Das Bill-Gates-Problem - Tim Schwab - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Bill-Gates-Problem E-Book

Tim Schwab

0,0
19,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die erste umfassende kritische Darstellung von Bill Gates und seiner Stiftung Der Imagewechsel vom skrupellosen Kapitalisten und rücksichtslosen Microsoft-Chef zum wohltätigen Gutmenschen ist Bill Gates mit Bravour gelungen. Eine fundierte kritische Berichterstattung über den vermeintlich größten Philanthropen unserer Zeit und seine Stiftung, die »Bill and Melinda Gates Foundation«, gibt es kaum. In seinem Enthüllungsbuch räumt der Journalist Tim Schwab mit dem Bild von Bill Gates als Wohltäter auf. Auf Grundlage brisanter Dokumente und Insiderinformationen liefert Schwab ein überzeugendes Gegennarrativ: Der Tech-Milliardär zieht nicht nur finanziellen Nutzen aus seiner Stiftung, sondern nimmt durch sie auf undemokratische Weise Einfluss auf politische Entscheidungen weltweit. Denn nur Organisationen und Projekte, die mit Gates' persönlicher Agenda und Weltsicht übereinstimmen, haben eine Chance darauf, gefördert zu werden. Somit illustriert der Fall Bill Gates wie kein anderer die Gefahren extremer Ungleichheit: Denn wenn Superreiche ihr Vermögen nutzen, um Politik zu machen, werden demokratische Prozesse und Institutionen unterminiert und unsere Gesellschaft vor eine Zerreißprobe gestellt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 882

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tim Schwab

Das Bill-Gates-Problem

Der Mythos vom wohltätigen Milliardär

 

Aus dem Englischen von Martina Wiese

 

Über dieses Buch

 

 

Die erste umfassende kritische Darstellung von Bill Gates und seiner Stiftung

 

Der Imagewechsel vom skrupellosen Kapitalisten und rücksichtslosen Microsoft-Chef zum wohltätigen Gutmenschen ist Bill Gates mit Bravour gelungen. Eine fundierte kritische Berichterstattung über den vermeintlich größten Philanthropen unserer Zeit und seine Stiftung, die »Bill and Melinda Gates Foundation«, gibt es kaum. In seinem Enthüllungsbuch räumt der Journalist Tim Schwab mit dem Bild von Bill Gates als Wohltäter auf.

Auf Grundlage brisanter Dokumente und Insiderinformationen liefert Schwab ein überzeugendes Gegennarrativ: Der Tech-Milliardär zieht nicht nur finanziellen Nutzen aus seiner Stiftung, sondern nimmt durch sie auf undemokratische Weise Einfluss auf politische Entscheidungen weltweit. Denn nur Organisationen und Projekte, die mit Gates’ persönlicher Agenda und Weltsicht übereinstimmen, haben eine Chance darauf, gefördert zu werden. Somit illustriert der Fall Bill Gates wie kein anderer die Gefahren extremer Ungleichheit: Denn wenn Superreiche ihr Vermögen nutzen, um Politik zu machen, werden demokratische Prozesse und Institutionen unterminiert und unsere Gesellschaft vor eine Zerreißprobe gestellt.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Der Investigativjournalist Tim Schwab recherchiert bereits seit 2019 zur Gates Foundation und gilt nicht zuletzt aufgrund seiner Insiderkontakte als der Experte für das Thema. Seine Artikel sind unter anderem in »The Nation« und dem »British Medical Journal« erschienen und wurden mehrfach ausgezeichnet. Mit seiner Arbeit verhalf er einem bislang kaum beachteten Thema erstmals zu großer medialer Aufmerksamkeit und setzte neue Maßstäbe für die Berichterstattung über Gates' Stiftung. Schwab lebt in Washington, D. C.

 

Martina Wiese studierte Anglistik und Linguistik an der Universität Düsseldorf und ist seit 1984 als freie Übersetzerin und Lektorin tätig. Sie hat u.a. Steven Pinker, Richard E. Nisbett sowie die Nobelpreisträger Peter Doherty und Eric Kandel ins Deutsche übersetzt.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Widmung

Prolog

Einleitung

1 Gerettete Menschenleben

2 Frauen

3 Steuern

4 Fail-Fast

5 Transparenz

6 Lobbying

7 Familienplanung

8 Journalismus

9 Bildung

10 Die Bürde des weißen Mannes

11 Aufgebläht

12 Wissenschaft

13 Landwirtschaft

14 Indien

15 Covid-19

Schluss

Dank

Register

Für S. S. und S. S.

Prolog

Dieses Buch zu schreiben war problematisch, weil es von einem problematischen Mann berichtet – einem der reichsten der Welt und zugleich einem der verschwiegensten.

Bill Gates hat auf keine meiner zahlreichen Interviewanfragen im Rahmen der Recherche für dieses Buch reagiert, und auch die Gates Foundation war im Laufe meiner Berichterstattung nicht zu einem Interview über die Stiftung bereit. Noch bevor ich Anfang 2020 meinen ersten Artikel über Gates publizierte – oder als Journalist in Erscheinung trat, der über die Gates Foundation nicht als unantastbare Wohlfahrtsorganisation, sondern als Machtgefüge berichten wollte –, lehnte die Stiftung jegliche Interviews ab. Als ich die Ergebnisse meiner Recherchen in The Nation, im British Medical Journal und dem Columbia Journalism Review veröffentlichte, gab sich die Gates Foundation stets desinteressiert.

Diese Nichtbeachtung habe keineswegs nur ich zu spüren bekommen. Die Stiftung ist grundsätzlich darauf bedacht, sich oder ihre Leitung nie in eine Position zu bringen, in der sie zu Widersprüchen in ihrer Arbeit Stellung nehmen müsste oder gezwungen wäre, kritische Fragen zu beantworten. Wie jede einflussreiche Organisation diktiert die 54 Milliarden Dollar schwere Gates Foundation die Bedingungen für ihren Umgang mit den Medien.

Zugleich zögern zahlreiche Quellen, Stellung zu beziehen, weil derzeit so viele Menschen und Institutionen von Gates’ finanziellen Zuwendungen abhängig sind. In diesem Buch bleiben Quellen sehr häufig anonym und es liegt auf der Hand, warum sie darum gebeten haben. »Wer sich eine Förderung erhofft, schaufelt sich sein eigenes Grab, wenn er die Stiftung öffentlich kritisieren würde«, sagte Mark Kane, ehemaliger Leiter von Gates’ Impfinitiativen, im Jahr 2008. »Die Gates Foundation ist höchst sensibel, wenn es um ihre Öffentlichkeitsarbeit geht.«[1]

Ich möchte vorab auch gleich erklären, warum Melinda French Gates in diesem Buch nicht ebenso präsent ist wie Bill Gates: In der Bill ; Melinda Gates Foundation hat sie neben Bill Gates keine gleichberechtigte Stellung inne. Das weiß ich, weil Stiftungsmitarbeiter mir verraten haben, dass Bill Gates in der Stiftung das Sagen hat, und weil die Stiftung das 2021 selbst verkündet hat. Wie die Stiftung nach der Gates-Scheidung verkündete, werde sich Melinda, nicht Bill, nach einer zweijährigen Probephase aus der Stiftungsarbeit zurückziehen, falls die beiden sich nicht auf eine Übereinkunft zur Aufteilung ihrer Befugnisse einigen könnten.[2] Es ist Bill Gates’ riesiges Microsoft-Vermögen, aus dem sich die Stiftung speist, und es ist Bill Gates, der letztlich entscheidet, wofür das Geld ausgegeben wird. Das bedeutet nicht, dass Melinda weder eine besonders starke Stimme noch einen großen Einfluss auf die Stiftung hätte. In dem Buch wird es immer wieder auch um ihre Arbeit gehen.

Abschließend noch eine Bemerkung zur Terminologie: Streng genommen ist die Gates Foundation steuerlich gesehen eine Privatstiftung. Diesen Begriff verwende ich im Buch sehr häufig, bezeichne die Gates Foundation andernorts aber auch als karitative oder wohltätige Organisation.

Einleitung

Der Name Paul Allen wird Ihnen vermutlich nichts sagen.

Allen war eine treibende Kraft bei der Gründung eines der weltweit einflussreichsten Unternehmen – Microsoft. Außerdem war er eine Zeitlang sowohl der Geschäftspartner als auch der beste Freund eines der mächtigsten Männer, die es je gegeben hat.

Auch mit dem Namen William Henry Gates III können Sie eventuell auf den ersten Blick nichts anfangen. Es ist ein beeindruckender Name, der einem Mann aus einer wohlhabenden und privilegierten Familie geziemt, einem Mann aus den höheren Gesellschaftsschichten. Bill Gates’ Mutter stammte aus einer vermögenden Bankiersfamilie. Sein Vater hatte sich in Seattle einen Namen als Anwalt gemacht. Wie Gates selbst einmal erzählte, hieß es in seiner Kindheit des Öfteren: »Heute kommt der Gouverneur zum Essen«, oder: »An dieser politischen Kampagne sollten wir uns beteiligen.« Dieses familiäre Netz einflussreicher Beziehungen bot Gates ungewöhnliche Chancen und verschaffte ihm etwa einen Job als Page im Parlament des Bundesstaates Washington wie auch im US-Kongress.[1]

Paul Allen hingegen war der Sohn eines Bibliothekars aus der Mittelschicht – seine Familie musste einige Opfer bringen, um ihm den Besuch von Lakeside, der prestigeträchtigsten Privatschule Seattles, zu ermöglichen. Dort freundete er sich mit Bill Gates an. »Ich kam in eine Klasse mit 47 Mitschülern, die allesamt zur Elite der Stadt zählten: Söhne von Bankern, Geschäftsleuten, Rechtsanwälten und Professoren. Mit wenigen Ausnahmen waren es adrette, im Collegestil gekleidete Jungs, die einander bereits aus privaten Mittelschulen oder dem Tennisclub kannten«, schrieb der mittlerweile verstorbene Allen in seiner Autobiographie.[2]

