Das Geheimnis der Braut - Karleen Koen - E-Book
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Das Geheimnis der Braut E-Book

Karleen Koen

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Beschreibung

Intrigen, Skandale und Verrat: Der opulente historische Roman »Das Geheimnis der Braut« von Karleen Koen jetzt als eBook bei dotbooks. Die ungestüme Liebe einer jungen Frau – und ein Geheimnis, das alles zunichtemachen könnte ... Seit ihrer Kindheit liebt die junge Barbara Alderly den wohlhabenden und äußerst attraktiven Earl of Devane, Roger Montgeoffry. Als er um ihre Hand anhält, scheint ein Traum wahrgeworden zu sein. Doch das Leben bei Hofe an Rogers Seite erweist sich schnell nicht nur als Enttäuschung, sondern als gefährliches Spiel mit dem Feuer – denn der Earl hütet seit langem ein dunkles Geheimnis, das Barbaras Familie in den Abgrund stürzen könnte. Wird es ihr gelingen, sich sicher zwischen den fein gewebten Netzen aus Lügen und Intrigen der Aristokratie zu bewegen und ihr Erbe von Rogers Verrat reinzuwaschen? »Macht, Gier, Familienkonflikte, brennender Ehrgeiz und Leidenschaft: Die LeserInnen werden gefesselt sein!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der vielschichtige historische Roman »Das Geheimnis der Braut« von Karleen Koen ist der zweite Band der Tamworth-Saga und kann unabhängig von Band 1 gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 1161

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über dieses Buch:

Die ungestüme Liebe einer jungen Frau – und ein Geheimnis, das alles zunichtemachen könnte ... Seit ihrer Kindheit liebt die junge Barbara Alderly den wohlhabenden und äußerst attraktiven Earl of Devane, Roger Montgeoffry. Als er um ihre Hand anhält, scheint ein Traum wahrgeworden zu sein. Doch das Leben bei Hofe an Rogers Seite erweist sich schnell nicht nur als Enttäuschung, sondern als gefährliches Spiel mit dem Feuer – denn der Earl hütet seit langem ein dunkles Geheimnis, das Barbaras Familie in den Abgrund stürzen könnte. Wird es ihr gelingen, sich sicher zwischen den fein gewebten Netzen aus Lügen und Intrigen der Aristokratie zu bewegen und ihr Erbe von Rogers Verrat reinzuwaschen?

Über die Autorin:

Karleen Koen interessierte sich schon von früh auf für Geschichte, insbesondere die Rolle der Frau darin. Sie arbeitete für verschiedene Magazine, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Eine besondere Inspiration war dabei ihr Großvater mit seiner großen Sammlung historischer Romane. Heute lebt Karleen Koen in Houston.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die Tamworth-Saga mit den Bänden »Das Spiel der Hofdame« und »Das Geheimnis der Braut«.

Die Website des Autors/der Autorin: karleenkoen.net

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eBook-Neuausgabe November 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1986 unter dem Originaltitel »Through a Glass Darkly« bei Random House, Inc, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Wie in einem dunklen Spiegel« bei Lübbe

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1986 by Karleen Koen

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Gemäldes von Sir Joshua Reynolds »Sarah Campell«

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-411-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Karleen Koen

Das Geheimnis der Braut

Historischer Roman

Aus dem Amerikanischen von Ulrike von Sobbe

dotbooks.

Für Blake und Samantha

Ich danke Randall M. Stewart für seine Hilfe bei der Textverarbeitung und für seine stetige Ermutigung.

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, sann wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich ein Mann wurde, tat ich ab, was kindisch war. Denn wir sehen jetzt nur wie durch einen dunklen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen, wie ich auch völlig erkannt worden bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1. Korinther 13, 11–13

Erster Teil

Anfänge

England und Frankreich1715–1716

Kapitel 1

Durch das halb geöffnete Fenster der Bibliothek waren zwei zornige Stimmen zu hören. Als Barbara sie erkannte, blieb sie stehen und sah sich nach einem Platz um, wo sie zuhören konnte, ohne gesehen zu werden. Sekunden später schlüpfte sie hinter den alten Efeu, der die hellrote Ziegelmauer des Hauses überzog. Mit seinen Ranken, die an manchen Stellen so dick wie ihre Handgelenke waren, gab der wuchernde Efeu das Haus nur zögernd frei. Jedes Frühjahr ringelte er vorwitzige, dünne Finger um die Fensterrahmen und in die Zimmer, und jedes Frühjahr schnitt Barbaras Großmutter die Triebe ab und wies die Gärtner an, den ganzen Efeu zurückzuschneiden. Jetzt, im November, klammerte er sich eigensinnig ans Haus. Viele seiner dunkelgrünen Blätter waren von der Kälte schon gelbbraun geworden.

»Dummkopf! Unverschämter kleiner Dummkopf!« Die Stimme ihrer Mutter war deutlich aus der Bibliothek zu hören. »Hast du dir eingebildet, ich wäre damit einverstanden? Wolltest du vielleicht wie ein geprügelter Hund angekrochen kommen, um dir meinen Segen zu holen? Meinen Segen! Ich könnte dich umbringen. Ist dir eigentlich klar, was du da fast angestellt hast? Denkst du überhaupt noch – oder fühlst du nur noch mit diesem harten Schwanz zwischen deinen Beinen?«

Normalerweise klang die Stimme ihrer Mutter tief und heiser, doch wenn sich Ärger oder Zorn hineinmischten, war das Ergebnis ohrenbetäubend.

Harry murmelte irgendetwas, und Barbara versuchte, näher ans Fenster zu kommen, damit sie besser lauschen konnte, aber der Efeu war zu dicht. Er war so alt wie das Haus, das vor über hundert Jahren, zur Zeit von Elisabeth I., gebaut worden war. Es erstreckte sich über mehrere Stockwerke, doch was einst an ihm als modern gegolten hatte, erschien jetzt überholt und altmodisch: die gewundenen Ziegelschornsteine, von denen keiner wie der andere war, die vielen spitzen Giebel, die Fenster mit ihren kleinen Butzenscheiben, die dunklen, kalten Räume mit ihren unebenen Fußböden. Im Park gab es Ulmenwege, einen Bowling-Rasen, Fischteiche und einen Irrgarten. Barbara liebte das Anwesen, denn sie war hier geboren und aufgewachsen. Sie kannte jeden Weg und Steg und jede knarrende Treppenstufe. Sie fühlte sich sicher und geborgen hier, außer wenn ihre Mutter zu Besuch kam, was zum Glück nicht oft vorkam. Wie war sie nur dahintergekommen? Barbara sah das hübsche Gesicht ihrer Mutter vor sich und ahnte, was ihrem Bruder noch bevorstand.

»Du bist solch ein Dummkopf«, sagte ihre Mutter, die vor Zorn kaum weitersprechen konnte. »Diese Verbindung ist völlig unpassend. Jetzt mehr denn je. John Ashford war entsetzt, als ich ihm erzählte ...« Harry musste eine Bewegung gemacht haben – er saß sicher auf einem Stuhl, sein Gesicht genauso hart wie das ihrer Mutter, die Fäuste geballt, um nicht die Beherrschung zu verlieren –, denn Mutters Stimme hatte einen anderen Ton angenommen. »Ja, ich habe es ihm erzählt! Und seine Tochter stand neben ihm. Wenn sie nicht schon gewimmert hätte wie ein kleines Kind, das sie ja auch ist, hätte ihr Vater sie geschlagen. Ich hätte es auf jeden Fall getan. Gott, wie gern hätte ich sie geschlagen! Und was dich angeht, dein Verhalten ist unverzeihlich. Jede Verbindung, die wir jetzt eingehen, ist von großer Wichtigkeit – das solltest du eigentlich am Besten wissen!«

Jedes Wort hatte den klaren scharfen Klang von Endgültigkeit. Barbara ahnte, dass Harry, der sich nie einen Deut um die Zukunft scherte, von dem raschen, entschlossenen Auftritt ihrer Mutter überrumpelt worden war.

»Ich pfeif auf die Familie«, sagte Harry. »Und auf dich erst recht. Ich liebe sie. Was spielt das für eine Rolle, wen ich heirate? Und der Skandal könnte bestimmt nicht größer sein als der, den du und Vater ...«

Barbara hörte das Klatschen einer Ohrfeige. Sie zuckte zusammen, als ob sie und nicht Harry geschlagen worden wäre.

