Das Erbe der Lilith - Yvonne Wundersee - E-Book

Das Erbe der Lilith E-Book

Yvonne Wundersee

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Beschreibung

Lizzy wollte niemals wieder ohne Mathias sein. Doch nach seinem Tod in der vierten Dimension, reist sie allein durch den Strudel, der die Welten miteinander verbindet. Sie landet in Pempeda, einer Stadt am Mittelmeer. Als wahre Hüterin wird sie hier von der Bevölkerung wie eine Göttin verehrt. Alles scheint perfekt zu sein, als auch noch Mathias mit ausgebreiteten Armen auf Lizzy zueilt. Selbst der Tod konnte ihn nicht von ihr trennen. Jetzt kann doch nichts mehr schief gehen, auch wenn der König ihr mit Argwohn und Feindseligkeit begegnet und ein aktiver Vulkan die Landschaft erzittern lässt. Lizzy ist zuversichtlich, denn sie kommt ihrem Ziel immer näher. Nichts ist wichtiger, als Satan zu besiegen und damit ihre Familie zu retten, koste es was es wolle.

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Seitenzahl: 423

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Yvonne Wundersee lebt mit ihrem Mann und den zwei Söhnen am Rande der schönen schwäbischen Alb. Das könnte ja so idyllisch sein, aber ihr war dieses Leben einfach zu langweilig. Sie hatte es satt nur in ihren zwei Jobs und der Hausarbeit gefangen zu sein. So erschuf sie aufregende Fantasiewelten mit Protagonisten, die sich den unglaublichsten Gefahren stellen müssen, um dem tristen Alltag zu entfliehen. Gern lässt die Autorin Leserinnen und Leser an ihren Geschichten teilhaben.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 1

Lizzy

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

Mathias

Lizzy

KAPITEL 14

Mathias

Lizzy

Mathias

Lizzy

KAPITEL 15

Mathias

KAPITEL 16

Lizzy

KAPITEL 17

Mathias

Lizzy

KAPITEL 18

Mathias

Lizzy

KAPITEL 19

Mathias

Lizzy

Mathias

KAPITEL 20

Lizzy

KAPITEL 21

Mathias

KAPITEL 22

Lizzy

KAPITEL 23

EPILOG

PROLOG

Endlich war der Tag gekommen. Ich, die einfache Greul, durfte die Schule für obere Dämonen besuchen. Niemals hätte ich damit gerechnet, den Machttest zu bestehen und dann auch noch von Satan, meinem Herren, persönlich eingeladen zu werden. Er hatte mich bei diesem Besuch gemustert, als wäre ich ein unbezahlbares Geschenk. Meine Macht sei etwas Außergewöhnliches und müsse gefördert werden, hatte er meinen Eltern gesagt. Sie waren vor Stolz fast geplatzt. Eine Dämonin des Siechtums in einer Familie aus wenig begabten Niederen.

Heute winkte ich ihnen fröhlich zu und machte mich auf den Weg zum Schloss. Für die Schule war ein Trakt des Herrschersitzes abgeteilt worden. Hier wurde die Elite der Unterwelt ausgebildet und ich sollte dazugehören. Unglaublich!

»Hey Kleine, kannst es wohl kaum erwarten, was?«

»Ich bin etwas zu früh da. Darf ich schon rein?«

»Natürlich. Könnte ja sein, dass du eines Tages unser General wirst. Da will ich mir deinen Zorn nicht jetzt schon zuziehen.« Die Wachen lachten und ließen mich passieren. Sie senkten kurz ihre Waffen vor mir. Ich staunte über dieses Zeichen der Ehrerbietung. Womit sollte ich mir das verdient haben? Ich konnte doch noch keine Erfolge vorweisen, hatte nur einen Test bestanden und wusste nicht einmal wie.

Durch ein goldenes Portal betrat ich das Gebäude. Ich lief durch die prunkvollen Flure und sah mich staunend um. Goldener Stuck schmückte die hohe Decke. In regelmäßigen Abständen hingen dort Kronleuchter. Sie verströmten ein sanftes Licht, das durch die Kristalle bunte Lichtpunkte an die weißen Wände warf.

Meine Füße sanken in dicke Läufer ein. Der Flor schluckte meine Schritte. Es fühlte sich fast an, als würde ich über die Sanddünen der Trauerwüste laufen. Dort drohte einem auch bei jedem Schritt der Verlust eines Schuhs.

An der linken Seite des Korridors gaben Fenster den Blick in einen Garten frei. Davon hatte ich bereits gehört. Fasziniert schaute ich mich um. Es wirkte magisch, die ganzen grünen Pflanzen aus der roten Erde wachsen zu sehen. Aber ich wusste schon, dass sie nicht dort wuchsen, um Freude zu schenken. Satan hatte an diesem kleinen Ort die teuflischsten Gewächse der Erde versammelt. Es wurde berichtet, dass er sich gern hierher zurückzog, um sich neue Foltermethoden für seine Feinde auszudenken. Wenn ich mir das recht überlegte, war dies der perfekte Ort dafür. Die Pflanzen boten eine Menge Inspiration.

Als hätte ich es heraufbeschworen, huschte eine Ratte durchs Gebüsch. Sie hielt die spitze Nase in die Luft und schnupperte. Ihre Barthaare zuckten nervös. Ich sah die Ranke, die sich auf den kleinen Nager zu schlängelte, aber ich konnte das Tier nicht warnen. Schnell, wie eine Viper, schoss die Pflanze hervor, schlang sich um den pelzigen Leib. Dornen bohrten sich durch das Fell. Die Ratte fiepte grauenhaft, während die Schlinge ihr das Blut aus dem Körper saugte. Ich wandte mich ab, denn ich hatte keine Lust, auch noch den anderen Gewächsen beim Töten zuzusehen.

Hastig schaute ich nach den Symbolen, die über den Türen angebracht waren. Raum IX. Das war mein Klassenzimmer. Ich hatte mir das Zeichen, das auf der Einladung stand, ganz genau eingeprägt.

Erste Unterrichtsstunde, ich komme!

Natürlich war noch niemand da. Aber in spätestens einer halben Stunde würden die anderen Schüler eintreffen. Vielleicht konnte ich hier Freunde finden. Es wäre schön, gemeinsam lernen zu können. Vieles wäre sicher einfacher, wenn man nicht allein war.

Ich atmete tief durch, ging in den Raum und legte meine Tasche auf den ersten Tisch.

Ein Wimmern ließ mich aufschrecken.

»Wer ist da?«

»Ich bin Tom. Tust du mir jetzt weh?« Die Stimme kam aus der hinteren Ecke des Klassenzimmers. Dort stand ein großer Gegenstand, der fast vollständig von einer Plane verdeckt war. Zwei nackte Füße schauten darunter hervor. Ich hob den Stoff vorsichtig an und lugte dahinter. Ein Junge hinter dicken Gitterstäben sah mich fragend an. Er war nicht größer als ein Höllenhundwelpe, trug nur ein löchriges Leinenhemd und die schwarzen Haare standen wirr von seinem Kopf ab.

»Was bist du?«

»Was soll ich schon sein? Ihr steckt doch nur Menschen in diese Käfige.«

»Du bist ein Mensch? Ich habe noch nie ein Lebewesen von der Erde gesehen.« Ich legte den Kopf neugierig schief. Sein Gesicht war so schmutzig, dass er fast als Grauer hätte durchgehen können. Nur dort, wo die Tränen den Schmutz abgewaschen hatten, sah ich schmale Streifen weißer Haut.

»Warum hast du Angst, dass man dir wehtut?«

»Weil sie immer geschrien haben.«

»Wen meinst du?«

»Die Menschen, die sie für den Unterricht abgeholt haben. Sie schrien so laut, dass ich es immer noch hörte, selbst wenn ich mir die Ohren zuhielt. Irgendwann verstummten sie und nie wurde einer von ihnen zurückgebracht.«

»Die Menschen wurden bestimmt irgendwo anders untergebracht. Das kannst du doch nicht wissen.«

»Du doch auch nicht. Du hast diese Schreie nicht gehört. So schreit niemand der überlebt.« Er hatte so leise gesprochen, dass ich ihn kaum verstand.

