Menschenzauber - Wolf Awert - E-Book

Menschenzauber E-Book

Wolf Awert

0,0

Beschreibung

Nachdem es Tamalone gelungen ist, durch ein Artefakt, das Himmel und Erde vereinigen kann, ihre magischen Fähigkeiten zu verbessern, verfällt sie der Anziehungskraft von Pandos schwarzer Schwester. Sie erfährt aber auch die Ursache für den Hass der Drachenmutter und ihrer Töchter auf Godwin. Der Krieg zwischen den Komposits und den Waldelfen bringt noch andere Überraschungen hervor. Wer hätte gedacht, dass die unscheinbare Bork Drachenblut in ihren Adern hat und dass Tamas ehemalige Pflegemutter den Kämpfern der Komposits das Leben versüßt? Für Tama steht das Leben auf einmal auf dem Kopf. Der Hintergrund: Unerwartet tauchen auf der Welt Halva Gestaltwandler auf. Dem Aussehen nach wilde Tiere, doch mit Vernunft gesegnet und der entsetzlichen Fähigkeit, biologische Grenzen zu durchbrechen und sich mit anderen Arten fortzupflanzen. Bereits ihre bloße Gegenwart bringt in den anderen vernunftbegabten Arten, den Drachen, Elfen und Menschen, die finstersten Seiten zum Vorschein. Die Elfen versuchen deshalb, die Gestaltwandler und ihre Mischlings-Nachkommen einzufangen und wegzusperren, doch der Keim des Zerfalls breitet sich unaufhaltsam aus. Unter den Elfen droht ein Bürgerkrieg, die Menschen dringen in den Siedlungsraum der Elfen ein und die Drachen scheinen unschöne Geheimnisse zu haben. Am Ende beginnt sogar Halva, sich selbst zu zerstören. In dieser Welt macht sich die Viertelelfe Tamalone auf, ihre Ziehmutter wiederzufinden und die Rätsel ihrer Herkunft zu lösen. Niemand rechnet mit dem, was ihre Suche auslösen wird – sie selbst am wenigsten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 194

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Menschenzauber

Wolf Awert

Band 8 der Drachenblut-Reihe

©Wolf Awert 2022

Machandel Verlag Haselünne Charlotte Erpenbeck

Cover: Detlef Klewer

1. Auflage 2022

ISBN 978-3-95959-187-4

Karte der Welt Halva

Was bisher geschah

Nachdem es Tamalone gelang, durch ein Artefakt, das die Kräfte von Himmel und Erde vereinigen konnte, ihre magischen Fähigkeiten zu verbessern, verfiel sie der Anziehungskraft von Pandos schwarzer Schwester. Sie erfuhr aber auch die Ursache für den Hass auf Godwin.

Der Krieg zwischen den Komposits und den Waldelfen brachte andere Überraschungen ans Tageslicht. Wer hätte damit gerechnet, dass die unscheinbare Bork Drachenblut in ihren Adern hatte und dass Tamas ehemalige Pflegemutter den Kämpfern der Komposits das Leben versüßte? Für Tama stand das Leben Kopf.

Personae dramatis

GODWIN, Altvater aller Drachen

KRIECHER: Drache mit einem gelähmten Flügel

TAMALONE, genannt Tama, ein Dreiviertelmensch mit einigen rätselhaften Fähigkeiten

PANDO, ein Gestaltwandler in Tierform und Freund Tamas

DORMAN, Pando in Menschengestalt

CHAMSIANA, Pando in Elfengestalt

ZSARDYNE, Pandos schwarze Schwester

DIE UNAUSSPRECHLICHE, Eine rätselhafte Frau unklarer Rasse. In Centrell nennt sie sich Blauer Schlafmohn, sie war Tamas Pflegmutter

