Salz und Schokolade - Amelia Martin - E-Book
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Salz und Schokolade E-Book

Amelia Martin

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Beschreibung

Die Tochter eines Schokoladenfabrikanten und ein junger Salzwirker zwischen Aufbruch und Hoffnung Halle an der Saale, 1950: Als Tochter des Schokoladenfabrikanten Friedrich Mendel wuchs Irene mit dem Duft von Schokolade auf und es gab für sie nichts Schöneres, als ihren Vater zu beobachten, wie er Pralinen anfertigt. Doch seit dem Krieg ist alles anders. Irenes Bruder ist in russischer Kriegsgefangenschaft und ihre Mutter hat sich in ihre eigene Welt zurückgezogen. Salz und Schokolade: Gibt es ein verführerisches Zusammenspiel?  Irene verliebt sich in den jungen Salzwirker Paul, einen waschechten Halloren. Doch ihre Eltern sehen die Verbindung kritisch und tun alles, um die jungen Leute auseinanderzubringen. Mit der Machtübernahme der SED gerät das Familienunternehmen in Gefahr und Irene wird vor eine unmögliche Wahl gestellt: Schokolade oder Liebe?  Die mitreißende und dramatische Geschichte der ältesten Schokoladenfabrik Deutschlands

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Salz und Schokolade

Die Autorin

AMELIA MARTIN ist das Pseudonym einer Bestsellerautorin. Nach Jahren in England und im europäischen Ausland unternimmt die Autorin heute ausgedehnte Recherchereisen an die Schauplätze ihrer Romane. Sie isst für ihr Leben gern Schokolade. Von Amelia Martin sind in unserem Haus bereits erschienen:Das Auktionshaus: Der Glanz LondonsDas Auktionshaus: Die Träume Wiens

Das Buch

Als Tochter des Schokoladenfabrikanten wuchs Irene mit dem Duft von Schokolade auf. Es gab für sie nichts Schöneres, als ihren Vater zu beobachten, wie er Pralinen anfertigte. Doch seit dem Krieg ist alles anders. Mit der Machtübernahme der SED gerät das Familienunternehmen in Gefahr und nur Irene kann den Untergang der Schokoladendynastie verhindern. Als sie sich unsterblich in Paul, einen jungen Salzwirker verliebt, wird sie vor eine unmögliche Wahl gestellt: Schokolade oder Liebe? 

Amelia Martin

Salz und Schokolade

Der Geschmack von Freiheit

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © Ildiko Neer / Trevillion Images (Frau mit Fahrrad); www.buerosued.de (Landschaft)E-Book-Konvertierung powered by pepyrus

ISBN 978-3-8437-2835-5

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Nachwort

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

VORBEMERKUNG

Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden. Obwohl angelehnt an Ereignisse in der halleschen Saline, an die Halloren und die Halloren Schokoladenfabrik, sind Lebenswege der Protagonisten und Handlungsstränge der Geschichte Erfindungen der Autorin. Insbesondere gilt dies für Verstrickungen der Protagonisten in der Nazizeit und der Nachkriegszeit. Jedwede Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig.

Gedicht

»Ein ganz klein wenig Süßes kann viel Bitteres verschwinden machen.«Francesco Petrarca (1304–1374)

»Wie der Herbstwind weht!Doch wir beide leben noch,beide, du und ich.«Masaoka Shiki (1867–1902)

1

Mignon-Schokoladen-Werke, Halle, 1939

Die Maschinen ratterten, Frauen mit weißen Schürzen und Kopfbedeckungen standen an den Fließbändern, und es duftete nach Kakao. Die Walzen rollten die zähflüssige braune Masse aus, aus der später Schokoladentafeln, Pralinen und anderes Naschwerk wurde. Fleißige Hände sortierten, packten um, warfen fort, und manches Mal verschwand ein Stück in den Mündern der Arbeiter.

Irene Mendel stand neben ihrem Vater hinter der großen Glasscheibe und beobachtete das geschäftige Treiben in der Schokoladenfabrik. Es war der zweite Tag des neuen Jahres. Unsichere Zeiten stehen uns bevor, hatte ihr Vater gesagt. Sie war vierzehn Jahre alt und verstand noch nicht alles, doch sie spürte, dass sich etwas verändert hatte.

»Ich freue mich immer, wenn du vorbeischaust, Sonnenschein. Du bist viel zu hübsch, bald werden uns deine Verehrer die Tür einlaufen.« Friedrich Mendel strich über ihr weizenblondes Haar und lachte sein tiefes herzliches Lachen, das seinen stattlichen Bauch in Bewegung versetzte und seine warmen haselnussbraunen Augen zum Blinzeln brachte.

Sie lehnte sich an ihren Vater und spürte den Wollstoff seines Anzugs an ihrer Wange, der ein wenig nach Tabak, Schokolade und Schmieröl roch, denn Friedrich Mendel ließ es sich nicht nehmen, selbst Hand an die Maschinen zu legen, wenn es Probleme gab. Ihr Vater hatte das Geschäft von der Pike auf gelernt, wie er zu betonen pflegte, und erwartete von seinen Mitarbeitern denselben Einsatz, den er zu bringen bereit war. Die meisten Arbeiter schätzten ihn für seine Fairness und dafür, dass er anständige Löhne zahlte. Nur wer zu spät kam, nachlässig arbeitete oder allzu oft fehlte, hatte es nicht leicht mit dem Direktor.

Mendel nahm seine Tochter mit zu seinem Schreibtisch, auf dem sich Bestellungen, Rechnungen, Lieferscheine mit exotischen Anschriften von der afrikanischen Goldküste, Amsterdam und Ecuador neben Pralinenschachteln, Entwürfen für Verpackungen und Postkarten stapelten, und griff nach einer Schachtel.

»Diese hier musst du probieren! Die Ganache lässt selbst unsere belgischen Freunde erblassen.«

Irene nahm eine dunkle Praline samt dem raschelnden Papier heraus und schnupperte zuerst. Der Duft sagte alles über die Qualität des Kakaos. Dann biss sie unter dem aufmerksamen Blick ihres Vaters in die Kugel, genoss das Knacken beim Brechen der zartbitteren Hülle und schloss die Augen, während die cremige Füllung auf der Zunge zerging. Verträumt öffnete Irene die Augen, leckte sich die Lippen und murmelte: »Orangenlikör und Vanille.«

»Das ist meine Tochter!«, sagte Friedrich Mendel stolz.

»Ich würde sie mit einem winzigen Stück kandierter Orange dekorieren«, schlug sie vor und entdeckte einen offiziell aussehenden Briefumschlag. Ein Stempel mit Hakenkreuz und Reichsadler verhieß meist nichts Gutes, wie sie hatten erfahren müssen. »Gibt es wieder Ärger?«

Ihr Vater runzelte die Stirn. Nachdem die NSDAP an die Macht gekommen war, hatte die Schokoladenfabrik unter Boykottaufrufen zu leiden gehabt, weil man die Mendels für Juden hielt. Beteuerungen, dass man seit Generationen protestantischen Glaubens sei, hatten nicht geholfen. Um das Unternehmen vor dem Bankrott zu retten, änderte Friedrich den angestammten Namen »Chocolatiers Mendel & Söhne« kurzerhand in Mignon-Schokoladen-Werke um. Seitdem gingen wieder Bestellungen ein, und die Produktion konnte hochgefahren werden.

»Mach dir keine Sorgen, Renilein. Es geht um Bestellungen für die Armee. Das bedeutet mehr Schokoladentafeln und weniger Pralinen«, erklärte ihr Vater.

Unten in der Fabrik wurde es kurz hektisch, denn ein junger Mann rannte zwischen den Maschinen hindurch, was während des laufenden Betriebes untersagt war. Zu groß war die Verletzungsgefahr.

Irene beobachtete, wie Friedrich Mendel ans Fenster trat und dagegenklopfte. Sofort sahen die Frauen und auch der Mann zu ihm hoch. Ihr Vater winkte den Mann zu sich herauf.

»Gibt es Probleme?«, fragte Irene.

»Dieser Kerl macht nur Ärger! Dauernd ist er zu spät und wiegelt mir auch noch die Belegschaft auf mit seinen kommunistischen Ideen!«, murmelte Friedrich Mendel, besann sich und sagte sanfter: »Nichts, worum du dir Gedanken machen müsstest, Renilein.«

Irene schluckte und nickte. »Ja, Vati.«

Friedrich nahm eine Pralinenschachtel und drückte sie seiner Tochter in die Hand. »Setz dich da in den Sessel, mein Herz.«

Gehorsam hockte sich Irene mit der hübsch bedruckten Schachtel in den Ledersessel vor dem Bücherregal. Hier hatte sie schon als kleines Mädchen mit Bilderbüchern und Schokolade versorgt auf ihren Vater gewartet. Heute jedoch trug sie ein dunkles Kostüm mit weißem Kragen und fühlte sich beinahe erwachsen.

Kurz darauf klopfte es an der Tür.

»Herein!«, rief ihr Vater, der sich hinter seinem Schreibtisch niedergelassen hatte.

Fräulein Luegers, die Sekretärin, schaute herein. »Herr Direktor, der Herr Päp meinte, Sie wollten ihn sprechen?«

Mendel nickte. »Ja, schicken Sie ihn bitte durch.«

Ein junger Mann in grauer Arbeitskleidung trat mit einem gewissen forschen Auftreten ein. Irene biss in eine Praline und dachte bei sich, dass er damit bei ihrem Vater keinen guten Eindruck machen würde.