Dank dem Reichtum von Lakeside genossen die Schüler gewisse Privilegien. Dazu gehörte zum Beispiel der Zugang zu einem Computer, was Ende der 1960er Jahre eine Seltenheit war. Im Computerraum der Schule entstand die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen Allen und dem zwei Jahre jüngeren Bill Gates. Allen erinnert sich: »Schon nach kurzer Zeit des Kennenlernens konnte man drei Dinge mit Gewissheit über Bill Gates sagen: Er war ein kluges Köpfchen. Er maß sich gerne mit anderen, denn er wollte auch beweisen, wie klug er tatsächlich war. Und er war echt hartnäckig.«[3]

Ihre Leidenschaft für Computer schlug schon bald ins Unternehmerische um, als den beiden die Möglichkeiten aufgingen, ihre wachsenden Programmierkenntnisse zu Geld zu machen. Gleichzeitig erwies sich ihre Zusammenarbeit schnell als Konkurrenzkampf. Als sich Allen einen Programmierauftrag zur Abrechnung von Gehältern sicherte, glaubte er ihn auch ohne Gates’ Hilfe erledigen zu können. Daraufhin schickte dieser ihm eine ominöse Nachricht. »Ich sagte: ›Ich glaube, du unterschätzt, wie schwer das eigentlich ist. Falls du mich zurückholen willst, dann habe ich das Sagen, hierbei und bei allem, was wir in Zukunft machen‹«, erinnerte sich Gates. Tatsächlich brauchte Allen schließlich Unterstützung bei dem Projekt. Wie Gates erläuterte: »Die Leitung zu übernehmen fühlte sich ganz natürlich für mich an.«[4] Mit der Hilfe seines Vaters verschaffte Gates ihrem wachsenden Softwareunternehmen eine legale Grundlage als Sozietät; er bezeichnete sich als ihr Präsident und beanspruchte einen viermal größeren Anteil am Verdienst der Firma, als er Allen zugestand.[5]

Nach dem Schulabschluss blieben die beiden zwar befreundet, gingen aber unterschiedliche Wege. Allen besuchte die ausgesprochen nicht elitäre Washington State University, Gates ging nach Harvard. Allens wenig ambitionierte akademische Karriere verlief bald im Sande. Er berichtet, wie Gates ihn drängte, in den Osten der USA zu ziehen, wo sie beide aus ihrer Liebe zu Computern etwas Besonderes machen könnten.[6] So brach Allen sein Studium ab und siedelte nach Boston um.

Allen bezeichnet sich selbst als »Idea Man«, den »Mann mit den Ideen«, der Gates stets mit irgendwelchen Geschäftsplänen bombardierte, während dieser den Boss spielte und Allen in der Regel abblitzen ließ. Bill Gates erinnert sich: »Bei uns ging es andauernd um Dinge wie ›Könnten wir nicht ganz viele Mikroprozessoren zusammenfügen, um mehr Leistung rauszuholen? Könnten wir vielleicht einen 360 Emulator entwickeln, der Mikrocontroller verwendet? Könnten wir nicht ein Time-Sharing System erfinden, in das sich ganz viele Leute einwählen und Verbraucherinformationen abrufen können?‹ Alle möglichen Ideen.«[7]

Nachdem Allen monatelang vergeblich sein Pulver verschossen hatte, traf er schließlich mit einer Idee, die Gates gefiel, ins Schwarze: Er schlug vor, eine Programmiersprache für einen der weltweit ersten allgemein verfügbaren Heimcomputer, den Altair, zu schreiben. Aus seinem Studentenzimmer in Harvard rief Gates ungefragt in der Hauptgeschäftsstelle des Unternehmens in New Mexico an und behauptete in typischer Gates-Manier, er habe eine neue Software für den Altair in der Pipeline, die so gut wie startklar sei.[8] Das Unternehmen lud ihn ein, das Produkt vor Ort vorzuführen. In acht aufreibenden Wochen schusterten Gates und Allen das Programm zusammen.[9] Als es Zeit war, sich mit Altair zu treffen, war es Paul Allen, der nach New Mexico flog. Auch wenn Allen kein so abgebrühter Aufschneider wie Gates war, sah er zumindest wie ein Erwachsener aus. Gates hingegen war noch weit im Erwachsenenalter für sein jungenhaftes Aussehen bekannt, was sich Microsoft später für seine Inszenierung als Wunderkind zunutze machte.

Das Geschäft kam zustande und war so erfolgreich, dass Gates sein Studium in Harvard schließlich abbrach, um sich ganz auf sein neues Unternehmen zu konzentrieren. Und tatsächlich war es sein Unternehmen, wie Allen bald feststellte. Obwohl er bei dem Altair-Deal eine entscheidende Rolle gespielt hatte – und außerdem den Namen »Microsoft« prägte, ein Portmanteau aus microprocessor und software –, beanspruchte Gates umgehend die Majorität des Unternehmens und verlangte einen Anteil von 60 Prozent. Allen erinnert sich, dass ihn die Machtbekundung seines Geschäftspartners schockierte, doch er fügte sich.[10]

Als Gates aufging, wie problemlos dieser Deal über die Bühne gegangen war, begann er erneut mit Allen zu verhandeln und verlangte dreist einen noch größeren Anteil. »Eigentlich habe ich die Hauptarbeit geleistet – und ich habe viel aufgegeben, als ich Harvard den Rücken kehrte«, sagte er. »Ich finde, dass mir mehr als 60 Prozent zustehen.«

»Und wie viel wäre das dann?«

»Ich dachte an 64 zu 36.«

Wie Allen schreibt, konnte er sich nicht dazu durchringen, mit Gates zu feilschen, doch zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass er es in Wahrheit nicht fassen konnte, was da passierte: Sein bester Freund versuchte, ihn übers Ohr zu hauen.[11] »Viel später, als sich unsere Beziehung grundlegend geändert hatte, fragte ich mich, wie Bill auf die neue Gewinnverteilung gekommen war, die er mir an jenem Tag vorgeschlagen hatte. Ich versuchte, mich in seine Lage hineinzuversetzen und seine Gedankengänge nachzuvollziehen. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass er nach dem Motto: Wie kann ich das meiste für mich herausholen? gehandelt haben muss. … Sicherlich hätte er argumentieren können, dass seine Zahlen den jeweiligen Beitrag, den jeder von uns geleistet hatte, widerspiegeln. Für mich aber taten sie mehr als nur das: Sie machten deutlich, dass es wesentliche Unterschiede zwischen dem Sohn eines Bibliothekars und dem Sohn eines Anwalts gibt. Mir wurden von Kindesbeinen an diese beiden Grundätze beigebracht: ›Abgemacht ist abgemacht‹ und ›Mein Wort gilt‹. Bill sah da wesentlich mehr Handlungsspielraum für sich.«[12]

Allen blieb weiterhin der Mann mit den Ideen, während Microsoft expandierte und schließlich nach Seattle umzog. Er erinnert sich, wie er einen wichtigen Workaround entwickelte – eine Hardware namens SoftCard, die eine Anwendung der Microsoft-Software auf Apple-Computern ermöglichte. Das Produkt eröffnete Microsoft einen weiten neuen Markt und spülte 1981 dringend benötigte Einkünfte in Höhe von mehreren Millionen Dollar in die Kassen.[13] Allen, der immer noch glauben wollte, dass er und Gates Partner und Freunde waren, nutzte den Erfolg von SoftCard als Druckmittel, um von Gates einen größeren Firmenanteil einzufordern. Wenn Gates die Verteilung der Prozente neu aushandeln durfte, warum sollte er das nicht auch tun können?

»Darüber werde ich nicht mit dir reden«, fertigte Gates ihn ab. »Komm ja nicht noch mal damit an.«[14]

»In dem Moment zerbrach etwas in mir«, erzählt Allen. »Ich dachte immer, dass unsere Partnerschaft auf Fairness basierte, doch nun wurde mir klar, dass Bills Eigeninteresse über allem anderen stand. Mein Geschäftspartner war also darauf aus, sich das größte Stück des Kuchens zu schnappen und nicht einen Krümel mehr davon abzugeben. Doch diese Haltung konnte und wollte ich nicht akzeptieren.«

Bei Allen war das Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert worden, das ihn Jahre später auch das Leben kosten sollte. Als er sein Büro bei Microsoft räumte, um sich von der jüngsten Behandlung zu erholen, hörte er Gates mit jemandem über seinen Plan sprechen, Allens Unternehmensanteile weiter zu kürzen – ein letzter Schlag ins Gesicht. Nachdem Gates ihn bereits unter Druck gesetzt hatte, seine Anteile von 50 auf 40 und dann auf 36 Prozent zu reduzieren, genügte ihm das immer noch nicht.[15]

»Auf der Heimfahrt rief ich mir ihr Gespräch wieder und wieder in Erinnerung«, sagte Allen, »und es wurde von Mal zu Mal schlimmer für mich. Ich war einer der Gründer von Microsoft, gehörte noch immer zur Firmenspitze, auch wenn ich krankheitsbedingt nicht auf dem Höhepunkt meiner Schaffenskraft war, und nun schmiedeten mein Partner und mein Kollege Pläne, wie sie mich über den Tisch ziehen konnten. Ihnen ging es nur ums Geld, und jetzt war die Gelegenheit günstig.«

Dieses erschütternde Fazit zieht Allen in seiner Autobiographie, die vordergründig seinen unglaublichen Weg zum Multimilliardär nachzeichnet, tatsächlich aber auch als niederschmetternde Betrachtung seiner gescheiterten Beziehung zu Bill Gates gelesen werden kann – zu einem Mann, der ihm sehr viel bedeutete, der jedoch selbst zu echter Freundschaft unfähig war, weil er glaubte, niemand könne ihm das Wasser reichen. In Allens Worten ist Gates im tiefsten Innern ein Mann, der sich stets gedrängt fühlt, seine Überlegenheit zu beweisen, »der andere … nicht nur schlug, sondern vernichtete, wenn er konnte«.[16]

Über Gates wurden schon Dutzende Bücher geschrieben – fast alle in den 1990er und frühen 2000er Jahren. Sie schildern ausführlich seinen bezwingenden Geist und sein bedingungsloses Engagement, zeichnen aber auch ein Bild von seinem ungestümen, angriffslustigen, arroganten und herrischen Verhalten scheinbar jedem gegenüber, ob Freund oder Feind. Gates war nicht bloß ein leidenschaftlicher Mensch, sondern auch ausgesprochen emotional. Seine Unfähigkeit oder sein Unwille, sein Temperament zu zügeln, wurden oft als kindliches Verhalten beschrieben. Er schien es zu genießen, Untergebenen bei Microsoft die Leviten zu lesen. In den 1990er Jahren charakterisierte der Playboy Gates’ Führungsstil als »Management durch Beschämung – die Angestellten werden in Verlegenheit und teilweise sogar zum Weinen gebracht«.[17]

