6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €
1992. Ein kleiner Junge wird Zeuge eines schrecklichen Verbrechens. 2018 begleitet die 28-jährige Lena ihren Jugendfreund zu einer Preisverleihung. Dort lernt sie den skrupellosen Filmproduzenten Konrad Felsinger kennen und trifft eine fatale Entscheidung. Zu spät erkennt sie die Gefahr, in die sie nicht nur sich selbst begibt. Die 50-jährige Marie hat indes ihren Frieden gefunden, denn sie trauert nicht mehr um Christian Gottlieb. Dieser außergewöhnliche Mann, dessen plötzliches Verschwinden sie einst völlig aus der Bahn geworfen hat: Während einer Israel-Reise erkennt sie, warum Christian ihr Leben noch immer zu lenken scheint. Fassungslos macht sie jedoch, als sie ihren Freund Georg während eines geselligen Treffens erstmalig unerwartet aufbrausend erlebt. Sie kann nicht ahnen, was sich hinter seiner, bis dahin so freundlichen Maske für ein tiefes Geheimnis verbirgt ... Doch als sie glaubt, wieder vertrauen zu können, wird sie völlig unerwartet mit einer schockierenden Tatsache konfrontiert, die ihr Leben vollkommen durcheinanderbringt. Ein Buch über ungesühnte Verbrechen, verborgene Geheimnisse und die göttliche Kraft der Liebe sowie die Frage, warum der Herrgott im Himmel ein kühles Corona braucht, nachdem er sieht, was auf Erden so alles abgeht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Der Hoffnungsstreif
Prolog Mai 2018
Die Nominierung April 2018
Die Taube 1992
Die Unvollkommenen April 2018
Die Eintrittskarte April 2018
Der Thunfischsalat April 2018
Verschenkte Jugend April 2018
Der rechte Weg
Ersatz Jänner 2018
Glück vor Augen April 2018
Vom Winde verweht April 2018
Der schöne Rock April 2018
Rottweiler April 2018
Das feuchte Hemd 1992
Der Panzer April 2018
Nichts für ungut April 2018
Erfolgreich verhandelt? April 2018
Keine Pilgerfahrt Mai 2018
Probeaufnahme Mai 2018
Die zwei Mädchen Mai 1989
Stille Post Mai 2018
Ein gelungen Ding
Me-too Mai 2018
Sternenregen Mai 2018
See Genezareth Mai 2018
Geiselhaft Mai 2018
Wo ist Lena? Mai 2018
Wenn alle rechthaben? Mai 2018
Ein wenig wenig
Wie vom Panzer überrollt Mai 2018
Verspätetes Frühstück Mai 2018
Die Lavendelkerze Mai 2018
Der Schafskopf Mai 2018
Willkommen Mai 2018
Noch nicht zu spät? Mai 2018
Meine Schuld! Mai 2018
Nicht möglich! Mai 2018
Die Hornhaut Mai 2018
Die bewegten Poster Mai 2018
Abgedrehter Geldhahn 1989
Sie verbreitet sich!
Amnestie Mai 2018
Unverdientes Kind Mai 2018
Epilog Oktober 2019
Persönliches
Mehr von Brigitte Kaindl
Danksagung
Brigitte Kaindl
Das Echo von Gottlieb
Roman
Buch
Seit dem kometenhaften Erfolg des 30-jährigen Schauspielers Mark findet die 28-jährige Lena ihr eigenes Leben nur mehr unerträglich. Als sie ihren Jugendfreund zu einer Preisverleihung begleitet, lernt sie den skrupellosen Filmproduzenten Konrad Felsinger kennen und trifft eine fatale Entscheidung. Zu spät erkennt sie die Gefahr, in die sie nicht nur sich selbst begibt.
Dieser Roman ist Teil 3 der Echo-Trilogie, eines romantischen Dramas, das in die Tiefen der menschlichen Seele blickt. Im Mittelpunkt steht Christian Gottlieb, ein geheimnisvoller, junger Mann, der durch seine rätselhafte Aura sein gesamtes Umfeld verändert, bevor er plötzlich und unerwartet verschwindet. Jeder Roman kann ohne Vorkenntnisse für sich allein gelesen werden, obwohl die Geschichte fortlaufend erzählt wird.
Teil 1: „Das Echo des Herzens“: Christian Gottlieb erscheint im Leben der 47-jährigen Marie und der 25-jährigen Lena. Als tief verborgene Geheimnisse und ein Verbrechen sichtbar werden, verändert sich wie durch ein Wunder nicht nur Maries Leben völlig.
Teil 2: „Das Echo des Rosenmordes“: Christian Gottlieb ist nicht mehr da und ein schrecklicher Mord bringt der 48-jährigen Marie, aber auch der 27-jährigen Lena unermessliches Leid.
Teil 3: „Das Echo von Gottlieb“: Das Mysterium um Christian Gottlieb lüftet sich, während die 28-jährige Lena in tödliche Gefahr gerät. Am Ende offenbart sich ein Geheimnis, das nicht nur die 50-jährige Marie heftig erschüttert.
Unter dem Titel „Christians Geheimnis“ gibt es die drei Romane der Echo-Trilogie als Sammelband.
Autorin
Brigitte Kaindl wurde 1960 in Wien geboren. Die Autorin und Musikerin ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern.
Ihre bisher veröffentlichten Bücher:
„Mein Weg aus dem Fegefeuer“, Untertitel: „Missbrauch, Leid in der Dunkelheit“ (2018 unter dem Pseudonym „Brenda Leb“), Autobiografie
„Die zwei Wölfe“, Untertitel: „Jenseits des Fegefeuers“ (2024 unter dem Pseudonym „Brenda Leb“), Autobiografie
„Das Echo des Herzens“ (2019), Roman
„Das Echo des Rosenmordes“ (2020), Roman
„Das Echo von Gottlieb“ (2020), Roman
„Christians Geheimnis“, drei Romane der Echo-Trilogie als Sammelband
„Mann, oh Mann!“ (2020), Humorvolle Unterhaltungsliteratur
„Der Tote und das Gänseblümchen“ (2021), Roman
„Der Tod der Braut“ (2021), Roman
„In einem Meer voll Tränen“ (2021), Roman
„Der Mörder und die Wildrose“ (2022), Roman
„Der Tod des Bräutigams“ (2023), Roman
Autor: Brigitte Kaindl
© Urheberrechtlich geschütztes Material
Umschlaggestaltung, Illustration: Brigitte Kaindl
www.brigittekaindl.at
„Mein Vater, was birgst du so bang dein Gesicht?“
„Siehst du denn, mein Sohn, meine Kümmernis nicht? Das Unheil naht, die Zeit wird reif!“
„Mein Vater, es gibt einen Hoffnungsstreif!“
Christian Gottlieb stand in seines Vaters Angesicht und sie begannen ihr Gespräch, wie zumeist, mit einem kleinen, jedoch liebevollen Geplänkel.
„Mein Sohn, hat dein Einsatz vor drei Jahren nun denn Früchte getragen und wurde die Welt sehend?“ In Erwartung einer Antwort blickte er zu seinem Sohn, der merkbar zögerte.
„Hat dich die Menschheit erkannt, als der, der du bist?“, wurde der Vater demnach nachdrücklicher.
„Einige schon!“
„Und wie schaut es bei meinem Volk aus?“
„Ach, Vater, nie sollst du mich befragen“, versuchte Christian auszuweichen.
„Tu ich aber!“, beharrte der alte Herr. „Du warst doch unter ihnen. Was hattest du für einen Eindruck?“
„Einen guten!“
„Und, mein Sohn?“
„Ich glaube, die Menschheit ist auf einem guten Weg! Einige begnadete Seelen haben ein außerordentlich fruchtbringendes Verhalten und eine beeindruckende Gelehrigkeit gezeigt.“
„Also ist die Menschheit auf dem rechten Weg?“
Nachdem sein Vater allwissend war, redete Christian nicht weiterhin um den heißen Brei herum.
„Natürlich nicht die gesamte! Doch, Vater, hab Geduld! Ich bin voll Zuversicht, der Weg ist der richtige!“
„Dein Wort in Gottes Ohr!“, lächelte der Vater verschmitzt.
„Lena, spring!“
„Ich kann nicht!“
„Um Gottes Willen, spring doch!“
„Ich trau mich nicht!“
Paul rannte auf sie zu, gab ihr einen Stoß und sie fiel in das Sprungtuch, das die Feuerwehr ausgebreitet hatte.
Lena rappelte sich hoch und blickte entsetzt nach oben. Paul stand an der Brüstung und klappte plötzlich zusammen.
Wer kennt Mark?
In Riesenlettern standen die drei Worte auf dem Plakat.
Sie schwebten förmlich über dem Foto, das den jungen, attraktiven Mark Kellermann präsentierte. Ein verwegenes Lächeln umwehte seine vollen Lippen. Er trug enge Jeans und präsentierte seinen makellosen, nackten Oberkörper. Seine Finger hatte er lässig in den Hosentaschen und seine unwiderstehliche Ausstrahlung zog jedermann und ganz besonders jede Frau in den Bann.
Das wusste Marie.
Er sieht tatsächlich wie der junge Richard Gere aus, dachte sie jedes Mal, wenn sie das Foto betrachtete. Marie Haller, die 49-jährige Eigentümerin der Künstleragentur ‘Berg’ blickte auf das gerahmte Bild, das über ihrem Schreibtisch hing.
Vor einem Jahr war dieses Foto entstanden und seither kannte jeder in der Theater- und Filmbranche ihren talentierten Klienten, Mark Kellermann. Die Kampagne hatte eingeschlagen.
Und wie!
Mark konnte sich im vergangenen Jahr kaum vor Aufträgen retten. Filme. Serien. Theaterproduktionen.
