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Die dramatische Saga um die junge Frau, die um ihren Platz in der glamourösen Welt der Auktionshäuser kämpft. Jetzt als Bundle zum Vorteilspreis! Band 1: DAS AUKTIONSHAUS - Der Glanz Londons Als Sarah Rosewell in den Haushalt von Lady Sudbury aufgenommen wird, ändert sich ihr Leben über Nacht: Sie entkommt der Enge und der Gewalt ihres Elternhauses, und vor ihr liegt plötzlich eine strahlende Zukunft. Sie wird von ihrer Wohltäterin zu einer Expertin für wertvolle Gegenstände ausgebildet und beginnt, für das prestigeträchtige Auktionshaus Varnham's zu arbeiten. Das ist jedoch vielen ein Dorn im Auge, und Sarah muss sich gegen mächtige Gegenspieler behaupten. Sie tut alles dafür, niemanden zu enttäuschen - auch wenn das heißt, dass sie den Mann, dem ihr Herz gehört, nie haben kann ... // Band 2: DAS AUKTIONSHAUS - Die Träume Wiens Für Sarah geht ihr Herzenswunsch in Erfüllung, als sie zur stellvertretenden Leiterin des Wiener Auktionshauses Hofmann's ernannt wird. Ihr Ruf als Kunstkennerin ist legendär, und neue Chancen tun sich auf. Doch die Schatten ihrer Vergangenheit lassen sie nicht zur Ruhe kommen, und sie muss um ihren Ruf und ihre Existenz kämpfen. Und dann steht plötzlich ihr ehemaliger Geliebter Philipp Maynard wieder vor ihr … Bestsellerautorin Amelia Martin entführt uns in ihrer ergreifenden Auktionshaussaga nach London und Wien der Zwanziger- und Dreißigerjahre: Perfekt zum Wegträumen und Verzaubernlassen.
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Seitenzahl: 1081
Das Auktionshaus. Der Glanz Londons // Die Träume Wiens
Amelia Martin ist das Pseudonym einer Bestsellerautorin. Sie hat jahrelang als Sachverständige für ein weltweit handelndes Auktionshaus gearbeitet, die Provenienz von Möbeln und Kunstgegenständen geprüft und Ausstellungen organisiert. Nach Jahren in England und im europäischen Ausland unternimmt die Autorin heute ausgedehnte Recherchereisen an die Schauplätze ihrer Romane.
Die dramatische Saga um die junge Frau, die um ihren Platz in der glamourösen Welt der Auktionshäuser kämpft. Jetzt als Bundle zum Vorteilspreis!
Band 1: DAS AUKTIONSHAUS - Der Glanz Londons
Als Sarah Rosewell in den Haushalt von Lady Sudbury aufgenommen wird, ändert sich ihr Leben über Nacht: Sie entkommt der Enge und der Gewalt ihres Elternhauses, und vor ihr liegt plötzlich eine strahlende Zukunft. Sie wird von ihrer Wohltäterin zu einer Expertin für wertvolle Gegenstände ausgebildet und beginnt, für das prestigeträchtige Auktionshaus Varnham’s zu arbeiten. Das ist jedoch vielen ein Dorn im Auge, und Sarah muss sich gegen mächtige Gegenspieler behaupten. Sie tut alles dafür, niemanden zu enttäuschen - auch wenn das heißt, dass sie den Mann, dem ihr Herz gehört, nie haben kann ...
Band 2: DAS AUKTIONSHAUS - Die Träume Wiens
Für Sarah geht ihr Herzenswunsch in Erfüllung, als sie zur stellvertretenden Leiterin des Wiener Auktionshauses Hofmann's ernannt wird. Ihr Ruf als Kunstkennerin ist legendär, und neue Chancen tun sich auf. Doch die Schatten ihrer Vergangenheit lassen sie nicht zur Ruhe kommen, und sie muss um ihren Ruf und ihre Existenz kämpfen. Und dann steht plötzlich ihr ehemaliger Geliebter Philipp Maynard wieder vor ihr …
Bestsellerautorin Amelia Martin entführt uns in ihrer ergreifenden Auktionshaussaga nach London und Wien der Zwanziger- und Dreißigerjahre: Perfekt zum Wegträumen und Verzaubernlassen.
Amelia Martin
Band 1 und 2 der bewegenden Saga um die junge Auktionshausmitarbeiterin Sarah Rosewell jetzt im attraktiven Bundle
Ullstein
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Sonderausgabe im Ullstein Ullstein TaschenbuchverlagBerlin September 2022 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-84372-876-8
Amelia Martin - Das Auktionshaus. Der Glanz Londons
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: bürosüd GmbH, MünchenTitelabbildung: arcangel / © Lee Avison (Figur); mauritius images / Cultura / Panostock (Stadtansicht)E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2475-3
Amelia Martin - Das Auktionshaus. Die Träume Wiens
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: bürosüd GmbH, MünchenTitelabbildung: arcangel / © Lee Avison (Figur),www.buerosued.de (Rest)E-Book powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-2555-2
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Titelei
Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Der Glanz Londons
Die Hauptfiguren
Teil 1 – Lehrjahre
1
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Teil 2 – Kriegsjahre
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Teil 3 – Aufbruch
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Nachwort
Danksagung
Die Träume Wiens
Die Hauptfiguren
1
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Nachwort
Anhang
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Der Glanz Londons
A thing of beauty is a joy forever.(Etwas wahrhaft Schönes ist ein immerwährendes Glück.)John Keats (1795 – 1821)
Real art has the capacity to make us nervous.(Wahrhaftige Kunst ist in der Lage, uns nervös zu machen.)Susan Sontag (1933 – 2004)
You must become an ignorant man againAnd see the sun again with an ignorant eyeAnd see it clearly in the idea of it.(Du musst wieder unwissend werdenUnd die Sonne unvoreingenommen sehenUnd sie sehen als das, was sie ist.)Wallace Stevens (1879 – 1955)
Soho, London 1910
Die kostbare Brosche lag auf dem Tisch direkt vor ihr. Sarah zögerte nicht und ergriff das Schmuckstück und auch die Handschuhe, die Lady Sudbury gehörten. Das hier war ihre Chance. Das Mädchen sah sich im Atelier um, doch die anderen Näherinnen waren beschäftigt und beachteten Sarah nicht. Hastig verließ sie den Verkaufsraum, in dem sie eben noch geholfen hatte, das neue Abendkleid abzustecken. Warum nur musste die verdammte Ladentür immer klingeln, wenn man sie öffnete? Doch jetzt war es zu spät. Sarah sprang die Stufen hinunter und wäre beinahe mit einem Zeitungsjungen zusammengestoßen.
»He, pass doch auf!«
»Entschuldige, Tom!«, rief sie über die Schulter und eilte weiter, um die hohe Gestalt von Lady Sudbury im Gewimmel der vielen Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Doch die weiße Straußenfeder am Hut der Lady war ein guter Wegweiser.
Am frühen Abend waren die Straßen von Soho belebt. Straßenhändler boten ihre Waren in Bauchläden feil, und an beinahe jeder Ecke wurden gefüllte Pasteten und andere Köstlichkeiten angeboten. Die Leute waren auf dem Weg in die zahlreichen kleinen Pubs und Restaurants, in denen man günstig französisch, italienisch oder griechisch essen konnte. Migranten vom Kontinent hatten sich mit ihren schmackhaften Küchen einen Namen gemacht und lockten mittlerweile auch die besser situierten Bürger in das ehemals eher verrufene Soho. Ein Stück weiter, in Long Acre, wurden Kutschen in einer Fabrik gebaut, es gab einen Schuster, den Gemüsehändler Mills und eine Brauerei. Sarah machte einer grell geschminkten Dame Platz, die sich vor einem Hauseingang positioniert hatte: »Blue Ribbon« stand auf einem Schild über der Tür, hinter der sich ein Bordell befand.
Lady Sudburys Wagen parkte gewöhnlich an der Ecke zur Dean Street, und in diese Richtung schien auch die Straußenfeder zu wippen. Plötzlich ertönten eine Trillerpfeife und lautes Geschrei.
»Oh nein!«, murmelte Sarah und rannte weiter, wobei ihre langen Röcke sich um ihre Beine legten und sie am Laufen hinderten. Verzweifelt riss sie mit der freien Hand an dem festen Oberstoff, doch die Unterröcke konnte sie nicht fassen und musste kurz stehen bleiben. Als sie sich endlich wieder frei bewegen konnte, hörte sie den Polizisten bereits hinter sich rufen.
»Stehen bleiben! Haltet das Mädchen fest! Sie hat gestohlen!«
Ihr Atem ging keuchend, und ihre Lunge begann zu brennen, doch Sarah lief weiter, so schnell sie konnte. In einer Hand hielt sie die Brosche, mit der anderen raffte sie ihre Röcke. Die Leute hatten noch nicht begriffen, wer gemeint war, doch bald würde einer der Umstehenden sich umdrehen und sie packen.
Endlich schien auch Lady Sudbury des Aufruhrs hinter sich gewahr zu werden, denn die Straußenfeder blieb stehen.
»Lady Sudbury! Bitte, warten Sie einen Moment!«, rief Sarah mit letzter Kraft und stieß eine Frau, die einen Korb mit Blumen trug, zur Seite.
