Das Doppelantlitz der Biografie - Mario Betti - E-Book

Das Doppelantlitz der Biografie E-Book

Mario Betti

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Beschreibung

Das Prinzip der Metamorphose durchzieht die ganze Evolution von Erde und Mensch bis zu den Gesetzen des Lebenslaufs und der Karma-Gestalt des einzelnen Menschen. Bei näherer Betrachtung umspannt dieses Prinzip auch seelische und geistige Werdegesetze im Rahmen unserer Biografie. Die Aufdeckung dieser Wandlungen ist in gegenwärtiger Zeit, in der die Menschheit unbewusst die Schwelle der geistigen Welt überschreitet, von eminenter Bedeutung. Denn sie ist eine konkrete Hilfe zur Bewältigung des Alltags in schicksalsschwerer Zeit. Dieses Buch ist ein Versuch, die Doppelpoligkeit unserer Biografie – als Lebenslauf und als Mysterienort an der Schwelle – zu einer Synthese zu führen. Mario Betti beschreibt, wie drei Säulen eine jegliche Biografie des Menschen maßgeblich prägen und ihr Gestalt geben: die innere Stimme; die Freiheit, sich dem zu stellen, was einem entgegenkommt; und der in alle Ereignissen eines Lebens hineinverwobene individuelle rote Faden.

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MARIO BETTI

Das Doppelantlitz der Biografie

Lebenslauf und Mysterienort

Jedes Menschen Geschichte soll eine Bibel sein – wird eine Bibel sein.

Novalis

Inhalt

1.Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts begriffen

2.Die Biografie – Naturgesetz und Lebensertrag

3.Ich-Entfaltung im Rhythmus der Zeit

4.Herausforderungen, Krisen, Überwindungen

5.«ICH» ist Liebe – Wandlungen im Lebenslauf

6.Der Karma-Gedanke: Liebe − Zufall oder Vorbestimmung?

7.Wege und Abwege der Biografie: Klingsor, Kundry, Amfortas, Parsifal

8.Kann man lieben lernen? Eine Anregung

9.Die kosmische Biografie von Mensch und Erde – Der Gral

10.Vom Mysterienstrom in der Geschichte – Seelenproben und Sonneneinweihung

11.Menschheit an der Schwelle – Die Biografie als Mysterienort

12.Das Phönix-Feuer des Ich im Abgrund des Nichts

Anmerkungen und Hinweise

1.Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts begriffen

Dieses Wort des großen dänischen Philosophen Kierkegaard habe ich kürzlich als Motto über der interessanten und bewegenden Biografie von Günther Maria Halmer, Theater-, Fernseh- und Filmschauspieler, gefunden. Fliegen kann jeder ist der Haupttitel, und dann folgt: Ansichten eines Widerborstigen.1

Der vielseitige Halmer, Jahrgang 1943, hat viel durchgemacht: Höhen und Tiefen des Lebens hat er durchmessen, Weiten und Engen unserer komplexen, modernen Zeit hat er genossen und erlitten. Zwei Säulen seiner eigenen und einer jeden Biografie sind ihm während seines unruhigen, ja rastlosen Berufslebens aufgegangen: einmal in Kanada, als Arbeiter in einer in den Bergen einsam gelegenen Asbest-Mine. Er war erst drei- undzwanzigjährig und war wie per Zufall dorthin, im Norden Kanadas, gelandet. Unglücklich über sein Leben und an seinen Unsicherheiten leidend, hoffte er sich zu finden.

Und welcher junge Mensch, früher oder später, macht sich nicht auf diese Suche, wenn ihn der Wein der Zeit nicht zu trunken macht? Denn an Süchten ist unsere Welt gewiss nicht arm. Vielleicht sind alle Süchte sogar ein hilfloser Ausdruck dieser Suche.

Der zweite Winter dort ging bereits ins Land.

Gerne möchte ich jetzt eine längere Passage aus dieser Zeit zitieren, um die erste der vorhin erwähnten Komponenten etwas sichtbar zu machen:

