Das geheime Begehren des Conte - Kali Anthony - E-Book

Das geheime Begehren des Conte E-Book

Kali Anthony

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Beschreibung

Während draußen ein Schneesturm tobt, wird Conte Stefano Morettis selbstgewählte Einsamkeit jäh unterbrochen: Eine schöne Fremde klopft an die Schlosspforte und bittet um Unterschlupf. Nur zögernd lädt er sie ein, die Nacht bei ihm zu verbringen. Er spürt, dass die junge Lucy ihn gegen seinen Willen verzaubert: Ihr Lächeln ist wie ein Lichtstrahl, der die Schatten von seiner Seele nimmt und verbotene Sehnsucht nach Liebe in ihm weckt. Schweren Herzens trifft er eine Entscheidung, von der er hofft, sie nicht ein Leben lang zu bereuen.

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Seitenzahl: 203

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IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2022 by Kali Anthony Originaltitel: „Snowbound in His Billion-Dollar Bed“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2565 10/2022 Übersetzung: Petra Pfänder

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751509992

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Moretti.“

Der Mann am anderen Ende der Leitung klang selbstsicher, aber Stefano bemerkte das Zittern in seiner Stimme. Der Mann fürchtete sich vor ihm.

Zu Recht! Dieser charakterlose Betrüger hatte jeden Grund, sich Sorgen zu machen! Er gehörte vielleicht zur Oberschicht von Lasserno, aber er hatte ein Kronjuwel gestohlen, und Stefano wollte diesen Verbrecher zur Strecke bringen.

Als er sich zurücklehnte, knarrte der antike Ledersessel. Alle Verbrecher waren gleich. Anfangs leugneten sie ihre Taten. Aber am Ende hatte bisher noch jeder die Wahrheit gestanden. Lügner. Jeder Einzelne von ihnen. Aber er würde sie zu Fall bringen.

Er wusste nur zu gut, was es bedeutete, in Ungnade zu fallen. Niemand blieb davon verschont. Nicht einmal er selbst, Graf Moretti, ehemaliger Privatsekretär des Prinzen Alessio Arcuri, dem künftigen König von Lasserno.

Ein Teil von Stefano war vor Monaten gestorben. Trotz all seiner guten Absichten. Geblieben war ein Mann mit einem tiefschwarzen Herzen, härter als ein Diamant.

„Mein Titel ist Eure Exzellenz“, sagte Stefano.

Langsam wurden seine Feinde mutiger. Zuerst hatten sie nur hinter vorgehaltener Hand über ihn geredet, inzwischen forderten sie ihn offen heraus.

Aber jetzt war keine Zeit für Grübeleien. Er hatte eine Mission, er musste seine Geschwister beschützen. Für das, was er getan hatte, konnte er niemals um Verzeihung bitten. Er verdiente keine Vergebung. Aber sein Fehler durfte nicht die Leben seiner Geschwister ruinieren.

Verrat konnte man nicht wiedergutmachen. Und private Informationen über den Monarchen an die Presse weiterzugeben, war eindeutig Verrat. Besonders schwer zählte das Vergehen, wenn man nicht nur der Privatsekretär des Prinzen, sondern auch sein bester Freund und Vertrauter war.

Es spielte keine Rolle, dass Stefano dabei nicht an sich gedacht, sondern das Beste für den Prinzen gewollt hatte.

Prinz Alessio regierte das Königreich, seit sein Vater abgedankt hatte. Nachdem Lasserno jahrelang unter dem korrupten König gelitten hatte, brauchten die Bürger endlich einen Monarchen, dem sie vertrauen konnten. Aber dann hatte die Presse immer mehr negative Schlagzeilen über Prinz Alessio veröffentlicht.

Darum hatte Stefano dem Prinzen vorgeschlagen, einige Interviews zu geben, um die Presse von sich zu überzeugen. Als Alessio den Vorschlag abgelehnt hatte, hatte Stefano die Dinge selbst in die Hand genommen.

