Das Buch von der Riviera - Erika Mann - E-Book

Das Buch von der Riviera E-Book

Erika Mann

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Beschreibung

Eine Liebeserklärung an die Côte d'Azur. Sie waren jung, verwöhnt und berühmt. Als Klaus und Erika Mann 1931 einen Reiseführer über die Riviera verfassten, war ihnen das öffentliche Interesse sicher. Mit sichtlichem Vergnügen berichten sie aus dem wilden Marseille, dem mondänen Cannes und natürlich aus Monte-Carlo. Leicht und ironisch plaudern sie über Orte und Menschen, ihre bevorzugten Restaurants und lassen uns an ihren Begegnungen mit Künstlerfreunden und anderen Prominenten jener Zeit teilhaben. Ein faszinierendes Dokument über die Riviera zu Beginn der dreißiger Jahre - mit zahlreichen historischen Fotos.

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Erika Mann • Klaus Mann

Das Buch von der Riviera

Roman

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Mit den Geschwistern Mann an die eleganteste Küste der Welt

Ein überaus unterhaltsames Stück Reiseliteratur

 

Sie waren jung, verwöhnt und berühmt. Als Klaus und Erika Mann, Kinder des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann, 1931 einen Reiseführer über die Riviera verfassten, war ihnen das öffentliche Interesse sicher. Vergnügt berichten sie aus dem wilden Marseille, dem mondän-englischen Cannes, dem großen Reiz von Nizza sowie den Besonderheiten des Spieler-Paradieses Monte-Carlo. Mit großer Leichtigkeit und Ironie plaudern sie über Orte und Menschen, spektakuläre Natur genauso wie den Rolls-Royce-Salon in Cannes und lassen so die faszinierende Riviera der 30er Jahre vor unserem Auge auferstehen.

Der Klassiker der Reiseliteratur – erstmals mit zahlreichen Fotos aus der Zeit

Über Erika Mann • Klaus Mann

Erika Mann wurde am 9. November 1905 in München geboren. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin und Journalistin. Anfang 1933 gründete sie in München das Kabarett «Die Pfeffermühle»; wenige Wochen später ging sie mit der gesamten Truppe ins Exil. Ab 1936 lebte sie überwiegend in den USA, als Vortragsrednerin und Publizistin. Während des Zweiten Weltkriegs wirkte sie unter anderem an den Deutschland-Programmen der BBC mit und war Kriegsberichtserstatterin für die Alliierten. 1952 kehrte sie mit den Eltern zurück nach Europa. Am 27. August 1969 starb sie in Zürich.

 

Klaus Mann wurde am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katia Manns geboren. Mit 15 Jahren schrieb er erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933–35) und «Decision» (1941–42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück.

1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay «Die Heimsuchung des europäischen Geistes» noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Elterngeneration los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen «Kindernovelle» und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen «Kind dieser Zeit» dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: «Symphonie Pathétique», «Mephisto. Roman einer Karriere», und «Der Vulkan». In der Autobiographie «Der Wendepunkt» gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte.

Einleitung

I

Woher hat diese blaue Küste ihren großen Ruhm? Warum bleibt diese Côte d’Azur durch verschiedene Jahrzehnte der Vergnügungs- und Erholungsstrand des Kontinents, der Welt? The Coast of Pleasure – Die Riviera: Legende von Luxus, Glanz, rollender Kugel, Hermelinpelz und Champagnerseligkeit. Generationen von Kommis und Kammerzofen träumten hiervon, während die Herrschaft im Februar hinfuhr. – Gesegnetes Frankreich, mit Paris als Hauptstadt und dieser Mittelmeerküste als Badestrand! Der französische Künstler, der aus dem perlgrauen Licht von Paris sich keine neuen Inspirationen mehr holen zu können glaubt, besteigt den D-Zug und ist nach einer Nachtfahrt dort unten, wo das Licht härter und heißer, zugleich satter, blühender und trockener ist; italienisch, aber manchmal schon mit einem afrikanisch dürren Einschlag; und dieser Einschlag wiederum französisch gemildert, gleichsam durchzivilisiert, zarter, zärtlicher gemacht. Man hat von der Riviera eine Vorstellung idyllischer Gleichmäßigkeit; einer der Zivilisation so wohlvertrauten Gegend, daß sie keine Überraschungen mehr bietet. Das ist nicht völlig richtig, denn in manchen Regionen, vor allem des Hinterlandes, verändert sich und wächst diese Idyllik sehr ins Großartige; etwa im Estérel-Gebirge oder in den Schluchten der Alpes Maritimes. Hier ist plötzlich Schroffheit, Kahlheit und pathetische Öde, während vorne, in den Gärten überm Meer, mit zauberhaften Farben und Gerüchen tausend Blumensorten gedeihen. – An manchen Punkten, und vor allem in versteckten Winkeln, wird die Küste so südlich, daß die Palmen, die in den Vorgärten der Hotels oft noch ein bißchen lächerlich, wie aus der guten Stube und zum Abstauben, wirken, wahrscheinlich werden, hingehören, wie in ein Negerdorf.