Die ersten Stimmen wurden im Flur laut. Meine Mitschüler kamen. Aufgeregt schlüpfte ich auf meinen Platz.

Vier größere Schüler traten ein. »Hey, wen haben wir denn hier? Das muss unser Wunderkind sein.«

Ich runzelte die Stirn. »Warum sollte ich ein Wunderkind sein?«

»Sie weiß es nicht. Das wird lustig. Ich bin gespannt, was sie drauf hat. Es muss schon richtig cool sein. Baál ist deswegen so wütend. Er hat sein Monopol verloren.«

»Was meint ihr damit?«

»Stell dich doch nicht dumm. Selbst du musst wissen, dass es bisher nur einen Siecher in der Hölle gab und das war Baál. Dann tauchst du aus dem Nichts auf und machst ihm seinen Rang streitig.«

»Aber das will ich doch gar nicht.«

»Denkst du das interessiert jemanden? Da kennst du aber Baál schlecht. Er wird dich richtig leiden lassen.«

»Aber das kann er doch nicht tun? Ich habe mir diese Gabe doch nicht ausgesucht.«

»Das ist dein Problem. Wir werden uns jedenfalls von dir fernhalten, um nicht auch zur Zielscheibe zu werden. Lass uns einfach in Ruhe, okay? Niemand hat Lust, sich den Hass unseres Lehrers zuzuziehen.«

»Baál ist unser Lehrer?«

Die drei lachten nur über mich und steckten die Köpfe zusammen. Ich ließ entmutigt die Schultern sinken und schluckte dabei die Scherben meiner zerbrochenen Hoffnungen herunter. Hier würde ich wohl keine Freunde finden. Bisher war nur Tom nett zu mir gewesen. Ich schaute zu ihm, aber ich konnte nur seine Füße sehen. Der Rest von ihm war wieder unter der Plane verborgen.

Der Raum füllte sich nach und nach. Aber kaum lächelte ich jemanden an, wandte er auch schon entsetzt den Kopf ab. Alle Schüler machten einen großen Bogen um mich.

Ein dunkler Gong hallte in den Klassenraum. Als hätte er auf dieses Zeichen gewartet, kam ein Dämon herein, der so mürrisch aussah, als käme er gerade aus den Feuergruben. Aufgerichtet wäre er wohl riesig gewesen, aber sein Rücken war gebeugt und die dürren Arme hingen vor seinem Körper fast bis zum Boden. Die gelben Augen wanderten über die Anwesenden und blieben an mir hängen. Ein Grollen kam aus seiner Kehle und er fletschte die Zähne. Seine Wangenknochen wuchsen, wurden spitz und färbten sich in einem angriffslustigen Rotton. So sah ein Dämon aus, der töten wollte.

Er ballte die Hände zu Fäusten und ich sah zu meinem Entsetzen, dass mehrere Tropfen ockerfarbenen Blutes auf den weißen Marmorboden tropften. Er wandte seinen Blick von mir ab, aber es schien ihm körperliche Schmerzen zu bereiten.

Ich blieb ganz ruhig. Jede Regung hätte ihn provozieren können. Ich hatte viele Geschichten über die Monster der Hölle gelesen, aber niemals daran gedacht, eines in meinem Klassenraum vorzufinden.

»Da unser Herrscher uns eine neue Schülerin zugewiesen hat, möchte ich die erste Unterrichtsstunde dafür nutzen, dass sie uns ihre Fähigkeiten zeigt, damit ich weiß, wo ich mit der Arbeit ansetzen muss.« Ohne mich anzuschauen, winkte er mich zu sich und riss im selben Moment die Plane von Toms Gefängnis. Der Junge robbte sofort so weit wie möglich von Baál weg. Der Käfig gab ihm allerdings nur wenig Spielraum.

»Töte ihn!«

Ich blinzelte Baál mit offenem Mund an. Seine Worte wollten einfach nicht in meinen Kopf.

»Was?«

Er knurrte. »Was ist an meinen Worten so schwer zu verstehen? Ich habe gesagt, töte den Menschen. Sofort!«

»Aber...«

Weiter kam ich nicht. Der Schlag ließ meinen Kopf zur Seite fliegen. Die Kratzer seiner Krallen brannten und ich fühlte das Blut an meiner Haut. Baál nahm keine Notiz davon.

»Corra, komm her.« Die Dämonin, die mich vorhin Wunderkind genannt hatte, sprang sofort auf die Füße. Sie senkte den Kopf vor unserem Lehrer. »Was ist Euer Befehl?«

»Zeige dieser niederen Dämonin, was es bedeutet, wenn ich dazu auffordere Macht zu demonstrieren.«

»Jawohl, Baál.« Sie verneigte sich kurz und wandte sich dem Käfig zu. Tom zitterte und schaute mich hilfesuchend an. Aber bevor ich begriff, was hier vor sich ging, streckte die Dämonin ihre Hand aus. Ein Feuerstrahl kam aus ihrem Zeigefinger. Sie lächelte erfreut, als Tom anfing zu schreien, denn sie ließ das Feuer langsam über seine Beine nach oben lecken. Er rollte sich und strampelte verzweifelt, doch sein Hemd hatte bereits Feuer gefangen. Der Einzige, der in dieser Schule nett zu mir gewesen war, wurde von meiner neuen Klassenkameradin nicht nur einfach getötet, sondern bestialisch gefoltert.

»Nein!« Ich sprang in den Feuerstrahl, nahm ihre Hand und schickte meine ganze verzweifelte Wut in diese Berührung. Sie wurde steif und riss ihre Augen panisch auf. Ihre Haut platzte und grüner Eiter floss aus den entstandenen Wunden. Ihre vorher so wunderschönen roten Locken wurden weiß und fielen büschelweise von ihrem Kopf. Inzwischen hingen ihre Kleider wie Stoffbahnen an ihrem ausgemergelten Körper und noch immer kam kein Ton über ihre Lippen.

Plötzlich wurde ich von Baál zu Seite gestoßen. »Du sollst deine Macht an dem Menschen demonstrieren und nicht an deinen Mitschülern, auch wenn ihre Schwäche belustigend ist.«

Er schnipste gegen das Dämonenmädchen und sie zerfiel vor meinen Augen zu winzig kleinen Aschekörnchen. Hatte ich sie getötet? Was passierte hier?

Ich wollte weg, mich vor dieser Situation in Sicherheit bringen, aber ich konnte es nicht. Hier Schwäche zu zeigen, würde meinen Tod bedeuten.

Mein Blick fiel auf den Käfig. Tom lag leblos auf den Gitterstäben. Seine Haut war so schwarz wie meine und dort, wo sie aufgeplatzt war, sah ich dunkelrotes Fleisch. Er bewegte sich nicht mehr. Er wirkte genauso tot wie meine Freude über die Macht, die in mir lebte.

KAPITEL 1

Lizzy

Wieder im Sog, wieder verloren.

Aber diesmal war ich allein. Er war nicht bei mir. Meine Gedanken galten ausschließlich ihm. Mathias war für die Mission gestorben, wieder einmal. Aber diesmal hatte er nicht schnell genug wieder auferstehen können, um mit mir gemeinsam in die nächste Dimension zu gelangen. Wir hatten uns schon oft gefragt, ob die Gabe Satans ihn in einem solchen Fall einfach in die neue Welt schicken würde. Als Gestrandeter im Reich von Teremun, müsste er versuchen, mir mit Hilfe des Spiegels zu folgen. Würde ihm das gelingen?

