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Die Wahrheit hinter Shades of Grey ...
Sophie Morgan ist eine leidenschaftliche Liebhaberin. Sie liebt das Spiel von Macht und Unterwerfung. Offen und ohne Scham erzählt sie vom Glücksgefühl der ersten Schläge bis hin zu Bestrafungen, die ihr, ohne dass sie es vorher geahnt hätte, zu größter Lust verhelfen. Sophie erzählt die wahre Geschichte einer devoten Liebhaberin. Freimütig beschreibt Sophie den tastenden Weg zur Erfüllung und zeigt, wie sie nach und nach lernt, ihre sexuellen Bedürfnisse in Einklang mit dem Rest ihres Lebens zu bringen.
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Seitenzahl: 422
Sophie Morgan ist fasziniert vom heißen Spiel um Macht und Unterwerfung. Ihre Reise in die BDSM-Welt beschreibt sie in diesem intimen Tagebuch: »Erotische Geschichten, die eine verborgene Saite in mir zum Schwingen gebracht haben, habe ich immer gemocht. Shades of Grey hat zweifellos viele Frauen ermutigt, ihr Liebesleben infrage zu stellen und über ihre geheimen Wünsche und Fantasien endlich offen zu sprechen. Eine gute Sache, unbedingt. Die Geschichte hat jedoch wenig dazu beigetragen, mit der irrigen Meinung aufzuräumen, dass die unterwürfige Frau ein Fußabtreter sei, mindestens aber einen schlimmen Rückfall in vor-feministische Zeiten darstelle. Die Schilderung von Anastasia Steeles sexuellen Erfahrungen als devote Gespielin eines dominanten Partners entspringt reiner Fantasie. Ich hingegen möchte den Leuten zeigen, was es bedeutet, diese sexuelle Neigung tatsächlich in sich zu spüren und sie in der realen Welt auszuleben. Und das nicht nur, weil ich – wie wohl die meisten vernunftbegabten Frauen – Szenen aus Das Schweigen der Lämmer vor Augen hätte, würde mich ein wildfremder Mann in sein dunkles Verlies des Schmerzes führen wollen.«
Sophie Morgan ist Anfang dreißig. Sie arbeitet als Journalistin und liebt ihren Beruf. Sie hat nicht nur viele Freunde, sondern ist auch von ihrer Familie so begeistert wie entnervt. Sie mag Tiere und Marmite (die vegetarische Würzpaste). Und sie gibt zu viel Geld für Bücher, DVDs und Handtaschen aus, meistens in genau dieser Reihenfolge … All das möchte sie mit jemandem teilen, der sexuell dominant ist und ebenso willens wie in der Lage, den Müll sauber zu trennen. Sophie Morgan lebt im Südwesten Englands.
Vielleicht warst du kurz hinausgegangen, um einen Anruf auf dem Handy entgegenzunehmen, oder vielleicht hast du ja auch eine Zigarette geraucht, bevor du schnell wieder in den warmen Pub zurückgegangen bist. Jedenfalls haben wir deine Aufmerksamkeit auf uns gezogen, wir standen auf der anderen Straßenseite schräg gegenüber von deinem Standort in einer Lücke zwischen den Häusern.
Versteh mich nicht falsch – nicht dass ich – oder er – besonders ins Auge fiele. Wir sehen aus wie jedes andere Paar, das abends ausgeht. Weder waren wir ungewöhnlich gekleidet noch außerordentlich laut oder auffällig in unserer Unauffälligkeit. Zwischen uns gibt es jedoch eine Intensität, etwas Gärendes, das dich innehalten und hinsehen lässt, obwohl es draußen eiskalt ist und du schon wieder zu deinen Freunden hinein willst.
Seine Hand umklammert meinen Oberarm so fest, dass es sogar aus der Entfernung zu sehen ist und du dich flüchtig fragst, ob das wohl einen blauen Fleck gibt. Er hat mich an die Mauer gedrückt, seine andere Hand hat mein Haar gepackt und hält mich fest, sodass es mir nicht gelingt, den Kopf zu drehen. Um mich nach Hilfe umzusehen?
Er ist nicht sonderlich groß und kräftig, du würdest ihn wohl eher als unscheinbar beschreiben, wenn du ihn überhaupt beschreiben müsstest. Aber er hat etwas an sich – wir haben so etwas an uns –, dass du dich kurz fragst, ob alles in Ordnung ist. Ich kann meine Augen nicht von ihm nehmen, und mein offenkundig großer Respekt verleitet dich dazu, eine Sekunde lang dasselbe zu tun: Du siehst ihn durchdringend an und versuchst zu sehen, was ich sehe. Dann zerrt er an meinen Haaren, zieht meinen Kopf in einer so brüsken Bewegung näher an sich, dass du automatisch einen Schritt auf uns zu machst, um einzugreifen – bevor dir Zeitungsberichte über gute Samariter, die sich in eine heikle Lage manövrierten, in den Sinn kommen und du jäh stehen bleibst.
Aus der Nähe kannst du ihn nun mit mir sprechen hören. Keine ganzen Sätze – so nah bist du nicht –, aber genügend Wörter, um dir ein Bild zu machen. Denn es sind deftige Wörter. Schlimme Wörter. Hässliche Wörter. Und du denkst, du müsstest vielleicht doch jeden Moment dazwischengehen, wenn die Sache weiter eskaliert …
Schlampe. Hure.
Du blickst mir ins Gesicht, das so nah an seinem ist, und siehst die Wut in meinen Augen funkeln. Du siehst mich nicht sprechen, denn ich sage nichts. Ich beiße mir auf die Lippe, als würde ich dem Drang widerstehen zu antworten, schweige aber weiterhin. Seine Hand packt mein Haar fester, ich stöhne auf, aber ansonsten stehe ich nur da, nicht direkt passiv – die Mühe, die es mich kostet, mich nicht zu regen, ist für dich geradezu mit Händen greifbar –, aber beherrscht, um die Verbalattacke zu überstehen.
Dann eine Pause. Er wartet auf eine Reaktion. Du kommst näher. Hätte dich jemand gefragt, hättest du gesagt, du wolltest sehen, ob mit mir alles in Ordnung sei, aber in deinem Inneren weißt du, dass es in Wahrheit Neugier ist, schlicht und ergreifend. Die Dynamik zwischen uns hat etwas Animalisches, Urtriebhaftes, das dich anzieht, auch wenn es dich fast abstößt. Fast. Du willst wissen, wie ich reagiere, was als Nächstes passiert. Eigentlich würdest du mit Entsetzen reagieren, aber hier ist etwas Düsteres und doch Zwingendes, etwas, das dich lockt.
Du siehst mich schlucken. Ich fahre mich der Zunge über meine Unterlippe, um sie zu befeuchten, bevor ich spreche. Ich beginne einen Satz, komme ins Stocken, wende die Augen ab, um seinem Blick zu entkommen, als ich eine Antwort flüstere.