»Erwähne deinen Vater nie wieder in meiner Gegenwart.« Wie viel Hass in diesen Worten lag. »Er ist aus meinem Leben verschwunden. Wie Jane aus deinem. In ein paar Monaten wird sie ihren Cousin heiraten; die Ashfords sind schon dabei, sie zu einer Verwandten zu verfrachten. Und du wirst auch wegfahren, Harry. Ein paar Monate in Italien, eine Reise nach Frankreich werden vielleicht für jenen Schliff und jene Gelassenheit sorgen, die ein junger Mann von deiner ... was? Impulsivität? Ja, Impulsivität braucht. Ich ziehe es vor, dich für impulsiv statt für dumm zu halten. Harry, du solltest dein Gesicht sehen. Die Erwähnung von Italien besänftigt wohl den heißblütigen Liebhaber in dir, wie?« Sie lachte. »Das habe ich mir gedacht.«

Es war immer gefährlich, Mutter gegenüber Gefühle zu zeigen; sie bemerkte sie sofort und verwendete sie gegen einen. Ihre Stimme klang jetzt schwächer. Vermutlich war sie in eine andere Ecke des Zimmers gegangen. Barbara musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um überhaupt noch etwas hören zu können.

»Du wirst mir gehorchen. Meres wird bis zu deiner Abreise bei dir sein, damit es zwischen dir und deinem kleinen Schatz zum Abschied nicht noch irgendwelche romantischen Rendezvous gibt. Mit unliebsamen Überraschungen neun Monate später. Die Sache ist aus, ein für alle Mal. Es war eine Jugendliebe, ein Strohfeuer, das erste von vielen, da bin ich sicher. Ich überlasse dich deinen Gedanken, mein lieber Harry. Falls du überhaupt welche zusammenbekommst.«

Jetzt war es still. Barbara wäre gern zu ihrem Bruder gegangen, aber sie besann sich eines Besseren. Er war grausam gedemütigt worden, und nun wollte er sicher allein sein. Sie setzte ihren Fuß auf eine dicke Efeuranke; vielleicht konnte sie ganz vorsichtig hochklettern, um wenigstens einen Blick durch das Fenster zu werfen.

»Mistress Barbara!«

Sie sprang hinunter. Das musste eines der Dienstmädchen sein, das sie über den Besuch ihrer Mutter unterrichten wollte. Na schön, mit etwas Glück konnte sie ihrer Mutter vielleicht ganz aus dem Weg gehen. Und schlimmstenfalls würde sie ihr morgen ein paar Minuten begegnen, ehe sie nach London zurückfuhr. Sie trat aus dem Efeu, immer noch unentschieden, ob sie nun fliehen oder zu Harry gehen sollte.

»Mistress Barbara!«

Die Stimme des Dienstmädchens kam näher. Barbara ergriff die Flucht, lief über die großen Fliesen der Bibliotheksterrasse, an Großmutters Rosengarten vorbei, dessen Büsche jetzt kahl und hässlich waren, und erreichte die geschnittene Eibenhecke, deren dichte, immergrüne Blätter sie verbergen konnten. An die Eiben schlossen sich die Wäldereien an; wenn sie erst einmal dort war, konnte sie leicht den Nachmittag bei einem von Großmutters Pachtbauern in der warmen Küche sitzen, Tee trinken und Walnüsse essen, während die Hausfrau über die Ernte, Kochrezepte und Kinder schwatzte.

»Mistress Barbara!«

Sie lief noch schneller, sodass sich ihr Mantel wie ein kleines dunkles Segel hinter ihr bauschte. Die Wälder ragten vor ihr empor, und sie rannte auf sie zu, als ob die Jagdhunde ihres Großvaters ihr auf den Fersen wären.

*

Im Salon der Herzogin von Tamworth sank Diana, die Vicomtesse Alderley, in einen Sessel und legte ihre Füße auf einen altmodischen, silberbeschlagenen Hocker mit schweren, gedrechselten Beinen. Sie war eine schöne Frau mit dunklen Haaren, veilchenblauen Augen, einem weißen Teint und vollen roten Lippen. Diese Vorzüge betonte sie noch durch den reichlichen Gebrauch von Puder und Schminke. Aber ihr Aussehen täuschte: Diana besaß die Konstitution (und die Sensibilität) eines Pferdes. Nach elf Geburten hatte nur ihre Taille gelitten, was aber durch ein Korsett kaschiert wurde, und zwischen Mund und Nase waren zwei Falten tiefer eingegraben. Ein junges Mädchen lief geschäftig um sie herum, um die Kissen in ihrem Rücken zurechtzuschieben und ihr Kleid gefällig zu arrangieren. Diana warf derweil einen Blick auf einen Teller Konfekt, der auf einem Tisch neben dem Sessel stand, wählte eine kleine, dick mit Zucker bezogene Pflaume und biss bedächtig hinein. Ein paar Tropfen des klebrigen Pflaumensaftes rannen über ihr Kinn und befleckten das Mieder ihres Kleides.

Ihre Mutter, die verwitwete Herzogin von Tamworth, saß auf einem gradlehnigen Stuhl und wartete ungeduldig. Ihre runzeligen Hände lagen still auf ihrem Krückstock, ihre Augen waren unverwandt auf Diana gerichtet, und immer wieder zuckte ein Muskel an ihrem Kinn. Im Gegensatz zu ihrer Tochter war die Herzogin nie schön gewesen. Früher hatte sie darunter gelitten, doch jetzt nicht mehr. Die Zeit hatte sich dieser Dinge angenommen und die klaren, strengen Linien ihres Gesichtes, die scharfe Intelligenz und die Willenskraft in ihren Augen immer deutlicher hervortreten lassen. Jetzt, in ihren Sechzigern, war die Herzogin eine so charakterstarke Erscheinung, wie Diana es trotz ihrer veilchenblauen Augen und ihres hübschen Gesichtes nie sein würde, wobei sie sich freilich aus Charakter ohnehin nichts machte. Die Herzogin sah zu, wie ihre Tochter eine weitere Pflaume nahm und sie langsam verzehrte.

»Genug, Diana«, sagte sie schließlich. Sie kannte ihre Tochter in- und auswendig, und sie ließ ihr viel durchgehen, schon um Richards willen, Gott hab ihn selig. Aber irgendwo gab es eine Grenze. »Schick das Mädchen hinaus!«, befahl sie schroff.

Die schweren Türen fielen quietschend hinter dem Mädchen ins Schloss.

»Harry.« Unvermittelt sprach die Herzogin den Namen aus. Diana leckte sich gemächlich die Finger ab. Die Herzogin wusste, dass sie sich dabei absichtlich Zeit ließ, und blieb geduldig auf ihrem Stuhl sitzen, obwohl es sie in der Hand juckte. Am liebsten hätte sie ihren Stock gehoben und ihrer Tochter damit einen Schlag versetzt. Fast ihr ganzes Leben lang waren Diana und sie immer wieder aneinandergeraten, und sie hatte nicht die Absicht, nach so vielen Jahren eine weitere Niederlage hinzunehmen. Sie war überrascht gewesen, dass Diana gleich aus London gekommen war, nachdem sie ihr in einem Brief ihre Vermutungen über Harry und Jane mitgeteilt hatte. Sie hatte die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen wollen. Und daher war Dianas plötzliches Auftauchen für sie genauso unerwartet gewesen wie für Harry. Denn sie wusste, wie ihre Tochter solche Situationen zu meistern pflegte. Rücksichtslos ging sie einem sofort an die Gurgel, ohne sich um Gefühle und dergleichen zu scheren.

»Er war wütend«, erklärte Diana gekünstelt. Ihre Stimme klang jetzt wieder tief und heiser. Dafür war sie genauso berühmt wie für ihre Augen: Als sie vor Jahren als junge Braut an Kits Arm zum ersten Mal nach London kam, konnten die Männer gar nicht oft genug ihre Schönheit und ihre Stimme rühmen. »Wütend und trotzig. Aber damit bin ich leicht fertig geworden. Bei Barbara wäre das etwas anderes gewesen ...« Kurz hing sie dieser Vorstellung nach. »Und schließlich war er ganz fügsam. Er ist wie sein Vater, hat kein Rückgrat.«

Die Herzogin erhob sich steif und humpelte zu einem der bleiverglasten Fenster. Von dort aus konnte sie einen Garten betrachten, dessen sorgfältig gestutzte Büsche ein großes Muster bildeten. Richard hatte über ein Jahr daran gearbeitet, hatte das große »A« angelegt, das auf beiden Seiten von einem »S« eingerahmt wurde; er hatte den Kies ausgesucht, die Gärtner angewiesen, wie weit die Hecken beschnitten werden mussten, damit sie das richtige Muster ergaben, und in die Zwischenräume Blumen setzen lassen. Nun sah alles vernachlässigt aus. Sie musste sich wieder darum kümmern, aber nicht jetzt. Jetzt waren erst mal Diana und diese dumme Affäre von Harry dran. Er hatte vielleicht etwas von seinem Vater, aber nur hier und da, und außerdem war er ihr Enkel. Und ein paar von Dianas Angelegenheiten mussten auch noch geklärt werden. Ihre Hand umklammerte den goldverzierten Griff ihres Gehstocks.