Diese Gedanken machten mich wahnsinnig. Ich wollte nicht ohne ihn weitermachen. Zu deutlich hatte ich in Erinnerung, dass wir nur gemeinsam stark genug waren, um den Gefahren zu trotzen. Ich brauchte seine Zuversicht, seinen Mut und seine Liebe.

Ein stummes Schluchzen bildete sich in meiner Kehle, ließ sie fast bersten auf seinem Weg durch meinen Hals. Die unsichtbare Fessel des Portals schlang sich immer fester um mich. Meine Knochen ächzten, standen kurz davor, in Stücke zu zerbrechen. Niemals würde ich mich an diesen Schmerz gewöhnen. Nur noch zweimal musst du dieser Macht standhalten. Dieser Gedanke tröstete mich. Zweimal und ich wäre wieder zu Hause. Bei der Erinnerung an meine Familie traten mir Tränen in die Augen. Ich würde sie wiedersehen, konnte ihr Schicksal ändern. Ich hatte eine unglaubliche Chance bekommen, wie sie sich so viele Menschen, die ihre Liebsten verloren hatten, wünschten. Dieser Antrieb ließ mich die Zähne zusammenbeißen und die Marter der Reise stoisch ertragen. Ich würde Amelie wieder lachen hören, meine Mutter tanzen sehen und in Vaters Armen Ruhe finden. Ich brachte ein Lächeln zustande.

Das wirbelnde Nichts warf mich noch wilder umher. Es schien, als sei es wütend darüber, dass seine Folter mir nicht die glücklichen Gedanken nehmen konnte. Es war wie ein zorniges Kind, das mit den Füßen aufstampfte und damit einen Tsunami auslöste, gegen den ich mich nicht wehren konnte. Ich schloss die Augen und wartete. Inzwischen wusste ich, dass ich die Qual überleben würde. Ich musste nur Geduld haben und das dringende Bedürfnis nach einem Atemzug ignorieren. Die Bewusstlosigkeit wollte gerade ihre schwarzen Fänge in mich schlagen, als der Druck verschwand. Ich ruderte mit den Armen in der Luft und machte mich auf einen harten Aufprall gefasst. Doch der kam nicht. Ich landete butterweich. Der Boden unter mir federte nach, wie ein Trampolin.

Ich machte die Augen auf und sah mich neugierig um. Riesige Kissenberge soweit ich schauen konnte. Die Kissen steckten in goldenen Bezügen und ihre weichen Daunen ließen mich tief einsinken. Es erforderte eine gewisse Anstrengung, mich auf die Knie zu kämpfen und den Kopf aus den Tiefen der Weichheit zu heben. Ich befand mich in einem Raum, dessen gepolsterte Wände mit goldenen Stoffen überzogen waren. Es war hell hier, obwohl ich beim ersten Umschauen kein Fenster sah. Mein Blick folgte dem warmen Sonnenstrahl, der einen Lichtpunkt auf meinen Unterarm zauberte. Ich musste den Kopf weit in den Nacken legen, um das Oberlicht in der Zimmerdecke zu erkennen. Der Raum war mindestens so hoch wie das Treppenhaus eines dreistöckigen Gebäudes. Trotzdem wurde er vom Sonnenlicht geradezu durchflutet.

Ich drehte mich um. Hinter mir sah ich den Spiegel. Seine Oberfläche schien sich noch immer zu bewegen und zähflüssige Wellen zu schlagen. Als wäre er ein alter Freund, neigte ich dankbar den Kopf.

»Bring mir Mathias, okay?« Meine Stimme wurde von den gepolsterten Wänden beinahe verschluckt, aber ich war mir sicher, dass die Macht hinter dem Spiegel mich trotzdem gehört hatte.

Ein Klicken ließ mich zusammenzucken. Ich ruckte herum. Eine Tür hatte sich geöffnet. Sie war mir bisher nicht aufgefallen. Jemand, der mir sehr bekannt war, streckte den Kopf herein und ich sah, wie sein Unterkiefer nach unten klappte, als er mich erblickte.

»Hallo«, sagte ich und krabbelte auf allen vieren auf ihn zu. Das war gar nicht so einfach, weil ich schon wieder von den Kissen verschluckt wurde.

Der Mann an der Tür war wie zur Salzsäule erstarrt. Sein Gesicht war leichenblass und seine Augen zeigten einen Schrecken, als habe er einen Geist gesehen. Sah ich wirklich so schlimm aus?

Als ich mich erinnerte, wo ich gerade herkam, musste ich kichern. Bestimmt sah ich sogar noch schlimmer aus, als ich es mir gerade vorstellen konnte. Mein Haar und meine Kleidung waren an vielen Stellen angebrannt. Wenn ich schon den Ruß und Schwefel an mir riechen konnte, sollte dieser Gestank auch dem Mann an der Tür nicht entgehen. Blut und Dämonenschleim klebten in dicken Flecken auf meiner Ledertunika. Der Verwesungsgeruch mischte sich mit meinem Schweiß. Und das war nur das, was ich selbst an mir wahrnahm. Sicherlich sprach mein lädiertes Gesicht noch eine ganz eigene Sprache.

Ein Ruck ging durch meinen Türöffner. Er verbeugte sich tief und hielt mir eine Hand entgegen. »Euer Heiligkeit, nehmt die Hand Eures unbedeutenden Dieners.«

Ich griff dankbar zu und mit seiner Unterstützung stand ich bald auf einem langen Flur. Zwei Soldaten kauerten auf dem Boden. Ihre unterwürfige Haltung erinnerte mich sehr an die unterdrückten Tonks. Das machte mir Angst. War die Hüterin hier ein ebensolches Miststück wie in der ersten Dimension? Sollte ich es tatsächlich wieder mit einer Person zu tun bekommen, die Gefallen daran fand, andere zu unterdrücken und zu schikanieren?

»Steht bitte auf. Vor mir muss niemand knien.« Ich hockte mich vor die beiden und lächelte ihnen aufmunternd zu, als sie zaghaft ihre Köpfe hoben.

»Ihr solltet nicht vor Euren Untergebenen knien, wahre Hüterin.« Ich warf Nickelbrille nur einen wütenden Blick zu, der ihn sofort verstummen ließ, und wandte mich wieder den beiden Soldaten zu.

»Ich bin Lizzy. Mit wem habe ich hier das Vergnügen?« Mein Herz hüpfte. Natürlich hatte ich einen der beiden bereits erkannt. Es war Elmarius. Der Mann, der mir schon in so vielen anderen Dimensionen über den Weg gelaufen war und sich immer als treuer Weggefährte entpuppt hatte. Von seiner Frau Mara hatte ich den Trank erhalten, der mich vor den Stimmen des Opals abschirmen konnte, ohne dass schlimme Nebenwirkungen meinen Geist überschatteten. Natürlich konnte ich mich diesem Elmarius hier nicht einfach in die Arme werfen. Er kannte mich nicht, war einfach nur eine Kopie meines Freundes.

»Elmarius und Toras. Wir sind die Wächter des Raumes der Prophezeiten, Euer Heiligkeit.«

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu begrüßen, wahre Hüterin. Ich bin einer der Magister unserer heiligen Allianz und wir haben bereits eine lange Zeit auf Euch gewartet. Heute ist ein Freudentag für unser Volk.« Ich wandte mich der Stimme zu. In meinem Kopf stiegen Bilder von einem ewig grinsenden Mann mit Spritze auf.

»Hallo Dr. Schreiber. Es ist schön ein bekanntes Gesicht zu sehen.« Ohne darüber nachzudenken zog ich ihn in eine Umarmung, merkte aber, dass er sich sofort versteifte. Was war denn los? Sollte er denn nicht am ehesten ahnen, dass seine Pendants mir bekannt waren. Er räusperte sich und mir blieb nichts anderes übrig, als mich von ihm zu lösen. Fragend zog ich die Augenbrauen zusammen.

