Das Buch Josua - Matthias Ederer - E-Book

Das Buch Josua E-Book

Matthias Ederer

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Beschreibung

Das Buch Josua ist ein Buch der idealen Anfänge. Es beschreibt die Ankunft sowie die ersten Schritte des Volkes Israel im Verheißenen Land und zeichnet die Transformation des Landes Kanaan in ein "Israel-Land" nach, das Ausdruck und Widerspieglung israelitischer Identität(en) ist. Zentrale Bedeutung kommt dabei im gesamten Buch der Tora zu, der durch Mose übermittelten Weisung JHWHs, die von Josua (und seinen Zeitgenossen) in mustergültiger Weise bewahrt, aktualisiert und sachgerecht zur Anwendung gebracht wird.

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Neuer Stuttgarter Kommentar– Altes Testament 5/1 –

Neuer Stuttgarter Kommentar– Altes Testament 5/1 –

Herausgegeben von Christoph Dohmen

Matthias Ederer

Das Buch Josua

für Josua

www.bibelwerk.de

ISBN 978-3-460-07041-7

eISBN 978-3-460-51038-8

© Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart 2017

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltung: SatzWeise GmbH, Trier

Druck: fnidr s.r.o., Český Těšín

Printed in the Czech Republic

Vorwort

Die Anfänge des Volkes Israel im Verheißenen Land sind das bestimmende Thema des Buches Josua. Es berichtet von der Ankunft Israels im Land (Jos 3–4), mit der die 40-jährige Wüstenzeit zu Ende geht, es erzählt von Feldzügen gegen die Völker Kanaans und von der Eroberung mächtiger Städte (Jos 6–8; 10–11) und es behandelt die Verteilung des Landes an die Stämme Israels (Jos 13–21). Im Fokus steht dabei allerdings weniger eine vollständige und faktentreue Aufbereitung von ‚Historie‘ – und schon gar nicht eine Geschichtsschreibung im modernen Sinne. Stattdessen verfolgt das Josuabuch ein dezidiert theologisches Anliegen: Es reflektiert Israels Identität(en), deren Grundlagen und Grenzen sowie speziell die Verbindung zwischen Israel und seinem Land und bereitet diese Themen nicht etwa in Form eines abstrakten Traktats auf, sondern in narrativer Weise, indem es in bunten und kräftigen – für moderne Lesende vielleicht manchmal auch zu kräftigen – Linien und Farben ein facettenreiches Bild von Israels ersten Schritten im Land entwirft. Das Josuabuch ist kunstvoll gestaltete Literatur und zwar in seinen lebendig erzählten Passagen, wie etwa der bekannten Darstellung der Eroberung von Jericho (Jos 5,13–6,27), ebenso, wie in den „listenartigen“ Umschreibungen der Gebiete der Stämme Israels in Jos 13; 15–19, die den Lesegewohnheiten von Mitteleuropäerinnen und Mitteleuropäern des beginnenden 21. Jhs. so wenig entsprechen, dass sie von diesen wohl kaum auf Anhieb als interessant und spannend wahrgenommen werden.

Anliegen des vorliegenden Kommentars ist es, als ein „Buch zum Buch“ (CH. DOHMEN) Zugänge zum bisweilen eingängigen und bisweilen schwierigen Text des Josuabuchs zu eröffnen sowie sein theologisches Verstehen zu befördern. Dazu jedoch ist nicht in erster Linie nach der Historie im (oder hinter) dem Josuabuch zu fragen, nach der Faktizität des Erzählten oder den Stufen und Prozessen der Textgenese. Vielmehr sind die Vorstellungen, die das Buch im Verlauf der Lektüre weckt, die Textwelt, die es mit literarischen Mitteln entwirft und ausgestaltet, und zuletzt auch die Sinndimensionen, die es im intertextuellen „Gespräch“ (v. a.) mit Texten der Tora generiert, zu beschreiben. Kurz: Die Aufmerksamkeit gilt – in der Terminologie der Literaturwissenschaft gesprochen – dem Textsinn, der intentio operis.

Die Auslegung und Kommentierung selbst bezieht sich – der Konzeption der Reihe gemäß – auf den Text der Einheitsübersetzung (in der Revisionsfassung von 2017). An einigen Stellen, an denen ein genauerer Blick auf den hebräischen Originaltext das Verstehen erleichtern kann, werden darüber hinaus wörtlichere Arbeitsübersetzungen einbezogen, die jeweils in der Kommentierung abgedruckt sind.

Nachdem der Kommentar nun abgeschlossen ist, möchte ich an erster Stelle Prof. Dr. Christoph Dohmen herzlich danken, der mir als Herausgeber der Reihe ein so spannendes Werk wie das Josuabuch zur Kommentierung übertragen und mir, seinem Assistenten am Lehrstuhl in Regensburg, zugleich große Freiräume für die Arbeit an diesem Band eingeräumt hat.

Ebenso danke ich Herrn Michael Hartmann und Frau Daniela-Maria Schilling vom Katholischen Bibelwerk, die die Drucklegung als Lektoren betreut haben, sowie Herrn Andreas BennerscheidtKrieg von SatzWeise, der die Druckvorlage erstellt hat.

Ein besonderer Dank gilt auch meiner Frau, Martina Ederer, – unter vielem anderen auch für das Korrekturlesen! Gewidmet sei der Kommentar unserem (ältesten) Sohn Josua („chasaq wä=’ämaz …!“).

Matthias Ederer

Regensburg, 28.Ijjar 5777

 

(am 50. Jahrestag des 28.Ijjar 5727)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

ERSTER TEIL: EINLEITUNG

1.Die Bezeichnung des Buches und seine Stellung im Kanon

1.1 Der Sefer Jehoshua (‚Buch Josua‘) im Kanon der Hebräischen Bibel

1.2 Das Buch Jesus im Kanon der Septuaginta

1.3 Anfang und Ende

2.Aufbau und wichtige Themen des Josuabuchs

2.1 Gesamtaufbau

2.2 Einzelübersicht

2.3 A + (B1 + B2) – Ein bedeutsames Kompositionsschema im Josuabuch

2.4 Durchgehende thematische Linien

3.Josua – Der namensgebende Protagonist des Buches

3.1 Die Darstellung Josuas in der Tora

3.2 Josua als Nachfolger des Mose

3.3 Das Profil des Josua im Josuabuch

3.4 Josua als historische Gestalt?

4.Historische Fragestellungen

4.1 Entstehung des Josuabuchs

4.2 Die Entstehungsgeschichte Israels im Land Kanaan

4.3 Fazit

5.Das Buch Josua und die Gewalt

5.1 Die „Vernichtungsweihe“ (cherem)

5.2 JHWH kämpft – für Israel

ZWEITER TEIL: KOMMENTAR

I.Bucheröffnung (Jos 1,1–18)

1.Die Gottesrede (Jos 1,1–9)

1.1 Aufträge (Jos 1,2.6)

1.2 Verheißungen und Zusagen (Jos 1,3–5)

1.3 Toragehorsam (Jos 1,7–8)

1.4 Abschluss (Jos 1,9)

2.Vorbereitungen (Jos 1,10–18)

2.1 Josuas Rede an die Listenführer (Jos 1,10–11)

2.2 Josuas Rede an die ostjordanischen Stämme (Jos 1,12–15)

2.3 Die Antwort der ostjordanischen Stämme (Jos 1,16–18)

II.Erster Buchteil: Die Übereignung des Landes an Israel (Jos 2–12)

1.Die Kundschafter Israels in Jericho (Jos 2,1–24)

1.1 Die Entsendung der Kundschafter (Jos 2,1)

1.2 Bedrohung und Rettung (Jos 2,2–7)

1.3 Der Dialog zwischen Rahab und den Kundschaftern (Jos 2,8–14)

1.4 Die Flucht der Kundschafter aus Jericho (Jos 2,15–23a)

1.5 Der Bericht der Kundschafter (Jos 2,23b–24)

2.Übergänge (Jos 3,1–8,35)

2.1 Die Überquerung des Jordan (Jos 3,1–5,1)

2.2 Gilgal (Jos 5,2–12)

2.3 Israel vor Jericho und Ai (Jos 5,13–8,29)

2.4 Die Proklamation der Tora in Sichem (Jos 8,30–35)

3.Konflikte (Jos 9–11)

3.1 Einleitung (Jos 9,1–2)

3.2 Der Konflikt um die Mitte (Jos 9,3–27)

3.3 Der Kampf gegen Kanaan im Süden (Jos 10,1–43)

3.4 Der Kampf gegen Kanaan im Norden (Jos 11,1–15)

3.5 Summarium der Landnahme (Jos 11,16–23)

4.Resümee der Landnahme zu beiden Seiten des Jordan (Jos 12)

III. Zweiter Buchteil: Die Verteilung des Landes an die Stämme Israels (Jos 13–21)

1.Eine programmatische Gottesrede an Josua (Jos 13,1–7)

2.Die Beschreibungen der Stammesgebiete in Jos 13–19 – ein Überblick

2.1 Der Aufriss der Gebietsumschreibungen

2.2 Leitwörter

3.Der Erbbesitz der ostjordanischen Stämme und die Levitenstädte (Jos 13,8–33)

3.1 Die Idealgeographie des Israellandes östlich des Jordan (Jos 13,8–13)

3.2 Die Leviten – ein Stamm ohne Erbbesitz (Jos 13,14.33)

3.3 Die Gebiete der ostjordanischen Stämme (Jos 13,15–32)

4.Die Modalitäten der Landverteilung (Jos 14,1–5)

5.Erbbesitz für Kaleb (Jos 14,6–15)

6.Der Erbbesitz der westjordanischen Stämme (Jos 15,1–19,48)

6.1 Der Erbbesitz Judas und der Josefstämme (Jos 15–17)

6.2 Das Heiligtum und die Modalitäten der Landverteilung (Jos 18,1–10)

6.3 Der Erbbesitz der sieben „kleinen“ Stämme (Jos 18,11–19,48)

7.Erbbesitz für Josua (Jos 19,49–50)

8.Abschluss der Landverteilung (Jos 19,51)

9.Die toragemäße Gestaltung des Landes (Jos 20,1–21,42)