Sonne, Sonne, Sonne – plus Golfstrom. Ganz blaues Meer, Palmenalleen, Kasinos, Luxushotels: das ist die populäre Vorstellung von der Riviera. Über ihr vergißt man ihre herberen Reize. André Gide spricht einmal vom «Banne jener trügerischen Spiegelung, die uns vortäuscht, der Süden sei etwas Gnadenreich-Mildes» und bekennt im selben Zusammenhang seine «seltsame Freude am Spröden, Dürren, Vorweltlichen, die mir die Wüste so viel begehrenswerter erscheinen ließ als die Oase». Nun, in jedem Süden ist schon ein Stück Wüste, etwas Abgebranntes, unfruchtbar Sandiges, Versengtes; man muß nur Augen haben, es zu ahnen, selbst noch in der Süßigkeit der azurenen Küste. Zugegeben, daß hier das «Gnadenreich-Milde» vorwiegt. Aber wer Nerven hat, spürt das andere dahinter und wird die Oasen-Süßigkeit darum nicht weniger, sondern nur tiefer lieben.

Erika Mann. Lavandou, 1933

Natürlich haben Luft und Stimmung dieser Riviera zwischen Marseille und Mentone die französische Malerei sehr beeinflußt, und der Impressionismus wäre kaum ohne sie denkbar. Von Renoir, der in Cagnes arbeitete, über Van Gogh bis zu Matisse und Derain hat die lichtgesättigte Atmosphäre der Côte d’Azur auf die große Kunst am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eingewirkt. Es ist auffallend, daß Meer und Küste thematisch bei den klassischen Impressionisten und Nachimpressionisten keine dominierende Rolle spielen. Wir denken eher an Gärten, Frauen, Stilleben mit Äpfeln, wenn wir an den Impressionismus denken, und obwohl wir hier manchmal in den kleinen Häfen Schiffe wiederzuerkennen glauben, die wir von gewissen Blättern Van Goghs her kennen, gehört das Meeresufer nicht zu den Assoziationen, die wir primär mit Van Goghs Namen und Antlitz verbinden, wie etwa die Sonnenblumen, einige Büsche und Bäume, die wie Flammen zu lodern scheinen, oder der Garten des Irrenhauses. – Trotzdem hätte aus der silbrig zugedeckten Luft von Paris allein der Impressionismus kaum geboren werden können; oder vielmehr: sie allein hätte ihn nicht zu erhalten und zu ernähren vermocht. Dazu war Frankreichs Süden notwendig. – Und in unserem Jahrzehnt, seit in Sanary und Cassis einerseits, in Cagnes und St.-Paul andererseits immer mehr Malerniederlassungen, wahre Malerschulen sich bilden (sowohl französische als auch deutsche oder angelsächsische), tritt die Côte d’Azur auch als Thema in der Malerei der europäischen Moderne immer häufiger hervor. –

Es ist sehr schön, in Hamburg oder in Berlin zu wissen, daß Deutschland auch die oberbayrische Landschaft zu bieten hat, daß es auch diese deutsche Möglichkeit gibt. Ebenso erquickend ist in Paris das Bewußtsein von der Existenz Südfrankreichs und der Côte d’Azur. Man kennt den Franzosen ungenügend, wenn man nur den Pariser kennt, man kennt nicht einmal die französische Sprache, hat man nur diesen großstädtisch abgeschliffenen Pariser Argot im Ohr. Der Südfranzose redet rauher, langsamer und sonorer. Er betont die Endsilben stärker, wodurch sein Dialekt schwerfälliger wird. Obendrein rollt er die R’s und hat einige recht behinderte Kehlkopflaute. Das Gesamtergebnis ist entschieden weniger elegant als das pariserisch nachlässig eilige Causieren; man könnte sagen, naiver. – Die Pariser machen sich über den Südfranzosen gerne ein bißchen lustig; andererseits lieben sie ihn. Er gilt für großsprecherisch und kindlich genußsüchtig; gutem Wein und der Geselligkeit zugetan; zugleich behäbig und temperamentvoll. Viele seiner Wesenszüge und Eigenschaften muten schon italienisch an; aber schließlich ist er eben doch Franzose, das heißt: zivilisierter, europäischer und ohne die cäsarischen Größenwahnkomplexe. Er ist harmlos, wenn er aufschneidet und einem den Buckel vollügt; auf imperialistische Abenteurer fiele er so leicht nicht herein. Gesunder Menschenverstand sichert ihm ein gut Teil Zynismus, der beim Franzosen das angeborene Pathos immer dämpft und erträglich macht. Er ist sinnlich, von Natur liebenswürdig und meist guter Laune.

