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"Wenngleich dich die Welt mit ihrer Härte zu erdrücken scheint, suche nach dem Sonnenstrahl, der dir Wärme spendet." Irland, 1895 Aydeen begleitet als Banshee mit ihrem Lied die Verstorbenen der O´Brains durch die Unterwelt ins Jenseits. Sie würde alles dafür geben, die Seelen dieser Familie in Sicherheit zu wissen. Doch als sie sich plötzlich in einer kalten Winternacht in einem menschlichen Körper wiederfindet, ohne ihre Stimme und inmitten eines Steinkreises, gibt es für sie nur ein Ziel: Keelan und Collin – denn sie sind ihr Zuhause. Keelan ist davon überzeugt, dass nur die Banshee Schuld am Tod seiner Frau trägt. Auf keinen Fall will er diesem Monster auch seinen schwer kranken Sohn Collin überlassen. Keine Banshee, kein Tod – dessen ist er sich sicher. Deshalb soll der Druide Dough sie vernichten. Doch der Zauber, den dieser mithilfe seines magischen Amulettes wirkt, zeigt nicht das ersehnte Ergebnis … Tragisch-düstere Fantasy um Liebe, Freundschaft, Leid und Verlust.
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Seitenzahl: 381
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Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog
Danksagung
Die Autorin
GedankenReich Verlag
N. Reichow
Neumarkstraße 31
44359 Dortmund
www.gedankenreich-verlag.de
DAS LIED DER STUMMEN BANSHEE
Text © Yvonne Wundersee, 2024
Cover & Umschlaggestaltung: Phantasmal Image
Lektorat/Korrektorat: Teja Ciolczyk
Satz & Layout: Phantasmal Image
Covergrafik © shutterstock
Innengrafiken © shutterstock
eBook: Grit Bomhauer
ISBN: 978-3-98792-091-2
© GedankenReich Verlag, 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Trigger-Warnung
Diese Geschichte enthält Themen, die manche Menschen unangenehm berühren können:
Gewalt, auch gegen ein Kind
Schwere Erkrankung eines Kindes
Tod eines Kindes
Und vielleicht wächst der
Baum so hoch in den Himmel,
dass ich noch einmal deine
Hand halten kann,
mein kleiner Engel.
Ich liebe Dich!
Deine Mama
Aydeen
Hab keine Angst, Kilia. Ich singe mein Lied für dich und alle Schmerzen sind vergessen.« Ich lächelte sie an und schwebte langsam auf sie zu.
»Wer bist du?« Die junge Frau hob den Blick ihrer trüben Augen in meine Richtung.
»Mit wem redest du? Kilia, es ist sonst niemand hier. Nur ich bin bei dir und werde nicht von deiner Seite weichen. Du wirst wieder gesund, ganz bestimmt.«
»Ich bin Aydeen, deine Banshee. Ich bin für dich da, du wirst nicht allein sein.«
»Muss ich sterben?«
Eine Träne rann über ihre eingefallenen Wangen, dann schüttelte ein Hustenreiz ihren ausgemergelten Körper. Blut rann ungehindert aus ihrem Mundwinkel und tropfte auf das schneeweiße Kopfkissen.
»Niemals! Du wirst nicht sterben. Ich brauche dich, Kilia. Ich liebe dich. Du darfst nicht gehen; für mich, für Collin.« Keelan zog seine Frau an seine Brust, aber sie schien ihn nicht mehr wahrzunehmen. Ihre Augen waren fest auf einen Punkt neben ihm gerichtet.
Dort stand ich und streichelte ihre Hand.
»Ja, meine Liebe. Du wirst sterben. Deine Zeit auf Erden ist vorüber, aber es erwarten dich so viele Seelen im Jenseits. Sie freuen sich darauf, dich in ihrer Mitte zu haben. Hab keine Angst. Es wird alles gut.« Ich strich ihr sanft über das hellblonde Haar.
Sie war schön von innen und außen. Ich wusste schon jetzt, dass das helle Leuchten ihrer Seele die Unterwelt in ein gleißendes Licht tauchen würde.
Frak, diese Ausgeburt der Hölle, würde sich geblendet in den hintersten Winkel des Totenreiches zurückziehen. Unsere Stärke – mein Lied und ihr Glanz – würden den Weg durch die Unterwelt, bis hin zum Jenseits, wie einen Spaziergang erscheinen lassen.
»Willst du dich noch verabschieden? Keelan hält dich in seinen Armen. Schenke ihm doch ein letztes Lächeln, das er in seinem Herzen für immer wie einen Schatz verwahren kann. Er liebt dich so sehr, Kilia. Ich freue mich für dich, dass du diese Erinnerung mit in die Ewigkeit nehmen kannst.«
Kilia drehte mit Mühe den Kopf, um ihrem Mann ins Gesicht zu sehen.
»Sie ist so gütig, Keelan. Unsere Banshee, sie ist wundervoll. Ich habe keine Angst mehr, mein Liebster.« Ihre Muskeln zitterten, als sie ihre Hand hob. Sie ließ die Fingerspitzen über seine Wange streichen. »Danke für alles, deine Liebe und Collin. Das Leben mit euch war mein großes Glück.«
Ihre Worte kamen zart wie ein Lufthauch bei mir an. Sie schenkte Keelan ein letztes Lächeln. Er war der Mann, den sie seit ihrer Jugend vergötterte. Schon damals hatte ich ihn von meinem Platz im Apfelbaum beobachtet.
Er war ein Einzelkind, der letzte Nachkomme seiner Familie, seines Clans. Der Hunger und die Pest hatten so viele dahingerafft. Es war eine Zeit, in der ich innerhalb weniger Tage Mütter, Väter und deren Kinder in das Leben nach dem Tod geleitete. Mein Clan schrumpfte merklich. Die Bänder, die mich mit ihm verbanden, wurden stetig weniger.
Ich konnte nicht mehr tun, als in den letzten Momenten ihres Lebens für sie da zu sein, ihnen Trost zu spenden und sie mit ihrem Schicksal zu versöhnen. So wie ich es jetzt mit Kilia tat. Es war meine Aufgabe, meine Bestimmung, die mit dem Tod des letzten O’Brain endete. Dann würde ich meine eigene Reise durch die Unterwelt antreten, um anschließend ins große Vergessen gezogen zu werden.
Angst kannte ich nicht. Eine Banshee konnte nicht wirklich fühlen. Vielleicht gab es ein bisschen Wehmut in mir, wenn ich daran dachte, dass ich die wundervolle Aufgabe, Verstorbene sicher ins Jenseits zu begleiten, nie mehr ausführen würde.
»Ich bin so weit.« Kilias Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Sie streckte mir die Hand entgegen.
»Nein! Was sagst du da? Du gehst nicht! Wage es ja nicht, mich zu verlassen!« Keelan brüllte diese Worte, während er haltlos schluchzte und Kilia noch enger an sich zog, ihr Gesicht mit Küssen bedeckte und panisch über ihr Haar strich.
Tränen tropften auf Kilias Gesicht, aber ich hatte bereits ihre Hand ergriffen. Sie erlebte seinen alles verzehrenden Schmerz nicht mehr.