Waldelfen

SUMPFWASSER, Erster Berater der Waldelfen und Tamas Auftragsgeber

LUFTHAUCH: Waldläufer

BORK, Truppführerin der Waldelfen

LIND und MAITRIEB, zwei ihrer Jäger

IMMERGRÜN: Ein Diener zweier Herren

ZIMTCHEN: Offizier der Wehrhüter und angeblich Sumpfwassers Tochter

SONNENKRANZ, Sprecher des Elfenrates

Stadtelfen in NA-R

TREIBGUT, Magier der Komposits und Hersteller von Artefakten

KÖNIG NACHTNEBEL, Artefakthändler und Treibguts Partner, arbeitet später unter Barionstab

WILLJA, Viertelelfe, arbeitet an Artefakten

STEINDORN, ehemaliger Stadtkommandant von NA-R

GEFLECKTER GELBZAHN, sein Sohn und Ratsmitglied

RÄTSELKRAUT, der eigentlich GRÜNKELCH heißt, ein Verkäufer Nachtnebels

Menschen in NA-R

MERJINA, Frau, reinrassiger Mensch, arbeitet an Artefakten

SCHLANGENAUGE, Führer der Unterwelt

Familie in NA-R

ALTWI, Tamalones leibliche Mutter

HOGGER, ihr Sohn und Tamas Halbbruder

BAERBEN, ihre ältere Tochter und Tamas Halbschwester

NEVEN, ihre jüngere Tochter und Tamas Halbschwester

AUREON und ARGENTON, ihre Söhne

PALUDA, Tochter von Torso

POLA-POLON, Merjinas Sohn

Sonstige

TORSO, Gestaltwandler und Froschmensch von gewaltiger Sprungkraft

AUFPASSER, Verwalter der Bergbausiedlung

SEELE DES AUSGLEICHS, seine Begleiterin

HORNFINGER, (hist.) vergessener Expeditionsleiter der Waldelfen

CILLIA, (hist.) Hornfingers Frau

DER WANDERER, ein Wesen aus der Welt der Toten

ZWEI GEISTER, Wesen der Vergangenheit im Dunklen Viertel

GALMEI, Magier der Menschen und Minenbesitzer

Personen in Centrell

BLAUER DREISPORN, Bewohnerin des Hauses Blau und zweite Tochter der Rache

BLAUER SCHLAFMOHN, die Unaussprechliche und Freundin von Blauer Dreisporn

BARIONSTAB, Familienältester des Hauses Barion

Die Drachentöchter

DIE TOCHTER DER GEWALT, lebt bei Godwin

DIE DREI TÖCHTER DER RACHE, wurden von der Drachenmutter in die Welt geschickt

DIE ZWEI TÖCHTER VON LIEBE UND VERGEBUNG, Pando trägt das Weiß der Unschuld, Zsyrdyne das Schwarz der Fruchtbarkeit

Sumpfwasser

Barionstabs Besprechungszimmer hatte durch einen reich verzierten Stuhl zwar an Pracht gewonnen, nicht aber an Schönheit. Ob er Barionstab mehr Bedeutung verlieh, war schwer zu sagen.

Immergrün lehnte an der Wand, die Lippen, wie so oft, zu einem spöttischen Lächeln verzogen, das allen zeigen sollte, wie sehr er doch etwas außerhalb und vor allem oberhalb alltäglicher Dinge stand. Seine Geliebte Zimtchen stand als ehemaliger Offizier der Wehrhüter mit geradem Rücken neben ihm und ließ niemanden aus den Augen. Aber beherrscht wurde der Raum von einer Frau mit glutroten Haaren vom Volk der Menschen. Das schien auch Barionstab zu spüren, denn er sprang von seinem Stuhl auf und wurde laut:

„Glaubt nicht, dass ihr das ganze Geld behalten könnt, welches ihr meinen Soldaten und Handwerkern abnehmt. Sie lassen ihren ganzen Sold in Eurem Haus und wofür? Dass Eure Mädchen sich still auf den Rücken legen und die Beine spreizen. Aber ich muss einen Krieg führen, der das Geld förmlich auffrisst.“

Die Antwort kam leise, aber nicht weniger deutlich. „Wie ich vorhin schon andeutete, werden wir Euch beteiligen. Der Zehnte unserer Einnahmen ist für Euch vorgesehen.“