Mark war sogar für die diesjährige Romy in der Kategorie ‘Bester Nachwuchs männlich’ vorgeschlagen worden. Für diesen Film- und Fernsehpreis auch nur nominiert zu sein, war nicht schlecht für einen jungen Schauspieler, den vor einem Jahr noch überhaupt niemand gekannt hatte.
Marie griff nach dem Kuvert auf ihrem Schreibtisch, das sie in der heutigen Post vorgefunden hatte. ‘Mark Kellermann’ las sie den Absender und griff lächelnd zum Brieföffner, entnahm dem Umschlag zwei Eintrittskarten und einen handschriftlichen Begleitzettel.
„Liebe Marie, ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, Ihren Einsatz und unerschütterlichen Glauben an mich. Ohne Sie wäre ich nie so weit gekommen. Anbei schicke ich Ihnen zwei Eintrittskarten zu, damit Sie der Romy-Gala mit Begleitung beiwohnen können. In unendlicher Dankbarkeit und lieben Grüßen, Ihr Mark!“
Marie lächelte, als sie die Zeilen las. Sie mochte Mark und freute sich, dass dieser begnadete Künstler endlich die Wertschätzung erfuhr, die er verdiente. Jahrelang hatte er, wenn überhaupt, in kleinen, kaum bekannten Kellertheatern gespielt. Trotzdem hatte er nie seinen Traum aufgegeben.
Marie konnte mit Marks künstlerischer Entwicklung durchaus zufrieden sein. Und das war sie. Mehr als das! Sie war richtig stolz auf ihn.
Aber auch auf sich selbst, denn diese Kampagne war ihre Idee gewesen.
Und das nicht zum ersten Mal.
Bereits vor fast drei Jahrzehnten hatte sie mit einer ähnlichen, nein, eigentlich mit der gleichen Kampagne, Erfolg gehabt.
Damals war aus Paul Schönherr, einem dunkelhaarigen, jungen Niemand der berühmte Hollywood-Schauspieler Roy Polaris geworden.
Maries Blick ging zu dem Foto, das gleich neben dem von Mark hing. Es zeigte Paul, bevor er international Karriere gemacht hatte. Damals, im vorigen Jahrhundert. Ihr Blick wurde weich und ein Lächeln legte sich über ihr Gesicht.
Obwohl Jahrzehnte zwischen den Fotos lagen, besaßen die Bilder den gleichen Ausdruck. Die Poster zeigten zwar unterschiedliche Männer, doch in gleicher Pose, mit ähnlich faszinierender Ausstrahlung. Atemberaubend und männlich.
Beide.
Während Mark mit seinem gewellten, blonden Haar lasziver und gleichzeitig ein wenig scheu wirkte, war Pauls Wirkung rassiger. Sein dunkles Haar fiel ihm ein wenig unordentlich in die Stirn und der unwiderstehliche Blick aus seinen blauen Augen erzeugte eine fast magische Wirkung, der sich kaum jemand entziehen konnte.
Zumindest Marie spürte noch immer einen schmerzhaften Knoten im Magen, wenn sie dieses Bild betrachtete. Auch, weil Pauls Bild erst wieder seit einem Monat in ihrem Büro hing.
Zuvor hatte es im Keller ein unrühmliches Dasein gefristet. Weggesperrt und aussortiert war es zwischen altem und unnötig gewordenem Gerümpel gelagert gewesen, an welches Marie genauso wenig erinnert werden wollte, wie an die Zeit mit Paul und die Entstehung dieses Fotos.
Doch nun hingen beide Bilder nebeneinander und um Maries Lippen legte sich ein zufriedenes Lächeln, wenn sie das von Mark betrachtete, ein glückliches, wenn sie das von Paul besah. Beide Männer waren zweifellos gutaussehend, ausgesprochen talentiert und hatten ihre beachtliche Karriere Maries Geschick zu verdanken.
Das war ein Grund, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Und das tat die zierliche Blondine mit dem geschulten Blick für Talente. Sie besaß hervorragende Beziehungen zur Theater- und Filmwelt, war eine fantasievolle Strategin und gewiefte Managerin. Marie liebte ihren Job.
Und sie liebte Paul.
Wieder.
Vor einem Monat hatte sie ihn wieder in ihr Herz gelassen und wenn sie das Foto ansah, das ihn vor beinahe dreißig Jahren zeigte, kamen wieder Erinnerungen zurück.
An ihr Kennenlernen.
An ihr Liebenlernen.
An seinen Betrug.
Kaum erfolgreich, war er mit einer Hollywood-Diva durchgebrannt und hatte sie schwanger sitzengelassen. Dass sie schwanger gewesen war, hatte er nicht gewusst.
Dass sie auf ihn gewartet hatte, hingegen schon!
Und doch hatte sie ihm verziehen. Und nicht nur das.
Allein durch den Gedanken an ihn, spürte sie noch immer seine fordernden Lippen und zärtlichen Hände, die sie, seit sie in seine Arme zurückgekehrt war, keine Nacht mehr losgelassen hatten.
Keine Nacht! Seit einem Monat!
Eigentlich war das ein Grund zum endlosen Kopfschütteln. Rein logisch betrachtet. Und normalerweise war Marie vernünftig und schaltete stets ihr Oberstübchen ein.
Üblicherweise.
Wenn sie ihre Erfahrungen mit Paul objektiv betrachtete, war das, was sie derzeit mit ihm erlebte, einfach nur dumm, unvernünftig, blauäugig und extrem naiv. Das wusste sie, wenn sie sich die reinen Fakten in Erinnerung brachte: Paul war ein Frauenheld und Säufer gewesen und daher vor zwei Jahren so richtig auf die Schnauze gefallen. Das waren die reinen Fakten, an denen es nichts zu rütteln gab.
Bis ...
Ja, bis Maries Herz die Kontrolle über ihre Gedanken und Taten übernommen hatte.
Derart beeinflusst, hatte sie irgendwann begonnen, Paul glauben zu wollen, dass er sich geändert hatte. Bald war aus dem Glauben-Wollen ein Wissen geworden. Ihr Herz hatte ihrem Geist eines Tages klar und deutlich aufgezeigt, dass sich Paul tatsächlich gewandelt hatte!
Und dann war es passiert!
Irgendetwas oder irgendjemand hatte diese Gefühle in ihr wieder aktiviert. Schicksal oder Gottes Wille? Egal, wie sie es nannte: Seit Marie ihr Herz für Paul wieder geöffnet hatte, hatte sie gespürt, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war.
Punkt.
Aus.
Das Gehirn wurde bloß noch im Büro eingeschaltet. Wenn sie jedoch in Pauls Armen lag, ließ sie nur mehr ihr Herz sprechen. So wie sie es von Christian Gottlieb einst gelernt hatte.
Christian.
Der junge Mann mit dem gepflegten Bart und den kinnlangen Haaren war vor drei Jahren in ihr Leben getreten und hatte ab diesem Moment ihr Dasein, sowie das ihrer Liebsten verändert und ins Positive gewandelt. Er hatte Liebe gepredigt und vorgelebt.
Und er hatte Paul den Spiegel vorgehalten und die Augen geöffnet. Man konnte diesen abgedroschenen Spruch durchaus verwenden, dass Christian aus Saulus einen Paulus gemacht hatte. Paul war nämlich unter Christians Einfluss tatsächlich ein völlig anderer Mensch geworden.
Und nicht nur er.
Wer Christian geglaubt hatte, war glücklich geworden.
Wie sie. Und Paul. Aber auch Lena und Maggie, ihre beiden Zwillingstöchter. Dabei war Christian kein Guru oder Psychologe gewesen und wie er das zustande gebracht hatte, wusste auch niemand so genau. Er hatte einfach nur die Menschen geliebt. Und das hatte funktioniert! Und wie!
Christian Gottlieb war nur wenige Monate in ihrem Leben gewesen. Er hatte einen Auftrag zu erledigen gehabt und war nach erfolgreicher Mission zurück zu seinem Vater gekehrt. Er war damals einfach verschwunden. Doch Christians Worte und seine Liebe waren in Marie geblieben. So wie er es ihr prophezeit hatte.
„Wer, wie du, Liebe verströmt, ist nie allein. Du hast eine begnadete Seele und ich werde immer bei dir sein. Du musst mir nur glauben“, waren einst seine Abschiedsworte gewesen.
Er hatte rechtbehalten.
Indem Christian sie gelehrt hatte, auf ihr Herz zu hören, hatte sie sich auch dieser unverständlichen, so heftig wieder aufkeimenden Liebe zu Paul irgendwann nicht mehr verschlossen. Es war Gottes Wille, hatte sie derart intensiv gespürt, nachdem sie ihr Herz wieder geöffnet hatte.
Wie ein Blitz hatten diese Gefühle wieder bei ihr eingeschlagen und, einem vernichtenden Flächenbrand gleich, hatte ihre Leidenschaft alle Bedenken niedergebrannt. Sie war sich einfach sicher gewesen, dass Paul sie nicht mehr enttäuschen würde. Sie vertraute ihm.
Auch wenn das bei ihrer gemeinsamen Vergangenheit unglaublich schien. Sie vertraute ihm trotzdem und es war schön, dieses Gefühl, sich wieder geborgen zu fühlen.
Und geliebt.
Die vergangenen Nächte waren so unglaublich gewesen, dass sie sich ernsthaft fragte, ab welchem Alter man eigentlich eine gediegene Frau zu sein hatte. Marie war zwar inzwischen Großmutter und noch vor einem Monat sah sie sich auch ausschließlich als liebevolle Omi.
Doch nun!
Puh, ihr wurde schon heiß, wenn sie nur daran dachte, wie intensiv sie in Pauls Armen Nacht für Nacht den Himmel auf Erden erlebte.