»Warum sind Sie eben durch die Halle gelaufen, Herr Päp?«, fragte ihr Vater. »Sie wissen doch, dass das verboten ist.«

»Das tut mir sehr leid, Herr Direktor. Ich wollte nicht noch später zur Schicht kommen.« Päp drehte seine Mütze in den Händen und warf Irene einen kurzen Blick zu.

Sie fühlte sich ein wenig unwohl, dabei zusehen zu müssen, wie ihr Vater den Arbeiter maßregelte.

»Es war nicht das erste Mal, dass Sie zu spät gekommen sind. Ich habe das durchgehen lassen, weil Ihr Vater ein geschätzter Mitarbeiter ist. Er hat Sie mir empfohlen, aber Sie machen es mir nicht leicht.« Friedrich hatte sich vorgebeugt und schob Papiere hin und her.

»Ich werde mich bessern, Herr Direktor«, versicherte Päp.

Plötzlich hob ihr Vater den Blick und sah den jungen Arbeiter direkt an. »Man hat mir zugetragen, dass Sie ein Kommunist sind. Stimmt das?«

Angestrengt hörte Irene zu. Es war oft verwirrend, wenn die Erwachsenen über Politik sprachen.

Ein Ruck ging durch Päp. »Ja, ich bin Mitglied der KPD.«

»Mensch, Päp, das bringt Ihnen doch nur Ärger. Sie sehen doch, woher der Wind weht. Ich will nicht, dass Sie meine Belegschaft aufwiegeln. Sie bringen die Firma mit Ihrer roten Gesinnung in Gefahr.«

»Das sehe ich anders. Mit Verlaub, im Gegenteil. Wenn wir erst eine Volksfront gebildet haben …«, begann der Mann, wurde jedoch mit einer Handbewegung von Friedrich zum Schweigen gebracht.

»Kein Wort mehr! Sie bekommen den Lohn für diese Woche und verlassen sofort das Fabrikgelände«, entschied Mendel.

»Sie werfen mich also raus?« Gero Päp setzte seine Mütze auf und trat an den Schreibtisch ihres Vaters.

Irene fürchtete schon, der Arbeiter wollte ihrem Vater etwas zuleide tun, denn Päps Miene war voller Hass. »Sie kommen auch noch mal von Ihrem hohen Ross runter, und wenn wir uns dann wiedersehen, das verspreche ich Ihnen …«

»Was erfrechen Sie sich? Raus! Sofort!«, brüllte ihr Vater.

Doch Päp tippte sich an die Mütze und schlenderte lässig zur Tür. »Auf Wiedersehen, Prinzessin.«

Instinktiv drückte sich Irene in ihren Sessel.

Wutentbrannt lief ihr Vater hinter Päp zur Tür und erteilte seiner Sekretärin lautstark Anweisung, wie sie die sofortige Entlassung durchzusetzen hatte. Als er die Tür ins Schloss geworfen hatte und vor seiner Tochter stand, fuhr er sich über die Stirn.

»Renilein, das alles nimmt kein gutes Ende.«

Ängstlich sprang Irene auf und drückte sich an ihren Vater. »Was meinst du damit, Vati?«

»Ach, nichts weiter. Kommt Edgar nicht dieses Wochenende nach Hause? Dein Bruder mag die Nougatpralinen am liebsten. Und für Mama? Welche sollen wir ihr mitnehmen?«

»Die mit den Mandeln, aber sag, Vati, warum ist es denn so schlimm, dass dieser Päp in der KPD ist?«

Ihr Vater seufzte. »Ach, Renilein, jetzt weht nun einmal ein anderer Wind, und ich will nicht noch mehr Ärger mit der NSDAP haben. Aber das ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst.«

Als er ihr über die Haare strich, spürte sie, dass seine Gedanken in eine ungewisse Zukunft schweiften.

Irene verdrängte den unangenehmen Vorfall, doch vergessen würde sie ihn nie.

2

August 1949

Paul Thulke ließ den schweren Eisenhammer sinken, mit dem er seit zwei Stunden den Pfannenstein klopfte. Sein Oberkörper war schweißüberströmt, genau wie sein Gesicht, das er sich mit einem Taschentuch abwischte. Er stopfte das feuchte Tuch zurück in die Hosentasche und stützte sich auf den Hammer. Überall schmeckte man das Salz. Es hing in der Luft, klebte am Körper und auf den Lippen. Das Salz, auf das sie alle angewiesen waren, das ihnen seit Jahrhunderten Brot und Arbeit gab.

Genau wie sein Vater, seine Brüder, sein Großvater und alle Thulkes vor ihnen arbeitete er in der Saline unterhalb des Hallmarktes. Man fragte nicht, sondern wuchs in die Arbeit hinein, genau wie man schon als Kind verstand, dass es Ehre und Privileg war, der Brüderschaft der Salzwirker anzugehören. Paul starrte in das Halbdunkel des Siedehauses, vor sich die große Pfanne, aus der er einen Berg Pfannenstein und Bordsalz geschlagen hatte. Sein Rücken schmerzte, wie es öfters vorkam, seit er bei der Reparatur eines morschen Balkens im Gebälk des Siedehauses abgestürzt war. Er fuhr sich durch das dunkle Haar und rieb sich den Nacken dort, wo die Muskeln verspannt waren.

»Na, Paule, alles in Ordnung?«, rief Werner vom anderen Ende der Siedepfanne.

Werner war kleiner und muskulöser als er. Mit seinen fünfunddreißig Jahren hatte er mehr Erfahrung und schien die schwere Arbeit besser wegzustecken.

»Ja, geht schon. Der Rücken zwickt«, meinte Paul mit schiefem Grinsen.

»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte Werner und stützte sich ebenfalls auf seinen Hammer. »Du bist doch jung und voll im Saft. Was soll ich denn sagen. Verdammtes Bein«, fluchte Werner und schaute kurz nach unten.

Genau wie Paul war er im vorletzten Kriegsjahr in Frankreich gewesen. Als Wehrmachtssoldaten hatten sie irgendwann in derselben Kompanie gekämpft und waren gemeinsam in britische Gefangenschaft geraten, was sich als Glücksfall herausgestellt hatte. Von Kameraden, die als russische Kriegsgefangene nach Sibirien transportiert worden waren, hörte man nichts, und die Hoffnung auf deren Rückkehr sank mit jedem verstreichenden Jahr.

Ein Oberschenkeldurchschuss hatte Werner kampfuntauglich gemacht, und obwohl er noch unter Schmerzen litt, machte er kein Aufhebens von seiner Verletzung. Man machte einfach weiter. Der Krieg war vorbei. Dieser verfluchte Krieg, der die Welt und jeden Einzelnen verändert hatte. Wenn man anfing, nachzudenken, machte man sich kaputt.

»Komm, wir machen jetzt unsere Frühstückspause, Werner«, schlug Paul vor, und sein Freund ging erleichtert darauf ein.

Sie stellten ihre Hämmer in eine Ecke und gingen nach draußen. Gleißendes Sonnenlicht blendete sie, aber es war weniger heiß unter der mittäglichen Augustsonne als drinnen im Siedehaus. Ein Pferdefuhrwerk holperte mit einem Tankwagen Sole über den steinigen Untergrund zu einer Brauerei. Die Solezapfanlage befand sich vor dem Uhrenhaus. Das alte Fachwerkgebäude verdankte seinen Namen dem hohen Turm mit der Uhr, die weithin sichtbar war.

Paul und Werner liefen einen schmalen Weg um das Siedehaus herum zu den ehemaligen Salzmagazinen, in denen seit vielen Generationen Hallorenfamilien wohnten. Auch Werner und seine Familie wohnten dort, weshalb sie von seiner Frau zum Frühstück erwartet wurden.

»Was für eine Hitze!«, stöhnte Paul und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein nackter Oberkörper glänzte und war gebräunt, denn jede freie Minute verbrachten die Salzwirker draußen. Am liebsten erholten sie sich im Gras am Saaleufer, denn die Pfännerschaftliche Saline befand sich auf einer Insel inmitten des Flusses.

Werner zog an seinem Unterhemd, das ihm am Körper klebte. »Wir könnten kurz ins Wasser springen.«

Paul grinste. »Gute Idee, aber ich fürchte, daraus wird nichts. Sieh mal, wer sich die Ehre gibt.«

Die beiden Männer blieben stehen und sahen zwischen den Bäumen hindurch zum Verwaltungsgebäude hinüber, wo sich eine Gruppe von Herren in Anzügen versammelt hatte und im Begriff schien, die Saline zu besichtigen.

Werner spuckte aus. »Die Genossen. Na los, komm schon, bevor sie uns erwischen. Agnes hat Eier und Brot versprochen.«

Seit die Sozialisten die Regierung übernommen hatten, wehte ein neuer Wind durch die Sowjetische Besatzungszone. Einen Tag nach Gründung der Bundesrepublik, am 23. Mai, hatte die SED-Führung den Entwurf einer Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik verkündet. Die Russen waren noch immer die Herren, darüber machte sich niemand Illusionen, und die Umstrukturierung der Gesellschaft durch die SED geschah ganz im Einvernehmen mit Moskau. Viele begrüßten die neuen Ideen, doch Paul hatte seine eigene Meinung zur sogenannten Neugeburt des Volkes durch die antifaschistischen Bestrebungen der Genossen.