Dieser Vorschlag ließ Barionstab nach Luft schnappen, doch bevor er wieder anfangen konnte zu schreien, redete die rothaarige Frau einfach weiter:

„Vielleicht habt Ihr die falschen Vorstellungen davon, wofür unser Haus da ist. Meine jungen Frauen geben den Arbeitern und Soldaten Heim und Zuflucht. Auch wenn es nur eine Illusion ist und die Männer am nächsten Tag wieder raus müssen. Ihr wisst nicht, was meine Frauen leisten. Sie machen alles, was die Männer von ihnen verlangen, und das ist nicht wenig. Aber vor allem reden sie mit ihnen, ersetzen ihnen die Mutter, die Schwester, die Frau. Ihr dürft nie vergessen, dass alle, die da draußen für Euch arbeiten oder kämpfen, nur ihre Axt oder ihren Bogen haben, zu dem sie sprechen können. Und vielleicht noch einen Nachbarn rechts oder links von ihnen, der genau so viel Angst hat wie sie selbst. Niemand weiß, was die Waldelfen mit ihren Gefangenen machen, und es gibt die wildesten Gerüchte. Sie bringen ihre Gefangenen ganz bestimmt nicht nach NeuAllerdamm-Rot, wo Ihr sie wieder abholen könnt. Eure Männer arbeiten den ganzen Tag über in einer nie endenden Gefahr, und meine Mädchen, wie Ihr sie nennt, räumen die ganze Nacht Körper und Seele auf, damit sie auch den nächsten Tag wieder überstehen. Und Ihr glaubt, dass sie das tun, ohne dafür das Geld zu bekommen, was sie in ihre Heimat schicken wollen?

Ich selbst beanspruche für mich viermal den zehnten Teil, denn ich muss Leute in Centrell bezahlen, die für Eure Männer die jungen Frauen auswählen und sie auf die Reise schicken. Und ihr müsst zugeben, dass Eure Männer bekommen, was sie brauchen, wenn auch nicht unbedingt immer, was sie fordern. Ich denke, das alles müsste in Eurem Sinne sein.“

„Bleibt immer noch die Hälfte der Einnahmen.“ Barionstab hatte seine Lautstärke wieder gesenkt.

„Ja, fünf zehnte Teile, von denen die Frauen einen Teil für sich selbst und ihre Aufmachung benötigen, und vier Teile, die sie nach Haus an ihre Familien schicken.“

„Es ist unnötig, den Familien so viel Geld zu schicken. Wenn ich anordne, ihnen Lebensmittel zu schicken, kommen wir besser davon.“

„Mit dem einen Unterschied, dass sie dann mit dem nächsten Zug wieder abreisen werden.“

„Beschafft neue.“

„Nicht zu Euren Bedingungen. Dafür müsste ich die Gefängnisse leerräumen, und Ihr wisst besser als ich, was wir dort finden werden.“

Barionstab zögerte. Dem Oberbefehlshaber der Komposits und Menschen fiel keine schnelle Antwort ein, die ihm in diesem Streit einen Vorteil einbringen konnte. Aber das Schicksal enthob ihn einer Antwort, denn die Tür zerbarst mit einem Knall. Sumpfwasser stand im Zimmer, als hätte ihn jemand hineingeworfen. Mit der Autorität seines Alters und der Erfahrung jahrhundertealter Wälder befahl er Barionstab: „Stellt Eure Kampfhandlungen ein. Jetzt und sofort. Hört auf, die heiligen Bäume zu fällen, und zieht Eure Truppen ab. Sonst zerstöre ich Euch, diese Missgeburt einer Stadt und alle, die Euch unterstützen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten drehte er seinen Kopf zu Immergrün. „Und nun zu dir, Verräter.“

Die Frau mit den roten Haaren flüsterte: Nicht, Sumpfwasser, nicht!“

Zimtchen sprang Immergrün entgegen. „Lass ihn, Vater, er ist mein Mann.“

Sumpfwasser fegte Zimtchen mit einer einzigen Bewegung hinweg, dass sie durch das halbe Zimmer flog, gegen die Wand klatschte und an ihr herunterrutschte.