«Einmal wurde ich acht Nächte lang abkommandiert, die Lastwagen, die ihre Felsbrocken in die Halde hinabkippten, zu dirigieren und vor dem Abgrund zu warnen. Eine einsame, eintönige Beschäftigung bei minus fünfunddreißig Grad und eisigem Wind. Etwa jede halbe Stunde tauchte ein beladener Lastwagen auf, fuhr rückwärts an die Bergkante, kippte auf mein Zeichen die Ladung aus und verschwand, Dieselqualm hinterlassend, wieder in die Nacht. Dazwischen nichts als Stille, Kälte, Wind. Manchmal hüpfte ein weißer Schneehase vorbei. Ich hatte viel Zeit zu frieren und über mich und meine Zukunft nachzudenken. Dreiundzwanzig Jahre war ich inzwischen alt, und immer wieder stellte sich mir dieselbe alte Frage: Wie würde es mit meinem Leben weitergehen? Was hatte es mit mir vor? Ich hatte mich hierher, ans Ende der Welt, treiben lassen, doch ich wusste, das war nicht das Ziel. Wohin würde mich mein Weg führen? Gab es irgendwo eine Aufgabe für mich? Gab es irgendwo auf der Welt ein junges Mädchen, das noch gar nicht wusste, dass es mich gab, und das dennoch irgendwann meine Ehefrau werden würde? Wo war sie? In Deutschland oder in Kanada? Als was für einen Mann würde sie mich kennenlernen? Ich hatte keine Ahnung. Diese acht Nächte auf der einsamen Bergspitze waren die kältesten und längsten, aber auch die nachdenklichsten Nächte meines Lebens. Der eisige Wind pfiff gnadenlos, aber ich nahm ihn kaum wahr. Meine Gedanken kreisten immer um dasselbe Thema: Was wird aus mir? Irgendwann wurde mir in diesen schneehellen, eisklaren Nächten bewusst, wo mein Problem lag. Es war nur eine Binsenweisheit, vielleicht banal, aber die wirklich bedeutsamen Dinge erscheinen im Nachhinein oft so überraschend einfach. Tatsächlich muss man sie aber zunächst einmal begreifen, und das ist das Schwierige daran. Mir wurde klar, dass ich die Wahl hatte, dass ich frei entscheiden konnte. Jahrelang hatte ich mich so schmerzlich nach etwas gesehnt und dabei nicht verstanden, dass ich es bereits besaß. Ich begriff plötzlich etwas, was der französische Philosoph Rousseau mit dem Satz zusammenfasste: ‹Der Mensch wird frei geboren und liegt überall in Ketten.› Sobald man das Licht der Welt erblickt, ist man bereits ein Gefangener. Ein Gefangener seiner Herkunft. In diesem Moment beginnt die Programmierung des Ichs. Man übernimmt die Sprache, das Essen, den ästhetischen Geschmack, Kultur, Moral, Religion, Denkweise, Nationalgefühl, Traditionen und Benehmen der Eltern, der Gesellschaft, in die man hineingeboren ist. Durch Kindergarten, Schule, Kirche, Militär, Universität wird man weiter zu einem Menschen geformt, wie ihn sich die Eltern, die Lehrer, die Verwandten, die Freunde und letztlich der Staat wünschen. Entspricht man nicht dieser Erwartung, verhält man sich nicht konform, wird es schwierig. Man bekommt Probleme, so wie ich in all den Jahren vorher. Das war der eigentliche Kern all meiner Schwierigkeiten in meiner Jugend. An mir war gar nichts falsch, wie ich lange gedacht hatte, sondern ich passte nur nicht in die Norm, erfüllte nicht die Erwartungen, die mein Vater, mein Lehrer, die Gesellschaft an mich richteten. Ich weigerte mich, mich in die vorgesehene Programmierung einzufügen, mich anzupassen. Das war das Problem. Und noch etwas begriff ich in den Nächten auf diesem einsamen Berggipfel: Die achtzehn Monate in Kanada hatten diese Programmierungen in mir gelöscht […] Erst hier, fast am Ende der Welt, hatte ich erkannt, dass es auch andere Lebensplanungen gab, dass man sein Leben auch vollkommen anders leben konnte. Nur in dieser Einsamkeit, unbeeinflusst von anderem Denken, anderen Meinungen, konnte ich zu mir finden. In dieser weiten, unberührten Natur begann ich plötzlich, meine eigene innere Stimme zu hören. Nur in dieser absoluten Stille der Seele konnte ich diese noch sehr schwache Stimme hören. Ich wusste, hier in Cassiar würde mir keiner mit sogenannter Vernunft meine heimlichen Wünsche zerstören. Die Toleranz und Gleichgültigkeit meiner Arbeitskollegen, diese Konzentration nur auf sich selbst hatten für mich etwas unglaublich Befreiendes. Natürlich würde man in einer Notsituation anderen helfen, aber ansonsten war man nur mit sich und seinem eigenen Leben beschäftigt und ließ dem anderen seine Freiräume, zu tun und zu lassen, was er wollte. So etwas hatte ich bisher noch nie erlebt.»2

In völliger Seeleneinsamkeit entdeckt er die Last des Überkommenen, des Tradierten des Immer-so-Gewesenen, und sein Wesenskern, sein tieferliegendes «Ich», sagt ihm, dass er «die Wahl hatte», dass er «frei entscheiden konnte» und dass er «sein Leben auch vollkommen anders leben konnte». Hier, nur mit sich selber zusammen, fängt er an, seine «eigene innere Stimme zu hören».

Und dieser zunächst «sehr schwachen Stimme» versucht er fortan, wenn auch mit wechselndem Erfolg, die Treue zu halten.