9.1 Asylstädte (Jos 20,1–9)

9.2 Städte für Priester und Leviten (Jos 21,1–42)

9.3 Fazit zu Jos 20,1–21,42

10.Summarium (Jos 21,43–45)

IV. Dritter Buchteil: Abschluss und Ausblick (Jos 22–24)

1.Auf der Suche nach der Mitte Israels (Jos 22,1–34)

1.1 Die Entlassung der ostjordanischen Stämme (Jos 22,1–8)

1.2 Der Konflikt um den Altar am Jordan (Jos 22,9–34)

2.Das „Testament“ des Josua (Jos 23,1–16)

2.1 Die Einleitung des Erzählers (Jos 23,1–2a)

2.2 Die Rede des Josua (Jos 23,2b–16)

3.Bundesschluss in Sichem (Jos 24,1–28)

3.1 Die Rede des Josua (Jos 24,1–15)

3.2 Die Antwort des Volkes (Jos 24,16–18)

3.3 Dialog (Jos 24,19–24)

3.4 Bundesschluss und Entlassung des Volkes (Jos 24,25–28)

4.Grabgeschichten (Jos 24,29–33)

4.1 Tod und Begräbnis des Josua (Jos 24,29–31)

4.2 Begräbnis der Gebeine des Josef (Jos 24,32)

4.3 Tod und Begräbnis des Eleazar (Jos 24,33)

DRITTER TEIL: ANHANG

I.Wirkungsgeschichte

1.Josua in der Hebräischen Bibel

2.Nachbiblisches Judentum

2.1 Hellenistisch-jüdische Literatur

2.2 Qumran

2.3 Neues Testament

3.Josuarezeptionen im frühen Christentum

4.Josua im Rabbinischen Judentum

5.Josua in der samaritanischen Tradition

6.Ausblick: Exemplarische Nachwirkungen des Josua in der abendländischen Kultur vom Mittelalter bis zur Moderne

II.Das Josuabuch in der Liturgie

III. Ausgewählte Literatur

1.Kommentare

1.1 Kommentare zum Buch Josua

1.2 Kommentare zu anderen biblischen Büchern

2.Exegetische Studien (in Auswahl)

3.Zur Wirkungsgeschichte

IV. Abkürzungen und Abbildungsverzeichnis

1.Abkürzungen rabbinischer und frühjüdischer Schriften

2.Abbildungsverzeichnis

Verzeichnis der Exkurse

Die Israelstele des Pharaos Merenptah

Die Völker Kanaans

Implizite Chronologie in Jos 1–5

Die Lade des Bundes JHWHs

Das „Buch des Aufrechten“

Jos 15,59 in der Septuaginta

Karten der Stammesgebiete Israels

Der Erbbesitz Simeons und der Jakobssegen

ERSTER TEIL:EINLEITUNG

1. Die Bezeichnung des Buches und seine Stellung im Kanon

Die im Deutschen übliche Bezeichnung „Buch Josua“ verweist auf den (menschlichen) Protagonisten des Werks, „Josua, den Sohn des Nun, den Diener des Mose“ (Jos 1,1). Dessen hebräischer Name lautet Jehoshua, was mit ‚JHWH rettet‘ bzw. ‚JHWH ist/bringt Rettung‘ übersetzt werden kann und von durchaus programmatischer Bedeutung für das im Hebräischen als Sefer Jehoshua (‚Buch[rolle] des Josua‘) bezeichnete Buch ist.

Die im Deutschen übliche Form Josua geht auf das latinisierte Iosue der Vulgata zurück, während in der Septuaginta (LXX) Jehoshua und das nach ihm benannte Buch den Namen Jesus tragen.

Sowohl in der Hebräischen Bibel, als auch in der Septuaginta, an deren Anordnung der Bücher sich die AT-Teile der deutschen Bibelübersetzungen anlehnen, ist das Josuabuch unmittelbar im Anschluss an die fünf Bücher des Mose, die Tora, zu finden. Es ist somit das sechste Buch des Kanons. Andererseits jedoch ist es – so man das Augenmerk über die bloße Aneinanderreihung der Schriften hinaus auch auf die Systematik legt, die beiden Kanongestalten zugrunde liegt – jeweils auch als ein erstes Buch profiliert.

1.1 Der Sefer Jehoshua (‚Buch Josua‘) im Kanon der Hebräischen Bibel

In der Hebräischen Bibel eröffnet der Sefer Jehoshua (‚Buch[rolle] des Josua‘) den zweiten Kanonteil, nebi’im (‚Propheten‘), der nochmals in die sog. „Vorderen“ und die „Hinteren Propheten“ unterteilt werden kann. Zu den „Vorderen Propheten“ gehören neben Josua die Bücher Richter, 1/2 Samuel und 1/2 Könige, während unter den „Hinteren Propheten“ die Werke der Schriftprophetie, d. h. Jesaja, Jeremia, Ezechiel und das Zwölfprophetenbuch (Hos, Joel, Am, Obd, Jona, Mi, Nah, Hab, Zef, Hag, Sach, Mal), zu finden sind.

Diese Systematik legt es nahe, die „Vorderen Propheten“, also Jos-2 Kön, als eine größere Einheit wahrzunehmen, die sich ihren Leserinnen und Lesern als eine Darstellung der Geschichte Israels im Verheißenen Land von der Inbesitznahme in der Generation nach Mose (Jos) bis hin zum Verlust des Landes im Babylonischen Exil (2 Kön 25) präsentiert. Im Auge zu behalten ist dabei allerdings, dass diese Bücher – ungeachtet der Tatsache, dass sie Israels Geschichte erzählen – im Kanon dezidiert als ‚Propheten‘ und nicht etwa als „historische“ Schriften ausgewiesen sind, wobei für diese Klassifizierung v. a. das Prophetenverständnis des Deuteronomiums (vgl. Dtn 18,15–22; 34,10–12) von Bedeutung ist. Diesem zufolge ist das konstitutive Element von Prophetie der Rückbezug auf die Tora. Als „Vordere Propheten“ gelesen, thematisieren die Bücher Jos-2 Kön somit die Entfaltung und Auslegung der Weisungen des Mose, oder auch – negativ gewendet – das Vergessen und Missachten der Tora sowie die daraus erwachsenden negativen Konsequenzen. In jedem Fall aber bezeugen sie die bleibende Relevanz der Tora in Israels Geschichte. Explizit formuliert wird dieser für den Prophetenkanon konstitutive Tora-Bezug in Jos 1,7–8:

7Sei ganz mutig und stark, und achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat. Weich nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast überall, wo du unterwegs bist. 8Über dieses Buch der Weisung (= tora) sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genau so zu handeln, wie darin geschrieben steht. Dann wirst du auf deinem Weg Glück und Erfolg haben.

Innerhalb des Kanons stehen diese Worte nicht nur dem Josuabuch selbst programmatisch voran (mehr dazu s. u.), sondern dem gesamten Kanonteil „Propheten“ (nebi’im). Ein Gegenstück finden sie in Mal 3,22–24, den letzten Versen des Maleachibuchs und zugleich des Kanonteils, die in vergleichbarer Weise wie Jos 1,7–8 den Torabezug der Prophetie unterstreichen und darin mit Jos 1,7 zusammenklingen.

22Gedenkt der Weisung (= tora) meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Gesetze und Rechtsentscheidungen übergeben, die für ganz Israel gelten (Mal 3,22).

1.2 Das Buch Jesus im Kanon der Septuaginta

Eine etwas andere Logik liegt dem Kanon der Septuaginta zugrunde. Hier nämlich eröffnet das Buch Jesus eine Reihe von Büchern, zu der zunächst die „Vorderen Propheten“ der Hebräischen Bibel (Jos-2 Kön) gehören. Darüber hinaus umfasst sie aber auch das Buch Rut, das zwischen Ri und 1 Sam platziert ist, sowie – an 2 Kön anschließend – die Bücher der Chronik (1/2 Chr), die Esra-Schriften (1Esdras, Esr/Neh), Ester, Judit, Tobit und die Bücher der Makkabäer. Besonders im „Einfügen“ des Rutbuchs, das zu der Zeit spielt, „zu der in Israel die Richter regierten“ (vgl. Rut 1,1), und in seinem Abschluss auf den König David ausblickt (vgl. Rut 4,17.18–22), zwischen Ri und 1 Sam wird dabei eine historisierende Chronologie greifbar, die der Anordnung der Bücher zugrunde liegt. Somit soll die Abfolge der Schriften von Josua bis zu den Makkabäerbüchern eine zwar auf das Land bezogene, aber keineswegs nur im Land verortete Volksgeschichte Israels von der Zeit unmittelbar nach dem Tod des Mose (vgl. Jos) bis in die hellenistische Epoche hinein (vgl. Makkabäer) nachzeichnen. Dies aber legt eine Leseperspektive nahe, in der auch das Buch Jesus (Jos) selbst als „geschichtliches“ Werk, d. h. als Teil (und Auftakt) einer theologisch deutenden Israel-Geschichte wahrzunehmen ist.

1.3 Anfang und Ende

Beiden Kanonsystematiken, derjenigen der Hebräischen Bibel und derjenigen der LXX – letztere liegt ihrerseits den christlichen Bibelausgaben zugrunde – ist gemeinsam, dass sie dazu anregen, Josua primär als einen Anfang wahrzunehmen: Das Buch beschreibt den Beginn der Zeit Israels im Land (Hebräische Bibel) bzw. den Auftakt einer bis in die hellenistische Zeit nachvollzogenen Israelgeschichte. Das Buch selbst jedoch fordert in der Lektüre auch ein, – komplementär – eine gegenläufige Perspektive zu berücksichtigen: In Israels Anfang im Land nämlich kommt ein die gesamte Tora durchziehender Spannungsbogen zu seinem Abschluss, der um die Thematik der Landverheißung entwickelt ist. Besonders greifbar wird dies im Schlusskapitel des Josuabuchs (Jos 24), das dezidiert als Ende einer in sich zweigeteilten Gründungsgeschichte Israels – bestehend aus der Tora und dem diese ergänzenden Josuabuch – gestaltet ist. Jos 24 lenkt den Blick zurück auf die in der Tora gelegten Grundlagen, unterbindet aber jede weiterführende, auf die Zukunft hin ausgerichtete Perspektive (vgl. Auslegung). So präsentiert sich ein im Kanon gelesenes Josuabuch in spannungsvoller Weise als beides zugleich: als Anfang und Ende.