Mich kannst du nicht hören, aber ihn: »Lauter.«
Jetzt werde ich rot. Tränen steigen mir in die Augen – ob aus Angst oder aus Wut, das weißt du nicht.
Meine Stimme ist jetzt klarer, fast laut in der Nachtluft, mein Tonfall trotzig, auch wenn die Röte auf meinen Wangen und an meinem Schlüsselbein, das durch die offene Jacke zu sehen ist, eine Verlegenheit verrät, die ich nicht verbergen kann.
»Ich bin eine Schlampe. Ich war den ganzen Abend lang feucht, weil ich mir vorgestellt habe, wie du mich fickst, und ich wäre sehr dankbar, wenn wir nun nach Hause gehen und es tun könnten. Bitte!«
Mein Trotz bricht beim letzten Wort, es kommt als flehentliche Bitte heraus.
Träge streicht er mit dem Finger über das Revers meiner Bluse – tief genug ausgeschnitten, um den Brustansatz anzudeuten, aber nicht direkt nuttig. Ich schaudere. Er macht den Mund auf, und bei seinem Ton musst du dich beherrschen, nicht auch zu schaudern.
»Das klang ja fast wie ein Betteln. Bettelst du, du Schlampe?«
Du siehst, wie ich nicken will, aber seine Hand in meinem Haar hält meinen Kopf fest. Stattdessen schlucke ich schnell, schließe kurz die Augen und sage: »Ja.« Die Pause dehnt sich zu einem Schweigen. Dann ein Atemhauch, der fast wie ein leiser Seufzer klingt: »Sir.«
Sein Finger streicht noch immer über die Rundung meiner Brüste, als er sagt: »Du siehst so aus, als würdest du im Moment so ziemlich alles tun, um zu kommen. Ist das so? Würdest du alles tun?«
Ich schweige. Mein Gesichtsausdruck ist argwöhnisch. Das überrascht dich angesichts der hörbaren Verzweiflung in meiner Stimme. Du fragst dich, was »alles« in der Vergangenheit umfasste und was es nun zu bedeuten hätte.
»Willst du auf die Knie gehen und mir den Schwanz lutschen? Hier und jetzt?«
Eine Weile sagt keiner von uns etwas. Er nimmt die Hand aus meinem Haar, weicht ein Stückchen zurück. Wartet. Ich zucke zusammen beim Geräusch einer Autotür, die in der Ferne zuschlägt, und blicke nervös die Straße hinauf und hinunter. Und da sehe ich dich. Wir haben kurz Augenkontakt, meine Pupillen weiten sich aus Schock und Scham, dann sehe ich wieder ihn an. Er lächelt. Ganz gelassen.
In meiner Kehle formt sich ein Laut, halb Jammern, halb Bitte, ich schlucke trocken und umfasse mit der Hand vage die Umgebung. »Jetzt? Willst du nicht lieber, dass wir …«
Er drückt die Finger auf meine sich noch bewegenden Lippen. Er lächelt. Fast nachsichtig. Aber seine Stimme ist fest, herrisch gar.
»Jetzt!«
Ich werfe schnellstmöglich einen Blick in deine Richtung. Du weißt es nicht, aber in meinem Kopf spiele ich die erwachsene Version eines Kinderspiels: Wenn ich dich nicht direkt anblicke, bist du auch nicht da, um meine Demütigung mitzuerleben. Du kannst mich nicht sehen, weil ich dich nicht sehen kann.
Unsicher deute ich dorthin, wo du stehst. »Aber es ist noch ziemlich früh, Leute sind unterwegs …«
»Jetzt!«
Starr beobachtest du die widerstreitenden Emotionen, die über mein Gesicht huschen. Verlegenheit. Verzweiflung. Wut. Resignation. Mehrmals öffne ich den Mund, um etwas zu sagen, überlege es mir dann aber anders und schweige. Die ganze Zeit steht er nur da, taxiert mich eindringlich, so eindringlich wie du.
Schlussendlich bücke ich mich mit hochrotem Gesicht und gehe auf dem nassen Kopfsteinpflaster vor ihm auf die Knie. Mein Kopf ist gebeugt, das Haar fällt mir ins Gesicht, sodass du es nicht genau erkennen kannst, aber du meinst, im Licht der Straßenlaterne Tränen auf meinen Wangen glitzern zu sehen.
Eine kleine Weile knie ich nur reglos da. Dann siehst du, wie ich tief einatme und mich bereit mache. Ich straffe die Schultern, blicke auf und strecke die Hand nach ihm aus. Als meine zitternde Hand jedoch seine Gürtelschnalle zu fassen bekommt, stoppt er mich, indem er leicht meinen Kopf tätschelt, wie man es bei einem treuen Haustier macht.
»Braves Mädchen. Ich weiß, wie schwer es war. Jetzt steh auf, lass uns von hier verschwinden und nach Hause gehen. Es ist heute Nacht ein wenig zu kalt, um draußen zu spielen.«
Sein Griff ist beflissen, als er mir aufhilft. Arm in Arm gehen wir an dir vorbei. Er lächelt, nickt dir zu. Du nickst fast schon zurück, doch dann fasst du dich wieder und fragst dich, was in aller Welt du da tust. Mein Kopf ist gesenkt, mein Blick auf den Boden geheftet.
Du siehst, dass ich zittere. Aber wie sehr mich dieses Erlebnis erregt hat, kannst du nicht sehen. Wie hart meine Nippel in den Körbchen meines BHs sind. Dass mein Zittern genauso sehr von dem Adrenalinschub kommt, den ich bei der Szene, die sich gerade vor dir abgespielt hat, bekommen habe, wie von der Kälte und der Erniedrigung. Dass ich dadurch aufblühe. Dass es mich auf eine Weise erfüllt, die ich nicht richtig erklären kann. Wie ich es hasse und doch liebe. Mich danach sehne, mich danach verzehre.
All das kannst du nicht sehen, du siehst nur eine zitternde Frau mit schmutzigen Knien, die auf schlotternden Beinen weggeht.
Das ist meine Geschichte.
Als Erstes muss ich sagen, dass ich nicht pervers bin. Nun, jedenfalls nicht mehr als andere auch. Wer in meine Wohnung kommt, staunt eher über das viele schmutzige Geschirr in der Spüle als über mein Verlies. Aber sagen wir so: Da die Lebenshaltungskosten in der City so hoch sind, dass ich froh sein kann, überhaupt etwas gefunden zu haben, das im Rahmen meines Budgets liegt und das ich mir allein leisten kann, kam ein Verlies nicht wirklich infrage.
