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Sabine Kopelski ist weg. Ihre Nachbarinnen wollen sich später nicht vorwerfen lassen, sie hätten nichts unternommen, und engagieren Detektiv Ben Danner und seine junge Partnerin Lila Ziegler, um herauszufinden, was mit Bine passiert ist. Ein Verdacht steht gleich im Raum: Alwin Kopelski hat seine Frau im Streit um Geld getötet und unter seinem neu angelegten Schrebergartenteich verscharrt. Also pachten die beiden Detektive eine Parzelle in der Schrebergartenanlage 'Zum friedlichen Nachbarn'. Dass der Name der Realität Hohn spottet, liegt bald auf der Hand. Und dass nicht nur Alwin Kopelski als möglicher Mörder Bines infrage kommt, auch. Doch solange ihre Leiche nicht gefunden ist, bleibt alles Spekulation. Lila und Ben sind so damit beschäftigt, einen Weg zu finden, wie man Kopelskis Teich auf den Grund gehen kann, dass ihnen entgeht, in das Visier eines Stalkers geraten zu sein. Erst als auf Danner geschossen wird, realisieren sie, dass sie vor mehr Problemen stehen als nur vor der Frage: Wo ist Sabine Kopelski?
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Seitenzahl: 272
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Lucie Flebbe
Das fünfte Foto
Kriminalroman
© 2013 by GRAFIT Verlag GmbH Chemnitzer Str.31, D-44139 Dortmund Internet: http://www.grafit.de E-Mail: [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Umschlagmotive: © Anna-Lena Thamm, © rokit_de / photocase.com und © PNetzer / photocase.com eBook-Produktion: CPI – Clausen & Bosse, Leck eISBN 978-3-89425-885-6
Die Autorin
Lucie Flebbe kam 1977 in Hameln zur Welt. Sie ist Physiotherapeutin und lebt mit Mann und Kindern in Bad Pyrmont. Mit ihrem Krimidebüt Der 13. Brief (noch unter dem Namen Lucie Klassen) mischte sie 2008 die deutsche Krimiszene auf. Folgerichtig wurde sie mit dem ›Friedrich-Glauser-Preis‹ als beste Newcomerin in der Sparte ›Romandebüt‹ ausgezeichnet. Es folgten: Hämatom, Fliege machen und 77 Tage.
www.lucieflebbe.de
Klick.
Was für ein Kiefer! Messerscharf und stark genug, ein menschliches Bein durchzubeißen, verengt er sich zu einem gewaltigen, moosbewachsenen Schnabel.
Ein Ungeheuer aus der Urzeit. Bis heute hat es unentdeckt überlebt. Seine kleinen, kalten Augen starren direkt in die Linse. Welch außergewöhnliches Motiv!
Ein herausragendes, ein einzigartiges Bild!
Eine Sensation!
1.
»Ich bin mir sicher, dass sie tot ist.«
Die geflüsterten Worte waren garantiert nicht für meine Ohren bestimmt. Trotzdem wanden sie sich zwischen Gemurmel und Schlagermusik hindurch in mein Bewusstsein.
»Das sagt mir mein Bauchgefühl, Lenny. Sie ist tot.«
Das Gekicher von Lena, Karo und Franzi verschwamm mit den Hintergrundgeräuschen, während das Gespräch am Nebentisch meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Kriminalkommissar Lennart Staschek saß Rücken an Rücken mit Lena, die zufällig nicht nur seine Tochter, sondern auch meine beste Freundin war. Von meinem Platz aus hatte ich ihn im Blick. Der Tisch, an dem er saß, stand direkt vor der blank polierten Theke aus dunklem Holz, hinter der Molle Biergläser abspülte. Nicht weit genug weg, wenn das Gespräch, das der Kommissar führte, ungehört in der Geräuschkulisse der Kneipe versickern sollte.
Ich jedenfalls konnte problemlos mithören, während meine Freundinnen aufgeregt diskutierten, ob es sich bei einem Rempler in der U-Bahn um eine Anmache handeln könne. Gedankenverloren nippte ich an meinem Sektglas, die Unterhaltung am Nebentisch schien die interessantere zu sein.
»Ich nenn das mal ein Gerücht«, antwortete Staschek jetzt skeptisch. »Ein ziemlich gewagtes, denn einen Beweis sehe ich nicht. Für mich klingt das nach ein paar gelangweilten Hausfrauen, die Miss Marple spielen, um ein bisschen Abwechslung vom Kochen und Putzen zu bekommen, Matze.«
Der Spott in seiner samtweichen Stimme war nicht zu überhören. Der Leiter der Mordkommission strich durch seine dicken, kastanienbraunen Haare, lehnte sich mit seinem Bier in der Hand zurück und streckte die langen Beine unter dem Tisch aus. Sein zerknautschter Mantel verlieh ihm den Charme eines Siebzigerjahreermittlers. Mit seinem Aussehen und seinem leicht verstaubten Sexappeal hätte Lennart Staschek eher in eine entsprechende Fernsehserie gepasst als in eine schmuddelige Kneipe im Bochumer Stadtteil Stahlhausen.