»Du hast ihn verletzt«, sagte sie. Es war eine Feststellung.

»Natürlich habe ich ihn verletzt! Was blieb mir nach deinem Brief denn anderes übrig? Sollte ich dem Paar vielleicht meine Glückwünsche schicken?« Diana bemerkte nicht, wie das Gesicht der Herzogin schmerzhaft zusammenzuckte. Egoistisch und rücksichtslos wie sie war, beschäftigte sie schon ein neuer Gedanke. »Ich muss sagen, Mutter, ich war von Jane überrascht. Meiner Ansicht nach hat sie nichts, was einen Mann fesseln könnte. Sie ist schüchtern und nicht gerade hübsch. Vor allem nicht, wenn sie weint. Natürlich hat Harry nur mit dem gedacht, was er zwischen den Beinen hat. Er hätte jede bestiegen. Nun ja, morgen reist er ab; Meres packt gerade seine Sachen. Ich habe Caroline Layton in Italien geschrieben. Erinnerst du dich an sie?«

Die Herzogin nickte grimmig.

»Harry wird bei den Laytons wohnen. Sie sind mir noch einen Gefallen schuldig. Und wie ich Caroline kenne – sie hat eine ausgesprochene Schwäche für junge Männer –, wird sie Harrys Erfahrungsschatz in Bezug auf Frauen sicher erweitern.« Diana lachte böse, und ihre kleinen, scharfen Zähne schimmerten. »Und danach kommt Frankreich. In sechs Monaten wird die arme Jane nur noch eine flüchtige Erinnerung sein.«

»Du bist gründlich«, sagte die Herzogin vom Fenster her. Ihre Worte waren nicht als Kompliment gemeint, aber Diana bemerkte es nicht.

»Ich bin immer gründlich. In meiner Lage lernt man das.« Es klang bitter.

Die Herzogin lächelte spöttisch. Endlich einmal war die schöne, schlaue Diana in eine Falle getappt, die sie nicht selbst aufgestellt hatte, und wenn die Herzogin davon weniger persönlich betroffen gewesen wäre, hätte sie sich fast daran ergötzt zuzusehen, wie ihre Tochter sich verzweifelt daraus zu befreien versuchte. Aber sie war betroffen – wenn doch der gütige Gott im Himmel Diana und Kit nur in die Hölle verdammte, die sie beide verdienten! Ihr ganzes Leben lang waren sie töricht und rücksichtslos gewesen. Kit trank, beide verspielten Geld, das sie nie besessen hatten, und Diana sprang von Bett zu Bett wie die billigste Hure. Aber das alles verblasste vor der Tatsache, dass Kit vor fünf Monaten mit knapper Not seiner Verhaftung entgangen und nach Frankreich geflohen war. Man beschuldigte ihn, den Thronbewerber der Stuarts zu unterstützen, gegen Englands neuen gekrönten König, Georg I. von Hannover. Nun wollte man Diana nicht nur wegen seiner enormen Schulden zur Verantwortung ziehen, sondern auch wegen seiner hochverräterischen Haltung, woraufhin sie, ohne jemanden zu fragen, das Parlament um eine Scheidung gebeten hatte. Das war unerhört; die Ehe war schließlich ein Sakrament, das für immer verband und das man nicht einfach zerstören konnte. Sicher, es gab inoffizielle Trennungen und gelegentlich hässliche Auseinandersetzungen über Geld oder Aussteuern, aber Scheidungen waren höchst selten. Sie widersprachen so sehr Gottes Wort und sorgten für so viel Ärger und Aufsehen, dass kaum jemand es je versuchte. Die ganze Familie, einschließlich des jetzigen, jungen Herzogs – des ungeliebtesten Enkelkinds der Herzogin, den sie nur »diese fette, idiotische Brut von Abigail« nannte –, befand sich seither im Aufruhr, empört über Kits Verhalten und zerstritten über das von Diana.

Vor allem die Herzogin konnte den Gedanken kaum ertragen, dass ausgerechnet ihre Tochter und ihr Schwiegersohn den Ruf der Familie so sehr gefährdeten. All die Jahre, die sie und Richard nutzbringend verbracht hatten, um Gelder und Ländereien zusammenzubringen, sie waren nun aufs Spiel gesetzt durch die Marotten eines verrückten Spielers und durch eine Frau, die nicht wusste, was Loyalität bedeutete. Gott sei Dank war Richard tot. Früher hätte sie vielleicht noch Briefe an alle ihre Bekannten geschrieben und mit der ihr eigenen Beharrlichkeit und ihrem diplomatischen Geschick die Dinge wieder ins Lot gebracht, aber die Zeit, das Alter und die vielen Sterbefälle in den letzten Jahren hatten sie mürbe gemacht. All diese Machenschaften um sie herum ekelten sie an. Und darum sagte sie jetzt nur mit derselben Bitterkeit wie Diana: »Die Alderleys hatten seit jeher einen Narren gefressen an den Stuarts ...«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach sie. Hannah Henley, eine entfernte Cousine, betrat den Raum. Sie gehörte zu einem armen Zweig der Familie, in dem es nie genug Geld oder Besitz gegeben hatte, um Hannah zu einer guten Partie zu machen. So lebte sie von der Großzügigkeit der Herzogin und trug ihre Dankesschuld dadurch ab, dass sie Dianas Kinder unterrichtete und ihr Kindermädchen war. Sie gehörte weder zur eigentlichen Familie noch zur Dienerschaft, doch die Abhängigkeit ihrer Stellung hatte tiefe, bittere Falten in ihr Gesicht gegraben. Sie machte vor beiden Frauen einen Knicks, und dann sagte sie: »Es tut mir leid, Cousine Diana, aber Barbara ist nicht zu finden.« Sie weigerte sich, Diana anders als mit Cousine anzureden, und hielt hartnäckig an dem Band fest, das sie beide hassten.

Diana starrte sie an. Cousine Henley, wie sie genannt wurde, fuhr rasch fort: »Sie haben über eine Stunde nach ihr gesucht, aber niemand weiß, wo sie hingegangen ist.«

Schweigen. Cousine Henley beeilte sich weiterzusprechen. »Barbara ist außerordentlich schwierig. Sie will auf niemanden hören, und die Hälfte der Zeit treibt sie sich irgendwo herum. Ich tue mein Bestes, aber ...«

»Offensichtlich ist dein Bestes nicht gut genug. Du solltest meiner Tochter Französisch, Geografie und ordentliches Benehmen beibringen. Beim Benehmen bist du gescheitert, wie ich sehe. Hoffentlich spricht sie wenigstens anständiges Französisch.« Unvermittelt ließ Diana das Thema ihrer ältesten Tochter fallen. »Und wie geht es mit meinen anderen Kindern?«

Cousine Henley berichtete über ihre anderen Schützlinge: Harry war wegen eines Duells der Schule verwiesen worden, wie Cousine Diana bereits wusste; Tom war in Eton; Little Kit konnte genügend Latein, um nächstes Jahr seinen Abschluss zu machen; Charlotte hatte ihrer Mutter ein Tuch bestickt; Anne lernte ihre Gebete; und das Baby hatte Husten.

Befriedigt bedeutete ihr Diana, sie sei entlassen.

»Erzähl mir von Barbara, Mutter.«

Die Worte trafen die Herzogin unvorbereitet. Ihre Tochter hatte sich noch nie um ihre Kinder gekümmert, sondern trug sie so gedankenlos aus wie eine Katze und überließ sie danach so früh wie möglich sich selbst. Barbara war die eigentliche Mutter von Dianas Nachkommen; zumindest war sie es, die sich liebevoll um sie kümmerte und sie, die Herzogin, hatte allesamt hier in Tamworth aufgezogen. Dieses plötzliche Interesse an ihrer Lieblingsenkelin Barbara bedeutete nichts Gutes. War Diana etwa nicht nur wegen Harry gekommen?

»Sie ist gewachsen, seit du sie das letzte Mal gesehen hast. Sie sieht deinem Vater immer ähnlicher.«

»Nun, das wird vielleicht keine Rolle spielen.«

Diana sagte das, als habe sie ihrer Mutter gar nicht zugehört, aber dann fiel ihr doch wieder ein, dass sie noch mehr wissen wollte. »Und ihre Figur? Ist sie immer noch so dürr wie eine Bohnenstange?«

Die Herzogin schürzte die Lippen. Natürlich. Diana war bereits auf der Suche nach einem Mann für das Mädchen. Gebe Gott, dass er nicht blind und verkrüppelt war. Sie traute Diana alles zu, wenn sie so verzweifelt war wie jetzt.