Ja, sie war glücklich. Unbeschreiblich glücklich. Und sie erlebte mit knapp 50 eine derart stürmische Zeit, dass sie rote Ohren bekam, wenn sie nur daran dachte.
Als hätte Paul ihre Gedanken gespürt, schrillte die Gegensprechanlage.
„Ich öffne!“, rief Marie in das Büro ihrer Tochter und lief zur Eingangstür.
„Danke, Marie!“, rief Lena, die hinter ihrem PC versunken war.
Marie öffnete die Tür und hörte Paul den Gang entlangkommen. Im Hintergrund bemerkte sie Lenas Schritte. Sie war nun doch aus ihrem Büro gekommen, um ihren Vater ebenfalls zu begrüßen.
Paul kam mit einem strahlenden Lächeln auf Marie zu und ihr Herz klopfte wie ein Trommelwirbel, als er näherkam. Dieser Mann sah noch immer so fantastisch aus. Schlank, inzwischen mit graumelierten, etwas schütterer gewordenen Haaren, sportlich und seinem Alter entsprechend, gut gekleidet. Seine ebenmäßigen Züge, seine blauen Augen und sein Grübchen am Kinn machten ihn unverwechselbar.
Ja, er war älter geworden, doch Marie liebte jede Falte in seinem Gesicht, denn es waren die Züge ihrer großen Liebe. Nachdem sie ihn einige Stunden nicht gesehen hatte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Nach nur so kurzer Zeit!
„Wir sehen uns um 15 Uhr. Bitte sei pünktlich“, hatte sie Paul nach dem gemeinsamen Frühstück gebeten, während er sie zärtlich geküsst hatte. „Ich werde überpünktlich sein, denn du fehlst mir schon, wenn du aus der Tür gehst“, wollte er sie nicht gehen lassen und hatte sie in seine Arme zurückgezogen, nachdem sie bereits die Tür geöffnet hatte.
Tatsächlich war er nun sogar eine Stunde vor dem vereinbarten Zeitpunkt gekommen und Marie musste sich beherrschen, um ihm nicht um den Hals zu fallen und da weiterzumachen, wo sie in der Früh aufgehört hatte. Ihn bei der Begrüßung lediglich mit einem Wangenkuss zu begrüßen, fiel ihr schwer.
Doch Lena hätte sicher wieder die Augen verdreht, wenn sie Paul zu stürmisch begrüßt hätte. Ihre Tochter lief auf Paul zu, gab ihm einen kurzen Wangenkuss und verschwand eilig wieder in ihrem Büro, um sich für ihren Feierabend fertigzumachen.
Lena arbeitete gemeinsam mit Marie in der Agentur und musste an diesem Tag früher gehen, weil sie mit ihrem einjährigen Sohn einen Termin beim Kinderarzt hatte. Aus diesem Grund hatte sich Paul bereit erklärt, in der Agentur auszuhelfen.
Er kannte den Job. Hier hatte er Marie vor fast dreißig Jahren kennengelernt und während Lenas Mutterschaftskarenz hatte er ebenfalls mit seiner Arbeitskraft ausgeholfen.
Marie zog Paul an der Hand in ihr Büro und schloss die Tür. Sie wollte zu ihrem Schreibtisch gehen und ihm die Einladung von Mark zeigen. Da nahm er ihre Hand, zog sie zu sich und küsste sie so leidenschaftlich auf den Mund, dass ihre Knie weich wie Pudding wurden.
Augenblicklich wollte sie überhaupt nichts anderes mehr. Sie spürte nur mehr seine zärtlichen Lippen und schmiegte sich hingebungsvoll in seine Arme.
„Hallo, mein Liebes“, flüsterte er, als er sie wieder freigab. „Du hast doch hoffentlich nicht gedacht, dass ich mich mit einem Wangenkuss als Begrüßung abfertigen lasse?“
„Ach, Paul, vor Lena können wir doch nicht ...“
„Lena ist erwachsen und weiß, wie das geht!“, grinste er und schob Marie eine blonde Strähne aus dem Gesicht, strich sie hinter ihr Ohr. Mit einer zärtlichen Geste zog er ihren Kopf an seine Brust und umschlang sie danach mit seinen Armen.
Sie genoss seine Nähe und schmiegte sich tiefer in seine Umarmung, während sie weiter argumentierte.
„Schon, aber ich weiß, dass Kinder es nicht gerne sehen, wenn ihre Eltern ...“, murmelte sie, während ihr Ohr seinen Herzschlag vernahm.
„Das tun, was sie selbst machen?“
„Ach, Paul“, tadelte sie ihn und stieß sich nun doch sachte von ihm weg, denn sie spürte, wie sie in seiner Nähe bereits wieder kribbelig wurde. Vor allem, weil sie auch sein Begehren sehr intensiv wahrgenommen hatte.
„Du stößt mich weg?“
„Ich glaube, es ist besser so.“
„Wie kann das besser sein?“, empörte er sich. „Ich empfinde seit einem Monat wieder, wie schön es ist, ein Mann zu sein und dann darf ich es nicht?“, beschwerte er sich und zog ein beleidigtes Gesicht.
„Darfst du doch“, schmunzelte Marie. „Aber nicht jetzt, und nicht hier.“
„Warum nicht hier? Erinnerst du dich? Damals?“
Er sah sie mit hungrigen Augen an.
„Als wäre es gestern gewesen“, bekam sie einen Blick, der bewies, wie genau sie sich daran erinnern konnte. Hier in diesem Büro war ihre Liebe seinerzeit entbrannt. Seine Pupillen vergrößerten sich, als er daran dachte.
„Ich wollte das damals eigentlich gar nicht. Du warst für mich eine nette Kollegin. Doch dann hast du dich gebückt und in dem Moment, wo ich diesen herrlichen Busen erspäht habe, war es um mich geschehen.“
Er blickte auch jetzt wieder auf ihre Brust und das nicht nur mit den Augen. Seine Hände hatten sich ganz automatisch auf ihre weichen Rundungen gelegt, als wären Augen und Finger mit einer feinen Schnur verbunden.
„Ja, ich weiß, Brüste waren schon immer dein Untergang.“
„Marie, ich habe soeben von dir geredet. Du hast mich in deinen Bann gezogen. Und ich habe niemanden jemals so begehrt wie dich.“ Als er ihren skeptischen Blick ausnahm, legte er nach: „Auch wenn es nicht immer so ausgesehen hat.“
„Nun, es hat ja nicht nur nicht so ausgesehen, es war auch tatsächlich nicht so gewesen“, zog sie die Stirn in Falten und sah ihn mit wissenden Augen an.
Er legte den Kopf schief und versuchte, diesen Satz mit den vielen ‘Nicht’ zu verstehen, dann nickte er.
Paul wusste, dass ihm seine Jugendsünden wohl ewig nachlaufen würden. Marie gab sich Mühe und versuchte, ihm zu vertrauen. Das spürte er. Doch es fiel ihr nicht immer leicht und das musste er ihr zugestehen.
Auch wenn es Paul belastete, immer wieder mit der Nase in seine Verfehlungen gedrückt zu werden, wie ein undicht gewordener Dackel, er versuchte Verständnis zu zeigen.
Er musste Verständnis zeigen.
Wahrscheinlich würde er sich bis an sein Lebensende rechtfertigen müssen. Doch er würde es tun, denn Marie war es wert.
Ihre Liebe war es wert.
Und letztlich: Was geschehen war, war doch tatsächlich geschehen.
„Ich weiß, was du meinst. Und, auch wenn du recht hast, vergiss bitte nicht: Für mich hat es immer nur dich gegeben!“ Er sah ihr tief in die Augen und nahm sie sanft bei den Schultern. „Auch wenn du dir das nicht vorstellen kannst.“
„Fällt mir tatsächlich noch immer ein wenig schwer“, gestand Marie. „Immerhin!“, sie zeigte auf das Poster, das ihn als 24-Jährigen zeigte. „Zwischen diesem Foto und heute gab es in deinem Leben vier Ehefrauen und unzählige, wirklich unzählige ...“ Marie wusste gar nicht, wie sie seine Seitensprünge und massenhaften Bettgeschichten benennen sollte. Doch Paul wollte sowieso nicht darauf warten, dass ihr das passende Wort einfiel. Er legte ihr augenblicklich den Finger auf die Lippen.
„Ich habe aber immer nur dich geliebt. Immer!“, wiederholte er und in seiner Stimme war aufsteigende Panik zu erkennen. Es war so schwer gewesen, Marie davon zu überzeugen, dass sie ihm vertrauen konnte.
Also, dass sie ihm jetzt vertrauen konnte.
Maries ersten Vertrauensvorschuss vor fast dreißig Jahren hatte Paul tatsächlich schneller verspielt, als ein Pokerspieler ein Royal-Flash präsentieren konnte.
Doch jetzt war er ein anderer Mensch. Gleich geblieben war lediglich seine Liebe zu Marie. Doch dieses tiefe Gefühl hatte er lange Zeit für sich behalten.
All die Jahre hatte er es bei sich getragen, wohlwissend, dass ihm Marie seinen Betrug und sein unverständliches Abtauchen vor 28 Jahren nie verzeihen würde. Nach dieser unseligen Geschichte war ihm klar gewesen, dass sich Marie ganz sicher nie mehr auf ihn einlassen würde.
Daher hatte er seine Sehnsucht verborgen und gar nicht erst versucht, Marie als Mann wieder näherzukommen.
Ihre Freundschaft war ihm zu wertvoll geworden, als dass er sie durch sein Sehnen nach dieser unvergesslichen Liebe, die er doch selbst verraten hatte, in Gefahr gebracht hätte.