»Das ist sie! Haltet sie auf!«, brüllte ein Polizist, und als Sarah sich gerade zwischen zwei Herren und einem Pastetenverkäufer hindurchgedrängt hatte, schrillte die Trillerpfeife direkt hinter ihr. Eine Hand riss sie am Arm, und sie wäre gestürzt, wenn nicht ein junger Bursche sie aufgefangen hätte.
»Sarah, was machst du?«, flüsterte der Bursche, in dem sie Charley, einen Freund aus Kindertagen, erkannte.
»Ich habe nicht gestohlen, Charley. Lass mich, ich muss zu ihr …«, flehte Sarah und sah verzweifelt nach vorn.
»So bleib doch endlich stehen, du kleines Luder!«, rief der Polizist und griff erneut nach ihr. »Wir wissen doch, wer du bist, und kriegen dich sowieso. Deine Stelle bei Mrs Weaver bist du los!«
»Nein!«, rief Sarah. »Lady Sudbury!«
Auf einmal ging ein Raunen durch die Menge, die sich mittlerweile um sie gedrängt hatte. Die Straußenfeder erschien über den Köpfen der Leute, die, wie von unsichtbarer Hand bewegt, eine Gasse für die elegante Erscheinung formten. Völlig unbeeindruckt von den erhitzten Gesichtern, die sie umgaben, glitt Lady Sudbury mit der ihr eigenen mühelosen Eleganz auf Sarah zu. Der riesige Hut mit dem Schmuck aus Straußenfedern saß auf einer Aufsteckfrisur, die ein aristokratisches Frauengesicht mittleren Alters rahmte.
»Wer hat nach mir gerufen?«, verlangte die Lady zu wissen.
»Ich, Mylady«, keuchte Sarah. »Verzeihen Sie, Sie haben Ihre Brosche …«, weiter kam sie nicht, denn der Polizist hatte sich vorgedrängt und ergriff grob ihre Hand.
»Mylady, wir haben die Diebin. Machen Sie sich keine Sorgen, sie wird ihrer Strafe zugeführt werden«, bellte der Constable.
Sarah erkannte Constable Pritchett, einen brutalen Mann, der schnell mit dem Knüppel zuschlug und bestechlich war. Mehr als einmal hatte er Charley und ihren Brüdern übel zugesetzt, weil sie angeblich Äpfel gestohlen hatten.
Die grobe Männerhand zwang sie, ihre Hand zu öffnen, sodass jeder die glitzernde Brosche sehen konnte.
»Nein, das ist nicht wahr! Ich habe sie Mylady gebracht, weil sie die Brosche im Atelier von Mrs Weaver vergessen hat! Ich schwöre, so wahr Gott mein Zeuge ist!«, rief Sarah entrüstet.
Constable Pritchett wollte nach den Handschuhen greifen, doch der Stock von Lady Sudbury stieß ihn bestimmt zurück. »Lassen Sie das, ich will mit dem Mädchen sprechen.«
Lady Sudbury hatte ein schmales Gesicht mit großen blauen Augen. In ihrer Jugend war sie eine umschwärmte Schönheit der gehobenen Gesellschaft gewesen, und auch heute sah sie noch gut aus. Sarah verehrte die Lady, die stets ein Lächeln für die Angestellten übrig hatte und deren Ausdrucksweise so vornehm wie ihr Verhalten war.
»Sie arbeiten bei Mrs Weaver. Ich habe Sie gesehen. Wie ist Ihr Name?«
»Sarah, Mylady, Sarah Rosewell. Meine Mutter hat die Lochstickerei für Ihr grünes Kleid gemacht.«
Gwendoline Sudbury hob die Augenbrauen. »Ah, ich entsinne mich. Die Arbeit ist exquisit. Und Sie kommen ganz nach Ihrer Mutter?«
»Ja – ich meine, nein, ich kann nicht so gut sticken, aber ich lerne es und noch viel mehr. Ich werde einmal eine Näherin sein und so gut wie Mrs Weaver, dann mache ich meinen eigenen Laden auf.« Erschrocken über ihre eigene Unverblümtheit, verstummte Sarah.
Doch Lady Sudbury lächelte und streckte ihre behandschuhte Hand aus. »Sarah Rosewell, Sie sind ein mutiges Mädchen. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe.«
Der Constable schnaufte wütend, trat aber einen Schritt zurück, als er sah, wie die Dame die Brosche entgegennahm.
»Kümmern Sie sich wieder um wichtigere Dinge, Constable«, befahl Lady Sudbury. »Und das hier ist für Sie, Sarah.«
Ein goldener Sovereign wurde in Sarahs Hand gelegt. Mit offenem Mund starrte Sarah auf die Münze und dann zu ihrer Wohltäterin. »Das kann ich nicht, oh, das ist zu viel, ich …«
Doch die Lady nickte. »Sie haben es sich verdient. Nun stecken Sie die Münze ein, sie gehört Ihnen, und Sie können damit machen, was Sie wollen. Und wenn ich das nächste Mal zu Mrs Weaver komme, möchte ich, dass Sie mir beim Ankleiden helfen.«
Mit einer eleganten Drehung wandte sich Lady Sudbury um und ging auf den bereits wartenden Chauffeur zu, der sie zu ihrem Wagen begleitete.
»Jetzt trollt euch, Leute!«, rief der Constable. »Was steht ihr noch rum, das Spektakel ist vorbei. Und du«, er tippte Sarah mit seinem Knüppel an den Arm. »Pass gut auf, das nächste Mal kommst du nicht so davon. Ich kenne deinesgleichen.« Abfällig spuckte er vor ihr aus und ging breitbeinig davon.
Seine Worte prallten an Sarah ab, die glücklich auf die Goldmünze in ihrer Hand starrte und schnell die Finger darum schloss.
»Na, du hast ja eine tolle Show abgezogen, hätte ich dir gar nicht zugetraut«, Charley Randall gesellte sich wieder zu ihr. »Ich begleite dich mal lieber zurück zum Laden, bevor dir noch jemand deinen Schatz klaut. Bei dem Gesindel, das hier rumläuft!«
Er grinste sie breit an, und Sarah lachte und versteckte ihre Hand mit der Münze in ihrer Rocktasche. »Keine Show, Charley, ich wollte nur helfen.«
»Ja klar, bist ein cleveres Mädchen, habe ich immer gewusst. Lädst du mich auf’n Bier ein?«
Sarah errötete, sie kannte den wenig älteren Charley seit Kindertagen. Er war ein muskulöser Bursche, der, genau wie sie, aus dem Viertel stammte und für die Kutscher arbeitete. Mit Pferden kannte er sich aus wie kaum einer, und er verdiente sich mit Botengängen manchen Extrapenny. Zudem kümmerte er sich mit seinen Freunden um die »Leute seiner Straße«, wie er es ausdrückte. Sarah wusste, dass seine Freunde in nicht ganz legale Aktivitäten verwickelt waren, denn immer wieder wurde der eine oder andere von ihnen verhaftet. Heute trug Charley ein weißes Hemd, und auch seine Hose war offensichtlich sauber und die Stiefel geputzt. Sarah musterte ihn: Ihr alter Freund war zu einem gut aussehenden Mann geworden.
»Du siehst ja aus, als wolltest du zur Messe gehen?«, sagte sie mit einem vielsagenden Blick in Richtung seiner glänzenden Stiefel.
Charley stellte sich in Positur. Er hatte anziehende dunkle Augen und ein fein geschnittenes Gesicht. Seine Mutter war Griechin, sein Vater ein ehemaliger Seemann, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. »Heute wird mein Neffe getauft. Die ganze Familie kommt, viele Griechen. Da wird lange gefeiert. Komm doch vorbei, Sarah. Es gibt die Kuchen, die du so gern magst.«
Sarah kannte jeden in der Straße, denn sie war hier aufgewachsen. Ihr Vater Harold schaufelte Kohlen für Dean Fraser, den Kohlenhändler in der Charing Cross Road, und ihre Mutter verdarb sich die Augen beim Nähen im Atelier von Ada Weaver. Sie kamen über die Runden, aber ein Leben war das nicht, wie Harold gern sagte. Seinen Frust spülte er nach der Arbeit mit Gin hinunter, und wenn er dann schlecht gelaunt und mit leeren Taschen nach Hause kam, weinte ihre Mutter. Und wenn Dorothy Rosewell zu erschöpft zum Weinen war und zu verzweifelt, weil sie nicht wusste, wie sie die hungrigen Mäuler ihrer Kinder stopfen sollte, schrie sie ihren Mann an. Und was dann folgte, waren Szenen voller Gewalt, die sich Sarah ins Gedächtnis gebrannt hatten.
»Nein, danke, Charley, heute nicht«, sagte sie, fühlte die Goldmünze in ihrer Hand und ahnte, dass ihr Leben heute eine Wendung genommen hatte.
The Times, Ausgabe 15. Juni 1910
Wieder einmal hat das führende Londoner Auktionshaus sein Gespür für herausragende Kunstwerke bewiesen. Direktor William Rowland konnte für sein Auktionshaus auf der Versteigerung am vergangenen Wochenende einen Umsatz von 15 000 Pfund Sterling verzeichnen. Unter den Objekten, die ihre Taxe um das Dreifache steigerten, war ein Paar außergewöhnliche Schatullen von Meister André-Charles Boulle aus dem Besitz von Lord Coltham, Yorkshire. Seine Lordschaft trennte sich ebenfalls von einer feuervergoldeten Louis-XVI.-Kaminuhr aus der Werkstatt von Renacle-Nicolas Sotiau. Das Publikum war erlesen. Hochrangige Vertreter der Aristokratie und des neuen Geldadels boten sich spannende Bietgefechte. Zu den glücklichen Gewinnern zählte Lady Gwendoline Sudbury, die den Zuschlag für die Kaminuhr erhielt. Eine hochpreisige Tapisserie wechselte ebenfalls aus dem Besitz von Lord Coltham nach Boston. Der Bieter blieb anonym. Die Fülle an Objekten aus dem Besitz von Lord Coltham gab Anlass zu Spekulationen über die finanzielle Situation der Familie.