Immer wieder hatte er den Journalisten Informationen aus dem Königshaus zugespielt. Aber er hatte nicht damit gerechnet, die Kontrolle über die Situation zu verlieren.

Und ganz gleich, wie gut seine Absichten auch gewesen sein mochten, er musste jetzt die Folgen tragen. Um ein Haar hätte Alessio seine geliebte Prinzessin Hannah verloren. Das war allein Stefanos Schuld.

Am Ende war alles gut ausgegangen. Die beiden hatten geheiratet, und in einigen Monaten würde ein kleiner Prinz oder eine kleine Prinzessin zur Welt kommen. Aber Stefano musste für seinen Fehler bezahlen. Vielleicht für den Rest seines Lebens …

„Lassen Sie mich Ihre Erinnerung auffrischen.“ Stefano bemühte sich nicht länger um einen versöhnlichen Ton. „Ein Diamant. Zehn Karat. Kommt Ihnen das bekannt vor? Bestimmt erinnern Sie sich daran, denn laut Signor Giannotti hat vor einer Woche jemand versucht, ihm diesen Diamanten zu verkaufen. Und auf diesen Mann trifft Ihre Beschreibung genau zu. Giannotti mag vielleicht kein besonders gesetzestreuer Bürger sein, aber er kennt sich mit Juwelen aus. Sobald er das Kronjuwel erkannt hat, hat er mich angerufen.“

Stille.

Der Mann schwieg.

Wie alle Verbrecher, wenn sie merkten, wie weit Stefanos Einfluss immer noch reichte. Er würde alle verlorenen Kronjuwelen aufspüren und dem Königshaus zurückbringen. Denn davon hing das Schicksal seiner Geschwister ab.

Seit unzähligen Generation war die Moretti-Familie untrennbar mit dem Königshaus verbunden. Auf ihren Schultern ruhte eine jahrhundertealte Verantwortung. Eine Pflicht, die Stefano mit seinem Verrat verletzt hatte.

Aber sein Bruder und seine Schwester durften nicht länger unter seinem Fehler leiden. Er wollte, dass sie frei waren. Dass sie Lasserno verlassen und ihr eigenes Glück finden konnten. Das hatte er ihnen versprochen, und dafür kämpfte er.

Denn sein Fehler würde nicht mehr lange geheim bleiben. Sobald die Öffentlichkeit davon erfuhr, würde auch seine Familie darunter leiden.

Aber sobald Stefano seine Aufgabe erfüllt hatte, würde er darum bitten, dass seine Geschwister von ihrer Verpflichtung gegenüber der Königsfamilie freigestellt wurden und das Land verlassen durften. Auch wenn ihn das für immer ans Königshaus binden würde, konnte er nicht zulassen, dass seine Fehler ihr Leben ruinierten.

Nur für seine Familie kämpfte er darum, den Namen Moretti wieder reinzuwaschen. Denn für ihn selbst gab es keine Vergebung.

„Sie halten sich wohl für besonders schlau“, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Aber niemand im ganzen Land glaubt die offizielle Meldung des Palasts, Sie wären für ein Jahr von ihrer Position freigestellt worden, um Ihr Schloss zu renovieren.“

Das war die offizielle Version. Eine harmlose Pressemeldung, um zu erklären, warum man Stefano nicht mehr an Alessios Seite sah. Eine letzte Gnade von seinem früheren besten Freund und Arbeitgeber.

Mehr, als Stefano nach seinem Verrat verdiente.

„Mir ist egal, was die Leute glauben“, sagte er verächtlich.

Innerlich tobte er vor Wut, aber er unterdrückte das Gefühl, löschte die Flammen. Geduld. Das hier war nur der erste Schritt in seinem Plan. Nichts konnte ihn davon abhalten, die Kronjuwelen wiederzufinden. Alessios Vater hatte die wertvollen Schätze weggegeben wie Spielzeug, aber Stefano würde sie wiederfinden und zurückbringen.