Hier haben wir, sozusagen klassisch, eine der drei tragenden Säulen unserer Biografie: eine innere Stimme, die im Lauf des Lebens immer wieder gehört werden kann. Die zweite ist das untrügliche Gefühl, dass ich, in welcher Lage ich mich auch befinden mag, immer die freie Wahl habe, mich so oder so dem zu stellen, was das Schicksal einem entgegenbringen mag.

Im Laufe seiner Lebenserzählung merken wir gleich, dass er zunächst kräftig vorwärts lebt, dass sich ihm aber das volle Verständnis vieler Begebenheiten immer wieder entzieht.

Und dann schreibt Halmer, der immer wieder kurze Rückblicke hält:

«In meiner Geschichte ist immer wieder von einem roten Faden die Rede, und manchmal habe ich tatsächlich das Gefühl, dass eine unsichtbare Hand unsere Geschicke lenkt. Vielleicht stimmt das auch, und es gibt keine Zufälle im Leben. Claudia hat mir später gestanden, dass sie schon nach zwei Monaten ihren Eltern geschrieben habe, sie habe ihren künftigen Ehemann gefunden. Nämlich mich […]

Immer wieder und mit der Zeit immer öfter werden wir beide bei Interviews nach dem Geheimnis unserer Verbindung gefragt. Schauspieler, die so lange verheiratet sind, gelten als ungewöhnliche Exemplare. Was sollen wir darauf antworten? Ist das ein Geheimnis, wenn man den festen Willen hat, trotz mancher Meinungsverschiedenheiten zusammenzubleiben und Vertrauen zueinander zu haben? Das verlangt Respekt, Ehrlichkeit und Verständnis für den anderen. Ob ich allerdings mit mir verheiratet sein wollte, weiß ich nicht. Eine andere Frau hätte mich mit meinem störrischen Charakter und meiner Egomanie vielleicht schon lange in die Wüste geschickt. Es hat doch sehr viel Liebe und Verständnis von Claudia gefordert, mich auszuhalten. Dafür bin ich ihr sehr, sehr dankbar.»3

Und hier kommt die dritte Säule einer jeden Biografie zum Ausdruck, die, wie auch die ersten beiden, die oben erwähnt wurden, uns im Laufe dieses Buches immer wieder beschäftigen wird: Es gibt einen roten Faden und eine «unsichtbare Hand», die «unsere Geschicke lenkt». Auch von diesem«festen Willen» […] «trotz mancher Meinungsverschiedenheiten zusammenzubleiben und Vertrauen zueinander zu haben» wird später die Rede sein.

Ja, in der Regel wird das Leben tatsächlich vorwärts gelebt und rückwärts begriffen.

Dass es so ist, hängt mit zwei Grundkräften, Grundelementen unserer Seele zusammen: Leben und Erinnerung, Wille und Denken. Gerne möchte ich etwas tiefer darauf eingehen, weil hier eine Grundpolarität unserer Existenz gleichsam an die Oberfläche des Bewusstseins kommt, die uns manches Lebensrätsel klären kann.

Dazu greife ich gerne ein vielsagendes Motiv aus der griechischen Mythologie auf: die Polarität zwischen den Titanensöhnen Prometheus, dem Voraussehenden und Voranstürmenden, und dem nach-denkenden Epimetheus.

Der Menschenfreund Prometheus brachte den Menschen gegen den Willen des mächtigen Zeus das Feuer, das er von dessen Blitz entwendet hatte: das Feuer, womit Kultur und Zivilisation geschaffen werden können. Und Epimetheus ist im Gegensatz dazu der Rückwärtsgewandte, der aus Vergangenheit und Erinnerung Hoffnung für die Zukunft schöpft. Beide Brüder sind ein treffendes Bild für zwei Seeleneigenschaften des Menschen: Wille und Vorstellung, so wie sie Rudolf Steiner im Zusammenhang mit der Anthropologie kindlicher Entwicklung dargestellt hat.4 Der Wille, als unmittelbar tätige Kraft, schafft fortwährend Realitäten mit ihren Folgen für die Zukunft. Die «Vorstellung», das Nachdenken, kann nur nachkommen. Es betrachtet und beurteilt vor allem das bereits Vorhandene oder das Gewesene.

In der Herzensmitte – im Gefühl – findet oft eine Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Seeleneigenschaften statt, sei es bei Entscheidungen, die zukunftsrelevant sind, wie auch bei Rückblicken, um aus der Vergangenheit zu lernen. Wie beide Tendenzen oft geradezu aufeinanderprallen, kann man sehr gut bei Gruppenprozessen beobachten, bei Kollegien in ihren Konferenzen oder auch bei Parlamentsdebatten. Da sitzen zusammen, in der Regel unversöhnlich, die Konservativen gegenüber den Progressiven, die Avantgardisten mit den Traditionalisten oder Ewiggestrigen. Und so weiter.