»Ihr Busen wird schon noch wachsen. Sie ist eine Spätentwicklerin, wie ich. Und sie ist ja noch nicht mal sechzehn. Sie wird schon noch runder werden.«

»Ist sie hübsch?«

»Sie ist nicht so eine Schönheit, wie du es warst, aber sie wird sich schon machen.« Sie selbst fand ihre Enkelin sehr hübsch. Sie hatte nicht Dianas dunkle, üppige Schönheit, sondern kam eher nach Richard: hell, blond, engelsgleich. Sie hatte seine blauen Augen, sein rotgoldenes Haar, sein sanftes, herzförmiges Gesicht, auf dem ein so bezauberndes Lächeln erscheinen konnte, dass es einen glatt um den Verstand brachte ... ach, Richard! Aber dann gab es natürlich auch noch Barbaras Hartnäckigkeit und ihren Stolz. Und ihre Impulsivität. Und ihr Temperament ... Sie hatte nicht die engelhafte Natur ihres Großvaters geerbt, sondern nur sein Aussehen.

»Mutter, du hörst mir nicht zu. Ich habe gefragt, ob sie gut Französisch spricht.«

»Natürlich tut sie das«, sagte die Herzogin irritiert. »Ich habe es ihr selbst beigebracht. Ich werde vielleicht hier auf dem Lande begraben werden, aber ich weiß immer noch, was eine junge Frau aus einer guten Familie braucht. Also, du willst sie verheiraten, nicht wahr?« Sie tat so, als habe Diana sie nicht überrascht, als sei es ganz selbstverständlich, dass Barbara demnächst eine Ehe eingehen würde. Was stimmte. Das Mädchen war fünfzehn. Diana war sechzehn gewesen, als sie schwanger wurde und heiratete.

»Ich habe einen Grafen an der Angel. Er zappelt zwar und wehrt sich gegen die Schnur, aber er hängt am Haken. Er reist oft nach Frankreich. Und bevor die Kinder und die Langeweile kommen, möchte er natürlich, dass seine junge Frau ihn begleitet.«

Atemlos hörte die Herzogin zu. Diese plötzlich verkündeten Heiratspläne für Barbara trafen sie unvorbereitet, aber das durfte Diana nicht merken. Denn eigentlich hatte sie daran gedacht, die Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen, im nächsten Jahr vielleicht, wenn sich die Aufregung über den Skandal gelegt hatte. Jetzt, nach Dianas überraschendem Besuch, den Sorgen um Harry und dieser letzten Neuigkeit, taten ihr die Beine weh. Sie spürte, wie der Schmerz bis in ihre Hüftknochen zog, doch sie riss sich zusammen. Es bedurfte schon mehr als dieser Irritationen, um sie die Haltung verlieren zu lassen. Sie war schließlich die Witwe eines Soldaten, Englands bestem Soldaten. Ihre Söhne waren tot, und im letzten Jahr hatte sich ihr Schwiegersohn als Verräter herausgestellt, und ihre einzige Tochter hatte die Scheidung eingereicht. Was war nach all dem schon ein Heiratsplan? Nichts, gar nichts. Außer, dass sie Barbara liebte und Diana dies nicht tat. Diana liebte nur sich selbst.

»Es ist Roger Montgeoffry«, sagte Diana und beobachtete gespannt, wie ihre Mutter reagieren würde.

Roger, dachte die Herzogin mit erneuter Überraschung, während sein gut aussehendes Gesicht vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Er war ein alter, lieber Freund. Jahrelang war er Richards Ordonnanzoffizier gewesen, und wann immer es ihm später möglich gewesen war, hatte er den sterbenden Herzog besucht, obwohl er seine Zeit zwischen England und Hannover aufteilte. Dieser Umstand hatte ihn bei der verstorbenen Königin nicht eben beliebt gemacht, doch jetzt zahlte er sich durchaus aus, da ein Hannoveraner auf dem Thron saß. Ein Graf ... ja, sie wusste, dass Roger eine Grafschaft erhalten hatte, obwohl sie sich im Augenblick an keine Einzelheiten erinnern konnte. Aber nun dies! Sie wurde wirklich alt, wenn Diana sie mit einer solchen Nachricht überrumpeln konnte. Warum hatte ihr niemand geschrieben? War Diana so schlau vorgegangen, dass niemand davon wusste? Pah! Diana würde nie klüger sein als sie, egal wie alt und vergesslich sie werden würde. Roger. Eine Erinnerung stieg in ihr auf. Irgendwie bereitete sie ihr Unbehagen, aber dann tauchte wieder Rogers Gesicht mit seinem unvergleichlichen Lächeln vor ihr auf, und die Beklommenheit verging. Roger war so charmant und galant, wie man sich einen Mann nur wünschen konnte, und er wusste es. Er war schließlich kein Dummkopf. Allerdings war er viel zu alt für Barbara, und da war noch etwas ... Roger lächelte sie wieder an. Da war doch noch etwas ...

Diana lachte, erfreut über die Wirkung, die ihre Neuigkeit erzielte.

»Pah!«, sagte die Herzogin und schickte sich an, ihre Kammerzofe zu rufen, damit sie ihr ins Schlafzimmer half. »Das sieht dir ähnlich, mir das einfach so zu eröffnen. Wir werden später darüber reden, nachdem ich geruht habe. Jetzt bin ich müde, zu müde, um nachzudenken. Wie lautet Rogers Titel? Ich habe es vergessen.«

»Er ist zum Grafen Devane ernannt worden.«

»Graf Devane. Ja, jetzt erinnere ich mich. Nun, Roger Montgeoffry muss es zu etwas gebracht haben, wenn er glaubt, er könne sich mit unserer Familie verbinden. Aber es ist interessant, höchst interessant. Kompliment, Diana. Wenn es dir schlecht geht, kommt immer die Kämpferin in dir zum Vorschein.«

*

Das dunkle massige Haus mit seinem spitzgiebligen Dach ragte im Dämmerlicht empor, als Barbara sich auf den Heimweg machte. Der Wind peitschte ihr Kleid und ihren Mantel so sehr, dass sie kaum gehen konnte. Kerzen schimmerten in einem der achteckigen Erker, die jede Seite des Hauses zierten, aber sonst war es völlig dunkel. Das Abendessen war bereits vorüber, und ihre Großmutter war sicher in ihrem Schlafzimmer und las in einem frommen Buch. Auch ihre Mutter hielt sich wahrscheinlich in ihren Räumen auf und bereitete sich aufs Schlafengehen vor. Mit etwas Glück konnte sie ihr Zimmer im Obergeschoss erreichen, ohne gesehen zu werden. Höchstens, dass ihre Großmutter sie ermahnen würde, weil sie das Abendessen und die Nachtgebete versäumt hatte, aber sie würde ihr erzählen, dass sie die Pächter besucht hatte. Das würde Großmutter freuen, denn sich um die Untergebenen und die vom Schicksal weniger Begünstigten zu kümmern gehörte zu den Pflichten einer Dame von Stand. Sie lachte insgeheim über ihr Geschick, mit dem sie ihrer Mutter heute entgangen war. Nun war es durchaus möglich, dass sie morgen nach London zurückfuhr, ohne noch einmal nach ihr rufen zu lassen. Das war schon öfter vorgekommen. Und diesmal war sie sowieso wegen Harry gekommen. Und sie hatte ihre Absichten wie immer mit ihrer harschen Direktheit durchgesetzt. Von ihrer Tochter konnte sie eigentlich nichts wollen. Barbara blieb neben einer Hecke stehen, dann rannte sie über den Weg, der quer durch den Küchengarten lief, wobei sie einiges von dem Rosmarin, der Kamille und den Ringelblumen zertrat, die an den Kantsteinen wuchsen. Ein paar hochgewirbelte Blätter und der Duft der Kräuter, über die sie gelaufen war, folgten ihr ins Haus. Vorsichtig durchquerte sie die Halle, und dann flog sie die Hintertreppe zu ihrem Zimmer hinauf. Mit vor Kälte zitternden Händen schlug sie einen Feuerstein und versuchte atemlos, ihre Kerze anzuzünden.

»Barbara ... wie wunderbar, dich wiederzusehen.«

Die Stimme ihrer Mutter lähmte sie für einen Augenblick. Ohne sich zu rühren stand sie da, in der Hand die unangezündete Kerze. Sie konnte ihre Mutter in der Dunkelheit kaum erkennen.

»Ich möchte mit dir sprechen. Wasch dir die Hände, und dann komm in mein Schlafzimmer.«

Mit raschelndem Kleid verließ Diana das Zimmer. Sofort erschien ein Dienstmädchen, stellte einen Wassertopf auf einen Tisch und legte ein paar Kleidungsstücke daneben. Barbara ging auf das Mädchen zu, das ihre persönliche Zofe war und mit niedergeschlagenen Augen vor ihr stand.