Paul Allen beschreibt Gates’ permanente »Schimpftiraden«, »Einschüchterungen« und »Verbalattacken« nicht nur als herrisches Gebaren, sondern behauptet auch, dass sie der Produktivität des Unternehmens schadeten.[18] Gates hatte eine Vorliebe für negative Verstärkung und wurde bekannt für seinen berühmten Ausruf: »That’s the stupidest fucking thing I’ve ever heard« (»Das ist der allerdämlichste verfluchte Scheißdreck, der mir jemals untergekommen ist«).[19]

Manche mögen behaupten, diese Art von Narzissmus und Intensität sei unabdingbar für einen Industriekapitän auf der Ebene der Weltwirtschaft, auf der Gates operierte. Was auch immer die Rechtfertigung sein mag: Gates regierte seine Firma mit eiserner Hand und betrachtete die Computerindustrie im weiteren Sinne nach und nach als seinen Herrschaftsbereich. Die Zahl seiner Opfer wuchs stetig. »Bill marschierte bei diesen anderen OEMs[20] … bis zur obersten Führungsebene durch und teilte hier lautstark mit, daß es so und so zu sein hätte, und falls sie dies nicht täten, er sicherstellen würde, daß seine Software nicht auf ihrer Kiste laufen würde. Was machst du, wenn du einer dieser … Typen bist? Microsoft hatte sie in der Zange. Du kannst es dir nicht leisten, daß Microsofts Programme nicht auf deiner Hardware laufen, und deshalb tust du lieber, was sie sagen«, berichtet Scott McGregor, ein ehemaliger Microsoft-Mitarbeiter.[21] In den 1990er Jahren bemerkte eine weitere Führungskraft: »Das gehört zu seiner Strategie: Man zerschmettert die Leute. Entweder sie tanzen nach deiner Pfeife, oder du zerschmetterst sie.«[22]

In den frühen 1980er Jahren konnte Microsoft seinen größten Coup landen, als IBM, damals eines der weltweit mächtigsten Unternehmen, bei dem vergleichsweise winzigen Softwareneuling aus Seattle anfragte, ob er ein Betriebssystem für ihre Personal Computer entwickeln könnte. Die meisten Nachrichtenagenturen witterten in Anbetracht dieses unwahrscheinlichen Deals Vetternwirtschaft. Gates’ Mutter saß gemeinsam mit dem Chef von IBM im Vorstand von United Way, einer der bekanntesten gemeinnützigen Stiftungen der Welt. Diese Beziehung mochte die Weichen für ihren Sohn gestellt haben.[23] Gates’ Vater hatte dem Softwareunternehmen seines Sohnes im Laufe der Jahre ebenfalls unter die Arme gegriffen; letztlich wurde Microsoft der größte Klient seiner Anwaltskanzlei.[24]

Der IBM-Deal hatte nur einen Nachteil: Microsoft verfügte über kein eigenes Betriebssystem. Also machten sie sich auf die Suche nach einem Unternehmen, das ein Betriebssystem besaß, und kauften die Software.[25] Dank der Marktmacht von IBM wurde das frischgebackene »MS-DOS« zum Industriestandard und bildete die Basis für Microsofts milliardenschwere Herrschaft über die Computerindustrie.[26] Heute, Jahrzehnte später, laufen die meisten Computer der Welt nach wie vor mit dem Betriebssystem von Microsoft, mittlerweile unter dem Namen Windows. Bill Gates hatte sein unternehmerisches Mantra – »ein Computer mit Microsoft-Software auf jedem Schreibtisch und in jedem Zuhause« – wahr gemacht.[27]

Diese Episode zeigt: Falls Gates tatsächlich genial ist, dann nicht als Innovator, Erfinder oder Technologe, sondern als Geschäftsmann. Er besitzt das Talent, die betriebswirtschaftlichen Dimensionen von Technologie und Innovation zu erkennen, Netzwerke zu knüpfen, Verhandlungen zu führen und vor nichts zurückzuschrecken, bis er sämtliche Fäden in der Hand hält.

Mit der Zeit wurde Gates zu einem der gefürchtetsten Industriemogule. Mit fortschreitendem Wachstum begann Microsoft seine Fühler über die engen Grenzen der Computersoftware hinweg auszustrecken. Es erwog die Übernahme von Ticketmaster, einem Unternehmen mit riesiger Marktmacht, das Tickets für Konzerte und Sportereignisse verkauft.[28] Dann erschien Gates unter großem Medienrummel bei einer Konferenz der Zeitungsbranche und löste Schockwellen rund um potenzielle Übernahmen von Medienunternehmen aus. (Microsoft baute das Online-Magazin Slate und die Nachrichtenwebseite MSNBC auf, von denen es sich später wieder trennte.)[29] »Jeder in der Kommunikationsbranche hat panische Angst vor Microsoft, mich eingeschlossen«, sagte Medientycoon Rupert Murdoch damals.[30]

Irgendwann begann sich Microsoft in den Augen anderer Unternehmen von einem Monopol zu einem Imperium zu entwickeln – mit einem ähnlichen Status, wie ihn viele Regierungen dem Militär der USA zuschreiben. Mit der bloßen Bewegung eines Flugzeugträgers in die eine oder andere Richtung vermag das Pentagon eine machtvolle Botschaft auszusenden: Eure Zukunft liegt in unseren Händen.

»Ich habe jahrelang gegen Microsoft angekämpft, aber ich habe nie ganz verstanden, wie groß Microsoft geworden ist, nicht nur als Unternehmen, sondern als Marke und Teil des nationalen Bewusstseins«, bemerkte Eric Schmidt, damals CEO von Novell (und später von Google), im Jahr 1998. »Es sind die Produkte, die Marketing-Maschinerie von Microsoft, Bill Gates’ Vermögen, die ganzen Hochglanz-Titelgeschichten. Einfach alles.«[31]

Der Gigant Microsoft war jedoch nicht unbezwingbar. Das Unternehmen beging unter Gates’ Führung eine Reihe größerer Fehltritte und erkannte nicht, dass das expandierende World Wide Web eine existenzielle Bedrohung für den Marktanteil von Microsoft darstellte. Um Schritt zu halten, heckte Microsoft unbeholfen den Plan aus, den modembasierten Internetdienstanbieter America Online fallen zu lassen, in den Paul Allen persönlich stark investiert hatte. Gates bemerkte gegenüber einem Bekannten von Allen beiläufig: »Warum sollte Paul gegen uns antreten? Ich will doch Russ Siegelman [dem Chef von Microsoft Network] nur sagen, dass er jedes Jahr Geld verlieren soll, bis wir im Online-Geschäft Marktführer sind. Welchen Sinn hätte es, mir da Konkurrenz zu machen?«[32] Allen wusste, was die Stunde geschlagen hatte, und stieß seine Aktien ab.

Gates und Microsoft entwickelten auch ein Interesse an Internetbrowsern. Netscape hielt mittlerweile den größten Marktanteil. Microsoft legte den Computerherstellern Daumenschrauben an und drängte sie zum Verkauf von Geräten, auf denen bereits sein eigener Browser, Internet Explorer, und sein Betriebssystem, Microsoft Windows, vorinstalliert waren.

Dies erwies sich als der Anfang vom Ende von Gates’ Karriere bei Microsoft. 1998 folgte eine sehr öffentlichkeitswirksame Antitrust-Klage, bei der das Justizministerium dem Unternehmen Monopolmissbrauch vorwarf.[33] Mit unfassbarer Hybris kam Gates zu dem Schluss, dass er persönlich den Staatsanwälten der Regierung ihre Grenzen aufzeigen könne, und erklärte sich zu einer auf Video aufgezeichneten eidesstattlichen Aussage bereit – eine zutiefst beschämende Vorstellung, die verheerende Auswirkungen auf sein Unternehmen hatte. Tagelang gab Gates den arroganten Besserwisser; er drehte den Anklägern auf ermüdende Weise jede ihm gestellte Frage im Munde herum – wobei er sogar über die Definition des Wortes »Definition« diskutieren wollte – und versuchte permanent, die Intelligenz der gegnerischen Anwälte in Frage zu stellen. (Videos der Befragung sind auf YouTube zu sehen.) Es war ein zur besten Sendezeit dargebotenes Paradebeispiel für Bill Gates’ Fähigkeit, herumzulavieren, und seinen überspannten Gott-Komplex. Paul Allen – und der Rest der Welt – verfolgten Gates’ öffentliche Bloßstellung mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen.

»Bald richtete sich auf breiter Front die Stimmung gegen Microsoft, und das traf Bill ins Herz«, schrieb Allen. »Er war der Liebling der Wirtschaftspresse gewesen, der gewiefte Unternehmer, das technische Genie. Nun stellten ihn die Medien als Tyrannen dar, der die Regeln manipuliert oder gar gebrochen hatte«, erzählte Allen.

Das Gericht entschied 1999 gegen Microsoft und erklärte das Unternehmen zu einem Monopol, das Innovation verhindere. Viele der härtesten Strafen, darunter die Anweisung, das Unternehmen zu zerschlagen, wurden jedoch im Berufungsverfahren aufgehoben.[34] Dennoch gingen gegen Microsoft weiterhin unter großem öffentlichen Interesse Anfechtungsklagen ein, und zwar sowohl von Konkurrenten als auch der Europäischen Union, die den zweifelhaften Ruf des Unternehmens weiter festigten.[35]

Mit einem Mal sah sich Bill Gates öffentlichen Schmähungen ausgesetzt. DieSimpsons machten sich über seinen Monopol-Nerd-Überkompensations-Komplex lustig. Bill Gates wie auch Microsoft mussten neue Wege einschlagen. Das war die Geburtsstunde der Gates Foundation.