»Verrenn dich nicht, Matze.« Staschek platzierte sein Bierglas zwischen grinsenden Osterhasen, bunten Plastikeiern und dem giftgrünen Ziergras, das Molle eigentlich schon vor einer Woche hätte wegräumen können.
»Ich bin nicht bescheuert, Lenny. Zuerst hab ich auch gedacht, es wird Zeit, dass Katrin wieder arbeiten geht, damit sie aufhört, anderen Leuten hinterherzuspionieren«, gestand der Fremde schulterzuckend. »Aber mittlerweile ist unsere Nachbarin seit drei Wochen verschwunden. Der Ehemann weicht allen Fragen aus. Und es stimmt schon, was Katrin sagt. Dass es in letzter Zeit heftig Zoff gab bei denen. In den alten Reihenhäusern kriegt man ja immer mit, was nebenan los ist. Ich habe ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.«
Stascheks Begleiter saß dem Kriminalkommissar gegenüber, ich konnte ihn in Ruhe betrachten. Er war ein kantiger Kerl in Jeans, ein dunkler, an den Enden nach oben gezwirbelter Schnurrbart teilte sein Gesicht in zwei gleich große Hälften: oben Augenpartie samt einer kurzen Nase, unten ein lang gezogenes Kinn. Seine kräftigen Hände fummelten an den Fransen von Molles rot karierter Tischdecke.
»Ich will mich nicht lächerlich machen, Lenny …«
Der Typ war auch ein Bulle, mutmaßte ich spaßeshalber.
Zwar genoss ich es, neuerdings Freudinnen zu haben, mit denen ich Hühnertreffen wie dieses veranstalten konnte. Doch begriff ich nicht, warum ein Grobmotoriker, der in der U-Bahn Frauen umrannte, ein Grund für eine halbstündige Diskussion sein konnte. Lag wohl daran, dass ich die ersten zwanzig Jahre meines Lebens eine Außenseiterin mit lila Haaren gewesen war und mir in Frauengesprächen einfach die Übung fehlte.
»Dabei hatte ich diese Jeans an, in der mein Hintern aussieht, als gehört er zu einem Nilpferd«, zweifelte Franzi.
Lena und Karo widersprachen prompt. Mein Blick wanderte kurz über die Mädchen. Lena war groß und schmal, mit den schönen Augen, dem dicken Kastanienhaar und der unaufdringlichen Eleganz ihres Vaters. Karo trug zu ihrem blonden Pferdeschwanz und dem grellgrünen Minirock ein T-Shirt mit Stinkefingeraufdruck. Zwischen den beiden wirkte Franzi pummeliger, als sie tatsächlich war.
Ich hatte eine vage Ahnung, dass mir die wahre Bedeutung des U-Bahn-Rowdys verborgen bleiben würde. Meine Gedanken fokussierten sich wieder auf Stascheks Begleiter. Möglicherweise handelte es sich um einen Kollegen, den der Kommissar auf ein Feierabendbierchen mitgebracht hatte.
»Ich will keiner der Idioten sein, die erstaunt herumstottern, wenn die seit Monaten tote Nachbarin halb verwest in der Wohnung gefunden wird. Dazu bin ich schon zu oft zu solchen Fällen gerufen worden.«
Bingo, ein Bulle. Ich schnalzte mit der Zunge.
Staschek sah sich über die Schulter nach mir um.
Rasch griff ich mein Sektglas und nickte zu irgendwas, was Franzi mit geröteten Pausbacken über den U-Bahn-Schubser erzählte.
Der Kriminalkommissar wandte sich wieder an seinen Gesprächspartner. »Die Kripo wird jedenfalls nicht deinem Bauchgefühl hinterherermitteln, Matze. Verschwundene Erwachsene suchen wir nur, wenn eine begründete Gefahr für Leib und Leben besteht. Das weißt du selbst. Aber bedroht wurde deine Nachbarin anscheinend nicht und eine Suizidabsicht hat sie auch nicht geäußert.«
Der Mann namens Matze schüttelte den Kopf.
»Eine Möglichkeit gibt es allerdings, wenn eure Nachbarin deiner Frau und dir so am Herzen liegt«, fuhr Staschek fort.