Wenn aber sein Blick gedankenverloren an ihren vollen Lippen hängengeblieben, oder er ihr so nahegekommen war, dass er bereits den Duft ihres Haares vernommen hatte, hatte er es als gerechte Strafe empfunden, dass er ihr wohl nie wieder über die blonden, seidigen Locken streichen, oder in ihrem Mund versinken würde.
Ja, er hatte Sehnsucht nach Maries zarten, aber doch so weiblichen Körper gespürt. Trotzdem hatte er diesem Begehren keinen Platz mehr in seinem Leben eingeräumt und es daher unter Verschluss gehalten.
Bis zu jener Nacht. Die Nacht, in der seine Gefühle einen Weg zu ihr gefunden hatten und völlig überraschend von Marie erwidert worden waren. Was war das für eine unglaubliche Liebesnacht gewesen!
Doch am Morgen danach hatte Marie gezögert.
Das war für Paul nicht nur unverständlich gewesen, hatte er doch ihre Leidenschaft in den vorangegangenen Stunden so deutlich spüren können. Nein, das hatte er als unfassbar schmerzhaft empfunden, denn diese Nacht war so einzigartig, so unvergesslich schön gewesen, dass er sich ab jenem Moment ein Leben ohne Marie nicht mehr vorstellen hatte können.
Nicht nach dieser Nacht!
Damals, vor einem Monat, als von einer Sekunde auf die nächste ihre Empfindungen füreinander ausgebrochen waren, wie bei einem Vulkanausbruch. An jenem Morgen, wonach seine Sehnsucht sichtbar und spürbar geworden war und er sich wie im Himmel gefühlt hatte, war Marie tatsächlich wieder nachdenklich geworden.
Selbst nach dieser Nacht, wo ihre Körper und Seelen eins geworden waren, hatte Marie nach dem Erwachen gefragt, ob sie nicht einen Fehler gemacht hätten!
Ja, diese Frage war ein Schock für ihn gewesen, hatte er sich doch am Ziel seiner jahrelangen Träume gewähnt. Offenbar war Maries Vertrauen aber doch nachhaltig beschädigt gewesen.
Wenn nicht einmal diese Nacht etwas daran ändern hatte können?
Paul war damals klargeworden, dass er sie nicht unter Druck setzen durfte. Doch dann hatte er ihr den Ring an den Finger gesteckt. Diesen Ring, den er seinerzeit für sie gekauft und seither sein Leben lang bei sich getragen hatte, in der Hoffnung, ihn ihr doch noch eines Tages anstecken zu können. Einen Verlobungsring mit einem blauen Saphir-Solitär, der die gleiche Farbe wie ihre Augen hatte.
“Du hast gefragt, ob wir einen Fehler gemacht haben“, hatte er damals stockend geflüstert und ihr den Ring überreicht.
„Ich weiß, dass ich keinen Fehler gemacht habe. Nicht in dieser Nacht“, versuchte er seine zuvor gemachten Fehltritte dabei nicht unerwähnt zu lassen. Er hatte ihr den Ring auf den Finger geschoben und tief in die Augen gesehen.
„Das wollte ich schon mein Leben lang tun und ich wäre überglücklich, wenn du den Hallodri vergessen könntest, der ich früher gewesen bin. Seit ich Christian kennengelernt habe, ist alles anders. Er hat mich für die Liebe sehend gemacht. Ich habe erkannt, dass du meine einzige Liebe bist. Bitte glaube mir, ich bin heute ein anderer Mensch“, hatte er sich wiederholt.
Danach hatte Marie ihm geglaubt. Und seither waren sie ein Paar. Ein glückliches, das soeben vor Pauls Jugendbildnis stand, während Paul mit viel Geduld versuchte, Maries wieder einmal auftauchende, berechtigte Zweifel auszuräumen. Ein falsches Wort und Maries Skepsis konnte aufflammen. Wie soeben, als sie gemeinsam das Foto des treulosen Herzensbrechers betrachtet hatten.
Das wird wohl ab sofort meine Lebensaufgabe bleiben, dachte er. Doch es gab Schlimmeres. Sie nicht zu haben zum Beispiel. Er schloss Marie daher in seine Arme und flüsterte ihr ins Ohr.
„Ich habe mir so sehr gewünscht, dass ich bei dir noch eine Chance bekomme. Doch nach dem Tod deines Mannes vor fast zwei Jahren habe ich befürchtet, nein, mir war fast klar, dass du mich nie wieder in deine Nähe lassen wirst. Ich habe gespürt, dass ich es mit deinem verstorbenen Mann nicht aufnehmen kann.“
„Und doch habe ich dich wieder in mein Leben gelassen“, schüttelte sie zweifelnd den Kopf.
„Glaube mir, damit habe ich überhaupt nicht mehr gerechnet. Dich als Freundin zu haben, hätte mir schon genügt.“
Er nahm sie an den Schultern, um ihr intensiv in die Augen sehen zu können. „Marie, das sage ich nicht nur so. Das ist die Wahrheit. Ich habe mit Frauen bereits abgeschlossen gehabt. Und zwar absolut.“
„Mit gerade mal 50?“ Marie lächelte und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Du musst mir glauben. Vor dieser unvergesslichen Nacht mit dir habe ich wirklich bereits alles hinter mir gelassen. Frauen genauso wie Alkohol. Christian hat etwas in mir verändert. Das, was zwischen uns in jener Nacht passiert ist, hat mich selbst am meisten verwundert, denn ich habe von mir gedacht, keinen ...“, er zögerte, sprach dann stockend weiter, „also ... ich habe gedacht ... keinen Appetit mehr zu haben.“
„Auf Frauen oder auf Alkohol?“
„Auf beides!“, antwortete er und senkte den Kopf, als wäre ihm dieses Gespräch peinlich.
„Und Elli?“, wunderte sich Marie.
„Elli?“ kam genauso fragend retour.
„Ja, Eleonore Krammer, die seit einigen Monaten mit Georg verheiratet ist. Elli, die zuvor deine Freundin war“, versuchte sie seiner scheinbar nachlassenden Erinnerung etwas auf die Sprünge zu helfen.
„Genauso, wie Georg dein Freund gewesen ist.“
„Ja, aber meine Freundschaft zu Georg war rein platonisch.“
„Meine zu Elli ja eigentlich auch!“, versuchte Paul das Thema zu beenden.
„Was heißt: Eigentlich?“, hörte Marie diese verräterische Ausgrenzung.
„Ach, Marie! Was willst du denn jetzt hören?“
„Nun, die Wahrheit wäre toll!“, schlug sie vor.
„Elli hat es dir doch wahrscheinlich sowieso erzählt. Willst du es wirklich auch noch von mir hören?“, bekam seine Laune augenblicklich eine leichte Trübung. „Freundinnen reden untereinander doch über solche Dinge.“
„Solche Dinge? Welche Dinge? Was hätte mir Elli erzählen sollen?“, verstand Marie kein Wort.
„Nichts!“, quetschte Paul zwischen seinen Lippen raus. „Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“
Konnten sie nicht. Denn nun war Marie neugierig geworden. Es machte sie unruhig, dass Paul darüber nicht reden wollte. Immerhin war Elli seit Monaten glücklich mit Georg verheiratet. Ob zwischen ihr und Paul früher etwas gewesen war, war doch eigentlich inzwischen irrelevant. Außer aber, wenn Paul darüber nicht reden wollte.
Und danach sah es nun einmal aus. Sofort war Maries Argwohn wieder erwacht und sie sah Paul irritiert an. Warum will er nicht darüber reden? Gibt es etwas, das ich nicht wissen darf?, flatterten misstrauische Gedanken durch ihren Kopf.
„Du bist gut. Jetzt soll ich nicht mehr weiterfragen? Verstehst du denn nicht, wie nervös mich das macht, wenn du nicht darüber reden willst? Immerhin ist es Vergangenheit und was vor unserer Zeit war, würde mich doch nicht stören. Außer natürlich, wenn es doch nicht vorüber ist!“
„Marie, was soll denn dieses Misstrauen? Spürst du denn nicht, dass es dazu überhaupt keinen Grund gibt?“ Er küsste sie auf den Mund und Marie hatte irgendwie das Gefühl, dass er lediglich ihren Mund schließen wollte. Als er sie wieder freigab, sah er ihr zweifelndes Gesicht und kannte ihre Gedanken.
„Ich habe dich nicht geküsst, um dich zum Schweigen zu bringen“, erklärte er.
„Aber du willst auch nicht, dass ich weiterfrage“, stellte sie klar, dass dieser Anschein nicht zu Unrecht entstanden war.
„Das stimmt. Weil es mir peinlich ist.“
„Soll ich vielleicht Elli fragen?“, zog Marie ein Ass aus dem Ärmel. Paul spürte, dass es besser wäre, es Marie selbst zu erklären, bevor sie falsche Schlüsse zog.
„Nein, mein Schatz. Das musst du nicht“, seufzte er. „Ich sage es dir.“ Er schüttelte den Kopf und schien sich zu ärgern. „Elli ist scheinbar wirklich kein Plaudertäschchen und ich hätte mir das alles jetzt echt ersparen können. Es ärgert mich, dass ich tatsächlich gedacht habe, sie hätte es dir erzählt.“
„Was erzählt?“
„Dass ich ...“
„Was?“
„Also, es war so ...“
„Wie war es? Paul, komm schon. Du wirst doch hoffentlich vor mir keine Geheimnisse haben?“
„Nein, mein Schatz. Es ist mir nur, wie schon erwähnt, so verdammt peinlich, dass ich ...“ Da endlich ahnte Marie, warum er so herumstotterte. Und auch, warum es ihm unangenehm war, darüber zu reden.
„Du meinst?“ Sie hob ihren Zeigefinger in die Höhe und ließ den ursprünglich aufgestellten, strammstehenden Finger zusammenrollen. Ohne es aussprechen zu müssen, erkannte sie in seinen Augen, dass sie den Grund für sein Gestotter erraten hatte.