Er ließ seinen Blick an mir hinabgleiten und schürzte die Lippen. »Es ist mir eine Ehre von Euch mit so viel Wertschätzung empfangen zu werden, aber ihr seid die wahre Hüterin und ich nur euer Untergebener. Berührungen stehen mir nicht zu.«

»Natürlich Dr. Schreiber. Ebenso wenig, wie es diesen Soldaten zusteht, dass ich ihnen mit Freundlichkeit begegne. Ich habe verstanden und werde zukünftig daran denken. Verzeiht meinen unangebrachten Enthusiasmus.«

Was eigentlich sarkastisch gemeint war, nahm er mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis. »Es gibt keinen Grund, warum die wahre Hüterin sich bei mir entschuldigen muss. Dafür haben wir auch keine Zeit. Ich habe den Auftrag, Euch direkt nach Eurer Ankunft zum König zu bringen. Er ist ein glühender Anhänger der Allianz und möchte nichts mehr, als unsere Heilsbringerin begrüßen.« Er ließ seinen Blick noch einmal über mich gleiten. »Auch wenn ich Euch zuvor lieber die Annehmlichkeiten eines Bades und sittliche Kleidung gegönnt hätte, die Eure Blöße bedeckt.«

Ich schaute an mir hinab und runzelte die Stirn. Er störte sich tatsächlich ebenso am Kampfdreck, wie an meinem kurzen Leinenrock? War es für ihn wirklich so schrecklich, ein Frauenbein mit aufgeschürften Knien sehen zu müssen?

»Ich möchte niemanden mit meinem Aufzug beleidigen. Die Dämonen in der Schlacht hat es nicht interessiert. Sie wollten mich mit oder ohne Hose zerfleischen.« Ich zuckte mit den Schultern, merkte aber im selben Moment, dass mich die Männer anstarrten, als wären mir gerade Hörner gewachsen.

Stille breitete sich zwischen uns aus und ich tänzelte von einem Fuß auf den anderen. Irgendwann ergriff ich dann doch wieder das Wort. »Da ich jetzt angekommen bin, braucht ihr diese Tür ja nicht länger bewachen. Was haltet ihr davon, wenn wir den Befehl des Königs befolgen und ihr mir zeigt, wo er sich befindet, damit ich ihn begrüßen kann?«

Mit Erschrecken erkannte ich, dass die Unterlippe von Toras zu beben begann. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ich sah Schreiber hilfesuchend an. Er antwortete mit einem nervösen Schulterzucken. »Euer Heiligkeit, das ist die größte Ehre, die es in dieser Dimension überhaupt geben kann. Ihr habt diese Männer soeben in den Stand eines göttlichen Begleiters erhoben.«

Ich runzelte die Stirn. Das war mir alles zu viel. »Wie dem auch sei. Seid ihr so nett und zeigt mir, wo ich hinmuss? Je schneller der offizielle Teil vorbei ist, desto eher komme ich irgendwohin, wo es Wasser und Seife gibt?« Mein Blick fiel auf Schreiber, der noch immer meine Knie anstarrte. »Vielleicht wäre es auch gut, wenn es dort einen Rock geben würde, damit dem lieben Doktor die Augen nicht aus dem Kopf fallen.« Schreiber wandte sich sofort ab. »Ich gehe schon einmal voraus und gebe Eure Ankunft bekannt.«

Elmarius strahlte mich glücklich an. »Wenn ihr mir folgen möchtet, Heilsbringerin.«

»Danke Elmarius. Du und Toras werdet mir sicherlich dabei helfen, mich in dieser Welt zurechtzufinden.« Toras rollte doch tatsächlich eine Träne über die Wange. Ich legte ihm eine Hand auf den Arm. Sofort fühlte ich sein Zittern. »Lieber Toras, um eins muss ich dich bitten.« Er sah mir in die Augen, als wäre er ein Welpe und ich sein Herrchen. »Alles was ihr wollt Hüterin.«

»Ich will, dass du mich wie einen deiner Kameraden behandelst. Kein, Euer Hoheit oder sonstige übertriebene Ehrbezeugungen. Ich bin Lizzy, ein Soldat im Dienst der Dimensionen. Würdest du nicht an meiner Seite kämpfen und mit mir knietief durch Blut und Dreck waten, wenn es die Menschen retten würde, die du liebst?« Ich wartete auf seine Zustimmung und sprach dann weiter. »Vor dir steht keine Hüterin, die angebetet werden muss, aber ich brauche loyale Menschen an meiner Seite, die nicht zögern, mich auf Fehler hinzuweisen.« Mein Blick wanderte von Toras zu Elmarius. Letzterer schluckte schwer und strich sich mit der Hand über den Nacken. »Ich werde es versuchen, Eu... ähm... Lizzy.«

»Das ist doch ein Anfang. Vielen Dank dafür.«

»Ich werde der hiesigen Hüterin ausrichten, dass ihr zugegen seid. Sie wird es sich sicherlich nicht nehmen lassen, Euch selbst zu begrüßen.«

»Dann richtet ihr doch bitte aus, dass ich mich darauf freue, sie kennenzulernen.«

»Sehr gern, Lizzy.« Elmarius neigte seinen Kopf ehrerbietig vor mir und eilte dann über den langen Flur davon.

»Also Toras, dann bring mich mal zum König.«

Ich lief neben Toras durch die Flure. Schon nach wenigen Abzweigungen hatte ich die Orientierung verloren. Er lief aber zielsicher voraus und warf mir immer wieder zögerliche Blicke zu.

Als er dabei fast über eine Teppichkante gestolpert wäre, riss mir der Geduldsfaden. »Was ist denn los? Wenn du mich etwas fragen willst, dann tu es. Ich beiße nicht!«

Er wurde ganz weiß und stammelte: »Ich wollte nicht..., es ist nur so, dass... Du bist so anders, als es uns die Weisen in ihren Geschichten beschrieben haben.«

Jetzt war meine Neugier geweckt. »Wie haben sie mich denn beschrieben?«

»Ja, wie einen Engel in weißem Gewand und Sanftmut in den Augen.«

Ich verzog spöttisch den Mund und schaute an mir herab. Von einem weißen Gewand konnte nicht die Rede sein und nach unzähligen Kämpfen in den Dimensionen, war Sanftmut ein Luxus geworden, den ich mir nur noch selten leisten konnte.

»Das ist ja wirklich nett von den Weisen.« Nachdenklich umfasste ich mein Kinn, suchte nach den richtigen Worten. »Vielleicht war ich so, bevor der Spiegel mich auf die Mission geschickt hat, sieben Dimensionen vor Satan zu retten. Während man um sein Leben und das seiner Freunde kämpft, bleibt keine Zeit dafür. Ich bin eine Kriegerin, die sehr gern wieder das liebe Mädchen wäre, doch im Augenblick gilt es ausschließlich, die Menschheit zu retten; vor der Hölle und vor sich selbst.«

Toras nickte. »Das kann ich wahrlich gut verstehen. Ich bin Soldat und wurde für den Kampf ausgebildet. Schon immer habe ich mich gefragt, wie man mit Sanftmut einen Krieg gewinnen soll.«

»Manchmal sind Freundlichkeit und Sanftmut die Auslöser, die den Sieg erst möglich machen. Du solltest Mathias, meinen Begleiter, danach fragen, wenn er mir hierher gefolgt ist. Er fand es anfangs dumm, sich um andere zu sorgen und auch die Nöte der Bevölkerung in den anderen Dimensionen ernst zu nehmen. Ich habe immer versucht, etwas an ihren Lebensumständen zu ändern; sie zum Besseren zu wandeln. Dadurch konnte ich Mitstreiter und Freunde gewinnen, ohne die ein Sieg niemals möglich gewesen wäre.«

Ich klopfte dem jungen Soldaten freundschaftlich auf die Schulter. »Du siehst, es gibt Strategien, bei denen Sanftmut zum Ziel führen kann, aber in keiner Schlacht bleibt ein weißes Kleid sauber.«

Nun glucksten wir beide. Das Eis war gebrochen. Toras wirkte viel gelöster. Das freute mich ungemein.