»Mensch, halt dich zurück, Werner. Sonst geht es dir wie dem Helmut«, sagte Paul mit gesenkter Stimme, obwohl sie allein auf dem Weg standen.

Zügig gingen sie weiter. Helmut war ein gemeinsamer Freund, der auf der anderen Seite der Brücke auf dem Holzplatz der Pfännerschaft gearbeitet hatte. Helmut hatte sich öffentlich kritisch über Stalin und die Enteignungen geäußert und war mitten beim Essen im »Goldenen Herz« verhaftet und in den Roten Ochsen gebracht worden. Das berüchtigte Gefängnis war ein roter Backsteinbau und setzte seine Schreckenstradition aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Wer dorthin gebracht wurde, kam gebrochen wieder heraus oder verschwand für immer.

Werner brummte: »Führen sich hier auf! Gar nichts haben die uns vorzuschreiben. Mir muss niemand sagen, wie ich meine Arbeit zu machen habe.«

»Nein, Werner, bei Gott nicht. Aber jetzt lass uns einfach essen gehen. Und morgen wird gefeiert!« Paul klopfte seinem Freund auf die Schulter.

»Unser Pfingstbier! Weißt du, Paule, da kommt wenigstens mal Freude auf in all dem Elend. Bringst du ein Mädchen mit? Wird langsam Zeit, dass du eine Braut findest«, meinte Werner.

Paul lachte. »Kann ja nicht jeder so viel Glück haben wie du mit deiner Agnes! Morgen wird gefeiert und getanzt, aber nicht auf Brautschau gegangen.«

Werner und Agnes waren seit elf Jahren ein Paar. Sie war eine geborene Kullick mit Wurzeln in Masuren. Noch immer war ein Teil ihrer Familie vermisst, und Agnes sprach wöchentlich bei den Ämtern vor und hängte Zettel mit den Namen ihrer Angehörigen an die Litfaßsäulen. Es ging ihr wie vielen, doch niemand wollte die Hoffnung aufgeben. Je näher sie der Wohnung kamen, desto deutlicher vernahmen sie Kindergeschrei, das sich mit einer energischen Frauenstimme mischte und verstummte.

»Braves Weib, hat die Bande im Griff«, meinte Werner stolz und nahm die Stufen zur Haustür mit einem Satz. Kaum hatte er die Tür aufgestoßen, wurden sie von fünf Kindern im Alter von eins bis zehn Jahren umringt.

»Paul, guck mal, was wir genäht haben!«, rief Werners älteste Tochter, Grete, nahm Pauls Hand, und zog ihn in die Ecke der kleinen Stube, wo eine Nähmaschine auf einem Tisch stand.

Agnes kam aus der Küche, wischte sich die Hände in der Schürze ab und begrüßte ihren Mann mit einem Kuss. »Wasser und Seife stehen hinten. Wenn ihr fertig seid, kommt in die Küche. Und ihr Kinder macht nicht solchen Lärm. Was soll denn der Paul von euch denken. Grete, nun lass den armen Mann doch mal in Ruh!«

Doch Paul lobte das bunte Kleid, das Agnes für ihre Tochter aus Stoffresten genäht hatte. »Darin wirst du morgen beim Fest sehr hübsch aussehen, Grete.«

Das Mädchen strahlte. Es hatte dünnes braunrotes Haar, Sommersprossen und dunkle Ringe unter den Augen, denn Grete war lange krank gewesen. »Nicht wahr? Und du tanzt mit mir, ja? Versprichst du’s mir?«

Paul nickte. »Ehrenwort.«

»Gretchen, jetzt wollen wir uns waschen«, sagte ihr Vater und nahm Paul mit nach hinten, wo sie durch die Hintertür in einen kleinen Garten traten. Hier stand eine Regentonne, auf einem Stuhl lagen ein Leinentuch und ein Stück Seife.

»Wie geht es deiner Tochter?«, fragte Paul, während sich Werner Wasser ins Gesicht und über den Oberkörper spritzte.

»Der Husten wird besser. Aber wir brauchen Medizin, die es hier nicht gibt. Vielleicht im Westen, aber ich habe keine Zeit, nach drüben zu fahren.« Werner trat zur Seite, sodass Paul sich waschen konnte.

»Meine Schwester ist vielleicht bald wieder in Berlin. Schreib mir auf, was ihr braucht, und sie wird versuchen, es zu bekommen«, schlug Paul vor.

Petra, Pauls jüngere Schwester, war die einzige Thulke, die nicht in der Saline arbeitete. Sie hatte sich schon als kleines Mädchen in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden. Und dieses Ziel verfolgte sie mit großer Hartnäckigkeit. Weder die Eltern noch die schwierigen Umstände konnten sie von ihrem Traum abbringen. Zurzeit spielte sie in »Ein Sommernachtstraum«, einer Produktion des Halleschen Stadttheaters, mit.

Werner strich sich die nassen Haare nach hinten. »Ich dachte, sie spielt hier Theater? Will sie doch fort aus Halle?«

Paul trocknete seinen Nacken und legte das Handtuch über die Stuhllehne. Er hatte ein offenes Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, und wenn er lachte, bildeten sich Grübchen auf seinen Wangen. Die Frauen schwärmten für den gut aussehenden Salzwirker, doch der hatte nur Augen für eine, aber das war eine komplizierte Geschichte.

»Wollte sie immer. Deshalb fährt sie nach Berlin, hat dort Freunde, die sie zum Film bringen wollen. Und Berlin hat ja nun auch mehr zu bieten als unser kleines Halle.«

»Na ja, wenn sie die Stadt wieder aufbauen. Noch liegt Berlin ja wohl in Trümmern. Komm, mir knurrt der Magen.«

Die Kinder saßen bereits am Tisch und aßen Grütze mit Apfelkompott. Sie löffelten ihre Teller leer und leckten die Reste mit den Zungen ab.

»Wenn ihr fertig seid, geht raus zum Spielen. Ihr bekommt heute Abend ein Ei«, sagte Agnes und stellte den Männern je einen Teller mit Spiegeleiern auf gebuttertem Brot hin.

Paul sah, wie die Kinder auf die Eier starrten, doch Agnes ermunterte ihn, zu essen.

»Wer körperlich arbeitet, muss auch essen. Nun los!«

Nahrungsmittel waren noch immer rationiert, und Lebensmittelkarten teilten das wenige, was vorhanden war, unter der Bevölkerung auf. Man baute Gemüse an, wo immer eine freie Rasenfläche zu finden war, doch eine Kuh oder Hühner hatten nur die wenigsten. Die Salzwirker verfügten über Grünland und Wiesen bis an das Saaleufer, und hinter den Wohnblöcken gab es Hühnerställe, und es wurden auch Ziegen gehalten.

Paul wischte mit seinem Brot die Eireste auf. »Danke, das war das beste Frühstück!«

Werners Frau lächelte und räumte die Teller ab. »Sollst du morgen auch die Fahne schwingen, Paul?«

Während des Pfingstbieres traten die Halloren in ihrer Festtracht auf und zeigten das traditionelle Fahnenschwingen, das großes Geschick erforderte.

»Dieter hat die große Ehre mit der Brüderschaftsfahne, aber Werner und ich sind beim kleinen Fahnenschwingen dabei«, erklärte Paul.

Lautes Klopfen an der Haustür ließ die Männer aufschrecken. Unwillkürlich sprangen sie beide auf. Zwei Männer in Anzügen waren an der Haustür mit undurchdringlichen Mienen. Neben ihnen stand Dieter in Hemd und Hose.

»Was gibt es?«, fragte Werner.

Dieter war Ende fünfzig und Hallore in der fünften Generation. »Man hat nach dir gefragt, und ich dachte, dass wir euch hier finden würden.«

»Wir haben gegessen und gehen jetzt zurück ins Siedehaus.« Werner und Paul traten aus der Haustür, sodass die Männer rückwärts ausweichen mussten, während Werner die Tür hinter sich zuzog.

»Die Genossen suchen neue Parteimitglieder«, sagte Dieter und hob die Augenbrauen, was die Parteigenossen hinter ihm nicht sehen konnten.

»Bist du denn schon beigetreten?«, fragte Werner und schlug den Weg zum Siedehaus ein.

»Äh, ja, ich gehe zur nächsten Sitzung, und dann werde ich den Aufnahmeantrag unterzeichnen.« Dieter war von mittlerer Statur und hatte eine tiefe Delle mitten auf seiner Stirn. Ein Granatsplitter saß noch immer in seinem Kopf, doch damit hatte er sich arrangiert.

Paul hatte die Genossen noch nie zuvor gesehen. Der eine war untersetzt, mit Kinnbart und Brille, der andere hatte etwas Überhebliches an sich, und sein Anzug war von guter Qualität.

»Wir erwarten, Sie ebenfalls auf der nächsten Parteiversammlung zu sehen«, sagte der Untersetzte.

