnere euch daran, von wem ihr eure Kraft erhalten habt. Siegen oder sterben gilt für jeden von euch, der dann aufgerufen werden wird.“

Immergrün

Immergrün hatte Zeit und Pläne. Sein Instinkt sagte ihm, dass sowohl in der Allianz der Stadtelfen wie auch bei den Waldelfen unter einer stabilen Oberfläche Dinge in Bewegung geraten waren. Jetzt ein passender Plan, ein Tritt an der richtigen Stelle, und alles könnte sich verändern. Wer dann am schnellsten reagierte … Nur eines musste er noch erledigen. Er musste mit dem Wesen Kontakt aufnehmen, das der Allianz die Macht verlieh. Aber wie? Der Geist rief ihn, befahl ihm zu kommen, wann er wollte. Er, Immergrün, hatte zu gehorchen, konnte von sich aus den Geist niemals erreichen. Auch jetzt nicht, wo die Angelegenheit so gut stand wie noch nie zuvor.

Immergrün hatte schon mehrfach das halbfertige Haus besucht, in dem er sich sonst mit dem Geist traf. Die Arbeiten an ihm wurden nicht beendet. Lediglich ein tiefes Loch war in den Boden gegraben worden.

Er hatte Barionstab besucht, ihn gefragt, ob er eine Verbindung mit dem Geldgeber ihres Krieges hatte, aber der hatte irritiert abgewunken. Es war laut in dessen Haus gewesen. Irgendwo wurde bei ihm noch immer, aber Immergrün konnte nicht herausfinden, wo das war. Die Zeit verstrich und er konnte nicht mehr tun, als spazierenzugehen.

Dann endlich. Was für eine Erleichterung. Der Ruf. Immergrün eilte zu dem halbfertigen Haus am Rande von Neustadt, vergaß seine sonstige Vorsicht und schlüpfte durch den Eingang.

Wie immer stand das Häuschen leer. Wie immer musste er warten, dass der Geist sich zeigte. Aus welchem Teil welcher Wand er heraustrat, folgte keine festen Regeln.

„Sag mir, wie unsere Angelegenheiten stehen.“

Immergrün fuhr herum. Der Geist schwebte hinter ihm im Raum. Genau über dem Loch, in das heute eine Leiter hinabführte. Aber er war wohl kaum die Leiter hinaufgestiegen. Geister brauchten keine Leitern. Auch keinen Boden, um darauf zu stehen. Wenigstens zeigte er dieses Mal seine ganze Gestalt, nicht nur eine Gesichtsmaske auf einem Stein der Wand. Immergrün triumphierte.

„Gut stehen unsere Angelegenheiten, wie sie besser nicht stehen könnten“, sagte er. „Der Elfenrat hat mir das Amt des Ersten Ratgebers angeboten, nachdem Sumpfwasser verstorben ist. Faktisch bin ich bereits der Herrscher des Waldelfenvolks, denn der Rat hört stets auf seinen Ratgeber. Es wäre allerdings vorteilhaft, wenn ich etwas vorzeigen könnte. So etwas wie einen vorläufigen Frieden, einen Waffenstillstand, das Versprechen, eine Pause zu machen und die Bäume nicht weiter zu behelligen, im Austausch für … Na ja, für irgendetwas. Was das sein kann, ist noch zu entscheiden.“

„Bist du von Sinnen? Was redest du von Waffenstillstand oder Frieden. Hast du nicht verstanden, dass ich diesen Krieg will? Dass es nicht darum geht, ihn zu beenden, sondern ihn zu schüren wie ein heruntergebranntes Feuer. Ich will Gewalt, Wunden, Schmerz, die den Wunsch nach Rache gebären. Ich will, dass die Waldelfen endlich in den Krieg ziehen, anstatt nur ihre Bäume zu verteidigen. Ich will Mord und Totschlag und den heiligen Elfenwald voller Leichen. Und da redest du von Frieden?

Sag mir lieber, was du in Centrell herausgefunden hast. Warum ist das kleine Haus Blau so stark? Wer stützt es? Wer steht hinter ihm, dass das Haus Barion es nicht bezwingen kann? Das war dein Auftrag.“

Immergrüns Knochen gefroren. Um seinen Auftrag hatte er sich gar nicht gekümmert. Zu sehr hatte ihn der Tod Sumpfwassers und die dadurch entstandene unerwartete Gelegenheit beschäftigt, die Lücke, die dieser Tod gerissen hatte, füllen zu können. Warum erkannte der Geist nicht die Bedeutung dieser Wendung im Lauf der Geschichte?

„Du bist nutzlos“, flüsterte der Geist. „Ich habe dich überschätzt, aber da du ja eines Tages das Volk der Waldelfen anführen sollst, ist mir deine Unfähigkeit nicht unwillkommen. Ich werde jemand anderen beauftragen müssen, sich um Centrell zu kümmern. Dir gebe ich eine andere Aufgabe, an der du dich bewähren kannst. Ausrüstungsmaterial vom Kampfplatz, Kleidung, Werkzeuge und Waffen tauchen in NA-R auf und werden dort unter Wert verkauft. Sorge dafür, dass dieser Handel aufhört. Er kostet Barionstab viel Geld, das in unbekannten Taschen verschwindet. Versage nicht erneut. Finde heraus, wer die Sachen bekommt und wer sie verkauft. Töte die Person, zerstöre die Läden und bringe alles, was du findest nach Neustadt.“

„Das ist keine kleine Angelegenheit, Herr. Ich bin nicht der Herrscher über NA-R, und allein bin ich der Bürgerwehr nicht gewachsen.“

„Dann nimm so viele der Soldaten mit, wie du benötigst. Und Kampfmagier. Du sollst NA-R nicht erobern, sondern eine Strafexpedition durchführen. Muss ich dir auch noch erklären, wie man das macht?“

„Nein, natürlich nicht, Herr, aber ...“

„Als Erster Ratgeber des Elfenvolkes müsste es dir doch ein Leichtes sein, der Stadt deinen Willen aufzuzwingen. Wenn dir Kampfmagier nicht gefallen, dann nimm doch Elfenkrieger mit.“ Der Geist verschwand, löste sich in der Luft auf. Immergrün brach zusammen. Seine Beine trugen ihn nicht länger.

Tamalone

„Ich habe noch etwas zu erledigen. Ich hätte dich gern dabei, doch leider ist dir die Welt der Toten und Geister verschlossen“, flüsterte Tama Mutter zu.

„Du willst ins dunkle Viertel?“