Er nickte leicht und blickte peinlich berührt zu Boden. „Für mich war damals klar, dass ich so etwas nie mehr erleben will. Damals habe ich beschlossen, dass das Thema Frauen für mich erledigt ist.“
„Oh, mein armer Liebling“, nahm sie ihn mitfühlend in die Arme, auch, um ihr Grinsen verstecken zu können. Sie jubelte innerlich vor Erleichterung, hatte doch noch kurz zuvor eine eifersüchtige Verunsicherung an ihr genagt. Nachdem er ein mit Elli geteiltes Erlebnis verschweigen hatte wollen, hatte sie automatisch viel zu viel in die Sache hineininterpretiert.
Dass er nur nicht gekonnt hatte, war für sie dermaßen erfreulich, dass sie sich bemühen musste, ihre Freude nicht zu deutlich zu zeigen. Noch dazu, wo er doch bei einer anderen Frau diesen Fehlschlag erlitten hatte und sie nicht einmal andeutungsweise ein ähnlich gelagertes Problem erkennen hatte können. Im Gegenteil. Er war bei ihr dermaßen zügellos, dass es absolut keinen Grund gab, an seiner Potenz zu zweifeln. Keinen!
„Ja, bitte, mache dich jetzt auch noch über mich lustig“, schien er ihre Heiterkeit trotzdem zu spüren. Offenbar grinste sie so weit, dass sich ihre Mundwinkel in seine Brustmuskeln drückten.
„Tu ich nicht!“, rief sie und versuchte ernst zu blicken, sah ihm voll Liebe in die Augen. „Ehrlich, mein Schatz.“ Sie strich ihm über die Wange und wiederholte zärtlicher. „Tu ich nicht! Ich bin bloß so unheimlich glücklich, dass es ‘nur’ das war.“
„‘Nur’, ist gut“, verstand er nicht so recht.
„Für mich ist es ‘nur’, denn es legt nahe, dass dein Körper mittlerweile scheinbar ausschließlich Liebe zulässt.“ Er schien über ihre Worte nachzudenken und begann leicht zu nicken.
„Warst du denn in Elli verliebt?“, fragte daraufhin Marie.
„Nein. Tatsächlich nicht. Aber sie auch nicht in mich“, schränkte er sofort ein, um nicht herzlos zu wirken. „Wir waren Freunde und beide einsam. Es wäre eine rein körperliche Geschichte gewesen, wie tausend andere zuvor“, redete er hurtig darauf los.
Dann strich er über ihre Wange und spürte plötzlich, dass Marie möglicherweise der Wahrheit sehr nahegekommen war. „Das mit dir ist und war tatsächlich immer ganz anders und mit nichts vergleichbar. Das mit uns war und ist Liebe“, sagte er und senkte seinen Mund auf ihre Lippen, küsste sie und schob seinen Arm um ihre Taille. Marie schmiegte sich mit einem seligen Seufzen in seine Arme und drückte sich ihm hemmungslos entgegen. Seine eindeutige Reaktion offenbarte, wie recht Marie tatsächlich hatte.
„Also, wenn ich ehrlich bin, ich wäre in den vergangenen Wochen nicht auf die Idee gekommen, dass bei dir auch nur irgendetwas nicht in Ordnung wäre“, schnurrte sie, als er sie kurz freigab.
„Ich auch nicht, mein Schatz. Ich auch nicht. Nicht bei dir! Du machst mich völlig verrückt!“, keuchte er, während er abermals gierig über ihre Lippen herfiel.
Der 4-jährige Junge spielte in seinem Zimmer Klavier. Er hörte die Türklingel, beendete das Spiel und horchte auf die Schritte seiner Mutter, die zur Tür eilten.
Kurze Zeit war es still und er wollte soeben wieder in die Tasten greifen, da vernahm er einen Schrei und öffnete vorsichtig die Tür, blickte mit schreckgeweiteten Augen in das Wohnzimmer.
Seine Mutter lag auf dem Boden und ein Mann war über sie gebeugt. Der Junge konnte den Besucher nicht erkennen und hatte auch keine Ahnung, was er mit seiner Mutter tat, doch er sah die Angst in den Augen seiner Mama.
Sie blickte plötzlich in seine Richtung und deutete mit der Hand, dass der Junge in sein Zimmer gehen sollte.
Doch das wollte er nicht. Er musste doch seiner Mama helfen. Sie hatte so erschrockene Augen und sah aus, als hätte sie Schmerzen.
Er lief daher auf den Mann zu, der seine Hose bis zu den Knien runtergezogen hatte. Eine tätowierte Taube sprang in das Blickfeld des Kindes. Eine blaue Taube auf einem riesigen, weißen Hintern. Der Junge schnappte nach einem Bein dieses fürchterlichen Mannes und wollte ihn von seiner Mutter wegzerren.
Da hob der Taubenhintern voll Zorn seine Hand und schlug dem Jungen mit voller Kraft mitten ins Gesicht. Der zarte, kleine Junge segelte quer durch das Zimmer und blieb benommen am Boden liegen.
In diesem Moment kam der liebe Onkel zur Tür herein und der Junge sah Fäuste fliegen und schreiende Gesichter. Hören konnte er fast nichts, denn der Schlag auf sein Ohr war derartig stark gewesen, dass er nur mehr ein dumpfes Brummen ausnehmen konnte.
Aber auch sehen konnte er nicht so gut wie noch zuvor. Irgendwie war plötzlich alles anders.
„Mein Schatz, bitte, hör auf, sonst sperre ich die Tür ab“, raunte Paul in Maries Ohr. Seinen eigenen Worten zuwiderhandelnd krallte er seine Finger in ihr Haar und zerrte mit der anderen Hand ihre Bluse aus der Hose. Voll Verlangen strich er über die weiche Haut ihres Rückens und drückte sie sehnsüchtig an sich. Maries Anschmiegsamkeit ließ ihn beinahe die Kontrolle verlieren.
Aber nur beinahe.
Zur Besinnung kommend gab er sie frei und schob Marie sacht von sich. Er wusste, dass Lena im angrenzenden Büro soeben ihren Arbeitstag beendete und jeden Augenblick in den Raum kommen könnte.
Marie stopfte die Bluse wieder in ihre Hose und schob ihr Haar aus dem Gesicht. Sie schwiegen einige Sekunden und versuchten sich wieder in zivilisierte Menschen zu verwandeln. Auch Paul zupfte an seiner Kleidung, insbesondere mit schmerzvoll verzerrtem Gesicht an seiner Hose, was Marie ein verschmitztes Lächeln entlockte.
Als sie wieder einigermaßen gesellschaftsfähig wirkten, hob Marie ihre Hand und strich ihm sacht eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Schweigend betrachtete sie ihn und wirkte nachdenklich. Er griff nach ihrer Hand und küsste ihre Fingerspitzen. Dann wollte er wissen, was in ihrem hübschen Kopf soeben vor sich ging.
„Woran denkst du?“
„Ach, ich habe gerade einen seltsamen Gedanken gehabt.“
„Schieß los!“
„Kann es sein, dass Christian nicht nur dein Denken und Fühlen, sondern alles in dir verändert hat?“
„Du denkst in diesem Augenblick an einen anderen Mann?“, schürzte Paul seine Lippen, als wäre er tödlich beleidigt.
„Hey, ich habe von Christian geredet!“, klopfte sie ihm liebevoll auf den Oberarm, „und er ist unser gemeinsamer Freund!“, verwies sie ihn scherzhaft darauf, dass Eifersucht nicht angebracht war.
„Ich nehme ja alles zurück, nur schlage mich bitte nicht mehr!“, grinste er und rieb sich den Arm, als hätte Marie ihm einige Knochen gebrochen. Dann wurde er ernst.
„Ich wundere mich nur, warum du soeben an ihn gedacht hast.“
„Nun, ich muss gestehen, mir ging unser Gespräch von vorhin nicht aus dem Kopf.“
„Welches Gespräch meinst du?“, fragte er und legte seine Stirn in Falten. „Wenn ich dich küsse, weiß ich gar nicht mehr, was vorher gewesen ist. Du musst mir schon auf die Sprünge helfen“, langte er abermals nach ihr, um sie zu umarmen. Sie ließ sich zwar in seine Arme ziehen, legte aber ihre Ellenbogen auf seiner Brust ab, um ihm weiterhin in die Augen sehen zu können.
„Na, das Gespräch, wonach du bei Elli ...“, zögerte sie und suchte nach den passenden Worten. Blitzartig wurde Paul klar, wovon sie redete und er legte ihr seinen Zeigefinger auf die Lippen.
„Bitte, nicht wieder aufwärmen!“, bat er sie, nicht weiterzusprechen.
„Nein, nein! Meine Gedanken gehen in eine ganz andere Richtung. Bitte sei doch nicht so empfindlich!“, schüttelte sie den Kopf, weil sie zwar wusste, wie unangenehm dieses Thema älteren Herrn war, es aber nicht wirklich verstand, vor allem, wenn es einmalig gewesen war.
„Bitte höre dir an, was ich soeben gedacht habe. Ich hatte nämlich gerade eine Eingebung: Vielleicht kannst du wirklich nur mehr lieben, wenn du wirklich liebst? Also, ich meine, möglicherweise hat Christian etwas damit zu tun, dass du Liebe empfinden musst, um ...“, sie zögerte, „... ein Mann zu sein“, vervollständigte sie den Satz.
Paul blickte Marie lange an. Dann erfasste er, was sie ausdrücken wollte, doch Marie sprach weiter.
„Wir wissen beide, wie viel Macht er besitzt. Wenn er der ist, den ich in ihm sehe, war das vielleicht sein Geschenk an dich!“, präzisierte Marie ihre Gedanken.