Bill Gates hatte sich im Laufe der 1990er Jahre immer wieder in der Philanthropie versucht, doch als sich die Antitrust-Klage gegen Ende des Jahrzehnts zu einer handfesten PR-Krise auswuchs, erhöhte er seine wohltätigen Spenden in Windeseile um mehrere Größenordnungen. Ende 2000 hatte er bereits mehr als 20 Milliarden Dollar in die neu gegründete Gates Foundation gepumpt.[36] Plötzlich war Bill Gates nicht nur der großzügigste Philanthrop auf Erden, sondern mit einem 60 Milliarden schweren Privatvermögen auch der reichste Mensch der Welt.[37] Paradoxerweise sollte er sich jahrzehntelang dieser beiden Dekorierungen erfreuen. Egal, wie viel Geld er auch verschenkte – er schien stets der reichste Mensch der Welt zu bleiben. (Mittlerweile ist er mit über 100 Milliarden Dollar auf dem Konto auf den sechsten Rang abgerutscht.)[38]

Gates’ plötzlich erwachte Freigebigkeit inmitten einer PR-Krise stieß zunächst auf wohlbegründete Skepsis. »Räuberbarone« und Industriemagnaten vergangener Tage wie John D. Rockefeller und Andrew Carnegie hatten in ihren späten Jahren Wohltätigkeit genutzt, um die destruktiven geschäftlichen Unterfangen zu vertuschen, die sie so reich gemacht hatten. Zudem kann die amerikanische Philanthropie seit jeher eine reiche Tradition an Skandalen und Kontroversen vorweisen. In den letzten Jahren wurde bekannt, dass der verurteilte Sexualstraftäter Jeffrey Epstein mit Hilfe wohltätiger Spenden ein einflussreiches Netzwerk aufbauen konnte, das ihn vor öffentlichen Untersuchungen schützte. Die Familie Sackler, deren Geschäftemacherei mit dem Schmerzmittel Oxycontin eine Opioid-Epidemie in den USA befeuerte, stürzte sich in philanthropische Aktivitäten, um die feine Gesellschaft davon abzuhalten, die Quelle ihres Reichtums genauer unter die Lupe zu nehmen.[39] Lance Armstrong galt dank seiner gemeinnützigen Arbeit in der Livestrong Foundation als Menschenfreund, selbst angesichts der – später als berechtigt erwiesenen – Beschuldigungen, er habe seine Dominanz im Radsport der Einnahme von Dopingmitteln zu verdanken gehabt.[40] Hillary Clinton geriet in die Kritik, als bekannt wurde, dass sie sich in ihrer offiziellen Rolle als Außenministerin der Vereinigten Staaten mehrmals mit Spendern der Clinton Foundation traf, darunter auch Melinda French Gates (Clinton bestritt jegliche unangemessene Beeinflussung).[41] Die Trump Foundation verkündete 2018 ihre Auflösung, nachdem die Leiterin der Strafverfolgungsbehörde des Staates New York den Vorwurf erhoben hatte, sie »sei nicht viel mehr als ein Scheckbuch im Dienste von Herrn Trumps Geschäften und politischen Interessen«.[42]

Das Talent der globalen Elite, mit Hilfe von Philanthropie private Interessen voranzutreiben oder dem eigenen Ruf zu neuem Glanz zu verhelfen, war in den Anfangstagen der Gates Foundation noch Gegenstand der Berichterstattung. Um die Jahrtausendwende hatten Journalisten den Mut, mit Gates’ Kritikern zu sprechen und seine Spendentätigkeit offen in Frage zu stellen. Zum Beispiel wiesen sie darauf hin, dass seine Stiftung öffentlichen Bibliotheken Computer mit Microsoft-Software überließ. »Das geht nicht mal mehr als Philanthropie durch«, sagte ein Kritiker damals. »Damit bestellen sie auf dem Markt nur ihr eigenes Feld, indem sie künftigen Verkäufen den Weg bereiten.«[43]

Zugleich etablierte sich allmählich ein anderes Narrativ, das Gates geneigter war. Was könnte er mit seiner gnadenlosen Kampfhundmanier davon haben, gegen Krankheit, Hunger und Armut vorzugehen, statt seine Konkurrenten niederzumachen? In dieser Erzählung wurde Gates zum großen Erneuerer, zu einem, der mit seiner in Seattle neu gegründeten Stiftung der bisher mit Samthandschuhen angefassten Welt der Philanthropie eine längst überfällige Verantwortlichkeit übertrug. »Das bedeutet, die Forschungen und kompromisslosen Analysen, die Gates … jahrelang im Zuge der Entwicklung von Softwareprodukten durchgeführt hatte, weiterhin umzusetzen, doch sie nun der Ausrottung von Malaria oder Kinderlähmung in Entwicklungsländern zu widmen«, berichtete das Magazin Time im Jahr 2000.[44]

Dass Gates nun auf Wohlwollen in den Nachrichtenmedien hoffen konnte, war möglicherweise auch der Tatsache geschuldet, dass seine philanthropischen Aktivitäten eine tief verwurzelte Faszination für Reichtum ansprachen. Hier war ein Mann, der mit seinen Geschäften unverschämt reich geworden war und nun scheinbar alles wieder weggab. Er war ein Held und ein Musterbeispiel dafür, dass der Kapitalismus letztlich und ausnahmslos sein Versprechen einlöst, alle Boote zu heben. Selbstverständlich schadete es auch nicht, dass die Gates Foundation begann, Hunderte Millionen Dollar an Nachrichtenmedien zu spenden (vom Guardian über den Spiegel und Le Monde bis zu ProPublicaund National Public Radio), und ebenso wenig, dass Melinda French Gates mehrere Jahre der Redaktionsleitung der Washington Post angehörte.[45]

Außerdem standen Gates’ philanthropische Erkundungen in Einklang mit dem damals vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell, wonach agile und effiziente private Akteure unserer schwerfälligen bürokratischen Regierung eine Menge Arbeit abnehmen konnten – und sollten. Ob in großem Stil geförderte Landwirtschaft, Bildung oder Finanzgeschäfte – Bill Gates wurde zu einem wichtigen Partner und unersetzbaren Vorkämpfer für Geschäftsinteressen, der eine kommerzielle Ideologie im Zeichen der Wohltätigkeit gesellschaftsfähig machte. Im selben Maße, wie Microsoft durch Entfachen einer Computerrevolution im Handumdrehen den gesellschaftlichen Fortschritt befeuert habe, so Gates, werde seine Stiftung nun mit pharmazeutischen und agrochemischen Unternehmen zusammenarbeiten, um Kranke zu heilen und Hungrige zu speisen.

Bei einem Gipfeltreffen im Weißen Haus feierte US-Präsident George W. Bush dieses neue Philanthropie-Modell 2007 als »phantastisches Beispiel für soziales Unternehmertum – Geschäftstüchtigkeit als Lösung für gesellschaftliche Probleme«.[46] Barack Obama verlieh Gates die Presidential Medal of Freedom, Queen Elizabeth schlug ihn zum Ritter und von der indischen Regierung erhielt er den Padma-Bhushan-Orden für ausgezeichnete Dienste.[47] Jede Ehrung schien eine weitere nach sich zu ziehen. Nachdem er als Person des Jahres 2005 gemeinsam mit Bono und Melinda, die hinter ihm abgebildet waren, auf dem Titelblatt des Magazins Time zu sehen war, verankerte der 109. US-Kongress das Ereignis mit Resolution 638 des Abgeordnetenhauses, in der er »Bill Gates, Melinda Gates und Bono gratuliert«. Die Resolution konnte 71 Miteinreicher verbuchen.[48]

»Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass Bill Gates der bedeutendste Mensch unserer Generation ist. Das meine ich genau so«, erklärte Journalist Andrew Ross Sorkin, während er 2019 bei einer Veranstaltung der New York Times neben Gates saß. »Was er in der Privatwirtschaft bei Microsoft getan hat, hat unsere Kultur und unsere Lebensweise verändert. Und was er jetzt mit seiner Stiftung tut, verändert die Welt.«[49]

Während die Kunde von Gates’ guten Taten – oder der Kult um sie – immer weitere Kreise zog, fanden die außergewöhnliche Habgier und zerstörerische Monopolmacht, die ihm zum Status eines solch großzügigen Philanthropen verholfen hatten, nicht etwa Vergebung: Die Welt vergaß schlicht und einfach das erste Kapitel seiner Laufbahn. Das schiere Gewicht der Stiftungsspenden – bis Anfang 2023 etwa 80 Milliarden zugesagte Dollar – zerstreute jeglichen noch verbliebenen Argwohn hinsichtlich seiner Intentionen.[50] Zweifellos dienten Gates’ umfangreiche Zuwendungen einem größeren Wohl und waren nicht nur eine Lösung für sein Imageproblem. Er hatte sich wirklich dem Aufbau einer langfristig wirkenden wohltätigen Einrichtung gewidmet – die, wie die Stiftung gerne hervorhebt, Leben rettet.

Bei einer Veranstaltung im Jahr 2006 verkündete der Multimilliardär Warren Buffett, er werde der Gates Foundation einen großen Teil seines Privatvermögens spenden und damit ihre Finanzkraft erheblich vergrößern. Daraufhin erklärte Gates, dass wir noch zu seinen Lebzeiten »über Impfstoffe und Medikamente verfügen werden, die uns vom Joch [der 20 tödlichsten Krankheiten] befreien«.[51] Jahre später, 2020, setzte Gates noch eins drauf und verkündete, die Stiftung wolle »nach den Sternen greifen«: »Das Ziel ist kein kleinteiliger Fortschritt. Es geht darum, unter höchstem Einsatz und großen Risiken unsere Anstrengungen und Ressourcen in die Waagschale zu werfen, um im Erfolgsfall Leben zu retten und zu verbessern.«[52]

Versprechen wie dieses wurden zum Markenzeichen der Stiftung. Bei jeder Gelegenheit lenkte Gates unseren Blick hin zur leuchtenden Stadt auf dem Hügel, die er erbauen würde, einem Ort, wo »alle Leben gleich viel wert sind«. In einer Welt, die verzweifelt auf Helden wartet, wollten die meisten an seine utopische Vision glauben. So wurde Bill Gates auf seinem wohltätigen Kreuzzug nicht nur unanfechtbar, sondern sakrosankt.