Also, um mit ein paar lästigen Stereotypen aufzuräumen: Ich bin weder ein Fußabtreter noch ein Hausmütterchen. Ich habe nicht das Bedürfnis, das Feuer im Herd zu hüten und meine Zeit mit Backen zu verbringen, während jemand für mich jagt und sammelt. Abgesehen von einem annehmbaren Sonntagsbraten, den ich zustande bringe, bin ich eine lausige Köchin. Auch sehe ich nicht aus wie Maggie Gyllenhaal in Secretary. Leider.
Ich bin nur zufällig unterwürfig – wenn es mich überkommt und wenn ich jemanden habe, mit dem ich vertrauensvoll spielen kann. Man würde es nicht vermuten, wenn man mich kennenlernt. Es ist lediglich eine Facette meiner Persönlichkeit, einer der unzähligen Charakterzüge, die mich ausmachen – na ja, zusammen mit meiner Liebe für Erdbeeren, meinem Drang, hartnäckig weiterzustreiten, auch wenn ich weiß, dass ich unrecht habe, und meinem Hang, 99 Prozent der Fernsehsendungen zu verteufeln, von dem restlichen einen Prozent aber besessen zu sein.
Ich bin Journalistin bei einer Lokalzeitung. Ich liebe meinen Beruf, und dass meine Unterwürfigkeit keinerlei Einfluss auf meine Arbeit hat, muss eigentlich nicht betont werden. Ganz ehrlich, ansonsten würde man mir Teekochen und Bildergeschichten über Vorschulbuchwochen aufhalsen, und das wäre wirklich schlimmer als der Tod. Außerdem kriegt man in einer Zeitungsredaktion nichts geschenkt. Die Welt ist eine Ellbogengesellschaft, und man muss genauso gut austeilen wie einstecken können. Ich kann das.
Ich betrachte mich als Feministin. Auf jeden Fall bin ich unabhängig. Kompetent. Beherrscht. Für manch einen mag das mit meinen sexuellen Praktiken, den Dingen, die mich geil machen, nicht zusammenpassen. Eine Zeit lang kam es selbst mir schrill vor. Das tut es manchmal noch immer, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es wichtigere Dinge gibt, über die man sich Gedanken machen muss. Ich bin eine erwachsene und normalerweise vernünftige Frau. Wenn ich jemandem, dem ich vertraue, die Kontrolle über meine Person übergebe, damit dieser Jemand uns auf eine Ebene führen kann, die für uns beide auf regend und heiß ist, und solange ich das nicht an einem Ort tue, an dem ich Kinder und Tiere erschrecke, ist das wohl mein gutes Recht. Ich übernehme die Verantwortung für meine Entscheidungen und für meine Handlungen.
Es hat jedoch eine Weile gedauert, bis ich dieses Stadium erreicht hatte. Wäre das Wort nicht vom Reality-TV in Beschlag genommen und in etwas verwandelt worden, das so übelkeiterregend klingt wie es auch nach einem Kuschelrock-Videoclip schreit, würde ich sogar so weit gehen zu sagen, dass es eine »Reise« war. Jedenfalls kam so dieses Buch zustande. Es ist weder ein Manifest noch ein Ratgeber, obwohl mir der Gedanke gefällt, dass jemand mit der entsprechenden Neigung, der die Sache ausprobieren will, die eine oder andere Anregung bekommt. Genauso war es bei mir, so habe ich diese Seite meiner Selbst, meine Erfahrungen und meine Fantasien entdeckt und erkundet.
Fragt man andere Unterwürfige, was sie denken und was Unterwerfung für sie bedeutet, bekommt man ein völlig anderes Buch.
Rückblickend kann ich sagen, dass mein Hang zur Unterwürfigkeit jung begann, auch wenn ich es damals nicht so genannt hätte. Ich wusste nur, dass bestimmte Dinge ein Kribbeln in mir hervorriefen, dass ich sehnsüchtig darüber nachdachte, ohne genau sagen zu können, warum.
Als Jugendliche war mir das natürlich gar nicht bewusst – ich war hauptsächlich damit beschäftigt, in einem adretten Mittelschichtsheim in den Home Counties im weiteren Umkreis von London aufzuwachsen. Ich lasse nur ungern Mythen platzen, aber es gibt kein tiefsitzendes Trauma aus meiner Vergangenheit, auch hat mir in prägenden Jahren nichts gefehlt, was meine heutige Vorliebe für harten Sex entfacht hätte. Ich habe kein Vaterproblem, zu Hause herrschte weder Angst noch Stress, und meine Kindheit war glücklich, geborgen und unkompliziert – gut für mich, aber nicht gerade spannend, wenn man ein Buch schreiben will. Ich verstehe mich bis heute hervorragend mit meiner Familie. Wir sind zwar ziemlich unterschiedlich, aber gegenseitige Liebe und ein gemeinsamer Sinn für das Absurde schweißen uns zusammen. Ich bin wirklich überglücklich, dass ich sie alle habe.
Ich bin in einem hübschen Haus mit Mutter, Vater und Schwester groß geworden.
Meine Mutter – vor meiner Geburt arbeitete sie als Buchhalterin – hat ihr Leben unserer Erziehung verschrieben, sie ist das wahre Herz unserer Familie. Sie hat viel Zeit mit uns verbracht und uns großgezogen – ob das nun hieß, uns bei den Hausaufgaben zu helfen oder mit uns im Garten zu toben. Sie hielt nichts davon, im Hintergrund zu bleiben. Wenn wir Rollschuhfahren gingen, ging sie selbstverständlich mit und fuhr auch. Ihr anderes Hobby war Heimwerken – jedes Zimmer im Haus kam turnusmäßig an die Reihe; das war in etwa so, wie die Brücke über den Firth of Forth zu renovieren, wenn auch mit Laura-Ashley-Tapeten.
Mein Vater ist selbständig, ich kenne niemanden, der härter arbeitet als er. Durch und durch der Ernährer, hat er dafür gesorgt, dass wir als Kinder jedes neue Fahrrad, jede Spielerei bekamen, die wir haben wollten (dankenswerterweise hat meine Mutter die Geschenkeflut im Rahmen gehalten, damit wir nicht zu unerträglich wurden), wir durften reisen und hatten ein wundervolles Familienleben. Mein Vater ist lustig, klug und abenteuerlustig – diese Eigenschaften habe ich wohl geerbt. Er ist ein Freigeist und hat ein gesundes Selbstbewusstsein, das er auch in seinen Kindern gestärkt hat, nachdem er selbst gelegentlich mit seinen Eltern wegen dem, was er machen sollte, im Gegensatz zu dem, was er in seinem Leben machen wollte, aneinandergeraten war.