Es roch nach gekochtem Fleisch, Kartoffeln, abgestandenem Bier und den Ausdünstungen von zu vielen Menschen auf zu wenig Raum. Der Herd verströmte eine Hitze, die im Juli nicht willkommen und im Dezember nicht ausreichend war. Sarah hockte mit gekreuzten Beinen auf ihrem schmalen Bett und öffnete langsam ihre Hand. Dort lag er, der goldene Sovereign, und blitzte verheißungsvoll im spärlichen Licht, das durch das Fenster ihrer Souterrainwohnung hereinschien.
Wenn es so heiß wie heute war, konnte man die von Staub und dem Gestank der Straße geschwängerte Londoner Luft noch weniger ertragen. Ihre Wohnung befand sich direkt neben dem Durchgang zur Straße, von der das Geschrei der Händler und der Lärm der Kutschen und Automobile zu hören waren.
»Sasa, du bist jetzt so reich wie der König!« Bessie war sieben Jahre alt, blass und so dünn, dass Sarah ihr, wann immer sie konnte, etwas Essbares zusteckte. Doch es half alles nichts, Bessie nahm einfach nicht zu und schien vor ihren Augen zu verschwinden.
Sarah tupfte mit einem feuchten Tuch die verschwitzte Stirn der kleinen Schwester ab und strich ihr über die blonden Locken, die dem Mädchen am Kopf klebten. Das Kleid aus blauem Musselin war mehrfach geflickt, doch sauber. Bessie wackelte mit ihren Zehen und hielt ihre abgewetzte Stoffpuppe vor sich. Das Puppengesicht war kaum noch erkennbar, die Arme hingen bedenklich locker an wenigen Fäden am Puppenkörper, doch das Mädchen liebte das unansehnliche Stoffgebilde genau wie ihre Geschwister vor ihr. Sarah Rosewell war mit siebzehn Jahren die Älteste von fünf Schwestern und zwei Brüdern.
Rose, die jüngste Schwester, saß auf einem Tuch auf dem Fußboden und spielte mit Tieren aus Holz, die ihre Brüder ihr geschnitzt hatten. Frank und Benjamin waren draußen, die älteren Mädchen, Annie und Emily, halfen der Mutter mit der Wäsche, und Dora hockte wie immer auf ihrem Stuhl und starrte vor sich hin. Niemand wusste, was mit dem Kind los war, es sprach nicht, begann jedoch zu schreien, wenn man es anfassen wollte. Nur draußen im Park blühte Dora auf. Dann setzte sie sich auf eine Bank und beobachtete die Menschen und Tiere, die an ihr vorbeizogen. Am liebsten schien sie die Vögel zu haben, doch genau wusste das keiner zu sagen.
Als sie die Finger wieder über die Münze legte, quietschte Bessie. »Nicht! Zeig sie noch mal!«
Sarah lachte und öffnete die Hand erneut. Als sie schwere Schritte auf der Treppe hörte, sah sie erschrocken auf. Ihr Vater durfte nichts von der Münze wissen, dann würde er sie ihr sofort wegnehmen und im Pub mit seinen Kumpanen versaufen und den Rest bei Pferde- und Hunderennen verwetten.
Doch die Schritte entfernten sich wieder. Sarah seufzte. »Wie fühlst du dich, Bessie? Du solltest etwas von dem Haferschleim essen, den Mum gekocht hat.«
»Nein, bin nicht hungrig. Sasa, was machst du mit dem Schatz? Gehen wir auf den Jahrmarkt und essen Zuckerzeug?« Die großen Kinderaugen leuchteten bei der Vorstellung dieser so selten gekosteten Nascherei.
»Ja, das machen wir, meine Süße, da kannst du so viel naschen, dass du Magenschmerzen bekommst!« Besorgt betrachtete sie die geröteten Wangen ihrer kleinen Schwester, deren Fieber sich einfach nicht senken wollte.
Sarah erhob sich und steckte die Münze in eine winzige Tasche ihres Rocks, an die selbst gewiefte Taschendiebe nicht herankamen, jedenfalls nicht, ohne ihr unter die Röcke greifen zu müssen, und bevor es dazu kam, hätte Sarah ihren kleinen Dolch gezückt und dem Dieb seine schmutzigen Finger abgeschnitten.
Ihre Bettstatt befand sich in einer winzigen Kammer, die sich zur Küche öffnete. Unter ihrer alten Matratze, die mit Heu gestopft war und bei jedem Umdrehen pikste, versteckte sie ihren kostbarsten Besitz, eine Sammlung von Programmheften für Theater- und Ballettvorstellungen. Darunter befand sich auch eine zerknickte Karte mit einem Tänzer der Ballets Russes. Sie hatte die bunte Karte im Salon von Ada Weaver beim Aufräumen gefunden und behalten. Die Darstellung des tanzenden Mannes in seltsamer Tierkleidung hatte etwas Faszinierendes und schien Sarah unerhört verrucht. Irgendwann würde sie auch in eines der leuchtenden Theater im Westend gehen, ein elegantes Abendkleid tragen, Champagner trinken und die Balletttänzer bewundern, wie sie über die Bühne sprangen. Jeder Mensch musste einen Traum haben. Wenn man nicht träumte, hatte man keine Hoffnung mehr, und Sarah brauchte nur in die traurigen Augen ihrer stets erschöpften Mutter zu sehen, um zu wissen, was Hoffnungslosigkeit bedeutete.
»Au!«, sagte sie und rieb ihren Arm.
»Du hörst nicht zu!«, rief Bessie und zog an ihrem Rock.
»Ich höre nicht zu?« Sarah schnitt eine Grimasse und beugte sich vor, um ihre Schwester zu kitzeln.
Während sie spielten und sich neckten, vergaßen sie die Zeit an diesem Sonntagabend und hörten nicht, wie der Vater unsicheren Schrittes in die Wohnung torkelte.
»Zum Henker!«, brüllte Harold Rosewell. »Wo sind denn alle hin?! Dorothy! Dorothiiiieee!«
Bessie stieß einen leisen Schrei aus und kroch hinter Sarahs Bett. Dora begann zu weinen, als ihr Vater gegen den Tisch stieß, sich an ihrem Stuhl festhielt und sie wie ein lästiges Insekt fortscheuchte. »Was sitzt du hier rum? Nutzloses Ding!«
Dora liefen die Tränen über die Wangen. Stocksteif stand sie an der Wand, krallte ihre Hände in ihr Kleidchen und gab merkwürdige jaulende Geräusche von sich.
Mit blutunterlaufenen Augen sah Harold Rosewell sein Kind an und packte es an den Ärmchen. »Hör auf mit diesem Gejaule, hör sofort auf damit!«, brüllte er und schüttelte das kleine Mädchen, das nur noch lauter schrie.
Doras Jaulen war durchdringend und hätte jeden, der sie nicht kannte und nicht wusste, wie man sie beruhigen konnte, in die Verzweiflung getrieben. Den betrunkenen Harold Rosewell brachten die Laute seines Kindes zur Raserei. Einmal hatte er Dora so hart geschlagen, dass sie sich den Arm gebrochen hatte und bewusstlos gewesen war.
Er würde sich nie ändern! Aber sie konnte nicht zulassen, dass er ihre Schwester quälte. Es gab nur eine Möglichkeit, ihn abzulenken. Verzweifelt griff Sarah in ihre Rocktasche und holte den Sovereign hervor. »Vater, sieh doch, was ich habe!«
Sie hielt das glänzende Goldstück in die Höhe und hatte sofort die Aufmerksamkeit des wütenden Mannes erlangt. Er ließ von Dora ab und kam mit gierigem Blick auf sie zu. Sarah trat neben den Tisch, sodass er zwischen ihr und dem Vater war. Oh, wie sie ihn hasste, diesen Teufel!
»Setz dich, Vater, ich hole dir ein Glas Bier.«
Harold Rosewell ließ sich auf den Stuhl fallen und streckte fordernd die Hand aus. »Gib her! Woher hast du das?«
Der schwarze Kohlenstaub saß tief unter seinen Fingernägeln und hatte sich in jede Pore seiner Haut gegraben, was auch daran liegen mochte, dass Harold Rosewell sich selten wusch. Seine grauen Haare standen ihm ungekämmt vom kantigen Schädel ab, er hatte sich nicht rasiert, und sein Hemdkragen war fleckig. Ein Hosenträger rutschte ihm von der Schulter, während er die bereits aufgekrempelten Ärmel noch höher schob. Seine Arme waren muskulös von der harten Arbeit in Frasers Kohlenhandlung, sein Rücken gebeugt und sein Gesicht zerfurcht von einem Leben voller Entbehrungen, harter Arbeit, Tabak und Alkohol.