Nur mein Lied hallte in den Mauern des kleinen Anwesens wider und ließ für diesen kurzen Moment des Sterbens alle Bewohner wissen, dass eine Seele auf ihre letzte Reise ging.
Keelan
Raus! Verschwindet! Alle!«Ich fegte das Teegeschirr von dem Tischchen im Salon.
Der beißende Geruch von Rum erfüllte den Raum. Ich trank eindeutig zu viel, aber ich konnte den Schmerz nicht anders bekämpfen, ihn noch nicht in ein dumpfes Ziehen im hintersten Teil meiner Seele verwandeln. Nur so überstand ich die Tage – und vor allen Dingen die Nächte in diesem Haus, das in allen Ecken Erinnerungen an Kilia barg.
»Aber Keelan, der Arzt ist extra aus London gekommen. Du kannst ihn doch nicht so einfach aus dem Haus werfen.« Jonathan knetete seine Mütze in den Händen. Sein Blick war ängstlich zu Boden gerichtet.
Inzwischen war er der Einzige, der es wagte, mich in einer solchen Situation anzusprechen. Alle anderen zogen die Köpfe ein und gingen mir schleunigst aus dem Weg.
Gut so.
Ich wollte ohnehin niemanden außer Jonathan bei mir haben. Auf ihn könnte ich nie verzichten. Er war seit meiner Geburt für mich da. Jonathan war es auch, der der in meiner Kindheit die eine oder andere Verletzung behandelt und mich dabei im Arm gehalten hatte.
Meinem Vater hatte während der Zeit der englischen Invasion die Muße für so etwas Unwichtiges gefehlt, wie einem Kind seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er plante Protestaktionen und Sabotageakte gegen die Lords und Earls, die sich auf irischem Land große Festungen gebaut und dann behauptet hatten, das Land und seine Menschen würden ihnen gehören.
Ich schlug mit der Faust gegen die Wand. Wofür das alles? Was hatte ihm sein Widerstand eingebracht? Nichts!
Als ausgemergelte Leiche hatten sie ihn, nach Monaten in einem Verlies, nach Uphan House zurückgebracht. Jetzt lag er in einem Grab hinter dem Haus und hatte nichts erreicht, außer seine Familie zu zerstören. Mutter war vor Sorge zu einer einsamen Greisin geworden und ich hatte jemand anderen als Vaterfigur in mein Herz gelassen. Gern würde ich ihn fragen, ob es das wert gewesen war. Aber ich kannte seine Antwort bereits.
»Die Freiheit ist jedes Opfer wert.«
Jonathan hatte seine Rolle übernommen. Schließlich war er mit Myriam, meiner Amme, verheiratet gewesen. Jonathan war so, wie ein Vater sein sollte: emphatisch, wenn ich es brauchte, und streng, wenn es sein musste.
Aber seit Kilias Tod sah ich immer häufiger die Sorge in seinen Augen, wenn er mich anschaute. Die Sorge, die auch im Blick aller anderen lag. Das machte mich rasend. An wenigsten brauchte ich ihr Mitleid. Es musste sich niemand um mich sorgen. Ich würde mit meinen Problemen selbst fertig werden – und im Moment war dieser Arzt mein Dringlichstes.
»Und wenn er aus Timbuktu gekommen wäre. Niemand sagt mir ungestraft, dass Collin sterben wird! Das lasse ich nicht zu!«
Wütend griff ich nach dem Humpen mit Ale, der noch von gestern Abend auf dem Sekretär stand, und warf ihn mit aller Kraft gegen die Wand. Das Holz des Kruges splitterte und der braune Gerstensaft floss an dem weiß getünchten Mauerwerk hinab.
Jonathan bewegte sich keinen Zentimeter, war nicht einmal zusammengezuckt. Das tat er schon lange nicht mehr. Er ertrug meine Ausbrüche mit stoischer Gelassenheit. So etwas wie ein schlechtes Gewissen kroch mir den Rücken hinauf, denn Jonathan konnte ja nichts dafür, dass ich diesen Quacksalber ins Haus geholt hatte. Später würde ich versuchen, die Sauerei zu entfernen, wusste aber schon jetzt, dass mir Jonathan zur Hand gehen würde. Er war einfach immer da, wenn ich ihn brauchte. Eine treue Seele, der ich viel zu wenig Dankbarkeit zeigte. Dabei war er geblieben, auch als der Rest des Personals bereits gekündigt hatte.
Obwohl überall in Irland gehungert wurde, nahmen sie lieber dieses Los in Kauf, als sich weiter meinen Launen auszusetzen. Ich wusste das, konnte es aber nicht ändern. Das Eis auf meiner Seele ließ keine Wärme zu. Deshalb gab es nur noch Jonathan, das Kindermädchen und die Köchin, Ms. Walsh.
»Wie du wünschst. Ich werde die Kutsche anspannen und den ehrenwerten Doktor zum nächsten Gasthaus bringen.«
»Erledige es so, wie du es für richtig hältst, aber ich will diesen Quacksalber nicht mehr in meinem Haus haben.«
»Mathilde wird mit ihm gehen.«
Ich ließ mich auf das zerschlissene Sofa vor dem Kamin fallen und legte die Hände vors Gesicht. »Dann soll sie doch gehen. Ich werde eine andere Pflegerin für meinen Sohn finden, eine, die daran glaubt, dass er leben wird!«
»Wenn du meinst. Es ist inzwischen schon die Fünfte, allein in diesem Jahr, die uns verlässt. In den umliegenden Dörfern hat sich herumgesprochen, dass die Arbeit für dich kein Zuckerschlecken ist. Ich wüsste nicht, wo wir jemanden herbekommen sollten, der sich die erschwerten Arbeitsbedingungen nicht in Gold aufwiegen lässt.«
»Lass das meine Sorge sein, Jonathan. Kümmere dich darum, dass dieses Haus von allen Schwarzmalern gesäubert wird. Mehr verlange ich nicht von dir. Jetzt verschwinde.«
»Willst du dich nicht wenigstens verabschieden?«
Wie konnte er es wagen? Ich sollte mich von diesem Pack verabschieden?
»Raus!« Ich brüllte dieses eine Wort so laut, dass mir Speichelfäden aus dem Mund schossen.
Diese Menschen hoben in Gedanken bereits ein Grab für Collin aus und ich sollte vor ihnen katzbuckeln. Niemals!
»Wir brauchen hier wohl eher einen Exorzisten für den Herren, als einen Doktor für den lieben Jungen«, murmelte Jonathan vor sich hin, bevor er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Ich hörte seine Schritte auf der Treppe. Das Donnern seiner Stiefelabsätze war unverkennbar. Er ging nach oben, um den Gästen mitzuteilen, dass sie nicht länger erwünscht waren.