In vielen Punkten ist meine Schwester das genaue Gegenteil von mir. Ich bin im Allgemeinen eher still und fühle mich in einem kleinen Kreis enger Freunde wohl, während sie vor Leben sprüht und die Seele jeder Party ist. Mit ihrer Energie steckt sie alle an und kriegt alles geregelt. Trotz unserer Unterschiede ist sie die Erste, die ich um drei Uhr nachts anrufen würde, wenn ich in Schwierigkeiten wäre, nicht zuletzt weil sie ein Nachtmensch ist. Es macht mich unfassbar glücklich, dass diese Frau, die mich wohl länger durchs Leben begleiten wird als jeder andere Mensch, so hinreißend ist. Dennoch – lustigerweise und trotz dieser volltönenden Lobeshymne: Wenn wir über Weihnachten drei Tage zusammen bei unseren Eltern sind, werden wir wieder zu Teenagern und zanken uns darüber, wer das Badezimmer länger mit Beschlag belegt (normalerweise sie).
Wir teilten uns unsere komfortable Doppelhaushälfte auch mit einem kleinen Zoo, angefangen bei Goldie dem Goldfisch – ich will jetzt nichts hören! Ich war drei, als ich ihn so getauft habe – über Hamster Cheesy bis hin zu Hund Barry, benannt in meiner »Warum-sollten-Hunde-keine-Menschennamenbekommen?« -Phase. (Die Frage wurde schnell beantwortet, als mein Vater durch den Park rannte und »Barry!« schrie, was andere Hundebesitzer sichtlich irritierte.) Ich habe Tiere immer geliebt. Eine meiner unvergesslichsten Kindheitserinnerungen ist die Beerdigung eines toten Vogels, den ich gefunden hatte, im Garten – ausdrücklich gegen den Wunsch meiner Mutter, die sich, verständlicherweise, wegen der Hygiene sorgte. Als sie herausfand, dass ich nicht nur gegen ihren Willen gehandelt, den Vogel aufgehoben und an seine letzte Ruhestätte gebracht hatte, sondern auch noch eine Trauerfeier leitete, besucht von meiner Schwester und den direkten Nachbarskindern (mitgefangen, mitgehangen!), wurde ich in Ungnade auf mein Zimmer geschickt. Üblicherweise war diese Bestrafung – obwohl sie, nachdem es bei uns keine körperliche Züchtigung gab, die gängige Praxis meiner Eltern gegen Ungezogenheit war – für mich überhaupt keine Strafe. Denn ich liebte mein Zimmer, es war voller Bücher, für die ich mein ganzes Taschengeld ausgab, und ich war glücklich, wenn ich auf dem Fenstersims sitzen, stundenlang lesen und die Welt vorüberziehen sehen konnte. Doch in diesem Fall fand ich es unerträglich ungerecht. Ich schrieb einen empörten Brief an den Fernsehmoderator und Umweltschützer David Bellamy und schilderte ihm das repressive, antiökologische Regime, unter dem ich leben musste und unter dem gefühllose Erwachsene tote Vögel in den Müll warfen.
Eine Antwort bekam ich nie. Es war wahrscheinlich auch besser so, denn ich fürchte, er hätte mir gesagt, ich solle auf meine Mutter hören, und das hätte mich nur noch zorniger gemacht. Dass dies das Schlimmste war, was ich je an Zusammenstößen mit meiner Mutter aus meiner Jugend erinnere, zeigt, dass ich nicht von Natur aus widerspenstig war. Ich machte in aller Ruhe mein Ding, war aber nicht gerade erpicht darauf, Grenzen auszutesten, weil ich im Grunde ja tun durfte, was ich wollte, und weil ich nicht grundsätzlich streitsüchtig war. Das änderte sich zugegebenermaßen, als ich älter wurde.
Schon früh entwickelte ich ein Interesse am Schreiben. Ich erinnere mich, dass ich in kleine Oktavhefte, die mit Aktenbindern zusammenhielten, Geschichten geschrieben und illustriert habe. Sie handelten hauptsächlich von Fernsehsendungen, Büchern und Filmen, die ich mochte. Ich konnte erheblich besser schreiben als malen, auch wenn das in diesem Alter wirklich nicht viel hieß. In jungen Jahren versuchte ich mich jedenfalls in Bildender Kunst, nachdem ich in den Nachrichten einen Bericht über ein frühreifes Kind gesehen hatte, dessen Werke sich für vierstellige Summen verkauften. Als ich dann ein paar Bilder in einer Mischtechnik aus Bunt- und Filzstiften hingeschmiert hatte, nahm meine Mutter geschmeichelt das erste Bild, das ich ihr schenkte, und ließ sich für ein zweites Original sogar fünfzig Pence abluchsen. Als ich den Preis dann aber auf zehn Pfund erhöhte, was ich unter den gegebenen Umständen berechtigt fand, reagierte sie mit einem liebenswürdigen, aber unbeugsamen Nein. So machte sie meine Zukunftspläne für ein Künstlerleben zunichte und zwang mich, wieder auf die Produktion meiner Minibücher und Comics zurückzugreifen. Bei jeder Gelegenheit versetzte ich mich, meine Freunde und meine Familie in die Welt von Narnia, Mittelerde oder, etwas näher an zu Hause, aber irgendwie düsterer, nach Newcastle, nachdem ich diese Stadt im Kabelfernsehen in Jossy’s Giants entdeckt hatte, einer Serie über eine Jungenschul-Fußballmannschaft.
Meine Vorliebe für diese Sendung und für Fußball im Allgemeinen erklärte sich durch meine stark ausgeprägte burschikose Seite. Ich war und bin sehr weit vom typischen Mädchen entfernt. Mein Abscheu vor Pink ist krankhaft, und ich habe noch nie Interesse an Make-up, teuren Kleidern und modischen Schuhen gehabt. In Pumps mache ich noch heute eine Figur wie Bambi, das versucht, übers Eis zu gehen. Doch weit mehr, als ich an Ausgaben für Schuhe spare, gebe ich für Nagellack und Handtaschen aus. In meiner Jugend hatte ich wahrlich keine Lust, mir wegen der Jungen Gedanken zu machen, denn ironischerweise hatte ich viele Freunde in der Schule, schließlich spielte ich in der Mittagspause gern Fußball mit ihnen – und mit irgendwelchem Geplänkel gab ich mich schon gar nicht ab. Meine Lieblingsbeschäftigungen mit zehn Jahren waren Rollschuhfahren, Radfahren und auf den Baum hinten in unserem Garten klettern. Von dort hatte ich einen Blick auf die benachbarten Gärten – aus Gründen, die mir damals sehr wichtig erschienen, eine Quelle unendlicher Faszination. Der Baum gehörte mir allein, meine Schwester hatte keine Lust auf die Kratzer und den Dreck, die man sich schon beim ersten Sprung zuzog, selbst mit meiner ausgeklügelten Springseil-Flaschenzug-Konstruktion, die einen auf den ersten begehbaren Ast beförderte. In vieler Hinsicht war ich ein einzelgängerisches Kind, ich fühlte mich allein mit mir selbst wohl, las und träumte vor mich hin – wohl wenig überraschend angesichts des Bildes eines eher ungeselligen Frauenzimmers, das ich von mir gezeichnet habe.