Eine solche Polarität finden wir auch im natürlichen Spannungsfeld zwischen Jugend und Alter, zwischen dem aktiven und dem beschaulichen Leben. Oder, anders formuliert, zwischen der vita activa und der vita contemplativa, wie man es im Mittelalter charakterisiert hätte.

Und so ist es auch in unserer Biografie, selbst wenn es immer wieder – wie in allem Lebendigen – Ausnahmen von der Regel gibt.

Halten wir also Prometheus und Epimetheus als Agens unserer Entwicklung paradigmatisch fest sowie die bereits erwähnten drei Säulen einer Biografie: die innere Stimme und die Freiheit, sich dem zu stellen, was einem entgegenkommt, und zwar gemäß unserem individuellen Willen. Dadurch kann man nach und nach seinen roten Faden entdecken: die dritte Säule.

Es folgt jetzt, wie im Vogelflug angeschaut, eine erste Darstellung allgemeiner Lebensstufen, ergänzt durch Überlegungen und Betrachtungen, so wie sie sich aus der Lebenserfahrung ergeben. In einem weiteren Kapitel werden sie im Sinne der ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeit genauer angeschaut und etwas vertieft.

2.Die Biografie – Naturgesetz und Lebensertrag

Einem Universalgenie der Antike verdanken wir eine treffende Erstbezeichnung des Menschen im Kontext seiner Evolution: Der Mensch ist ein Zóon politikón, ein soziales Lebewesen.

So Aristoteles vor über zweitausenddreihundert Jahren.

Als Lebewesen ist der Mensch Entwicklungsgesetzen unterworfen, und als soziales «Zóon» ist er sowohl Ergebnis als auch Gestalter gemeinschaftlicher Prozesse. Nun weisen Lebewesen – am Beispiel der typischen einjährigen Pflanze – ganz bestimmte Entwicklungsabläufe auf, wie Goethe in seiner Darstellung der regelmäßigen Pflanzenmetamorphose gezeigt hat. Auffallend ist der Rhythmus Evolution – Involution als Grundprozess allen Wachstums: Die Pflanze entfaltet sich in Raum und Zeit, indem Phasen der Evolution, d.h. der Ausdehnung, Phasen der Involution, der Zusammenziehung, gesetzmäßig folgen. In Letzteren verinnerlicht sozusagen die Pflanze Säfte und Kräfte, um höhere Entwicklungen zu ermöglichen. So wächst das kleine Samenkorn über die runden Keimblätter hinaus bis zur Entfaltung breiter, in sich differenzierter Sprossblätter. Dieser ersten Ausdehnung folgt eine erste Zusammenziehung: die räumlich auf engem Raum aneinanderliegenden Hoch- und Kelchblätter, denen bald eine zweite Ausdehnung in den Kronenblättern – in der Blüte – folgt.

Und so geht es weiter bis zur neuen Samenbildung in der ausgereiften Frucht: Ein erster Zyklus vollendet sich. (S. Abbildung)

Figur 1

Figur 2

Aus: Walter Bühler, Die zweifache Abstammung des Menschen – Evolution und Menschwerdung, Bad Liebenzell 1982.

Wenn sich die Blüte einseitig immer weiter entfalten wollte, würden Pflanzen keine Kraft zur Fruchtbildung mehr haben.

Etwas Ähnliches geschieht im Laufe unseres Lebens, denn es ist auch von vergleichbaren Prozessen mitbestimmt. Nur dass hier für Ausdehnung einfach Wachstum, oder Jugend, steht, und statt Zusammenziehung können wir jetzt das Wort Alter oder Verinnerlichung im eigentlichen Sinne anwenden. Aber: Während es die Natur ist, die in der Regel alles in der Pflanze organisiert und gestaltet, wird der Mensch aufgerufen, seine inneren Reifungsprozesse selber in die Hand zu nehmen. Sein «Ich» ist der Zauberstab, der immer wieder, auch im höheren Alter, neue Einsichten und Perspektiven eröffnen kann.

Wenn wir allerdings unser Augenmerk einseitig auf unsere biologische Befindlichkeit richten – keine Seltenheit heute −, dann können wir, mehr oder weniger verzweifelt, nur versuchen, medikamentös den unvermeidlichen, naturgegebenen Alterungsprozess teilweise aufzuhalten oder sich den Mühlen zweifelhafter Schönheitschirurgie zu überlassen. Dann haben wir aber das Handtuch geworfen.

Frühere Kulturen, aber auch frühere Jahrhunderte hatten eine ganz andere Beziehung zum Alterungsprozess als heute. Man schätzte die Weisheit des Alters über alle Maßen, denn man wusste, dass alte Menschen viel erfahren und dass sie über den Sinn des Lebens viel gedacht hatten. Mochte dieser Sinn darin bestehen, den Willen der Götter zu erforschen und anzuwenden oder das Leben wie ein Jammertal anzusehen, das einem hilft, seine Sünden zu erkennen und zu bereuen. Aber auch heute geht es im Leben darum, den tieferen Sinn unserer Existenz im Kosmos im Allgemeinen zu ergründen und im Besonderen den Sinn unserer individuellen Existenz im gesellschaftlichen Zusammenhang zu entdecken.