Der zweite Schritt hingegen wäre deutlich schwieriger. Manch einer würde sagen, unmöglich …

„Wenn Sie es nicht glauben, dann fragen Sie doch einen der vielen Handwerker, die an der Renovierung von Schloss Moretti arbeiten“, gab er kalt zurück.

Oft versteckten sich die größten Lügen hinter Halbwahrheiten. Stefano renovierte tatsächlich das Familienanwesen. Auch wenn das nicht der Grund war, warum er nicht mehr für Alessio arbeitete.

Wegen seiner Arbeit für den Prinzen hatte Stefano seit Jahren in der Hauptstadt gelebt. Nach dem Tod seines Vaters hatten sich weder er noch seine Geschwister um das Familienanwesen kümmern können.

Gino und Emilia waren damit beschäftigt, sich ihre eigenen Zukunftsträume zu erfüllen. Träume, von denen Stefano ihnen versprochen hatte, dass sie in Erfüllung gehen würden. In seiner Jugend hatte er als großer Bruder die Rolle ihres Beschützers übernommen, da ihre Eltern sich nie besonders für ihre Kinder interessiert hatten.

Inzwischen bröckelten die alten Mauern. Die meisten Räume im Schloss waren abgeschlossen und wurden nicht mehr genutzt. Außerdem hatte seine Schwester vergessen, die Zentralheizung warten zu lassen. Im milden Sommerwetter mochte das unwichtig sein, aber jetzt, im eiskalten Winter, war eine Heizung lebenswichtig.

Seit dem Tod seines Vaters vor vier Jahren war Stefano das Familienoberhaupt, und er betrachtete den Familiensitz als seine persönliche Verantwortung. Aber vielleicht hätte er seinen Geschwistern beibringen sollen, was wirklich dazugehörte, sich um das Schloss zu kümmern und ein Anwesen dieser Größe zu unterhalten.

Auch wenn er Schande über den Familiennamen gebracht hatte, würde er nicht zulassen, dass das fünfhundert Jahre alte Schloss verfiel. Er war immer noch Graf Moretti, auch wenn er den Titel nicht mehr verdiente.

„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass Sie mehr als genug eigene Probleme haben“, zischte der Mann am anderen Ende der Leitung.

Die Worte trafen mitten ins Schwarze.

Stefano schloss die Augen. Celine. Was bedeutete schon ein Pfeil mehr in seinem Herzen? Diese Gerüchte musste sie in die Welt gesetzt haben. Denn Alessio würde kein Wort sagen. Daran zweifelte Stefano nicht eine Sekunde lang.

Nachdem er sich für den ehrenhaften Weg entschieden hatte und von seiner Position zurückgetreten war, hatte er geglaubt, Celine würde seine Entscheidung verstehen. Schließlich waren sie fünf Jahre lang ein Paar gewesen. Drei davon verlobt. Sie hatten eine gemeinsame Zukunft geplant.

Celine war selbst Mitglied eines Adelshauses von Lasserno und hatte ihm schon früh ihre Liebe gestanden. Damals waren sie erst einige Male miteinander ausgegangen. Als er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, hatte sie überglücklich Ja gesagt. Aber kurz nach seinem Rücktritt hatte sie sich von ihm getrennt.

Stefano konnte ihre letzten Worte nicht vergessen. Wie ein böses Echo hallten sie in seinen Ohren nach.

„Wenn du nicht für den Prinzen arbeitest, bist du ein Niemand, Stefano. Du bist nichts.“

All die Jahre hatte sie ihm gesagt, er wäre mehr wert als ein Privatsekretär. Hatte ihn gedrängt, Alessio um eine wichtigere Position zu bitten. Als wäre sein jahrhundertealter Titel Graf Moretti nicht genug.