Sein Begleiter ließ sein Glas sinken.
»Drück der jungen Dame da drüben ein Bündel Scheine in die Hand. Dann findet sie die Verschwundene für dich.« Staschek rückte mit seinem Stuhl ein Stück herum und deutete mit dem Kopf auf mich. »Sie lebt zufällig davon.«
Ups.
Der Fremde sah erstaunt zu mir herüber.
»Das ist Lila Ziegler von der Detektei Danner und Ziegler«, stellte Staschek mich gleich vor.
»Ben Danners neue Partnerin?«, hakte der andere Polizist gleich nach. Offenbar war er über mich besser informiert, als ich über ihn.
Staschek nickte. »Ich gehe davon aus, dass sie schon mitbekommen hat, worum es geht.« Der Kriminalkommissar winkte mir zu. »Komm kurz mal rüber, Lila.«
Ich? Ich sollte mit einem möglichen Auftraggeber sprechen? Seit wann war ich dafür zuständig?
Meine Augen flitzten durch das Lokal in der Hoffnung, dass sich mein Freund und Boss Ben Danner mithilfe einer futuristischen Beamtechnik in der Mitte des Raumes materialisierte.
Was natürlich nicht passierte, denn er war noch keine halbe Stunde weg und die Runde um den Stadtpark joggte er präzise in der immer gleichen Zeit von sechsundvierzig Minuten.
Sollte etwa ich mit dem potenziellen Klienten verhandeln? Noch dazu mit einem Polizisten? Einem Spezialisten in Sachen Ermittlungsarbeit?
Zögernd stand ich auf. Dabei begegnete mein Blick meinem Spiegelbild hinter den Spirituosen im Regal über dem Tresen. Eine echtblonde Gerade-mal-Zwanzigjährige blinzelte mit erschrocken aufgerissenen, blauen Augen zurück. Meine kurzen Haarfransen hatte ich hinter meine Ohren geklemmt, was mein Kindergesicht mit dem spitzen Kinn und der noch spitzeren Nase viel zu jung wirken ließ. Der lila Wollpulli schlabberte bis an die Knie meines schmalen Körpers. Mein Name ist Lila, ich bin zwanzig Jahre alt und wünschte, ich wäre schon vierzig.
»Lila, nun komm!« Staschek ruderte mit den Armen, als wollte er einen Ozeanriesen in eine Parklücke in der Innenstadt lotsen.
Seufzend stellte ich mein Glas auf den Tisch und setzte ein ahnungsloses Gesicht auf.
Zwanzig Minuten später betrat Ben Danner die Kneipe. Er zog die dunkle Mütze von seiner Glatze und stopfte sie in die Tasche. Zur schwarzen Jogginghose trug der Boss unserer gemeinsamen Detektei ein gleichfarbiges T-Shirt, dessen Ärmel an seinen Oberarmen spannten.
Lena, Karo und Franzi waren mittlerweile reichlich angeheitert, ich selbst hingegen ziemlich ernüchtert.
Danner trat verschwitzt, aber nicht außer Atem hinter mich an den Tisch von Staschek und seinem Kollegen, der sich inzwischen als Matthias Hesskamp vorgestellt hatte. Ich spürte die Wärme von Danners Körper in meinem Rücken, noch bevor er mir eine Hand auf die Schulter legte. Bemerkte die Geruchsmischung von Schweiß und Aftershave. Passend zu Dreitagebart und Bizeps. Ein halbes Jahr dauerte meine heftige Affäre mit meinem deutlich älteren Chef bereits an. Und sein schmuddeliger Hafenarbeitercharme zeigte noch immer prompt seine Wirkung.
Während Danners linker Daumen unter den Kragen meines Pullis fuhr und ein in diesem Moment unangebrachtes Herzklopfen verursachte, schüttelte er mit der Rechten Hesskamp die Hand.
»Matthias«, begrüßte er den Polizisten, der ihm offensichtlich keineswegs fremd war. Das war keine Überraschung, schließlich war Danner früher selbst Polizist gewesen und ging noch heute im Präsidium ein und aus.
»Hab gehört, du bist jetzt Dorfpolizist in Gerthe.« Danner zog sich einen Stuhl heran. »Da kannst du ja mit deinen Kindern zu Mittag essen. Was treibt dich hierher?«
Hesskamp deutete auf Staschek: »Lenny.«
Ich kochte vor Wut, weil Danner vollkommen selbstverständlich das Gespräch übernahm. Obwohl bis vor zwei Sekunden doch ich für unsere Detektei gesprochen hatte. Und ich ließ mich auch noch selbst von ihm ablenken. Ich war kein bisschen besser als die Hühner am Nebentisch.