Man kann gar nicht genug betonen, wie außergewöhnlich, umfassend und schnell sich Gates’ öffentliche Transformation vollzog. Er wandelte sich laut ABC und CNBC von einem gierigen, kaltherzigen, tyrannischen Monopolisten zu einem »Philanthropen der leisen Töne« und einer »freundlichen, mitfühlenden und unaufdringlichen« Führungsperson.[53] Natürlich hatte sich Bill Gates in Wahrheit nicht verändert. Er hatte sich keiner Gehirntransplantation unterzogen oder eine geheimnisvolle Wesensveränderung erfahren. Gates blieb bei der Gates Foundation derselbe dominante, barsche Tyrann, der er bei Microsoft gewesen war, ein Vulkan voller Emotionen, der jederzeit ausbrechen konnte. »Zu siebzig Prozent war Bill gegenüber anderen Leuten ein komplettes Arschloch und zu dreißig Prozent der harmlose, lustige, supersmarte Nerd«, verriet mir ein früherer Mitarbeiter. »Das Gute bei der Arbeit war«, sagte ein anderer, »dass man bei Bill immer wusste, woran man war – im Guten wie im Bösen. Wenn Bill etwas sagte, wartete man gespannt – nach dem Motto: Was lässt er heute raus?«

Dagegen trat Melinda French Gates privat wie auch öffentlich immer gleich auf – glattgebügelt, fast wie nach einem Drehbuch, wie meine Quelle sagte. Und wenn beide gemeinsam bei einem Meeting erschienen, bedeutete das natürlich: »Alle Augen waren auf Bill gerichtet. Was sagt seine Körpersprache heute? Wird er fluchen? Mit Gegenständen werfen? Denn Melinda hätte so etwas nie getan.«

Bill Gates weiß die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und hat keinerlei Skrupel, die Ellenbogen auszufahren oder Wutanfälle zu bekommen. Wenn nicht alles nach seinen Wünschen geht, wenn er sich herausgefordert fühlt oder die Lage nicht so unter Kontrolle hat wie gewünscht, ist die Hölle los. Ja, Menschen sind komplex, aber ein »Mann der leisen Töne« ist Gates noch nie gewesen. Im Gegenteil – seine karitative Arbeit sollte dazu beitragen, dass seine Stimme noch lauter zu hören war. Zudem hat er seine Philanthropie äußerst effektiv eingesetzt, um in weit gestreuten Themenbereichen eine Führungsrolle zu übernehmen, sein Banner zu hissen und die Herrschaft über die von ihm angestrebten Gebiete zu beanspruchen – von den sogenannten Krankheiten der Armen über Landwirtschaft im subsaharischen Afrika bis zu Bildungsstandards in den USA. Diese Projekte hat er mit einer sehr klaren ideologischen Vorstellung, wie die Welt funktionieren sollte, geleitet. Dazu gehören die Entwicklung von Lösungen für gesellschaftliche Probleme mittels Innovation und Technologie, die Stärkung der Vormachtstellung der Privatwirtschaft, das Hervorheben der Bedeutung von geistigem Eigentum und vor allem die Umgestaltung der Welt, die Bill Gates einen Platz am Tisch der Entscheidungsfindungen sichert – möglichst oft den am Kopfende.

Bill Gates praktiziert Wohltätigkeit grundsätzlich anders, als Sie oder ich es tun würden. Es ist nicht so, dass die Gates Foundation armen Menschen Geld gibt und diese es nach ihren Wünschen ausgeben können. Ebenso wenig hört sie sich vor Ort die Sorgen potenzieller Hilfsempfänger an, bedenkt ihre Lösungsvorschläge und unterstützt ihre Ideen. Vielmehr lässt Gates Geld aus seinem Privatvermögen in seine Privatstiftung fließen. Dann versammelt er in der 500 Millionen Dollar teuren Stiftungszentrale eine kleine Schar von Beratern und Experten, um zu entscheiden, welche Probleme seine Zeit, Aufmerksamkeit und Geldmittel wert sind – und welche Lösungen angestrebt werden sollen. Anschließend pumpt die Gates Foundation Geld in Universitäten, Denkfabriken, Nachrichtenredaktionen und Interessenvertretungen, wobei diese sowohl einen Scheck als auch eine Checkliste mit den zu erledigenden Dingen erhalten. Und schon hat Gates eine Echokammer voller Befürworter geschaffen, die den politischen Diskurs in die Richtung seiner Ideen lenken. Die Ergebnisse sind verblüffend.

Im Alleingang hat die Gates Foundation im US-amerikanischen Bildungswesen eine der bedeutendsten und kontroversesten Veränderungen der letzten Jahre finanziert – die Common Core State Standards, die der öffentlichen Bildung vom Kindergarten bis zum Highschool-Abschluss im Grunde ein neues landesweites Curriculum vorgeben. Zugleich ist Bill Gates in vielen afrikanischen Ländern zu einem der lautstärksten Reformer der Agrarpolitik geworden. Er treibt Dutzende neuer Regeln, Verordnungen, Gesetze und Maßnahmen der öffentlichen Politik voran, immer gemäß seiner privatwirtschaftlichen, unternehmensgesteuerten, auf Patente gestützten Vision einer Weltwirtschaft, wie sie seiner Meinung nach funktionieren sollte. Und während unsere gewählten Regierenden in der Covid-19-Pandemie an einem Reaktionsplan herumbastelten, schlug Gates Kapital aus den jahrzehntelangen Erfahrungen der Stiftung mit Impfstoffen und stieg zu einer Führungsperson auf, die das Schicksal von Milliarden der ärmsten Menschen der Erde in Händen hielt und mehr oder weniger die Rolle der Weltgesundheitsorganisation übernahm.

Auch wenn diese kühnen Interventionen Bill Gates überwältigende Erfolge auf der Weltbühne bescherten, entpuppten sich alle seine Bemühungen in der Praxis als gravierende Misserfolge, und zwar sowohl im Hinblick auf die erklärten Ziele der Stiftung als auch auf jegliche unabhängigen Maßstäbe. Letzten Endes erweist sich die Bewältigung komplexer Probleme wie öffentliche Gesundheit und öffentliche Bildung doch als sehr viel schwieriger, als Bill Gates dachte. Zudem stellt sich heraus, dass das philanthropische Agieren von Milliardären nicht die Lösung ist.

Ja, natürlich haben die wohltätigen Spenden der Stiftung Menschen gelegentlich geholfen. Ihre herrische Herangehensweise hat jedoch zugleich unzählige Kollateralschäden verursacht, die großenteils ignoriert wurden. Das dominierende Narrativ, das die öffentliche Wahrnehmung der Gates Foundation geprägt hat, hat den Fokus auf ihre zukunftsweisenden Ziele, ihre massiven Spenden und die Menschenleben, die sie vorgeblich rettet, gerichtet. In diesem höchst unausgewogenen, einseitigen Diskurs gab es wenig Raum für eine ernsthafte öffentliche Debatte und nur wenige Erkenntnisse über das, was die Stiftung in Wirklichkeit tut. Bill Gates spendet nicht einfach nur Geld, um Krankheiten zu bekämpfen oder Bildung und Landwirtschaft zu fördern. Er nutzt sein riesiges Vermögen, um politischen Einfluss zu erlangen und die Welt nach seinen eng gefassten Vorstellungen umzugestalten.

Kurz gesagt: Man hat uns zu verstehen gegeben, dass Bill Gates ein Philanthrop sei, während er tatsächlich ein Machthaber ist. Und man hat uns die Gates Foundation als Wohlfahrtseinrichtung verkauft, während sie in Wahrheit eine politische Organisation ist – ein Werkzeug, mit dem Bill Gates an die Hebel der öffentlichen Politik gelangen will. »Seine Berühmtheit, sein Ruf und der Umgang mit seinem eigenen Geld öffnen ihm überall die Türen«, bemerkte Mitch McConnell, der damalige Mehrheitsführer des Senats, im Jahr 2020. »In vielen dieser Länder handelt er viel effektiver als die Regierung, und das bedeutet zweifellos einen Mehrwert für die öffentliche Gesundheit auf der ganzen Welt.«[54]

Gates nutzt diese Zugangsmöglichkeiten – die ihm Treffen mit allen möglichen Leuten, von Barack Obama über Donald Trump bis zu Angela Merkel, bescheren –, um erfolgreich Druck auf Regierungen auszuüben, Steuergelder in Milliardenhöhe in seine karitativen Projekte zu stecken. Es sind unsere Steuerabgaben, die Gates’ Wohlfahrtsimperium massiv subventionieren; dennoch sonnt sich Bill Gates allein in dem Ruhm und kann mit unserem Geld faktisch nach seinem Gutdünken schalten und walten. Das Magazin Forbes hat Bill Gates jahrelang auf ihrer jährlich erscheinenden Liste der zehn mächtigsten Personen der Welt geführt, doch weil er Macht im Gewand der Philanthropie ausübt, unterziehen wir diese Macht keiner Prüfung und stellen sie nicht in Frage.

Welche Dimensionen dieser Einfluss hat, zeigt sich vielleicht am nachdrücklichsten in seiner einschüchternden Wirkung. Obwohl zahlreiche Personen der Stiftung kritisch gegenüberstehen, zögern viele trotz einschlägiger Erfahrungen, sich zu äußern, weil sie befürchten, die Unterstützung der Stiftung zu verlieren oder Bill Gates’ Zorn auf sich zu ziehen. Diese Selbstzensur ist so verbreitet, dass in akademischen Kreisen ein Begriff dafür kursiert: Bill chill, was etwa bedeutet »der kalte Bill-Schauer«. Dies ist einer der vielen Widersprüche, die die Gates Foundation ausmachen – die bekannteste humanitäre Einrichtung der Welt ist zugleich eine der weltweit meistgefürchteten Organisationen.

Damit will ich nicht sagen, dass Bill Gates keine guten Absichten hegt. Zweifellos glaubt er wirklich daran, dass er der Welt hilft. Aber uns sollte klar sein, dass er der Welt auf die einzige Art und Weise hilft, die er kennt: indem er die Kontrolle übernimmt. Während seiner gesamten Karriere bei Microsoft und seiner Stiftungsarbeit hat Bill Gates immer wieder einen – vielleicht tragischen – Fehler begangen: Er glaubt unerschütterlich an sich selbst und daran, dass er in allem, was er tut, recht hat und rechtschaffen handelt, dass er der schlaueste Typ auf Erden und ein geborener Anführer ist.