2. Aufbau und wichtige Themen des Josuabuchs

2.1 Gesamtaufbau

Entlang inhaltlich-thematischer Schwerpunkte und unterstützt durch formale Beobachtungen (vgl. dazu die Auslegung) kann das Josuabuch in drei Buchteile untergliedert werden: Der erste, Jos 2–12, behandelt die Ankunft Israels im Land sowie die Eroberung desselben und der zweite, Jos 13–21, – auf dem ersten Hauptteil aufbauend – die Verteilung des Landes an die zwölf Stämme. Die Kapitel Jos 22–24 schließlich kreisen um die Themen „Konsolidierung des Erreichten“ und „Abschied (des Josua)“. Das erste Kapitel des Buches (Jos 1) aber fungiert als ein Eröffnungstext, in dem nicht nur das im ersten Buchteil (Jos 2–12) geschilderte Geschehen der Landnahme „angestoßen“ und auf den Weg gebracht wird, sondern letztlich alle wesentlichen Themen, die das Buch bestimmen, Grund gelegt sind.

2.2 Einzelübersicht

Die drei an die Bucheröffnung in Jos 1 anschließenden Hauptteile des Josuabuchs können jeweils noch in Untereinheiten gegliedert werden, die in der folgenden Übersicht dargestellt sind. Eine Begründung der Unterteilung findet sich im Zusammenhang mit der Kommentierung.

Jos 1,1–18

BUCHERÖFFNUNG

Jos 1,1–9

Gottesrede mit Beauftragung des Josua

Jos 1,10–18

Interaktionen zwischen Josua und dem Volk

1,10–11

Rede des Josua an die Listenführer

1,12–18

Dialog Josuas mit den ostjordanischen Stämmen

I)Jos 2,1–12,24

DIE ÜBEREIGNUNG DES LANDES AN ISRAEL

Jos 2,1–24

Eröffnung – Israels Kundschafter und die Kanaanäerin Rahab

Jos 3,1–8,35

Übergänge – Israels Ankunft im Land

3,1–5,1

Der Übergang über den Jordan

5,2–12

Beschneidung und Pessach in Gilgal

5,13–8,29

Israel vor Jericho und Ai

8,30–35

Die Proklamation der Tora in Sichem

Jos 9,1–11,23

Konflikte – Die Eroberung des Landes

9,1–2:

Eröffnung: Die Könige Kanaans

9,3–27

Israel und die Gibeoniter: Das Ringen um Israels Mitte

10,1–43

Der Kampf gegen Kanaan im Süden

11,1–15

Der Kampf gegen Kanaan im Norden

11,16–23

Ein Summarium der Landnahme

Jos 12,1–24

Resümee der Landnahme zu beiden Seiten des Jordan

II)Jos 13,1–21,45

DIE VERTEILUNG DES LANDES AN DIE STÄMME

Jos 13,1–7

Gottesrede

Jos 13,8–33

Der Erbbesitz der ostjordanischen Stämme und die Levitenstädte

Jos 14,1–5

Die Modalitäten der Landeverteilung

Jos 14,6–15

Erbbesitz für Kaleb

Jos 15,1–19,48

Der Erbbesitz der westjordanischen Stämme

15–17

Der Erbbesitz Judas und der Josefstämme

18,1–10

Das Heiligtum und die Modalitäten der Landverteilung

18,11–19,48

Der Erbbesitz der „kleinen“ Stämme

Jos 19,49–50

Erbbesitz für Josua

Jos 19,51

Abschluss der Landverteilung

Jos 20,1–21,42

Die toragemäße Ausgestaltung des Israellandes

20,1–9

Asylstädte

21,1–42

Städte für Priester und Leviten

Jos 21,43–45

Resümee

III) Jos 22,1–24,33

ABSCHLUSS UND AUSBLICK

Jos 22,1–34

Auf der Suche nach der Mitte Israels

22,1–8

Die Entlassung der ostjordanischen Stämme

22,9–34

Der Konflikt um den Altar am Jordan

Jos 23,1–16

Das „Testament“ des Josua

Jos 24,1–28

Bundesschluss in Sichem

24,1–15

Rede des Josua

24,16–18

Antwort des Volkes

24,19–24

Dialog

24,25–28

Bundesschluss und Entlassung des Volkes

Jos 24,29–33

Grabgeschichten

2.3 A + (B1 + B2) – Ein bedeutsames Kompositionsschema im Josuabuch

Im Josuabuch ist mehrfach ein auffälliges Strukturprinzip auszumachen, das durch das Schema A + (B1 + B2) formalisiert werden kann. D. h. es finden sich mehrfach drei Textabschnitte mit vergleichbarer Thematik in unmittelbarer Abfolge, von denen v. a. die beiden letzten eng miteinander verbunden sind und zusammen einen Kontrastpunkt zum ersten Abschnitt bilden. Exemplarisch kann dies an Jos 5,13–8,29 aufgezeigt werden, wo in drei Schritten von der Eroberung der beiden Städte Jericho und Ai erzählt wird. Hier findet sich die Erzählfolge

Jos 5,13–6,27:

Eroberung Jerichos

Jos 7,1–26:

Niederlage vor Ai und Beheben der Ursachen

Jos 8,1–29:

Eroberung Ais

Jos 5,13–6,27 erzählt von einem in jeder Hinsicht erfolgreichen Feldzug, der jedoch bei genauerem Hinsehen eher den Charakter einer liturgischen Prozession, denn einer „echten“ Militäraktion hat (A). Einen deutlich anderen Verlauf nimmt die Eroberung Ais, die in Jos 7–8 dargestellt ist. Hier benötigt Israel zwei Anläufe, um die Stadt einzunehmen, da ein erster Versuch (Jos 7) scheitert. Im Anschluss an diese Niederlage müssen zuerst die (theologischen) Gründe für das Scheitern ausgeräumt werden (B1; Jos 7), bevor der zweite Angriff auf Ai (Jos 8) mit der Eroberung der Stadt endet (B2). Im Unterschied zur Eroberung von Jericho wird dabei keiner der beiden Feldzüge gegen Ai als liturgisches Geschehen stilisiert. Stattdessen spielen hier – wie in einer „tatsächlich“ militärischen Unternehmung – taktische Kniffe, wie etwa der in Jos 8 ausführlich beschriebene Hinterhalt der Israeliten, sowie strategische Kalkulationen (vgl. Jos 7,3–4) eine wichtige Rolle. In Jos 5,13–8,29 werden einander somit zwei Feldzüge mit deutlich unterschiedlichem Charakter und Verlauf kontrastierend gegenübergestellt, wobei durch die auf mehreren Ebenen angelegten Gegensätze ein vertiefter und differenzierter „Durchblick“ auf das theologisch Wesentliche möglich wird. So wird z. B. anhand des pointierten Nebeneinanders eines „liturgischen Feldzugs“ gegen Jericho und eines „militärischen Feldzugs“ gegen Ai der Beitrag Israels (und JHWHs!) am Landnahmegeschehen geklärt oder anhand des Wechsels zwischen Erfolg (Jos 6; 8) und Scheitern (Jos 7) die theologische Bedingtheit der Siege Israels transparent gemacht.

Weitere Beispiele für das Schema finden sich in Jos 3,1–5,12; Jos 9–11; Jos 15–17; Jos 22–24. So folgen in Jos 3,1–5,12 auf den ausführlich dargestellten Zug Israels und der Bundeslade durch den Jordan (A; Jos 3–4) zwei eng miteinander zusammenhängende liturgische Vollzüge am ersten Lagerort Israels im Verheißenen Land (vgl. B1 + B2; Jos 5,2–9.10–12), die das „Angekommen-Sein“ Israels in seinem Land theologisch ausdeuten. Jos 9–11 stellt unter dem Thema „Konflikt zwischen Israel und Kanaan“ (vgl. Jos 9,1–2) der letztendlich geglückten Integration einer kanaanäischen Gruppe, die ein vertraglich geregeltes Einvernehmen mit Israel sucht (A; Jos 9,3–27), einen doppelten Feldzug gegen Könige Kanaans gegenüber, die sich gegen Israel verbünden (B1 + B2; Jos 10–11). Jos 15–17 kontrastiert das „ideale“ Stammesgebiet Judas (A; Jos 15) mit dem Stammesgebiet der Josefstämme, das zwar in sich „verdoppelt“ angelegt, zugleich aber auch von mehreren „Brüchen“ durchzogen ist (B1 + B2; Jos 16–17).

Etwas variiert wird das inzwischen „eingeübte“ Schema zuletzt in Jos 22–24, da dieser Abschnitt sowohl nach dem Muster [A + (B1 + B2)], als auch nach dem Muster [(A1 + A2) + B] gelesen werden kann. Im ersten Fall stehen zwei Abschiedsreden bzw. -szenen mit unterschiedlichem Charakter (B1 + B2; Jos 23–24) der (gerade noch) friedlichen Beilegung eines gesamtisraelitischen Konfliktes um den Status der ostjordanischen Stämme (A; Jos 22) gegenüber. Andererseits aber kann Jos 22–23 auch als ein umfassendes Konsolidierungsgeschehen in zwei Teilen interpretiert werden (A1 + A2), das Josuas Lebenswerk besiegelt, während Jos 24 (B) über die Landnahme unter Josua hinaus einen Schlusspunkt unter Tora und Josuabuch setzt (vgl. Auslegung).

Für die Auslegung des Josuabuches ist das Wahrnehmen dieses Strukturschemas insofern von Bedeutung, als es hilft, die entsprechenden Abschnitte in einer dem Text angemessenen Weise aufeinander zu beziehen.

2.4 Durchgehende thematische Linien

Die großen Abschnitte des Josuabuchs mit ihren je eigenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen werden durch gemeinsame Themen, die durch das gesamte Buch hindurch präsent bleiben, verknüpft. Diese gemeinsamen theologischen Themen sind:

(1.)

die Tora und ihre Relevanz für Israels Leben im Land,

(2.)

das Land selbst als Gabe JHWHs an Israel sowie

(3.)

der Sonderstatus der ostjordanischen Stämme.