„Rede keinen Unsinn. Ich bin nicht dein Vater. Ich war in besseren Zeiten einmal dein Vorgesetzter. Das ist alles, was uns verbindet.“

Sumpfwasser sah Zimtchen nicht an, als er sprach. Sein Blick nagelte einen kreidebleichen Immergrün an die Wand, sein linker Arm hob sich, die Hand schob sich nach vorn, sodass das Innere des Handtellers auf den Verräter zeigte. „Verabschiede dich von allen Bäumen. Vielleicht schenken sie dir Frieden.“

„Halt!“, schrie Zimtchen, und Blut sickerte aus ihrem Mundwinkel. „Das Leben ist heilig, wenn Vernunft es erfüllt!“

„Wo ist in diesem Verräter denn so etwas wie Vernunft? Ich sehe sie nicht.“ Sumpfwassers Stimme klang kalt. „Verräter, schau in meine Hand. Jetzt.“ Sumpfwasser streckte den linken Arm aus, öffnete den Mund zu einem Ruf – und erstarrte. Die Finger seiner rechten Hand krallten sich in dem Stoff seines Gewands fest, als wollten sie ihm das Herz herausreißen. Er keuchte noch einmal und brach dann zusammen.

„Nein!“

Der klagende Schrei erfüllte das ganze Zimmer.

„Bei den Göttern“, ächzte Barionstab.

„Aus ist es mit dir, alter Mann. Hast du wirklich geglaubt, gegen meine Magie ankommen zu können?“, prahlte Immergrün. „Jetzt hast du gelernt, was Stärke bedeutet. Zu schade, dass du mit diesem Wissen nun nichts mehr anfangen kannst.“ Immergrün wandte den Blick von Sumpfwassers totem Körper ab und schaute Barionstab an. „Lasst ihn wegbringen. Ohne den alten Querkopf werden wir es leichter haben. Das sag ich Euch.“

Die Frau mit den roten Haaren sank in die Knie, bettete Sumpfwassers Kopf in ihren Schoß und streichelte sein Gesicht. Dann stand sie mit dem Leichnam in den Armen auf und verließ das Zimmer.

„Man muss den Menschen nur klare Befehle erteilen“, sagte Immergrün. „Dann gehorchen sie auch.“

Barionstab trat ans Fenster und schaute der Frau nach. Wie sie die Straße entlang ging, den Platz mit dem Holz überquerte und im Wald verschwand. „Diese Frau muss über eine enorme Körperkraft verfügen“, sagte er zu sich selbst und stand und starrte noch eine ganze Weile in die Weite.

Tamalone

Zsardyne und Tama erreichten das Haus ihrer Familie ohne Zwischenfälle. Sie waren erstaunt, dass sie erwartet wurden, und auch sonst hatte sich einiges geändert.

Baerben hielt sich nicht wie sonst an Aureon fest, sondern kam auf Tama zugeflogen, schlang ihr die Arme um den Hals und flüsterte ihr zu: „Ich weiß es.“

Zsardyne sah, wie sich Tamas Flaumhärchen am Hals unter Baerbens Atem bewegten und lächelte. „Hätte mich auch gewundert, wenn nicht“, gab sie leise zurück, als sie das Mädchen hochhob und auf die Stirn küsste.

Die Begrüßung durch die anderen Geschwister fiel etwas förmlicher aus. Aureon nahm Tama in den Arm und drückte sie kurz an sich, sein Zwilling Argenton lächelte nur auf seine unwiderstehlich distanzierte Art, Hogger wusste nicht wohin mit seinen Händen und nickte Tama mit breitem Grinsen zu. Neven blickte feindselig drein, aber der alte Hass ließ sich nicht blicken. Die kleine Paluda schaute nur mit großen Augen und schwieg wie immer. Und dann näherte sich zu Tamas großer Überraschung Altwi. Sie sprach auch als Erste, breitete ihre Arme aus und hieß Tama willkommen.