Kurze Zeit später hallte das Schimpfen des Arztes durch das ganze Haus. »Wie kann man nur so engstirnig sein? Es gibt keine Heilung für das Lungenleiden des Kindes!« Die Eingangstür fiel scheppernd ins Schloss. Vor dem Fenster ging das Gezeter weiter: »Dieser Mann ist geisteskrank. Er benötigt einen Arzt, aber dieser sollte dann nicht auf körperliche Leiden spezialisiert sein. Jemand sollte ihn von seinem Wahn heilen!«
Ich wollte das nicht hören. Um an diese Scharlatane zu kommen, bettelte ich sogar bei einem verdammten englischen Earl, der sich als mein Lehnsherr aufspielte. Warum das Ganze? Keiner fand einen Weg, Collin zu helfen. Alle versuchten nur, meine Hoffnungen zu zerschlagen. Aber das würden sie nicht schaffen. Ich war ein O’Brain. Stets dieselben Worte von immer wieder anderen Ärzten – und doch blieb ich stark.
Durch die Nebentür verließ ich den Raum, um dem Tross nicht doch noch zu begegnen. Dabei wollte ich mir gar nicht vorstellen, was passierte, wenn Mathilde zurückkäme, weil sie etwas vergessen hatte. Ihr Gezehrter hatte meine Nerven in den letzten Wochen genug strapaziert. Sie wollte doch tatsächlich mit Collin über seine Lieblingsblumen sprechen, um so zu erfahren, was bald auf sein Grab zu pflanzen war. Hätte diese Vettel nicht ahnen können, dass dieses Vorhaben nicht mit einem freundlichen Lächeln meinerseits quittiert werden würde? Sie hätte mit der Ohrfeige rechnen müssen. Schließlich wusste sie, dass mir Collin über alles ging.
Ich lächelte müde, als ich daran dachte, dass die roten Abdrücke meiner Finger noch jetzt ihre Wange zierten.
Unvermittelt schaltete sich mein Gewissen ein. Es zischte mir zu, dass es niemals richtig sein konnte, eine Frau zu schlagen, aber ich schob den Gedanken wieder zurück in die Verbannung.
Alles kalte und elende Bastarde! Sie hätten weit mehr verdient als nur eine Ohrfeige. Gab es denn niemanden auf dieser Welt, der dazu fähig war zu fühlen? Fand sich niemand, der meinen Schmerz als solchen erkannte und ihn verstand?
Ich war allein, verlassen von der Freude und dem Glück des Lebens. Das einzige Fünkchen Licht in meiner tristen Welt war Collin. Doch jeder prophezeite mir, dass auch diese Flamme bald erlöschen würde. Energisch stieg ich die Treppe nach oben und ballte die Hände zu Fäusten. Ein O’Brain gab nicht auf.
Der Leitspruch der Familie lautete: ›Ein O’Brain ist standhaft. Stets erhobenen Hauptes trotzt er der Zeit!‹
Und ich würde der Zeit trotzen. Sie würden es schon sehen!
Vor der Tür zu Collins Zimmer hielt ich inne. Kilia hatte sie mit unzähligen Rosen bemalt. Ich ließ einen Finger über eine besonders schöne Blüte gleiten. Währenddessen erinnerte ich mich daran, wie ihre Augen gestrahlt hatten, als sie mir ihr Werk voller Stolz gezeigt hatte.
Kilia schmiegte sich mit ihrem kugelrunden Bauch an mich und flüsterte mir ins Ohr: »Unser Kind soll immer glücklich sein, genau wie alle, die noch folgen werden. Versprich es mir.«
Und ich antwortete: »Wie soll es denn wissen, was Glück ist, wenn es nicht auch manchmal traurig oder wütend sein darf?« Sie küsste mich und sagte mir, dass ich viel zu weise für ein Leben auf dem Land wäre.
Wenn mich Kilia heute sehen könnte, würde sie das nicht mehr sagen. Ich war mit meiner Weisheit am Ende. Ob sie enttäuscht von mir wäre?
»Was soll ich nur tun?«, flüsterte ich der Rose zu.
Natürlich bekam ich keine Antwort. Müde schüttelte ich den Kopf über mich selbst und trat ein. Collin saß in seinem Krankenbett und lächelte mich erschöpft an.
Sein Anblick war schwer zu ertragen, aber ich zwang mich zu einem strahlenden Lächeln. »Hallo, mein Großer.«
Schnell schüttelte ich die Kissen auf, die Collin in einer aufrechten Position hielten, und setzte mich dann an die Bettkante. Mein Sohn schaute mich aus seinen tief eingesunkenen Augen an. Ich las tausend Fragen in seinem Blick.
»Wir sind das Biest los, mein Junge. Was sagst du?«
»Ich frage mich, wer sich jetzt um mich kümmern soll.« Mein Kleiner legte den Kopf schief und verzog die blassen Lippen zu einer dünnen Linie.
»Ich werde mir einfach Tag und Nacht für dich Zeit nehmen.«
»Das wäre schön, aber ich glaube nicht, dass du das schaffst. Du hast doch immer so viel zu tun.«
Ich strich Collin über die Wange. »Wann bist du nur so erwachsen geworden?«
Collin zuckte mit einer Schulter. »Ich muss eben schneller groß sein als andere, denn ich habe nicht mehr so viel Zeit.«
»Sag so etwas nicht, hast du verstanden? Ich werde einen Weg finden, dich zu heilen.«
Hatten ihm diese vermaledeiten Schwarzmaler solchen Unfug eingeredet? Wie konnten sie nur? Collin würde leben!
Ich ergriff seine eiskalte Hand. »Wenn du gesund bist, fahren wir zusammen ans Meer. Wir können Fische fangen und sie über einem Lagerfeuer rösten. Gemeinsam werden wir in den Wellen tanzen und weit hinausschwimmen. Das wird dir bestimmt gefallen. Ich freue mich darauf, mit dir eine Sandburg zu bauen, die so groß ist wie du selbst. Du wirst es sehen. Ich glaube fest daran.«
»Aber es ist nicht schlimm, zu sterben, Vater. Die Banshee war bei mir und hat mir Geschichten vom Jenseits erzählt. Und weil ich ein guter Junge bin, werde ich dort Mutter wiedersehen.«
Mit einem Schlag wich alles Blut aus meinen Wangen. Ich konnte meinen Sohn unmöglich richtig verstanden haben … Die Banshee war bei ihm gewesen? Er hatte Besuch von einem Totengeist erhalten? Das konnte doch nicht wahr sein! Warum erfuhr ich erst jetzt davon? Mit einem Ruck stand ich auf. Angst schnürte mir die Kehle zu.
»Ich verbiete dir, mit diesem Monster zu sprechen. Es ist falsch und böse. Dieser Geist flüstert dir Lügen ein, damit er leichter an deine Seele kommt, um sie dann verschlingen zu können!«
Collins Augen wurden riesengroß. »Aber Vater …«
»Nichts da! Du wirst sie wegscheuchen, wenn sie dir noch einmal zu nahe kommt. Collin, sie wird dich töten!« Von Panik getrieben umfasste ich die Schultern meines Sohnes und schüttelte ihn. »Ich werde dich nicht hergeben, hast du verstanden? Du musst leben!«
Aus Collins rechtem Auge rollte eine dicke Träne. Sie wanderte fast zögerlich über seine eingefallene Wange. Er schnappte nach Luft und ächzte. Sofort ließ ich von ihm ab. Was hatte ich nur getan?