2.4.1 Die Tora und ihre Relevanz für Israel

Die Tora – ihrer Essenz nach die Gesamtheit der von JHWH an Mose offenbarten Weisung, die den Anspruch erhebt, von Israel bewahrt und getan zu werden und auf die Josua gleich zu Beginn des Buches in der Gottesrede Jos 1,1–9 (vgl. V. 7–8) verwiesen wird – ist auf ganz unterschiedlichen Ebenen in Jos präsent. So ist das Buch zunächst durchzogen von Anspielungen auf und Zitaten aus der Tora (vgl. die Hinweise in der Kommentierung), die verdeutlichen, dass in der „Josuazeit“ im Handeln des Josua bzw. Israels ein auch für die Zukunft mustergültiges Tun der Tora im Land gelingt. Ausdrücklich explizit jedoch wird diese Bindung an die Tora in Formulierungen, die eine Entsprechung zwischen dem Agieren Josuas/Israels und den Vorgaben der Tora konstatieren (vgl. z. B. Jos 8,31.32.35; 11,12.15.20.23; 14,2; 17,4; 21,2). Das Josuabuch stellt somit dar, wie ein der Tora treues Israel im Land lebt und propagiert damit in werbender Absicht ein Idealbild.

Darüber hinaus klingt auch in den Gottesreden an Josua in auffälliger Weise die Tora nach: JHWH spricht im Josuabuch fast durchgehend in den Worten der Tora, seine Reden wirken wie „Collagen“ von Zitaten aus demjenigen Text, den Josua Jos 1,8 zufolge Tag und Nacht studiert. So kann letztlich der Eindruck entstehen, dass JHWH nicht nur in den Worten der Tora, sondern gleichsam auch aus ihnen heraus zu Josua – und ebenso den Generationen Israels nach ihm – „spricht“, um Orientierung und Wegweisungen zu geben.

Folglich kann das Josuabuch als „Buch zur Tora“ qualifiziert werden: Es verweist durchgehend auf die Tora bzw. tritt in einen Diskurs mit ihr ein und es stellt in werbender Absicht den Gewinn vor Augen, der aus dem Tun und Bewahren der Tora im Land erwachsen kann.

2.4.2 Das Land als Gabe JHWHs

Zwar finden sich im Josuabuch keine ausladenden Beschreibungen der Landschaften Kanaans und auch kein euphorisches Lob auf Schönheit, Reichtum und Fruchtbarkeit des Landes – letzteres bleibt Mose in Texten wie z. B. Dtn 8,7–9; 11,11–15 überlassen –, doch kann es mit vollem Recht als das Buch vom Land Israel innerhalb der Bibel gelten. Dabei ist das Land nicht primär als geographische Größe von Bedeutung, da weder die Topographie noch das Klima, weder die naturräumliche Beschaffenheit noch die Verteilung von Ressourcen von Interesse sind. Es wird vielmehr als theologische Größe und als sozialer Raum konturiert.

Für die Theologie des Landes ist die im Josuabuch vielfach explizit artikulierte (vgl. Jos 1,2.3.6.11.13.15; 2,9.14.24; 5,6; 9,24; 18,3; 21,43; 23,13.15.16; 24,13) Überzeugung zentral, dass JHWH das Land an Israel gibt bzw. gegeben hat. In Jos 1,6; 5,6; 21,43 wird dabei deutlich, dass dieses Geben des Landes als Bekräftigung der Zusagen JHWHs an die Väter Israels zu verstehen ist, ihren Nachfahren das Land zu übereignen (vgl. dazu Gen 12,7; 13,14–18; 15,18–21; 17,8; u. v. m.). Die Verbindung zwischen Israel und seinem Land ist somit keine zufällige, das Land nicht einfach eine beliebige Kriegsbeute. Sie gründet stattdessen in einer göttlichen Setzung bzw. in der Selbstverpflichtung JHWHs, eben dem in Jos 1,6; 21,43 angesprochenen Schwur an die Väter, und ist Israel von Anfang seiner Geschichte an eigen – ungeachtet der Tatsache, dass die Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs zunächst außerhalb des Landes leben.

In Jos 13–21 wird die Einlösung der Landverheißung in der Zuteilung von Landbesitz an die Stämme Israels konkret, die von einem Gremium, bestehend aus Josua, dem Priester Eleazar und zwölf Repräsentanten der Stämme vorgenommen wird und zugleich in einem Losverfahren erfolgt, in dem sich mittelbar der Wille JHWHs artikuliert (vgl. Jos 14,1–5; 18,2–10).

Hinsichtlich ihrer theologischen Qualität werden die den einzelnen Stämmen zugeteilten Landanteile in Jos als nachalah (‚unveräußerlicher Erbbesitz‘ ; EÜ: ‚Erbbesitz‘) qualifiziert. Als solche sind sie untrennbar mit den Stämmen, Sippen und Familien Israels verbunden, an die sie unter Josua vergeben wurden, d. h. sie dürfen nicht dauerhaft verkauft werden. Dies wird in Lev 25,23 festgelegt und damit begründet, dass JHWH im Letzten der Eigentümer des (ganzen) Landes bleibt, das er Israel übereignet.

Das Land darf nicht endgültig verkauft werden; denn das Land gehört mir, und ihr seid nur [im Status von] Fremde[n] und Beisassen[n] bei mir (Lev 25,23).

Ungeachtet des Umstands, dass nachalah auch den Erbbesitz einer einzelnen Familie bezeichnen kann (vgl. Jos 14,14), ist der Terminus im Josuabuch v. a. auf die Territorien der einzelnen Stämme bezogen, auf denen in Jos 13,8–33; 15–19 der Fokus der Darstellung liegt: Landgabe an Israel realisiert sich in erster Linie in der Zuweisungen von Land an die Stämme, was zur Folge hat, dass die bestimmenden Strukturen des Israellandes v. a. durch die genealogische Struktur Israels determiniert sind. In der Darstellung der Stammesgebiete selbst liegt der Fokus einerseits auf den Grenzen bzw. den Grenzverläufen, die das Land durchziehen und es formen, und andererseits auf den über das Land verteilten bzw. auf den Grenzen gelegenen Städten, die Israel als Wohnsitze dienen. Auffällig sind dabei die sehr unterschiedlichen Konturen und Gestalten der einzelnen, in Jos 13; 15–19 beschriebenen Stammesgebiete, in denen sich letztlich – wie unten in der Auslegung näher plausibel zu machen ist – verschiedene (exemplarische) Ausprägungen israelitischer Identitäten und Identitätskonstruktionen geographisch „materialisieren“. Die einzelnen Territorien stehen somit (auch) für unterschiedliche Möglichkeiten, im Israelland als Israel zu leben.

Mit der Überzeugung, das Land als Erbbesitz von JHWH erhalten zu haben, korrespondiert zuletzt auch – v. a. in Jos 23,13–16 – die Bindung eines dauerhaften, künftig bleibenden Landbesitzes an die Treue Israels gegenüber JHWH und an das Tun des Willens JHWHs. Sind diese nicht mehr gegeben, fällt Israel also von seiner Bindung an seinen Gott ab, steht auch das Wohnen im Land zur Disposition.

2.4.3 Die Bedeutung der Stämme östlich des Jordan

Ein das gesamte Josuabuch durchziehendes Motiv ist auch die große Bedeutung, die den Stämmen östlich des Jordan zukommt (vgl. Jos 1,12–18; Jos 12,1–6; 13,8–33; 22). Sie siedeln außerhalb des Landes Kanaan, jenseits des Jordan, verfügen dort aber dennoch über einen „unveräußerlichen Erbbesitz“ (nachalah), der ihnen durch Mose (nicht Josua!) zugeteilt wurde. So sind sie – obgleich sie geographisch von ihren Geschwistern westlich des Jordan getrennt sind – für das Josuabuch dennoch ein integraler Teil Israels, dem zudem insofern eine besondere Bedeutung zukommt, als die Landgabe östlich des Jordan durch Mose als Paradigma für die Landgabe in Kanaan unter Josua dienen kann. Darüber hinaus stehen die Ostjordanier für ein Israel, das „vollwertig“ außerhalb des Landes – wohl aber mit diesem verbunden – zu leben vermag und können damit auch ein Diaspora-Judentum repräsentieren und legitimieren.

3. Josua – Der namensgebende Protagonist des Buches

Josua ist zugleich Namensgeber und (menschliche) Hauptperson des Buches. Als solche wird er bereits im ersten Vers genannt und dabei als „Sohn des Nun“ bzw. als „Diener des Mose“ vorgestellt. Allerdings wird er auf diese Weise ausdrücklich nicht als eine neue Figur in die biblische Erzählung eingeführt – im Gegenteil: Josua wird bereits mehrfach in den Büchern Ex-Dtn erwähnt. Dabei sind viele Züge des Bildes, das im Josuabuch von ihm gezeichnet wird, v. a. seine Rolle als Anführer Israels und Nachfolger des Mose, nur vor dem Hintergrund der „Josuatexte“ der Tora verständlich, so dass zunächst diese im Überblick darzustellen sind, bevor das Josuabild des Josuabuchs skizziert werden kann.

3.1 Die Darstellung Josuas in der Tora

In der biblischen Erzählung taucht Josua erstmals – ohne dabei dezidiert vorgestellt oder eingeführt zu werden – in Ex 17,8–15 auf. Diese Perikope berichtet von einem Angriff der Amalekiter auf Israel, das sich auf seinem Weg durch die Wüste zum Sinai befindet. In dieser Situation wird Josua von Mose damit beauftragt, ein Heeresaufgebot zusammenzustellen und Amalek abzuwehren (vgl. Ex 17,9), was ihm letztendlich auch gelingt (Ex 17,13). Josua präsentiert sich also bei seinem ersten Auftritt als fähiger militärischer Anführer – und auch als eine Person, die in enger Beziehung zu Mose steht (vgl. dazu auch Ex 17,10–12.14). Beides sind Eigenschaften, die auch sein Bild im Josuabuch entscheidend bestimmen und damit seine „biblische Biographie“ wie ein roter Faden durchziehen. Auffällig ist freilich, dass bei allen anderen Kriegszügen Israels in der Mosezeit, den Feldzügen gegen die Amoriterkönge Sichon und Og (Num 21,21–36) und gegen die Midianiter (Num 31), Mose selbst (vgl. Num 21) bzw. der Priester Eleazar (Num 31), nicht jedoch Josua als Heerführer fungieren.