Was also das Soziale im weitesten Sinn anbelangt oder auch die biografisch relevante Anpassung an die soziale Umwelt, stellt man fest, dass wir etwa in den ersten drei Jahrsiebten von unserer Umwelt schicksalhaft geprägt werden: durch Sprache, Umgangsformen, Religionsgemeinschaft und anderes mehr. Das ist die eigentliche Anpassungsphase, die selbstverständlich kürzer oder länger sein kann. Denn jedes Individuum ist gewissermaßen eine Ausnahme von der Regel. Ja, es macht eigentlich jede Biografie zum Rätsel.

Danach folgt die ersehnte Selbstentfaltung des Individuums, das aber heißt das Ringen um Entfaltungsfreiheit, frei von familiären oder gesellschaftlichen Vorgaben, die mehr oder weniger zwangsweise einem unter Umständen weiterhin aufoktroyiert werden.

Vorhin war ja die Rede von der inneren Stimme und von der Freiheit als zwei Säulen der biografischen Ausreifung. Es kam dann die dritte dazu, der rote Faden, wie ihn Günther Maria Halmer nennt. Das ist die Suche nach dem Potenzial, das in jedem von uns ruht, wie es einmal Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit klassisch dargestellt hat: «Jedes Wesen hat seinen eingeborenen Begriff (das Gesetz seines Seins und Wirkens).»5

Obwohl wir körperlich, seelisch und kulturell von unserer Umgebung geprägt werden, dürfen wir nicht vergessen, dass sich bereits in den ersten Lebenswochen ein Individuum zum Ausdruck bringt. Dieser fundamentale Sachverhalt wird auch durch die neuere Säuglingsforschung bestätigt.

Das zeigt sich schon in den frühen Formen des Nachahmens, als eine erste Stufe familiärer und gesellschaftlicher Prägung. Diese erste Periode der Anpassung verläuft bereits äußerst individuell. Der «Umgangsstil» eines Kindes, den wir täglich aufs Neue entdecken, rührt nicht vom Erbgut her. Das Erbgut liefert im Grunde genommen lediglich eine Art Rohstoff zur weiteren Bearbeitung. Individuelle Nachahmung hingegen ist zunächst eine Willensbetätigung, die wiederum auf den noch zarten, unfertigen Körperbau verändernd, ja plastizierend zurückwirkt.

Der auch in der Anthropologie verwendete Terminus «Neotenie», d.h. die Unreife des Gehirns bei Neugeborenen, weist beispielsweise auf die Notwendigkeit weiterer Ausformung bestimmter Gehirnsysteme hin. Und das geschieht durch aktive Wahrnehmung der Außenwelt. Beim gesunden Kind treten Wahrnehmen und Nachahmen, wenn auch unterschiedlich intensiv, immer zusammen auf. Wer mit Kindern zu tun hat, braucht hier nicht auf Ergebnisse der Hirnforschung zu warten, um hier Sicherheit des Urteils zu gewinnen.

Ein kleines, aber lehrreiches Beispiel aus der Kindheit meiner ältesten Tochter: Einmal – sie war erst drei Jahre alt – war sie mit ihrer Puppe nicht zufrieden. Es war die Zeit, in der ich Teile von Goethes Faust in einem Kurs behandelte und worüber ich mich auch mit meiner Frau zu Hause unterhalten hatte. Plötzlich gibt die Kleine ihrem Wägelchen einen kräftigen Ruck und sagt, ganz empört: «Kannst du nicht den Augenblick genießen?!» − Als ob die Puppe und nicht Faust den berühmten Pakt mit dem Teufel geschlossen hätte. Nun, ich habe mir das Meinige gedacht …

Dieser ersten Zeit einer eher körperlich-sinnlich orientierten Nachahmung folgt die Periode der mehr seelisch-innerlich orientierten Nachahmung, die man auch eine Phase des Nach-Eiferns nennen könnte, weil man im Grunde genommen eine Autorität sucht und eine gewisse Führung braucht.

Durch eine lebhafte Fantasie werden, mehr oder weniger bewusst, innere Vorbilder aufgebaut. Es ist allerdings erstaunlich, welche Zeitgenossen oft als Vorbilder ausgesucht werden. Und dennoch bedeutet das nur ein inneres Tasten nach dem Eigentlichen, das sich in einem selber manifestieren möchte.

Ideale von Schönheit und Stärke, von Können und Dürfen, von Freiheit und Liebe bilden sich oft unmerklich, aber stetig: Wir haben es ja bei dieser Entwicklung mit Phasen des Erwachens, des Aus-Wickelns bereits vorhandener Anlagen zu tun, die sich immer mehr zu einer Einheit integrieren.

