Das feindselige Gepäck. Sommererzählungen - Franziska zu Reventlow - E-Book

Das feindselige Gepäck. Sommererzählungen E-Book

Franziska zu Reventlow

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Beschreibung

Bei einer Mittelmeerfahrt kommt einer Reisegruppe auf skurrile Weise immer mehr Gepäck abhanden. Kein Wunder, wenn man mit einem Archäologen als »Reisemarschall« verreist! – Der Urlaub auf einer spanischen Insel wiederum kann gründlich missglücken, wenn man die falsche Unterkunft hat, in die Hände eines Verrückten gerät und sich zu allem Überfluss noch in Quarantäne begeben muss. – Und es gibt Urlaubsbekanntschaften, die Rätsel aufgeben, wie der seltsame Rechtsanwalt Herr Berger, der beim Anblick eines erschossenen Fischotters völlig außer sich gerät. Drei rasant-komische Geschichten über das Reisen von der »Skandalgräfin« Franziska zu Reventlow (1871–1918).

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Seitenzahl: 56

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Franziska zu Reventlow

Das feindselige Gepäck

Sommererzählungen

Reclam

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: Henri Lebasque, Nähende Frau, 1900 – akg-images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962132-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014376-6

www.reclam.de

Inhalt

Das feindselige Gepäck

Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel

Der Herr Fischötter

Anhang

Das feindselige Gepäck

Ich weiß nicht mehr, wer eigentlich auf den Gedanken verfallen war, eine Mittelmeerfahrt zu unternehmen, und warum wir anderen darauf eingingen. Es lag durchaus kein zwingender oder besonders verlockender Grund dazu vor. Fast alle Beteiligten waren gerade schlecht bei Kasse, und man hätte zweifellos besser getan, daheimzubleiben. Aber vielleicht gerade weil so vieles dagegen sprach, setzten wir uns die Sache in den Kopf, verachteten die Ratschläge wohlmeinender Freunde und rüsteten uns zur Abfahrt.

Unser Reisemarschall, der das Unternehmen angeregt hatte, war Archäologe und viel gereist – er vertrat die Ansicht, man müsse vor allem sehr anständiges Gepäck mit sich führen, und wir unterwarfen uns blindlings seinen Anordnungen. So begaben wir uns in ein Spezialgeschäft für Reiseausrüstungen und kauften dort zwei große, flache Handkoffer aus vorzüglichem Leder, einen dunkelbraunen und einen hellgelben, ferner einen Kabinenkoffer und à Person einen Dressing-bag mit luxuriöser Inneneinrichtung. Alles erste Qualität, sehr schön und sehr teuer.

Dann versahen wir uns noch mit Feldbetten, denn wie der Archäologe meinte, könne es, zum Beispiel im Peloponnes, leicht vorkommen, dass wir im Freien übernachten müssten. Man konnte diese Betten ganz in sich zusammenschieben und so auf ein ziemlich handliches Paket reduzieren. Und zum Schluss erstanden wir einige recht bequeme Patentklappstühle, die auf den primitiven südlichen Küstendampfern sozusagen unentbehrlich sein sollten.

Der Archäologe war immer noch nicht zufrieden und kaufte noch einen ausgezeichneten amerikanischen Revolver. Er sagte, das sei unbedingt notwendig, und schwelgte schon in dem Gedanken an dramatische Abenteuer mit anatolischen Räubern.

Als das alles erledigt war, nahm unser Gepäck sich wahrhaft fürstlich und äußerst reisekundig aus, nur wir selbst passten nicht mehr recht dazu. Die Ausrüstung hatte so viel Geld verschlungen, dass für unsere Kleidung nicht viel mehr übrig blieb, wir mussten, falls wir die Reise nicht doch lieber aufgeben wollten, abfahren, wie wir eben gingen und standen, und die Koffer blieben einigermaßen leer.

In der ersten Begeisterung setzte man sich mutig darüber hinweg. Als wir dann aber das erste Mal an Bord saßen, überfiel uns eine gewisse Niedergeschlagenheit, jene spezielle Niedergeschlagenheit, die eben durch unzweckmäßige oder deplatzierte Kleidung hervorgerufen wird. Wir saßen auf unseren Patentklappstühlen, und die übrigen Effekten hatte man dicht daneben aufgestapelt. Sie sahen etwas zu neu aus, sehr elegant und wirkten durchaus, als ob sie nicht zu uns gehörten. Das wurmte uns. –

Im Laufe der Fahrt kamen wir mit einem vornehmen alten Araber ins Gespräch, und da wir Vertrauen zu ihm fassten, teilten wir ihm unsere peinlichen Empfindungen mit. Er nahm es sehr ernst damit, ja, er warnte uns geradezu vor den Koffern und meinte: nicht nur Mensch und Tier, sondern auch leblose Gegenstände hätten eine Seele, und vor Dingen, die einem wohl formell angehörten, mit denen man aber nicht in innerem Kontakt stehe, möge man ja auf der Hut sein.