»Ach ja?«, meinte Paul und war froh, als die Turmuhr zehn Mal zu schlagen begann. »Unsere Pause ist vorbei. So leid es uns tut.«

Zusammen mit Werner lief er im Eiltempo zum Siedehaus, packte seinen Hammer und sagte leise zu seinem Freund: »Kanntest du die?«

»Nein, und ich wäre froh, wenn das so bliebe.«

3

Bevor sie zum Bezirksamt ging, wollte sie rasch noch eine Tasse Kaffee trinken. Irene war ganz in der Nähe des Café David in der Geiststraße, das Erich David gehörte. Die Davids hatten die Schokoladenfabrik vor über fünfzig Jahren erbaut, und das Café hatte zur Kaiserzeit zu den beliebtesten und mondänsten Lokalen der Stadt gehört. Sie stand vor dem Eckhaus, das nur noch ein verblasster Schatten einstigen Glanzes war. Zu Erich David hatte ihre Familie nie eine besonders enge Beziehung gehabt, anders war es mit seinem Onkel Ernst gewesen. Aber das gehörte in längst vergangene Zeiten.

Der Kaffee sollte das einzig Gute an diesem Morgen sein. Wütend lief Irene vom Bezirksamt hinunter zur Fabrik. Sie war noch genauso wütend wie vor einer Stunde, als der Vorsitzende der Entnazifizierungskommission ihre Bitte ohne Begründung abgeschmettert hatte.

»Guten Tag, Fräulein Mendel!«, wurde sie von einem Mitarbeiter begrüßt, der im Hof einen Handwagen mit Kisten belud.

»Guten Tag, Herr Kühn. Sind wir zufrieden mit der Lieferung? Es war nicht einfach und hat uns eine Menge Geld gekostet!«, sagte Irene und verdrängte die düsteren Gedanken.

Eduard Kühn war ein langjähriger Mitarbeiter, über dessen Rückkehr aus einem amerikanischen Lager sie alle glücklich waren. Er gehörte zu den wenigen, die alle Produktionsschritte kannten und dort anpackten, wo Hilfe gebraucht wurde. Der Mann in den Sechzigern klopfte auf eine der Holzkisten, die mit belgischen Aufklebern versehen waren. Die Kisten waren direkt aus Brüssel geliefert worden und stammten aus den Beständen der Familie de Smet. Nicolas de Smet, der derzeitige Seniorchef der berühmten Brüsseler Schokoladendynastie, war freundschaftlich mit Friedrich Mendel verbunden. Doch in schwierigen Zeiten hatte auch Freundschaft Grenzen, und Irene hatte mit Maurice, Nicolas’ Sohn gesprochen, um die Lieferung des Rohkakaos möglich zu machen.

»Daraus machen wir die allerfeinsten Pralinen, Fräulein Mendel!«, sagte Eduard Kühn, hielt inne und fügte hinzu: »Wenn die Russen uns nur lassen.«

Seufzend betrachtete Irene den Lieferwagen mit den Kisten. »Ja, hoffen wir das Beste. Ich sehe zu, dass wir den Großauftrag von Wojentorg erfüllen und unsere exklusiven Pralinen dann selbst verkaufen.«

»Sie sind eine patente Person, Fräulein Mendel, wenn ich das so sagen darf. Sie werden das Ding schon deichseln.« Kühn schob seine Mütze aus der Stirn und fügte hinzu: »Jetzt sind wir so weit gekommen. Nach allem …«

Irene lächelte. »Ohne Ihre Hilfe und die der Belegschaft wäre das nicht möglich gewesen. Der Großauftrag von Wojentorg hat uns erst mal gerettet.«

Im vergangenen Jahr hatten sie von der sowjetischen Militärhandelsorganisation einen Großauftrag zur Versorgung russischer Soldaten mit Süßigkeiten und Schokolade erhalten. Den Auftrag hatten sie aufgrund mangelnder Rohstoffe noch nicht ganz erfüllen können, doch das würde sich nun ändern. Und mit den hochwertigen Pralinen, die sie unabhängig davon produzieren und verkaufen konnten, würden sie einen guten Profit erzielen. Das war auch bitter nötig.

Nachdem die Mignon-Schokoladen-Werke während des Krieges gezwungen worden waren, für die Siebel-Flugzeugwerke zu produzieren, waren Maschinen von Mignon in eine Scheune bei Gutsbesitzer Bardenwerper in Büschdorf ausgelagert worden. Bomben hatten die Scheune getroffen und die Maschinen vollständig vernichtet. Doch die nach Bad Düben ausgelagerten Maschinen konnten wieder aufgestellt werden.

»Verdammte Sache ist das mit den Sowjets. Erst diese Geschichte vor drei Jahren, und jetzt weiß doch bald kein Mensch mehr, wo er steht!«, schimpfte Kühn.

Irene nickte. Der Mann hatte recht. Die Lage des Unternehmens war noch immer unübersichtlich. Vor drei Jahren hatte die Mignon-Schokoladenfabrik AG das Sequestrationsverfahren angemeldet und war dann auf SMAD-Befehl enteignet worden. Doch schon am nächsten Tag war die Enteignung rückgängig gemacht worden.

»Mit der Umwandlung des Unternehmens in eine GmbH haben wir uns noch einmal retten können, aber wie lange das Bestand haben wird, ist schwer zu sagen«, sagte Irene.

Am 15. Juni 1948 hatte die damalige Aktiengesellschaft im Zuge der letzten Hauptversammlung die Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung beschlossen. Neben ihrem Vater waren auch der Bankdirektor und ein Parteisekretär dabei gewesen. Das Grundkapital wurde zum Stammkapital, das in Geschäftsanteile zerlegt wurde. Friedrich Mendel war nun der Geschäftsführer und Fabrikbesitzer mit dem Hauptanteil, gefolgt von Irene, seiner Frau, Erich David und weiteren Gesellschaftern.

»Doch, Sie haben schon einiges auf den Weg gebracht«, meinte Kühn. »Wir haben jetzt einen Betriebsrat, es gibt Pensionszuschüsse, einen Betriebsarzt, nee, das ist schon was!«

»Ich bin froh, dass Sie das so sehen, Herr Kühn. Dass wir wieder eine Weihnachtsgratifikation auszahlen können, kann ich nicht versprechen. Aber die Maifeier wird es geben.«

Kühn nickte und bückte sich nach einem Sack. »Wird schon werden.«

»Ja, das hoffen wir alle!« Irene ging weiter und betrat kurz darauf die Fabrikhalle von der Hofseite aus. Wie so oft seit Kriegsende, zuckte sie kurz zusammen, wenn sie heute die Halle betrat. Früher hatte es nach edlem Kakao geduftet, heute roch es nach Marmelade, Zuckerrübensirup, Haferflocken und Trockenkartoffeln. Und das Schlimmste war, dass man ihnen ihren besten Mitarbeiter vorenthielt! Irene nickte hierhin und dorthin, sah die Frauen an den Fließbändern Gläser sortieren und mit Schildern bekleben, und ging weiter bis zu einer Stahltreppe, die in den ersten Stock zu ihrem Büro führte.

Ihr Vater hatte ihr ein Büro gleich neben seinem gegeben, und Frau Luegers arbeitete nun für sie beide. Die Sekretärin teilte als Kriegswitwe das Schicksal vieler Frauen und war dankbar in ihre alte Stellung zurückgekehrt. Irene grüßte die Sekretärin durch die Glasscheibe, klopfte kurz an die Tür ihres Vaters und trat ein.

Friedrich Mendel sah von seinem Schreibtisch auf, und der sorgenvolle Ausdruck wich einem Lächeln. »Renilein! Du bist schon zurück? Hast du gute Nachrichten?«

Wenn sie allein waren, benutzte er ihren Kosenamen aus Kindertagen. Irene trat zu ihrem Vater, gab ihm einen Kuss auf die Wange und strich ihm über das schüttere weiße Haar. Wer ihn heute sah, hätte in ihm nicht den energiegeladenen Unternehmer vermutet, der im Frack, mit Zigarre und Spazierstock vor dem Eingang seiner Fabrik für den Fotografen posierte. Fahrig suchte ihr Vater nach seinem Zigarettenetui, sah hinein und schob es zur Seite. Tabak wurde rationiert und musste in der Bezirksverteilungsstelle unter Vorlage einer Lebensmittelkarte abgeholt werden.

»Ja und nein. Dass Nicolas uns den Rohkakao geschickt hat, hast du sicher schon gesehen?« Irene betrachtete die Rezeptentwürfe, die auf dem Schreibtisch lagen, und nahm einen in die Hand. »Persipan, Staubzucker, Fondant, Arrak-Essenz, hm …«

»Aber was wir ihm dafür zahlen, ist ausverschämt!«, beschwerte sich ihr Vater.