Wir erreichten eine zweiflüglige Tür, die zwei weitere Wachen sicherten. Sie hielten Hellebarden in den Händen und machten grimmige Gesichter, wohl um potenzielle Eindringlinge abzuschrecken. Aus dem Raum dahinter ertönte ein rauschendes Stimmengewirr. Es mussten sich unzählige Menschen dort befinden. Ich schluckte schwer. Jetzt sollte ich präsentiert werden, wie ein Artist im Zirkus.

»Bleibst du an meiner Seite?« Unsicher sah ich zu Toras auf.

»Hast du etwa Angst vor Menschenmengen?«

»Wenn ich mich mit einem Schwert durch Reihen von Dämonen kämpfen kann, fühle ich mich wesentlich besser.«

Toras legte eine Hand auf seine Brust. »Ich kann dich verstehen. Menschenmassen behagen mir nicht. Ich bin an deiner Seite, Lizzy, solange du mich brauchst.«

»Danke.«

KAPITEL 2

Die Wachen öffneten uns die Tür.

»Die Heilsbringerin, unsere wahre Hüterin ist eingetroffen«, rief einer von ihnen in den Saal. Die Stimmen erstarben augenblicklich. Ich ballte die Hände zu Fäusten und schritt voran. Kaum betrat ich den Raum, fühlte ich fast, wie die Blicke der Anwesenden mich durchbohrten. Ich wurde gemustert und taxiert. Was sahen sie in mir? Ich hatte noch immer die verheilenden Wunden des Sandsturms auf meinem Körper und die aus den letzten Kämpfen im Gesicht. Die Ausläufer von Satans Mal rankten schwarz über meine Haut. Ich war eine Kriegerin ohne weißes Kleid oder Sanftmut. Dafür mit Blut, Dreck und Schweiß auf der Haut. Ich war stolz darauf, meine Schlachten geschlagen und gewonnen zu haben, aber wie dachten diese aufgebrezelten Herrschaften darüber?

Um mich herum sah ich Unmengen von Tüll in allen erdenklichen Pastellfarben. Bizarre Frisuren, die sich fast einen Meter auftürmten, mit Schmetterlingen, Federn oder sogar ausgestopften Vögeln verziert waren, ragten um mich herum auf. Die Damen wedelten mit ihren Spitzenfächern und vermischten so ihre Parfümwolken miteinander. Wie gern hätte ich mir die Nase zugehalten. Igitt, es stank bestialisch. Die Männer trugen edle Hemden, an deren Schultern Togas mit aufwendigen Spangen drapiert waren. Unter den Stoffbahnen zeigten sich dunkle Kniehosen. Weiße Strümpfe und Schnallenschuhe rundeten die Ensembles ab.

Es schien, als habe die gesamte aufgetakelte Gesellschaft die Luft angehalten, nur um jetzt sofort in Schreckstarre zu verfallen. So eine Reaktion hatte ich noch nie ausgelöst.

Toras schritt mutig vor mir her. Er teilte die Menge, so dass ein Gang bis zu einer Podiumsbühne mit einem wuchtigen Thron frei wurde.

Dort saß ein kräftig gebauter Mann. Das musste der König sein. Seine Miene war verschlossen. Keine Regung verriet mir, ob ich mich vor diesem Monarchen in Acht nehmen musste. Plötzlich trat jemand aus dem Schatten hinter dem schweren Holz und mein Atem stockte. Mein Herz machte einen Sprung, als ich ihn erkannte. Er lächelte zu mir herüber und in seinen Augen stand das Versprechen auf Geborgenheit. Mathias.

Er hatte es geschafft. Trotz seines gewaltsamen Todes war er sogar schneller in dieser Dimension angekommen, als es mir möglich gewesen war.

Mit ihm an meiner Seite würde alles gut werden. Er setzte sich in Bewegung und rannte mit großen Schritten auf mich zu. Auch ich rannte los und zwängte mich an Toras vorbei. Mein Herz wollte mir aus der Brust springen. Die überbordende Freude nahm mir die Luft zum Atmen. Ich ließ mich in seine Arme sinken und hörte dabei das andächtige Seufzen der aufgetakelten Damen um mich herum.

Seine Arme hielten mich fest, während seine Lippen mir einen Kuss auf die Stirn hauchten. »Ich habe so sehr gehofft, dass du es schaffen würdest und nun erwartest du mich schon. Siehst du, der Spiegel lässt uns nur gemeinsam in die nächste Dimension. Er weiß, dass ich nur mit dir vollständig bin.«

Mathias schob mich auf Armeslänge von sich weg. Sein Blick wanderte über meinen Körper und hinterließ Wärme auf meiner Haut.

»Du siehst schrecklich aus, meine Kleine. Du solltest dir einige Tage Ruhe und einen Arzt gönnen.« Er strich mir über die zerzausten Haare. »So hätte Satan bestimmt keine Angst vor dir.« Echte Sorge leuchtete in seinen Augen, aber die Umstehenden kicherten. Das Tuscheln der Damen erfüllte den Raum, wie das Summen von Bienen. Aus den Augenwinkeln sah ich sie angewidert die Lippen verziehen, während sie mich musterten.

Wortfetzen gelangten an meine Ohren.

»... so ein schöner Mann.«

»... so schmutzig.«

»... Elisabetta … mehr Stil.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Wie konnten sie Mathias´ Sorge nur so verdrehen? In welchem Aufzug war er denn hier angekommen? Sicherlich hatte er zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht diese edle Kleidung getragen. Auch er war aus der Schlacht gekommen, war sogar getötet und verbrannt worden. Ich wollte mir nicht mal ausmalen, welche Angst die Menschen vor dem tätowierten Hünen mit der Narbe im Gesicht und der verkohlten Kleidung gehabt haben mussten. Wie lange war er denn schon hier? War der Weg durch die Hölle schneller gewesen als durch das Dimensionsportal? Egal, wichtig war doch nur, dass er hier an meiner Seite stand und ich die Liebe in seinen Augen sah.

Mathias bot mir galant seinen Arm und führte mich zum König. »Helius, darf ich dir die wahre Hüterin vorstellen, meine Lizzy.«

Der Mann auf dem Thron verzog das Gesicht. Er räusperte sich und presste zwischen zusammengebissenen Lippen hervor: »Es ist mir eine Ehre, dich in meinem bescheidenen Heim beherbergen zu dürfen. Auch, wenn deine Erscheinung zeigt, dass du die Wertschätzung mir gegenüber wohl nicht so ernst zu nehmen scheinst. Bitte richte deine Wünsche an meine Dienerschaft. Sie haben Anweisung, diese zu erfüllen, soweit es in meiner Macht steht.«

Wie sollte ich denn darauf reagieren? Sie wollten eine Hüterin, aber wie eine Kriegerin durfte sie nicht aussehen? Ich beschloss, ruhig zu bleiben. Vielleicht war es ja nur ein Missverständnis, dass sich lösen ließe, wenn wir einander etwas besser kennengelernt hatten. »Ich danke Euch, König Helius. Ihr seht, ich komme gerade aus einer siegreichen Schlacht und meine Aufmachung passt nicht in diesen erlesenen Kreis. Dürfte ich um ein Bad und die Reinigung meiner Kleider bitten.«

»Natürlich, Hüterin, du konntest ja nicht wissen, dass es in unserem Reich als fehlender Respekt angesehen wird, wenn nicht auf die notwendige Hygiene geachtet wird, bevor man dem Herrscher gegenübertritt. Sonst könnten wir uns ja gleich den Pöbel in den Ballsaal holen, nicht wahr?« Die Gäste kicherten hinter ihren Fächern oder hielten sich die bestickten Handschuhe vor die Lippen. »Ich werde dir diesen Frevel gern verzeihen und deiner Bitte nachkommen.«

Sein Blick fiel auf Toras, der sein Versprechen gehalten hatte und noch immer an meiner Seite stand. »Bring unsere Gäste zu ihrem Zimmer.«

Toras schlug die Hacken zusammen, neigte den Kopf und machte Anstalten den Saal zu verlassen. Mathias rührte sich allerdings nicht. Sein Blick blieb auf den König gerichtet. Er räusperte sich.