Damals hatte er ihren Worten keine Beachtung geschenkt. Stattdessen arbeitete er Tag und Nacht, um Alessio zu helfen, den Schuldenberg abzuarbeiten, den der frühere König seinem Sohn hinterlassen hatte.

Aber Celine hatte Recht behalten. Nach Stefanos Rücktritt kehrten ihm seine sogenannten Freunde den Rücken. Ein dumpfer Schmerz pochte in seiner Brust. Celine gehörte zu den wenigen Menschen, denen er vertraut hatte, doch sie hatte ihn verraten. Und ausgerechnet sie verbreitete jetzt auch noch Gerüchte über ihn. Für seine Feinde waren die Neuigkeiten über seinen Rücktritt ein gefundenes Fressen.

Aber Celine schützte einfach nur ihren eigenen Ruf. Darum hatte sie sich getrennt. Vielleicht geschah ihm das recht. Schließlich hatte er seinen besten Freund verraten und damit bewiesen, dass man niemandem vertrauen konnte – ganz besonders nicht ihm.

Als Celine auf ihren hohen Absätzen davongestürmt war, ohne sich noch einmal umzusehen, hatte sie alles richtig gemacht. Er verdiente keine Vergebung. Er war in Ungnade gefallen. War nicht vertrauenswürdig. Was nützte er jetzt noch irgendjemandem?

Stefano hielt den Telefonhörer so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er durfte nicht einfach aufgeben. Wenigstens seine Geschwister musste er retten.

„Hören Sie lieber nicht auf die kleinen Vögelchen. Vielleicht singen sie jetzt noch ein nettes Liedchen, aber in den Wolken wartet ein Raubvogel auf sie. Und glauben Sie nicht, dass Sie mir entkommen, wenn ich erst einmal zugeschlagen habe.“

Wenn seine Mission erfolgreich war, könnte er wieder mit erhobenem Kopf durch den Palast gehen. Sein Stolz war alles, was ihm noch blieb. Den würde er nicht auch noch verlieren.

„Sie haben keine Beweise, nur das Wort eines Kriminellen.“

„Ich besitze Videos von den Überwachungskameras“, sagte Stefano kalt. „Ich habe Signor Giannottis unterschriebene Aussage. Das ist genug.“

Er hörte ein unterdrücktes Geräusch, dann Stille.

„Seine Hoheit hat mir das Juwel gegeben.“

Aha. Es ging los. Zuerst kamen die Lügen … dann das Verhandeln. Das Muster kannte er. Danach kam Wut. Und Stefano sehnte sich nach einem guten Kampf.

„Der ehemalige König mag Ihnen den Diamanten gegeben haben. Aber der Prinz will ihn zurück. Sie haben kein Recht, ihn zu behalten. Er gehört dem Land, nicht Ihnen.“

Eisige Kälte breitete sich in Stefano aus. Solange seine Geschwister in Sicherheit waren, kümmerte ihn nicht, was ihn selbst erwartete. Er versuchte, nicht daran zu denken, wie seine Zukunft aussehen würde. Versuchte, nicht an all die ungeöffneten Briefe auf seinem Schreibtisch zu denken. An all die Anrufe, die er ignoriert hatte.

Denn er musste sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihm lag. Schluss mit den Ausreden. Lügen und Ausflüchte machten ihn krank. Menschen mussten Verantwortung für ihre Taten übernehmen, bevor sie um Verzeihung bitten konnten. Das war der einzige Weg.

„Ich sage Ihnen, wie es läuft“, erklärte er ruhig. „Sie geben den Diamanten an den Palast zurück, und alles ist vergessen.“

Stefano war nicht in der Position, Versprechen zu geben. Aber solange er bekam, was er wollte, war ihm das egal. „Wenn Sie sich weigern, ruiniere ich Sie. Ich werde Sie überrollen wie eine Lawine. Von Ihnen wird nichts übrig bleiben. Das garantiere ich Ihnen.“

„Ich … dafür brauche ich etwas Zeit.“

Es war so weit. Der Mann gab auf. Das hörte Stefano an seiner Stimme. Diese Verbrecher waren schwach und besaßen kein Rückgrat. Wenigstens konnte er die jahrhundertealte Verbindung seiner Familie zum Königshaus benutzen, um diese Kriminellen zu fassen.