Danner gab Staschek eine Kopfnuss: »Wenn deine Frau mitkriegt, dass du Lila anbaggerst, wird die Scheidung teuer, Alter.«
»Deine Sprüche waren schon mal besser«, rempelte Staschek bereitwillig zurück.
Ich kam mir vor, als wäre ich zwischen ein paar U-Bahn-Drängler geraten. Aber eins war klar: Von mir gab es kein schüchternes Lächeln zur Belohnung. Stattdessen drückte ich Staschek einen Kuss auf die babyarschglatt rasierte Wange.
»Wenn du nicht petzt, gibt es keine Zeugen«, erklärte ich Danner.
Hesskamp zog die Brauen hoch, Staschek grinste dümmlich, Danner schnaufte verächtlich. Ich hatte die Aufmerksamkeit der Herren zurückerobert. »Lenny hat Arbeit für uns«, sprach ich weiter, bevor sich das erneut ändern konnte.
Danner musterte Staschek mit zusammengekniffenen Augen: »Sind die Exkollegen so schnarchnasig geworden, dass du jetzt schon Privatdetektive engagieren musst, um mal wieder einen Ermittlungserfolg vorweisen zu können?«
Nachdem er das ausgesprochen hatte, fiel ihm anscheinend ein, dass auch Matthias Hesskamp zu den Schnarchnasen gehörte. Er ergänzte: »Sorry, Matze. Du scheinst ja heute wach zu sein.«
»Genauer gesagt, will Herr Hesskamp uns beauftragen«, grinste ich. »Er vermisst seit drei Wochen eine Freundin aus der Nachbarschaft und fürchtet, ihr könnte etwas zugestoßen sein.«
Danners Blick wurde scharf: »Gibt es einen konkreten Grund für die Befürchtung?«
Hesskamp zuckte hilflos die Schultern: »Meine Frau glaubt, ja.«
Danner verzog keine Miene.
»Weil die Kripo nicht grundlos unbescholtenen Bürgern hinterherschnüffelt, sollt ihr das übernehmen«, brachte Staschek die Sache auf den Punkt.
»Meine Frau macht sich Sorgen«, rechtfertigte sich Hesskamp eilig.
Klick.
Sie liegt auf dem Küchentisch. Nackt. Zwischen den Schälchen, in denen noch die Frühstücksflakes der Kinder schwimmen. Die Beine streckt sie in die Luft, ihre Füße in sein Gesicht, während er es ihr besorgt.
Schöner Schnappschuss.
2.
Danner lenkte seinen riesengroßen und uralten Geländewagen am Rewirpower-Stadion und der JVA vorbei, von der Castroper Straße auf den Castroper Hellweg in Richtung des Bochumer Stadtteils Gerthe, wo Polizeiobermeister Matthias Hesskamp mit seiner Frau Katrin und zwei Teenagertöchtern lebte.
Während ich aus dem Fenster sah, überlegte ich, ob in Molles Kaffee versehentlich ein paar fröhlichbunte Pillen geraten sein konnten. Seit über einem halben Jahr lebte ich in Bochum, aber die Wörter ›grün‹ oder ›bunt‹ zur Beschreibung meiner Wahlheimat zu verwenden, war mir bisher nicht in den Sinn gekommen.
Bis heute.
Die sonst mindestens vierstöckigen Wohnblöcke der Innenstadt waren im Laufe der Fahrt zusehends niedriger geworden. Jetzt rollte die Schrottschüssel an einem alten Fachwerkgehöft vorbei, das genauso gut in einem Dreihundert-Seelen-Dorf vor Hannover hätte stehen können. Und dahinter – ich traute meinen Augen kaum – graste ein Pferd. Auf einer mit weißem Elektroband eingezäunten Weide.
An einem Schulzentrum bogen wir in die Schwerinstraße ein. Reihenhäuser säumten die Straße. Bunte Gebäudefronten mit Vorgärten so winzig, dass gerade eine Bank darin Platz fand. Sonnengelb, grün, blau, sogar vor einem schmutzigen Rot war man nicht zurückgeschreckt, um das eigene Reich kenntlich zu machen. Das Altrosa des Eckhauses war ebenfalls ein Hingucker. Den Asphalt der Fahrbahn hatten Kinder mit Straßenmalkreide verschönert.
Zumindest gab es hier kein Parkplatzproblem. Dank der überlangen Ladefläche, die Danners Schrottkiste anstelle eines Kofferraumes besaß, war in der Innenstadt kaum ein legaler Parkplatz zu finden – mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass beim Bau der Karre vor neunzehn Jahren von Umweltzonen noch keine Rede gewesen war.
