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Ewige Jugend gilt als Norm und wird mit Anti-Aging-Kampagnen vermarktet, die mit Fitnessgeräten, Diäten, Verjüngungskuren oder Tipps von der Altersforschung aufwarten. Falls das nichts nützt, müssen Lifting oder Haartransplantationen ran. Doch kann uns das wirklich das Altern genießen lassen? Die Psychologin Jessica Wilker meint: Gerade in einer Gesellschaft, in der eine vermeintlich ewige Jugend Altern ausklammern will, ist es wichtig, das Alter zu würdigen und es zu feiern. Und sie zeigt, wie wir durch die Akzeptanz des eigenen Alterns einen neuen Blick auf das Leben und eine Gelassenheit gewinnen können, die uns nur das Alter bietet. Ein Buch wie eine Schatzkiste voller Glück.
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Seitenzahl: 130
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagkonzeption: Gestaltungssaal, Rohrdorf
Umschlagmotiv: © Alexandra Hofbauer, Gestaltungssaal
Vignetten im Innenteil: Alexandra Hofbauer, Gestaltungssaal
Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN Print 978-3-451-60126-2
ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83494-3
Buch lesen
Innentitel
Inhaltsverzeichnis
Informationen zum Buch
Impressum
Die besten Jahre: Was dich in diesem Buch erwartet und was nicht
1. Was du brauchst, um die Freuden des Alters zu genießen
Sichtwechsel und neues Drehbuch
Selbstbilder überprüfen
Achtsamkeit
Erlauben und loslassen
Akzeptieren
Widerstand aufgeben
Im Jetzt leben
2. Wie du die Gunst der Stunde nutzen kannst
Die Vorteile, nicht mehr jung zu sein
Mehr Lebenserfahrung
Mehr freie Zeit
Weniger Ansprüche
Weniger Druck
Die Chancen beim Schopf packen
Wollen statt müssen
Schlendern statt eilen
Innere Einkehr statt äußere Ablenkung
Den Frieden wählen statt das Leiden
Abschiedsgeschenk
Nachweise
Über die Autorin
Über das Buch
Gratulation – den ersten Schritt zu mehr Genuss beim Älterwerden hast du eben getan: Du willst etwas über die Freuden der besten Jahre erfahren und herausfinden, was du tun kannst, um sie wahrzunehmen. Prima – genau an solche Leser und Leserinnen richte ich mich mit meinem Buch. An Menschen wie dich, die das Beste aus ihrer Lage machen wollen, die lieber handeln statt lamentieren.
Welches Alter du hast, wenn du mein Buch liest, fällt nicht groß ins Gewicht. Es gibt keine Altersgrenze, um von der Lektüre zu profitieren. Älterwerden gehört ja auch zu deinem Leben. Wir alle altern ständig. Von Geburt an, Jahr um Jahr, Tag für Tag, mit jedem Atemzug – bis uns auf einmal das Alter einholt. Dich natürlich auch. Stehst du noch nicht dort, könntest du die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden sozusagen als »Altersvorsorge« verbuchen.
Für diejenigen Leser und Leserinnen, die tatsächlich in den besten Jahren sind, sieht die Lage etwas anders aus. Die »Vorsorge« wandelt sich zur »Sorge«. Uns dämmert, dass unser weißes Haar im Schopf dem gelben Blatt im Baum gleicht: Es ist die Signatur des Herbstes. Der Winter kündigt sich an, der Sommer ist vorbei. Anders jedoch als im Zyklus der Jahreszeiten, wo es wieder Frühling wird, ist unsere Jugend für immer vorbei. Das ist wahrscheinlich der Moment, in dem wir übers Alter nachzudenken beginnen. Ein guter Moment. Es lässt sich nicht länger übersehen, dass das menschliche Dasein vergänglich ist und unsere Lebensreise unweigerlich zum Tod führt. Die Zukunft schrumpft, unsere Tage sind gezählt. Noch aber, liebe Leser und Leserinnen, liegen wir nicht auf dem Totenbett. Noch vermögen wir unsere Zukunft zu gestalten; nach wie vor haben wir die Chance, freier zu werden, es anders zu machen. Nichts wie los, sage ich.