Er hätte vorher mehr Mut aufbringen sollen. Hätte bei Alessio dafür kämpfen sollen, was er für richtig hielt, anstatt bei dem Prinzen klein beizugeben und dann heimlich hinter seinem Rücken zur Presse zu gehen. Aber er würde noch genug Zeit haben, seine Fehler zu bereuen. Jetzt hatte er eine Aufgabe zu erledigen.

„Ich bin ein großzügiger Mann. Darum gebe ich Ihnen zwei Tage. Aber denken Sie daran – meine Augen sind überall. In Europa gibt es keinen Juwelier, Pfandleiher, Dieb oder Händler, der die Kronjuwelen nicht kennt. Und sie alle suchen in meinem Auftrag danach. Zwei Tage.“

Er beendete das Telefonat. Nach dem Gespräch mit diesem Betrüger fühlte er sich beschmutzt und sehnte sich nach einer heißen Dusche. Ganz gleich, welche Fehler Stefano gemacht hatte, er würde niemals stehlen.

Er stand auf und ging zum Fenster. Draußen lag Schnee, obwohl es längst Zeit für den Frühling war. Nachdem vor einigen Tagen ein Unwetter angekündigt worden war, hatte er allen Angestellten freigegeben.

In letzter Zeit fiel ständig die altersschwache Heizung aus, und die meisten Räume blieben kalt. Es war nicht nötig, auch seine Angestellten der Kälte im Schloss auszusetzen.

Stefano machte es nichts aus, dass er durch das Unwetter vom Rest der Welt abgeschnitten war. Seine Verbindung zu seinem Land war längst zerstört – seit dem Tag, an dem er Alessio seinen Verrat gestanden und seinen Rücktritt erklärt hatte.

Vor einigen Monaten war Stefano zum ersten Mal seit drei Jahren ins Schloss Moretti zurückgekehrt. Hier würde er im freiwilligen Exil leben und weiter an der Suche nach den Kronjuwelen arbeiten, bis er sein Ziel erreicht hatte.

Aus dem Fenster zu starren, löste keins seiner Probleme. Stefano ging zu seinem Schreibtisch zurück. Er warf einen Blick auf die halb volle Flasche Grappa neben seinem Computer.

In diesem langen kalten Winter hatte er schon mehr als eine Flasche geleert. Er nahm ein Glas und schenkte sich einen Fingerbreit von der goldenen Flüssigkeit ein. Der Alkohol würde ihn wärmen, während er arbeitete.

Er leerte das Glas mit einem Schluck. Eine angenehme Wärme stieg in seiner Kehle auf und gab ihm Kraft für die lange Nacht, die vor ihm lag. Der zweite Teil seines Plans würde etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Eine fast unmögliche Aufgabe. Aber nur so konnte er seinen Bruder und seine Schwester schützen.

„Wenn du das Herz von Lasserno findest, gebe ich dir, was immer du willst.“

Das Versprechen hatte Alessio ihm vor vielen Jahren gegeben, und Stefano hatte es nie vergessen. Jetzt war die Chance, den verschwundenen Krönungsring von Lasserno zu finden, die einzige Möglichkeit, seine Geschwister zu beschützen.

Damals waren Alessio und er noch halbe Kinder gewesen, und Stefano hatte gescherzt, er wolle Premierminister werden. Was zeigte, wie arrogant er damals gewesen war.

Nach all den Jahren das Herz von Lasserno aufzuspüren, wäre der perfekte Schachzug. Der Krönungsring war verschwunden, seit er im Zweiten Weltkrieg einem Soldaten übergeben worden war, damit dieser ihn während der Belagerung Lassernos sicher außer Landes brachte.