»Es tut mir leid, mein Junge. Ich wollte dich nicht so fest anfassen.«
Fahrig griff ich nach der metallenen Maske, die ich für Kilia in einem Kloster in Sussex gekauft hatte. Eigentlich benutzten die Mönche sie dort für die Dosierung von Äther für ihre Operationen, aber einer der anglikanischen Mönche hatte mir während eines Zusammentreffens bei unserem Earl berichtet, dass sie diese auch bei der Behandlung von Lungenleiden nutzten. Die ätherischen Öle wurden einfach auf ein Tuch geträufelt und in den Siebeinsatz eingelegt. Mit einem Riemen konnte das Sieb am Kopf befestigt werden. Aber das verursachte Collin Angst, weshalb ich bei ihm blieb und die Vorrichtung vor sein Gesicht hielt. Der Duft von Engelwurz und Thymian verbreitete sich im Zimmer, während Collin angestrengt ein- und ausatmete. Beruhigend strich ich ihm dabei immer wieder über das hellblonde Haar.
Wieder dieser altbekannte Stich in meinem Herzen. Der Junge hatte so viel Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Sein Anblick erinnerte mich immer wieder daran, dass ich sie verloren hatte. War das denn nicht genug? Hatte das Schicksal nicht bereits mit aller Härte zugeschlagen? Niemand hatte das Recht, mir auch noch meinen Sohn zu stehlen!
Aydeen
Was hatte Keelan gesagt? Wie kam er auf die Idee, ich würde Collins Seele verschlingen? Ich konnte es nicht glauben. Wieso erschien ihm meine Aufgabe so verwerflich? Wusste er denn nicht, wie schrecklich es für einsame Seelen in der Unterwelt war?
Sie mussten sich durch die Höllenfeuer und die Gruben der Verdammnis kämpfen. Dämonen wie Frak und andere Unholde warteten nur darauf, sie in die Finger zu bekommen und sich an ihrem Leid zu laben.
Ich konnte nicht mehr zählen, wie viele Seelen ihre Hände Hilfe suchend nach mir ausgestreckt hatten, aber ich konnte als Banshee nur meiner eigenen Familie beistehen. Trotzdem sprach ich auch diesen einsamen Seelen Mut zu. Beschwor sie, nicht aufzugeben. Denn immer wieder schafften es auch einige von ihnen ins Jenseits, wenngleich ihr Leuchten dann nicht mehr so hell war, wie es bei den Begleiteten der Fall war.
Wollte Keelan ein solches Schicksal für seinen Sohn? Das konnte ich nicht glauben. Collin war so ein lieber Junge. Er sollte glücklich sein und seiner Mutter lachend in die Arme springen. Lange würde es nicht mehr dauern, denn seine Zeit auf Erden war begrenzt. Schon jetzt breitete sich der Schleier des nahen Todes täglich weiter über ihm aus. Nur deshalb konnte ich Kontakt zu ihm aufnehmen und ihn auf unseren gemeinsamen Weg vorbereiten, ihm die Angst nehmen.
Merkte Keelan denn nicht, dass er den Jungen unter Druck setzte, dass er es ihm verwehrte, sorgenfrei zu sterben? Ich verstand die Trauer um seinen Verlust, hatte schon so viele Menschen klagen, weinen und verzweifeln gesehen, aber Keelan … Er erlaubte sich selbst nicht, zu heilen, riss die Wunden mit brachialer Gewalt immer wieder auf. Wie gern hätte ich ihn getröstet, aber niemand kam derzeit an ihn heran – und mir als Banshee stand nur der Weg zu den Sterbenden und Toten offen.
Lautlos schlüpfte ich durch die dicke Backsteinmauer nach draußen. Ich setzte mich in die Krone meines Apfelbaumes, dessen reife Früchte Schwärme von Insekten anlockten. Vögel flatterten aufgeregt herum und labten sich an diesem Festmahl. Ich blickte über die grünen Weiden, die sich wie ein Flickenteppich aus verschiedenen Grüntönen bis zum Horizont erstreckten. Die Schafe mit ihrer zottigen Wolle wirkten wie weiße Kleckse in dem noch immer strahlenden Grün. Der kühle Herbstwind spielte mit den grünen Blättern, die sich bereits in den nächsten Tagen gelb verfärben würden. Eine Böe pfiff durch mich hindurch. Neben mir landete eine Singdrossel und stimmte ihr Lied an.
Ich fragte mich, warum Menschen diesen Gesang als schön empfanden, der meine jedoch als verwerflich galt. Bisher hatte mir das keiner der Verstorbenen so erklären können, dass ich es verstanden hätte.
Nachdenklich beobachtete ich die Kutsche, die sich durch das windschiefe Tor entfernte. Wie viele Ärzte würden noch kommen und gehen, bis Keelan endlich einsah, dass es wichtiger war, die Zeit mit seinem Sohn zu genießen, statt ihn mit allen Mitteln im Leben halten zu wollen?
Keelan
Ich schenkte mir einen weiteren Whiskey ein und tigerte im Salon auf und ab. Jonathans Worte ließen mich seit zwei Wochen nicht mehr los.
»… wir sollten einen Exorzisten rufen.«
Vielleicht war das die Lösung. Konnte ein O’Brain sterben, wenn es keine Banshee gab? Wenn niemand Collin ins Jenseits mitnahm, musste er doch im Diesseits bleiben, oder?
Die Gedanken spannen sich von ganz allein in meinem Kopf zusammen. Sie nahmen immer mehr Gestalt an, wurden bald zu einem Netz, das meinen Hoffnungen Halt versprach. Ich legte mir einen Finger ans Kinn und nahm einen kräftigen Schluck, der sich seinen Weg in meinen Magen brannte, während sich die Puzzleteile meiner Überlegungen zu einem Bild zusammensetzten.
Es gab diese Banshee. Das würde ich unter Eid beschwören. Kilia hatte sich mit ihr unterhalten, hatte ihre Lügen geglaubt und sogar im Todeskampf gelächelt. Was für ein Miststück dieser Geist doch war! Was hatte sie mit Kilias Seele angestellt? Ich wollte mir nicht vorstellen, wie sie meine Frau ins Fegefeuer gezerrt und dann fröhlich um sie herumgetanzt war, und doch stiegen diese furchtbaren Bilder vor meinem inneren Auge auf.
Könnte ein Dämonenaustreiber dieses Leid für Collin verhindern, ihm das Leben retten und meines damit endlich wieder mit Glück füllen? Noch während ich sinnierte, gefiel mir die Überlegung immer besser. Ja, das war brillant! Er würde meinen einzigen Feind endgültig zur Strecke bringen.
Aber wo sollte ich einen solchen nur auftreiben? Es war ja nicht so, als gäbe es Hexer an jeder Straßenecke. In Irland waren sie sogar verboten und mussten um ihr Leben fürchten, wenn sie ihre Kunst ausübten. Ebenso wie jeglicher keltische Kult und die Ausübung der katholischen Religion strengstens untersagt waren. Die Schergen und Spitzel des Earls waren überall. Jeder, der sich nicht an die englischen Regeln hielt, musste sich vor den Usurpatoren verantworten, wenn sie nicht bereits vor Ort gerichtet wurden.