Bring deinen inneren Haushalt jetzt in Ordnung. Lass jetzt los, was dir nicht guttut. Konzentriere dich auf das, was dir wirklich wichtig ist. Schätze deine Person und sei, wie du bist. Lockere deinen Griff, atme aus, entspanne dich. Auf dich wartet der Genuss der Privilegien, die du gewinnst, wenn du nicht mehr jung bist.
Falls du nun etwas enttäuscht bist, da du erwartet hast, in diesem Buch Anti-Aging-Tipps vorzufinden statt Aufforderungen zur inneren Wandlung, muss ich dich frustrieren. Du wirst keine Ratschläge erhalten, wie das Alter hinauszuzögern sei, um deine Jugendlichkeit zu erhalten.
Im Einmaleins der besten Jahre vertrete ich nicht die Ansicht, die Jugend sei die beste Zeit des Lebens und von da an gehe es bergab. Oh nein! Keineswegs wird unsere zweite Lebenshälfte immer fader und läutet das Ende aller Träume und Abenteuer ein.
Ich sehe uns am Beginn einer neuen Lebensphase stehen. Wir sind gespannt auf die Entdeckungen, die uns erwarten. Wir fühlen uns gut, genau so alt, wie wir sind. Wir sind nicht weniger wert, nur weil wir Runzeln und graue Haare haben. Wir sind keineswegs unwichtig, auch wenn wir nicht länger in die Arbeitswelt eingebunden sind. Wir sind davon überzeugt, dass jede Lebensphase ihren eigenen Wert besitzt, und haben im Sinn, das Beste aus unserer letzten zu machen.
Wie nachdrücklich ich mich auch für ein »Pro-Aging« einsetze, mache ich meinen Lesern trotzdem nichts vor. Ich behaupte keineswegs, Älterwerden heiße ausschließlich Freude und Sonnenschein. Schönfärben ist nicht mein Stil. Nennen wir es also beim Namen: Das Älterwerden ist oft kein Honigschlecken. Unsere Energie und Kraft nehmen ab, unser Leistungsvermögen wird geringer. Unser Körper zwickt und zwackt. Von A bis Z zeigt er Abnützungserscheinungen – von der Atmung bis zur Blase, vom Blutdruck, dem Herz, den Knochen und dem Kreislauf bis zu den Gelenken und der Verdauung.
Falls du, lieber Leser, liebe Leserin, dies zu morbide oder deprimierend findest, wirst du an dieser Stelle das Buch vielleicht zuklappen. Bevor du das jedoch tust, lass mich dir eins versichern: Wenn ich darauf aufmerksam mache, dass deine Zeit und deine Kräfte endlich sind, will ich dich damit nicht entmutigen, sondern im Gegenteil ermuntern. Ich vertrete die Meinung, dass sich aus jeder Lage das Beste machen lässt. Ich argumentiere, dass der Blick auf die Vergänglichkeit motivieren und Mut machen kann. Gerade weil unsere Zukunft schrumpft, gerade weil sie beschränkt ist, wird die Gegenwart umso kostbarer, und sie gut zu nutzen umso wichtiger.
Darum dreht sich mein Buch um deine Lebensfreude. Falls du also doch weiterlesen magst, wirst du feststellen, dass ich dir deine Chancen für ein genussreiches Älterwerden schmackhaft mache.
Das Einmaleins der besten Jahre erachtet Wunschdenken und eine Vogel-Strauß-Politik als unwirksame Strategien und setzt auf wertfreies Hinschauen. Darum lässt es sich von der Achtsamkeit lenken. Ihr Blick zieht alles gleichermaßen mit ein: das Schöne wie das Schwierige, die offensichtlichen Stärken wie die blinden Flecken.
Auch wenn sich dies vielleicht nicht immer gut anfühlt und dich herausfordert, wirst du davon profitieren, das kann ich dir versichern. Die Unbestechlichkeit der Achtsamkeit hilft dir nämlich, die Realität und deine persönlichen Werturteile voneinander zu unterscheiden. Das ermöglicht es dir, die Dinge nicht mehr persönlich nehmen zu müssen, und es erleichtert dir das Loslassen. Es gibt nichts zu bereuen oder zu verpassen. Du wirst zufriedener und entspannter, authentischer und toleranter. So schaffst du dir die besten Voraussetzungen, um deinen Lebensabend zu meistern und zu genießen.