Wir wurden hierdurch nachdenklich gestimmt, und mit der Zeit kam es uns wirklich vor, als ob die Sachen da vor uns so etwas wie eine Seele hätten, und zwar eine, die von bösen und rachsüchtigen Instinkten erfüllt sein könne, weil wir sie so ohne weiteres gezwungen hatten, uns zu folgen. Fremd und verächtlich sahen sie uns an, halb schadenfroh und dann wieder, als ob sie sich unserer schämten, uns für Reiseparvenüs hielten und sich nicht mit uns identifizieren wollten. Man versuchte, sie versöhnlich zu stimmen, Beziehungen anzuknüpfen, betrachtete sie mit liebevollen Blicken, lobte und bewunderte sie, aber es half nichts, und der Archäologe wurde schließlich ärgerlich. Er zankte mit Emma Müller, seiner Cousine – weil sie ihm zum Trotz heimlich eine unansehnliche, alte Plaidtasche mitgenommen hatte, dann verhöhnte er die Feldbetten, die so korrekt und zusammengeklappt dastanden, als ob sie sich nie zu einem Nachtlager hergeben würden, und gab dem gelben Handkoffer, weil er gar zu unverschämt dreinsah, einen Fußtritt, so dass er beiseiteflog und alles durcheinandergeriet. Wir erschraken und verwiesen ihm sein Benehmen, aber es war nicht wiedergutzumachen.

Als wir das Schiff verlassen hatten und im Hotel unser Gepäck überzählten, fehlten vier Stück – nämlich die Patentklappstühle. Wir hatten bis zum letzten Moment an Bord gesessen und dann in der Eile vergessen, dass sie unser Eigentum waren. Es war sehr ärgerlich, aber wir schoben es auf unsere Nachlässigkeit. Bald darauf verließen uns auch die Feldbetten. Wir machten einen Ausflug, fanden programmmäßig kein Nachtquartier und wagten es zum ersten Mal, sie herzurichten und uns darauf auszustrecken. Man schlief wider Erwarten ausgezeichnet und begab sich morgens an einen etwas entfernten Bach, um sich zu waschen. Als wir zurückkehrten, waren die Betten verschwunden und mit ihnen die Dressing-bags, denen wir nur die notwendigsten Toilettengegenstände entnommen hatten. Nur Emma Müllers geschmähte Plaidtasche war zurückgeblieben. Wir nahmen an, dass die Sachen gestohlen worden seien, es war ja auch unverantwortliche Nachlässigkeit, sie auf freiem Felde liegen zu lassen. Der Archäologe lag den ganzen Tag mit seiner Schießwaffe auf der Lauer, aber die etwaigen Diebe ließen sich nicht sehen. Wir bekamen überhaupt keinen Menschen zu Gesicht, auf den man hätte schießen können.

Die anderen Sachen waren in der nächsten Stadt geblieben, wir fanden sie unversehrt wieder und behüteten sie jetzt mit Argusaugen. So reisten wir weiter, vergnügten uns und waren ganz zufrieden. Aber die Beziehung zwischen unserem Gepäck und uns gestaltete sich keineswegs herzlicher – im Gegenteil, denn wir sahen bei dem vielen Herumfahren allmählich so heruntergekommen aus, dass es uns völlig ignorierte und bei jeder Gelegenheit tat, als ob es uns nicht gehörte. Kommissionäre und Portiers betrachteten uns mit Misstrauen, umso mehr, weil unsere Gepäckstücke so unwahrscheinlich leicht waren. Wir stiegen nur in guten Hotels ab, in der Hoffnung, man möchte uns für angesehene Persönlichkeiten halten, die sich eine scherzhafte Verkleidung erlaubten. Vielleicht tat man es auch, aber diese Lebensweise ging über unsere Verhältnisse. Wir beschlossen, die Rückreise anzutreten, und fuhren nach Italien hinüber. Kaum hatten wir die Küste erreicht, als unter dem Gepäck eine förmliche Meuterei ausbrach. Sie begann damit, dass der dunkelbraune Handkoffer beim Ausbooten über Bord sprang – – (oder fiel, wie man es nehmen will). Es war finstere Nacht und keine Möglichkeit, ihn wiederzubekommen.