Die französische Literatur hat sich oft und herzlich mit ihm beschäftigt, er ist einer ihrer klassischen Typen. Gerade jetzt macht eine Komödie ihren Siegeszug über die Bühnen der Welt, die in Marseille spielt und südfranzösische Eigenheiten teils wohlwollend verspottet, teils feiert: «Marius» von Pagnol. Die stärkste Eigenschaft dieses Jungen, der am Hafen lebt, ist das «Fernweh»; sie wird sein Schicksal. Wahrscheinlich ist sie zum Bilde dieser Küstenbewohner, die so viel humoristisch kleinbürgerliche Züge haben, überhaupt unentbehrlich. Sie haben immer vor sich das Meer; Afrika gegenüber. «Fernweh» ist eines der Grundgefühle aller Völker, die am Meere leben; Pagnol – oder Bruno Frank, der das deutsche Wort fand – hat das schön formuliert. – Durch diese Unruhe, diesen Drang ins Fremde unterscheidet sich der Mensch der südfranzösischen Küste, der Côte d’Azur, von seinem Bruder im Hinterlande, der südfranzösischen Provinz. Nehmen wir den Marseiller als den Typ dieser Gegend: eine Mischung von Behaglichkeit und Abenteuerdrang, von Bürgerlichkeit und «inquiétude» macht seinen spezifischen Charme aus.

II

Diese Küste, zwischen Ventimiglia und Marseille, mit solcher Sonne, solcher milden Luft, mit solchem Meer, solchen Blumen und einer so reizvollen Bevölkerung, die sich auf die Gastfreundschaft als Geschäft versteht, mußte ein großer Menschenmagnet sein. So wurde sie eine Zeitlang zur elegantesten Küste der Erde. Damals waren noch unsere Großeltern fesch. Inzwischen sind das Engadin oder Ägypten oder Florida oder die Monstrebäder von Kalifornien viel luxuriöser geworden. Nur einige wenige bestimmte Plätze an der französischen Riviera sind noch Treffpunkt jener legendären «großen Welt»: einige Wochen lang Cannes, einige Wochen Cap d’Antibes oder Juan-les-Pins. Wir kommen darauf im einzelnen noch zurück. – Warum wird, von diesen erlesenen Punkten abgesehen, die ganze Küste von so vielen immer noch so viel geliebt? Warum fahren wir hin, immer wieder? – Es gehört zu ihren Geheimnissen, daß sie jedem ganz das bietet, was er sucht. Es ist eine nachgiebige Küste.

Klaus Mann. Lavandou, 1933

Dem großen Snob, der gerne mit Herzoginnen, Kaffeeköniginnen und Lords in derselben Hotelhalle sitzen möchte, bietet sie einige Hotels, wo diese in der Tat immer noch sitzen, kurz haben wir schon angedeutet, wo. – Inzwischen hat sie sich auch dem bourgeoisen und kleinbourgeoisen Publikum weit geöffnet, ja es dominiert hier beinah, wie übrigens eigentlich fast überall auf der Welt. In Cap d’Ail, St.-Jean, Beaulieu, in Nice, St. Raphaël, Hyères und an hundert verschiedenen anderen Plätzen findet es ganz die Gemütlichkeit, die es sucht; außerdem, in mittleren Kasinos und Cafés, den Talmiglanz, der es blendet. Man kann es auf der Promenade von Nizza in so dichten Haufen promenieren sehen, daß es nur noch ein amorphes Geschiebe ist; es sitzt behäbig auf den Terrassen, trinkt seinen Kaffee und sein Bier, dabei läßt sich kaum mehr unterscheiden, ob es aus Lyon oder Leipzig oder aus Milwaukee kommt. – Andererseits hat sich die internationale Bohème immer intimer hier beheimatet, es sind verschiedene kleine Nester, die sie wie auf freimaurerisch geheime Abmachung bevorzugt: Sanary, Cassis, Beauvallon, St.-Tropez, Cagnes, St.-Paul, Villefranche. Wir werden dort, wenn wir erst nachher genauer hinschauen, deutsche und französische Maler, englische und amerikanische Dichter, Berliner Schriftsteller und Pariser Komponisten treffen. – Es ist mehr und mehr üblich geworden, an die Riviera «zum Arbeiten» zu fahren. Das ist eigentlich auch das Schönste, was man dort unten tun kann, wenn man nur das geeignete Nest findet. Die Vergnügungen der Riviera sind nur selten noch ungewöhnlich. Aber ungewöhnlich ist die Kraft dieser zugleich beruhigend sanften und bunten Landschaft, konzentrierend zu wirken, wenn man Konzentration und produktive Sammlung sucht.