Natürlich ist keine Frau allein auf der Welt, selbst wenn sie sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf einem Kirschbaum versteckt. Zu Hause war meine Schwester meine ständige Gefährtin und Mitverschwörerin, während ich in der Schule (bis ich elf Jahre alt war, ging ich in eine gemischte Grundschule, danach auf ein Mädchengymnasium) einen Freundeskreis aus Jungen und Mädchen hatte, mit denen ich zum großen Teil noch immer befreundet bin. Da ich eher mit Freaks verkehrte, die sich für Musik, Schauspiel und Technik begeisterten, gehörte ich nicht den beliebtesten Cliquen an, aber ich kam mit allen aus und entschärfte eventuell auftretende Probleme mit Humor. Im Gymnasium war ich eine sehr mittelmäßige Schülerin. Es dauerte eine Weile, bis ich mich, als eine der Cleversten in meiner Grundschulklasse, in den meisten Gymnasialfächern im Mittelfeld eingerichtet hatte. Das Lernen fiel mir nicht leicht, es machte mir Mühe. Gewissermaßen war es ein Kulturschock, der sich aber wahrscheinlich nicht zum Schlechtesten auswirkte, nahm er mir doch alle Frühreife, die ich mir hätte einbilden können, nachdem ich ein so förderndes Elternhaus hatte, in dem alle dachten, ich sei eine Art Genie, weil ich gern las. Ich war weder die Hübscheste noch die Hellste in der Klasse, was aber ein Vorteil war, wie ich bald feststellte, denn die klügsten und hübschesten Mädchen schienen am meisten schikaniert zu werden. Stattdessen lernte ich viel und gewissenhaft – Nebenprodukt eines angeborenen Bedürfnisses zu gefallen. Trotz der gelegentlichen Sorge, entweder meine Lehrer oder meine Eltern zu enttäuschen, ging ich im Großen und Ganzen gern in die Schule. Ich weiß, es klingt verrückt.
Ironischerweise war ich in Liebesdingen eher ein Spätzünder. Mit zwölf oder dreizehn bekam ich von einem Jungen, den ich über einen Freund kennengelernt hatte, meinen ersten Kuss, und ich muss ehrlich sagen, dass er mich nicht sonderlich beeindruckt hat. Da waren keine Donnerschläge, da ertönte keine romantische Musik, und hinterher war ich irgendwie deprimiert. Ich glaube, ich oder er sagte tatsächlich: »Na dann.« Also, weder seine noch meine Welt war in Brand geraten.
Ich las die Mädchenzeitschriften Just Seventeen und Minx und wusste, wie Sex funktionierte, hatte damals aber noch kein Interesse daran, es auszuprobieren. Allerdings hatte ich herausgefunden, dass ich, wenn ich nicht schlafen konnte und mich mit der Hand zwischen den Beinen rieb, ein wohliges Gefühl bekam und eindöste. Und wenn meine Gedanken schweiften, während ich mir solcherart Lust verschaffte, drehten sie sich immer um dieselben Themen.
Mythen und Legenden haben mir schon immer gefallen. Als Jugendliche war Robin Hood mein Favorit. Ich sah mir alle Filme und TV-Serien an (die jüngsten Verkörperungen dieser Figur werden wir übergehen, sonst fange ich an, mit den Zähnen zu knirschen) und las alle Bücher, die ich kriegen konnte, ob fiktional oder historisch. Aber egal ob Buch oder Film, ich hatte so meine Probleme mit Robins Braut Maid Marian. Ich konnte es nicht ausstehen, dass sie sich ständig aus irgendeinem dummen Grund in Gefahr begab und gerettet werden musste; dass sie nicht kämpfte und ihr nicht einmal die Würde zugestanden würde, ein redlicher Kumpan zu sein; dass sie den Großteil ihrer Zeit die Wunden der Merry Men verband und nachdenklich in die Ferne blickte, wenn die Männer in ein Abenteuer ritten.
Trotzdem waren meine Lieblingsstellen in diesen Geschichten immer diejenigen, in denen sie in eben jene Gefahren geriet, für die ich sie verachtete. Als sie gefangengenommen wurde – als unvermeidlicher Köder in einer Falle, um Robin Hood zu fangen (anscheinend ihr Hauptzweck im Leben) –, fachte ihr Widerstand gegen Guy von Gisborne und den Sheriff von Nottingham meine Fantasie an: Sie wurde in irgendeinem klammen Gelass festgehalten, die Bilder zeigen sie oft in Ketten oder Fesseln. Machtlos. Aber sie war unbeugsam, würdevoll in ihrer Unwürde, und irgendwie brachte das eine Saite in mir zum Schwingen, machte mein Herz rasen. So wie als Kind, wenn man etwas las oder sah, das sich einem so tief einprägte, dass man hineingezogen wurde, dass es in jenem Moment einem selbst geschah, dass man es am eigenen Leib erlebte und spürte. (Ich sage: »Als Kind«, doch sobald ich etwas Beeindruckendes sehe oder lese, überkommt mich noch immer dieses Gefühl, wenn auch seltener.) Jedenfalls waren alle Szenen, die ich im Kopf mit mir selbst in der Hauptrolle nachspielte, genau die Szenen mit Maid Marian, auch wenn sie eher blödsinnig war und ich dazu neigte, die dumpfen Stellen zu beschönigen, nachdem Robin sie gerettet hatte und sie wieder ins Lager zurückkehren musste, um das Feuer zu schüren. An solche Geschichten dachte ich, wenn ich nachts im Bett lag.
Zumindest bis ich die Pornografie entdeckte.
Als ich vierzehn war, machte eine Zeitschrift Furore, die zusammen mit ihrer monatlichen Ausgabe gratis ein erotisches Buch für Frauen herausgab. Ich hatte in meinem Zimmer kein Internet, wusste aber, dass dies der richtige Ort war, um sich erotische Inspirationen zu holen. Ich war jedoch nicht an Bildern von Möpsen interessiert, weil ich selbst welche hatte und sie auch nicht besonders geil fand. Doch dieses Buch war anders. Das ganze Gerede über den moralischen Niedergang und so weiter hieß, dass ich fast einen ganzen Monat lang verzweifelt versuchte, an ein Exemplar zu kommen. Langsam vermutete ich, dass ich verdorbener war als meine Schulfreunde oder zumindest verdorbener, als sie es von sich selbst laut zu sagen wagten. Aber auch abgesehen davon, zu sehen, wie skandalös dieses Buch wirklich war, könnte es mir als eine Art Verdorbenheitsbarometer dienen, sagte ich mir.
Nur war da ein Problem.