»Es gibt keinen Rohkakao in dieser Qualität zu kaufen. Bis neue Lieferungen von der Goldküste nach Amsterdam gehen, wird es noch dauern, und wir werden nicht die Ersten sein, deren Bestellungen bearbeitet werden. Arrak? Haben wir nicht. Aber ich werde schauen, welchen Ersatz wir finden.«

Müde blickte Friedrich Mendel auf. »Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte, Renilein. Es hat mir nie etwas ausgemacht, zu kämpfen. Wir haben so viele Engpässe und Rückschläge ertragen, aber die vergangenen Jahre, der Krieg und Edgar. Ich bin zu alt …« Er schüttelte den Kopf. »Haben sie dir Nachricht von Edgar geben können?«

Irene legte das Rezept zurück und setzte sich auf die Ecke des Schreibtisches. Die Sorge um den vermissten Bruder hatte lange wie ein drückender Schatten auf der Familie gelegen. Bevor sie zur Bezirkskommission gegangen war, hatte sie einmal mehr auf der russischen Kommandantur vorgesprochen, um nach ihrem Bruder zu fragen. Es gab einen Offizier, der sie mit Respekt behandelte, Semjon Bogdanow. »Nein. Vielleicht mit der nächsten Postladung. Immerhin wissen wir jetzt, dass er in einem Lager ist. Er ist am Leben! Ich frage am Montag wieder nach. Wenn ich den Kommandanten richtig verstanden habe, wurde Edgar aus Kemerowo verlegt.«

Vor wenigen Wochen erst hatten sie erfahren, dass Edgar in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager war. Bis dahin hatte er als vermisst oder gefallen gegolten. »Das sind gute Nachrichten, Vater. Kemerowo ist in Sibirien, dort ist es am übelsten, hat dieser Bogdanow gesagt.«

Ihr Vater wischte sich über die Augen. »Ja, das ist gut, ja.« Dann räusperte er sich und fragte: »Und wegen Scholz?«

»Nichts zu machen.« Sie zog ihr Notizbuch heraus und zitierte den Kommissionsvorsitzenden. »Hermann Scholz fällt unter die Direktive Nummer 24, Absatz soundso, weil er seit 1933 Mitglied der NSDAP und des Stahlhelms war. Es ist dem Angeschuldigten verboten, eine kontrollierende, leitende oder andere organisatorische Tätigkeit in öffentlichen oder privaten Betrieben auszuüben. Dem Angeschuldigten ist das Recht entzogen zur Bekleidung von Posten oder zur Ausübung einer Tätigkeit, die mit Anstellung oder Entlassung von Arbeitern und Angestellten und so weiter. Außerdem wird ihm das Wahlrecht entzogen. Gegen diese Entscheidung kann Berufung eingelegt werden.«

Ihr Vater rieb sich das Kinn. »Wird Scholz das tun?«

»Ich habe nicht mit ihm sprechen können, weil sie ihn gleich weggebracht haben. Wohin, wollten sie mir nicht sagen«, antwortete Irene niedergeschlagen.

»Tja, dann werden wir uns damit abfinden müssen. Was ist mit diesem jungen Flüchtling, diesem Kasulke? Der scheint mir intelligent, und er versteht was von Maschinen. Vielleicht kann Kühn ihn mal unter seine Fittiche nehmen«, schlug ihr Vater vor.

Irene zog eine Grimasse. »Du weißt aber schon, wie die Leute auf Flüchtlinge reagieren? Dass wir Flüchtlinge einstellen, ist denen zuwider. Ich kann sie tuscheln sehen.«

Für einen Moment blitzte der alte Unternehmergeist in Friedrich Mendel auf. »Na, das haben die doch gar nicht zu entscheiden. Wir sitzen alle in einem Boot. Bei uns im Betrieb wird keiner geschnitten oder abgewiesen, nur weil er nicht die richtige Herkunft hat. Das muss ein für alle Mal vorbei sein!«

Irene umarmte ihren Vater und stand auf. »Du hast recht. Ich spreche mit dem Jungen und auch mit Kühn.«

Bevor sie die Tür öffnete, drehte sie sich noch einmal um. »Wie geht es Großmutter? Ich musste heute so früh los, da konnte ich nicht nach ihr sehen.«

Ihre Großmutter, Therese von Borowski, war mit ihrer Tochter Hedda aus Ostpreußen geflohen, und ihr Treck war den Russen in die Hände gefallen. Dass die beiden Frauen überlebt hatten, war ein Wunder, was sie erlebt hatten, unaussprechlich, und Therese war verstummt und saß seit ihrer Ankunft in Halle nur teilnahmslos auf einem Stuhl und starrte vor sich hin. Irenes Tante Hedda hingegen wurde nicht müde, ihrem Hass auf ihre Peiniger Luft zu machen, was nicht ungefährlich war. Zudem war Heddas vor Stalingrad gefallener Mann ein hochrangiger SS-Offizier gewesen, was sie noch immer mit Stolz erfüllte.

»Unverändert. Aber deine Tante macht mir Sorgen. Ich wünschte, sie würde zu deinem Onkel nach Westdeutschland gehen. Mit ihrer starrsinnigen Haltung bringt sie uns eines Tages noch in Teufels Küche!«

4

Der Torturm der Oberburg warf bereits einen langen Schatten. Die Abendsonne tauchte die Burg auf dem Giebichenstein in warmes Licht und machte die Szene, die sich im Burghof abspielte, noch lebendiger. Elfen, Schlangen und Waldgeister schienen sich dort im Schutz der alten Bäume ein Stelldichein zu geben.

»Was sich zeigt an diesem Platz, Wenn du aufwachst, wird dein Schatz; Sähst du gleich die ärgste Fratz!«, rezitierte ein exotisch gekleideter Mann und hielt ein Taschentuch über das Gesicht einer scheinbar schlafenden Frau.

»Hoffentlich schaffe ich es morgen zur Aufführung«, flüsterte eine junge Frau in einem einfachen, ärmellosen Leinenkleid. Neben ihr stand ein junger Mann in Hemd und auf Wadenhöhe abgeschnittener Hose. Er griff nach ihrer Hand.

»Morgen ist Premiere! Du musst kommen! Was ist denn wichtiger als die Premiere? Und dann noch am Pfingstbier!«

Petra Thulke biss sich auf die Unterlippe. Ihre langen braunen Haare umflossen offen ihr madonnenhaftes Gesicht, das ihr den Weg in die Filmwelt öffnen könnte. Als Tochter einer alteingesessenen Hallorenfamilie ging es nicht an, dass sie das Pfingstbier verpasste. Das war ihr bewusst, doch sie hatte ein Versprechen gegeben. »Weiß ich doch, Frank. Ich will ja auch kommen.«

Ein älterer Herr in weißem Hemd und weiten Hosen sprang barfüßig auf die Bühne, denn um nichts anderes handelte es sich bei dem Holzgerüst. Er hielt ein aufgeschlagenes Notizbuch in den Händen und hob eine Hand.

»Oberon und Titania gehen jetzt ab, das war übrigens gut. Der Elf könnte noch etwas dynamischer wirken. Und wo sind die Liebenden? Lysander, Hermia! Wir warten!« Der Regisseur winkte die jungen Leute ungeduldig in die Bühnenmitte.

»Braucht ihr eine Extraeinladung, oder was?! Verdammt, morgen ist die Premiere. Ihr könnt froh sein, dass wir spielen dürfen. Und bitte!«

Der Regisseur trat zur Seite. Philip Hallberg setzte sich seit Kriegsende unermüdlich für den Wiederaufbau eines festen Ensembles ein. Von der ehemaligen Truppe waren kaum noch Mitglieder vorhanden, doch die Sehnsucht der Leute nach Zerstreuung war groß, und jede Vorstellung, die er bislang auf die Beine gestellt hatte, war ausverkauft gewesen. Petra schätzte den erfahrenen Theatermacher und hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie ihn und die Truppe vielleicht bald verlassen würde.

Hand in Hand betrat sie neben Frank die Bühne. Ihr Bühnenpartner sagte: »Kaum tragen durch den Wald Euch noch die Füße, Und ich gesteh es, ich verlor den Pfad. Wollt Ihr, so lasst uns ruhen, meine Süße, Bis tröstend sich das Licht des Tages naht.«

»Ach ja, Lysander! Sucht für Euch ein Bette; Der Hügel hier sei meine Schlummerstätte«, sagte Petra und sank zu Boden, wo eine mit grünen Tüchern verhüllte Kiste den Hügel darstellte.

Die Generalprobe verlief bis auf Kleinigkeiten reibungslos. Am Ende klatschten alle, und es ging in die provisorische Garderobe in der Burg. Petra drehte ihre Haare zu einem Zopf. Morgen würde sie einen Blumenkranz einflechten, die Elfen sorgten sich um ihre künstlichen Ohren, und ein anderer Darsteller zog sich schnaufend den Eselskopf herunter. Bei der anhaltenden Augusthitze war es wahrlich keine Freude, in aufwendiger Verkleidung zu spielen.

Sie zog sich um, hängte ihr Gewand auf einen Bügel und gab es der Kostümbildnerin, die nach jeder Vorstellung einiges auszubessern hatte. »Danke, Evi. Bis morgen!«

Beschwingt verließ Petra die Garderobenräume und traf im Flur auf Frank, der auf sie gewartet hatte. Er war, genau wie sie selbst, zweiundzwanzig Jahre alt, arbeitete in der Bäckerei seiner Eltern, doch sein Herz gehörte dem Theater.

»So, jetzt erzähl mal, was los ist, Petra!« Frank hakte sie unter. »Die anderen treffen sich am Fluss noch auf ein Bier.«

»Ich habe heute keine Zeit, tut mir leid. Muss meiner Mutter noch bei den Vorbereitungen helfen.«

»Ja, aber was ist denn morgen? Wohin willst du denn noch? Ich versteh dich manchmal nicht, Petra. Der Hallberg gibt uns hier eine Chance. Uns allen! Die Presse wird über uns schreiben. Wenn du nicht rechtzeitig da bist, fällt das auch auf uns zurück. Hast du darüber mal nachgedacht?« Er sprach beschwörend auf sie ein.