„Gut möglich“, nickte er. „Das wäre in der Tat das schönste Geschenk, das er mir machen konnte.“
„Und es würde zu den zahlreichen Wundern passen, die in unseren Leben in jüngster Vergangenheit geschehen sind. Er hat uns beide wieder vereint und meine Zwillingsmädchen in mein Leben zurückgeführt. Paul, ich glaube, wir beide sind begnadet, indem er uns so reichlich beschenkt hat. Kann es sein, dass er vielleicht etwas von uns erwartet?“
„Was denn?“
„Keine Ahnung!“, zuckte sie mit den Schultern.
„Wieso glaubst du dann, dass er etwas von uns wollen könnte?“
„Weil diese Geschenke doch nicht einfach nur Geschenke gewesen sein können!“
„Warum nicht?“, fragte Paul. „Gottesgeschenke sind nun einmal göttliche Gaben.“
„Derer man sich aber auch würdig erweisen muss. Ich glaube, dass Christian etwas von uns erwartet.“
„Noch mehr, als uns zu lieben?“, zog er sie wieder in seine Arme.
„Paul, bitte!“
„Sorry, dass ich schon wieder über dich herfalle“, entschuldigte er sich und klopfte sich scherzend selbst auf die Finger. Sie schmunzelte und Paul wurde ernst.
„Warum glaubst du denn nun wirklich, dass er etwas von uns erwartet?“
„Ach, ich weiß es ja selbst nicht. Es ist nur so ein Gefühl, das ich nicht einmal beschreiben kann. Und es hat wohl auch tatsächlich überhaupt keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Wenn ich rechthabe, wird er uns schon zu gegebener Zeit Zeichen schicken. So, wie er es immer getan hat“, nickte sie und sah Paul in die Augen.
„Und bis wir es wissen, lieben wir uns!“, raunte Paul und holte sich wieder ihre Lippen, küsste sie allerdings bloß kurz und kehrte zum Thema zurück.
„Ich teile deine Gedanken übrigens!“, erklärte er mit überraschend ernster Stimme. „Auch ich glaube, dass es göttliche Fügung war, die uns zusammengebracht hat, denn normalerweise hättest du mich doch nie wieder auch nur in deine Nähe gelassen.“
„Stimmt!“, bestätigte Marie. „Ohne Christians Einfluss hätte ich dich wohl ...“, ihr fiel gar nicht ein, wozu sie sich fähig wähnte.
„Zu Gulasch verarbeitet?“, fragte er lachend.
„So in der Art!“, lachte sie plötzlich auf. „Aber Christian hat mir den Zorn aus meinem Herzen gerissen.“
Marie schälte sich aus Pauls Umarmung und setzte sich nachdenklich auf die Kante ihres Schreibtisches.
Sie überlegte, ob sie mit Paul ihre tiefsten Gedanken, die sie bisher noch niemandem anvertraut hatte, teilen konnte. Ihr eigenes Geistesgut, Christian betreffend. Ihr tiefes Wissen, das sie in sich begrub, weil sie sich bisher gescheut hatte, es jemandem zu offenbaren, um nicht für verrückt gehalten zu werden. Doch nach Pauls Worten von vorhin, wusste sie, dass er es verstehen würde. Also begann sie sich vorsichtig zu öffnen und wählte ihre Worte mit Bedacht.
„Christian ist in unser Leben gekommen und hat uns Liebe gebracht. Er war ...“, sie stockte. „Er ist die personifizierte Liebe.“
„Willst du deshalb unsere Hochzeitsreise in seine ursprüngliche Heimat machen?“ Marie blickte Paul mit großen Augen an. Seine Frage offenbarte, dass er ihre geheimen Gedanken, Christian betreffend, kannte.
Sie blickte Paul gleichermaßen überrascht wie erfreut an und konnte lediglich nicken.
„Wahrscheinlich“, antwortete sie und schien in diesem Moment zu realisieren, warum sie dieses Reiseziel gewählt hatte. Vor einer Woche hatte Paul sie gefragt, wohin sie reisen wollte. Und ihre Antwort war ohne nachzudenken aus ihrem Innersten gekommen.
„Ja, du hast recht. Ich will ins Heilige Land, weil ich für alles, das er mir geschenkt hat, so dankbar bin. Vielleicht will ich mich inspirieren lassen – wozu auch immer, oder einfach nur seinen Geist noch einmal spüren, indem ich mich auf seinen Spuren bewege.“
„Tust du das nicht sowieso?“
„Stimmt. Ich spüre ihn tatsächlich in mir“, bestätigte Marie und klopfte auf ihr Herz. „Er ist immer bei mir! Genau, wie er es mir verheißen hat.“
Marie stand auf und ging zum Fenster, blickte in den Himmel. Dann drehte sie sich um und merkte, dass Paul darauf wartete, dass sie weitersprach. Also kam sie zum Punkt.
„Ich habe Christian von Anfang an als ganz besonders empfunden. Ist es dir eigentlich auch so gegangen?“ fragte sie vorsichtig. „Hast du nicht auch dieses Gefühl gehabt, dass er ganz außergewöhnlich ist? Also, kein gewöhnlicher Mensch?“ Paul blickte sie mit großen Augen an und schien darauf zu warten, dass sie präziser wurde.
„Also, es ist schon klar, dass er ein Mensch war. Aber irgendwie hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass er mehr gewesen ist. Viel mehr ... Ich weiß, ich kann es nicht mit Worten beschreiben, aber hast du nicht auch so ein unbeschreibliches Gefühl in seiner Gegenwart gehabt?“, beendete sie ihr Gestotter und brachte ihre wahren Gedanken einfach nicht in einem Guss über die Lippen.
„Eigentlich ja!“, nickte Paul. „Ich habe nur nie darüber reden wollen, weil mir meine Gedanken ein wenig seltsam vorgekommen sind. Aber Marie, erzähl: Was genau hast du eigentlich gespürt, als du ihn kennengelernt hast?“, fragte er, bevor er Details von seiner Empfindung erzählen wollte.
„Nun, ich war an dem Tag, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, völlig down. Wirklich total am Ende. Körperlich, geistig und nervlich sowieso. Und ich weiß noch, mir war aufgrund meines emotionalen Ausnahmezustandes irrsinnig kalt und ich habe schrecklich gezittert. Dann ist er gekommen. Er gab mir die Hand und in dem Moment, als meine Hand in seiner lag, ist mir auf einmal angenehm warm geworden. Durch meinen Körper ging ein angenehmer Schauder und mein Zittern hat sofort aufgehört.“ Sie blickte ihn mit großen Augen an. „War es bei dir ähnlich?“
„Ja!“, nickte er. „Jetzt, wo du es erwähnst, fällt mir ein, dass es auch bei mir eine Berührung gewesen ist, die meine trostlose Grundstimmung völlig verändert hat. Ich habe bisher eigentlich angenommen, dass es seine Worte gewesen sind, die mir so sehr unter die Haut gegangen sind. Das natürlich auch! Doch meine Gefühle haben sich genau in dem Moment verändert, als er mich einmal kurz berührt hat. Er hat sich damals nur auf meiner Schulter abgestützt, um sich neben mich setzen zu können, doch plötzlich war meine Verzweiflung wie weggefegt. Ich fühlte mich plötzlich ganz anders. Es war ...“, Paul schien keine passenden Worte zu finden.
„Als hätte er deine Seele geheilt?“
„Ja, genauso hat es sich angefühlt“, nickte Paul.
„Wie bei mir“, nickte nun auch Marie. „Ich habe es genauso empfunden. So, als hätte er mich durch bloßes Handauflegen geheilt.“
Paul sah sie fragend an.
„Und du hast sofort gewusst, wer er ist?“
„Nein, natürlich nicht! Ich habe damals gedacht, dass er vielleicht eine Art Wunderheiler ist. Du weißt schon, es gibt ja Menschen, die durch bloßes Handauflegen heilen können. An so einen Guru habe ich anfänglich gedacht“, lächelte Marie und sprach weiter. „Er stellte sich als Christian Gottlieb vor und war der angekündigte Wirtschaftsprüfer, der bereits im Besprechungsraum erwartet worden ist. Ich sollte ihn lediglich in den Sitzungssaal führen. Damals war ich die Assistentin des Vorstandsvorsitzenden“, erklärte sie nebenbei, weil Paul sie fragend anblickte.
„Aber das tut jetzt nichts zur Sache“, kehrte sie wieder zum Wesentlichen zurück. „Fakt war, dass ich Christian in den Besprechungsraum gebracht habe und jeder der Anwesenden von seiner Erscheinung genauso beeindruckt gewesen war, wie ich. Alle, wirklich alle waren aufgesprungen und haben ihn gleichermaßen fasziniert wie überrascht angestarrt. Es ist plötzlich mucksmäuschenstill im Raum gewesen. Kaum, dass er eingetreten war, ist es wärmer und heller geworden. Mit einem Mal hat eine andere, positivere Stimmung im Besprechungszimmer geherrscht. Damals habe ich gewusst, dass es nicht nur mir so gegangen ist. Alle im Raum haben seine rätselhafte Aura genauso gespürt, wie ich. Jeder hat gefühlt, dass dieser Mann nicht nur irgendein Mann war, sondern ... mehr ...“ Marie blickte Paul mit großen Augen an.
„Und da hast du gewusst, wer er gewesen ist?“
„Nein, für derartige Erkenntnisse war ich viel zu verwirrt. Dafür ist an diesem Tag auch viel zu viel passiert, über das ich jetzt gar nicht reden will. Obwohl ...“ Marie stutzte. „Ich kann mich noch erinnern, als ich neben ihm gegangen bin, um ihn in den Sitzungssaal zu bringen, … da hat er mich an jemanden erinnert. Doch mir ist einfach nicht eingefallen, an wen. Damals noch nicht. Mein Gefühl hatte es mir wohl schon eingeflüstert, doch ich war noch nicht so weit.“
„Und wann hast du es dann gewusst?“, wollte Paul nun wissen.