Meine direkte Nachbarin arbeitete beim einzigen Zeitungshändler, der groß genug war, um diese Zeitschrift in unserer Kleinstadt zu führen. Sie würde mir das Heft also nicht verkaufen, weil sie wusste, dass ich weit unter achtzehn war, außerdem würde sie sich gezwungen sehen, es meiner Mutter zu erzählen, und diese würde mich dann in eines dieser Gespräche verwickeln, die so grässlich sind, dass man sich am liebsten selbst die Ohren abreißen würde, nur damit es aufhört. Unser Zeitschriftenladen war also eindeutig eine Sackgasse. Eines Nachmittags schließlich nahm ich nach der Schule den Bus in die nächstgelegene größere Stadt, dort kaufte ich die Zeitschrift – mit feuchten Händen, noch immer in meiner Schuluniform und in ständiger Angst, dass die desinteressierte Frau hinter dem Tresen merken könnte, dass ich minderjährig war und schamlos das kaufte, was die Daily Mail als »totalen Schund« bezeichnet hatte, und dass sie es von mir zurückverlangen könnte, bevor ich unvermeidlicherweise für immer verdorben wäre. Sie tat nichts dergleichen. Ich stopfte die Zeitschrift samt Buch in meinen Rucksack und ging mit noch immer klopfendem Herzen die zwei Meilen zu Fuß nach Hause, meiner Mutter sagte ich, dass ich mich wegen des Hockey-Trainings verspätet hätte.
Aus heutiger Sicht wirken der damalige Skandal und die Empörung über dieses Buch lächerlich – ich kann es einfach nicht wegwerfen, obwohl ich es so oft durchgeblättert habe, dass die Seiten langsam herausfallen –, aber für mich war die Lektüre eine Offenbarung. Die Seiten meiner Lieblingskapitel sind noch immer an der Ecke eingeknickt, damit ich sie leichter finde. An einer besonderen Stelle geht es um eine resolute, aber verletzliche Frau im Streit mit einem Mann, den sie eindeutig mag, mit dem sie aber ständig Zoff hat. Schließlich wird sie mit Efeu an einen Baum gebunden – ja, es ist eher harmlos, aber es war Persischer Efeu, der bislang wohl ungeahnte Bondage-Qualitäten besitzt … Er macht mit ihr, was er will, streicht mit der Hand über ihren Körper, küsst sie heftig, beschimpft sie. Sie steht da, erregt, ohne es zu wollen, und er bringt sie zum Orgasmus, während sie nichts tun kann, außer ihren Kopf an den Baum zu lehnen und ihre Lust herauszustöhnen. Heute klingt das echt kitschig, fast wie die sexistischen Groschenromane des Verlags Mills & Boon, damals aber machte mich das an. Wenn ich nachts im Bett lag, fantasierte ich also plötzlich über so etwas, begleitet von meiner Hand zwischen den Beinen, die mich in einen friedvollen Schlaf rieb.
Im Leben jedes Mädchens kommt natürlich irgendwann die Zeit, in der echte Jungen die Rolle der Bücher und der Guys von Gisborne ihrer Fantasie übernehmen, außerdem war ich nie wirklich der Robin-Hood-Typ. Mein erster fester Freund – älter, aber nicht klüger – schien anfangs auf Signale zu reagieren, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie aussandte. Anders als andere Jungen, mit denen ich geknutscht hatte, hielt er meinen Kopf fest, meinen Pferdeschwanz um seine Hand geschlungen, während wir uns zum Abschied küssten, und das mochte ich. Es gefiel mir, mich reglos in seiner Hand zu wissen, während unsere Zungen sich duellierten.
In Tagträumen hing ich dem Potenzial dieser Küsse nach, dem, was nach diesem Vorspiel kommen könnte, dem Hinweis, den sie auf eine ganz andere Seite von ihm gaben, eine Seite, die andere nicht sahen, die ich aber spürte, als würde sie meine entsprechende, komplementäre Seite stimulieren. Eines Abends biss er mich so stark in die Unterlippe, dass ich in überraschter Lust in seinen Mund wimmerte. Sofort wich er zurück, er riss mir in der Eile fast ein Haarbüschel aus und entschuldigte sich dafür, dass er mir wehgetan hatte. Ich wäre mir blöd vorgekommen, wenn ich ihm erklärt hätte, dass es mir eigentlich gefiel, und nahm seine Entschuldigung an. Ich sagte: Macht nichts, und ging enttäuscht nach Hause, mit harten Nippeln und feuchtem Schlüpfer.
Noch wusste ich nicht, was dieser Kuss zu bedeuten hatte, der mich so erregte. Ich wusste nur, dass nette Mädchen von so etwas nicht geil wurden, und wenn, dann redeten sie ganz sicher nicht darüber. Also tat ich es auch nicht. Ich lebte mein Leben, ging durch die üblichen Phasen. Schließlich verloren mein erster Liebhaber und ich zusammen unsere Unschuld, als seine Mutter, Arzthelferin, einmal für eine kranke Kollegin einspringen musste. Doch wegen unser beider Unerfahrenheit, kombiniert mit unserer Gehemmtheit und der Tatsache, dass wir horchten, ob seine Mutter nicht doch unerwartet zurückkäme, war es oberflächlich und erschütterte die Grundfesten meiner Welt nicht, obwohl es eigentlich ganz schön war. Doch ich fand es nicht so angenehm, wie im Bett zu liegen und mich selbst zu berühren, allerdings brachte ich das, was mir mit dem Jungen gefehlt hatte, damals noch nicht mit einem ausbleibenden Orgasmus in Verbindung. Wenn ich mir heute überlege, wie naiv und zögerlich unser Gefummel war, kommt es mir wie ein Wunder vor, dass wir dieses erste Mal überhaupt Sex hatten. Dennoch fanden wir beide diese Erfahrung wenn nicht perfekt, so doch sicherlich gut genug, um einander noch lange danach wie benommen anzugrinsen, obwohl wir durch den Mangel an Intimsphäre in ständiger Angst waren, in flagranti erwischt zu werden, und Fähigkeiten entwickelten, so schnell unsere Positionen zu verändern, dass Superman neidisch auf uns – und wahrscheinlich auch einigermaßen irritiert – gewesen wäre.
Meine erste jugendliche Liebe lief sich tot, als wir beide von zu Hause auszogen und an entgegengesetzten Enden des Landes auf die Universität gingen. Wir vermissten einander natürlich, aber wie alle Erstsemester wurden wir bald vom studentischen Leben und den außeruniversitären Vergnügungen eingeholt.