In Ex 24,13; 32,17 ist angedeutet, dass Josua, der in Ex 24,13 erstmals den Titel „Diener des Mose“ (vgl. auch Jos 1,1) trägt, Mose bei dessen Aufstieg zum Sinai (vgl. Ex 24,12–18) begleitet. Dabei kommt er zwar nicht mit Mose oben auf dem Berg an – dieser Bereich unmittelbarer Gottesgegenwart ist exklusiv für Mose reserviert –, er ist aber dennoch weit genug vom Lager Israels entfernt, um mit der Herstellung und Verehrung des Goldenen Kalbes (vgl. Ex 32,1–6), zu der sich die Israeliten während Moses Bergaufenthalt hinreißen lassen, eindeutig nichts zu tun zu haben. Josua wird von der „Ursünde“ Israels ausdrücklich ausgenommen – er hat ein „Alibi“ – und stattdessen erneut in einen engen Zusammenhang mit Mose gebracht. Letzterer ist auch in Texten wie Ex 33,11 oder Num 11,28–29 greifbar, in denen Josua ein weiteres Mal den Titel „Diener des Mose“ trägt. Ex 33,11 zufolge nämlich soll sich Josua – als einziger Israelit – dauerhaft im bzw. an dem in Ex 33,7–10 konzipierten Offenbarungszelt aufhalten, d. h. in einem Bereich, der eigentlich nur Mose zugänglich ist und an dem JHWH sich einfindet, um zu Mose zu sprechen.

Eine weitere wichtige Rolle des Josua in der Tora ist schließlich seine Teilnahme an der Mission der Kundschafter, die Mose von der Wüste aussendet, um das Land Kanaan zu durchziehen (Num 13–14). In Num 13,9 wird er – unter dem Namen Hosea bin Nun (Hosea ist eine Variante des Namens Josua) – als Kundschafter des Stammes Efraim eingeführt, während Num 13,16 konstatiert, dass Mose ihn in Josua umbenannt habe. Auf diese Weise erfährt er, nachdem er in Ex 17,9–15 ohne Einführung unvermittelt in der Erzählung auftauchte, „nachträglich“ eine vergleichsweise ausführliche Vorstellung, die seine Stammeszugehörigkeit – er ist aus dem Stamm Efraim, also ein Nachfahre des Josef – und damit seinen Ort im genealogischen Gefüge Israels, aber auch (nochmals) seine besondere Beziehung zu Mose, der ihn umbenennt (Num 13,16!), deutlich macht.

In der Kundschaftererzählung selbst profiliert Josua sich zusammen mit Kaleb, dem Vertreter des Stammes Juda, als eine positive Ausnahme – wie bereits in Ex 32,17, als er an der Verehrung des Goldenen Kalbs nicht teilnahm. Die Kundschafter Israels nämlich preisen, nachdem sie von ihrer Mission ins Lager zurückgekehrt sind, zwar durchaus die Schönheit des Verheißenen Landes, vor allem aber versetzen sie die Israeliten durch ihre Schilderungen der unbezwingbaren und mächtigen Bewohner so sehr in Panik, dass das Volk sich weigert, in das Land hinaufzuziehen (Num 13,27–14,5). Darauf reagierend legt JHWH fest, dass die Exodusgeneration, die sich dem Land verweigert, dieses auch nicht betreten wird. Sie muss in der Wüste sterben, die Landverheißung aber soll sich erst an der nachfolgenden Generation bewahrheiten (Num 14,20–23). Ausgenommen von diesem Urteil sind allein Josua und Kaleb, die beide ihren Kundschafterkollegen widersprechen und (vergeblich) versuchen, dem Volk mit dem Hinweis auf den Beistand JHWHs Mut zu machen bzw. es dazu zu bewegen, auf das Wort JHWHs hin in das Land hineinzuziehen (vgl. Num 14,24).

Die Kundschaftererzählung Num 13–14 begründet somit einerseits die besondere Verbindung Josuas zum Land – er ist derjenige, der im Unterschied zu den restlichen Kundschaftern gut über das Land gesprochen hat (vgl. Num 14,7–8) –, andererseits aber auch die Rolle des Josua als Anführer bei der Landnahme. Immerhin war es Josua, der – erneut im Unterschied zu den übrigen Kundschaftern – seiner Überzeugung Ausdruck verliehen hat, dass Israel dank des Beistands JHWHs die Bewohner Kanaans trotz deren Stärke und Überlegenheit vertreiben werde (vgl. Num 14,9) und der damit das „Rezept“ des künftigen Erfolges kennt.

3.2 Josua als Nachfolger des Mose

Im Josuabuch wird Josua in vielfacher Weise als Nachfolger des Mose in Szene gesetzt, was v. a. mit drei Texten der Tora in Zusammenhang steht, die die Funktion und Rolle des Josua, Nachfolger des Mose zu sein, eingehender beleuchten: Num 27,12–23; Dtn 3,23–28 und Dtn 31.

In Num 27,12–23 kündigt JHWH dem Mose dessen nahenden Tod an. Daraufhin bitte Mose darum, dass JHWH einen Anführer für Israel bestimmen möge, der das Volk hinaus- und hineinführen solle (vgl. Num 27,17), um zu verhindern, dass es nach Moses Tod führungslos zurückbleibt, „wie eine Schafherde ohne Hirten“ (vgl. Num 27,17). Auf diese Bitte hin ordnet JHWH an, Josua als Anführer einzusetzen und legt einen Modus der Amtsübergabe fest, der Josuas öffentlicher Legitimierung dienen soll (Num 27,18–21).

Diese Begebenheit, die Num 27 aus der Perspektive des biblischen Erzählers darstellt, wird in Dtn 3,23–28 nochmals von Mose aus seiner eigenen Perspektive und mit gegenüber Num 27 leicht veränderter Akzentsetzung referiert. So spielen die in Num 27,18–21 breit entfalteten Modalitäten der Amtsübergabe in Dtn 3,23–28 praktisch keine Rolle. Dafür werden die Aufgaben des Josua und damit das Profil seines Amtes genauer umrissen: Josua soll Israel über den Jordan, d. h. in das Verheißene Land hinein führen und dem Volk das Land als Erbbesitz zuteilen (Dtn 3,28).

Faktisch vollzogen wird die in Num 27; Dtn 3 angekündigte bzw. angeordnete Einsetzung des Josua als Mosenachfolger in Dtn 31. Hier präsentiert Mose Josua zunächst dem Volk und stellt ihn als den kommenden Anführer vor (Dtn 31,1–6), um dann Josua gegenüber nochmals die in Dtn 3,28 genannten Aufgaben einzuschärfen (vgl. Dtn 31,7). Die eigentliche Einsetzung wird schließlich durch JHWH selbst im Begegnungszelt vorgenommen (vgl. Dtn 31,23), wobei der Auftrag, Israel in das Verheißene Land zu führen, nochmals – und diesmal aus dem Mund JHWHs – wiederholt wird.

Der doppelte Auftrag an Josua, das Volk ins Land hineinzuführen und ihm das Land als Erbbesitz zuzuteilen, ist dabei eng auf die Aufgaben des Mose selbst bezogen. So hat Mose bei seiner Berufung am brennenden Dornbusch (Ex 3,1–4,17) den Auftrag erhalten, Israel aus Ägypten herauszuführen und es in das Verheißene Land zu bringen (Ex 3,8.17). Den zweiten Teil dieses „Exodusprogramms“, das Hineinbringen ins Land, kann Mose jedoch nicht mehr vollständig erfüllen. Er stirbt mit Blick auf, aber letztlich außerhalb des Landes (Dtn 34). Dem entsprechend ist es die Aufgabe des Josua, denjenigen Teil der mosaischen Aufgaben, deren Erfüllung Mose selbst verwehrt bleibt, „abzuarbeiten“. Gleichzeitig erschöpft sich sein mosaisches Amt auch darin. Josua soll also dezidiert kein „Eigenprofil“ gewinnen: Von ihm wird erwartet, „wie Mose“ zu werden.

Parallel zur Einsetzung des Josua als Mosenachfolger findet in Dtn 31 ein weiteres wichtiges Geschehen statt, das auf einer anderen Ebene ebenfalls mit Mosenachfolge zu tun hat: Mose schreibt „diese Weisung“ – im Blick ist der Inhalt der Toraverkündigung des Mose im Land Moab, d. h. der Text von Dtn 5–30 – auf eine Buchrolle (Dtn 31,9) und übergibt diese den Ältesten und Priestern mit dem Auftrag, dieses Buch des Mose alle sieben Jahre (regelmäßig) für alle künftigen Generationen vor dem gesamten Volk zu verlesen und zu erläutern (Dtn 31,10–13.24–29). Da das Buch all jene Worte enthält, die Mose bei seiner Verkündigung und Auslegung der Tora im Land Moab gesprochen hat (Dtn 5–30), macht es – über die projektierte öffentliche Verlesung – letztlich eine regelmäßige „Neuinszenierung“ der mosaischen Verkündigungstätigkeit möglich und kann so Mose als Verkünder und Ausleger der Tora ersetzen. Auch die Torarolle ist somit ein „Mosenachfolger“ – allerdings auf anderer Ebene als Josua. Die Torarolle nämlich bietet als „Speichermedium der mosaischen Verkündigungstätigkeit“ (RÜTERSWÖRDEN, Deuteronomium, 186) die Möglichkeit, das an Mose wirklich Wesentliche auf Dauer – regelmäßig und immer wieder neu – zu vergegenwärtigen: die Übermittlung, Verkündigung und Auslegung der Weisung JHWHs. Josuas Mosenachfolge ist dem gegenüber deutlich begrenzter. Sobald er Moses verbliebene Aufgaben „abgearbeitet“ hat, „erlischt“ sein mosaisches Amt, ohne dass er selbst einen Nachfolger findet. Zudem wird er in der Erfüllung seiner Aufgaben klar der Autorität der Tora unterstellt (Jos 1,7–8), die somit der bleibende und wichtigere Mosenachfolger ist.