Überhaupt mochte sie Frank Schmitt nicht besonders. Er bedrängte sie und hielt sich für unwiderstehlich. Das mochte an der Bäckerei seiner Eltern liegen, dadurch war er in der privilegierten Lage, gelegentlich Brot oder Kuchen spendieren zu können. Doch er selbst hatte eine fordernde freche Art, die ihr missfiel, da half auch der beste Kuchen nichts.

Rings um sie wurde gelacht und geplaudert. Die Stimmung vor der großen Premiere war aufgeladen. Für einige war es die erste Aufführung vor großem Publikum. Der Bürgermeister und die Honoratioren der Stadt wurden erwartet. Wichtige Leute. Aber waren es andere Leute als früher? Hatte sich überhaupt etwas geändert? In Petras Kopf schwirrten zahllose Träume und verhießen Zukunft und Freiheit. Jetzt, dachte sie. Wann, wenn nicht jetzt, wo wir jung sind.

»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«, riss Franks Stimme sie aus ihren Gedanken.

»Hm, ja, die Presse wird da sein und ich auch. Ich hätte gar nichts sagen sollen. Mach dir meinetwegen keine Gedanken.« Petra sog den Duft des anbrechenden Abends ein.

Vom Fluss kam eine kühle Brise herauf, kaum spürbar, mehr zu riechen als zu fühlen. Drüben lag Cröllwitz mit dem Gestüt. Es schien ihr wie ein anderes Zeitalter, wenn sie an ihre Kindheit dachte, die unbeschwert und voller Abenteuer gewesen war. Paul hatte sie mit auf die Nachtigalleninsel genommen. Heimlich waren sie in einem alten Holzkahn von der Pfännerschaft die Saale hinaufgerudert und hatten doch keine Nachtigallen gesehen. Der Zauber lag nicht in der Realität, er lag in den Worten.

»Ich leb, ich sterb: ich brenn, und ich ertrinke, ich dulde Glut und bin doch wie im Eise«, sprach Petra die poetischen Verse leise und trat an die Mauer, um von dort auf den unten vorbeirauschenden Fluss zu schauen.

»Was redest du da? Von wem ist das?« Frank war ihr gefolgt.

»Oh, Louise Labé, eine französische Lyrikerin aus dem …«, sie legte nachdenklich den Zeigefinger gegen die Lippen, » … sechzehnten Jahrhundert. Ja, doch, das müsste hinkommen. Ist es nicht faszinierend, was Worte ausdrücken, welche Welten sie erschaffen können?« Sie stützte die Ellbogen auf die Mauer. »Sie machen uns frei, weil niemand in unseren Kopf schauen kann.«

»Du solltest etwas vorsichtiger sein mit dem, was du sagst, Petra. Wenn die falschen Worte auf die falschen Ohren im falschen Augenblick treffen, könntest du in Schwierigkeiten geraten«, mahnte ihr Schauspielkollege.

Doch Petra winkte ab. »Es wird sich alles irgendwie richten. Muss es ja, nicht wahr? Und ich muss jetzt gehen. Bis morgen, Frank!«

Er griff nach ihrem Arm. Überrascht blieb sie stehen und sah ihn an. Er war heute so merkwürdig. »Ich kann nicht mit zum Fluss!«, sagte sie schärfer als beabsichtigt.

Eine Spur von Verärgerung lag in seiner Stimme, doch er ließ sie los. »Ja, das sagtest du. Es gibt da jemanden, oder?«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und musterte ihn kühl. »Was geht es dich an? Wir stehen zusammen auf der Bühne, mehr nicht.«

Er fuhr sich durch die dunkelblonden Haare und holte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche. Zigaretten waren noch immer Mangelware, und er genoss es, ihr die Schachtel mit einer lässigen Geste hinzuhalten. »Möchtest du?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte gar nichts von dir, außer, dass wir auf der Bühne unser Bestes geben.«

Er steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen und sah sie dabei unverwandt an. Andere mochten ihn attraktiv finden, doch ihre Ablehnung schien ihn zu reizen. »Warum nicht, Petra? Wir können doch etwas Spaß haben, und deine Mutter würde sich freuen, wenn sie mal ein Brot mehr und ein paar Rosinen bekommt.«

Ihr wurde übel. »Ein für alle Mal, Frank, da läuft nichts. Such dir eine andere, die du mit deinem schmierigen Charme beeindrucken kannst.«

Damit ließ sie ihn stehen und verließ beinahe fluchtartig die Burg. Wenn sie Zeit hatte, lief sie gern am Riveufer entlang, beobachtete die Schiffe und Boote auf der Saale. Doch ihre Mutter wartete, und sie wählte den kürzesten Weg, folgte der Burgstraße, vorbei an den prächtigen Villen, die in den Seitenstraßen standen. In vielen der einst herrschaftlichen Häuser hatten sich die Russen einquartiert. Die neuen Besatzer hatten nicht gefragt, sondern sich genommen. Petra schluckte, lief an der Lafontainestraße vorbei und verdrängte aufsteigende Erinnerungen an einen Abend vor vier Jahren. Genau hier auf Höhe der Diakonissen-Anstalt war es gewesen, dass sie von einer Gruppe junger russischer Soldaten abgepasst worden war. Sie hatte das Schlimmste befürchtet, doch ein russischer Offizier war dazugekommen und hatte die lüsternen Kerle fortgeschickt. Sie hatte nicht verstehen können, was die Männer ihm zuriefen, und erst später sollte sie begreifen, dass sie nur ein Übel gegen ein anderes getauscht hatte.

Mit erhobenem Kinn ging sie weiter. Sie war stark, jung, und sie hatte überlebt. Erzählt hatte sie nie jemandem von dem Abend, weder ihren Eltern noch ihrem Bruder. Paul durfte das nie erfahren, denn er brachte es fertig und suchte den Offizier in seiner Villa auf, um ihn zur Rede zu stellen. Im schlimmsten Fall würde man Paul im Roten Ochsen verschwinden lassen oder übel zusammenschlagen. Beides wollte Petra nicht verantworten müssen.

Sie hatte Pläne. Die Vergangenheit hatte darin keinen Platz.

5

Das zweigeschossige Gebäude war mit reichem Stuckdekor versehen. Die Mittelfront trat mit Säulen und einem darüberliegenden Balkon hervor. Die herrschaftliche Villa in der Senefelder Straße war von Friedrichs Großvater errichtet worden und beeindruckte damals wie heute. Irene blieb kurz am hohen schmiedeeisernen Zaun stehen. Der Garten sah ein wenig verwildert aus, und der Putz bröckelte hier und dort, doch die reich verzierten Kapitelle und Balustraden zeugten noch von vergangenem Glanz. Die Klänge einer Chopin-Etüde perlten aus einem offenen Fenster auf die Straße.

Seufzend trat Irene durch das Tor. Ihre Mutter spielte Klavier. Ada Mendel spielte sehr gut und hatte früher sogar einige Konzerte gegeben. Auf großen Feiern hatte man sie nie lange bitten müssen, und auch heute spielte sie mit Hingabe. Doch Irene war bewusst, dass ihre Mutter sich seit Kriegsende immer mehr in ihre Musik flüchtete.

Ein Ball flog von einem Ende des Gartens auf Irene zu. Sie fing ihn auf und wartete, bis ein etwa fünfjähriges Mädchen angelaufen kam.

»Na, Ele, spielst du schön?«, fragte Irene und gab dem Mädchen den Ball zurück.

Die Kleine blickte sie mit ernster Miene an, nahm den Ball und drückte ihn an sich. »Danke, Fräulein Irene.« Dann sah sie zu Boden. »Spielt ja keiner mit mir.«

»Ach, Ele-Maus. Du musst mal runter zum Fluss oder zum Sportplatz, dort sind die anderen Kinder. Und was ist mit denen von gegenüber? Die sind doch auch in deinem Alter.«

Ele, kurz für Elvira, war die Tochter von Gunda Wilms, die aus dem Samland geflüchtet und bei ihnen untergekommen war. Irene hatte sich dafür eingesetzt, die junge Mutter mit Kind in der Villa unterzubringen, denn sie mochte die beiden. Ada Mendel hatte sich gegen die Aufnahme ausgesprochen, da sie nicht kapierte, dass man sonst andere Flüchtlinge bei ihnen einquartiert hätte.

Das Mädchen hob den Blick und sah Irene mit unendlich traurigen Augen an. »Die mögen mich nicht. Bin ja Dreckzeug. Mit so was spielen die nicht.«

Irene strich Ele über die Haare. »Lass dir das bloß nicht einreden, hörst du?«

Das Klavierspiel hörte auf, und eine ältere Dame schaute aus einem Fenster im Erdgeschoss. »Irene! Wo bleibst du denn? Wir müssen doch gleich los!«

»Ja, Mutter. Bin schon auf dem Weg«, antwortete Irene. Zu Ele sagte sie: »Ihr kommt doch auch zum Pfingstbier? Auf der Wiese am Fluss gibt es allerlei Spektakel und Süßes sicher auch.«

»Wir haben doch kein Geld. Mutti will nicht gehen«, sagte die Kleine leise.