„Wie kommt es, dass ihr uns erwartet habt?“, wollte Tama wissen.

„Seit deinem letzten Besuch stehst du unter Beobachtung, und dass du kamst, hat Neven uns gesagt. Sie wusste es dieses Mal sogar vor mir.“

„Die Schildkröte?“

„Die Schildkröte.“

Tama war zufrieden. Neven schien sich an ihre Abmachung zu halten. Die Frage war nur, wie lange der Frieden hielt.

„Ich bin nach Hause gekommen, weil …“ Tama brach ab. „Ich soll euch alle grüßen. Meine Geschwister von Vater und die Zwillinge von ihrer Mutter. Aber das habt ihr euch ja denken können, wenn die Schildkröte zu euch gesprochen hat. Ich soll mich hier ein wenig ausruhen, denn die letzten Tage waren sehr anstrengend für mich. Ich bin aber auch gern gekommen, weil ich euch alle wiedersehen wollte, um zu reden und weil ich deinen Rat brauche, Altwi. Auch Fragen habe ich, auf die ich keine Antwort finde. Ich befürchte, ich bleibe dieses Mal ein wenig länger. Das hier neben mir ist Zsardyne, meine …“

„Deine Begleiterin ist mir selbstverständlich auch willkommen. Auch über sie sprach die Schildkröte. Ist es euch allen recht, dass ich mich mit unserer Tamalone ganz kurz zurückziehe? Wie können wir ihre Gesellschaft genießen, wenn ihr Herz von Fragen und Sorgen übervoll ist?“ Altwi kniff die Augen zusammen „Du heißt Zsardyne? Ich erkenne in dir einen entfernten Verwandten wieder. Hat Tama dir deinen Namen gegeben?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte Altwi sich an ihre Familie. „Sie wird dafür sorgen, dass niemand uns stört. Ist es nicht das, worum man dich gebeten hat?“

Zsardyne sah Altwi mit ernsten Augen an. „Tama machte mich immer neugieriger. Mit jedem Tag. Deshalb befinde ich mich immer noch an ihrer Seite. Du bist eine kluge Frau, stark und mir ähnlich. Du, deine Tochter Baerben und ich, wir drei gehören zusammen. Was wird erst passieren, wenn wir unsere Magien miteinander vereinigen?“

„Das wird nicht passieren, dunkle Kriegerin. Man kann sich zwar gegenseitig unterstützen, aber Aureon kann seinen Bruder Argenton nicht in das Totenreich bringen, noch kann Argenton ihn retten, wenn er sich zu weit vorwagen sollte.“

„Du irrst, kluge Frau. Ich weiß noch nicht wo, aber ich werde es herausfinden.“

„Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt dazu. Recht zu haben, ist nichts, worauf es sich lohnt, stolz zu sein.“

Altwis Zimmer war klein. In ihm befanden sich ein Bett, eine Truhe und ein Stuhl. Altwi wählte den Stuhl, Tama setzte sich auf die Bettkante, Altwi rückte mit dem Stuhl an das Bett, damit sie Tama ganz nah sein konnte. Tama ergriff beide Hände ihrer leiblichen Mutter.

„Was ich dir unbedingt sagen muss, ist … Also, ich – ich bekomme ein Kind.“

„Wie lange weißt du es schon?“

„Etwas weniger, als der Mond braucht, um seinen Bauch und seinen Rücken zu zeigen. Gemerkt habe ich es am dritten Tag. Oder war es am zweiten? Ja, am zweiten. Aber am dritten habe ich darüber gesprochen.“

„So früh?“

„Es gab außer meiner eigenen Magie noch eine zweite in mir, die mir fremd war und doch zu mir gehörte. Wie sich das anfühlte, kann ich nicht beschreiben. Es war erschreckend, aber auch tröstend, fremd und gleichzeitig vertraut und vor allem – es macht einen unvergleichlich stark, wenn du zu zweit bist, unbesiegbar sogar, und trotzdem rät es dir zur Vorsicht. War es bei dir auch so, als du mit mir gingst?“