Für mich bestand dieses Vergnügen eine ganze Zeit lang darin, die Gemeinschaftsküche zum Brotbacken zu nutzen. Meine Mutter sah es nicht gern, wenn andere in ihrer Küche hantierten, und so freute ich mich, dass ich endlich selbst kochen konnte. Nach den Vorlesungen gingen wir manchmal etwas trinken und führten Diskussionen, die rückblickend hochtrabender Quatsch waren, die man aber mit achtzehn für überaus wichtig hält, weil sie zeigen, wie erwachsen man ist!
Bei einem dieser besoffenen Diskurse in meinem dritten Studienjahr lernte ich Ryan kennen. Ryan brachte mich nicht direkt vom rechten Weg ab (damals war ich überzeugt, dass ich auch allein auf ausreichend vertrackte Ideen kommen konnte, auch ohne meine wachsende Büchersammlung und ohne Internetzugang auf dem Zimmer – ein weiterer Vorteil der Uni), aber er öffnete mir die Tür zu einer Welt, von deren Existenz ich zwar eine vage Vorstellung hatte, von der ich aber nicht ganz sicher war, ob ich sie betreten wollte. Immerhin rentierten sich so ein paar der vielen Stunden, in denen wir über Foucault, Feminismus und Chomsky diskutierten (ich sage ja: hochtrabend).
Ich hatte Ryan zum ersten Mal in der Bibliothek gesehen. Seine Arbeitsecke war gegenüber meinem Platz – aber so fleißig, wie das nun klingt, waren wir gewiss nicht. Wir nickten uns immer höflich zu, irgendwann baten wir uns gegenseitig, auf unsere Sachen aufzupassen, wenn einer kurz aufs Klo musste, meine Tasche nahm ich jedoch immer mit. Ich fiel schließlich nicht auf ein hübsches Gesicht herein – und gut aussehend war er!
Meine Freundin Catherine brachte Ryan einmal mit in den Pub, mitten ins Gewühl unseres betrunkenen Geplappers. Ich sah, dass er die Leute eher beobachtete, als sich selbst in die Diskussion einzubringen, aber wenn er etwas sagte, dann sprach er langsam und bedacht, war wortgewandt und ließ sich nicht niederbrüllen. Ich fand ihn beeindruckend, er war das genaue Gegenteil der anderen Burschen, die sich um unseren Tisch drängten.
Er war ein bisschen älter als ich, hatte in den USA bereits ein paar Jahre studiert und absolvierte nun ein Hauptfachsemester in Politologie an unserer Uni. Er war nett, lustig und unterhaltsam, aber er nahm sein Studium wie auch die meisten anderen Dinge sehr ernst. Das gefiel mir. Das Unileben machte Spaß, aber ich war kein Neuling mehr und trank nicht bis zum Umfallen. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass das Studium Geld kostete und ich mich dafür anstrengen sollte. Ich mochte Ryans Arbeitsmoral und dass er dieselben Ansichten dazu hatte. Zudem konnte ich nicht umhin festzustellen, dass er auf seine nachdenkliche und etwas freakige Art sexy war, und er hatte einen Akzent, der einem wahrlich Schmetterlinge in den Bauch treiben konnte, natürlich vorausgesetzt, er ließ sich überhaupt dazu verleiten, etwas zu sagen.
Die Sache brauchte ihre Zeit. Es tobte eine Debatte über einen Kalender, den eine Damensportmannschaft herausgeben wollte, um an Geld zu kommen, dazu wollten die Frauen nackt posieren, lediglich von irgendwelchen Gegenständen verdeckt. Ein Kommilitone aus meinem Wohnheim beklagte, wie erniedrigend das sei – offenbar vor allem, weil seine Freundin auf einem Foto war. Ich führte an, dass es nicht erniedrigend sei und dass es ihn auch gar nichts angehe, solange das Mädchen kein Problem damit hätte. Der Streit wurde immer hitziger, was unausweichlich war, weil er sich darüber aufregte, dass es die Männer nach den üppigen Reizen seiner Freundin gelüsten könnte. Und was ihm nach fünf Bier an Eloquenz fehlte, machte er mit Lautstärke, wildem Gestikulieren und Überspitzungen wett. Ich konnte mich nicht zurückhalten, obwohl mir das Ganze in jeder Hinsicht eigentlich egal war, aber es machte Spaß zu streiten, und mit ihm zu reden war, wie Fische in einem Fass zu harpunieren – einem Fass voller Bier.
Bald stellte sich heraus, dass ich nicht die Einzige war, die Debattieren mitunter als eine Art Sport betrachtete. Ryan schaltete sich zur Unterstützung meines betrunkenen Stockwerksnachbarn ein. Er nannte mich antifeministisch, argumentierte anhand altmodischer, frivoler Urlaubspostkarten über Absicht und Wirkung von Fotos und landete direkt in einem Diskurs über Pro und Kontra der Pornografie.
Nach einer Weile wurde der Kreis der Diskutierenden kleiner, einige gingen Bier holen, standen nur herum oder versteckten sich regelrecht. Wir aber stritten weiter. Ryan war gegen jede Art von Pornografie, ich dafür – unter der Voraussetzung, dass alle Beteiligten freiwillig mitmachten und gut bezahlt wurden. Catherines Kopf schnellte hin und her, als würde sie ein besonders langatmiges Tennismatch verfolgen.
Irgendwann begann ich, innerlich zu grinsen. Meine Ansichten zur – gesetzlich erlaubten – Pornografie beruhen weitgehend auf dem Prinzip, dass jeder machen soll, was er will. Insofern war mir das Thema so oder so herum gleichgültig, aber ich wollte Ryan einfach nicht das letzte Wort lassen und wollte sehen, wie lange er durchhielt. Außerdem, wenn ich ehrlich bin und auch ein bisschen gemein, gefiel es mir, dass der heiße Ami mir seine ganze Aufmerksamkeit schenkte, auch wenn er angefangen hatte, sich als Reaktion auf meine argumentatorische Unbeugsamkeit immer wieder an den Kopf zu fassen.
Wie gesagt, es brauchte eine Weile, aber dann sah ich in seinem Blick, dass er begriffen hatte, dass ich nur zum Spaß stritt. Wieder fasste er sich an den Kopf, straffte seine Schultern und blickte mich lange an. Er sah, dass ich ein Zucken um den Mund nicht verbergen konnte, dann beugte er sich vor und schüttelte mir die Hand.
»Gut gespielt, Miss, gut gespielt.«
Ich grinste ihn an und spendierte ihm ein Bier. Das schien die Höflichkeit zu gebieten.
Als der Pub schloss, machten wir uns torkelnd auf den Heimweg. Catherine und ich waren unsicher auf den Beinen und kicherten albern. Ryan bot an, mich nach Hause zu bringen, und als ich meinen Schal umlegte, beugte Catherine sich vor und packte ihn am Arm.