Das Leben ist immer ein Ganzes.

Eine weitere Phase, die sich bereits in der Pubertät und in der Adoleszenz meldet und etwa bis zum 21. Lebensjahr dauert, könnte man eine Periode des Nach-Denkens nennen. So, wie nachweislich in etwa den ersten sieben Jahren physisch nachgeahmt wird und dann später seelisch, kommt jetzt eine nicht minder intensive Zeit geistiger «Nachahmung». Gedanken der mehr oder weniger Großen aus Geschichte und Gegenwart werden einerseits kräftig nachgedacht und mit eigenen, oft bemerkenswerten Kommentaren versehen. Das eigene Denkvermögen wird dadurch geschult und mit der Umwelt sozusagen abgestimmt. Man diskutiert oft und gerne – soweit Smartphones nicht allzu stark im Spiel sind – und setzt sich in der Regel zunächst von der Meinung der Älteren ab. Es sei denn, der Jugend wird kein freies Denken ermöglicht und es wird am «Ich» vorbei erzogen. Aus diesen Tatsachen ergibt sich die Notwendigkeit, soweit es sich verwirklichen lässt, den Kindern und Jugendlichen ein nachahmenswertes, nacheifernswürdiges und nachdenkensintensives Milieu zu schaffen.

Also baut sich der werdende Mensch in den verschiedenen Phasen der Anpassung und Abstimmung sein individuelles Leibes- und Seelen-Instrument, um dann seine ureigene Schicksalsmelodie zu spielen. Dass diese biografierelevante Zeit durch Katastrophen, Krankheiten und Unfälle schwer beeinträchtigt werden kann, liegt natürlich auf der Hand. Aber auch im Falle einer «normalen» Entwicklung gibt es viele Variationen in Bezug auf die Hindernisse, die uns begegnen können. Ich werde in einem späteren Kapitel näher darauf eingehen. Alles hat freilich auch Übergänge und alle Entwicklungsrhythmen sind selbstverständlich sehr individuell.

Aber: Wann ist man «reif» oder «erwachsen» im eigentlichen Sinn des Wortes – mit 18 oder mit 21 wie früher, oder gar später? Die Antwort, die das Leben selber gibt, ist eindeutig: Ein Mensch ist erst dann reif und erwachsen, wenn er bereit ist, aus eigener Einsicht die volle Verantwortung für sein Leben und Handeln zu übernehmen, selbst wenn er mit Hindernissen zu kämpfen hat.

Für den heranwachsenden Menschen wird das Leben zunehmend spannender: Die Zwanzigerjahre beginnen, in deren Verlauf er sich in der Regel mehr und mehr in die Welt außerhalb der Familie hineinlebt. Abgesehen von Ausnahmen – das Leben ist keine Einbahnstraße – sind es jetzt Jahre der Ausbildung, des Studiums, der beruflichen Entwicklung, der intensiven Partnerschaften und der Familiengründung. Es sind aber auch Jahre der Wohngemeinschaften, der langen Diskussionsabende, der Reisen, der Ideale, der Hoffnungen und Enttäuschungen, ja auch Jahre der Exzesse.

Psychologisch gesehen entwickelt sich etwa zwischen 21 und 28 ein bestimmtes Glied unserer Seele, eine bestimmte Funktion: die Empfindungsseele.6 Es ist die Zeit, die von Forschern auch die vitale oder expansive Phase genannt wird. Denn gerade das Vitale, Spontane, das Vorausstürmend-Idealistische, das Prometheische charakterisiert diese bunte und abwechslungsreiche Lebenszeit. In der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft und Anthropologie stellt sich dieser Sachverhalt so dar, dass unser «Ich», das in sich «das Gesetz seines Seins und Wirkens hat», in diesen Jahren den eigenen Leib und die Welt ganz ergreifen möchte. Zunächst ist ja die Sphäre all unserer Sinne schicksalsgestaltend. Die ganze sinnenfällige Welt um uns zieht uns magisch an. Alles wollen wir sehen, hören und mitmachen: Dabei sein ist alles, sagt die Empfindungsseele. Wie intensiv können uns in dieser Zeit ein Sonnenuntergang, ein Kunstwerk, ein Mensch oder auch ein Auto begeistern! Alles, was gefühlsmäßig-sinnlich erfahrbar ist – spontan, unmittelbar −, ist jetzt Stoff eigener Lebensgestaltung; Amor trägt in dieser Zeit, je nach Veranlagung, besonders viele Pfeile in seinem Köcher.

Verstandeserwägungen oder kühle Distanz führen uns hier selten durchs Leben weiter. Schicksalsmäßig gesehen ist es so, wie wenn wir ein Pferd reiten würden, das besser als der Reiter weiß, wo unser Weg und unsere Lebensaufgaben liegen, wenn nicht familiärer Druck, Sippenzwang oder gesellschaftliche Konvention es auf bereits bekannte Pfade zwingen. Denn es geht um den roten Faden unserer Biografie. Es ist schon eine tiefe Wahrheit, die Friedrich Rückert in seinem Gedicht zum Ausdruck bringt:

«Vor jedem steht ein Bild des, das er werden soll;

Solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.»