„Ich weiß es nicht. Es war bei jedem meiner Kinder anders und ich kann mich auch nicht mehr so recht daran erinnern. Und wer ist der Vater?“

„Du hast ihn gesehen. Er bewacht unsere Tür. Es ist Zsardyne.“

„So, Zsardyne also und nicht Pando. Vater wird trotzdem begeistert sein, wenn er es erfährt.“

„Vater? – Ach ja, Vater. Ich vergesse immer, dass die Frau, die mich aufzog und Mutter der Zwillinge ist, dir als ein Mann meine drei Geschwister schenkte. Im Augenblick befindet sie sich in Neustadt, wo der Bürgerkrieg der Waldelfen stattfindet. Dort lebt sie als eine Komposit, mehr Mensch als Elfe und fällt jedem durch ihre glutroten Haare auf. Wenn mir jedes Mal aufs Neue klar wird, wer sie ist, kommt sie mir immer so unendlich fremd vor. Dabei liebe ich sie doch.“

„Ja, die Kinder der Drachenmutter können einen schon erschrecken. Aber sag mir doch, warum Zsardyne dein Herz erobern konnte und Pando nicht.“

Über Tamas Antlitz huschte ein Ausdruck von Betrübnis. Er kam und ging so schnell, dass Altwi nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt gesehen hatte.

„Ich liebe Pando, und Pando liebt mich. Aber Zsardyne begehre ich. Sie liebt mich nicht, ist nur auf mich neugierig, sagt sie. Aber das muss nicht stimmen. Immer, wenn sie über sich selbst spricht, lügt sie. Sie ist wild, kann rücksichtslos und grausam sein, liebt ihre Freiheit über alles und hat doch ein gutes Herz. Und so weiß ich nicht, ob sie mich liebt. Trotzdem zieht mich alles zu ihr hin. Ich kann nicht von ihr lassen. Keinen Tag möchte ich von ihr getrennt verbringen. Ist das bereits Liebe? Sag du es mir, Altwi.“ Und dann, nach einer kleinen Pause und mehr ein Hauch als ein Wort: „Mutter“.

„Ich freue mich mit dir. Aber befrage mich nicht über die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau. Ich habe sie nie kennengelernt. Ich kenne nur die Liebe zu meinen Kindern. Mit ihnen führe ich ein glückliches Leben. Es gab ein paar Zeiten, die waren weniger erfreulich, doch wo gibt es das nicht. Niemand kann alles haben im Leben. Ich habe bereits sehr viel. Bei mir fehlt nur ein Teil der Liebe. Aber ich bin zufrieden. Und du hast dich richtig entschieden. Du hättest es ewig bereut, deinem Begehren nicht nachgegeben zu haben. Und jetzt Schluss damit. Was wolltest du von mir wissen?“

Tama gab Altwis Hände frei und lehnte sich etwas zurück, als brauchten ihre Fragen Abstand, um verstanden zu werden.

„Nach unserer ersten Begegnung hast du dich zurückgezogen und nicht mehr sehen lassen. Was habe ich falsch gemacht? War es, dass es mir so schwer fiel, dich als meine Mutter anzunehmen? War es das? Wenn ja, dann glaube mir: Das ist lange vorbei.“

„Du hast nicht als Einzige darunter gelitten. Du weißt von meiner Gabe? Ich kann die Zukunft sehen. Oder eine Zukunft sehen. Und du kamst nicht in ihr vor. Wie konnte das sein? Ich wollte nach dir suchen, aber Vater verbat mir, andere Zukünfte zu schauen als die, die ich als Erste gesehen hatte. Und dann habe ich erfahren, dass Vater glaubt, du wärst für die Drachenmutter und die Welt von einer entscheidenden Bedeutung. Wie kann das einen Sinn ergeben?“