Wenn Stefano die Kronjuwelen und den Ring wiederfand, würde das seine Position im Königshaus retten. Dann könnte er hoch erhobenen Hauptes zurück in den Palast gehen.

Aber die Suche gestaltete sich ausgesprochen schwierig. Zu viel Zeit war vergangen, seit der Schmuck verschwunden war.

Stefano öffnete den Umschlag, den ihm sein Privatdetektiv geschickt hatte. Egal, wie viel Geld er investierte, um den australischen Soldaten von damals aufzuspüren, er kam nicht weiter. Alles, was er bis jetzt hatte, war ein Name: Art Cacciatore. Ein Mann, von dem es keine Spur gab. Falls er jemals gelebt hatte.

Auch dieser Bericht enthielt keine neuen Informationen, also legte Stefano ihn zur Seite, stand auf und setzte sich in einen Lehnsessel neben dem Kaminfeuer. Ihm stand wieder eine Nacht bevor, in der er die alten Familienarchive durchsuchen musste. Karton um Karton von eingestaubten Dokumenten.

Die Verantwortung, die Erschöpfung und seine Schuldgefühle drohten ihn zu ersticken. Aber jetzt ging es nicht um seine Gefühle. Er konnte sich kein Selbstmitleid erlauben. An seiner Situation trug allein er die Schuld.

Gerade als er sich gesetzt hatte, hörte er ein entferntes Geräusch. Die Türklingel? Vielleicht war Bruno endlich gekommen, um die Heizung zu reparieren? Seit einer Woche wartete Stefano auf den Installateur aus dem Dorf.

Er stand auf und ging durch den kalten Flur zur Haustür. Auf dem Weg kam er an den Räumen vorbei, die seine Mutter schon vor Jahren abgeschlossen hatte. Nach dem Tod seines Vaters hatte sie das Schloss verlassen und war in ein Apartment in Lassernos Hauptstadt gezogen.

Wieder läutete die Glocke. Laut und durchdringend diesmal, als würde jemand mit ganzer Kraft auf den kleinen Knopf drücken.

„Sì, sì. Sto arrivando!“ Ich komme!

Er erreichte die Tür, entriegelte das antike Schloss und zog an dem Messingknauf. Als sich die schwere Tür mit einem lauten Knarren öffnete, wehte eine eiskalte Schneeböe herein.

Nicht Bruno.

Auf den Stufen stand eine Frau in einem übergroßen hellblauen Daunenmantel. Um den Hals trug sie einen riesigen Wollschal, der mit Eisbärmotiven und kleinen bunten Troddeln verziert war.

Unter ihrer Wollmütze lugten rotblonde Haarsträhnen hervor und umrahmten weich ihr Gesicht. Auch wenn sie gegen das feindselige Wetter dicke Winterkleidung trug, waren ihre Wangen und die Nasenspitze vom eisigen Wind gerötet. Mit einer Hand hielt sie einen großen Rollkoffer, in der anderen trug sie einen mitgenommen aussehenden kleineren Koffer.

Eine Touristin. Die Frau öffnete ihre vollen Lippen zu einem Lächeln, das ihr ganzes Gesicht erhellte.

Eine Ablenkung.

Stefano erlaubte sich keine Ablenkungen. Nicht hier. Keine engelshaft aussehenden Frauen mit zartem Teint, honigfarbenen Augen und tiefroten Lippen.

Hielt sie das Schloss für ein Hotel?

„Niente turisti“, sagte er.

Bei seinem schroffen Tonfall weiteten sich ihre honigfarbenen Augen, und sie trat einen Schritt zurück. „G…Graf Moretti? Eure Exzellenz? Ich spreche kein Italienisch. Non parlo …“

„Keine Touristen“, wiederholte er auf Englisch. Seine Stimme klang heiser. Er hatte so lange mit niemandem mehr gesprochen, dass ihm jeder Sinn für Höflichkeiten fehlte. Nicht, dass es in dieser Situation einen Grund für Höflichkeit gab.