»Du geschwätzige Schlampe«, sagte Barbara kalt mit einer Stimme, die genauso tief, heiser und enervierend wie die ihrer Mutter war. »Du hättest mich zumindest warnen können. Jetzt bring mir etwas Käse und Brot. Mit leerem Magen will ich meiner Mutter nicht gegenübertreten.« Sie zog ihren Mantel aus und wusch sich das Gesicht. Ihre Hände zitterten. Ihre Mutter war doch schlauer als sie.

*

Langsam ging sie die Empore entlang, wo verschiedene Porträts hingen. Dianas Schlafzimmer lag in der Nähe jenes hallenden Gangs, auf dem einst so viel Leben gewesen war und der nun vornehmlich Spinnen und Mäuse beherbergte. Hier hatte einst Lachen geherrscht, war gespielt und getanzt worden, denn hier hatten die vielen Gäste gewohnt, die der erste Herzog von Tamworth regelmäßig begrüßen konnte. Einige Porträts unterstrichen noch die wichtige Rolle, die ihr Großvater gespielt hatte: Da hingen Charles II. und sein Bruder James II. und zwei seiner Frauen, die englische und die italienische. König William III. und Königin Mary II. waren da und auch Königin Anne, die wie eine dicke, brütende Henne aussah. Alle waren inzwischen tot. Wie ihr Großvater. Sie konnte sich noch an die Zeiten erinnern, als alle Schlafzimmer ständig belegt waren und sie manchmal einen verstohlenen Blick hineinwerfen konnte, um die schweren Brokatvorhänge, die reich verzierten Tapeten und die dunklen Möbel zu betrachten. Damals waren die Diener den ganzen Tag auf den Beinen, um den Gästen jeden Wunsch zu erfüllen, und jeden Abend tafelte die Familie mit ihren Freunden in der großen Halle, wobei ihr Großvater wie ein König am Tischende saß. Aber sie konnte sich auch noch an die Zeit erinnern, als alle Räume geschlossen und schwarz drapiert waren, weil ihr Onkel, der älteste Sohn des Herzogs, gestorben war. Ihr Großvater hatte sich damals verändert, genau wie dieses Haus. Alles war danach trauriger, stiller geworden.

Als Barbara das Schlafzimmer ihrer Mutter betrat, saß Diana wie eine Kaiserin auf einem kleinen gradlehnigen Stuhl, der am Fuße ihres Bettes stand. Der Raum roch muffig, selten benutzt. Er gehörte zu jenen Prunkschlafräumen, die einst angebaut worden waren, als ihr Großvater noch Lust am Feiern gehabt hatte. Die Wände waren mit prächtigem, rotem Damast bespannt, und der gleiche Stoff war auch für die Stühle, den Bettbezug und die Vorhänge benutzt worden. Das handgemalte Deckengemälde zeigte eine Nymphenschar, die mit Blumengirlanden auf ein blaugoldenes Oval im Mittelpunkt zueilte, in dem Zeus thronte, mit seiner Gattin Hera neben sich. Dem göttlichen Paar hatte der Maler die Züge des Herzogs und der Herzogin verliehen. Die beiden waren von ihrer Erhebung in den Olymp offensichtlich so überrascht, dass sie irgendwohin ins Weite starrten, in eine Ecke des Raumes, die jenseits von Diana und Barbara lag. Barbara mochte das Zimmer nicht. Es hatte nichts von der abgewetzten Gemütlichkeit des übrigen Hauses. Hier war es immer kalt. Aber ihre Mutter bezog es bei jedem Besuch. Rot war ihre Lieblingsfarbe. Selbst jetzt trug sie einen roten Umhang, der zu dem Stuhl passte, auf dem sie saß.

Mit einer Handbewegung forderte Diana ihre Tochter auf, sich auf einen schweren Stuhl ohne Lehnen zu setzen. Warum sie mich wohl sehen will?, dachte Barbara. Sie überlegte, was sie angestellt haben könnte, aber ihr fiel nichts ein, außer dass sie das Abendessen und die Gebete versäumt hatte. Aber das dürfte ihre Mutter kaum interessieren; sie hatte ja Großmutter die Erziehung aller ihrer Kinder überlassen. Vermutlich wusste sie nicht einmal von allen die richtigen Namen. Barbara, benimm dich, hörte sie im Geist die Stimme ihrer Großmutter sagen. Immer fielen ihr Großmutters Ermahnungen ein, erinnerten sie an ihre Pflichten. Du sollst Vater und Mutter ehren, ließ Großmutter sich jetzt vernehmen, das ist das erste Gebot, damit es dir wohl ergehe auf Erden.

Doch im Laufe der Jahre hatte sie einige Übung darin entwickelt, die Stimme zu ignorieren, und auch jetzt achtete sie nicht länger darauf, denn sie musste sich auf ihre Mutter konzentrieren. Sie war oft genug das Opfer ihrer Launen geworden, um zu wissen, dass sie ihr Gesicht und ihre Gesten genauso sorgfältig studieren musste wie Großvater einst seine Gefechtskarten. Sie bemerkte den müden Zug um den Mund ihrer Mutter und das nervöse Zucken ihrer Hand. Wegen Harry? Wollte sie von ihr etwas über Harry wissen? Diana runzelte die Stirn, und Barbara erkannte, dass ihre Mutter erwartete, von ihr begrüßt zu werden. Ich werde nichts sagen, dachte sie und unterdrückte dabei erneut die Stimme ihrer Großmutter. Ich werde Harry zuliebe schweigen.

Diana lächelte, als ob sie Barbaras Gedanken erraten hätte, und Barbara erschauderte bei der Vorstellung, dass ihre Mutter sie so leicht durchschaute. Sie musste sich besser verstellen.

»Mein liebes Mädchen«, sagte Diana zärtlich und zugleich so sarkastisch, dass Barbara erbost die Zähne zusammenbiss. »Wie geht es dir?«

»Sehr gut, Mutter.«

»Sehr gut? Ich finde es eher langweilig in diesem alten Haus. Möchtest du ihm nicht entfliehen? Ich möchte es jedes Mal, wenn ich hier bin. Und das solltest du auch.«

Barbara betrachtete sie aufmerksam. Was verbarg sich hinter dieser weißen Maske, diesem lächelnden roten Mund? Sicher keine Einladung. Diana machte nie eine Andeutung, dass sie eines ihrer Kinder gerne mit nach London nehmen würde. Sie kam ein-, höchstens zweimal im Jahr hierher und blieb kaum eine Woche. Dann wurden ihr die Kinder jeden Tag für eine Stunde gebracht, und wenn sie ihr dabei in irgendeiner Weise auf die Nerven gingen, verabreichte Diana ihnen Ohrfeigen und rief nach einem Diener. Die einzigen Male, da Barbara ihre Mutter über längere Zeit gesehen hatte, waren die Wochenbetten nach den Geburten gewesen. Dann hatte Diana schwach, aber wohlparfümiert herumgesessen und auf irgendwelche Besucher gewartet. Als Barbara noch klein gewesen war, hatte man sie jedes Mal herausgeputzt, bevor sie ihre Mutter und deren Gäste sehen durfte.

»Da ist sie ja«, hatte ihre Mutter dann gesagt. »Gib mir einen Kuss ... oh, nicht so stark drücken. Du zerknitterst mein Kleid. Ab mit dir.« Und sie musste bis zum nächsten Tag verschwinden – es sei denn, sie hatte sich schlecht benommen, was sie sich im Laufe der Zeit immer mehr angewöhnte, und wurde gänzlich auf ihr Zimmer verbannt. Aber das hatte keine Rolle gespielt; bald war Diana wieder fort gewesen, und der jüngste Nachwuchs kam zu den anderen Kindern, um mit ihnen zusammen aufzuwachsen – oder manchmal auch zu sterben. Barbara konnte sich an die vier toten Geschwister so genau erinnern, als ob sie die Mutter von den Kleinen gewesen wäre. Mit jedem Tod waren ihr die überlebenden Kinder kostbarer vorgekommen. Barbara liebte ihre Brüder und Schwestern, und sie liebten Barbara ebenfalls, für ihre Unerschrockenheit, ihre Fröhlichkeit und ihre Fürsorglichkeit. Jetzt betrachtete sie die Taille ihrer Mutter. Vor knapp drei Jahren hatte sie ihr letztes Kind bekommen. Sie konnte nichts entdecken.

»Du bist inzwischen ... fünfzehn? Ja, fünfzehn. Fast schon sechzehn. Zeit, dass du dir die Haare hochsteckst und die Welt kennenlernst.«

»Die Welt kennenlernen?« Sie würde sich hüten, irgendwelche Neugier zu zeigen oder sonst etwas von sich preiszugeben.