Nur widerwillig legte Sarah die Goldmünze in die ausgestreckte Hand, wissend, dass sie das Geld nie wiedersehen würde. Doch ein Blick auf die zitternde Dora sagte ihr, dass die Entscheidung richtig war. »Dora, geh nach draußen zu Mutter. Sie braucht Hilfe bei der Wäsche. Du weißt doch, wo die Wäsche getrocknet wird, nicht wahr, Dora?«
Das Mädchen antwortete nicht und zeigte mit keiner Geste, dass sie verstanden hatte, was ihre Schwester sagte, doch sie drehte sich um und lief aus der Wohnung.
Harold biss auf das Geldstück und wog es anerkennend in der Hand. Dann musterte er seine Tochter mit abfälliger Miene. »Was hast du getan, um das hier zu verdienen? Hurst du jetzt herum?«
Das war seine Art, dachte Sarah und wappnete sich gegen weitere Beschimpfungen. »Willst du es wissen oder mich weiter beleidigen?«
»Red‹ schon! Hast du gestohlen? Würde mich nicht wundern. Wenn sie dich einsperren, haben wir einen Fresser weniger.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, obwohl sie es besser wusste. Sie holte tief Luft und schluckte ihre Verzweiflung hinunter. »Ich habe mir das Geld verdient, weil ich einer reichen Lady ihre Handschuhe und eine Brosche, die sie in Miss Weavers Laden vergessen hatte, gebracht habe. Frag Charley, der hat es gesehen.«
Harold hob den glasigen Blick und sah sie mit wachsender Aufmerksamkeit an. »Halt dich von Charley fern, das ist kein Umgang für dich.«
»Warum nicht? Er ist ein netter Bursche und beschützt mich!«, verteidigte sie ihren Jugendfreund.
»Beschützt dich, dass ich nicht lache. Der will unter deine Röcke, das will er!« Harold drehte den Sovereign auf dem Tisch, bis die Münze sanft klingend auf dem Holz zu liegen kam.
»Was ist denn hier los? Dora ist ja ganz verstört …« Dorothy Rosewell kam die Treppe hinuntergelaufen und erfasste die Situation mit einem Blick.
»Sarah!«, sagte Dorothy und in dem einen Wort mischten sich Vorwurf und Bedauern.
»Wo warst du? Ich komme nach Hause, und niemand ist hier!«, beschwerte sich Harold.
Dorothy stellte ihren Wäschekorb auf den Boden. »Sarah, hilf mir doch mit der Wäsche, bitte.«
»Bitte, liebe Sarah«, äffte Harold seine Frau nach und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Hast du davon gewusst? Sicher hast du das! Ihr haltet doch immer zusammen und redet hinter meinem Rücken! Verhurte Brut!«
Sarah ging zu ihrer Mutter und berührte sie am Arm. »Ich habe ihm die Münze gegeben, weil er Dora schlagen wollte.«
»Welche Münze?«, fragte ihre Mutter irritiert.
»Du erinnerst dich an den Aufruhr wegen Lady Sudbury vorhin im Laden? Sie hat sie mir geschenkt, als Belohnung für meine Ehrlichkeit. Ich erzähle dir nachher alles«, sagte Sarah schnell.
»Was redest du da? Wen kümmert es überhaupt, ob das nutzlose Balg atmet, es ist nur ein Fresser, eine Last! Ach …« Der betrunkene Mann wollte aufstehen, sank jedoch wieder auf den Stuhl. »Bier!«
»Gib ihm sein Bier, Sarah, rasch«, sagte Dorothy leise zu ihrer Tochter.
»Was flüstert ihr da?«, schnaufte Harold, besah sich die Münze ein letztes Mal und steckte sie in seine Hosentasche. »Morgen im Fünften, da läuft Ballymore Ben. Da kann ich meine Verluste reinholen und so viel gewinnen, dass wir dieses Loch verlassen können«, murmelte er mehr zu sich und zog einen zerknitterten, mehrfach gefalteten Zettel und einen Bleistiftstumpen aus der Hosentasche. Er benetzte den Bleistift mit der Zunge und begann, auf dem Zettel zu kritzeln.
Sarah ging zu dem Regal neben der Feuerstelle, nahm den Bierkrug herunter, der mit einem Holzdeckel verschlossen war, und stellte ihn sowie ein Glas auf den Tisch vor ihren Vater. Sie atmete einmal tief durch, bevor sie ihre Stimme erhob.
»Das ist mein Goldstück, Vater. Gib mir zumindest ein paar Shilling, bevor du alles auf der Rennbahn verspielst!« Ein goldener Sovereign war mehr als ein Pfund wert. Wenn man bedachte, dass ein Hausmädchen in einer guten Stelle zwanzig Pfund im Jahr verdiente, war ein Sovereign ein Vermögen. Und er gehörte ihr!
»Nicht, Sarah«, ermahnte ihre Mutter sie leise und zupfte nervös an ihrer Schürze. Das feine Profil mit den sanften braunen Augen hatte an Kraft verloren, die dichten kastanienbraunen Haare wurden von ersten grauen Strähnen durchzogen, und doch ließ sich die einstige Schönheit ihrer Mutter erahnen.
Harold stürzte ein Glas Bier hinunter und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Du lebst in meinem Haus, und solange du keinen Mann hast, gehört alles, was du nach Hause bringst, mir! Ich lege mich jetzt hin. Haltet mir den Schreihals vom Leib, sonst lasse ich mich doch noch hinreißen …« Er zog eine angewiderte Grimasse, stützte sich am Tisch ab und ging wankend zur Bettstatt der Eltern, die sich hinter einem Vorhang neben dem Herd befand.
Es dauerte nicht lange, und Harold schnarchte lautstark. Erleichtert machten sich Mutter und Tochter daran, die Wäsche zu sortieren.
»Ach, Sarah«, sagte ihre Mutter leise, »du hättest ihm das Geld nicht geben sollen. Damit hätten wir ein neues Kleid für dich anzahlen können.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Kein Kleid. Ich hätte den Sovereign für etwas anderes verwendet. Ich wäre so gern ins Theater gegangen, nur einmal!« Der tristen Welt entfliehen und sich von der Musik und den schönen Kostümen und den Tänzern verzaubern lassen – etwas Schöneres konnte sich Sarah kaum vorstellen.
»Es tut mir leid, Liebes. Aber sei nicht allzu traurig! Wenn du dich weiterhin so gut anstellst bei Mrs Weaver, bekommst du auch eine Stellung als Näherin und verdienst dein eigenes Geld.«
»Warum hast du ihn geheiratet, Mum?« Sarah blickte in Richtung des Vorhangs.
»Er ist kein durchweg schlechter Mann, und ich habe einen Fehler gemacht, dafür muss ich nun meinen Preis zahlen.« Dorothy strich ihrer Tochter über die Wange. »Vergiss das nie, Kind. Lass es dir eine Lehre sein.«
Nur zu gut wusste Sarah, was ihre Mutter meinte, denn sie selbst war der Fehler, der Dorothy in eine Ehe mit Harold Rosewell gedrängt hatte. Als junges Dienstmädchen hatte Dorothy eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt. Bevor ihre Herrschaft von ihrem Fehltritt erfahren konnte, hatte Dorothy die Stellung in Yorkshire verlassen und war nach London gegangen, wo sie für kurze Zeit bei einer Freundin untergekommen war. Deren Bruder Harold hatte sich in Dorothy verliebt und ihr die Ehe angeboten, wohl wissend, dass sie das Kind eines anderen unter dem Herzen trug. Dorothy hatte es für sie getan, das wusste Sarah. Ihre Mutter hatte ihr ein besseres Leben ermöglichen wollen.
»Das lässt er dich aber genug spüren«, sagte Sarah. »Und die arme Dora kann nichts dafür, dass sie so ist, wie sie ist.« Vorsichtig faltete sie ein Bettlaken zusammen und strich es glatt. Die Wäsche war vom vielen Gebrauch an einigen Stellen so dünn, dass sie zerriss wie Papier, wenn man nicht aufpasste.
»Ich darf mich nicht gegen ihn stellen, das macht alles nur noch schwerer«, seufzte ihre Mutter. »Auch wenn er das Geld den Buchmachern in den Rachen wirft oder es schon vorher versäuft.«
Tiefe Resignation klang aus Dorothys Worten, und Sarah wusste nicht, was sie wütender machte, die eigene Hilflosigkeit oder die Ungerechtigkeit des Vaters.
Am nächsten Tag arbeitete Sarah wie immer mit ihrer Mutter im Atelier von Ada Weaver. Wenn es die Zeit erlaubte, zeichnete Sarah die Schnittmuster ab und machte sich Skizzen der Kleider, die auf den Schneiderpuppen hingen. Manchmal skizzierte sie auch Gesichter, denn sie merkte sich besser, was sie einmal aufgeschrieben oder gezeichnet hatte. Gerade war sie dabei, einen Saum umzustecken, als die Schneidermeisterin selbst in die Nähstube trat.
»Du!« Mrs Weaver zeigte auf Sarah. »Komm her!«
Mrs Weaver war eine schlanke Frau, die sich wie eine Lady bewegte und sich auch so ausdrückte. Dabei kam sie aus bürgerlichem Haus und war mit einem Fuhrunternehmer verheiratet, der sich auf Automobile verlegt hatte. Ängstlich sah Sarah zu ihrer Mutter, die ihr gegenübersaß, doch die verzog keine Miene und nähte weiter. Die Näherin neben ihr gab einen schadenfrohen Laut von sich.