»Was wollt Ihr denn noch?«

»Wäre es anmaßend, um ein eigenes Zimmer zu bitten?«

Ich schaute ihn an, wie vom Blitz gerührt. »Warum brauchst du denn ein eigenes Zimmer? Wir haben immer beieinander geschlafen.«

»Aber Lizzy, das waren Ausnahmesituationen. Mir war die ganze Zeit bewusst, dass ein solches Verhalten schon beinahe als Sünde angesehen werden kann, schließlich hat kein Priester unsere Verbindung gesegnet.« Dann beugte er sich zu mir vor und flüsterte laut genug, um von den Umstehenden noch gehört zu werden: »Sei nicht böse, meine Kleine, aber es ist nicht angenehm, wenn du mir nachts ins Ohr atmest. Ich bekomme dann kein Auge zu und wir müssen doch ausgeruht in die nächste Schlacht gehen.« Er strich mir liebevoll über die Wange und setzte ein entwaffnendes Lächeln auf. War es wirklich so schlimm, neben mir zu schlafen? Bisher hatte ich immer das Gefühl, dass er meine Nähe genoss. Verwirrt war ich nur zu einem »Okay« fähig.

An den König gewandt, fragte ich mit zitternder Stimme: »Gibt es einen eigenen Raum für Mathias?«

»So sei es, Hüterin.«

Nach einem Dank folgten wir Toras und ließen die tuschelnde Festgemeinschaft hinter uns zurück.

Unterwegs stieß Elmarius zu uns. »Ich habe unsere Hüterin von Eurer Ankunft unterrichtet. Ihr werdet sie sicherlich bald kennenlernen.« Seine Augen blitzten vergnügt, so als könne er den Moment kaum erwarten. Ich fragte nicht weiter nach. Egal, was mit dieser Hüterin auf mich zukam, ich konnte es ja doch nicht verhindern.

Toras stoppte vor einer weißen unscheinbaren Tür. Er öffnete sie mit Schwung. »Das Zimmer des Begleiters, wie gewünscht.«

Mathias trat ein und schaute sich aufmerksam um. Scheinbar war er mit dieser Unterbringung zufrieden. Er bedankte sich bei Toras. Zu mir sagte er: »Ich komme vielleicht später zu dir, um dich zum Abendessen abzuholen. Der König möchte mit uns gemeinsam speisen. Er hat deinem Personal bereits entsprechende Anweisung gegeben.«

»Ich würde mich freuen, wenn du mich abholst. Das wäre dann fast so, als würden wir zu einem Date gehen.« Ich trat einen Schritt auf ihn zu, umfasste seine Hände und sah ihm tief in die Augen. »Es ist so unglaublich beruhigend, dass du es in diese Dimension geschafft hast. Siehst du, nicht einmal der Tod kann uns trennen. Unsere Liebe ist stärker als Satans Macht.«

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend auf. »Selbst wenn ich in Ägypten hätte bleiben wollen, dieser Strudel macht, was er will.«

Ich runzelte irritiert die Stirn. Was war das denn für eine Reaktion? Hatte er nicht verstanden, dass ich ihm mit meinen Worten eine Liebeserklärung gemacht hatte? Nachdem ich ihn in der letzten Dimension vergessen hatte, blieb immer das Gefühl in mir zurück, dass er fürchtete, ich könnte mich von ihm abwenden. Hatte sich das geändert?

Ich ließ seine Hände los. »Dann sind wir wohl beide froh, dass der Strudel dir keine andere Wahl ließ, als bei mir zu bleiben.«

»Sicher, meine Kleine. Aber jetzt solltest du dich frisch machen. Es bleibt wenig Zeit bis zum Dinner.« Damit schloss er die Tür und ließ mich mit Toras und Elmarius im Flur stehen.

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Es wartet ein Bad auf mich. Wärt ihr so gut und würdet mich hinbringen?«

Nur wenige Meter neben dem Zimmer von Mathias öffnete Elmarius eine zweiflüglige Tür. Mit einer einladenden Armbewegung bat er mich, einzutreten.

Was ich als Zimmer erwartet hatte, entpuppte sich als eine eigene Wohnung. Wir betraten ein riesiges Atrium. Ein Springbrunnen aus rosafarbenem Marmor plätscherte fröhlich in der Mitte dieses opulenten Raumes. Das Wasser floss aus einem filigran gestalteten Fisch, der aussah, als habe er soeben die Wasseroberfläche zu einem verspielten Sprung durchbrochen. Der Boden spiegelte, als wäre er nass. Er bestand aus auf Hochglanz poliertem Marmor. Anstelle einer Zimmerdecke gab auch hier eine Glaskuppel den Blick in den wolkenlosen Himmel frei. Sonnenstrahlen erhellten den Raum. Sie zauberten funkelnde Lichtreflexionen, die durch dieses Atrium zu tanzen schienen. Rechts und links gab es zwei prunkvoll verzierte Türen mit goldenen Intarsien. Sie waren jedoch verschlossen. Hier würde ich meine Neugier erst später befriedigen können, denn meine zwei Begleiter gingen zielstrebig auf die zweigeteilte Treppe zu, die gegenüber der Eingangstür an beiden Seiten der Wand in einem Halbkreis in den zweiten Stock führte. Im Erdgeschoss wurde ein halbrunder Bereich von ihnen eingerahmt. Dort stand eine gemütliche Sitzecke mit einem winzigen Tischchen.

Zu Beginn der Handläufe schmückten frische Mandelblütenzweige in steinernen Vasen den Aufgang. Sie verströmten einen betörenden Duft, den ich allerdings kaum genießen konnte, weil dieser Luxus mich fast erschlug. Atemlos folgte ich Elmarius und Toras in den zweiten Stock. Sie öffneten eine Tür, die ebenso aufwendig gestaltet war, wie die im Erdgeschoss und traten zur Seite. Ich ging an ihnen vorbei und bekam kaum noch Luft. Das war zu viel. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Raum gesehen und ich hatte mich sowohl in Palästen, als auch in Räumlichkeiten der Allianz aufgehalten. Aber das hier übertraf alles. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass auch nur eine Kaiserin in meiner Dimension so leben durfte.

Dieser Raum bestand nur aus den Farben Weiß und Gold, ähnlich wie im Palast von Teremun. Wo dort aber alles schlicht und funktional gehalten war, platzte dieser Raum vor prunkvoller Deko. Unzählige Bodenvasen rahmten fein geschnitzte Kommoden, hübsch gedrechselte Regale und zarte Schränkchen ein. Wenn ich mich richtig erinnerte, gab es solchen Nippes vor allem im Rokoko oder war es der Barock? Ich war mir nicht so sicher. Ich erinnerte mich an Bilder aus dem Schloss Versailles, die wir im Kunstunterricht studiert hatten, und fühlte mich wie in diese Zeit gefallen. An den Ecken der Decke schauten goldene Engel auf uns herab. Sie ähnelten den Engeln aus der Sixtinischen Kapelle. Kleine pausbäckige Kinder, die sich Tücher umgebunden hatten und mit ihren winzigen Flügeln in der Luft zu flattern schienen.

Statt Sofas standen zwei Kanapees vor einer Fensterfront, die die gesamte rückwärtige Wand ausfüllte. Schwere goldene Vorhänge rahmten die Glasfronten ein. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass sie jemals einen wirklichen Zweck erfüllt hatten, außer dem, schön auszusehen.

Ich trat an die Fenster und versuchte, einen Blick nach draußen zu erhaschen.