Es stand im Internet und in jedem Reiseführer: Im Schloss werden keine Touristen aufgenommen.

Im ersten Moment ließ sie die Schultern sinken, dann hob sie kämpferisch das Kinn. „Ich bin keine Touristin. Ich heiße Lucille Jamieson.“ Ihr Akzent klang weder Englisch noch Amerikanisch.

„Sie sind nicht von hier.“

„Nein, ich bin Australierin. Aber …“

„Dann sind Sie eine Touristin. Und Sie haben eine weite Anreise auf sich genommen. Für nichts.“

„Ich arbeite in Salzburg. Die Stadt liegt nur vierzehn Autostunden …“

„Wenn Sie nicht aus Lasserno kommen, sind Sie eine Touristin.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Ihre goldenen Augen folgten seiner Bewegung, und unter ihrem Blick breitete sich eine angenehme Wärme in seinem Bauch aus. Wie ein Schutz gegen die eisige Kälte, die von draußen eindrang. Das musste am Grappa liegen.

Mit einem Mal kam ihm sein Wollpullover viel zu warm vor. Selbst hier im bitterkalten Wind.

Die Frau – Lucille – knabberte an ihrer vollen Unterlippe. Die Wärme in seinem Inneren schien sich in ein Feuer zu verwandeln.

„Ich habe Ihnen einen Brief geschickt, weil ich Ihre E-Mail-Adresse nicht herausfinden konnte. Was ziemlich altmodisch ist … ein bisschen wie mein Großvater. Aber schließlich wohnen Sie ja auch in einem Schloss.“

Hatte sie gerade gesagt, er erinnere sie an ihren Großvater? Irgendetwas an dem Vergleich verletzte Stefanos Stolz. Sie wirkte jung, und er dürfte mit einunddreißig etwas älter sein. Aber warum war ihm das wichtig?

Es gab keinen Grund, darüber nachzudenken, denn sie würde nicht lange hierbleiben.

„Ich habe keinen Brief erhalten, Signorina Jamieson.“

Das stimmte nicht ganz. Ein Stapel ungeöffneter Briefe wartete in seiner Schreibtischschublade auf ihn. „Bitte gehen Sie. Im Dorf gibt es eine kleine Pension, in der Sie übernachten können.“

Hinter ihr wirbelte der Wind dichte Schneeflocken durch die Luft. Bald würde der Schnee die schmalen Straßen unbefahrbar machen. Jedenfalls für Autofahrer, die dieses Wetter nicht gewohnt waren.

Als Kind hatte Stefano den Schnee geliebt, bis ihm eines Tages klargeworden war, wie gefährlich der Winter werden konnte. Damals war seine Schwester unbemerkt hinter ihrer Mutter nach draußen gelaufen, als diese zu einem Ball fuhr. Wenn er Emilia nicht rechtzeitig im Schnee gefunden hätte …

An jenem Tag hatte er entschieden, dass er auf seine Geschwister aufpassen würde. Wenn seine Eltern sich nicht um sie kümmerten, musste er es tun.

„Ich habe ein Zimmer in der Pension gebucht, aber es ist noch nicht fertig. Der Besitzer sagte mir, ich sollte mir für einige Stunden die Zeit vertreiben, und hat mir den Weg zum Schloss beschrieben.“

Stefano sah, wie ihre Lippen zitterten. Aber ihr Blick blieb klar und warm. Kein Anzeichen von Tränen. Celine hatte jedes Mal geweint, wenn sie nicht ihren Willen bekam.

Die Fremde ließ wieder die Schultern sinken. Ihr Anblick erinnerte ihn an eine Pflanze, die die Blätter hängen ließ, weil sie nicht genug Wasser bekam.