Sorgsam legte Sarah den Unterrock aus feinem Baumwollstoff ab und trat hinter dem langen Arbeitstisch hervor. Die Näherinnen saßen dicht beieinander, die Beleuchtung war schlecht, und sie arbeiteten oft bis in die Nacht, wenn es einen dringenden Auftrag gab, doch beschweren würde sich keine. Wenn eine der Frauen gefeuert wurde, warteten zwanzig andere auf der Straße, um sie zu ersetzen.
Leichter Veilchenduft hing in der Luft. Mrs Weaver benutzte eins der teuren französischen Duftwässer. Ihr Kleid war eine raffinierte Mischung aus Tageskleid und Nachmittagsgarderobe. Der Gürtel war mit winzigen bunten Glassteinen bestickt, die sich auch an den Säumen wiederfanden und dem Kleid einen exotischen Touch verliehen.
»Madam?«, sagte Sarah zaghaft, als sie vor der erfolgreichen Schneiderin stand, deren Atelier es zu einer gewissen Berühmtheit in London gebracht hatte.
»Wie war dein Name?« Beringte Finger spielten mit einem vergoldeten Füllfederhalter.
»Sarah, Madam.«
»Lady Sudbury will dich sehen.«
Hoffnungsvoll hob Sarah den Blick, um an Mrs Weaver vorbeizusehen, die im Durchgang zum Verkaufsraum stand.
»Mach mir keinen Ärger!«, zischte die Schneiderin. »Wenn du dich in irgendeiner Weise danebenbenimmst und meinen Salon blamierst, werfe ich deine Mutter hinaus. Lady Sudbury gehört zu meinen besten Kundinnen, und wir haben heute einen Fotografen im Haus!«
»Ja, Madam, ich meine, nein, ich werde keinen Fehler machen«, versicherte Sarah eifrig. »Einen Fotografen?«
Ada Weaver rollte die Augen. »Womit habe ich das verdient! Naseweise Gören sind das Letzte, was ich hier brauche. Halte dich zurück, und sprich nur, wenn du gefragt wirst. Mylady scheint einen Narren an dir gefressen zu haben. Und ich schlage meinen Kundinnen keinen Wunsch ab. Also geh, aber ich beobachte dich! Und fass drinnen nichts an!«
Die vollen Lippen der Geschäftsfrau kräuselten sich unwillig, und sie warf Dorothy einen warnenden Blick zu. »Und passt mir auf die neue Ware auf. Der dünne Stoff ist sehr teuer. Wenn ihr mir etwas verschneidet, ziehe ich es euch vom Lohn ab!«
Die Frauen murrten leise, widersprachen jedoch nicht. Keine von ihnen konnte es sich leisten, die Arbeit zu verlieren. Sarah zupfte an den Ärmeln ihrer weißen Bluse und strich ihren Rock glatt, bevor sie in den hell erleuchteten Verkaufssalon trat.
Kristalllüster, dunkelblaue Sessel und ein rundes Sofa standen für die wartenden Kundinnen bereit. Auf einem Büfett waren Champagnerflaschen, Gläser, Teegeschirr, ein Samowar und Etageren mit kandierten Früchten, Sandwiches und Gebäck aufgebaut. Hungrig schielte Sarah zu dem üppigen Speisenangebot und schluckte.
Neben dem Fenster war ein Mann dabei, eine Kamera auf einem Stativ auszurichten. Konzentriert guckte er durch den Sucher, und Sarah beobachtete ihn fasziniert. Die neue Technik erlaubte es, Fotografien mit kleinen Kästen zu machen, was Sarah ganz erstaunlich fand. Als der Fotograf aufsah, trafen sich ihre Blicke für einen Moment, und Sarah schaute in blaue Augen, die ihr amüsiert zuzwinkerten.
»Steh nicht rum, Mädchen, geh weiter!«, zischte Mrs Weaver hinter ihr.
»Wer ist das?«, fragte Sarah leise.
»Mr Maynard, ein sehr teurer Fotograf, weshalb wir ihn seine Arbeit tun lassen wollen, denn er kostet mich viel Geld.«
Noch einmal sah Sarah zu dem jungen Mann, der eines der Modelle zu sich winkte und der jungen Frau zeigte, welche Pose sie einnehmen sollte.
»Sarah!«, rief Mrs Weaver verärgert.
Lady Sudbury stand mit zwei Damen in der Raummitte. Ein Modell führte ihnen ein Abendkleid vor und drehte sich auf Wunsch der Damen hin und her. Sarah hätte auch gern Kleider vorgeführt, die Figur dafür hätte sie, doch ihre Eltern hatten es ihr untersagt. Junge Frauen konnten als Modell für Künstler und immer öfter auch für Modesalons gutes Geld verdienen. Allerdings hatten Modelle oft keinen guten Ruf, galten als leicht zu haben und verkehrten noch dazu gern in Künstlerkreisen. Vor allem das Atelier des Malers Augustus John war berüchtigt, denn der Meister war ein notorischer Schwerenöter, und wenn man dem Klatsch Glauben schenken durfte, lebte er mit mehreren Frauen gleichzeitig zusammen.
Altrosa, Mauve, Violett und Schwarz bildeten die Farben von Lady Sudburys heutiger Garderobe. Ihr Hut schillerte seidig in dunklem Violett, und die Federn darauf waren schwarz. Die anderen Damen hatten sich für Schwarz und Dunkelblau entschieden, denn der König war vor zwei Monaten gestorben, und selbst außerhalb des Hofes achtete man darauf, nicht allzu farbenfroh aufzutreten.
»Hier ist sie, Mylady«, sagte Mrs Weaver.
Das Gesicht der Lady hellte sich auf. Große blaue Augen richteten sich auf Sarah. Obwohl Gwendoline Sudbury amüsiert wirkte, glaubte Sarah, eine Spur Melancholie in ihrem Blick zu lesen.
Die Lady machte einen Schritt auf Sarah zu. Ihre Bewegungen waren fließend, von vollendeter Grazie und wirkten dabei nicht geziert wie die ihrer Freundinnen, deren hochmütige Mienen Desinteresse spiegelten.
»Was habe ich für ein Glück gehabt, dass Sie meine Brosche gefunden haben!« Gwendoline Sudbury lächelte Sarah an. »Sie ist nämlich eines meiner Lieblingsstücke.«
»Ich habe das gern getan, Mylady«, flüsterte Sarah und senkte verschämt den Blick.
»Sie sind sehr hübsch, Sarah. Haben Sie schon einen Verehrer?«
Überrascht schoss Sarah das Blut in die Wangen. »Nein, Mylady.«
Die Ladentür ging auf, und eine auffallend gekleidete Dame kam herein. Mit erhobenem Kinn stolzierte die Frau auf einen Tisch mit kostbaren Schals zu.
»Unerhört, sie hat überhaupt kein Schamgefühl«, sagte die Lady in Schwarz.
»Warum auch, sie hat nichts mehr zu verlieren …«, fügte die Dame in Blau hinzu.
Mrs Weaver eilte nach vorn, um die neue Kundin zu begrüßen, und wies eine ihrer Angestellten an, den Ladys ein Glas Champagner zu servieren.
»Gwen, wir wollen gehen. Heute ist nichts für uns dabei, und mir missfällt es, mich in einem Raum mit dieser Person aufhalten zu müssen«, beschwerte sich die Dame in Schwarz.
Vor dem Fenster blitzte es grell auf, die Damen stießen übertrieben spitze Schreie aus, um dann kokett zu lachen.
»Aber ich bitte Sie, Ladys! Das war doch nur mein Blitzlicht!«, rief der Fotograf. Dabei sah er zu Sarah hinüber, die hinter vorgehaltener Hand kicherte.
»Mir reicht es für heute!«, empörte sich eine der älteren Damen und rauschte hinaus.
»Lassen Sie sich von uns nicht stören, Mr Maynard. Wir müssen uns ohnehin noch wegen eines Termins verständigen«, rief Lady Sudbury dem Fotografen zu, der eine galante Verbeugung andeutete.
»Jederzeit, Mylady!«
Zu ihren Freundinnen sagte Lady Sudbury: »Seht doch, man bringt euch Champagner. Und sei nicht immer so schrecklich moralisch, Cynce. Es fällt sich schneller, als man denkt.«
Lady Cynthia de Ville rümpfte die Nase, nahm jedoch das angebotene Glas und prostete ihrem Gegenüber zu.
»Haben Sie sich schon überlegt, was Sie mit Ihrem Finderlohn anfangen?«, wollte Lady Sudbury von Sarah wissen.
Die senkte betreten den Blick. »Noch nicht, Mylady.«
»Nein? Wollen Sie denn hier im Laden bleiben, wie Ihre Mutter?«
»Ich – äh – nein, ich meine, ja, wenn es geht.«
Lady Sudbury zog die geschwungenen Brauen hoch. »Sie haben also noch keine feste Anstellung? Verstehe ich das richtig?«
»Ja, Mylady. Man muss sehr gut sein, um bei Mrs Weaver arbeiten zu dürfen, und ich muss noch viel lernen.«
Nachdenklich betrachtete die Lady Sarah. »Die Saison geht zu Ende, und meine Gesellschafterin hat mich verlassen. Ach, ich war sowieso nicht zufrieden mit ihr. Sie redete ausschließlich über Bücher, Gedichte und dergleichen. Wer will das schon dauernd hören! Aber es war meine Schuld, was stelle ich auch eine Lehrerin ein.«
Sarah starrte die Lady gebannt an. Sie konnte doch unmöglich glauben, dass sie einen Posten als Gesellschafterin ausfüllen könnte? Sie konnte ja gerade einmal schreiben und lesen.