Im ersten Teil dieses Buches geht es darum, sicherzustellen, dass du von den Schätzen, die das Älterwerden dir bietet, tatsächlich profitieren kannst. Schritt für Schritt werde ich dir diejenigen geistigen Haltungen und inneren Einstellungen vorstellen, mit deren Hilfe sich die Vorteile des Alters nutzen lassen. Sie sind sozusagen die Werkzeuge, mit denen du den Schlüssel zur »Schatzkiste des Alters« schmieden kannst.
Ich werde dich darauf aufmerksam machen, wo du dir möglicherweise selber im Wege stehst, und wir werden besprechen, wo es sich lohnt, sich einzusetzen, und was es zu ändern gilt. Je vertrauter die einzelnen »Werkzeuge« dir werden, desto einfacher wird es dir fallen, die Gunst der Stunde effektiv wahrzunehmen, die Schatzkiste zu öffnen und ihren schillernden Schatz zu heben.
Zum Auftakt möchte ich deine Aufmerksamkeit auf ein fundamentales Prinzip richten – und zwar anhand einer Redewendung, die du bestimmt schon gehört hast: »Das Glas ist halb voll.« »Das Glas ist halb leer.« Diese Redensart wird üblicherweise zur Veranschaulichung von Optimusmus und Pessimismus benutzt. Menschen mit pessimistischer Haltung fokussieren auf das Fehlende und sehen das Glas halb leer. Optimisten sehen es halb voll und freuen sich über das Vorhandene. Zwei Wahrnehmungen und zwei Reaktionen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und doch basieren sie auf dem genau Gleichen: Der Blick auf das Glas ist in beiden Fällen subjektiv gefärbt. Objektiv ist das Glas einfach zur einen Hälfte mit Flüssigkeit, zur anderen mit Luft gefüllt. Es sind die Betrachtenden, die dies als Mangel oder als Gewinn beurteilen.
Subjektive Wahrnehmungen sind nicht ausschließlich Optimisten und Pessimisten eigen. Wir alle bewerten Tatsachen unserem Temperament gemäß und werden dabei von unseren Vorlieben und Abneigungen geleitet. Was uns begegnet, empfinden wir als schön, hässlich, wichtig, unnötig, erstrebenswert, zu klein, zu groß, zu wenig, zu viel, und dementsprechend bewerten wir es. Alles ganz normal. Wir Menschen funktionieren eben so.
Das heißt nun aber nicht, dass wir unsere Wertungen als den einzig gültigen Standard setzen sollten. Im Gegenteil! Wir sollten unsere Meinung auf keinen Fall als allgemeingültig behandeln. Sie spiegelt nicht die universale Wirklichkeit, sondern einzig unsere persönliche Empfindung und Ansicht wider.
Es gilt, auf der Hut zu sein. Reagieren und handeln wir nämlich aus einer Bewertung heraus, führt das viel zu oft zu unschönen Resultaten. Denken wir zum Beispiel an Ansichten, die andere Menschen abwerten: »Ich finde deine Hautfarbe, dein Geschlecht, deine Herkunft minderwertig.« Unterdrückung, Ausbeutung, Mord und Krieg sind die Folgen solcher Haltungen.
Ein extremes Beispiel, das gebe ich zu. Ich will dir damit aber ans Herz legen, dass eine Verwechslung von Sichtweise und Situation wirklich keine Lappalie darstellt. Wenn die Abwesenheit von Objektivität auch nicht gerade zu Mord und Totschlag führen muss, kann sie deinen Alltag doch auf vielfache Weise belasten.
Hegst du zum Beispiel unrealistische Vorstellungen von deiner eigenen Person, legst du dir ständig selber Steine in den Weg. Wie dies in Bezug auf das Älterwerden aussehen kann, will ich dir als Nächstes mit einer Episode aus meinem Lebensalltag illustrieren.