3.3 Das Profil des Josua im Josuabuch

Das Josuabuch selbst zeichnet seinen „Titelhelden“ vollständig innerhalb der von der Tora vorgegebenen Linien. Zentral sind dabei die in Dtn 3,28; 31,7.23 formulierten Aufgaben des Josua, die gleich zu Beginn des Buches (Jos 1,2–6) wiederholt werden und von dort aus die wesentlichen Handlungsschritte der Erzählung vorgeben: Josua soll Israel über den Jordan führen und ihm das Land als Erbbesitz zuteilen. Das gesamte Handeln des Josua wird so als schrittweise Ausführung seines Auftrags profiliert. Dem Zuschnitt seines mosaischen Amtes entsprechend bleibt er damit stets im Schatten seines großen Vorgängers und bezieht daraus seine Legitimität, die ihm ausschließlich deshalb zukommt, weil er „wie Mose“ (vgl. Jos 1,17; 3,7; 4,14, …) ist und bleibt. So betont die Erzählung, dass die Eroberung und Verteilung Kanaans durch Josua sein Vorbild in der Eroberung und Verteilung des Ostjordanlandes durch Mose findet (Jos 12). Josuas Umgang mit der durch die Untreue Achans ausgelösten Krise (Jos 7) ist stark durch das mosaische Vorbild während der diversen „Sündenfälle“ der Wüstenzeit orientiert und zuletzt hält Josua eine Abschiedsrede (Jos 23), die in Anliegen, Duktus und bis in den Wortlaut hinein an die ermahnenden Reden des Mose in Dtn 6–11 angelehnt ist.

Mit diesem „Aufgehen“ des Josua in seinem mosaischen Amt geht seine Bindung an die Weisung des Mose einher, die ebenfalls durchgehend betont wird: Josua handelt stets „wie Mose befohlen hatte“ (Jos 4,10; u. v. m.). Damit wird er in seinem gesamten Agieren letztlich zu einem idealen Anwender und gleichzeitig zum ersten nachmosaischen Ausleger der Tora des Mose. Selbst die bekannteste Rolle des Josua, die als erfolgreicher Feldherr, der sein Volk – wie schon in Ex 17 – siegreich durch diverse Schlachten führt, tritt im Gesamt des Buches hinter diesem elementaren Torabezug zurück: Josua ist zuallererst ein Mann des (Tora)Buches – und bleibt so auch nach dessen Tod ein „Diener des Mose“ (Jos 1,1) – und erst dann (auch) ein Mann des Schwertes!

Der Konzeption seines mosaischen Amtes gemäß findet Josua nach seinem Tod keinen Nachfolger, was v. a. in der zweiten Buchhälfte (Jos 13–24) bereits durch ein schrittweises Zurücktreten des Josua von der Rolle als alleiniger Anführer, die ihm in Jos 1–12 ganz eindeutig zukommt, vorbereitet wird. So wird die Verteilung des Landes an die Stämme westlich des Jordan, das zentrale Geschehen der zweiten Buchhälfte, nicht von Josua allein, sondern von einem Verteilungsgremium vorgenommen, dem neben Josua auch der Gesalbte Priester Eleazar und zwölf Vertreter der Stämme angehören. Der Konflikt um den Altar am Jordan in Jos 22 aber wird durch die Repräsentanten der Stämme und den Priester Pinchas – ohne jede Beteiligung des Josua – gelöst. Somit gewinnen in Jos 13–24 mit den Ältesten der Stämme und den Priestern sukzessive jene Institutionen neben Josua – bzw. in Jos 22 sogar an seiner Stelle – an Bedeutung, die nach Josuas Tod das Volk führen und für die Weitergabe und Auslegung der Tora verantwortlich sein werden (vgl. dazu auch Dtn 31,9–13; Ri 2,10).

3.4 Josua als historische Gestalt?

Als Protagonist der im Josuabuch entfalteten Geschichte von den Anfängen Israels im Verheißenen Land – und darüber hinaus auch vieler Perikopen in der Tora – ist „Josua bin Nun, der Diener des Mose“ (vgl. Jos 1,1) ohne Zweifel eine der wichtigen literarischen Figuren des Alten Testaments bzw. der Hebräischen Bibel. Ob und inwiefern allerdings in dieser literarischen Figur Erinnerungsspuren einer oder mehrerer historischer Gestalten verborgen sind, wird kaum verlässlich zu klären sein. Eine historische Rekonstruktion der Anfänge Israels im Land Kanaan (vgl. Kp. 4.2) lässt die Existenz eines „historischen Josua“ allerdings als eher fragwürdig erschienen. Vor allem aber ist die Historizität eines Josua bin Nun für ein Verstehen des Josua buchs ohne Bedeutung. Hierfür nämlich ist allein entscheidend, die literarische Figur des Josua bin Nun genauer in den Blick zu nehmen und deren „Konturen“ zu erfassen.

4. Historische Fragestellungen

Dennoch ist eine der zentralen Fragen, die v. a. für moderne Leserinnen und Leser im Zusammenhang mit dem Josuabuch – einem Buch, das eine Epoche biblischer „Geschichte“ behandelt – im Raum steht, die Frage nach der Historie bzw. der Historizität. Diese aber kann letztlich auf zweierlei Weise gestellt werden: Zum einen als Frage nach der Geschichte des Buches, d. h. nach der Text- und Redaktionsgeschichte und den (wesentlichen) Schritten seiner Entstehung (→ 4.1), und zum anderen als Frage nach der Historizität des im Buch Erzählten und seiner Protagonisten (→ 4.2).

4.1 Entstehung des Josuabuchs

Das Josuabuch zeigt deutliche Spuren einer komplexen Entstehungsgeschichte, die in vielen Details ungeklärt und umstritten ist (und dies wohl immer bleiben wird). Breiter Konsens der Forschung aber ist, dass die entscheidendsten und theologisch spannendsten Etappen der Literargeschichte des Buches in die Zeit des Babylonischen Exils (586/7–539 v. Chr.) und in die nachexilische Zeit, d. h. letztlich in die Spanne zwischen dem 6. Jh. und dem 4. Jh. zu datieren sind. Die folgende Darstellung der wesentlichsten Etappen der Entstehung des Jos orientiert sich v. a. an Überlegungen von E. OTTO.

4.1.1 Vorexilische Anfänge

E. OTTO setzt – wie auch viele andere Exegeten – eine vorexilische Landnahmeerzählung (Jos 2–9*) als ältesten (literarisch greifbaren) Kern des Josuabuchs voraus. Diese verarbeitet ihrerseits zwar noch ältere Sagenstoffe, doch sind über deren Umfang, Inhalte und Gestalt bestenfalls Mutmaßungen möglich. Über die vorexilische Landnahmeerzählung (Jos 2–9*) hinaus könnten zudem auch einzelne Stücke aus Jos 13–21 in die späte Königszeit zurückreichen. So wird z. B. diskutiert, ob hinter den Städtelisten der Stämme Juda und Benjamin in Jos 15,20–62; 18,21–28 eine Art „Distriktsliste“ des Königreichs Juda aus der Zeit des Königs Manasse (696–642 v. Chr.) – und damit ein amtliches bzw. administratives Dokument aus der assyrischen Zeit – stehen könnte.

4.1.2 Das exilische Josuabuch

In der Exilszeit erfährt die vorexilische Landnahmeerzählung (Jos 2–9*) eine ausführliche Überarbeitung durch deuteronomistische Theologen, als deren Resultat ein exilisches (deuteronomistisches) Josuabuch vorliegt. Dieses umfasst neben Landnahmeerzählungen (vgl. Jos 2–11*) auch die Gottesrede in Jos 1,1–9* als Einleitung sowie die Rede des Josua in Jos 23, die zusammen mit einer knappen Notiz zum Tod des Josua den Abschluss des Buches bildet. Die „Todesnotiz“ ist im kanonisch gewordenen Text – in Folge späterer Redaktionsvorgänge am Übergang von Josua- und Richterbuch – in die ersten Kapitel des Richterbuchs „gewandert“ und in Ri 2,8–9 überliefert.

So behandelt das exilische Josuabuch vor allem die erfolgreiche (militärische) Landnahme Israels unter Josua (vgl. Jos 2–11*), verdeutlicht in seinen Rahmentexten (Jos 1*;23) zugleich aber auch, dass militärischer Erfolg und Landbesitz Israels an die Treue zum Bund mit JHWH und an das Bewahren der Tora gebunden sind – und leistet auf diese Weise in der Exilssituation einen wichtigen Beitrag zur Theodizee bzw. zur theologischen Bewältigung von Landverlust und Exil.

4.1.3 Josua und das Deuteronomium

In die (späte) Exilszeit fällt auch noch der nächste entscheidende Schritt, in dem das exilische Josuabuch mit dem exilischen Deuteronomium (Dtn 1–30*) zu einem Buch zusammengearbeitet wird, das somit den Textbestand von Dtn 1,1–30,20*; Jos 1–11*.23; Ri 2,8–9 umfasst. Dieses Werk deutet in Dtn 29 die Verkündigung des deuteronomischen Gesetzes (Dtn 12–26*) durch Mose als Promulgation des am Horeb offenbarten Gotteswillens vor der zweiten Generation Israels im Land Moab. Diese findet statt, nachdem die Exodusgeneration, die Gott untreu war, vollständig in der Wüste gestorben ist. Auf Grundlage des von Mose verkündeten Gotteswillens schließt die zweite Generation – unter Einschluss aller künftigen Generationen Israels (vgl. Dtn 29,13–14) – einen Bund mit JHWH (Moabbund; Dtn 29,9–11). Diesen Bund zu bewahren, ist die Voraussetzung für ein gelingendes Leben im Verheißenen Land, das Israel unter Josua tatsächlich in Besitz nehmen kann (Jos 2–11*). Vor dem Hintergrund dieser theologischen Konzeption lädt das Werk seine (spät-)exilischen Leserinnen und Leser dazu ein, sich mit der zweiten Generation Israels zu identifizieren, die sich – wie sie selbst auch – außerhalb des Landes, wohl aber mit Blick auf dasselbe „verortet“, sich dort – in Abgrenzung von ihren JHWH untreuen Vätern (bzw. Vorgängergenerationen) – auf das deuteronomische Gesetz verpflichtet und die Treue zu JHWH und Tora als Möglichkeitsbedingung für eine glückende Zukunft jenseits des Exils begreift, die in Dtn 30 bereits von Mose in prophetischer Weise angekündigt wurde.