»Ich möchte mich mit etwas Frischem umgeben. Wenn Sie keine feste Anstellung haben, könnten Sie ebenso gut bei mir anfangen.«
Cynthia de Ville hatte die letzten Sätze gehört und verdrehte die Augen. »Oh, Gwen, tu das nicht. Sie sind es nicht wert.«
Gekränkt hörte Sarah die verächtlichen Worte von Lady de Ville.
Doch Lady Sudbury winkte ab. »Nicht vor dem Mädchen, Cynce.« Sie wandte sich wieder Sarah zu. »Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Mit meinen Eltern um die Ecke vom Kohlenhändler.«
»Ja, nun, wir werden sehen. Danke, Sarah.«
Damit schien das Gespräch beendet zu sein. Sarah machte einen Knicks und ging zurück in die Nähwerkstatt. Ihre Knie zitterten, und sie fühlte sich seltsam aufgewühlt. Sie hatte die Goldmünze verloren, aber möglicherweise etwas gewonnen, das weitaus wertvoller war – eine Anstellung.
»Hallo, Schönheit!« Es folgte ein Pfiff, und Sarah drehte sich, entgegen ihrer Gewohnheit bei solcherlei Anzüglichkeiten, um. Niemand anderes als Charley Randall pfiff auf diese Weise.
Ihre Mutter war bereits nach Hause gegangen. Sarah hatte angeboten, noch ein paar Besorgungen für das Abendessen zu machen, wollte jedoch vor allem etwas Zeit für sich gewinnen. Die Begegnung mit Lady Sudbury hatte sie tief beeindruckt. Was sie im Haus der Lady wohl alles zu sehen bekommen würde?
»Na, du scheinst mich ja kaum noch zu kennen. Muss wohl an dem Sovereign liegen«, meinte Charley und stieß sich von einer Straßenlaterne ab, an der er gelehnt hatte.
Sarah musterte den Burschen mit den blitzenden dunklen Augen, der sich ihr so selbstbewusst in den Weg stellte. Charley Randall kannte seine Wirkung auf Frauen, und sie wusste, dass man ihn in seine Schranken weisen musste, damit er nicht allzu frech wurde.
»Ey, Charley, kannst dir dein Bier abschminken. Den Sovereign habe ich nicht mehr.« Sie schnippte mit den Fingern. »Wie gewonnen …«
Er riss die Augen auf. »Nein! Was hast du damit gemacht?«
»Ich? Nichts!« Sie hob die Schultern und kickte mit ihrem Stiefel gegen eine Kiste.
Sie standen vor dem Gemüsehändler, der Kisten mit Ware auf dem Gehsteig aufgebaut hatte.
»Oh, Sarah, sag nicht, dass dein Alter dir das Geld weggenommen hat!« Mitleidig sah er sie an. Sein Hemd war nicht allzu schmutzig, und er trug eine Hose, deren Beine ihm tatsächlich bis über die Knöchel reichten. Nun ja, am linken Saum fehlte ein Stück, aber wer achtete schon auf unwesentliche Kleinigkeiten.
Erneut hob sie die Schultern und verzog vielsagend den Mund.
Charley ballte eine Hand zur Faust, und seine Halsmuskeln spannten sich. »Ich knöpf ihn mir vor! Der wird so klein sein, wenn ich mit ihm fertig bin. Ein Wort von dir, und er kommt morgen angekrochen und bittet dich um Verzeihung.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Nein, nicht, tu das nicht, Charley. Danach wäre es nur noch schlimmer. Du weißt doch, was er mit den Kleinen macht. Er wollte sich mal wieder an Dora abreagieren. Das Geldstück hat ihn zumindest für den Moment abgelenkt …«
»Verdammt, Sarah«, murmelte Charley und ergriff ihre Arme. »Irgendwann schlägt er sie tot! Solche wie ihn kenne ich, die ändern sich nie, saufen, spielen und schlagen ihre Familie. Lass ihn mal an den Richtigen geraten, das würde ihm eine Lehre sein!« Das Schlimme war, dass Charley seine Drohung wahr machen würde, und davor fürchtete sich Sarah.
Sanft machte sie sich los. »Nein, Charley, wir müssen allein damit fertigwerden. Und vielleicht wird sich bald einiges ändern«, sagte sie vieldeutig.
Ein junger Bursche in Charleys Alter kam vorbei und drückte ihm beiläufig einen Schein in die Hand. Ohne hinzusehen, stopfte Charley sich das Geld in die Hosentasche, tauschte ein Nicken mit dem anderen aus und wandte sich wieder Sarah zu. Die Straße füllte sich immer mehr mit Menschen, die ihre Arbeit beendet hatten. Männer mit erschöpften Mienen, deren Hemdkragen schon lange nicht mehr weiß waren, Männer in gebürsteten Anzügen und mit glänzenden Hüten, Angestellte, Arbeiter und Tagelöhner. Viele suchten in einem der zahlreichen Pubs Erholung von einem anstrengenden Arbeitstag.
»Was meinst du?« Charleys Augen blitzten wütend. »Sollst du jemanden heiraten? Hat der Alte dich etwa verschachert?«
»Um Himmels willen, nein!« Sarah lachte, auch wenn ihr die Vorstellung einer Heirat Angst machte. Ihr Vater hatte oft genug damit gedroht, sie an einen seiner Kumpane zu verheiraten, wenn er wieder einmal zu viel bei den Hundewetten verloren hatte. »Es kann sein, dass ich eine Stellung in einem vornehmen Haus bekomme. Ist das nicht wundervoll?«
»Wundervoll?« Charley legte skeptisch den Kopf schief. »Was für eine Stellung? Wo?«
»Lady Sudbury sucht eine …« Sarah überlegte. Ja, was eigentlich? Sie hatte nichts gelernt und verfügte über keine außergewöhnlichen Kenntnisse. Vielleicht das Nähen, aber ansonsten gab es nichts, was sie für eine Stellung in einem herrschaftlichen Haushalt geeignet machte.
»Ha, was ist das für eine Geschichte? Du weißt es selbst nicht. Sarah!« Der junge Mann sah sie eindringlich an und nahm ihre Hand. »Geh nicht fort, ich bin gerade dabei, mir etwas aufzubauen. Dann können wir in zwei oder drei Jahren …«
Sie schüttelte vehement den Kopf. »Nicht, Charley, sprich nicht so mit mir. Ich will das nicht!«
»Was denn? Du bist das schönste Mädchen, das ich kenne, und ich …«
»Hör auf damit, Charley Randall!«, sagte sie streng. »Wir sind Freunde! Mach das nicht kaputt! Und überhaupt, was baust du dir auf? War das eben einer deiner Burschen? Stehlen die für dich?«
Er hatte ihre Hand losgelassen und stellte sich mit erhobenem Kinn in Pose. »Ich habe keine Diebesbande, wenn du das meinst. Du hältst mich für so dumm? Sarah, du solltest mich besser kennen.«
Sie standen nicht weit entfernt von Mrs Weavers Salon auf dem Gehsteig, und Sarah sah, wie die Tür aufging und der Fotograf mit dem Stativ auf einer Schulter und einem Koffer in der anderen Hand herauskam. Maynard schaute nach links und rechts, und als er sie entdeckte, nickte er ihr zu. Sarah errötete. Als sie schon dachte, der Fotograf würde in ihre Richtung gehen, hielt ein Automobil am Gehsteig. Maynard stieg ein und fuhr davon.
Charley hatte sie beobachtet und schnippte vor ihrem Gesicht mit den Fingern. »Du hörst mir ja gar nicht zu! Kennst du den feinen Schnösel etwa?«
»Was? Nein, natürlich nicht. Das war der Fotograf, der heute bei uns im Salon die Modelle fotografiert hat. Ich muss jetzt los, Charley.« Sie winkte ihm kurz zu und eilte weiter.
So leicht ließ Charley sich nicht abschütteln. »Bin dir wohl nicht gut genug, was?« Nach wenigen Schritten war er neben ihr und packte sie am Arm, damit sie stehen blieb.
Allmählich wurde Sarah wütend. »Lass das!« Sie entzog sich ihm ruckartig. »Ich werde dich nicht heiraten, und damit basta.« Sie ignorierte den verletzten Ausdruck, der über Charleys Gesicht zog, und hastete davon.
Die folgenden zwei Wochen verstrichen, ohne dass Lady Sudbury das Atelier von Ada Weaver besuchte. Immer wieder dachte Sarah an die freundliche Lady und hielt nach ihr Ausschau. Derweil füllte der Fall des Mörders Dr. Crippen die Zeitungen mit immer neuen Schlagzeilen und war das beherrschende Gesprächsthema. Es war in einer Mittagspause, als Sarah, ihre Mutter und eine weitere Näherin im Hinterhof vor dem Atelier auf einer Bank saßen, ihre Sandwiches verzehrten und sich unterhielten.
»Sie haben ihn auf einem Schiff verhaftet! Das hieß SS Montrose«, sagte ihre Mutter.