Von den Vergnügungen der Côte ist es immer noch das Spiel, das am stärksten lockt. Manche kommen wegen der Tennisturniere, oder der Pferderennen; manche wegen des Karnevals, der guten Küche oder der Schönheitskonkurrenzen; die meisten aber doch wegen der Boules, des Roulette und des Bakkarat. – Die Spielertragödien à la Dostojewski muten uns etwas stark altmodisch an; aber sie verlieren nicht an brennender Aktualität für den, der sie gerade erlebt. Die typischen «Riviera-Existenzen», die, welche «nicht mehr loskommen», sondern Jahr und Jahrzehnte an der Küste bleiben, wie im Zauberberg, sind meistens dem Spiel verfallen, seiner vielfach geschilderten, klassischen, fast schon konventionellen Dämonie, die im Monte-Carlo-Kasino am eigentümlichsten zu Hause ist. Es sind die jungen Engländer, die sich so lange in den Bars und Spielsälen zwischen Monte und Cannes herumtreiben, bis ihr Jugendglanz anfängt dahinzugehen, sie trübe Augen und schlaffe Mienen bekommen; es sind die russischen Emigranten, die überall Lokale aufmachen, aber gleich das wieder beim Bakkarat verlieren, was sie vielleicht eingenommen haben. Es sind schließlich die gelernten Gigolos, die so lange reiche Amerikanerinnen im Tango drehen, bis eine sie mit nach Chikago nimmt, und die sich, bis es dahin kommt, ständig Nebeneinnahmen vom grünen Tisch erhoffen.

Erika Mann. Lavandou, 1933

Mondäner Zauber und bourgeoise Gemütlichkeit; Sport, gutes Essen und Bakkarat sind große Attraktionen; aber die größte Attraktion ist das Nichtstun. Die Riviera legitimiert es, dieses Dolce-farniente, man braucht nicht einmal krank zu sein. Kranksein verlangt ja meistens schon eine gewisse Disziplin der Tageseinteilung; Liegekur, Messen, ausführliche Mahlzeiten. «Sich an der Riviera erholen» heißt nur: in der Sonne sitzen, ein klein bißchen spazierengehen, höchstens ein ganz klein bißchen Golf oder Tennis spielen. Nicht einmal das Schwimmen spielt hier eine seriöse Rolle, wie in nördlicheren Badeorten, wo es sportlichen Charakter hat. – Deshalb lieben diese Küste alte Damen so, die auf der Welt nichts mehr zu tun haben, als mit dem Sonnenschirm eine Promenade entlang zu wandeln; und die Künstler, die, wenngleich ihrerseits passioniert fleißig, eine Atmosphäre von Trägheit um sich herum meistens lieben. Hingegen könnte ich mir vorstellen, daß junge Leute, die Aktivität und Tempo gewohnt sind, von dieser Stimmung der Gemächlichkeit auf die Dauer denn doch enerviert würden. Denn auch die Eingeborenen der Küste sind faul, faul mit Technik und mit Genuß. Viele Fischer in den kleinen Nestern der Côte arbeiten wöchentlich nur drei Stunden. Den übrigen Teil der siebenmal 24 Stunden lassen sie ihre Weiber die Netze flicken. Dafür leben sie anspruchslos, von Obst, Fischen, Gemüsen. Es sieht aus, als seien sie glücklich. – Dies allen Neuyorkern und Berlinern zum Nachdenken.