»Vielleicht nicht die Welt, aber auf jeden Fall ein paar Freunde. Wenn dieser Nachmittag typisch für dein Verhalten ist, dann musst du unbedingt ein paar Manieren annehmen. Dies Herumrennen auf dem Gut, als ob du ein Junge wärst ...«

»Das macht hier nichts, Mutter. Hier kennt mich jeder. Und außerdem bin ich nicht herumgerannt, sondern habe Pächter besucht.«

»Aber anderswo macht es was ... in London beispielsweise.«

London! Die ganze Welt, die ganze Zukunft lag für sie in diesem Namen.

Diana lachte auf, als sie sah, wie die sorgfältig aufgebaute Fassade ihrer Tochter zusammenbrach. »London, allerdings, mein Mädchen. Neue Kleider, neue Freunde, Tanz, der Königshof, ein Ehemann ...«

Natürlich, dachte Barbara. Ein Ehemann. Es wurde Zeit. Sie wusste es. Und wen hatte ihre Mutter ausgespäht? Und warum kam sie auf so verschlungenen Wegen zum Thema? Warum kam sie nicht auf ihre sonst übliche direkte Weise zur Sache? War er ... Sie biss sich auf die Lippen. Harry hatte ihr und Jane einmal die Geschichte eines Mädchens in Frankreich erzählt, die von ihren Brüdern zum Altar gezerrt worden war, während ihr Bräutigam zitternd und sabbernd an ihr herumgegrapscht hatte, weil er so alt und senil war. Ich würde dich auch gern zerren, hatte Harry sie geneckt und dabei nach ihr gegriffen. Sie hatte gelacht, und Jane hatte geweint, aber trotz ihres Lachens hatte sie gewusst, dass ihr solch ein Schicksal vielleicht auch blühte, obwohl es nicht sehr wahrscheinlich war, weil ihre Großmutter sie doch so sehr liebte.

Immerhin war es ihre Pflicht, gehorsam den zu heiraten, den ihre Eltern ihr aussuchten. Sie hatte keine Angst vor Pflichten, und sie freute sich auf ein eigenes Heim, eigene Kinder. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie heute mit dieser Aussicht konfrontiert werden würde, ohne dass ihre Großmutter dabei war. Schon deshalb durchfuhr sie plötzlich Angst, und um diese zu verbergen, reckte sie ihr Kinn vor und sagte: »Ein Ehemann? Hast du einen bestimmten im Auge?« Leider zitterte ihre Stimme.

»Allerdings. Jemand, der sich für dich interessiert. Den Grafen Devane.«

Sie presste die Hände in ihrem Schoß zusammen. »Ich kenne ihn nicht ...«

Jetzt lachte Diana wieder auf, und Barbara zwang sich, keine Miene zu verziehen. Das sah ihrer Mutter ähnlich, sie so zu verspotten. Wie sie es vorher mit Harry gemacht hatte. Aber sie würde nicht klein beigeben. Sie nicht.

»Es ist Roger Montgeoffry.«

Verblüfft saß sie da, ohne weiter auf ihre Mutter zu achten. Roger, der schöne Roger, der Großvater so oft besucht und dabei immer ein freundliches Wort für sie gehabt hatte. Was für ein Glück! Er war der schönste Mann der Welt, war charmant, war einfach alles. Sie hatte ihn seit jeher geliebt, und der Gedanke, dass ihre Mutter sie nun mit ihm verheiraten wollte, war wie ein Wunder, kaum zu ertragen. Unwillkürlich stand sie auf und umarmte ihre Mutter.

»Danke! Danke!«, stammelte sie.

Diana sah sie verdutzt an, und dann sagte sie langsam: »Es ist noch nicht endgültig. Wir haben nur darüber gesprochen. Er muss dich sehen, und es sind noch eine Menge Einzelheiten zu klären.«

»Ich werde ihn bezaubern, Mutter. Du wirst sehen.« Ihr Gesicht glühte vor Glück.

»Ich hatte keine Ahnung, dass du so ... erfreut sein würdest«, sagte Diana.

Barbara küsste ihrer Mutter die Hand und rannte aus dem Zimmer. Sie glaubte, vor Glück zerspringen zu müssen. Sie wollte durch das Haus laufen und seinen Namen rufen. Sie konnte es kaum glauben.

Ohne anzuklopfen stürzte sie in das Zimmer ihrer Großmutter, die bereits im Bett war, aber noch nicht schlief. Wärme und Vertrautheit empfingen Barbara. In diesem Raum würde sich nie etwas ändern. Überall hingen an verblichenen Samtkordeln die Porträts von Familienmitgliedern. Über dem Kamin das riesige Bild ihres Großvaters: jung und mit lächelndem Gesicht, zu seinen Füßen ein paar Hunde. Mehrere kleine Tische standen in dem Zimmer herum, übersät mit Büchern und Papieren, und dazwischen Vasen mit gelben Chrysanthemen und Stechpalmen. Großmutters Bett nahm die Hälfte des Raumes ein; seine Vorhänge hatte Barbaras Urgroßmutter gewebt, als sie noch ein junges Mädchen gewesen war. Sie zeigten ein fantasievolles Muster aus Blumen und Vögeln, gelb, grün und rot. Mit welcher Sorgfalt die Blätter und Federn vor so vielen Jahren gestickt worden waren!

Die Hunde ihres Großvaters, die am lodernden Kaminfeuer lagen, hoben ihre Köpfe, schnüffelten kurz und legten die Schnauze wieder auf die Pfoten. Die Zofe ihrer Großmutter, Annie, saß auf einem Stuhl beim Bett und sah sie wie gewöhnlich stirnrunzelnd an. Dulcinea, Großmutters Katze, eine aufgeplusterte, silberweiße Mischung aus Stolz und gnädiger Herablassung, bog unter der Hand ihrer Herrin den Kopf empor und starrte Barbara an.

»Großmama ...« Sie begann zu weinen. Eigentlich verachtete sie Tränen, aber diesmal konnte sie nichts dagegen tun. Sie hatte erwartet, dass ... Doch nun wurde ein Traum wahr.

Die Herzogin von Tamworth, die mit ihren vielen Schals und ihrer spitzenbesetzten Nachthaube wie eine Mumie aussah, richtete sich mühsam auf und befahl Annie, noch ein paar Kerzen mehr anzuzünden.

»Kind! Kind! Was ist geschehen? Komm und setz dich neben mich. Beiseite, Dulcinea, beiseite! Verdammte Katze. Sie glaubt, das Bett gehöre ihr! Also, was ist passiert? Erzähl es deiner Großmutter, und sie wird versuchen, dir zu helfen.«

Barbara lächelte und wischte sich über die Augen. Dann kuschelte sie sich an ihre Großmutter. Sie war sehr dünn, und es fühlte sich an, als seien unter dem Nachthemd nur noch Knochen verborgen. Dulcinea, die sich missmutig an das Ende des Bettes zurückgezogen hatte, gähnte und begann dann, ausgiebig ihr Fell zu lecken.

»Du hast mit deiner Mutter gesprochen? Und ihre Mitteilung hat dich traurig gemacht? Mein liebes Mädchen, wir wissen beide, dass die Zeit gekommen ist. Ich mache mir schon Vorwürfe, dass ich es immer wieder hinausgeschoben habe. Mir ist klar, dass Roger bedeutend älter ist, aber sag nicht vorschnell nein. Immerhin hat er einiges zu bieten. Aber wenn du dich ganz und gar nicht mit dem Gedanken anfreunden kannst, wird es natürlich keine Hochzeit geben, Bab. Also, was ist?«

Barbara hielt den Atem an. Plötzlich war sie erschöpft. »Du verstehst nicht, Großmutter. Gerade deshalb bin ich ja so glücklich!«

»Glücklich, mein Liebling?« Die Schatten auf dem Gesicht ihrer Großmutter verschwanden.

»Aber ja. Ich habe Roger immer schon geliebt.«

Die Herzogin stutzte. Liebe? Sie versuchte, das Gesicht des Mädchens im Dämmerlicht zu erkennen. Barbara besaß offensichtlich Geheimnisse, von denen sie nichts geahnt hatte. »Das habe ich nicht gewusst.«

»Nein«, sagte Barbara. »Keiner hat es gewusst. Warum hätte ich es auch jemandem erzählen sollen?«

Die Herzogin war beunruhigt. »Du weißt, dass es noch nicht endgültig ist? Und dass noch über die Mitgift verhandelt werden muss?«

»Ich weiß, dass er mich nicht liebt, Großmama. Aber das macht nichts. Ich werde ihn dazu bringen, meine Gefühle zu erwidern.« Barbara sprach mit dem ganzen Selbstvertrauen einer fast Sechzehnjährigen.