In diesen neuen literarischen Zusammenhang gestellt, sind die deuteronomistisch überarbeiteten Landnahmeerzählungen in Jos 2–11* nicht nur eine Erzählung über die (erste) Ankunft Israels im Land, sondern zugleich auch eine literarische Vorwegnahme einer Heimkehr bzw. einer erneuten Inbesitznahme des Landes nach dem Exil, deren theologische Voraussetzungen – Treue zu JHWH und Bewahren der Tora – sowohl in Dtn 29–30 als auch in Jos 1; 23 geklärt werden.

4.1.4 Hexateuch

Nach dem Exil wird Dtn 1–Jos 23* (+ Ri 2,8–9) mit der in nachexilischer Zeit fortgeschriebenen Priesterschrift (Gen 1–Lev 16*), einem zweiten exilisch-nachexilischen Literaturwerk, das ebenfalls Israels Gründungsgesichte behandelt, zu einem Werk verbunden, das in der Forschung unter der Bezeichnung „Hexateuch“ (‚Sechs-Rollen-Buch‘) geführt wird. Die redaktionelle Verbindung von Dtn 1–Jos 23* und Gen 1–Lev 16* löst mehrere „Schübe“ an Fortschreibungen aus, die u. a. Widersprüche in den Konzeptionen der beiden im Hexateuch vereinigten „Gründungsgeschichten“ Israels ausgleichen sollen. Mit Blick auf das Josuabuch sind v. a. zwei literarische Komplexe von Bedeutung, die in dieser Zeit entstehen. Dies sind die Landvergabetexte in Jos 13–21*, d. h. der zweite Hauptteil des kanonischen Josuabuchs, sowie das Schlusskapitel Jos 24*.

In Jos 13–21* erscheint dabei als wesentlich, dass nun – mit einigen interessanten Abstrichen (vgl. Auslegung) – die Landvergabe an Israel ebenso mit der Person des Josua verbunden wird, wie die Eroberung des Landes, die schon im vorexilischen „Kern“ des Buches als genuine „Leistung“ des Josua galt. Dies führt zu der konzeptionellen Fusion von Landnahme und Landgabe, die auch die Landtheologie des kanonischen Josuabuchs bestimmt und die mit Jos 18,1 gleichsam als Abschluss der Grundlegung der Schöpfungsordnung ausgewiesen ist. Damit aber wird nicht nur vom kompositorischen Zentrum von Jos 13–21 (vgl. Jos 18,1) aus eine Brücke zum Anfang des Hexateuch (Gen 1) geschlagen. Vielmehr beziehen die neu in den Hexateuch eingebrachten Landvergabetexte auch Stellung in mehreren Debatten des perserzeitlichen Judentums. Eine drängende Frage ist dabei – aufgeworfen durch die politischen Verhältnisse der Perserzeit – diejenige nach der räumlichen Erstreckung „Israels“: Ist „Israel“ auf die jüdische Gemeinschaft der kleinen Provinz Jehud rund um Jerusalem begrenzt, oder sind auch die Bewohner der Provinz Samaria mit eingeschlossen? Jos 13–21 bezieht hier klar Stellung zu Gunsten der zweiten Option, wenn in Jos 16–17; 19 ausführlich auch die Stämme und Regionen des Nordens als Teil Israels charakterisiert werden – und darüber hinaus mit Jos 13 zusätzlich das Land östlich des Jordan als „Israelland“ mit ganz eigenem Charakter in den Blick kommt.

Des Weiteren widerspricht Jos 13–21 im Streit zwischen Vertretern der Exilsgemeinschaft und den „esrachim“ (den im Land lebenden Juden) der Idee einer möglichen Neuverteilung des Landes als Teil der Restauration nach dem Exil, wie sie nachexilische Texte aus Kreisen der Exulanten (vgl. z. B. Ez 48) propagieren: Die Zuteilung des Landes als Erbbesitz an die Stämme Israels wurde bereits von Josua – ein für alle Mal – vorgenommen.

Zuletzt aber kann Jos 13–21 als polemische Zurückweisung der persischen Reichsideologie gelesen werden, der zufolge der persische Reichsgott Ahura Mazda allen Völkern ihr jeweiliges Gebiet zugewiesen und sie damit zugleich auch der Oberherrschaft der in seinem Namen regierenden Könige unterworfen habe. Jos 13–21 zufolge trifft dies jedenfalls nicht auf Israel zu, das sein Land von JHWH – vermittelt durch die Hand des Josua, des Eleazar und der Ältesten der Stämme (vgl. Jos 14,1–5) – zugeteilt bekam. Daraus folgt, dass Israel nicht den Gesetzen des persischen Königs, des irdischen Repräsentanten Ahura Mazdas, folgen muss, um in Frieden und Sicherheit auf seinem Land wohnen zu bleiben, sondern ausschließlich der Tora JHWHs.

Der zweite zentrale Text der Hexateuchreadaktion im Bestand des Josuabuchs ist Jos 24*. Dieses Kapitel ist als Abschluss für den Hexateuch konzipiert, greift als solcher auf den gesamten Textzusammenhang von Gen–Jos zurück und lässt das Gesamtwerk mit einer von Josua „moderierten“ Selbstverpflichtung Israels auf die Weisung JHWHs vom Sinai und v. a. auf das Hauptgebot der ausschließlichen Verehrung JHWHs enden, mit einer vollends adäquaten Antwort Israels auf den in der Tora formulierten „AnSpruch“ JHWHs also, die von Josua ebenso verschriftet wird (vgl. Jos 24,26), wie die Tora selbst von Mose.

4.1.5 Die Pentateuchredaktion: Josua als Buch neben der Tora

Mit Jos als Achtergewicht legt der Hexateuch ein starkes Gewicht auf das Land bzw. den Landbesitz als Heilsgabe JHWHs – eine Perspektive, die im 4. Jh. zunehmend zu Gunsten einer Aufwertung der Tora als der allein wesentlichen Gabe JHWHs und als dem Haftpunkt israelitischer Identität zurückgedrängt wird. Eine literargeschichtlich greifbare Konsequenz dieser (noch) stärker auf die Tora orientierten Theologie ist die redaktionelle Abtrennung des Josuabuchs vom Pentateuch. Diese geht mit einer umfangreichen redaktionellen Tätigkeit im Bestand des Pentateuch einher, wobei v. a. die Verhältnisbestimmung der einzelnen Rechtskorpora vereindeutigt und in Richtung einer differenzierten Offenbarungs- und Verschriftungstheorie für die einzelnen Korpora, d. h. letzten Endes in Richtung einer ausgefeilten Rechtshermeneutik weiterentwickelt wird.

Im Josuabuch gehen auf die Pentateuchredaktion Texte wie Jos 8,30–35; Jos 22* und Jos 24,33 zurück und es erreicht mit seiner Abtrennung von dem sich nun als „Torabuch“ konstituierenden Pentateuch weitgehend seinen heutigen Textumfang.

4.1.6 Die Textgestalten des Josuabuchs in hellenistischer Zeit

4.1.7 Resümme

Zusammenfassend kann Jos als das Produkt eines komplexen Entstehungsprozesses gelten, dessen offenkundigstes Zeugnis wohl die „janusköpfige Gestalt“ des Buches ist, die bei einer intensiveren Lektüre leicht greifbar wird. Immerhin führt es einerseits – „hexateuchisch“ – eine intensive „Kommunikation“ mit den Büchern der Tora und verweist durchgehend auf diese zurück, steht diesen andererseits aber – „pentateuchisch“ – auch als separate, eigenständige Größe gegenüber bzw. inszeniert seinerseits die Tora als ein abgeschlossenes Werk, das dem Josua übergeben ist und ihm als „Studienliteratur“ und Maßgabe für sein Handeln dient.

Wie der knappe Überblick zeigt, ist das Josuabuch – auch wenn v. a. in Jos 2–9 (und evtl. auch in Jos 14–19) Texte aus der späten Königszeit zu finden sind – im Wesentlichen ein Werk der exilischen und der nachexilischen Zeit, des 6.–4. Jh. Dies aber bedeutet zugleich, dass ein großer Abstand zwischen der Entstehungszeit der Texte und der Zeit der Anfänge Israels im Land (12./11. Jh.) gegeben ist, von der das Buch erzählt. Dabei lässt es allein schon diese große Spanne von 600–800 Jahren als schwer vorstellbar erscheinen, dass sich im Josuabuch in größerem Umfang historisch verlässliche Informationen über die Entstehungsgeschichte Israels erhalten haben – zumal das eigentliche Anliegen des Buchs sehr offenkundig gerade nicht darin liegt, im Sinne eines modernen Geschichtsbuchs historische Fakten zu sammeln und in geordneter Weise zu präsentieren. Wesentlich sind vielmehr Fragen nach der Identität Israels bzw. nach der Verbindung zwischen dem Volk und seinem Land, die sich vor dem Hintergrund der Probleme und Herausforderungen stellen, mit denen sich die Judäer bzw. das sich formierende Judentum in der exilischen und nachexilischen Zeit konfrontiert sehen. Dabei präsentiert das Josuabuch seine Antwortversuche und theologischen Reflexionen in Gestalt von Literatur bzw. konkret in Form einer fiktionalen Erzählung über Israels Anfänge im Land.

Somit ist es nicht nur – und nicht in erster Linie – der große zeitliche Abstand zwischen der Entstehungszeit des Buches und den Anfängen Israels, der es als problematisch erscheinen lässt, das Josuabuch als historische Quelle über die Verhältnisse im 12./11. Jh. zu lesen, sondern v. a. die literarische Gestaltung und die Pragmatik des Werkes selbst.