Lettie, eine hagere Frau mittleren Alters, deren mausblonde Haare so dünn waren, dass man die Kopfhaut sehen konnte, meinte: »Jetzt werden sie ihn hängen. So ein Schuft, die eigene Frau im Keller zu verscharren, nur um mit einer Jüngeren abzuhauen.«
»Tja, so sind die Männer, kaum läuft was Frisches vorbei, vergessen sie, wer ihnen zu Hause das Bett wärmt und die Suppe auf den Tisch stellt«, fügte Dorothy hinzu, und die Frauen lachten.
Sarah liebte es, ihre Mutter lachen zu sehen, denn das kam viel zu selten vor. Die langen, harten Arbeitstage zehrten an den Kräften der Frauen, die in Momenten wie diesen wenn nicht glücklich, so doch zufrieden wirkten. Sarah aß ihr Sandwich auf, denn gleich mussten sie wieder in die Nähwerkstatt, um ein Tageskleid aus der Garderobe von Lady Suttons Tochter fertigzustellen. Die Kleider der jungen Frau kosteten so viel, dass Sarahs Familie zehn Jahre davon satt werden und Miete zahlen könnte.
»Weiter geht es, meine Damen!«, rief Mrs Weaver von der Tür aus und klatschte in die Hände.
»Sklaventreiberin«, murrte Lettie so leise, dass nur Sarah neben ihr es hörte.
In der Werkstatt hingen auf drei Ankleidepuppen Kleider, die noch in Arbeit waren. Sechs Frauen waren an den Zuschneidetischen beschäftigt, und eine steckte den Rocksaum eines gestreiften Nachmittagskleides um.
»Vite, vite!« Mrs Weaver warf gern mit französischen Brocken um sich, wohl um sich den angesagten Pariser Modehäusern näher zu fühlen. »Sonst schaffen wir es nicht, und das können wir uns nicht erlauben. Lady Sutton reist in einer Woche nach Schottland ab!« Ada Weaver kontrollierte mit sicherem Blick für gerade Nähte und saubere Stickereien die Details jedes einzelnen Stücks, das ihr Atelier verließ.
Eine der Frauen stöhnte. »In einer Woche? Wie sollen wir das machen? Das ist unmöglich! Hier fehlt noch Spitze, und die grüne Seide für das Abendkleid ist fehlerhaft.«
»Ich bezahle euch nicht fürs Herumstehen und Reden. Na los, um die Stoffe kümmere ich mich.«
Als Sarah nach sechs Stunden ohne Pause den Kopf hob, die verspannten Schultern kreisen ließ und sich müde vom Tisch erhob, war es bereits dunkel draußen.
»Mum, was ist mit dir?« Besorgt sah Sarah nach ihrer Mutter, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf ihrem Stuhl saß und sich den Magen hielt.
»Nichts, es geht gleich wieder. Eine Unpässlichkeit.« Dorothy hielt sich die Hand vor den Mund und presste die Augen zusammen.
»Was ist mit dir, Dottie?«, fragte Lettie und strich ihrer Freundin über die Stirn. »Ist es mal wieder so weit?«
Sarahs Mutter nickte, und Lettie seufzte. »Es gibt doch Wege, es zu verhindern. Hast du denn nicht aufgepasst?«
»Wie denn …«, flüsterte Dorothy, und Sarah wusste genau, was ihre Mutter meinte.
Wenn Harold von seinen nächtlichen Streifzügen nach Hause kam, war er manchmal nicht betrunken genug und verlangte von seiner Frau, was ihm als Ehemann zustand. Sarah graute es jedes Mal vor diesen Nächten, in denen der Vater sich über ihre Mutter hermachte, die alles still über sich ergehen ließ, damit er nur schnell wieder von ihr abließ und die Kinder nicht aufwachten. Mit sechsunddreißig Jahren hatte Dorothy mehr als zehn Schwangerschaften durchgestanden. Zwei Kinder waren tot zur Welt gekommen. Und nun war sie also wieder einmal schwanger. Noch ein Kind, noch eine Sorge mehr. Und der Sovereign, mit dem sie Essen und neue Schuhe für die Kleinen hätte kaufen können, war verloren, denn Harold hatte auf den langsamsten Hund gesetzt.
Mit Tränen in den Augen legte Sarah den Arm um die Schultern der Mutter und drückte sie an sich. »Mum, es tut mir so leid.« Kinder waren etwas Gottgegebenes, doch wenn man zu arm war, um sie zu ernähren, nicht immer nur ein Segen. Sarah fühlte sich schuldig, weil sie diesen Gedanken hatte. Es gab die Engelmacherinnen, die Frauen in Notlagen halfen, doch Sarah wagte nicht, dies ihrer Mutter vorzuschlagen. Sie hoffte nur, dass eine weitere Schwangerschaft Dorothys Leben nicht gefährden würde.
Dorothy Rosewell hatte sich wieder gefasst, die Farbe kehrte in ihre blassen Wangen zurück, und sie legte ihr Nähzeug auf den Tisch. »Mach dir keine Sorgen, Sasa, ich schaffe das. Und jetzt gehen wir nach Hause und bereiten das Essen vor.«
»Sasa« wurde sie sonst nur von ihren jüngeren Geschwistern genannt. Dass ihre Mutter den Kosenamen benutzte, war selten und für Momente wie diesen reserviert, wenn sich Mutter und Tochter besonders nahe waren, weil sie das Leid der jeweils anderen verstanden.
Sie gingen gemeinsam die Dean Street entlang. Es war ein lauer Abend, und die Menschen strömten bereits den Theatern und Klubs zu, um sich zu amüsieren. Pferde zogen blank polierte Hansoms und wetteiferten mit den neumodischen Automobilen um die Gunst von Fahrgästen. Oft hupten die Automobile, und die Pferde erschraken und scheuten. Dadurch war es zu einigen sehr schweren Unfällen gekommen, und Sarah fürchtete, dass dieses Ungleichgewicht auf den Straßen sich noch weiter verschärfen würde. Neben ihnen rollte langsam ein Hansom vorbei und hielt ein paar Meter weiter an.
»Guten Abend, die Damen!«, rief Charley Randall vom Kutschbock hinter den Sitzen zu ihnen hinunter.
Überrascht sah Sarah zu ihm hoch. »Seit wann bist du unter die Kutscher gegangen?«
Charley lachte. Sarah hatte ihre Mutter untergehakt, denn diese war noch immer schwach auf den Beinen.
Mit einem Satz sprang er vom Kutschbock und klappte mit schwungvoller Geste die Stufen herunter. »Bitte einsteigen, Ladys. Heute gibt es eine Freifahrt.«
»Nein, Charley, das geht doch nicht«, wehrte Sarah das Angebot ab.
Mit seiner Mütze und der gebürsteten Tweedjacke sah Charley heute regelrecht herausgeputzt aus und wirkte entsprechend stolz. Mit großer Geste reichte er Sarahs Mutter die Hand. »Bitte, Madam, darf ich Ihnen in den Wagen helfen?«
Dorothy war tatsächlich erschöpft und ergriff die hilfsbereite Hand. »Danke, Charley. Du kommst heute sehr gelegen. Ich fühle mich so zerschlagen wie selten.«
»So sehen Sie auch aus, wenn ich das sagen darf, mit Verlaub.« Hastig fügte er hinzu: »Entschuldigung!«
Sarah warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Was soll denn das Theater? Wem gehört die Kutsche?«
In dem Einspänner war Platz für zwei Personen unter einem nach vorn offenen Dach. Dorothy ließ sich in die Polster sinken und schloss die Augen.
»Der alte Bill Hornsby ist krank und hat mich gebeten, die Fahrten für ihn zu übernehmen. Er hat mir auch einmal geholfen, also lass ich ihn jetzt nicht hängen, sonst verliert er seine Konzession.« Er hielt auch ihr die Hand hin.
»Du bist ja ein richtiger Ehrenmann. Passt gar nicht zu dir«, meinte Sarah, legte jedoch ihre Hand in seine.
Er hielt sie einen Moment länger als notwendig fest. »Täusch dich mal nicht in mir, Sarah Rosewell. Auch die Mächtigen da oben, die mit den großen Häusern und dem vielen Geld, sind nicht alle so fein und ehrlich, wie sie tun. Ich werd’s schon noch zu was bringen, und dann hast du deine eigene Kutsche.«
»Danke, Charley, aber ich brauche keine eigene Kutsche. Ein regelmäßiges Einkommen würde mir schon genügen.«
»Weiber …«, sagte Charley grinsend und schwang sich hinter ihnen auf den Kutschbock.