„Das hat sie zu dir gesagt?“

„Du kennst sie. Sie spricht oft nur in Andeutungen, schenkt dir halbe Sätze, manchmal nur Worte, und verweigert dir, was sie verschweigt. Was sie genau gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Es ist das, was ich verstanden habe.“

„Ich kann mir das alles nicht vorstellen. Wer in die Vergangenheit schaut, sieht klare Bilder. Allerdings zeigt sie einem nicht alles. Wer in die Gegenwart schaut, sieht alles nur verschwommen, kann es aber deutlich machen, wenn es ihm gelingt, eine Verbindung zu sich selbst herzustellen.“

„Das weißt du von Zsardyne und von Baerben?“

„Ja, sie haben mir ihre Welten gezeigt.“

„Der Blick in die Zukunft ist ein anderer. Er lebt davon, dass man keine Verbindung zu ihr hat. Je weniger sie mit uns verbunden ist, desto besser ist es. Unwissenheit ist unser Schild und unser Auge, denn zu viel Wissen, lässt alles verschwinden. Es ist wie beim Wind. Man darf ihn spüren, aber wer versucht, ihm in die Augen zu blicken, erblindet durch die eigenen Tränen.“

„Hast du Vater gefragt, warum du nur die eine Zukunft schauen darfst?“

„Nein, das habe ich nicht gewagt. Vielleicht hätte bereits diese Frage alles verändert. Man darf die Zukünfte nicht hinterfragen. Dann laufen sie einem davon.“

Tama war empört. Was Altwi über die Unaussprechliche sagte, passte nicht zu dem Bild, das sie von ihr hatte. „Ich will dir etwas verraten. Ich hoffe nur, es erschreckt dich nicht. Sie, die du Vater nennst, Mutter, die Unaussprechliche, die von der Drachenmutter Tochtertochter genannt wird, sie weiß nichts. Nur, dass unsere nähere Zukunft gut ausschaut, weil du darin noch am Leben bist. Und die Drachenmutter ließ mich glauben, es gäbe einen Plan. Aber niemand hat einen Plan für das, was zu tun ist. Die Drachenmutter will den Altvater töten und weiß nicht, dass dieser unsterblich ist. Was weißt du wirklich über Vater? Was hat er dir erzählt? Wer ist Tochtertochter, die Unaussprechliche? Sie ist für jeden jemand anderes. Es ist, als wollte man den Tag in der Nacht suchen, einen Sonnenstrahl mit einem Netz einfangen oder den Wind am Kragen packen. Sie ist so anders als die anderen Halbdrachen. Was weißt du von ihr?“

Altwi sah Tama nur mit großen Augen an. Dann sagte sie nur ein Wort:

„Nichts.“

Tama lehnte sich zurück. Das konnte nicht sein. Das war eine Lüge.

Lufthauch

Die Nachricht von Sumpfwassers Tod breitete sich unter den Waldelfen aus mit der Geschwindigkeit einer Feuerwalze. Nichts und niemand, der sie hörte, blieb unverletzt. Sie war nicht ganz so schnell wie ein Gerücht, denn Gerüchte reisen mit leisem Gepäck, doch war sie schnell genug, dass noch am Abend desselben Tages jede Waldelfe zwischen Neustadt und Elfenstadt den Untergang des eigenen Volkes vor Augen hatte. Sumpfwasser musste kränker gewesen sein, als man dachte. Oder an Immergrüns Prahlerei von seiner eigenen Zauberkraft war doch mehr dran, als man ihm zugetraut hatte. Dass der Erste Berater einfach so dahingeschieden war, weil jedes Leben einmal ein Ende hatte … Nein, dieser Gedanke passte in kein Gehirn.

Die Unaussprechliche bekam von diesen Dingen nichts mit. Sie begrub Sumpfwasser und blieb die Nacht über bei ihm. Es galt, Abschied zu nehmen und dem Verstorbenen noch all das zu sagen, was bisher ungesagt geblieben war.

Bork und Lufthauch gehörten zu den ersten, die von Sumpfwassers Tod erfuhren, weil sie sich noch in der Nähe der Stadt aufhielten.