In gewisser Hinsicht sind Gates’ gute Absichten genau das Problem. Wenn wir uns die abscheulichsten Führer der Weltgeschichte ansehen, werden wir auf viele wahre Gläubige und krankhafte Narzissten stoßen – Männer, oder großenteils Männer, die wirklich glaubten zu wissen, was für andere das Beste ist. Irgendwann müssen wir übereinkommen zu erkennen, wie bösartig und undemokratisch dieses Machtmodell ist. Und wir müssen uns darauf einigen, dass eine Humanität, die wahren menschlichen Fortschritt – Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit – erreichen will, Macht ohne Rechenschaftspflicht und illegitime Führer in Frage stellen muss.

Das bedeutet letztlich, dass Bill Gates nicht die Lösung, sondern das Problem darstellt. Er beansprucht Macht, die er sich nicht erarbeitet hat und nicht verdient. In keinerlei Hinsicht hat ihn irgendwer zum Führer der Welt gewählt oder ernannt. Und doch steht er da, schlägt sich auf die Brust, nimmt das Podium in Beschlag und plärrt seine Lösungen für alle Probleme durch ein Megaphon – vom Klimawandel über den Zugang zu Verhütungsmitteln bis zur Covid-19-Pandemie.

Zwanzig Jahre nachdem Gates sein großes philanthropisches Experiment gestartet hat, ist eine Neubewertung des mächtigsten Menschenfreundes der Welt lange überfällig, umso mehr, als sich eine neue Generation von Tech-Milliardären anschickt, in seine Fußstapfen zu treten. Jeff Bezos und seine Exfrau MacKenzie Scott haben zugesagt, den Löwenanteil ihres Vermögens, zusammen über 150 Milliarden Dollar, zu spenden. Mark Zuckerberg hat ähnliche Versprechungen gemacht, wie auch zahlreiche weitere superreiche Unterzeichner der Kampagne »The Giving Pledge«, die die Gates Foundation ins Leben gerufen hat, um Milliardäre zur Wohltätigkeit zu bewegen. Auch wenn es paradox erscheint, ist die Aussicht auf Hunderte von Milliarden oder gar Billionen Dollar an karitativen Spenden kein Grund zur Freude, sondern eher zur Besorgnis.

So wie die globale Elite die Politik durch Wahlkampfspenden und Lobbying beeinflusst, ist auch die Philanthropie ein weiteres Werkzeug der Einflussnahme im Handwerkskasten von Milliardären geworden. Dass die Superreichen ihr Privatvermögen nahtlos in politische Macht verwandeln können, ist ein deutliches Zeichen für ein Scheitern der Demokratie und das Aufkommen einer Oligarchie. Wir sollten dies als Weckruf verstehen, um uns zu fragen, ob das die Welt ist, in der wir leben wollen – einer Welt, in der sich die reichsten Leute am lautesten Gehör verschaffen, in der wir das Anhäufen von Vermögen durch fragwürdige Magnaten beklatschen und bejubeln, weil sie es in aller Öffentlichkeit auf wohltätige Projekte verteilen, in denen ihre politischen Ansichten auf undemokratische Weise befördert werden.

Bill Gates liefert die perfekte Fallstudie, um dieses Vorgehen in Frage zu stellen, weil er in vielerlei Hinsicht das beste Beispiel für die guten Taten ist, die Milliardäre tun können, das allerbeste Beispiel für das, was eine wohlmeinende globale Elite erreichen kann. Im Laufe der Jahre veröffentlichten Journalisten unzählige Artikel über die räuberischen Geld-und-Politik-Verstrickungen der Koch-Brüder und von Rupert Murdoch, doch noch ausführlicher ließen sie sich über Bill Gates als unseren »guten Milliardär« aus und beschrieben seine vorgeblich selbstlosen karitativen Kampagnen zur Rettung der Welt vor sich selbst. Im Gleichklang mit Gates’ massivem PR-Apparat haben die Nachrichtenmedien ein Konstrukt aus allzu simplen Erzählungen oder gar Märchen erzeugt, die in der Botschaft mündeten, dass es kaum Kritikpunkte an der Stiftung gibt, über die es sich zu diskutieren lohnt: Wäre es Ihnen lieber, wenn Bill Gates sein Geld für Sportwagen und Villen ausgeben würde? Wäre die Welt wirklich besser, wenn wir Gates besteuern würden und unsere unfähige Regierung sein Riesenvermögen ausgeben dürfte?

Um diese Fragen zu beantworten und wirklich zu verstehen, wie Bill Gates seinen Reichtum mittels Philanthropie in politische Macht umgemünzt hat, müssen wir sehr tief in eine dunkle, private Institution vordringen. Dort werden wir auf eine wohltätige Stiftung stoßen, in deren Aktivitäten weder Wohltätigkeit nach allgemein gültiger Definition noch die Verlautbarungen und erklärte Mission der Stiftung erkennbar werden.

Wir werden einen Mann finden, dem es gelungen ist, während seines Wirkens als großzügigster Mensch der Geschichte nicht ärmer, sondern reicher zu werden. Wir werden sehen, wie bedeutungslos oder mickrig Bill Gates’ Spenden in Relation zu seinem Riesenvermögen sind – er verteilt Geld, das er nicht braucht und niemals ausgeben könnte. Wir werden erfahren, dass die Familie Gates unzählige persönliche Vorteile aus ihrer Philanthropie zieht. Dazu gehören Milliarden Dollar an Steuererleichterungen, öffentlicher Beifall, politische Macht und sogar die Fähigkeit, ihnen nahestehende Organisationen vermögender oder einflussreicher zu machen – so wie mit der 100-Millionen-Dollar-Spende an die private Elite-Highschool in Seattle, die Bill Gates und seine Kinder besucht haben.

Wir werden erkennen, dass Gates’ karitative Projekte durch zig Milliarden Dollar aus Steuergeldern finanziert werden, wobei die Steuerzahler jedoch kaum erfahren, wohin ihr Geld geht. Zudem werden wir sehen, dass wir die Geldflüsse an vielen Stellen nicht einmal nachvollziehen können, da die Stiftung mit Milliarden Dollar an dunklem Geld agiert.

Wir werden eine wohltätige Stiftung vorfinden, der es anscheinend gleichermaßen darum geht, Geld zu verdienen und zu verschenken, die offen und ausgiebig kommerziell handelt, Privatunternehmen Milliarden Dollar zukommen lässt, Kapitalerträge in Milliardenhöhe einstreicht und sogar Privatbetriebe gründet und führt. Und wir werden auf Whistleblower aus der Privatwirtschaft treffen, die behaupten, dass die Stiftung, wie zuvor schon Microsoft, ihre Marktmacht missbraucht und sich wettbewerbswidrig verhält.

Wir werden das verblüffende Netzwerk erkennen, das die Gates Foundation gesponnen hat, um ihren Einfluss zu vergrößern, und das eine ungeheure Ansammlung von Stellvertretern und »Front Groups« finanziert, die die Ziele der Stiftung nach deren Anweisung verfolgen. Wir werden beobachten, wie diese Organisationen, die von der Stiftung geschaffen, finanziert und gesteuert werden, sich selbst als unabhängige Körperschaften präsentieren, jedoch allem Anschein nach durchgängig die Stiftungsagenda verfolgen. Wir werden analysieren, inwiefern sich diese Stellvertretermacht im In- und Ausland in politische Macht verwandelt, und uns wird aufgehen, dass Gates mit 68 Jahren beabsichtigt, seinen Einflussbereich in den kommenden Jahrzehnten noch zu vergrößern.

Wir werden eine Organisation vorfinden, die ihre Motivation nach eigenem Bekunden aus den »Interessen und Leidenschaften der Gates-Familie« bezieht – nicht etwa aus den Bedürfnissen oder Wünschen ihrer anvisierten Hilfsempfänger. Wir werden es mit einer Organisation zu tun haben, die in sich selbst verliebt ist – in ihre Experten, Antworten, Strategien und ihren Gründer – und allzu bereit ist, jeden niederzuwalzen, der sich ihr in den Weg stellt. Wir werden eine Stiftung mit einem rückwärtsgewandten kolonialen Blick erleben, die sich auf hoch bezahlte Technokraten in Genf und Washington, D.;C., verlässt, um die Probleme armer Menschen in Kampala und Uttar Pradesh zu lösen. Und wir werden auf einen Mann treffen, der auf besorgniserregende Weise am »Main-Character-Syndrom« erkrankt ist, weil er sich ständig seiner Führerschaft und Expertise in Themenbereichen vergewissern muss, in denen er weder qualifiziert noch anerkannt ist oder irgendein Mandat besitzt.

Wir werden eine Organisation erleben, die sich selbst mit allem Nachdruck als Verfechter von Wissenschaft, Vernunft und Fakten vermarktet, aber unverblümt mit Ideologien Handel treibt. Wir werden Zeuge einer Philanthropie, die immense Summen für die Evaluierung und Beurteilung anderer Organisationen ausgibt, jedoch alles dafür tut, dass ihre eigene Arbeit möglichst nicht unabhängig beurteilt und evaluiert wird. Wir werden verfolgen, wie Milliarden Dollar in Universitäten und Nachrichtenagenturen fließen, die verlässlich keine Kritik an der Stiftung üben. Wir werden ein »Erfolgskartell« aus Einzelpersonen und Gruppen vorfinden, die panisch davor zurückschrecken, Bill Gates zu kritisieren, und stattdessen eifrig auf seine guten Taten verweisen, weil sie seine Unterstützung nicht verlieren wollen.[55] Und wir werden von den berechnenden, geschäftstüchtigen Bemühungen der Stiftung hören, Kritiker mundtot zu machen und Debatten im Keim zu ersticken. Doch wir werden auch sehen, dass diesen Bemühungen, den Diskurs zu kontrollieren und zu monopolisieren, Grenzen gesetzt sind. Davon zeugt die bemerkenswerte Kritik, die rings um die Stiftung laut geworden ist, aber nie die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhalten hat.