»Er ist so viel älter als du, Kind, mindestens zweiundvierzig. Er wird andere geliebt haben. Alles Dinge, von denen du nichts wissen kannst.«

»Das ist mir egal. Ich schaffe es.«

Als die Herzogin die plötzlich hervorspringende, harte Linie am Kinn ihrer Enkelin sah, mit der die Sanftheit aus ihrem Gesicht verschwand, glaubte sie ihr. Barbara war wie Richard. Der hatte nie gewusst, wann er aufhören musste, und schließlich war er daran zerbrochen. Eine dunkle Vorahnung schnürte das Herz der Herzogin zusammen.

»Liebe ist nicht immer das Entscheidende. Es gibt andere Dinge zwischen einem Mann und einer Frau: Pflichterfüllung, Zuneigung, Kinder. Gegenseitige Liebe ist so selten ...« Sie brach ab. Das Mädchen neben ihr war eingeschlummert. Noch im Schlaf lächelte sie. Sie schürzte die Lippen. Dulcinea nahm wieder den Platz unter ihrer Hand ein. Annie blies bis auf eine alle Kerzen aus. Morgen würde die Herzogin mit Diana reden, um herauszufinden, weshalb Roger die Tochter eines hochverräterischen Narren heiraten wollte. Und sie würde mit Barbara reden. Das Mädchen durfte nicht so blauäugig in eine Ehe hineinschlittern.

Kapitel 2

Als Barbara ein paar Stunden später erwachte, stellte sie fest, dass man sie in ihr eigenes Bett gebracht hatte. Sie lag da und wartete auf Harry; er würde kommen, sie war ganz sicher. Seit seinem Rauswurf aus Oxford hatten sie noch keine Gelegenheit gefunden, miteinander zu sprechen; beschämt und missmutig war er nach Tamworth gekommen, und kurz danach war bereits Diana aufgetaucht, deren blutrote Lippen alsbald Sätze formten, die ihrer beider Leben für immer verändern würden. Draußen raschelte der Nachtwind durch vertrocknete Blätter. Barbara lag still da, und während sie ihren Gedanken nachhing, fielen ihr einige Dinge wieder ein, die sie in ihrem Traum beschäftigt hatten.

»... so eine Verbindung ist völlig unpassend, jetzt mehr denn je ...«, hörte sie wieder ihre Mutter zu Harry sagen. Warum? Weil ihr Vater während der parlamentarischen Untersuchung im Sommer nach Frankreich geflohen war. »Albernes Getue!«, hatte ihre Großmutter noch die Nase über die Untersuchung gerümpft, bevor sich ihr Vater aus dem Staub gemacht hatte. »Wühlen im Dreck, um zu sehen, was sie zu Tage fördern können.« Nicht einmal verabschiedet hatte ihr Vater sich. Sir John Ashfords Stimme klang ihr immer noch im Ohr, als er an jenem Sommertag in der prallen Hitze zu ihnen herübergeritten kam. Ihre Großmutter war in der Vorratskammer gewesen, als er sie konfrontierte. Stumm war sie dagestanden, während er zu schreien anfing. »Wie eine Ratte!« Ihr Vater sei wie eine Ratte davongerannt, hatte er gesagt. Habe die Nerven verloren.

Andere Worte gingen ihr durch den Kopf. Tories, Jakobiten, Verrat. Die abrupten Fragen ihrer Großmutter. Das Dämmerlicht im kühlen Vorratsraum. Der Geruch getrockneter Kräuter. Sir Johns Gesicht. Vater hatte nicht einmal Lebewohl gesagt. War einfach mitten in der Nacht verschwunden. Harry, der damals gerade Sommerferien hatte, erklärte ihr später alles.

»Er ist kein Verräter, Bab.« Sein dunkles, hübsches Gesicht sah angespannt aus. Sie saßen unter einem der großen Eichenbäume. Während er redete, stach er mit einem Stock immer wieder in den grünen Rasen.

»Die ganze Geschichte hat mit Politik zu tun, meine kleine Schwester. Hannover gegen James III. Der König gegen den Thronbewerber. Der eine ist ein Protestant, der andere ein Katholik. Der eine wird von den meisten mächtigen Männern des Landes unterstützt, der andere nicht. So einfach ist das, Bab. Es geht nicht um das heilige Recht des Königs, sondern um das heilige Recht der Macht. Wer seine Versprechungen halten kann, der gewinnt. Vater hat auf den Verlierer gesetzt. Wie immer!«

Sein Gesichtsausdruck war bitter. Sie starrte ihn an. Armer Harry. Er war viel zu jung und viel zu hübsch, um verbittert zu sein, aber der ekelhafte schwarze Wurm steckte bereits in dem glänzenden roten Apfel. Ihr Vater hatte das Erbe verspielt. Jedermann wusste es. Ihre Großmutter bezahlte Harrys Schule, und sie gab ihm auch ein kleines Taschengeld. Aber das reichte nicht, um wie andere junge Männer seines Alters in London zu leben. Und nun hatte Vater auch noch das Letzte aufs Spiel gesetzt, was ihm noch geblieben war: seinen Adelstitel. Barbara streckte die Hand nach ihrem Bruder aus. Mit düsterem Gesicht entzog er sich ihr. Ihr hier draußen auf dem Lande würde die Schande nichts ausmachen, sie kannte ja nichts anderes als Tamworth. Sie war noch nie weiter als bis nach Maidstone zum Jahrmarkt gekommen. Aber Harry, Harry war in Oxford gewesen, in London. Er wusste, was das Leben zu bieten hatte. Er wollte seine Freuden genießen, aber er konnte sie sich nicht leisten. Kein Wein, kein Weib, kein Gesang ... und keine Jane. Merkwürdig, dass die Taten eines einzelnen Mannes so viele andere Menschen betreffen konnten – wie ein Windstoß, der durchs offene Fenster ins Zimmer fuhr und die Spielkarten auf dem Tisch in alle Richtungen zerstreute. »Jede Verbindung, die wir jetzt eingehen, ist von großer Wichtigkeit!« Oh, Roger! Zitternd setzte sie sich im Bett auf. Irgendwie hatte die Tat ihres Vaters Roger in ihre Reichweite gebracht. Der Gedanke daran wirbelte durch ihren Kopf wie das vertrocknete Laub draußen im dunklen Garten.

Sie schlug die Bettdecke zurück und schwang die Füße über den Bettrand. Mit baumelnden Beinen saß sie da, und ihr dickes, lockiges Haar fiel ihr über die Schultern wie eine Löwenmähne. Sie glaubte, aus der Haut fahren zu können. Ihr Zimmer, ihr Leben, alles wurde ihr plötzlich zu eng. Jetzt begriff sie, wie Harry sich fühlen musste.

Sie blickte sich um. Selbst in der Dunkelheit wusste sie, wo jedes einzelne, noch so kleine Stück stand. Das hier war ihr Zufluchtsort, ihr Nest. Gott sei Dank hatte sie dem Wunsch ihrer Großmutter widerstanden, ein Stockwerk tiefer ein größeres Zimmer zu beziehen. Nein, sie würde hier oben im Kinder-Flügel bleiben. Hier hatte sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht. Hier gefiel ihr alles: die kleinen Räume, die sich wie zufällig aneinanderreihten und von denen manche einfach ineinander übergingen, manche aber auch nur über komische kleine Dielen oder enge Treppen zu erreichen waren. Tagsüber konnte sie hören, wie ihre Geschwister ihre Lektionen aufsagten. Und nachts kam sie, um sie zu trösten, wenn sie aus irgendeinem Grunde weinten.

Sie war die Königin in diesem kleinen Reich. Ihre Untertanen schliefen in den angrenzenden Räumen, in ihrem Schlafzimmer bewahrte sie den Hofschatz auf. Zum Beispiel Vogelnester; mit denen musste man sehr vorsichtig sein. Wenn man etwa einem Rotkehlchen ein Leid antat, dann brachte das Unglück, wenn man ihnen die Eier wegnahm, konnte man sich die Beine brechen, oder wenn man ein sterbendes in der Hand hielt, zitterten einem für immer die Hände ... Dies behauptete jedenfalls Annie. Doch in den Nestern lagen keine Eier, sondern Kränzchen aus Blättern und Blumen, die sie jeden Herbst selbst flocht. Ferner gab es eine kleine französische Dose, in der ihre Haarbänder und ein paar Schmuckstücke lagen, und die Toilettengarnitur, die sie zum dreizehnten Geburtstag von ihrer Großmutter bekommen hatte. Sie bestand aus Elfenbein und Silber; der Kamm, die Bürste, der Spiegel und dazu passende Kerzenhalter waren sorgfältig auf einem kleinen Tisch angeordnet. In einer alten holländischen Truhe schließlich lagen ein paar alte Ballkleider ihrer Mutter, zwischen die sie etwas Lavendel gesteckt hatte.