Bisher hatte ich es geschafft, den Earl von meiner Lehnstreue zu überzeugen. Ich brauchte ihn, um an die englischen Ärzte für Collin zu kommen. Aber diese Hoffnung war nun erschöpft. Ich musste neue Wege gehen, obschon sie mich in Gefahr brachten.
Es gab nur einen, dem ich vertrauen konnten. Er würde mich nicht verraten.
Der Entschluss war gefasst. Ich grinste. Neuer Tatendrang floss durch meine Adern. Nicht aufgeben, weiterkämpfen. Das war mein Antrieb, für den ich alles riskieren würde. Nur ein Ziel galt für mich – Collin durfte nicht sterben!
Ich setzte mich an den kleinen Sekretär, den Kilia für sich selbst gekauft hatte, und nahm ein Pergament aus der Schublade. Bei jedem geschriebenen Wort stieg die Hoffnung, dass mir Mat helfen würde. Er war nicht umsonst Richter am englischen Hof. Sein Einfluss reichte weit und er kannte auch einige zwielichtige Gestalten.
Lieber Freund,
wir sind viele Wege im Leben gemeinsam gegangen. Nun stehe ich vor meinem schwersten Kampf. Ich fürchte, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt, um meinen Sohn zu retten.
Alle weltlichen Künste habe ich ausgeschöpft.
Mir bleibt nur noch ein anderer Weg.
Da Du mein Freund bist und mich besser kennst als jeder andere Mensch auf unserer Erde, wirst Du wissen, was ich meine.
Vielleicht kennst Du eine Möglichkeit, mir einen entsprechenden Kontakt zu vermitteln. Ich wäre Dir auf ewig dankbar, denn mein Vaterherz blutet, wenn ich meinen einzigen Sohn dahinsiechen sehe.
Dein treuer Freund
Keelan
Ich stellte mir vor, wie mir das Monster beim Verfassen des Briefes über die Schulter sah.
Von Hass getrieben, verzog ich angewidert die Mundwinkel. »Komm, schau nur her, du Miststück, zittere vor Angst! Dein Ende wird kommen und dann kannst du mir niemanden mehr nehmen!«
Vorfreude durchflutete mich bei dem Gedanken an ihre kalten, bleichen Augen, die sie vor Angst weit aufgerissen hatte, während ihre schwarzen Strähnen wie das dunkelste Unheil der Hölle um ihren hageren Körper wehten. Ich sah ihr faltiges Gesicht genau vor mir.
Stolz flammte in meiner Brust auf, denn in meinen Gedanken hatte sie sich vor Entsetzen die Hände auf den Mund gelegt, um einen ängstlichen Schrei zu unterdrücken. Eine schöne Vorstellung. Sollte sie doch vor Furcht erbeben.
Ich lächelte und faltete in aller Seelenruhe den Brief. Aus der obersten Schublade holte ich das grüne Wachs hervor und schmolz es an der Kerze, die den Salon in unheimliche Schatten tauchte. Wenige Wachstropfen verschlossen das Schreiben, anschließend presste ich meinen Siegelring hinein. Zufrieden lehnte ich mich zurück. Ich hatte einen weiteren, diesmal wirklich vielversprechenden Weg gefunden, um meinen Sohn zu retten, nun musste Mat nur noch jemanden finden, der ihn mit mir gemeinsam ging.
Aydeen
»Wie kannst du es wagen?«
Ich schlug auf ihn ein, aber meine Arme gingen einfach durch seinen Leib hindurch. Auch mein wütendes Kreischen konnte niemand vernehmen, also stellte ich die zwecklosen Versuche bald ein, Keelan Vernunft in seinen Verstand zu prügeln. Mit geballten Fäusten setzte ich mich in eine Ecke und musste mit ansehen, wie er diesen ketzerischen Brief an Jonathan übergab, der ihn umgehend zum Postamt brachte.
Wie lange würde es dauern, bis das Schreiben bei seinem Adressaten eintraf? Kannte dieser Mat einen solchen Zauberer, und wenn ja, würde dieser auch hierher kommen wollen? Ausgerechnet nach Irland, wo schon die leiseste Andeutung von Zauber den Kopf kosten konnte? Es war kaum denkbar, dass sich jemand bereit erklärte, einen solchen Frevel zu begehen. Ging das wirklich, konnte ich durch einen Zauber ausgelöscht werden?
Ich schüttelte den Kopf, der vor lauter Überlegungen schwirrte. Eine Banshee war an ihre Familie gebunden. Ich war mir sicher, dass nicht einmal ein waschechter Druide an diesem Naturgesetz rütteln konnte. Solange ein Herz der O’Brains schlug, würde ich diesen Clan als ihre Banshee begleiten.
Wenngleich mich dieser Gedanke beruhigte, war ich doch enttäuscht von Keelan. Er hatte nichts verstanden. Die Sagen und Legenden über uns Banshees hatte er ins Gegenteil verdreht. Alles, was uns ausmachte, was uns als gute Geister auszeichnete, war für ihn böse und verwerflich. Keelan verrannte sich in seinem Drang, Collin ans Leben zu ketten. Es stimmte mich grüblerisch, dass er wahrscheinlich die letzte Seele sein würde, die ich ins Jenseits begleiten durfte. Spätestens in diesem Augenblick würde er seinen Fehler erkennen. Doch dann war es zu spät für Reue. Sollte er weiterhin so verfahren, würden wir nicht den Weg ins helle Jenseits antreten, denn verloschenen Seelen blieb der Pfad dorthin verwehrt.
Enttäuscht schüttelte ich den Kopf und flog zu Collin. Lange hatte ich mich von ihm ferngehalten, um ihn nach dem Versprechen an seinen Vater nicht aufzuregen. Aber heute brauchte ich etwas Glück und Freude, um mich von den trüben Gedanken abzulenken. Collin brachte mich immer zum Lachen.
»Hallo, mein Schatz, wie geht es dir heute?«
»Geh weg! Husch, husch …« Die Stimme des Kleinen zitterte, als er versuchte, mich zu verscheuchen, so wie sein Vater es von ihm verlangt hatte.
»Das machst du gut, Collin. Dein Vater wäre stolz auf dich, aber möchtest du wirklich, dass ich Angst vor dir bekomme?«
Er senkte den Kopf und die dürren Arme fielen kraftlos auf die Decke. »Natürlich will ich dir keine Angst einjagen. Du bist meine Freundin, aber Vater möchte nicht, dass ich mit dir rede. Er sagt, du würdest lügen und mich umbringen. Stimmt das?«
»Was denkst du denn?« Ich setzte mich auf seine Bettkante und wartete auf seine Antwort.
»Eigentlich glaube ich nicht, dass du so etwas machen würdest, denn ich war ja schon krank, bevor ich dich das erste Mal gesehen habe. Du warst immer nett zu mir und behandelst mich nicht, als wäre ich kaputt. Für dich bin ich Collin, einfach nur Collin.«
Ich schenkte ihm ein Lächeln. »Siehst du. Genau das wirst du auch immer bleiben: einfach nur Collin. Wenn ein Mensch stirbt, bricht er lediglich zu einem neuen Abenteuer auf. Dein Leben hier ist wundervoll und du hast einen Vater, der dich von ganzem Herzen liebt, aber du musst auch keine Angst vor dem Tod haben. Verstehst du? Wenn ich für dich singe, wird der Weg ganz leicht.«
»Aber ich fürchte mich, Aydeen.« Collin senkte den Blick.