III

Wir haben die Côte d’Azur «nachgiebig» genannt, das heißt: sie zwingt dem Besucher keinen Lebensstil auf, wie die Nordsee, das Engadin oder Ägypten; vielmehr kann er sich denjenigen wählen, der ihm paßt. Nachgiebig ist sie auch unseren finanziellen Verhältnissen gegenüber. Man kann dort so teuer leben, wie nur an einigen Punkten der Erde – und fast so billig wie im Fischerdorf. Die untere Grenze ist etwa 25 fr. Pensionspreis (4 M. 10 Pfg.), die obere verliert sich schwindelnd im Unendlichen. Wer etwa den Luxus gern hat, ihn sich aber nicht vollkommen leisten kann, setze sich in einen anspruchsvollen Ort wie Cannes für 30 fr. Pension in ein bescheidenes, doch sauberes Hotel. Er wird die Luft des Reichtums atmen, die ihn unverständigerweise so fasziniert, und doch für seine Person nicht viel brauchen. Gerade in diesen größeren Orten (Cannes, Nice usw.) ist es übrigens eigentlich empfehlenswerter, keine Pension zu nehmen, sondern sich eine Stube zu mieten und in all den kleinen Restaurants «herum» zu essen. Es ist lustiger und kommt keinesfalls teurer. In den kleinen Orten gibt man sich besser in Verpflegung, es kostet zwischen 40 und 60 fr., beinah nie mehr. Für 80 oder 90 fr. kann man schon in einem recht pompösen Palace von Monte, Nice, Cannes oder St. Raphaël hausen und speisen. Selbst die Hotels mit den legendären Namen (Typus Negresco in Nice) haben bescheidenere Zimmer, etwa 90 fr. ohne Verpflegung. Freilich dann die großen Appartements zum Meer, mit Salon, Bad usw. gehen schon ein wenig ins Abenteuerliche.

Klaus Mann. Lavandou, 1933

Es kommt hier immer drauf an, was man will. Wenn man lange bleiben will, Monate oder ein halbes Jahr, ist es am gescheitesten, man mietet sich ein Häuschen, mindestens ein Zimmer oder ein Appartement. Es wird billiger und netter sein noch als das kleinste Hotel. Wenn man «die Küste kennenlernen» – das heißt: viel herumfahren – möchte, setzt man sich am vorteilhaftesten in einen größeren Ort, am besten nach Nice, das zentral liegt (natürlich ohne Pension), um von dort aus seine Ausflüge zu machen. Für diesen Fall ist man am besten dran, wenn man einen Wagen bei sich hat, sollte es auch nur ein häßlicher Zwergwagen sein, man genießt ihn nirgends so wie hier. Übrigens sind auch Autobusdienst und Zugverbindungen ausgezeichnet organisiert. Von Nizza, zum Beispiel, hat man nach allen Richtungen die bequemste Verbindung. – Wenn man nichts will, als seine Ruhe (zum Arbeiten oder zum Schlafen), gehe man in eines der vielen, vielen kleinen Nester: im Winter etwa nach Villefranche, im Sommer nach Lavandou oder St.-Tropez oder Cassis, oder – oder – –; und wenn man 60 fr. Pensionspreis ausgeben kann, wird man wie jener Gott in Frankreich leben, hinter den Sieburg mit seinem Buch seit neuestem ein problematisches Fragezeichen gemacht hat, worüber die Franzosen sich gewaltig entsetzen und erregen.

Überall aber, und für jeden Pensionspreis, wird man diese große Sonne haben; und so mildgesinnte Luft, daß kühne Menschen oft im Januar schon schwimmen. Man nehme sich trotzdem einen Mantel mit, wenn man im Winter oder Frühling nachmittags spazierengeht; denn, man sollte es nicht glauben, abends kommt es kühl vom Meere her. Es ist eine glückliche Gegend, doch keine vollkommene; und man kann sich gerade hier sehr leicht erkälten.

 

Glückliche Küste! Coast of Pleasure, Côte d’Azur, blaue Küste! Strand des Dolce-far-niente, des Spiels, der Arbeit, der Blumen und der sonnenbeglänzten Promenaden. Wir können nicht alles zeigen, was es an ihr zu sehen gibt. Aber doch etwas. Und nun fangen wir an.

Die französische Riviera

Marseille

In Marseille mit dem Zug anzukommen ist so komfortabel wie irgendwo, denn Sie nehmen am Bahnhof ein Taxi und sind nach einer etwas aufregenden kleinen Fahrt in Ihrem Hotel. Die Einfahrt mit dem Wagen hingegen trägt schon einen leicht katastrophalen Charakter.

Marseille gehört zu den Städten, die größer sind, als es ihnen zukommt; das heißt: größer, als man es von ihnen erwartet. Das eigentliche Marseille