Wie schaffen wir es aber, dieses «Bild» zu finden? Das Pferd steht hier für die eigene Intuition, die, gepaart mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und Beurteilung der eigenen Leistungen, bei der Beantwortung dieser Frage sehr weit führen kann. Auch wenn die Antwort erst «rückwärts» gefunden wird.

Also: extrovertierte Empfindungsseele auf der einen Seite und inneres Suchen nach der eigenen Intuition – nach der «inneren Stimme» − auf der anderen. Ein Spagat, der recht dramatisch erlebt werden kann, denn eine zentrale Frage ist auch: Ist die Gesellschaft bereit, die Ideale aufzugreifen, die jede neue Generation mit sich bringt und auch verwirklichen möchte? Bei vielen Erneuerungsimpulsen, welche die Jugend im Laufe des 20. Jahrhunderts bewegt hat, konnte man erleben, wie sie entweder irregeleitet wurden oder wie sie an den Betonmauern des Establishments zerschellten. Andererseits, von der Beatgeneration der frühen Fünfzigerjahre an bis heute betreiben junge Menschen eine beispiellose Selbstzerstörung an Leib und Seele durch Alkohol und Rauschdrogen und seit relativ kurzer Zeit auch durch erhöhten Medienkonsum. Aus Frust und Resignation? Sind nur die älteren Generationen daran schuld? Aber auch Neues entsteht. Ein durchaus positives Signal sind beispielsweise unter anderem die weltweite Bewegung Fridays for Future oder die Zivilgesellschaft. Stehen wir vielleicht am Anfang neuer, zivilisations- und kulturfördernder Bewegungen, welche Jugendkräfte in eine heilsame Richtung positionieren können?

Gewiss, die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit ist gerade im Zenit, weil man noch nicht direkt in das Räderwerk der Zivilisation eingreifen kann. Aber später, wenn die jüngeren Generationen Mütter, Väter, Arbeiter, Angestellte, Freiberufler oder gar Politiker geworden sind: Wie steht es dann mit den eigenen Idealen? Wollen wir sie noch oder werden sie verdrängt? Das ist die eigentliche Jugendfrage, die zur Altersfrage werden kann.

Ein großer Schritt wäre jedenfalls schon getan, wenn wir als Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und sonstige Menschen an den Hebeln der Macht auf eine den Erfordernissen der Empfindungsseele gemäße Vielschichtigkeit in der Ausbildung Rücksicht nehmen würden. Das würde uns und den jungen Menschen helfen, etwas von den Impulsen wahrzunehmen, die in den Zwanzigerjahren, aber auch darüber hinaus, auf dem Grund der Seele ruhen. Denn wir alle tragen, aus vorgeburtlichen Welten kommend, Erneuerungsimpulse für alle Gebiete des Lebens in uns: für eine Zivilisation, die in Gefahr ist, wie ein gestrandeter Wal an der eigenen Schwere zugrunde zu gehen. Nicht «Jugendwahn» für spätere Jahrzehnte ist also angesagt, sondern echte Jugendkraft, die, einmal entfaltet und später verinnerlicht, uns durchs ganze Leben und zu echten Fortschritten führen kann, nicht zuletzt zu realistischer Verwirklichung unserer Ideale.

Ganz am Anfang hatte ich darauf hingewiesen, dass Entwicklungsprozesse in der Pflanzenwelt sich auch in der menschlichen Seele widerspiegeln. Gemeint war der Rhythmus Evolution – Involution als Grundprozess allen Wachstums zu Blüte und Frucht hin. Die Pflanze entfaltet sich in Raum und Zeit, indem auf Phasen der Ausdehnung Phasen der Zusammenziehung folgen. Beim Menschen ist ja dieser Pendelschlag auf seelisch-geistiger Ebene zu finden. Somit wäre die innere Aufgabe der Dreißigerjahre bereits umrissen: den natürlichen Elan der vergangenen Jahre zunehmend zu verinnerlichen, um diese Spannkraft dann, über die Vierzigerjahre hindurch und hinaus, in Eigenbesitz zu verwandeln. Es geht um die Bildung eines Innenraums, der uns vermehrt die Kraft verleiht, Selbstgestalter unseres Schicksals zu werden.