„Bei Maggies Hochzeit!“, antwortete Marie und bekam einen sehr weichen Blick, als sie an den Moment der Erkenntnis dachte.
„Es war, als das Ave-Maria gesungen worden ist. Ich blickte hoch und sah das Bild des barmherzigen Jesus und habe es auf einmal in meinem Herzen gespürt. Ich weiß noch, ich habe es gar nicht fassen können, dass er tatsächlich mich auserkoren hat.“
Sie sah Paul mit strahlenden Augen an und nahm seine Hand. „In diesem Moment wusste ich, wer Christian Gottlieb tatsächlich gewesen ist!“
„Christus, der Sohn Gottes, der auf die Erde gesandt worden ist, um Gottes Liebe zu verkünden“, antwortete Paul und schien keinesfalls überrascht zu sein.
„Du hast es auch gewusst?“
„Ja!“, nickte er. „Ich habe es am Morgen nach unserer so wunderbaren, gemeinsamen Liebesnacht gewusst. Zuvor habe ich es nur geahnt. Doch das hätte ich nie jemandem gesagt. Nie!“ Er lächelte schief und Marie verstand nur zu gut.
„Doch als ich an jenem Morgen in deinen Armen erwacht bin, habe ich sein Bild vor meinem geistigen Auge gesehen. Er hat mir zugelächelt und ich hörte wieder seine Worte: ’Wenn du dich für die Liebe entscheidest, kommt sie zu dir zurück’. Dann habe ich die Augen geöffnet und auf deinem Nachtkästchen das Bild des barmherzigen Jesus gesehen. Da habe ich es gewusst“, flüsterte Paul und zog Marie in seine Arme.
Sie legte ihren Kopf an seine Brust, spürte sein Herz klopfen und wusste mit einem Mal, dass alles tatsächlich Bestimmung gewesen ist. Alles. Sie und Paul. Dieses Gespräch. Diese Erkenntnis.
Sie erschauderte.
„Wieso hat er gerade uns gewählt?“, überlegte sie ehrfurchtsvoll und hob den Kopf. „Also, ich hätte ja nie gedacht, dass Christus überhaupt noch einmal auf die Erde kommt. Aber gut, ich gestehe, dass ich mit der Religion eigentlich nichts am Hut habe und daher auch nicht weiß, ob so etwas jemals geplant gewesen ist oder nicht.“
„Andererseits: Wenn er tatsächlich der Sohn Gottes ist ...?“
„Du willst damit wohl sagen, dass er doch tun und lassen kann, was er will!“
„Ja! Er oder sein Vater. Aber so in der Art waren tatsächlich meine Gedanken. Also, ich gestehe, dass ich nie religiös gewesen bin. Als Kind war meine Vorstellung von Gott die, dass er allmächtig und allwissend ist. Nachdem er alles nach seinen Plänen geschaffen hat, warum sollte er dann seinen Sohn nicht auch öfter mal auf die Erde schicken? Wenn er möglicherweise damit etwas bewirken will? Wer weiß, vielleicht war Christus schon öfter mal auf der Erde und hat sich unter das Volk gemischt. Wir wissen es doch nur von seinem ersten Wirken vor 2000 Jahren.“
„Und von seinem unvergesslichen Besuch bei uns!“ berichtigte ihn Marie. Paul lächelte schief.
„Aber genau über diesen Besuch wundern wir beide uns doch so sehr, dass wir es gar nicht wirklich glauben können!“ Er blickte sie an. „Das stimmt doch – oder? So richtig glauben wir es doch noch immer nicht. Sag, wenn ich mich irre!“
„Du hast natürlich recht. Aber es ist doch auch tatsächlich unglaublich!“
„Genau das meine ich. Das, was wir beide soeben besprechen, werden wir daher auch nie irgendeinem Außenstehenden erzählen. Oder?“
„Nein. Nie!“, pflichtete sie ihm bei.
„Immerhin: In der geschlossenen Anstalt ist man rasch!“, bestätigte er, warum er sich ebenfalls bedeckt halten würde. „Und daher bin ich mir auch sicher, sollten andere Menschen jemals das Gleiche erlebt haben, wie wir ...“
„... und die gleichen Schlüsse ziehen ...“
„... würden sie genauso darüber schweigen ...“
„... wie wir“, bestätigte Marie und wiederholte Pauls vorherige Worte: „In der geschlossenen Anstalt ist man ja wirklich rasch!“
Sie schwiegen eine Weile und jeder hing seinen Gedanken nach. Dann begann Marie zu sprechen.
„Ich fasse es aber noch immer nicht, warum er tatsächlich uns gewählt hat.“
„Ich habe auch keine Ahnung. Und wenn ich ehrlich bin, ich hätte nie gedacht, dass ich es überhaupt verdiene“, lächelte er gequält.
„Vielleicht früher nicht“, antwortete Marie. „Doch jetzt schon!“
„Danke, Marie, es ist lieb von dir, dass du das sagst. Aber was ich heute bin, ist nicht mein Verdienst, sondern sein Werk.“
„Nicht nur! Denn wenn du dich von ihm nicht hättest leiten lassen, dann ...“ Marie stockte.
„ ... wäre ich noch immer der arrogante Säufer, nur, dass ich inzwischen unter der Brücke schlafend, meine großen Sprüche klopfen könnte!“, vervollständigte Paul Maries begonnenen Satz.
„So deutlich hätte ich es nicht ausgedrückt“, lächelte Marie über Pauls treffend, scharfen Zynismus. „Aber vielleicht solltest du genau das erkennen. Nämlich, dass es dir gut ergehen wird, wenn du ihm folgst.“
„Gut möglich!“, bestätigte Paul. „Das kann tatsächlich sein!“
„Ist dir überhaupt klar, wie gesegnet wir sind, dass er uns auserwählt hat?“, sinnierte Marie und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wenn ich ehrlich bin: Nein! Ich kann es eigentlich gar nicht fassen.“
„Ich auch nicht. Aber eines ist schon klar: Das ist fast eine Bürde!“, blickte Marie nun beinahe verunsichert.
„Eine Bürde?“
„Nun, nicht gerade eine Bürde. Das Wort habe ich tatsächlich nicht richtig gewählt.“ Sie dachte nach, suchte einen besseren Ausdruck. „Eine Verantwortung wollte ich sagen. Dieses Wort passt besser!“, nickte sie heftig. „Ich will damit sagen, dass wir uns dieser Berufung würdig erweisen müssen.“
„Und das werden wir auch“, nickte Paul, griff nach Maries Händen und fühlte in diesem Moment eine so tiefe Verbundenheit, die weit über ihre unsterbliche Liebe hinausging. Das, was sie beide nun zusätzlich verband, war durch dieses Gespräch eine Dimension reicher geworden.
Was sie beide einte, war göttlich.
So jedenfalls empfand er.
„Wenn Christian etwas von uns erwartet, hoffe ich, dass wir ihn nicht enttäuschen“, zweifelte Marie offenbar mit einem Mal an ihrer Fähigkeit, Christians Erwartungen erfüllen zu können. Diese Befangenheit entsprang einer sich automatisch einstellenden Ehrerbietung, seit sie wusste, wer er war.
Ich kann doch über Christus nicht genauso denken, wie über Christian, meinen lieben Freund! Doch im gleichen Augenblick schob sich eine kecke Frage in ihre Gedanken: Aber warum eigentlich nicht?
Solange Christian Christian war, war er einfach nur Christian. Doch nun, wo sie wusste, dass er Christus war, schien sie vor Ehrfurcht fast zu erstarren.
Dabei war Christus doch Christian! Er war es vorher und ist es noch! Auch wenn sie inzwischen sein wahres Sein erkannt hatte, so hatte sich in Wahrheit doch absolut nichts geändert! Er war vorher ihr Freund gewesen und war es noch! Ihre respekteinflößende, fast schon an Furcht grenzende Hochachtung empfand sie demnach auf einmal flüssiger als flüssig – nämlich: überflüssig!
Und ihr wurde gleichzeitig klar, dass diese, sich wohl automatisch einstellende Bestürzung, auch der Grund gewesen sein muss, warum Christian für sein Erscheinen den zwar aussagekräftigen, aber doch nicht so ganz eindeutigen Namen ‘Christian Gottlieb’ gewählt hatte. Er hatte wohl gewusst, wie jeder Mensch reagiert hätte, wenn er sich völlig unverblümt vorgestellt hätte: ‘Grüß Gott, mein Name ist Jesus Christus, ich bin der Sohn Gottes und hierhergekommen, um ...’ Wäre er so direkt mit der Tür ins Haus gefallen, hätte doch jeder sofort herumgestottert, warum er seit der Erstkommunion nicht mehr in der heiligen Messe gewesen war, oder er hätte sich für den Jahre zurückliegenden Kirchenaustritt gerechtfertigt.
Nein, abgesehen davon, dass Christian an derlei Dingen gar nicht interessiert gewesen war, wurde Marie klar, dass er die Menschen keinesfalls in Panik hatte versetzen wollen. Und daher sollte auch sie diese unnötigen Zweifel an ihrer Befähigung aus ihren Gedanken streichen. Christian war ihr Freund! Egal, ob sie ihn Christian oder Christus nannte. Diese Erkenntnis dezimierte ihre Bedenken auf ein erträgliches Minimum.
„Ach, was rede ich da!“, sagte Marie. „Soviel ich mich erinnern kann, hat Christus gerade die Unvollkommenen besonders geliebt.“
„Na dann wäre ja klar, warum er mich gewählt hat!“, lächelte Paul schief und Marie sah ihm an, wie minder er sich soeben fühlte. Sie strich ihm daher liebevoll über seine Wange und zerstreute seine Bedenken.