»Du kannst uns beide nach Hause begleiten, wir wohnen im selben Heim.« Das hätte sie wohl gern gehabt, aber er schien von diesem Vorschlag nicht begeistert zu sein. Und ich, ehrlich gesagt, auch nicht: Der Mann, den ich wochenlang in der Bibliothek beäugt hatte, hatte sich als klasse Typ erwiesen, und ich hoffte, dass er dasselbe von mir dachte. Doch da ich wusste, wie zugeknöpft er war, solange er nicht reichlich getankt hatte, war ich mir nicht sicher, ob und wie ich je wieder Gelegenheit bekommen sollte, ihn noch einmal so zu erleben.
Doch Lob sei der modernen Kommunikation! Am nächsten Morgen wachte ich mit einem dicken Kopf auf und brauchte dringend ein Specksandwich – da fand ich eine Mail, in der er mich fragte, ob ich mich mit ihm treffen und ins Kino gehen wollte. Ich war so scharf darauf, dass ich antwortete, bevor ich überhaupt aufstand und mich auf die Suche nach einem magenberuhigenden Tee machte.
Ganz der Kavalier, machte er im Kino den Fehler, mich den Film aussuchen zu lassen. Also zerrte ich einen Mann, dem weder die Spannung und die Schockeffekte von Horrorfilmen noch die Unwahrscheinlichkeit von Science-Fiction gefielen, in einen Streifen, der beides war. Selbst im dunklen Saal konnte ich im flackernden Licht des Projektors seine leicht angewiderte Miene sehen – das heißt, wenn er nicht die Hände vors Gesicht geschlagen hatte.
Danach gingen wir essen. Die Unterhaltung war angeregt, nicht zuletzt weil ich ihn verspottete, ein noch größeres Weichei zu sein als ich, während er den Film als Blödsinn niedermachte und die Schwächen im Plot so pingelig aufzählte, dass ich laut lachen musste. Es machte einen Riesenspaß, und als er meinte, wir könnten uns doch wieder mal treffen, war ich sofort einverstanden.
Also trafen wir uns. Wir gingen in einen Comedy-Club und zum Konzert einer Band im Studentenwerk. Schließlich lud er mich zu sich ein, um Filme anzuschauen. Selbst in meiner relativen Unschuld war mir klar, dass dies in Sachen Flirt hieß: alles oder nichts. Ich buk Schoko-Brownies, ich wusste zwar nicht, inwieweit sie es mit denen von zu Hause aufnehmen konnten, er aber verschlang sie zu riesigen Mengen Kaffee, während er durch die Programme zappte. Als ich es schon so gut wie aufgegeben hatte, herausfinden zu wollen, ob er sich in Liebesdingen für mich interessierte, beugte er sich endlich zu mir herüber und machte den Anfang. Er tat so, als wische er mir Krümel aus dem Mundwinkel, ging aber nach der Berührung mit seinen Fingern schnell dazu über, mir seine Lippen auf den Mund zu drücken. Ich lächelte innerlich und hatte nicht das Bedürfnis, ihm auszuweichen. Schließlich hatte ich mir wochenlang überlegt, wie sich dieser Moment anfühlen würde.
Er begann zaghaft, küsste mich zärtlich auf den Mund, drückte mir überall kleine Küsschen auf, dann wurde er mutiger, schob seine Zunge in meinen Mund und küsste mich richtig. Ich wurde nicht enttäuscht. Er schmeckte nach Schokolade und Kaffee, seine Lippen lagen weich auf meinen. Während er mich erkundete, machte ich den Mund begierig auf und sog ihn tiefer in mich hinein.
Er nahm mich in den Arm, streichelte meinen Rücken, presste mich an sich. Als ich seine Fingerspitzen auf meinem Rückgrat spürte, schauderte ich erregt. Alle meine Nervenenden waren gereizt von seiner Berührung, von jeder noch so kleinen Verbindung seines Körpers mit meinem – mit seinen Händen, seinem Mund, ja auch seinem Unterleib, der sich drängend an mich drückte.
Eine ganze Weile knutschten wir nur, begierig und hingebungsvoll. Er konnte toll küssen, bedächtig und leidenschaftlich. Während unsere Hände durch die Kleider hindurch über unsere Körper wanderten, stimulierte er mich weiterhin so lustvoll mit der Zunge, dass mein Gehirn fast aussetzte. Ein zerfaserter, unfertiger Gedanke drang irgendwie durch den Nebel: Wenn er mir allein beim Küssen so eine Lust verschaffte, wie um alles in der Welt wäre es dann, mit ihm zu vögeln?
Als er sich hinunterbeugte und meine Jeans aufzumachen begann, dachte ich, ich würde es gleich herausfinden. Meine Hände wanderten zu seinem Gürtel, er aber hielt sie fest. Er faltete meine Finger auseinander, führte sie an seinen Mund und küsste sie zärtlich, bevor er sie wegschob und seine Hände wieder zu meinem Reißverschluss zurückkehrten. Er zog mir die Hose über die Hüften, und meine blau gepunktete Unterhose kam zum Vorschein, was mich ein bisschen erröten ließ.
Er grinste. »Hübsch.« Ich wollte schon eine Rechtfertigung für meine leicht sonderbare Wahl der Unterwäsche stammeln, aber sein Blick bremste mich. »Setz dich kurz auf.« Ich bewegte mich, und er zog mir Jeans und Unterhose aus, sodass ich ganz entblößt war.
Eine Zeit lang sah er mich nur an. Ich versuchte stillzusitzen, aber es ist mir immer peinlich, wenn jemand zum ersten Mal meine intimen Stellen sieht, vor allem wenn man ganz offenbar nicht eine erwachsene Version von »Du zeigst mir deins, ich zeig dir meins« spielt. Ich sah ihn lächeln und schielte auf seinen Schritt – erleichtert stellte ich fest, dass er überaus angetan war von dem, was er sah. Ich beugte mich wieder vor und streckte die Hände nach ihm aus, er aber sagte: »Schon gut. Warte kurz.«
»Ich bin kein geduldiger Mensch«, brummte ich.
»Dann denke über diesen Charakterzug nach.« Er kniete sich vor mich hin. Ich trat ihm mit meinem nackten Fuß spielerisch gegen das Knie und stöhnte, als er mit dem Finger über die Innenseite meines Schenkels strich, so nah an der Stelle, wo ich ihn haben wollte, aber nicht nah genug. Ich wartete. Meine Schenkel zitterten leicht, während er an beiden Seiten unterhalb meiner Schamlippen hinauf- und hinunterstrich und ich mir verzweifelt wünschte, er würde nur ein paar Zentimeter weiter nach oben wandern und mich dort berühren, wo ich mich nun nach ihm verzehrte. Ich schloss die Augen und rang um Beherrschung. Ich glaube, ich hatte sie fast wiedergefunden, zumindest
Die englische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »The Diary of a Submissive« bei Penguin Books, London.
1. Auflage Deutsche Erstausgabe Dezember 2012 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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