Wie aus dem Nichts stürmte eine kleine Frau mit einer weißen Haube auf dem Kopf auf mich zu. Ich machte einen Satz zurück und hielt mir die Hand auf die Brust. Sie hatte mich fast zu Tode erschreckt.

»Verzeiht meine Unwissenheit, Euer Heiligkeit. Ich habe vergessen, Euch rechtzeitig Zugang zum Balkon zu gewähren.« Sie verbeugte sich und nestelte gleichzeitig an der großen Glastür herum, aber ihre Finger zitterten so stark, dass sie immer wieder vom Griff abrutschte. Vorsichtig ging ich auf sie zu und legte meine Hand auf ihre fahrigen Finger. Sie erstarrte in der Bewegung. Ich hörte, wie sie laut den Atem einsog, ihn aber nicht wieder ausstieß. Behutsam schob ich ihre Hand beiseite und öffnete selbst die Tür. Sofort warf sie sich auf den Boden, schluchzte verzweifelt auf. Panisch versuchte sie, meinen Knöchel zu umfassen.

»Verzeiht mir!«

Ich atmete tief durch und kniff mir mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, um die aufsteigende Frustration zurückzuhalten.

»Bitte steh auf.«

Sicherlich war die Verbitterung in meiner Stimme deutlich zu hören. Das hier war ja schlimmer als im Palast bei Elisabeths Pharao. Was dachten diese Menschen von mir? Dass ich sie mit einem Blitz erschlagen würde, wenn sie sich nicht vor Ehrfurcht auf dem Boden wanden? Ich stemmte die Fäuste in die Hüfte und sprach so laut, dass mich auch alle Bediensteten, die sich sonst irgendwo in diesem Prunkbau versteckten, gut hören konnten. »Ich bin ein Mensch, genau wie ihr. Ich weiß nicht, was man sich in dieser Dimension über mich erzählt, aber das ist auch völlig egal. Wenn sich nur noch einer von euch vor mir auf dem Boden wirft, schreie ich. Verdammt nochmal, ich will das nicht!«

Ich legte der Frau vor mir eine Hand auf die Schulter. »Ich brauche ehrliche Freude und Ausgelassenheit um mich herum. Niemand muss vor mir Angst haben. Lasst mich mit euch sein. Ich will nicht über euch erhoben werden.«

Die zitternde Dienstbotin hob ihren Kopf. Zum ersten Mal konnte ich ihr direkt ins Gesicht schauen. Sofort erkannte ich die rosigen Wangen und die kecke Stupsnase. Freude floss so hell und strahlend in mein Herz, dass ich vor lauter Glück schier platzte. Ich konnte mich einfach nicht beherrschen.

»Mara«, rief ich begeistert und nahm ihre Hände in meine. »Wie geht es dir?«

»Die wahre Hüterin kennt meinen Namen?«

»Aber ja doch. Du hast mir bereits in zwei Dimensionen zur Seite gestanden und bist dort zu einer echten Freundin geworden.« Ich verdrehte über meine eigenen Worte die Augen. »Natürlich warst das nicht wirklich du, sondern nur die Mara dieser Welt, aber ich hoffe so sehr, dass du hier auch so ein wundervoller Mensch bist.«

Ich plapperte schon wieder. An Maras immer größer werdenden Augen erkannte ich, dass ich sie mit meinen Worten total überrumpelte. Elmarius trat an ihre Seite und legte den Arm um ihre Taille.

»Tief durchatmen, mein Schatz. Die wahre Hüterin will einfach nur nett zu dir sein. Alles ist gut.« Erst jetzt bemerkte ich, dass Mara nicht atmete. Allein die Worte ihres Mannes brachten sie dazu, geräuschvoll die Luft auszustoßen.

»Warum bin ich nicht sofort darauf gekommen, dass Mara hier ist. Es kann doch keinen Elmarius ohne seine Mara geben. Darf ich fragen, ob die kleine Elli euch schon das Leben bereichert?«

»Ja, sie ist unser ganzes Glück. Vielen Dank für die freundliche Nachfrage«, antwortete Elmarius anstelle seiner Frau. Auch ihm war seine Verwirrung deutlich anzusehen. Das konnte ich ihm kaum verübeln. Ich hatte ihn ja mit keinem Wort darauf vorbereitet.

»Wollt ihr mich für ein paar Minuten auf den Balkon begleiten?« Ich lächelte beiden hoffnungsvoll zu. Mara starrte mich noch immer an, als wäre ich die Schlange und sie die Maus, aber sie folgte mir, wenn auch mit gehörigem Abstand.

Der Ausblick von der weitläufigen Dachterrasse war genauso spektakulär wie der Wohnraum. Hügel abwärts erstreckte sich eine kleine Hafenstadt. Weiß getünchte Häuser reihten sich an den weit verzweigten Straßen auf. Jede einzelne mündete in eine breite Hauptstraße, die zu einem geschäftigen Hafen führte. Einige Segelschiffe lagen in der Bucht vor Anker. Trotz ihrer gewaltigen Größe schaukelten sie leicht wie Federn auf der im Sonnenlicht funkelnden Wasseroberfläche. Die Matrosen brachten ihre Waren mit Ruderbooten an Land. Emsig, wie Ameisen, folgte Boot auf Boot. Am Horizont brandete das Meer an die Klippen, die wenige Kilometer von hier, steil in den Himmel ragten. Möwen zogen vor den Felsen ihre Kreise in der Luft. Sie vollführten gewagte Flugmanöver. Es erschien mir fast wie ein Wunder, dass sie nicht miteinander kollidierten. Ihre dunklen Silhouetten hoben sich eindrucksvoll vom Azurblau des Himmels ab. Nur wenige Wolken zogen in der sanften Brise wie Wattebäusche dahin.

Die Sonne stand hoch am Firmament. Ihre Strahlen kitzelten auf meiner Haut. Ich kniff die Augen zusammen und hob meinen Kopf der Wärme entgegen. Der salzige Geruch des Meerwassers stieg in meine Nase. Es roch nach Urlaub und Frieden. Etwas Seltenes in einer Zeit, in der der Kampf im Vordergrund stand, in der ich in jedem Augenblick mit einem Hinterhalt rechnen musste. Ich tankte diesen Frieden in jede meiner Zellen. Diese Idylle war mir wertvoller als jeder materielle Besitz, denn sie führte mir eindrucksvoll vor Augen, für was ich kämpfte. Sie zeigte mir, dass es sich lohnte, mein Leben zu riskieren.

Ich legte die Hände auf den kühlen Stein der Brüstung, fühlte seine raue Beschaffenheit an meiner Haut. Rau, wie es mein Leben geworden war. Ich lächelte wehmütig.

In den letzten Wochen hatte ich mich so sehr verändert. Was interessierte mich noch der Abschlussball oder die strenge Miene von Mr. Kun, meinem Trainer, wenn die Existenz der Welten auf dem Spiel stand. Über all diesen Gedanken schwebte die Frage, ob ich meine Familie jemals wiedersehen würde. Ich wollte meine Eltern zurück und ich wünschte mir mit jedem Tag mehr Amelies pummeligen Babykörper umarmen zu können. Sie fehlten mir so sehr, dass es mir das Herz zusammenzog, wenn ich nur daran dachte. Mit aller Willenskraft schob ich die Gedanken weg. Ich würde sie zurückbekommen. Über ein Scheitern wollte ich nicht nachdenken. Um auf andere Gedanken zu kommen, drehte ich mich zu Mara um. Sie stand nur wenige Schritte von mir entfernt und ich konnte gerade noch erkennen, wie sie mich beobachtete, bevor sie schnell den Blick senkte.

»Es ist wunderschön hier.« Ich sah, wie ehrliche Freude über Maras Gesicht huschte.