»Nicht doch. Ich werde an deiner Seite sein. Das habe ich dir doch versprochen – und eine Banshee hält ihr Wort!«
Collin schüttelte fast energisch den Kopf. »Ich habe keine Angst um mich. Es bereitet mir große Sorge, was aus Vater wird, wenn ich nicht mehr da bin. Er kämpft so sehr, doch was bleibt ihm, wenn ich bei Mutter bin?«
»Dein Vater wird ein neues Ziel für sich selbst finden müssen. Das ist seine Aufgabe, nicht deine. Du bist sehr krank und es gibt keine Heilung für dein Leiden, aber das ist kein Grund zu verzagen. Besser genießt du den Rest deiner Zeit, die dir hier auf Erden bleibt. Das wünsche ich dir von ganzem Herzen.« Ich beugte mich vor und küsste Collin auf die Wange. Er wollte seine Ärmchen um mich legen, aber sie glitten einfach durch mich hindurch. Missmutig schob er die Unterlippe vor. »Nicht traurig sein, wenn wir den Weg gemeinsam gehen, kannst du mich umarmen, denn dann sind wir fast gleich.«
»Singst du mir ein Lied?«
»Das tue ich sehr gern. Lehne dich zurück und schließe die Augen. Vielleicht kannst du im Schlaf noch ein bisschen Kraft sammeln.«
Collin kuschelte sich in die Kissen und schloss die Augen, während ich für ihn sang. Ich steckte all meine Zuneigung, die Zugehörigkeit zu dieser Familie, und besonders zu diesem Kind, in mein Lied. Es zog durch die Flure und floss durch die Fenster ins Freie. Die Vögel stimmten mit ein und der Wind rauschte im Takt durch die lichter werdenden Blätter der Obstbäume.
Keelan
Ich kümmerte mich inzwischen seit vier Wochen rund um die Uhr um Collin. Wenngleich mein Gesicht einige Falten mehr und tiefe Augenringe bekommen hatte, war ich immer für mein Kind da.
Nachdem mir die dritte Vermittlung für Pflegeschwestern abgesagt hatte, gab ich es auf, nach einer Hilfe zu suchen. Im letzten Antwortschreiben teilte man mir tatsächlich mit, dass ich als Arbeitgeber für keine Hilfskraft tragbar wäre. Ich zerknüllte das Schreiben und warf es in den Kamin. Es tat gut, es in Flammen aufgehen zu sehen, obwohl es mich der Lösung meines Problems keinen Schritt näher brachte.
Inzwischen verfluchte ich meine Wutausbrüche selbst, wusste aber, dass ich sie auch weiterhin nicht zurückhalten konnte. Die Angst um Collin verwandelte mich in einen brodelnden Vulkan. Ein falsches Wort über seinen Gesundheitszustand, eine vage Andeutung über seinen baldigen Tod und ich würde erneut aus der Haut fahren.
Einsicht war der erste Weg zur Besserung – jedoch nicht bei mir.
Da beschränkte ich lieber meinen Schlaf auf die wenigen unzusammenhängenden Stunden, in denen auch Collin wegdämmerte, bevor ich erneut auf die Idee kommen konnte, jemanden zu schlagen. Außerdem würde Collin besser heilen, wenn man ihn anfeuerte. Ich animierte ihn jeden Tag zum Kämpfen. Für einen O’Brain war Aufgeben keine Alternative. Keine der heilkundigen oder aufopfernden Frauen, die sich Pflegerinnen schimpften, hatten das zur Genüge getan. Nur durch Mitleid konnte Collin nicht heilen. Sein Kämpferherz musste geweckt werden!
Ich ließ mich auf den Sessel fallen, der vor meinem Schreibtisch stand, den ich gemeinsam mit Jonathan in das Krankenzimmer geschleppt hatte. Von hier aus konnte ich jede Regung von Collin beobachten. Wenn ich keine Bettpfannen ausleerte, ihn fütterte oder Kissen aufschüttelte, arbeitete ich in jeder freien Minute an den Geschäften des Landgutes. Ich legte den Kopf auf die Tischplatte und schloss die Augen. Nur einen Moment ausruhen …
Jemand klopfte an die Tür und ich fuhr zusammen. War ich eingeschlafen?
»Der Getreidebrei für Master Collin. Ich habe etwas Apfelkompott dazugetan.«
Ich stand auf und nahm Ms. Walsh das Tablett aus der Hand. Geschäftig half ich Collin, sich aufzusetzen. Ich hatte es aufgegeben, ihn selbst essen zu lassen. Ständig tropfte etwas auf sein Nachtgewand und ich musste ihn anschließend umziehen. Dazu fehlte mir einfach die Zeit. Es ging schneller, wenn ich ihm das Essen anreichte und er nur noch schlucken musste, um bei Kräften zu bleiben. Und das war es doch, was zählte. Collin brauchte Kraft und unbedingten Willen.
»Du machst mich so froh. Ich sehe, dass du kämpfst, mein Sohn. Das ist der richtige Weg, um wieder gesund zu werden. Gib niemals auf!«
»Ja, Vater.«
Diese Worte waren Balsam für meine Seele. Solange Collin nicht aufgab, hatte ich Zeit, auf Mats Antwort zu warten. Ich strich ihm über die hellen Haare, stellte die leere Schüssel auf den Beistelltisch und setzte mich an meinen Schreibtisch. Die Briefe stapelten sich inzwischen und ich musste mich dringend auch dieser Aufgabe widmen. Ein Gut, und mochte es auch so klein wie dieses sein, führte sich nicht von allein.
Jemand klopfte an der Haustür. Das Geräusch interessierte mich nicht. Ich hatte noch so viel zu tun und die Müdigkeit zog wie ein Stahlseil an meinem Bewusstsein. Nur noch vier Briefe und die Einträge in die Buchhaltungskladde, dann würde ich mich in den Sessel neben Collins Bett kuscheln und für eine kleine Weile die Augen schließen. Wieder klopfte es.
Verdammt! War Jonathan nicht da? Wo steckte er nur?
Ich wischte mir über die brennenden Augen und schlurfte die Treppe hinunter. Mein Rücken ächzte bei jedem Schritt. Es bekam mir nicht gut, im Sessel zu schlafen, aber ich hatte keine andere Wahl, wollte ich beide Tätigkeiten – die Pflege von Collin und die Verwaltung der Ländereien von Uphan House – bewältigen. Ich drückte eine Hand auf meine Wirbelsäule und bog mich nach hinten. Es knackte. Die Erleichterung ließ mich seufzen.