Irene griff in ihre Tasche und holte eine bunte Schachtel heraus. »Die sind für dich. Ich spreche mit deiner Mutter. Bis nachher, Ele.«

Die Augen der Kleinen strahlten, als sie nach der Schachtel griff, sie öffnete und sich eins der Bonbons in den Mund steckte. »Danke!«

Als Irene durch den geräumigen Eingangsbereich ging, hörte sie ein leises Summen aus dem kleinen Salon. Sie fand ihre Großmutter in einem Sessel sitzend, die Hände im Schoß gefaltet. Das von Linien zerfurchte Gesicht, das einmal schön gewesen war, zeugte von einem Leben, das alle Höhen und Tiefen, Leid und Freud erfahren hatte. Am Ende war es mehr gewesen, als eine alte Frau hatte ertragen können. Das Summen verstummte, als Irene die knochige Schulter der alten Dame berührte.

»Großmutter, wie geht es dir? Heute ist Pfingstbier. Ich gehe mit Mutter hin. Sie spielen Theater in der Burg. Eine Komödie von Shakespeare.«

Ihre Großmutter war einst gern ins Theater gegangen und hatte viel gelesen, zeigte jedoch keine Reaktion. Irene ging vor ihr in die Knie und nahm die Hände der alten Frau in ihre, um sie zu streicheln. Ihre Großmutter öffnete die Augen und lächelte sie an.

»Möchtest du eine Praline? Ich habe dir Schokolade mitgebracht. Das dunkle Nougat, das du so gern magst. Du glaubst es nicht, aber wir haben tatsächlich Kakaobohnen aus Belgien erhalten. Unser Freund, der Nicolas, hat es möglich gemacht. Erinnerst du dich an ihn? Vater hat ihn vor Jahren einmal mit auf den Lilienhof gebracht.«

Der Lilienhof war das Gut von Oskar und Therese von Borowski gewesen. Irene erinnerte sich gern an viele Sommer ihrer Kindheit, die sie dort mit ihrem Bruder verbracht hatte. Nördlich von Königsberg gelegen, war es nicht weit bis zur Küste mit den schönen Badeorten gewesen.

Sie nahm eine in Stanniolpapier gewickelte Praline aus der Handtasche und legte sie auf ein Tischchen neben dem Sessel. Bei der Erwähnung des Lilienhofes flackerte es in Thereses Augen auf, und ihre Hände zitterten. Die Lippen versuchten, Worte zu formen, doch dann sank die alte Dame wieder in sich zusammen.

»Ich sehe später noch nach dir.« Sie gab der Großmutter einen Kuss auf die Stirn und ging in das Musikzimmer, den großen Salon, in dem sie ihre Mutter am Fenster stehend fand.

Ada Mendel war noch immer eine eindrucksvolle Erscheinung. Die Abendsonne hüllte ihre markanten Züge in ein weiches Licht, und für einen Augenblick glich sie den Fotografien, die in silbernen Rahmen auf der Anrichte standen. Dort sah man das Fabrikbesitzerpaar Mendel vor einem Automobil, zu Pferd, neben dem Bürgermeister und anderen Honoratioren bei einem Festakt, andere Fotografien stammten von den gemeinsamen Reisen nach Paris, Brüssel und London. Auf anderen Bildern waren Irene und Edgar zu sehen, die ihren Vater des Öfteren auf Geschäftsreisen begleitet hatten. Irene hatte es geliebt, mit ihrem Vater die Chocolaterien in Brüssel zu besuchen, wo sie den besten Chocolatiers beim Kreieren ihrer Köstlichkeiten zugesehen hatten. Das Foto von Edgar in Uniform, bevor er eingezogen worden war, hatten sie wie alle Bilder, auf denen die Symbole des Nationalsozialismus zu sehen waren, vernichtet.

Adas Schneiderin hatte wieder einmal bewiesen, dass man mit Einfallsreichtum und Geschick aus alten Kleidern viel machen konnte. Aus einer blauen Kostümjacke hatte sie ein kurzes Sommerjäckchen genäht, das zu Adas weißem ärmellosem Kleid passte.

»Du bist noch nicht umgezogen, Kind. So kannst du unmöglich gehen!«, begrüßte Ada ihre Tochter.

»Was stimmt nicht mit diesem Aufzug?« Grinsend posierte Irene in ihrem schlichten hellblauen Hemdblusenkleid, in dem sie gern in die Fabrik ging.

»Wir werden wichtige Leute treffen, und du musst gut aussehen. Du bist ein so hübsches Mädchen und könntest viel mehr aus dir machen.« Ada legte prüfend eine Hand an ihre sorgfältig frisierten Haare.

»Der Kakao aus Belgien ist heute eingetroffen. Ist das nicht großartig?«, sagte Irene, ließ sich in ein Sofa fallen und streifte die Schuhe von den Füßen. Es war noch immer sehr warm.

»Warum sollte es auch keinen Kakao geben? Ich verstehe nicht, wie es zu diesen Verzögerungen kommt. Es muss doch weitergehen.« Leicht echauffiert presste sich Ada die Finger gegen die Schläfen. »Diese Hitze ist unerträglich. Normalerweise wären wir jetzt an der See oder auf dem Gut.«

»Wir sind am Leben, und Halle wurde nicht zerbombt. Denk mal an Dresden oder Berlin. Uns geht es gut!«

Unbeeindruckt erwiderte Ada: »Der Felix, dieser fesche Mensch, hach, was haben wir getanzt in der Oper zu Neujahr. Wann war das noch mal gewesen?« Sie legte einen Finger an die Lippen und fuhr fort: »Allein dem Felix Graf Luckner haben wir es doch zu verdanken, dass Halle nicht von den Amerikanern zerbombt worden ist. Das kann man gar nicht oft genug betonen!«

Irene verdrehte die Augen. Ihre Mutter, selbst adliger Abstammung, hatte nun einmal eine Schwäche für diese heldenhafte Geschichte, in der sich der Graf mit seiner besonderen Verbindung zur Saalestadt im April des letzten Kriegsjahres durch die Frontlinie nach Halle durchgeschlagen hatte.

»Und dann vermittelte der Felix zwischen den Deutschen in Halle und der 104. Infanteriedivision Timberwolf!«, fuhr ihre Mutter ungerührt fort. »Halle mit dem großen Güterbahnhof wäre doch todsicher den Bombardierungen zum Opfer gefallen! Aber der Graf hat sich auf die Lazarette, die Frauen und Kinder berufen. Das war sehr geschickt von ihm. Ohne ihn wäre Halle nicht so friedlich übergeben worden. So, jetzt kannst du aufhören, die Augen zu verdrehen, Irene. Und wann habe ich nun mit ihm getanzt?«

»Vor dem Krieg, Mutter. Und bitte sprich nicht in der Öffentlichkeit über Luckner. Das wird nicht gern gesehen.« Die neue Parteiführung hatte nichts für Helden vom Schlage Luckners übrig, was ihre Mutter jedoch gern ignorierte, wie sie überhaupt nicht bereit war, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Ada Mendel spielte Klavier, plante Abendessen, obwohl nie genügend Lebensmittel zur Verfügung standen, und wenn sie durch die Stadt spazierte, beschwerte sie sich über die nach wie vor sichtbare Präsenz der Besatzer. Manchmal fragte sich Irene, ob ihre Mutter die Tragweite des verlorenen Krieges nicht einordnen konnte oder es nicht wollte.

»Du warst doch auf dem Amt, Irene? Wann erhalten wir unsere Güter in Ostpreußen zurück? Das kann doch nicht ewig dauern.«

Innerlich bis zehn zählend, erwiderte Irene: »Es gibt kein Ostpreußen mehr. Damit müssen wir uns abfinden. Ich ziehe mich jetzt um.« Ihre Absätze klapperten über das Parkett.

»Dem stimme ich nicht zu, Irene. Ich jedenfalls werde niemals aufgeben, auch wenn du alles verloren glaubst.«

Tante Hedda kam mit dem ihr eigenen energischen Schritt herein, wobei sie am Gürtel ihres schlichten dunkelgrünen Kleides zupfte, bis er richtig saß. Das Kleid hatte ihrer Schwester Ada gehört, denn auf der Flucht hatte sie ihren gesamten Besitz verloren. Hedda von Klawitz hatte die Haltung einer Landjunkergattin nicht abgelegt und wirkte noch immer Respekt einflößend mit ihrem energischen Kinn, den kurzen grauen Haaren und den eisblauen Augen, die unerbittlich blicken konnten. Irene hatte Verständnis für die Tante, die sich nach außen hart und abgeklärt gab. Nach allem, was sie erlebt hatte, musste man ihr dafür Bewunderung zollen. Wofür sie kein Verständnis hatte, war die Starrköpfigkeit von Hedda und deren ungebrochene nationalsozialistische Gesinnung.

»Ich glaube gar nichts, Tante Hedda, ich stelle mich den Gegebenheiten. Und wie es nun einmal ist, können wir dankbar sein, dass sie uns die Fabrik noch nicht weggenommen haben. So sieht es aus. Kommst du mit zum Pfingstbier?«

Hedda hob eine Augenbraue, und ihre Mundwinkel zuckten nach unten. »Sicher nicht. Da muss ich womöglich Russen sehen. Nein, das tue ich mir nicht an. Ich habe ein Telefongespräch nach Gießen angemeldet. Kurt hat einen Lehrstuhl an der Universität erhalten.«

Dr. Kurt von Borowski war Heddas und Adas Bruder und ein Jurist, der vor und während des Krieges als Staatsanwalt tätig gewesen war. Durch die richtigen Kontakte war es ihm gelungen, trotz seiner belasteten Vergangenheit den begehrten Persilschein zu erhalten. Nun hatte man ihn also sogar an die Universität berufen.