Meine um zehn Jahre ältere Freundin und ich befinden uns auf dem Bahnsteig, jede mit ihrem Koffer. Wir sind auf der letzten Etappe unserer Städtereise, schon etwas müde und froh, denn es gibt nur noch eine letzte Fahrt zu überstehen. Unser Zug fährt pünktlich ein, die Reisenden drängen sich vor die Türen. Ein junger Mann bietet meiner Freundin an, ihren Koffer zu tragen. Erleichtert akzeptiert sie sein Angebot. Der junge Mann nimmt den Koffer zur Hand, und beide verschwinden im Zug. Ich, die ich stolz darauf bin, dass ich im Vergleich zu meiner Freundin mehr Körperkraft besitze – ein Beweis, dass ich jünger bin als sie –, hieve mein eigenes Gepäck mit einiger Mühe in den Zug. Die Stufen sind so hoch, dass ich den Koffer auf jedem Tritt abstellen muss, während die Menge hinter mir drängelt. Schwer atmend betrete ich unser Abteil, wo der junge Mann den Koffer meiner Freundin im Gepäckfach über den Sitzen verstaut hat und sich eben verabschiedet. Er dreht sich zu mir um und fragt: »Soll ich Ihren Koffer auch versorgen?« »Nein danke«, antworte ich ziemlich schroff. Ich bin beleidigt. Meint der etwa, er könne mich wie eine alte Dame behandeln! Ich bin schließlich jünger und kräftiger als meine Freundin, keine hilflose Alte – und überhaupt: »Selbst ist die Frau.« Gesagt – getan. Ich packe meinen Koffer mit einem Dem-zeige-ich’s-Schwung und hieve ihn mit beiden Armen hoch. Aua! Ein Schmerz sticht in meine Schulter. Beinahe muss ich den Griff loslassen. Mit letzter Kraft gelingt es mir, den Koffer auf das Gestell zu schieben. Dann lasse ich mich auf den Sitz fallen.
»Wie erfreulich«, schwärmt meine Freundin, »es gibt so hilfsbereite junge Leute.« Der Seufzer, mit dem sie sich bequem in ihren Sitz schmiegt, ist voller Befriedigung. Der Seufzer, der mir entfährt, ist voller Schmerz: Meine Schulter tut wirklich verdammt weh.
Ein beglückendes Erlebnis für meine Freundin, Schmerzen für mich. Völlig unnötige Schmerzen zudem! Eigentlich wäre mir nichts im Wege gestanden, mich ebenfalls beglückt zu fühlen. Nichts, außer ich selber.
Indem ich die Situation als persönliche Beleidigung interpretierte und mich an das Image der fit gebliebenen Jüngeren klammerte, reagierte ich auf eine Weise, die mir schlussendlich schadete. Es hätte mir besser gedient, hätte ich genauer hingeblickt und überprüft, ob meine Sichtweise der Realität entspricht oder nicht. Dabei hätte ich feststellen können, dass mein Bild von der kräftig gebliebenen selbständigen Frau revisionsbedürftig ist, ja eher ein Wunschtraum als eine Realität darstellt. Ich hätte auch realisieren können, dass Hilfe annehmen nicht mit Hilflosigkeit gleichzusetzen ist.
Ich bin natürlich nicht die Einzige, die sich selber als dies und jenes sieht, die Ansichten folgt, die überholt und unangemessen sind. Wir alle haben ein inneres Bild von unserer Person. In meinem Fall war »Ich brauche keine Hilfe von einem Mann« das Selbstbild, an das ich mich hielt. »Selbst ist die Frau« war der Slogan der inneren Stimme, die mich zum Aufrechterhalten dieses Bildes aufrief. Wie absurd aber, dass ich mir innerlich immer noch das Gleiche sagte wie der zwanzigjährigen jungen Frau, die gerade eben den Feminismus entdeckt hatte. Damals brauchte ich ein kämpferisches Skript, um mich zu befreien, ein Drehbuch, in dem ich die Abhängigkeit von Männern infrage stellte und mir meine Freiheit erkämpfte. Heute aber war ich eine ältere und selbstbewusste Dame. Mein inneres Drehbuch und die Realität stimmten nicht mehr überein. Mein Skript weiterhin zu verfechten, war nicht nur absurd: Es tat mir offensichtlich nicht gut.