Zusätzlich gestützt jedoch wird diese Einsicht auch durch archäologische Funde und historische Erkenntnisse, die auf eine Entstehungsgeschichte Israels in Kanaan hindeuten, die sich markant von dem im Josuabuch entfalteten Narrativ unterscheidet.

4.2 Die Entstehungsgeschichte Israels im Land Kanaan

Unter der Führung des Josua betritt das Volk Israel, eine in Ägypten und in der Zeit der Wüstenwanderung geformte, einheitliche Größe von der ostjordanischen Wüste aus das Land Kanaan, erobert dieses und verdrängt die zuvor dort siedelnden Völker – so könnte in knapper Weise die im Josuabuch gebotene Version der Anfänge Israels im Land Kanaan zusammengefasst werden. Eine derart umfangreiche Migrationsbewegung aber müsste, so sie tatsächlich stattgefunden hat, bis heute greifbare archäologische Spuren hinterlassen haben, wie z. B. Zerstörungshorizonte in Städten, die in dieselbe Zeit fallen, oder das plötzliche Auftauchen einer neuen, einheitlichen materiellen Kultur als Hinweis auf einen umfangreichen Bevölkerungsaustausch.

In der frühen Eisenzeit Kanaans (1250/1200 – 1000 v. Chr.) jedoch, der für die Entstehung Israels relevanten Epoche, findet sich nichts, was das in Jos skizzierte Szenario bestätigen könnte. Sehr wohl aber weisen die zahlreichen Funde aus dieser Zeitspanne darauf hin, dass die frühe Eisenzeit eine Krisen- und Umbruchszeit – nicht nur in Kanaan, sondern letztlich im gesamten Alten Orient – darstellt, in der sich auch ein historisch plausibles Szenario einer Entstehung Israels verorten lässt. Um die beginnende Eisenzeit Kanaans adäquat verstehen zu können, ist allerdings zunächst ein Blick auf die vorausgehende Epoche, die späte Bronzezeit, von Nöten, die in Kanaan in die Zeitspanne von 1550–1250/1200 v. Chr. fällt.

4.2.1 Kanaan in der Spätbronzezeit

Die (späte) Bronzezeit Kanaans ist durch eine Stadtkultur geprägt, d. h. die überwiegende Mehrheit der Bewohner des Landes lebt in einer überschaubaren Anzahl von Städten bzw. in deren unmittelbarem Umland. Diese Städte, die ihrerseits auf einen Urbanisierungsschub in der Mittelbronzezeit (2000–1800 v. Chr.) zurückgehen, sich z. T. aber über den Ruinen noch älterer Stadtanlagen erheben, liegen vornehmlich in den Ebenen bzw. im flacheren Hügelland, d. h. in der Küstenebene (z. B. Achzib, Dor, Aschdod oder Aschkelon), in der Jesreelebene (z. B. Meggido, Jokneam oder Taanach) bzw. im angrenzenden Becken von Bet-Schean (Bet-Schean) und im Jordantal (Jericho), sowie in der Shefela (z. B. Gezer, Ekron, Timna oder Lachisch). Darüber hinaus finden sich – z. T. ausgedehnte – städtische Siedlungen im Norden des Landes, wie z. B. in Hazor oder Dan, oder im Bergland, wie z. B. Sichem und Jerusalem westlich bzw. Pella und Amman östlich des Jordan. Praktisch alle Städte liegen an auch überregional bedeutsamen Handelswegen und partizipieren so an dem regen Fernhandel, der in der Bronzezeit die großen Kulturzentren des Alten Orients, Ägypten im Westen sowie die anatolischen und mesopotamischen Reiche im Norden und Osten, miteinander verbindet.

Hinsichtlich ihrer Größe unterscheiden sich die Städte deutlich voneinander. So reicht die Bandbreite während der Blütezeit der Stadtstaatenkultur in der Mittelbronzezeit von Stadtanlagen mit ca. 3 ha (Jericho) über Städte mittlerer Größe, wie Dan und Akko (ca. 20 ha), bis hin zu „Großstädten“ wie Aschkelon (60 ha) oder Hazor (80 ha). In der Spätbronzezeit jedoch setzt ein langsamer Niedergang der Stadtkultur ein, der bei vielen Städten eine Verkleinerung der Siedlungsfläche mit sich bringt. Einige der mittelbronzezeitlichen Städte (wie z. B. Dan) werden in der Spätbronzezeit sogar ganz aufgegeben.

Was die sozialen und politischen Strukturen anbelangt, so erweisen sich die Gesellschaften der Stadtstaaten als komplex gegliedert. Sie sind arbeitsteilig organisiert und schließen – über eine kleine Oberschicht, bestehend aus der Herrscherfamilie, der Priesterschaft des Stadtheiligtums sowie einer zahlenmäßig sehr überschaubaren Verwaltung (Schreiber etc.), hinaus – (spezialisierte) Handwerker und Händlern mit ein. Dazu kommen als wohl größte Gruppe die Bauern, die zum Teil in der Stadt selbst, zum Teil in ihrem unmittelbaren Umland in dörflichen Siedlungen leben und von dort aus die nahe an den Städten gelegenen Felder bestellen. Das untere Ende der gesellschaftlichen Hierarchie bilden Sklaven und Fremde.

Untereinander sind die Stadtstaaten politisch unabhängig, unterstehen in der Spätbronzezeit, d. h. im 14./13. Jh., aber einer ägyptischen Oberherrschaft. So gelang es den Pharaonen der 18. Dynastie im 14. Jh. eine Provinz Kanaan zu etablieren, die von Gaza aus verwaltet wurde und durch eine zeitweise ansehnliche Truppenpräsenz in Bet-Shean zusätzlich abgesichert war. In der letzten Phase der Spätbronzezeit wird diese ägyptische Oberherrschaft schwächer, um mit dem Übergang zur Eisenzeit gänzlich zu enden.

Interessante Einblicke in die politischen und sozialen Verhältnisse in der ägyptischen Provinz Kanaan bieten die sog. Armana-Korrespondenzen, ein Archiv von insgesamt 379 (erhaltenen) Briefen kanaanäischer Stadtkönige an ihren Oberherrn, den Pharao Amenophis III (1388–1350/51), die in einem Archiv in Armana, der unter Amenophis IV (Echnaton) neu erbauten Residenzstadt Ägyptens, gefunden wurden. Sie dokumentieren eine weitgehende Eigenständigkeit der Stadtstaaten, die z. T. kooperieren, z. T. auch konkurrieren und einander bekämpfen, während der Wille und/oder die Möglichkeiten der ägyptischen Oberherren, sich in die Konflikte aktiv einzumischen oder sie gar zu beenden, begrenzt zu sein scheinen. Interessant ist zudem, dass die Armana-Briefe auch nichtstädtische Gruppen/Elemente in Kanaan bezeugen, die von den Stadtkönigen, aber wohl auch von den Ägyptern selbst, in erster Linie als Unruhestifter wahrgenommen werden. Dies sind zum einen Gruppen, die als Hapiru / Apiru geführt werden. Die Briefe lassen erkennen, dass diese vornehmlich außerhalb der unmittelbar durch die Städte beherrschten Gebiete anzutreffen sind, also v. a. im Bergland. Daneben aber finden sich auch Belege für Koalitionen zwischen den Hapiru und einzelnen Stadtkönigen, wie z. B. dem König von Sichem, Lab’aya, der mit Unterstützung der Hapiru seine Kontrolle über das zentrale Bergland ausbaut (EA 252–254).

Umgekehrt beschreibt Abdu-Heba, der König von Jerusalem, in mehreren Schreiben (EA 285–290) Hapiru-Gruppen als bedrohliche Größe, die ihm die Kontrolle über sein Gebiet streitig macht. Aus taktischen Gründen stellt er sie seinem Oberherrn gegenüber aber v. a. als Gefahr für die ägyptische Herrschaft dar und verbindet seine Schilderung mit einer (offenbar erfolglosen) Bitte um die Entsendung zusätzlicher Truppen zu seiner Unterstützung.

Über die Hapiru hinaus werden in den Armana-Briefen schließlich auch Gruppen erwähnt, die als šȝśu (‚Wanderer, Hirten‘ ; Aussprache: ‚scha’ssu‘) bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um halbnomadische Kleinviehzüchter, die im Wechsel der Jahreszeiten zwischen dem Kulturland und seinen Randgebieten hin- und herziehen und oft in engen, symbiotischen Beziehungen zu den Stadtgesellschaften stehen. Immerhin erzeugen die Halbnomaden v. a. tierische Produkte (Milch/Käse, Fleisch, Tierhäute und Wolle), während die landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Städte vornehmlich vegetabiler Natur sind (Getreide, Wein, Oliven, Früchte), so dass die Grundlage für einen Tauschhandel gegeben ist, von dem beide Seiten profitieren. Trotzdem tauchen auch die šȝśu in einigen Texten als Unruhestifter auf.

Aus den hilfreichen Einblicken in die spätbronzezeitlichen Verhältnisse in Kanaan, die die Armana-Korrespondenzen gewähren, aber auch aus einer Vielzahl von archäologischen Zeugnissen lässt sich ablesen, dass sich die Spätbronzezeit in Kanaan als eine Phase des langsamen Niedergangs darstellt, der regional sehr unterschiedlich verläuft, am Übergang zur Eisenzeit (um 1250–1200) jedoch in einen tiefgreifenden Zusammenbruch der Stadtstaatenkultur einmündet. Im größeren Kontext betrachtet ist dieser jedoch nur ein Teilaspekt einer schweren Krise, die zu dieser Zeit den gesamten Alten Orient erfasst. Sie manifestiert sich u. a. im Zusammenbruch des Hetiterreichs – in der Spätbronzezeit neben Ägypten die zweite „Großmacht“ des Orients –, der zumeist mit dem sog. „Seevölkersturm“ in Zusammenhang gebracht wird, einer in der Ägäis einsetzenden und in mehreren Wellen verlaufenden Wanderungsbewegung, die im Übergang vom 13. zum 12. Jh. die gesamte Ostküste des Mittelmeers bis hinunter nach Ägypten betrifft.