Ich rumste die Tür mit aller Kraft zu, damit sie auch wirklich ins Schloss schnappte.
Dann hielt ich inne. Das allgegenwärtige Brummen der Stadt hatte sich entfernt und ich hörte – Vogelgezwitscher?!
Den ganzen langen Winter über war mir Bochum eng, verregnet und grau vorgekommen. Jetzt schien plötzlich die Sonne, für Mitte April war es ungewöhnlich warm.
Ich entdeckte frisch gestrichene Gartenbänke, farbig glasierte Keramikdeko und buntes Spielzeug. Eine junge Mutter legte ein Baby in den Kinderwagen und deckte es zu. Zwei andere Frauen unterhielten sich über ein niedriges Gartenzäunchen hinweg.
Idyllisch.
Danner war ein Stück vorausgegangen. Er steuerte auf die beiden Frauen zu. Ich beeilte mich, ihn einzuholen.
»Guten Morgen. Wir suchen Katrin Hesskamp«, sprach der Detektiv die beiden Frauen im Vorgarten an.
»Die haben Sie gefunden«, lächelte die Jüngere, die im vorletzten Garten vor einem blauen Stück Haus stand. Sie war Anfang vierzig, sportlich-schlank in Jeans und Turnschuhen, mit schulterlangen, dunklen Haaren und einem verschmitzten Lächeln, bei dem ihre Wangen nach oben rutschten. Sie hatte als Sekretärin im Polizeipräsidium gearbeitet, hatten wir von ihrem Mann erfahren. Seit der Geburt der ersten ihrer beiden Töchter vor mittlerweile vierzehn Jahren widmete sie sich allerdings ganz deren Erziehung.
Über den niedrigen Stahlzaun mit speerartig nach oben gerichteten Spitzen hinweg reichte Katrin Hesskamp Danner die Hand: »Dann müssen Sie Herr Danner und Frau Ziegler sein.«
Sie schüttelte auch meine Hand mit kräftigem Druck. Die Polizistenfrau war mir auf Anhieb sympathisch.
»Das ist meine Nachbarin Silvia Fromm«, stellte sie die Frau im Nachbargarten vor. »Sie ist ebenfalls eine gute Freundin der Vermissten. Wir haben uns überlegt, Sie gemeinsam zu beauftragen.«
Gute Idee, dann konnten sie sich unsere Rechnung teilen.
»Eigentlich war es auch Silvia, die der Sache auf die Spur gekommen ist«, fügte Katrin Hesskamp geheimnisvoll hinzu.
Die große Frau im Vorgarten des altrosafarbenen Hausteils war deutlich älter, wahrscheinlich über siebzig. Ihre weiße Bluse trug sie in den Hosenbund gestopft, wodurch die Speckrolle an ihrem Bauch gut zur Geltung kam. Einen Kontrast zu ihrer ergrauten Dauerwelle bildeten die roten Wangen, die sie erhitzt wirken ließen. Vermutlich litt sie unter erhöhtem Blutdruck.
Ich überlegte, was wohl ›der Sache auf die Spur gekommen‹ bedeutete. Klang nach einer Verschwörung mit den Ausmaßen der amerikanischen Ufo-Landungsvertuschung in der Area 51.
Katrin Hesskamp öffnete das Tor im Zaun und ließ Danner und mich in den Vorgarten. Den Weg zum Haus ebneten schicke, gelbe Sandsteinplatten in naturbelassener Form mit unregelmäßigen Kanten. Wir passierten einen Deko-Leuchtturm und einen plätschernden Feng-Shui-Brunnen, der wohl positive Energie verströmen sollte.
Die Nachbarin Silvia Fromm kletterte ungelenkig über das niedrige Gartenzäunchen, um uns zu folgen.
Klick.
Die Alte steht vornübergebeugt. Aufgestützt auf ihre Gehhilfe, weil sie sonst den Halt verliert. Ihre Haare sind so weiß wie ihr Nachthemd. Sie geifert und schreit. Auf dem Asphalt neben ihren Füßen blitzt die Klinge eines Messers im Licht der Straßenlaterne.
Die andere verschwindet in der Dunkelheit.
3.
Beim Reihenhaus der Hesskamps handelte es sich um eine optische Täuschung. Von außen war es nur eine schmale, hellblaue Häuserfront mit weißen Fenstern, eingeklemmt zwischen dem Altrosa der ungelenkigen Frau Fromm am Reihenende und dem Sonnengelb, hinter dem bis vor drei Wochen die nun vermisste Nachbarin gelebt hatte.
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