Eine Identität zu pflegen, die mit den Lebensumständen nicht übereinstimmt, ist nie zu empfehlen. Gerade beim Älterwerden, wo unsere gewohnten Selbstbilder gezwungenermaßen zu bröckeln beginnen und unser Lebensdrehbuch ungewollte Wendungen nehmen kann, sind Schwierigkeiten garantiert. Verwechseln wir Wunsch und Wirklichkeit, ernten wir eine Menge Stress, Ärger und Enttäuschungen.
Und wer, lieber Leser und liebe Leserin, will sich das nicht ersparen? Wieso also ärgern wir uns über ein halbleeres Glas, wenn wir uns über ein halbvolles freuen könnten? Wir sind diejenigen, die eine Interpretation vornehmen. So können wir sie auch ändern. Problem gelöst! So leicht ist das.
Fang doch einfach an. Nimm deine Meinungen unter die Lupe und prüfe sie. Wie blickst du auf dich und die Welt? Bist du diejenige, für die du dich hältst? Bist du derjenige, der du zu sein glaubst? Welche unnötigen Ansichten schleppst du mit dir herum? Wo stimmt dein Drehbuch nicht mehr mit deiner Wirklichkeit überein?
Um dich beim Überprüfen deiner Selbstbilder zu unterstützen, will ich als Nächstes aufzeigen, wie sie entstehen und wie sie sich wertfrei erkennen lassen.
Zur Einstimmung ins Thema stelle ich dir die folgende Frage: »Wie würdest du dich selbst beschreiben?« – »Ich bin das und das von Beruf«, würdest du vielleicht sagen oder: »Ich bin verheiratet und Vater von zwei Kindern«. Möglicherweise würdest du dein körperliches Aussehen beschreiben und eventuell deine charakterlichen Eigenschaften ebenfalls erwähnen. Was du magst oder nicht, könnte auch Bestandteil deiner Beschreibung sein: »Ich bin ein Naturmensch. Ich bin fußballverrückt. Ich hasse kaltes Wasser und liebe klassische Musik.«
Ein Selbstbild ist stets facettenreich, nicht wahr? Es beinhaltet unser Aussehen, unsere Rolle oder unseren Status in der Gesellschaft und in der Familie, bis hin zu unserem Charakter, unseren Talenten und Fähigkeiten, unseren Stärken und Schwächen, unseren Vorlieben und Abneigungen. Zudem unterliegt es im Laufe unseres Lebens diversen Wandlungen. Das Leben steht ja nie still, und wir tun das auch nicht. Prosaische Feststellungen, die dir bestimmt geläufig sind. Jeder und jede von uns macht sich nun mal eine Vorstellung von sich und der eigenen Position in der Welt. Alles ganz normal.
Die für uns interessante Frage ist diejenige nach dem Nutzen oder Schaden unserer Selbstbilder. Geben die Vorstellungen, die wir von unserer Person hegen, uns Sicherheit und Halt beim Älterwerden oder ziehen sie uns den Teppich unter den Füßen weg? Welche Identifikationen erleichtern uns das Altern, welche erschweren es? Um darauf Antworten zu finden, lasst uns den Blick rückwärtsrichten und die Entstehung und Entwicklung von Selbstbildern untersuchen.
Eine Rückschau ist hilfreich, weil Selbstbilder uns allzu häufig unbewusst steuern. Werden wir ihrer jedoch bewusst, indem wir ihren Ursprung und ihre Wirkungsweise aufdecken, können wir die Zügel selbst in die Hand nehmen. Sind wir einmal am Steuer, vermögen wir Identitäten, die uns schlecht dienen, zu ändern.
»Manche Hähne glauben, die Sonne gehe ihretwegen auf.« (Uli Löchner)
Ich möchte die Entstehungsgeschichte von Selbstbildern mit zwei Beispielen dokumentieren. Das erste stammt aus meinem eigenen Leben und beschreibt meine Begegnungen mit einem Jungen namens Otto. Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, zog Otto mit seinen Eltern und seiner Schwester ins Nachbarhaus. Er und mein Bruder freunde