Wieder dieses Klopfen. Mittlerweile pochte es hinter meiner Stirn. Die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen zuckten über die Innenseite meiner Schädeldecke. Auch das noch. Ich dachte an die Arbeit, die oben auf dem Schreibtisch auf mich wartete, und die Ausweglosigkeit meiner Situation ließ Wut in mir aufkochen. Ich drehte mich in einem Teufelskreis und es gab keinen Ausweg. Das Klopfen versetzte meinen Kopf in Schwingungen.
Ich riss die Tür auf und brüllte meinen Zorn hinaus: »Was ist denn los, verdammter Hühnerdreck!«
Vor mir standen zwei in Lumpen gehüllte Gestalten. Unter dem ganzen Dreck konnte ich ihr Alter schlecht schätzen, aber an ihren vor Entsetzen aufgerissenen Augen meinte ich, ihre Jugend zu erkennen. Sie fassten sich an den Händen und traten einen Schritt zurück.
»Was ist jetzt? Ihr habt mich von meiner Arbeit weggeholt und nun bekommt ihr den Mund nicht auf?«
Der Kopfschmerz begann, hinter den Augenhöhlen zu pulsieren, und ich drückte Daumen und Zeigefinger auf meine Nasenwurzel.
»Wir … wir wollten fragen, ob Ihr vielleicht eine Kleinigkeit zu Essen für uns habt. Unsere Eltern sind krank und wir haben solchen Hunger.«
Ich stöhnte genervt auf. »Parasiten.« Dann nahm ich die Hand aus meinem Gesicht. »Bleibt hier stehen, verstanden? Stellt auch nur einen Fuß ins Haus und ich hacke ihn euch ab!«
Die zwei richteten sich stocksteif auf. Ihre verschränkten Hände verkrampften sich ineinander. Diese Mistgören sollten froh sein, dass sie etwas bekamen. Sie sollten vor Dankbarkeit vor mir knien, aber nein, sie schauten mich an, als wäre ich eine Ausgeburt der Hölle.
Oh, wie schrecklich ist der verrückte O’Brain. Er gibt uns etwas zu essen. Wie furchtbar!
Ich schnaubte und stieß die Küchentür heftiger auf, als es hätte sein müssen. Die Köchin ließ vor Schreck den Kochlöffel in den Topf fallen und presste sich die Hand auf ihren üppigen Vorbau. »Keelan, du hast mich erschreckt!«
»Hätte ich nicht müssen, wenn du die Tür geöffnet hättest.« Ich stiefelte zur Speisekammer, packte ein paar Kartoffeln, ein Stück Käse und etwas von dem Brot in einen Sack.
»Was tust du da?«
»Bettelnde Katholikenkinder vor dem Tod bewahren, wenn ihr ach so toller Gott es nicht kann. Ist es nicht das, was fiese Gutsherren eben so machen?«
Ms. Walsh lachte leise.
Sie nahm mich einfach nicht ernst, verdammt!
»Ich brühe dir einen Tee gegen die schlechte Laune, mein Junge.«
Ich war schon an der Tür. »Lass mal gut sein. Ich werde mir nachher etwas von dem braunen Tee im Salon gönnen, damit ich ein paar Stunden schlafen kann.«
Ich ließ das Türblatt hinter mir zufallen, hörte aber noch, wie sie sagte: »Mein Tee ist aber gesünder für dich, du Dickkopf.«
Ich sollte mir dringend eine neue Köchin zulegen. Sie hatte Glück, dass Uphan House chronischen Personalmangel zu beklagen hatte.
Ohne ein weiteres Wort warf ich den beiden Wartenden den Sack zu und schlug die Haustür scheppernd ins Schloss. Zu laut, denn ich hörte Collin von oben bellend husten.
Die Briefe würden warten müssen.
Aydeen
Es tat mir weh, zu sehen, dass Collin immer unglücklicher wurde. Die Fürsorge seines Vaters nahm ihm jeglichen Freiraum. Er musste seine Wünsche und Sorgen hinten anstellen. Der Junge merkte sehr wohl, dass sein Vater verzweifelte, dass er sich an ihn klammerte wie ein Ertrinkender. Aber wie sollte Collin ihm helfen? Er war doch selbst so schwach.
Das alles nahm ich wahr, während Keelan nur in seiner eigenen Welt lebte, in der Collin der Mittelpunkt war. Eine Sonne, die langsam zu erlöschen drohte, aber trotzdem noch alles gab, um seinen hellsten Stern nicht in der Finsternis zurückzulassen. Ich bewunderte die Stärke dieses Kindes. Er war unglaublich in seiner Liebe.
Leider konnte ich ihm nicht länger Trost zusprechen, nicht mehr für ihn da sein, denn Keelan ließ ihn nie lange genug aus den Augen. Oft huschte der suchende Blick des Jungen angestrengt durchs Zimmer.
Wie gern hätte ich mich ihm gezeigt, ihm gesagt, dass er sich nicht sorgen musste. Er sollte einfach die Zeit genießen, dabei nicht davor zurückschrecken, sich Dinge zu wünschen. Aber ich musste stumm zusehen, wie er in sich zusammenfiel. Hätten Banshees Tränen gehabt, für diesen Jungen hätte ich sie vergossen.
Keelan
Mit einem Freudenschrei reckte ich den Brief in die Höhe. Endlich, die Rückmeldung aus London war da! Auf Mat konnte ich mich eben immer verlassen. Er hatte alle Mittel und Wege in Bewegung gesetzt, um mir und Collin zu helfen.
Ich tanzte durch das Zimmer meines Sohnes und sang immer wieder: »Wir schaffen es, wir schaffen es, o ja, o ja, wir schaffen es!«
»Was ist los, Vater?«
»Mat schickt uns einen Exorzisten aus Schottland. Er ist ein waschechter Druide. In wenigen Tagen trifft er hier ein und dann wird alles gut.«
»Aber wie soll mir ein Druide mit seinem Exorzismus helfen? Ich bin doch nur krank und nicht von einem Dämon besessen.«
»Das wirst du schon sehen, mein Kleiner.« Ich küsste den Jungen überglücklich auf den Scheitel.
Mit einem Lächeln im Gesicht schüttelte ich seine Kissen auf und verließ dann fröhlich pfeifend das Zimmer.
Ich war mir sicher, der Druide würde sich der Sache annehmen und die Geister aus meinem Leben vertreiben. Für mich war natürlich nur dieser eine Geist wichtig. Wenn die Banshee verschwand, konnten in meinem Garten gern Kobolde und meinetwegen auch Wichtel ihr Unwesen treiben. Das wäre mir herzlich egal, denn diese Wesen bedrohten nicht das Leben meines Sohnes.
Einen Wermutstropfen gab es allerdings.
Ich musste absolute Vorsicht walten lassen, um uns durch die Magie nicht zu gefährden. Achtsamkeit war unabdingbar, um Verfolgung und Folter in jedem Fall von uns fernzuhalten. Es war gefährlich, einen Zauberer bei mir wohnen zu lassen, zumal ich ohnehin im ganzen Umkreis als sonderbarer Kauz verschrien war.