Wir werden erkennen, dass Bill Gates zugleich ein Wolf im Schafspelz und ein Kaiser ohne Kleider ist. Wir werden einen Mann erleben, der sich mit jeder Faser gegen eine Rechenschaftspflicht sträubt, und eine Institution, deren Aktivitäten nie ihren hochgesteckten Ansprüchen entsprechen – ob es um die Menschenleben geht, die sie zu retten vorgibt, oder den menschlichen Fortschritt, den sie voranzutreiben behauptet. Wir werden mit einem Mann konfrontiert, dem persönlich seit Jahrzehnten, sowohl bei Microsoft als auch in der Gates Foundation, unangemessenes Verhalten am Arbeitsplatz vorgeworfen wird und der die unsägliche Entscheidung getroffen hat, sein wohltätiges Unternehmen Geschäfte mit dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein machen zu lassen. Wir werden feststellen, dass Bill Gates, so ungeheuerlich seine Fehltritte auch sein mögen und so robust unsere sogenannte Cancel Culture auch ist, gegen Kontrollsysteme, selbst vonseiten des Kongresses und der Bundessteuerbehörde der USA, weitgehend immun zu sein scheint.

Wir werden eine zutiefst ahistorische und einfallslose Stiftung erleben, die es vorzieht, jahrzehntealte gescheiterte karitative Projekte wieder auszugraben, wie etwa die »Grüne Revolution« in der afrikanischen Agrikultur und eine Reihe von Aktivitäten zur Familienplanung, die mit Bevölkerungskontrolle liebäugeln. Wir werden einer Institution begegnen, die uns jahrelang aufgefordert hat, den Blick zum Horizont zu richten, zu den wegweisenden Technologien, die sie einführen, und den revolutionären Interventionen, die sie leiten wird. Und wir werden im Großen wie im Kleinen sehen, dass es der Stiftung nicht gelungen ist, die gesteckten Ziele zu erreichen – sei es die Ausrottung der Kinderlähmung, die Einführung bahnbrechender Impfstoffe, die Revolutionierung der Landwirtschaft und des US-amerikanischen Bildungswesens oder die Anleitung der Welt bei der Reaktion auf Covid-19. Wir werden eine Organisation vorfinden, die sich allein dank ihres immensen Reichtums permanent Fehler erlauben darf.

Wir werden eine Institution sehen, die sich an den grotesken ökonomischen Ungleichheiten, die die Welt beherrschen, bereichert, die darauf zählt, dass der Rest von uns zu arm oder zu dumm ist, ihre Freigebigkeit zurückzuweisen. Wir werden erfahren, dass die mehr als 150 Milliarden Dollar, die Bill Gates dank seines Privatvermögens und der Kapitalausstattung seiner Privatstiftung kontrolliert, ein Sinnbild und ein Garant für Ungleichheit sind, nicht ihr Gegenmittel. Wir werden verstehen, dass in unsere Welt durch Gates’ welterschaffendes Wirken nicht mehr Gleichheit oder Gerechtigkeit eingekehrt sind. Wir werden erkennen, dass seine »Vater-ist-der-Beste«-, »Almosen-vom-Tisch-des–Herrn«-, »Noblesse-oblige«-Attitüde das Steuer in die entgegengesetzte Richtung lenkt und sehr oft mehr schadet als nützt. Wir werden begreifen, dass die Gates Foundation keineswegs vorhat, die Welt zu verändern, sondern sie vielmehr genau so belassen will, wie sie ist, und dabei eine aggressive Business-as-usual-Strategie verfolgt, die dem wahren sozialen Wandel, der für die Überwindung der Ungleichheit notwendig ist, einen Riegel vorschiebt.

Wir werden auf eine Organisation treffen, die ihren Zenit erreicht hat und im Sinken begriffen ist – niedergedrückt von der Last ihrer Bürokratie und Hybris, die sich aus den Dünsten einer vergangenen Ära neoliberaler Phantasien speist und verzweifelt versucht, bedeutsam zu bleiben. Und letzten Endes werden wir einen Umschwung in den Nachrichtenmedien wahrnehmen, die 2021 von Cheerleadern zu Kritikern wurden und eine Flut verheerender Schlagzeilen produzierten. Diese zeigen, dass die Zeit für eine Neubewertung des Gates-Kultes reif ist: »Schon lange vor seiner Scheidung war Bill Gates für sein fragwürdiges Verhalten bekannt«, »Bill Gates sollte aufhören, Afrikanern zu erklären, welche Landwirtschaft Afrikaner brauchen«, »Wie Bill Gates den weltweiten Zugang zu Covid-Impfstoffen blockierte«.

Wir werden erkennen, wie verwundbar die Gates Foundation ist und wie viel Verantwortung wir alle dafür tragen, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Irgendwann werden wir in den Spiegel schauen und uns fragen, warum wir es Bill Gates so lange erlaubt haben, so viel Macht von uns zu übernehmen. Wir werden uns den Kopf über unser kollektives Stockholm-Syndrom zerbrechen, das uns glauben gemacht hat, dass wir Gates’ widerrechtliche Machtaneignung bejubeln sollten, statt sie in Frage zu stellen. Und schließlich werden wir begreifen, dass Bill Gates mit seiner Gates Foundation nicht nur irgendein Problem ist, sondern unser Problem.

1Gerettete Menschenleben

In der Oxford Union, dem berühmten Debattierclub, der mit der prestigeträchtigen Oxford University assoziiert ist und in dem vornehme Leute formell diskutieren, fand 2019 eine Debatte statt, in der es um die Frage ging: Ist es unmoralisch, ein Milliardär zu sein? Der Autor Anand Giridharadas, der die Frage bejahte, prangerte die Sünden der Superreichen und die falschen Versprechungen der Milliardär-Philanthropen an.

»Sie finden immer wieder neue ausgeklügelte Wege, möglichst wenig und möglichst prekär zu bezahlen. Steuern umgehen sie auf illegale und legale Weise, indem sie Summen in Billionenhöhe im Ausland verstecken. … Sie betreiben Lobbyarbeit für politische Maßnahmen, die nicht im öffentlichen Interesse liegen, ja, ihm sogar entgegenstehen, aber sie selbst reicher machen. Sie bilden Monopole, die jeden Wettbewerb im Keim ersticken. Sie verursachen soziale Probleme, um Profit daraus zu schlagen …«, wetterte Giridharadas über die lange Liste an Missetaten der Superreichen. »Und sie nutzen Philanthropie für ihre Zwecke, indem sie einen kleinen Teil ihres unter dubiosen Umständen erworbenen Vermögens aufwenden, nicht nur, um ihren Ruf aufzupolieren, sondern vor allem, um so weitermachen zu können wie bisher. … Das sind wissentlich begangene unmoralische Handlungen.«[1] Trotz seines rhetorischen Talents und der volksnahen Argumente verloren Giridharadas und sein Team die Debatte. Gegen Bill Gates hatten sie einfach keine Chance.

Gates und die Wohltaten seiner Foundation waren das wesentliche Argument der Contra-Fraktion, die den Zuhörern das Narrativ vom guten Milliardär einhämmerte. »Sie behaupten, Bill und Melinda Gates seien unmoralisch, obwohl sie die Gates Foundation gegründet haben, die nach der Überzeugung handelt …, dass alle Menschenleben gleich viel wert sind«, gab Peter Singer, Philosoph an der Princeton University, zu bedenken. »Bill und Melinda Gates haben bislang 50 Milliarden Dollar in die Stiftung gesteckt und das ist noch nicht alles. Sie sagen, sie seien unmoralisch, obwohl sie zweifellos schon … Millionen Menschenleben gerettet haben – möglicherweise mehr als jede andere heute lebende Person.«[2]

Schon lange werden Variationen dieses schlagenden Arguments angeführt, um jeder Kritik an Milliardären den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn prominente Vertreter und Vertreterinnen der amerikanischen Politik – von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez über Senatorin Elizabeth Warren bis zu Senator Bernie Sanders – das Daseinsrecht von Milliardären in Frage stellen, machen sie sich damit ausgesprochen angreifbar. Denn sie plädieren für ein Ende der Gates Foundation und damit für den Tod von Millionen Kindern.

Dieser Gesichtspunkt ist in der populären Diskussion über Gates gewissermaßen zur gängigen Meinung geworden; seit Jahren haben sich schon so viele Leute auf ihn berufen, das er in eine Reihe mit dem Gesetz der Schwerkraft und der Gewissheit von Tod und Steuern gestellt wird. Die beiden Dinge, die die meisten Menschen über die Gates Foundation wissen, sind: Sie spendet große Summen und sie rettet Menschenleben. »Um eine ausgewogene, solide und wohlüberlegte Perspektive auf Bill Gates zu entwickeln, muss man in erster Linie die schiere Größe seines Tuns verstehen und berücksichtigen, statt sie auszublenden«, bemerkt die für das Nachrichtenportal Vox tätige Journalistin Kelsey Piper unter Verweis auf »Millionen« Menschenleben, die Gates gerettet habe.[3]

Wer es wagt, sich kritisch über Bill Gates zu äußern, ohne seinen Ring zu küssen, bekommt zu hören: »In Ihrem Artikel erwähnen Sie noch nicht einmal, dass Gates das Leben von Millionen der Ärmsten der Welt gerettet hat.« So David Callahan, Herausgeber der Webseite Inside Philanthropy, in seiner Rezension des ersten Textes, den ich über die Stiftung geschrieben habe, einer Titelgeschichte in The Nation Anfang 2020.[4]

So sehr die Behauptung von den geretteten Menschenleben die öffentliche Diskussion über Gates auch bestimmt, steht sie doch auf äußerst wackligen Füßen. Es sieht so aus, als habe sie nicht über unabhängige Forschung und Evaluierung Eingang ins öffentliche Bewusstsein gefunden, sondern dank der gebetsmühlenartigen Wiederholung durch den riesigen PR-Apparat der Gates Foundation. »Wie Sie wissen, sind heute mehr als 6 Millionen Menschen am Leben, die ohne die von uns finanzierten Impfungen und Impfstofflieferungen nicht mehr leben würden«, bemerkte Bill Gates 2014 im American Enterprise Institute. »Das sind ausgesprochen gut messbare Daten.«[5]

Ein Jahr zuvor hatte Gates jedoch gesagt, seine karitativen Spenden hätten 10 Millionen Menschen das Leben gerettet.[6] Falls das Retten von Menschenleben also messbar ist, handelt es sich keineswegs um eine exakte Wissenschaft. Während die von Gates angegebenen Zahlen von einem Jahr zum anderen schwanken, bleibt eines aber immer gleich: Die Zahl der »geretteten Menschenleben« wird offenbar jedes Mal von der Stiftung oder den von ihr unterstützten Gruppen veröffentlicht.