Es war ein ungewohnt erhabenes Gefühl, in einer Kutsche zu sitzen und die Stadt aus dieser erhöhten Perspektive an sich vorüberziehen zu lassen. Plötzlich schien der Schmutz der Straße weit weg zu sein. Sarah nahm die Hand ihrer Mutter. »Besser?«
»Ja, ja, es geht schon.« Ihre Mutter sah sie ernst an. »Sei nicht zu freundlich zu Charley, er ist keiner, mit dem man spielt.«
»Er ist doch hinter mir her! Ich habe ihm keinerlei Hoffnungen gemacht.«
»Ich sag’s ja nur. Er hat so ein hitziges Temperament.«
»Mum, ich kann auf mich aufpassen.« Sie seufzte. »Lady Sudbury hat sich nicht wieder sehen lassen. Hat sie gar keine Anproben mehr?«
»Ich meine, sie kommt nächste Woche noch einmal, aber sicher bin ich mir nicht. Mach dir keine großen Hoffnungen, Sarah. Diese reichen Damen haben so ihre Ideen, und dann fällt ihnen etwas anderes ein, und sie haben dich vergessen. Das solltest du immer beherzigen, egal, was sie dir versprechen mag.«
Sarah nickte. »Ja, Mum. Wie war das eigentlich damals, als du in Yorkshire warst? Wärst du nicht lieber in so einem vornehmen Haus geblieben?«
Dorothy Rosewell lehnte den Kopf zurück, während die Kutsche über die Pflastersteine rollte. »Vielleicht, obwohl meine Stellung als Dienstmädchen nicht besser bezahlt war als die bei Mrs Weaver. Ich hatte Kost und Logis frei, aber nur einen halben Tag zu meiner Verfügung, und sonntags mussten wir alle gemeinsam zur Kirche gehen. Mehr Freiheiten habe ich hier, nur kann ich nichts damit anfangen.«
»Ich würde trotzdem für Mylady arbeiten wollen, wenn sie mich fragt.«
Charley klopfte oben auf das Dach, und kurz darauf hatten sie die Straßenecke vor dem Haus der Rosewells erreicht.
»So, meine Damen, da wären wir.« Charley half ihnen beim Aussteigen und hielt Sarah fest. »Gehst du mit mir aus, Sarah? Du wolltest doch immer ein Ballett sehen.«
»Schon, aber das ist viel zu teuer.«
Selbstzufrieden lächelte er. »Ich habe Karten. Es sind zwar Stehplätze, aber mein Freund hat mir versichert, dass wir an der Säule vorbei die Bühne ziemlich gut sehen können. Es ist für diese Gasttruppe, diese Russen.«
»Was?« Aufgeregt schlug sich Sarah eine Hand vor den Mund. »Für die Ballets Russes? Oh Mum! Hast du das gehört? Und dieser Nijinsky tanzt auch?«
Charleys Lächeln wurde noch breiter. »Ich glaube schon, morgen bekomme ich die Karten und kann sie dir zeigen. Also, du kommst mit, ja?«
»Ja!«, antwortete sie freudestrahlend. »Wie könnte ich dazu Nein sagen! Die Ballets Russes! Oh, ich kann’s gar nicht glauben! Wir gehen in ein richtiges Theater! Wann?«
»Samstag in zwei Wochen.«
»In zwei Wochen! Gut, dann habe ich Zeit, mir ein passendes Kleid zu besorgen. Mum, schaffen wir das? Können wir eins meiner alten Kleider ändern, damit ich ins Theater gehen kann?«
Der Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Mutter war schwer zu deuten. Beinahe widerwillig sagte sie: »Wir finden schon etwas Passendes. Ich hoffe nur, dass Charley sich dir gegenüber wie ein Gentleman benimmt, sonst kann ich dich nicht mit ihm gehen lassen.«
Der junge Mann neigte leicht den Kopf. »Aber sicher, Mrs Rosewell. Sie können mir vertrauen.«
»Hm, da bin ich mir eben nicht so sicher.«
Es war am Ende der Woche, dass Lady Sudbury im Salon von Ada Weaver erschien. Die Geschäftsinhaberin flatterte aufgeregt um ihre Kundin herum und scheuchte ihre Mitarbeiterinnen hin und her.
»Wo ist denn das schwarze Abendkleid mit der Stickerei? Ich habe doch gesagt, dass es hier vorne hängen soll!«, herrschte sie Mabel an.
Die junge Mabel arbeitete im Verkaufsraum und half bei den Anproben. Sarah mochte Mabel nicht, die sich aufgrund ihrer Festanstellung und Position im vorderen Salon ihr gegenüber herablassend verhielt. Heute jedoch durfte auch Sarah vorn mithelfen, da ein anderes Mädchen ausgefallen war und Mrs Weaver wusste, dass Lady Sudbury sie gern um sich hatte.
»Sarah, du ungeschicktes Ding, steh hier nicht herum, sondern hol mir die Kiste mit den Schleifen!«, fauchte Mrs Weaver sie an, um im gleichen Atemzug zu Lady Sudbury zu sagen: »Mylady, Sie sehen heute besonders frisch aus! Ob das an dem duftigen Chiffon des Sommerkleides liegen mag? Aber Sie können einfach alles tragen!«
Schmeicheleien prallten an Lady Sudbury ab, sie war nicht leicht zu beeindrucken und ließ sich nie zu etwas überreden, das ihr nicht tatsächlich gefiel. »Danke, Mrs Weaver, aber es wird wohl eher an meinem Ausflug an die Küste liegen. Die Seeluft tut mir immer ausgesprochen gut. Das Kleid ist recht hübsch, aber die Farbe gefällt mir doch nicht so gut, wie ich gehofft hatte. Ich probiere das hellblaue noch einmal an. Oh, Sarah, bitte helfen Sie mir doch dabei.«
Sarah sah ratlos von der Kundin zu ihrer Arbeitgeberin, die sie mit einem Kopfnicken zur Garderobe schickte. »Mabel! Bring die Schleifen mit!«, hörte Sarah die scharfe Stimme von Mrs Weaver.
Lady Sudbury stand im Nebenzimmer und wartete darauf, dass Sarah ihr aus dem Kleid half. Die Aristokratin war groß, schlank und hatte eine aufrechte Haltung. Wahrscheinlich ging sie schwimmen, und auch das Reiten dürfte zum Erhalt einer solchen Figur beitragen, dachte Sarah, während sie die Ösen am Rücken des Kleides löste.
Die Lady stand vor einem großen Spiegel, in dem sich ihre Blicke trafen. »Sie wirken so sorgenvoll heute, Sarah. Ist etwas geschehen?«
»Nein, Mylady. Verzeihung.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Leben nicht leicht für Sie ist. Deshalb dürfte es Sie freuen, dass ich Ihnen eine Stellung bei mir anbieten kann. Haben Sie an diesem Wochenende Verpflichtungen?«
Überrascht hielt Sarah inne. »An diesem Wochenende? Nein, Mylady.« Die Wahrheit war, dass sie überhaupt niemals Verpflichtungen hatte.
»Gut, dann wäre das geklärt. Ich lasse Sie am Samstag um neun Uhr in der Frühe abholen. Sie wohnen bei mir am Hanover Square und begleiten mich auf Reisen. Mit dem Einverständnis Ihrer Eltern natürlich.«
Auf Reisen! »Ja, Mylady. Was muss ich denn mitnehmen? Wie lange benötigen Sie mich?« Sarah dachte an ihre Mutter, die jetzt in anderen Umständen war und bald ihre Hilfe brauchen würde. Annie war zwar schon fünfzehn, aber wenn ihre Mutter ausfiel, musste sich die jüngere Schwester um die Kleineren kümmern. Und vor allem Dora brauchte Zuwendung. Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf.
Lady Sudbury entging Sarahs Stimmungswechsel nicht. »Bedrückt Sie etwas? Bitte, sprechen Sie nur offen mit mir.«
»Es ist nur so, Mylady, dass ich für meine Geschwister da bin, wenn meine Mutter nicht kann.« Beschämt senkte sie den Blick und flüsterte die nächsten Worte. »Und sie ist gerade wieder guter Hoffnung.«
Lady Sudbury hatte das Überkleid abgelegt und streifte mit Sarahs Hilfe ein anderes Modell über. Das nachtblaue Abendkleid hatte eine schmale Silhouette und stand der Aristokratin weitaus besser als das bauschige Modell. Die Lady drehte sich um und griff nach einem bestickten Gürtel.
»Ich verstehe. Nur, Sarah, irgendwann werden Sie Ihre Familie verlassen müssen. Spätestens, wenn Sie selbst heiraten oder hier fest eingestellt werden. Ihre Mutter weiß das. Ich glaube, sie wird es gutheißen, wenn Sie eine Chance auf eine aussichtsreiche Stellung erhalten.«
Aussichtsreich?, dachte Sarah. Laut sagte sie: »Aber ich habe ja nichts gelernt, Mylady. Wie kann ich da schon eine große Hilfe für Sie sein?«
»Das lässt sich ändern. Sie sind ein gescheites Mädchen und müssen lernen, an sich und Ihre Fähigkeiten zu glauben. Befestigen Sie diesen Gürtel, und dann geben Sie mir die Handschuhe dort.«
Sarah tat wie geheißen und hoffte inständig, dass ihr Vater sich nicht gegen Lady Sudburys Angebot stellen würde.
Am Abend desselben Tages saßen sie alle am Esstisch. Dora wippte auf ihrem Stuhl vor und zurück und gab Laute des Unmuts von sich. Harold konnte die Gegenwart des Mädchens nie lange ertragen. »Halt den Mund, Dora!«, bellte er und warf ihr einen bösen Blick zu.
Heute war er nüchtern von der Arbeit nach Hause gekommen und vielleicht deshalb noch gereizter als sonst. Benjamin, der älteste Sohn, war noch nicht aus der Streichholzfabrik zurück, in der er seit Kurzem arbeitete. Sarah legte unter dem Tisch ihre Hand auf Doras Knie, die sie daraufhin ansah und verstummte.
»Ich möchte dich etwas fragen, Vater«, begann Sarah. Mit ihrer Mutter hatte sie bereits gesprochen und deren Zustimmung erhalten.
»Was?«, knurrte Harold und steckte sich eine Pfeife an.