Da allerdings der Winter vor der Tür stand, wollte sich der Druide für ganze fünf Monate bei mir einquartieren. Als wäre das nicht schon schlimm genug, bestand er neben einer allzu üppigen Bezahlung auch noch auf Verpflegung für die Zeit seiner Anwesenheit. Dieser Kerl würde mir nicht nur den letzten Heller aus der Tasche ziehen, sondern auch meine Nerven strapazieren, denn seit Kilias Tod konnte ich einfach keine Fremden im Haus gebrauchen. Aber was blieb mir anderes übrig? Dieser Druide war meine letzte Chance, da musste ich die Zähne zusammenbeißen und durchhalten, bis er die Banshee endgültig ausgelöscht hatte.
Laut rufend rannte ich durch die Flure. Meine Stimme erfüllte jede noch so kleine Nische im Haus. »Hast du gehört, du widerliches Monster? Du wirst meinen Sohn nicht bekommen! Ich werde dich vernichten, auch wenn ich bis ans Ende meiner Tage dafür kämpfen muss!«
Aydeen
Was sollte ich nur tun?
Ich hörte Keelan schreien, der Hall seiner Stimme ließ mich erzittern. Er war besessen davon, mich zu vernichten. Was hatte ich nur getan, um diesen Hass zu rechtfertigen? Hatte ich Kilia nicht mit einem Lächeln im Gesicht ins Jenseits begleitet? Hatten ihr meine Lieder nicht jegliche Angst genommen? Er war doch dabei gewesen. Warum verstand er es nicht?
Ich liebte jedes Familienmitglied, dessen Hand ich ergriffen und als strahlenden Geist durch die Unterwelt gesungen hatte. War ich dadurch nicht auch ein Teil dieser Familie? Für mich fühlte es sich auf jeden Fall so an. Wie konnte er nur auf den Gedanken kommen, dass ich ihnen etwas Böses wollte? Warum war der Tod für Keelan nur so schrecklich und endgültig?
Ich zermarterte mir den Kopf darüber, wie ich ihn in seinem unmöglichen Unterfangen aufhalten könnte. Doch ich sah keinen Ausweg. Wir lebten in unterschiedlichen Welten, unüberwindbare Grenzen trennten uns voneinander. Der Kontakt zwischen Leben und Tod war erst dann möglich, wenn sich die Grenzen auflösten, der Mensch dem Jenseits nahe war. Aber davon war Keelan weit entfernt.
Geistige Verwirrung war nun einmal nicht tödlich.
Collin wollte ich mit meinen Befürchtungen nicht belasten. Er würde Keelan ohnehin nicht umstimmen können, und er hatte überdies schon schwer genug zu tragen. Mir blieb nur, abzuwarten und zu hoffen. Offen war auch die Frage, ob es überhaupt möglich war, eine Banshee von ihrer Familie zu trennen, geschweige denn sie zu vernichten. Für mich erschien das völlig unwahrscheinlich.
Davon einmal abgesehen, wollte ich nicht vernichtet werden. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen, sowohl für Collin als auch für Keelan. Und wer wusste schon, ob sich Keelan irgendwann erneut verlieben würde? Er war ein attraktiver Mann. Es war nicht ausgeschlossen, dass er noch einmal heiratete und weitere Kinder bekam. Auch sie würden mich während ihrer letzten Atemzüge brauchen, genauso wie deren Kinder.
Und ich wollte für sie da sein, wie ich es für jeden O’Brain seit Hunderten Jahren war.
Keelan
Der Druide kam am ersten Tag im Dezember bei uns an. Erste Schneeflocken lagen auf der schwarzen Kutsche und es knirschte laut, als der Einspänner über die laubbedeckte Einfahrt fuhr.
Jonathan schaffte es beim besten Willen nicht mehr, alles in Schuss zu halten. Er gab sein Bestes, neue Hilfsarbeiter anzuwerben, aber niemand wollte zum verfluchten O’Brain-Haus kommen.
Ich wandte mich vom Fenster ab und ging nach draußen, um den Besucher zu begrüßen. Aufregung kribbelte in mir – mein Ziel rückte in greifbare Nähe.
Der Druide sprang aus dem Wagen, noch bevor ihm der Kutscher den Verschlag öffnen konnte. Ein Mann, so groß und breit wie ein Bär, sah sich aufmerksam um. Sicher bemerkte er die beginnende Verwahrlosung des Anwesens ebenso, wie sie in diesem Augenblick auch mir deutlich gewahr wurde.
Braune, trostlose Blumenrabatten, ungeschnittene Rhododendronsträucher und ungeerntetes schrumpeliges Obst an den Bäumen waren da noch die geringsten Probleme. Schlimmer war die grüne Farbe, die von den Fensterläden abblätterte. Einer davon hing genauso schief in den Angeln wie das Eingangstor, das die Kutsche soeben passiert hatte.
Aber der bärtige Riese setzte ein breites Grinsen auf, wickelte sich enger in seinen Fellmantel und kam mit vorgestreckter Hand auf mich zu. Sein Händeschütteln war so fest, dass es mir fast das Blut aus den Fingern presste.
»Es ist mir eine Freude, meinen Auftraggeber kennenzulernen. Ihr müsst nur noch den Kutscher bezahlen, dann können wir hineingehen, damit ich meine alten Knochen an einem warmen Feuer auftauen kann.«
Von wegen alte Knochen. Der ungehobelte Kerl konnte höchstens fünf Jahre älter sein. Nicht einmal die Rechnung für die Anreise beglich er wie ein Gentleman, obgleich er diese Unkosten später seiner Kostenaufstellung an mich hinzufügen könnte. Jetzt war es nicht zu ändern. Der Kutscher hielt mir schon die offene Handfläche entgegen.
Ich grummelte vor mich hin, kramte aber ein paar Münzen aus meinem Geldsack und überreichte sie dem Mann. Eilig schwang sich dieser wieder auf seinen Bock, wickelte den Schal fester um seinen Hals und ließ die Peitsche schnalzen. Die Pferde setzten sich in Bewegung. Als wären sie auf der Flucht, verschwand das Gespann zwischen den Bäumen.
Wieder einmal erkannte ich, wie verrufen ich in der Umgebung geworden war. Niemand, selbst meine eigenen Lehensbauern, wollten sich nicht länger als nötig bei mir, dem verrückten O’Brain, aufhalten. Und das nur, weil ich mein Kind beschützte. Ich schüttelte den Kopf.
Wenigstens zahlten sie ihre Steuern, ohne Aufstände anzuzetteln. Das war nach den verheerenden Ernten der letzten Jahre nicht selbstverständlich. Hunger und die Pest hatten viele Opfer gefordert, aber wir waren dennoch einigermaßen glimpflich davongekommen. Kilia hatte unsere Speicher geöffnet und den Bauern mit Saatgut und Pflanzkartoffeln unter die Arme gegriffen. Dafür hatten die Menschen sie geliebt und verehrt. Sie alle waren zu ihrer Beisetzung gekommen, um ihrer Lebensretterin die letzte Ehre zu erweisen.
Ich schluckte traurig. Meine wundervolle Kilia.
Die knarzende Eichentür holte mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich erschrocken um. Der Druide hatte sich doch tatsächlich selbst ins Haus eingeladen und marschierte gerade mit seinen nassen Stiefeln durch die Eingangshalle.