»Wo sind wir?«

»Auf Atlantinia – Pempeda, der schönsten Insel im ganzen Römischen Reich. Wir werden auch die Perle am Mittelmeer genannt.«

»Ein passender Name. Der Ausblick ist ebenso wunderschön, wie eine Perle aus den Tiefen der Meere, ein kleines Wunder, ein großes Geschenk.« Ich seufzte glücklich. »Mir hätte dieser Balkon als Unterkunft gereicht. Wer will sich schon hinter Mauern verschließen, wenn er so eine Aussicht genießen kann.« Eine Böe strich über uns hinweg. Sie hätte mein Haar fliegen lassen, wenn es nicht wie ein Mopp auf meinem Kopf kleben würde. So eine dämonische Schlacht war eben keine Schönheitskur. Ich hob mir eine Strähne vor die Augen und rümpfte die Nase. »Also, ich glaube, wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder ihr lasst mich tatsächlich hier draußen, dass mein Gestank nicht das schöne Zimmer verpestet oder ihr steckt mich ins Wasser, damit ich mich ordentlich abschrubben kann.«

»Ich wäre für ein reinigendes Bad. Was würde der König sagen, wenn wir Euch auf den Balkon sperren würden? Die Wanne ist sicherlich schon bereit, um unter dem ganzen Dreck eine strahlende Hüterin zu befreien.«

Ich hielt Mara meine Hand entgegen. »Zeigst du mir bitte, wo dieser Zauberort versteckt ist?«

Zögerlich griff Mara zu. Ich ahnte, wie schwer ihr diese Geste fallen musste. Sicherlich wurde sie ihr Leben lang darauf konditioniert, der wahren Hüterin mit Demut zu begegnen. Trotzdem hielt sie nun meine Hand in ihrer und das zeigte mir, dass auch diese Mara hier mutig und klug war. Gemeinsam gingen wir zurück. Mara führte mich durch die zweite Tür auf der linken Seite. Dort erwartete mich ein Badezimmer, das ähnlich wie das Wohnzimmer, viel zu filigran für mich war. Zuhause bestand sowohl die Einrichtung meines Jugendzimmers als auch die meines Badezimmers vollständig aus IKEA-Möbeln.

In der Mitte des gefliesten Raums stand eine Badewanne, die aussah, als wäre sie aus purem Gold. Vielleicht war sie es sogar. Ich schüttelte den Kopf, als ich die Löwenfüße sah, auf denen das Becken stand. Kitschiger hätte es kaum sein können.

Mara half mir aus meinen Kleidern. Sie raffte die schmutzigen Teile zusammen und wollte damit den Raum verlassen, aber ich hielt sie zurück. »Bitte, wirf die Kleider nicht weg, auch wenn sie in euren Augen vulgär erscheinen. Ich wäre dir dankbar, wenn du sie nur reinigen könntest.«

»So soll es sein, Lizzy.« Sie lächelte mich vorsichtig an. Ich merkte, dass es ihr sichtlich Mühe bereitete, meinen Namen auszusprechen.

»Danke.«

»Für was bedankst du dich?«

»Dafür, dass du versuchst mich als das wahrzunehmen, was ich bin.«

»Und das wäre?«

»Ein Mensch..., nichts weiter als ein Mensch.«

Mit diesen Worten stieg ich in das heiße Wasser. Die Badezusätze brannten fürchterlich in den Wunden, die meinen Körper zeichneten, aber das konnte ich ignorieren, wenn ich den blumigen Duft der Öle einatmete, und fühlte, wie meine verspannten Muskeln sich lockerten. Ich schloss die Augen und gönnte mir diese Auszeit.

»Wo ist sie? Ich will sie sehen!« Eine aufgeregte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Bevor ich auch nur auf die Idee kam meine Blöße zu bedecken, wurde auch schon die Tür aufgerissen und mein Spiegelbild in niedlich wehte in einer Tüllwolke herein. Ich riss die Augen auf und war froh, dass der Schaum meine Nacktheit ganz gut verbarg, denn hinter ihr stürmte Toras gleich mit in den Raum. »Ihr könnt doch nicht einfach ins Badezimmer der wahren Hüterin gehen, Donna Elisabetta.«

Sie drehte sich mit Schwung zu ihm um. Dabei wippten ihre Korkenzieherlöckchen auf und ab. »Ich glaube, es wird mir eher verziehen als dir, Soldat.«

Toras erbleichte. Seine Augen zuckten in alle Richtungen, um nur nicht zu der Wanne zu schauen, in der ich am liebsten im Schaum verschwunden wäre.

»Oh«, sagte er, drehte sich um und flüchtete, als hätte er einen Geist gesehen. Mit einem lauten Scheppern fiel die Tür ins Schloss. Elisabetta wandte sich wieder zu mir und plapperte munter drauf los. »Verzeih mir, ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich bin Elisabetta, aber du darfst gerne Elli zu mir sagen. Seit ich denken kann, höre ich Geschichten über dich und deinen Heldenmut. Granny und ich haben sogar Lieder über dich, die einzig wahre Hüterin, ersonnen.« Sie sog die Unterlippe zwischen die Zähne. Dabei schaute sie mich an, als würden meine nächsten Worte weltbewegend sein. Ich schwieg lange. Wir starrten uns einfach nur an und ihre Augen wurden immer größer. Irgendwann hielt ich diese gespannte Stille nicht mehr aus.

»Auf die Gefahr hin, dass ich mit meinen nächsten Worten das vollkommene Bild zerstöre, das du von mir zu haben scheinst, aber ich würde mich doch gern erst in Ruhe säubern.«

Elisabetta, oder Elli, wirkte, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst. Die Unterlippe flutschte aus der Umklammerung ihrer Zähne und bebte beunruhigend. Sie würde doch jetzt nicht anfangen zu weinen, oder? Schon sah ich den verräterischen Glanz der Tränen in ihren blauen Augen schimmern.

»Hör zu. Ich möchte mich ja gern mit dir unterhalten. Aber ich für meinen Teil mag es lieber dabei bekleidet zu sein. Gibst du mir bitte ein paar Minuten?«

Ich presste die Lippen zusammen und setzte noch ein »Bitte« nach.

»Ach so. Du willst gar nicht, dass ich verschwinde, bist nur etwas schüchtern? Das verstehe ich natürlich, auch wenn es ja nicht so ist, als hättest du einen anderen Körper als ich.« Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und ich konnte nur denken, dass sich über ihren Leib sicherlich kein Netz aus Narben zog, während auf ihrem Dekolleté ein entzündeter Stern klaffte, der nach und nach ihr Blut vergiftete.

»Ich warte draußen auf dich und lauf vor Aufregung Furchen ins Parkett.« Als sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, stöhnte ich frustriert auf. Diese Dimension war ja schrecklich. So mussten sich Filmstars fühlen, immer in der Angst einen falschen Schritt zu tun und damit die Fans zu enttäuschen.

Ich kannte dieses Gefühl nur wenige Stunden. Wie konnten diese Fernsehikonen nur damit leben? Ich tauchte meinen Kopf in das inzwischen nicht mehr saubere Wasser. Der Dreck meiner Haare gab der Brühe dann den Rest. Unter meinem Po kratzten sogar sandige Sedimente. Ich griff nach einem steinernen Krug, auf dem eine Locke abgebildet war und hoffte, dass es sich dabei um eine Art Shampoo handelte. Ich nahm eine walnussgroße Portion des nach Lavendel duftenden Breis heraus und massierte es in mein Haar, anschließend wusch ich es gründlich aus. Als ich aus der Wanne stieg, fühlte ich mich schon fast wieder wie ein richtiger Mensch.

KAPITEL 3

In ein ellenlanges Leinentuch gewickelt, starrte ich auf das Monster, das Mara hereingetragen hatte. Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Ein Berg aus Tüll, Seide, Unmengen an Bändern und Schleifchen füllte die Hälfte des Badezimmers aus. Die Pastellfarben ließen es wie Zuckerwatte wirken. Ich konnte diesen ganzen Stoff niemals an meinen Körper bekommen. Dazu war zu wenig Lizzy da.