„Jetzt bist du vollkommen. Für mich auf jeden Fall!“, bekräftigte sie. „Und scheinbar auch für Christian, sonst wäre seine Wahl nicht auf dich gefallen.“
„Vielleicht hat er sich ja geirrt?“, murmelte Paul und Marie sah ihn mit einem argwöhnischen Blick an, tätschelte seinen Arm.
„Ach, jetzt komm aber! Er ist unfehlbar.“
„Nun, wenn Christian in meinem Fall nicht tatsächlich sein erster elementarer Fehler unterlaufen ist, sollten auch wir uns keine unnötigen Gedanken machen“, grinste Paul nun und schien wieder etwas mehr in seine Mitte gefunden zu haben. „Beende daher aber auch du dein Grübeln! Er hat uns zusammengeführt, zu dieser Erkenntnis geleitet und er wird uns auch weiterhin führen. Wir dürfen nur eines nie aus den Augen verlieren!“
„Seinen Namen!“, wusste Marie und nahm ihm die Antwort ab.
„Ja, Marie! Gottes Liebe dürfen wir nicht aus den Augen verlieren“, bestätigte er, dass er genau das Gleiche gedacht hatte. Marie legte Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn und blickte nachdenklich.
„Weißt du, was seltsam ist“, schüttelte sie den Kopf. „Er kam in unser Leben, stellte sich als Christian Gottlieb vor und in diesem Namen steckte doch bereits die ganze Wahrheit. Warum habe ich aber dann so lange gebraucht, um es überhaupt zu erkennen?“
Paul konnte darauf keine Antwort geben, stellte stattdessen die nächste Frage.
„Was mich wundert: Waren, oder sind wir die Einzigen, die ihn erkannt haben? Du sagst, dass damals, als er aufgetaucht ist, alle im Besprechungsraum von seiner Ausstrahlung wie hypnotisiert gewesen sind.“ Paul hob die Hände. „Vielleicht haben ihn mehr Leute erkannt, als wir glauben.“
„Schon möglich!“, nickte sie vage und lächelte. „Immerhin, wer diese Gedanken hat, präsentiert sein Wissen ja nicht jedem, wie wir vorhin erörtert haben.“
„Ja, ja. Diese Anstalt, in der es von Leuten wimmelt, die Ähnliches behaupten“, grinste er.
„Aus diesem Grund habe ich es dir doch auch erst heute erzählen können“, erklärte Marie.
„Und was ist mit unseren Töchtern?“, fragte Paul. „Du hast erwähnt, dass Christian Lena sehr unterstützt hat. Aber auch Maggie hat ihn kennengelernt und schwärmt von ihm“, fiel Paul ein.
„Maggie hat ihn möglicherweise schon erkannt!“, nickte Marie nun heftig. „Sie hat ihn an dem Tag kennengelernt, als er zum letzten Mal persönlich in unserer Mitte gewesen war. Das Gespräch, das Christian mit Maggie bei seinem Abschied geführt hat, war zwar kurz, aber sehr intensiv. Und ich habe ihr angesehen, dass sie in ihm etwas Besonderes erkannt hat.“
„Und Lena?“, Paul sah sie fragend an.
„An Lena hat Christian wirklich wahre Wunder vollbracht“, schmunzelte Marie. „Ähnlich wie bei dir. Sehr ähnlich!“ Paul nickte lediglich, äußerte sich aber nicht. Also sprach Marie weiter.
„Lena war von Christian demnach natürlich völlig beeindruckt. Doch sie hat angenommen, Christians Vater sei der Besitzer einer großen Wirtschaftsprüferkanzlei.“
„Ehrlich?“, Paul riss die Augen auf. „Warum hat sie das gedacht?“
„Weil Christian als Wirtschaftsprüfer in unsere Firma gekommen ist. Beim Abschied hat er erwähnt, dass sein Auftrag erledigt sei und er zu seinem Vater zurückkehren muss.“
„Dann war es aber doch eigentlich logisch, dass Lena angenommen hat, Christians Vater wäre ebenfalls Wirtschaftsprüfer!“
„Ja, ihre Gedankengänge waren sogar total logisch und im Nachhinein betrachtet, auch ein wenig bizarr.“
„Bizarr?“
„Ja! Lena wollte Christian nämlich keinesfalls gehen lassen. Sie ging in ihrem Bestreben, ihn festzuhalten, sogar so weit, ihm Aufträge vermitteln zu wollen, nur damit Christian in ihrer Nähe blieb. Sie wollte unbedingt Kontakt zu Christians Vater aufnehmen und ihm ihre logistische Hilfe über Internet anbieten.“
Paul lachte lauthals auf.
„Unsere Lena wollte tatsächlich Kontakt zu Gott aufnehmen und über Internet Aufträge für Christus vermitteln?“, fasste er belustigt zusammen.
„Hört sich durch dein Resümee tatsächlich lustig an“, grinste nun auch Marie bei dieser Vorstellung. „Lena hat demnach ganz offensichtlich nicht gewusst, dass Gott ihr Verhandlungspartner gewesen wäre.“
Marie musste ebenfalls lachen, weil sie sich diese Situation soeben bildlich vorstellte.
„Das heißt, sie wollte Christian auf keinen Fall verlieren?“, fasste Paul fragend zusammen.
„Stimmt! Sie hat ihn so sehr gebraucht und war völlig niedergeschlagen, nachdem er aus ihrem Leben verschwunden ist. Sie glaubt, er kann ihr nur helfen, wenn sie mit ihm reden kann!“ Marie lächelte sanft. „Dabei hätte sie über ein Gebet jederzeit mit ihm in Kontakt treten können.“
„Das könnte sie doch auch jetzt!“, sagte Paul.
„Ja, aber nur, wenn sie daran glaubt. Christian hat uns zwar bei seinem Abschied beschworen, dass wir seinen Worten Glauben schenken sollen und erwähnt, dass er immer bei uns sein wird. Doch Lena hat das nicht so verstanden, wie wir beide es auffassen.“
„Und wenn du es ihr erklärst?“ Marie dachte kurz nach, schüttelte aber dann den Kopf, während sie antwortete.
„Nein, das würde nicht funktionieren. Wer glaubt und wer nicht glaubt, beziehungsweise an was oder wen jemand glaubt, das muss jeder für sich selbst entscheiden“, lächelte sie milde. „Niemand kann dir etwas einreden, wenn du es nicht selbst in deinem Herzen fühlst.“
„Da hast du nicht unrecht. Doch vielleicht kannst du Lenas Gedanken sanft in eine Richtung führen, wodurch sie selbst erkennt, wie begnadet sie eigentlich ist. Zu wissen, dass Christus sie auf Erden besucht hat, wäre für sie so ein tröstlicher Gedanke. Scheinbar fühlt sie sich von Christian verlassen. Es täte ihr sicher gut, würde sie erkennen, dass er nach wie vor immer für sie da ist.“
„Das könnte ich. Doch sie scheint momentan andere Probleme zu haben und ich denke, dass Christian in seiner unendlichen Weisheit schon dafür sorgen wird, dass sie ihn erkennt, wenn die Zeit reif dafür ist.“
„Du nennst ihn nach wie vor: ‘Christian’“, schmunzelte Paul.
„Nachdem ich ihn als Christian kennengelernt habe ...“, hob sie fast entschuldigend ihre Schultern und ließ das Ende des Satzes offen.
„Bleibst du einfach bei diesem Namen!“, vervollständigte Paul und zeigte dadurch, dass er sie verstand. „Und wenn ich mich richtig erinnere, gibt es in der Bedeutung zwischen Christian und Christus sowieso keinen elementaren Unterschied. Beide Begriffe bezeichnen den Messias und erklären, wer Jesus war.“
„Eben!“, nickte Marie. „Aber eines ist demzufolge völlig klar. Gott hat seinen Sohn gewiss nicht ohne Grund auf die Erde entsendet. Er will mit Sicherheit etwas bewegen und wir sind demnach Teil seines Plans!“, ergänzte sie und wiederholte mit einem ehrfürchtigen Blick ihre zuvor geäußerte Vermutung.
Paul sah sie lange an und hob dann seine Arme, zog sie an seine Brust.
„Unglaublich und doch nachvollziehbar!“, flüsterte er, während er ihr Haar küsste. Er konnte ihren Worten nichts hinzufügen. Sie hatte es auf den Punkt gebracht und er war einfach nur überwältigt. Marie ließ sich von Pauls Zärtlichkeit umhüllen und fühlte sich unglaublich geborgen.
„Daher ist deine Auswahl des Reisezieles genau der richtige Ort“, murmelte Paul, während er Marie über das Haar strich. Sie lächelte, als sie seine Worte hörte.
„Ich bin dir so dankbar, dass du dieser doch recht außergewöhnlichen Hochzeitsreise zugestimmt hast.“
„Außergewöhnlich?“ schob er sie mit fragendem Blick von sich, um ihr in die Augen sehen zu können. „Für uns ist das doch eigentlich der richtigste Ort der Welt. Auch wenn es unglaublich klingt: Christus hat uns nicht nur Gottes Liebe geschenkt, sondern auch den rechten Weg gezeigt.“
„Stimmt“, nickte Marie.
„Dann wird das die optimale Hochzeitsreise. Wir beschreiten den Weg der Liebe gemeinsam, indem die wundervollste Frau der Welt endlich meine Ehefrau sein wird.“
„Nummer fünf?“, blitzte Marie ihn keck an, wohlwissend, dass er das nicht gern hörte.
„Nummer eins!“, widersprach er sofort. „Du bist die erste Frau in meinem Leben, der ich