„Und was bedeutet das jetzt für uns?“, fragte Lufthauch die Truppführerin.

„Na, was schon. Jetzt wird ein neuer Erster Berater bestimmt. Bereite dich schon mal auf dein Amt vor.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

Bork ließ ihre Hand über Lufthauchs Wange gleiten. Viel Trost spendete diese Bewegung nicht, denn die Hand war hornig, hart und voller Schwielen.

„Warum übernimmst du dieses Amt nicht? Du wärst viel besser dafür geeignet als ich“, sagte Lufthauch.

Bork machte ein Gesicht, als könnte sie es nicht fassen, dass jemand eine so törichte Frage stellte. 

„Weißt du, wie sie mich hier nennen, wenn sie glauben, ich würde sie nicht hören? Den alten Drachen. Und in der Tat bin ich vom Wesen her eher ein Drache als eine Waldelfe. Ich war stärker als Sumpfwasser und auch der bessere Krieger, aber all das zählt nicht. Nur er hatte das Gehirn, das man braucht, um ein Erster Berater zu sein.

„Und du glaubst, dass ich dieses Gehirn habe und du nicht?“

Bork zog die Augenbrauen hoch. „Was weiß ich? Mehr als ich hast du in jedem Fall. Leider benutzt du es nicht immer. Dir fehlt das Selbstbewusstsein einer Waldelfe, die nach der Macht strebt. Vielleicht kommt das noch, wenn du älter wirst. Merke dir: Macht lehrt dich und Macht verführt dich. Sie stärkt den Starken und zerstört den Schwachen.“

„Ich könnte zu den Schwachen gehören.“

„Richtig. Wenn du dir da sicher bist, verzichte auf diese Position und überlass die Waldelfen dem Chaos.“

„Niemals!“

„Siehst du, wie schwach du bist?“ Bork grinste über das ganze Gesicht in einer Art, die so untypisch für Elfen war, dass sich Lufthauch fragte, ob nicht auch Menschenblut durch Borks Adern floss.

„Kommst du mit, wenn ich nach Elfenstadt gehe?“, wollte er wissen.

„Und dann?“ Soll ich vor dem Elfenrat deine Hand halten, damit du nicht in Ohnmacht fällst? Du vergisst, dass ich nur eine Truppführerin bin, und das gedenke ich auch zu bleiben, eine kleine, hässliche, alte und unauffällige Truppführerin. Hast du wenigstens das verstanden?“

„Jawohl, Truppführerin.“

Bork seufzte. „Du machst es mir wirklich schwer.“

Ein ärgerlicher Lufthauch empörte sich. „Was soll ich denn von deinen Spielchen halten? Mal spielst du die Kommandantin, dann wieder die liebevolle ältere Freundin. Was willst du überhaupt von mir?“

„Dass du die Aufgabe erledigst, für die Sumpfwasser dich ausgesucht hat.“

„Was geht dich das an?“

Noch ein Seufzer. Dieser war noch tiefer und schwerer als der erste. „Weil ich bereits dein ganzes Leben auf dich aufgepasst habe und ich jetzt bestimmt nicht damit aufhören werde.“

Lufthauchs Blick irrte in gespielter Verzweiflung zwischen Baumkronen und Himmel hin und her.

„Warum, will ich wissen.“

„Mütter kümmern sich manchmal auch dann noch um ihre Kinder, wenn diese glauben, erwachsen zu sein.“

Lufthauch starrte die Truppführerin Bork mit offenem Mund an. Alle seine Gedanken zerstoben plötzlich, als wäre der Mond auf die Erde gestürzt und hätte am Nachthimmel ein Loch hinterlassen. „Sag das noch mal.“

„Fällt mir nicht ein. Du musst lernen, dass es Dinge gibt, die nur einmal gesagt werden können. Und jetzt mach dich auf den Weg. Unterwegs kannst du dir eine geeignete Taktik für den Fall ausdenken, dass der Elfenrat sich zieren sollte.“

Aber Lufthauch rührte sich nicht.

„Worauf wartest du?“