Ihr Blick wanderte an ihm vorbei, als sehnte sie sich danach, einzutreten. „Bitte. M…mein Auto ist l…liegen geblieben. Ich b…bin weit g…gelaufen und es h…hat angefangen z…zu schneien.“ Ihre Zähne klapperten vor Kälte aufeinander.

Stefano biss die Zähne zusammen. Er wusste, wie gefährlich eine Unterkühlung werden konnte. Auch wenn er diese Fremde nicht in seinem Haus aufnehmen wollte, hatte er keine Wahl. In diesem Wetter konnte er sie nicht wegschicken.

Er trat einen Schritt zurück und winkte sie herein. „Warum haben Sie die Autopanne nicht sofort erwähnt? Kommen Sie herein.“

Zögernd trat sie ins Haus. Als sie ihren Koffer hinter sich herzog, verfing sich ein Rad in der Türschwelle und löste sich. Klappernd fiel es die Stufen hinunter in den Schnee.

Sie sah dem Rad hinterher und schrie erschrocken auf. Ihre Verzweiflung berührte etwas tief in seinem Inneren. Etwas, das er längst verloren geglaubt hatte. Mitgefühl.

Er seufzte und streckte die Hand aus. „Geben Sie mir den Koffer.“

Diese Frau gehörte vor ein warmes Kaminfeuer. Ihre Lippen färbten sich bereits gefährlich blau.

Sie stellte den Rollkoffer ab, aber den kleinen Koffer presste sie so eng an ihre Brust, als enthielte er die Kronjuwelen. „Danke. Das hier trage ich selbst.“

Er zuckte mit den Schultern, griff nach dem Rollkoffer und schloss die schwere Eingangstür.

„Dio, was haben Sie eingepackt?“

Der Koffer schien eine Tonne zu wiegen. Ihm machte das Gewicht nichts aus, denn in letzter Zeit verbrachte er mehr und mehr schlaflose Nächte in seinem Fitnessraum. Aber eine zierliche Frau wie sie konnte unmöglich so einen schweren Koffer tragen.

„Ach, Sie wissen schon …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ein Kreuz. Knoblauch. Holzpfähle.“

Jeder Muskel in Stefanos Körper spannte sich an, und er ließ den Koffer fallen. Mit einem lauten Knall schlug das Gepäck auf dem Boden auf. „Wie bitte?“

Sie kicherte nervös.

Wer war diese Frau? Warum schrieb sie ihm Briefe und fuhr in dichtem Schneegestöber zu seinem Schloss? Sollte er sich bedroht fühlen? Aber Lucille Jamieson wirkte kein bisschen bedrohlich. Eher traurig und irgendwie … deprimiert.

Ihn überkam der unerklärliche Drang, die Person aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen, die schuld an ihrer Traurigkeit war.

„Ich meine, ich bin sehr weit gefahren, um hierherzukommen. Jetzt stehe ich in einem unheimlichen Schloss, allein mit einem Grafen. Klingt das nicht genau wie ein Horrorfilm?“

„Ich verstehe. Sie haben nur einen Witz gemacht. Natürlich.“ Stefano entspannte sich. „Aber das Schloss ist nicht unheimlich.“

Unbeugsam vielleicht. Imposant. Mit diesen Worten würde er das jahrhundertealte Gebäude beschreiben.

Lucille Jamieson sah sich in der großen Eingangshalle um. Ihr Blick fiel auf die Ölgemälde an den Wänden. Von den Leinwänden schauten ihnen die grimmigen Gesichter früherer Grafen entgegen.

„Dann noch die Bilder von schwarz gekleideten und streng aussehenden Männern. Die Atmosphäre erinnert mich an einen Friedhof.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Wieder knabberte sie an ihrer Unterlippe.

„Mein Vater hat immer gesagt, die Gemälde sorgen für den richtigen ersten Eindruck“, wandte Stefano ein.