Irene verließ den Salon und ging nach oben, wo sie sich ein buntes Sommerkleid anzog. Als sie in den Spiegel schaute und sich die blonden Haare hinter die Ohren kämmte, dachte sie, wie unterschiedlich doch die Mitglieder einer Familie sein konnten.

6

In den Bäumen hatte man Lampions aufgehängt, und Lichterketten säumten die Stuhlreihen und Bänke. Auf der Bühne befanden sich Säulen, die einen Palast andeuteten, und seitlich waren künstliche Büsche und Bäume zu sehen. Paul geleitete seine Eltern in die erste Reihe, wo Petra Plätze für sie reserviert hatte. Genau wie sein Vater trug auch Paul heute die Festtracht der Halloren, die aus dem Pelz, dem blauen Dreiviertelmantel, dem Latz, einer Weste mit achtzehn Silberknöpfen, Kniebundhose und einem Dreispitz bestand. Seine Mutter trug das dunkle Festkleid mit weißer Bluse und Schürze.

Die Honoratioren hatten bereits Platz genommen, grüßten sie jedoch höflich, als sie an ihnen vorübergingen. Die Stühle waren in einer Art Halbkreis zur Bühne hin ausgerichtet. Nachdem sie sich gesetzt und die Männer die Hüte auf die Knie gelegt hatten, ließ Paul den Blick schweifen. Schließlich entdeckte er sie. Das blonde Haar war unverkennbar. Sie war so schön, dass es ihm jedes Mal, wenn er sie sah, den Atem raubte. Irene Mendel, die Tochter des Schokoladenkönigs. Unerreichbar für einen Arbeitersohn. Paul nahm die Schultern zurück. Er war stolz auf seine Zunft, aber er wollte mehr vom Leben. Seine Träume waren größer als das, was seine Eltern sich für ihn vorstellten.

»Paulchen, was spielt die Petra noch? Ich vergesse den Namen immer«, fragte seine Mutter leise und griff nach seiner Hand.

»Hermia, Mutter. Sie spielt die Tochter von Theseus und ist in Lysander verliebt, soll aber Demetrius heiraten, der wiederum Helena liebt. Dann gibt es den Elfenkönig Oberon, der sich mit seiner Frau streitet und die Verwirrungen auslöst.« Er versuchte, das Stück möglichst knapp zusammenzufassen, und seine Mutter tätschelte seine Hand.

»Danke, jaja, ich verstehe schon«, murmelte sie und schaute gebannt auf die Bühne, wo der erste Akt seinen Lauf nahm.

Die Vorstellung war restlos ausverkauft und das Publikum begeistert. Es wurde gelacht und geklatscht, und die Hallenser waren so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Während Paul seiner Schwester zuschaute, die ihre Sache ausgesprochen gut machte, glitt sein Blick immer wieder zu Irene. Sie war schmal, aber nicht zerbrechlich, und bewegte sich mit einer natürlichen Anmut, die nur jemand ausstrahlte, der über genügend Selbstbewusstsein verfügte. Dabei wirkte sie nicht überheblich, und er wusste von den Mitarbeitern der Fabrik, dass man sie schätzte und sich gern an sie wandte, wenn es Probleme gab. Aber das Faszinierendste an ihr waren ihre meergrünen Augen.

Vielleicht hatte sie gespürt, dass er sie ansah, denn sie hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Paul deutete ein Lächeln an, und wenn er sich nicht täuschte, schmunzelte sie. Doch sofort wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Bühne zu. Sie kannten einander seit der Kindheit. In der Kirche, auf Festlichkeiten und seltener am Fluss beim Schwimmen hatten sie sich gesehen. Das erste Mal angesprochen hatte Paul die Fabrikantentochter beim Wasserstechen im vergangenen Sommer. Er war als Sieger aus dem sportlichen Schauturnier der Halloren auf der Saale hervorgegangen, und Irene hatte ihm die von der Schokoladenfabrik gesponserten Pralinen überreicht. Im Verlauf des Festes hatten sie miteinander getanzt, und seither hatte er nicht aufgehört, an sie zu denken.

Der Schlussapplaus riss ihn aus seinen Gedanken, und er erhob sich mit den anderen. Die Schauspieler verneigten sich und wurden fünf Mal auf die Bühne geklatscht. Schließlich trat seine Schwester vor und rief: »Danke, liebe Leute! Empfehlt uns weiter, und nun wünschen wir euch ein fröhliches Pfingstbier!«

Paul warf seiner Schwester eine Kusshand zu, die diese erwiderte.

»Wir sehen uns beim Fahnenschwenken!«, rief sie und verließ die Bühne.

»Ja, Paul, wir sollten runter zur Saline«, schlug sein Vater vor.

»Ohne mich fangen sie nicht an«, meinte Paul und grinste, denn er war einer der Fahnenschwenker.

Das Fest fand auf der großen Wiese hinter den Siedehäusern statt. Heute früh war der neue Vorstand der Salzwirker-Brüderschaft gewählt worden, anschließend hatte das Festessen stattgefunden, bei dem auch der traditionelle Hallorenkuchen gereicht worden war, den in diesem Jahr seine Mutter gebacken hatte. Das Pfingstbier hatte eine lange Tradition und war der Höhepunkt des Jahres. Es hieß, dass den Halloren in vergangenen Zeiten vom Gutshof Giebichenstein alljährlich zu Pfingsten eine bestimmte Menge an Bier zu spenden gewesen sei. Nachdem die Gutsbrauerei eingegangen war, hatte man diese Spende in eine Geldsumme umgewandelt, doch der schöne Brauch war geblieben.

Nun war also ganz Halle auf den Beinen, um zu feiern, wobei nicht alles so ablief wie in der Vorkriegszeit. Die Rationierungen waren eine Sache, die Besatzer eine andere. Normalerweise wurde der Schatz der Halloren, kostbare Silberbecher aus über dreihundert Jahren Brüderschaft, auf dem Festplatz ausgestellt, und die Platzknechte sorgten für Sicherheit und Ordnung. Noch während des Krieges hatte man beschlossen, den Schatz zu behüten und zu verstecken. Seither wurde er abwechselnd auf dem Dachboden eines der Halloren aufbewahrt.

»Warten wir nicht auf Petra?«, fragte Pauls Mutter, doch er hakte sie unter und ging langsam über den Burghof.

»Sie zieht sich um und stößt später zu uns.« Eine Gestalt in der Menge erregte seine Aufmerksamkeit.

Es war der beleibte Parteigenosse mit Kinnbart und Brille, den er kürzlich in der Saline gesehen hatte. Der Mann erkannte ihn ebenfalls und steuerte auf ihn zu. Anspannung ergriff Paul. Der Mann im grauen Anzug hatte sie beinahe erreicht, als Irene an ihnen vorbeigehen wollte. Sie verlangsamte ihren Schritt ein klein wenig, so als wartete sie darauf, dass er sie ansprechen würde. In diesem Moment sagte der Genosse:

»Thulke, so heißen Sie doch, ja?«

Paul sah Irene entschuldigend an und hob die Schultern. »Ja, und wer will das wissen?«

»Na, na, nu mal nicht so schnippisch. Wir sind doch alle auf derselben Seite, was?« Obwohl als Frage formuliert, war es eher eine Feststellung, dachte Paul.

»Auf der Seite von was, und mit wem habe ich das Vergnügen?« Paul blieb stur.

Seine Mutter zupfte unruhig an seinem Arm. Er sagte leise zu ihr: »Geh doch schon mit Vater voraus. Ich kläre das hier noch eben.«

Mit ängstlicher Miene ging Irma zu ihrem Mann, der sich mit Bekannten unterhielt.

»Klaus Tremmel. Wir haben uns doch in der Saline vor dem Haus von Herrn Kullick gesehen.« Der Mann stellte sich vor ihn, eine Hand in der Hosentasche, mit der anderen holte er einen bedruckten Zettel aus seiner Jackentasche. »Hier, da sollten Sie mal erscheinen.«

Paul nahm den Handzettel entgegen, auf dem Versammlungsort und Datum für die nächste Sitzung der SED standen.

»Oder sind Sie woanders Mitglied?«

Paul verstaute den Zettel in seiner Hosentasche. »Ich bin überhaupt nirgendwo Mitglied, außer in unserer Brüderschaft. Ist das nicht genug?«

Die Augen hinter den Brillengläsern blinzelten. »Nein, das ist nicht genug. Der neue Staat braucht engagierte Bürger. Die Zukunft gehört allein dem Sozialismus. Alle Werktätigen müssen zusammenstehen und sich aktiv am Klassenkampf beteiligen!«

»Ich werde darüber nachdenken. Bitte entschuldigen Sie mich, ich werde in der Saline gebraucht«, sagte Paul und ließ den Mann stehen.

»Überlegen Sie nicht zu lange, Thulke!«, hörte er Tremmel leise hinter sich sagen.

Was sollte diese Drohung? Er hatte sich doch nichts zuschulden kommen lassen. Verärgert eilte Paul durch die Menge und holte seine Eltern am Burgtor ein.