Hier zwei Beispiele aus dem Leben Goethes und der Popsängerin Taylor Swift, die uns auf diesen biografischen Entwicklungssprung aufmerksam machen. Zunächst zwei Briefstellen des jungen Goethe. Die erste – er war 23 Jahre alt – charakterisiert treffend eine Seite der Empfindungsseele, während die zweite, neun Jahre später, die Grundtendenz einer neuen Lebensphase veranschaulicht:7«Gestern nachts geschwärmt, heute früh von Projekten aus dem Bett gepeitscht. Oh, es sieht in meinem Kopf aus wie in meiner Stube, ich kann nicht einmal ein Stückchen Papier finden als dieses blaue. Doch alles Papier ist gut, um Ihnen zu sagen, dass ich Sie liebe.» Und dann: «Halte künftig meine Briefe in Ordnung und lass sie lieber heften, wie ich mit den Deinigen auch tun werde, denn die Zeit vergeht und das wenige, was uns übrig bleibt, wollen wir durch Ordnung, Bestimmtheit und Gewissheit in sich selber vermehren.» Das spricht wirklich Bände!

Und über Taylor Swift lernen wir in Bezug auf ihr Album Lover, das Autobiografisches schildert: «… Tatsächlich erzählt die Platte aber vor allem davon, wie es sich lebt, wenn man 29 Jahre alt ist, etwas von der Welt gesehen hat, sich nach mehr Verlässlichkeit sehnt und sich nicht mehr so leicht mitreißen lassen möchte von den Strudeln des Lebens – aber zugleich weiß, wie hoch die eigenen Ansprüche sind. All dies gießt Swift in makellose Lieder wie den Titelsong, der auf den ersten Blick eine romantische Liebeserklärung an einen Mann ist – untergründig aber von der Frage getrieben wird, ob eben dieser Typ wirklich gut genug für den Rest des Lebens ist. […] Mit 29 fangen die Menschen an, sich an ein besseres Gestern zu erinnern …»8

Etwa 240 Jahre trennen beide Aussagen, und doch ist der Grundtenor verblüffend ähnlich.

Es kann auch so geschehen: Plötzlich, etwa um das 29./30. Jahr herum, begeistern mich ein Sonnenuntergang, ein Kunstwerk oder ein bestimmter Mensch nicht mehr wie früher. Alles scheint eine graue Patina zu bekommen, und das kann natürlich die unterschiedlichsten Formen annehmen. Wird man alt? Sind die Liebe, die Lebensfreude, das Engagement im Beruf hin? Nicht unbedingt! Die alte, naturbedingte Beschwingtheit möchte einer tieferen Seelenkraft einfach etwas Platz machen, um dann, wenn eine Verinnerlichung angestrebt wird, klarer und bewusster hervorzutreten. Man wird in sich zunehmend einsam, man zweifelt intensiver am Sinn eines Berufes, einer Partnerschaft oder gar am Sinn des Lebens selber. Die Verstandes- und Gemütsseele, eine weitere, natürliche Seelenkraft, meldet sich. Und nach und nach – das Leben geht weiter – merken wir: Wir sind die Gefragten. Man beginne einen wirklichen Dialog mit sich selbst, mit seinem Partner oder mit dem Leben selber, auf der Suche nach dem Wahren und Echten im Wechselbad der Gefühle, aber ohne Gram, ohne Verbitterung oder gar Schuldzuweisungen. Nicht meine Arbeit, nicht mein Partner, geschweige denn das Leben haben mir Sinn zu geben, denn ich kann sie von heute auf morgen verlieren. Es ist an mir, der Welt einen Sinn zu geben. Nicht also fragen: Was schuldet sie mir? Sondern: Was verlangt sie von mir, was bin ich bereit zu geben? Und das im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass ich ab heute, angefangen bei mir selber, meine Welt verändern kann. Keine theoretische Weltverbesserung ist also angesagt, sondern Selbstbestimmung auf verschiedenen Lebensebenen, von sozialen Bezügen angefangen bis hin zu Fragen der Umweltverschmutzung. Und zwar unmittelbar dort, wo es in meiner Reichweite steht. Anders kommt man in der heutigen Zeit mit ihren Unsicherheiten und Problemen nicht weiter.

Letzten Endes ist das die sogenannte Midlife-Crisis, die sich heute bereits sehr früh ankündigen kann. Sie ist eigentlich nichts anderes als eine mehr oder weniger bewusste Schatzsuche.

Das wahre «Ich», unser spiritueller Wesenskern, der sich nur im freien, souveränen Handeln offenbaren kann und der tief mit unserem biografischen roten Lebensfaden zu tun hat, ist der eigentliche Lebenskünstler. Denn es gibt im Prinzip keine Situation im normalen Leben, in die ich nicht als wacher, verantwortungsvoller Zeitgenosse mitgestaltend eingreifen kann. Außerdem kann sich hier mehr und mehr das Gesetz unseres «Seins und Wirkens» manifestieren.

Das ist dann das Geschenk der mutig durchgestandenen Dreißigerjahre: Das sind bereits einige Gaben der Bewusstseinsseele, die uns im Laufe dieses Buches besonders intensiv beschäftigen wird.

Wie geht es jetzt weiter?