Die Stiftung hat die Entstehung eines Buches mit dem Titel Millions Saved finanziert und offenbar redaktionell betreut. Herausgegeben wurde es vom Center for Global Development (dessen größter Geldgeber – mit über 90 Millionen Dollar – die Gates Foundation ist).[7] Das der University of Washington zugehörige Institute for Health Metrics and Evaluation, das mehr als 600 Millionen Dollar von Gates erhalten hat, veröffentlichte eine Auflistung der von ihm geretteten Menschenleben in The Lancet.[8] Das »Lives Saved Tool« der Johns Hopkins University und ein Modell des Vaccine Impact Modelling Consortium haben einen ähnlichen Zweck. Beide Organisationen erhalten finanzielle Zuwendungen von Gates.[9]

Obwohl die Stiftung in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig ist – vom amerikanischen Bildungswesen über Agrikultur in Afrika bis zur Familienplanung in armen Ländern –, richtet sich nahezu die ganze geballte Schlagkraft ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf ihr Wirken zugunsten globaler Gesundheit und Entwicklung, weil sie hier am nachdrücklichsten auf Erfolge, auf die von ihr geretteten Menschenleben, verweisen kann.

Gates’ Wettrüsten in Sachen Lebensrettung erreichte 2017 seinen Höhepunkt, als Warren Buffett, einer der renommiertesten Investoren und reichsten Menschen der Welt, Bill und Melinda Gates aufforderte, darüber nachzudenken, was sie mit den 30 Milliarden Dollar gemacht hätten, die er der Stiftung hatte zukommen lassen.[10] »Viele möchten wissen, woher Sie kamen, wohin Sie wollen und warum«, hieß es in Buffetts Schreiben. »Ihre Stiftung wird immer im Scheinwerferlicht stehen. Darum ist es wichtig, dass ihre Arbeit gut nachzuvollziehen ist.«

In ihrer öffentlichen Antwort dankten Bill und Melinda Buffett für »das größte Geschenk, das jemals jemandem gemacht wurde«.

»Wir können Ihnen keine Verkaufs- und Gewinnzahlen präsentieren«, hieß es in dem Schreiben an Buffett. »Es ist kein Aktienkurs zu vermelden. Es gibt jedoch Zahlen, die wir genau im Blick haben, an denen sich unsere Arbeit orientiert und die unseren Erfolg dokumentieren. … Wir erzählen die Geschichte anhand der Zahlen, die uns zu unserer Arbeit motivieren. Beginnen wir mit der wichtigsten: 122 Millionen – die Zahl der Kinder, deren Leben wir seit 1990 gerettet haben.«

Bill Gates erläutert in dem Schreiben: »Im Jahr 2015 überlebten mehr Kinder als 2014. Im Jahr 2014 überlebten mehr als 2013 und so weiter. Zählt man alle zusammen, wurden in den letzten 25 Jahren 122 Millionen Kinder unter fünf Jahren gerettet. Das sind Kinder, die ihr Leben verloren hätten, wenn die Sterblichkeitsrate auf dem Stand von 1990 geblieben wäre.«

Diese spektakuläre Erfolgszahl flocht die Stiftung später in ihre öffentlichen Präsentationen ein – und bezahlte das Magazin Fast Company für ihre Veröffentlichung.[11] Der ebenfalls von Gates gesponserte Guardian publizierte ein in glühenden Worten verfasstes Porträt der Stiftung, die zur Rettung von 122 Millionen Menschenleben beigetragen habe, während sich die New York Times und zahllose andere Medien den Lobgesängen anschlossen.[12] »Die Menge der geretteten Menschenleben lässt sich kaum, wenn nicht unmöglich, beziffern«, verkündete die Redaktionsleitung der Dallas Morning News, als sie Melinda Gates 2020 zur »Texanerin des Jahres« erklärte – eine merkwürdige Auszeichnung angesichts der Tatsache, dass sie jahrzehntelang in Seattle gelebt hatte. »Im Internet ist oft von 122 Millionen die Rede. Wie viele es genau sind, kann man nur raten, auch wenn die Stiftung ihre Erfolge bei der Unterstützung von weltweit immer mehr Menschen auf dem Weg zu einem gesunden, produktiven Leben sorgfältig verzeichnet.«[13]

Zumindest war die Zeitung so ehrlich, als Informationsquelle »das Internet« anzugeben; damit räumt sie unumwunden ein, dass niemand wirklich weiß, wie viele Menschenleben die Stiftung gerettet hat. Dennoch bleibt es zutiefst verstörend, wenn sich die versammelte Redaktionsleitung eines großen Nachrichtenmediums – dessen Aufgabe es ist, die Mächtigen unter die Lupe zu nehmen und Fehlinformationen aufzudecken – hinter eine höchst zweifelhafte PR-Kampagne stellt.

Wo kommen die »122 Millionen« denn nun her? Bei der ersten Erwähnung der Zahl beziehen sich die Gates auf ein Diagramm aus dem Economist, das zeigt, dass die Kindersterblichkeit über die Jahrzehnte hinweg gesunken ist. (Die Gates Foundation scheint seit langem mit der Economist Intelligence Unit zusammenzuarbeiten, der Schwesterorganisation des Economist. Es ist nicht klar, wann diese Beziehung begann.)[14] Macht man sich die Mühe, die titellose Studie aus dem Economist zurückzuverfolgen, so stellt man fest, dass das Diagramm auf einer Untersuchung der Brookings Institution beruht. Wenn man diese Untersuchung ausfindig macht, findet man heraus, dass der Titel des Berichts in Wirklichkeit »Seven Million Lives Saved« lautet.[15] Weder im Economist noch bei Brookings wird die Zahl 122 Millionen erwähnt. John McArthur, der Autor der Brookings-Studie, sagte, er wisse nicht, wie die Stiftung auf diese Zahl gekommen sei, hatte dann aber noch einige Hintergrundinformationen parat. »Das Ergebnis hängt von der gestellten Frage ab«, erklärte er mir. »Verschiedene kontrafaktische Annahmen ergeben unterschiedliche Antworten. Fragt man nach dem weltweiten Fortschritt, erhält man andere Antworten, als wenn man den Fortschritt in Relation zu vorangegangenen Entwicklungen untersucht. Und dann gibt es für jede Annahme jeweils noch eine Reihe weiterer Messprobleme.«

Dies ist ein Bereich, in dem die Gates Foundation ungewöhnlich viel Einfluss und Macht besitzt. Indem sie die Studien und Evaluationen finanziert, die der Welt von ihrer Arbeit berichten, kann sie steuern, welche Fragen gestellt oder welche Daten zugrunde gelegt werden. Das wiederum beeinflusst die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studien. Zudem sponsert die Stiftung gelegentlich die Nachrichtenmedien, die diese Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich machen. Zu einem sehr großen Teil ist das entscheidend für die Geschichte der Gates Foundation: Viel von dem, was wir über ihre Arbeit, ihre Methoden und ihre Erfolge wissen, kommt von der Stiftung selbst.

Wenn wir es der Stiftung überlassen zu bestimmen, wie ihr Erfolg zu bemessen ist – sprich: wie viele Menschenleben sie gerettet hat –, sowie auch die entsprechenden Messungen vorzunehmen, verleihen wir ihr eine gefährliche epistemische Macht. Wir versetzen sie in die Lage zu beeinflussen, was wir wissen und welche Meinung wir von der mächtigsten Privatstiftung der Welt haben. Demzufolge lassen wir uns bei der Bewertung der Gates Foundation von vornherein von ihren eigenen selbstverherrlichenden Marketingkampagnen leiten, obwohl uns diese ebenso gut Anlass bieten könnten, die Stiftung kritisch zu hinterfragen.

Da die Gates Foundation auf keine Presseanfragen zu diesem Buch reagierte, ist unklar, wie sie zu dieser viel verbreiteten Zahl gelangte. Bill Gates’ knappe Erläuterungen lassen darauf schließen, dass seine Analyse vermutlich auf einer Untätigkeits-Annahme beruht – man geht davon aus, dass sich die Sterblichkeitsraten aus den 1990er Jahren ohne die Gates Foundation in den 2000er und 2010er Jahren nicht verändert hätten. Das ist jedoch keine besonders relevante oder aussagekräftige Analyse – es sei denn, man nimmt an, dass die Welt ohne Bill Gates tatsächlich zum Stillstand gekommen wäre. Wie viele der 122 Millionen Menschenleben unmittelbar dank Gates gerettet wurden und wie viele aufgrund unzähliger anderer Variablen und Interventionen, die mit der Stiftung nichts zu tun hatten, verrät eine solche Betrachtung nicht.

Damit will ich keineswegs sagen, dass die Gates Foundation nichts dazu beiträgt, Leben zu retten. Zum Beispiel hilft sie beim Verabreichen von Impfstoffen, die Menschenleben retten. Doch das tun andere Maßnahmen auch – etwa die Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal, der Bau und die Ausstattung von Kliniken sowie Investitionen in die Transportinfrastruktur, die es Patienten ermöglicht, diese Kliniken auch zu erreichen. Wo und wie wir unsere begrenzten Ressourcen für das Gesundheitswesen nutzen, ist letztlich eine politische Frage. Und genau deshalb macht sich die Gates Foundation als undemokratische Kraft angreifbar. Sie nutzt ihren Reichtum und ihre exponierte Plattform, um sicherzugehen, dass ihre Prioritäten auch unsere Prioritäten sind. Sie tut sich mit reichen Nationen zusammen und drängt sie, ihre Mittel aus der Entwicklungspolitik für karitative Projekte der Stiftung einzusetzen, wodurch Steuergelder von anderen Interventionen abgezogen werden, die vielleicht noch mehr Menschenleben retten würden oder einen anderen, noch wichtigeren Nutzen hätten.