Manchmal bürstete sie sich die Haare, bis sie richtig knisterten, und dann zog sie die Kleider an. Anne und Charlotte hingen dann an ihr, während sie in einem Paar hochhackiger Schuhe, die sie ihrer Großmutter stibitzt hatte, durch das Zimmer schwebte. »O Bab, du bist so schön!« Die Kleider raschelten und schimmerten. Sie standen für alles, was sie eines Tages besitzen wollte – wenn sie eine Frau war. Anschließend wurden sie sorgfältig wieder zusammengelegt, und nachdem Barbara den Samt und die Spitzen liebevoll gestreichelt hatte, schloss sie den Truhendeckel und war ganz sicher, dass sie eines Tages das Geheimnis, das diese Kleider bargen, enträtseln würde.

Und heute Nacht hatte sie das Gefühl, dass sie ihre Flügel ausgebreitet hatte und dass sie genauso schimmerten wie jene Kleider. Plötzlich waren das Zimmer und Tamworth zu klein für sie. Die ganze Welt war zu klein ...

»Bab!«

Harrys weißes Gesicht erschien in der Tür. Sie krabbelte über die Bettdecke und zündete schnell eine Kerze an, ehe er irgendwo anstoßen konnte. Der Geruch von Branntwein vermischte sich in ihrer Nase mit dem Geruch des qualmenden Dochtes. Sie fühlte, wie ihre Flügel sich wieder zusammenfalteten. Er hatte getrunken. Wahrscheinlich würde er Streit anfangen. Auf jeden Fall würde er nicht ihre Freude mit ihr teilen.

Und dann, als er sich auf die Bettkante setzte, konnte sie sein Gesicht deutlicher sehen. Seine hübschen Züge waren entstellt, und seine ausdrucksvollen, veilchenblauen Augen, um die sie ihn so beneidete, waren vom Weinen geschwollen. Sein voller Mund war zusammengepresst. Ihr fiel ein, dass er heute, während ihr das Glück ihres Herzens gewährt worden war, das seine verloren hatte. Schwer hockte er auf dem Bett, und sie zog sich die Decke über die Schultern.

»Harry, es tut mir so leid ...« Die Worte sanken zwischen ihnen herab wie die verwelkten Blütenblätter einer Sommerblume. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Sie sah, wie er die Schultern hob, ohne einen Laut von sich zu geben. Sie saß ganz still, ergriffen von der Schwermut, die ihn umgab. Auch das gehörte zur Liebe, dachte sie und musste wieder an Roger denken. Dieser Schmerz, diese Verzweiflung. Das werde ich auch noch kennenlernen. Das Gute wie das Schlechte ... oh, Roger. Sie fühlte sich reich, stark, gesegnet. Die Flügel auf ihrem Rücken bebten.

»Hat sie es dir erzählt?« Er hatte die Hände vom Gesicht genommen, die Worte kamen schnell und hart. Sie roch den Branntwein und schauderte.

»Ich ... sie ... ich habe gelauscht.«

Er lachte bitter auf. »Ah, du hast ›gelauscht‹. Böse Bab! Eines Tages wirst du Dinge hören, die dir die Ohren versengen!«

Sie erwiderte nichts. Was sollte sie auch sagen.

»Also, erzähl mir, liebste Schwester«, sagte er mit solchem Sarkasmus, dass es ihr wehtat, obwohl sie wusste, dass er nicht ihr galt, »wie hat dir meine Rolle in der Komödie gefallen, die Mutter und ich heute Nachmittag aufgeführt haben? War ich nicht ein großer Held? Habe ich meine Liebe nicht tapfer verteidigt? Und wacker gestritten? Ich war ein Mann. Aber nicht der Mann, wie unsere Mutter einer ist.«

»Harry«, sagte sie atemlos, denn die Wut in seiner Stimme erschreckte sie, »sie ... du warst nicht auf sie vorbereitet.«

Er lachte leise. »Nein. Das war ich nicht. Ich bin mit geschwollenem Kamm in das Zimmer gelaufen wie ein Hahn auf dem Misthaufen, bereit, ihr die Wahrheit direkt in ihr geschminktes Gesicht zu sagen. Ich dachte, sie würde mich wegen des Verweises zur Rede stellen.« Wieder lachte er ein hässliches Lachen. »Darauf war ich vorbereitet. Natürlich habe ich mich duelliert, wollte ich ihr sagen. Wenn jemand deine Mutter eine Hure nennt, die sich für eine Guinea verkauft, ist es ja wohl deine Pflicht, ihre Ehre zu verteidigen. Selbst wenn sie so etwas gar nicht besitzt.«

»Wer hat das behauptet?« Sie ergriff seinen Arm und versuchte, sein Gesicht besser zu erkennen.

»Ich hätte ihn töten sollen. Aber ich habe ihn verfehlt. Vielleicht war ich mit dem Herzen nicht ganz bei der Sache, weil ich wusste, dass er recht hat ...«

»Harry! Wer hat so etwas zu dir gesagt?«

Die Kerze zauberte seltsame Schatten auf sein Gesicht. »Es spielt keine Rolle, mit wem ich mich duelliert habe«, sagte er leise. »Ein Freund ... das dachte ich zumindest. Unsere Frau Mutter hat das Parlament um eine Scheidung gebeten. Die Nachricht interessiert die Leute im Augenblick sogar mehr als die klägliche, halbgare Rebellion, die sich in Schottland zusammenbraut.«

Voller Verblüffung lehnte sie sich zurück. »Lieber Gott im Himmel«, flüsterte sie. »Eine Scheidung ...« Kein Wunder, dass Harry seine Jane nicht haben durfte.

»Allerdings«, sagte er, ihre Stimme nachäffend. »Vaters Flucht hat sie zwar ins Wanken gebracht, aber jetzt steht sie wieder sicher auf den Beinen. Nun ist sie eine glühende Whig geworden und bittet das Parlament untertänigst, sie von diesem verräterischen Jakobiten zu befreien, der ihre Familie besudelt hat. Sie ist schließlich die einzige Tochter des großen Herzogs von Tamworth, des Helden von Lille, der Englands Feinde daheim und im Ausland besiegt hat. Sieh mich nicht so an! Ich zitiere nur aus dem Schriftsatz, den sie verteilt hat, um ihren Fall vorzutragen: ›Ich möchte mein Leben still und bescheiden im Dienste meines Königs verbringen‹ – daraufhin sagte mein Freund jene Worte, derentwegen ich mich mit ihm geschlagen habe. Gott weiß, dass er recht hat.«

»Wann ist das gewesen?«, fragte sie.

Ihre Stimme ließ ihn aufhorchen. »Bist du böse?«

»Niemand hat mir etwas gesagt!«, rief sie. »Aber ich habe ein Recht, es zu wissen.«

Er wollte ihre Hand nehmen, aber sie entzog sie ihm. »Ich bin kein Kind mehr«, sagte sie. »Warum behandeln mich alle so?«

Harry ging nicht auf ihren Vorwurf ein. Er starrte über ihre Schulter in die Dunkelheit, in die auch die einzelne Kerze kein Licht brachte. »Sie glaubt, wenn sie von Vater geschieden ist, kann sie einiges von unserem Besitz retten. Und der soll dann von Vater auf mich überschrieben werden. Ich soll der neue Viscount sein, und Vater wird für alle Zeiten vergessen, ausradiert sein. Eine Jugendsünde der Lady Alderley. Ich werde seine Schulden, seinen Titel, seinen Besitz erben, und wenn mich nicht alles täuscht, sitze ich im Schuldturm, ehe ich zwanzig bin, und kann den ganzen Schlamassel ausbaden. Und alle huldigen unterdessen dem neuen König, Bab. Wer es nicht tut, wird zerstört.« Und leise zitierte er: »Lebwohl altes England, du hast deine Herrlichkeit verloren.«

Diese Worte, die inzwischen als hochverräterisch galten, schnürten ihr das Herz zu und ließen ihre Wut von eben verrauchen. In Oxford und London hatte es bereits Unruhen gegeben. In Schottland sammelten sich Männer, die darauf warteten, dass der Stuart übers Meer zu ihnen kam und dann mit ihnen nach London marschierte. »Man sollte sie alle aufhängen, alle Anhänger von James III., die es in diesem Tory-Abschaum gibt!«, hatte Sir John erst kürzlich noch gegenüber ihrer Großmutter ausgerufen. »Unsinn!«, hatte sie darauf knapp erwidert, »das ist nur ein Sturm im Wasserglas!«

»Es ist blanker Aufruhr, meine Verehrteste!« Und so ging es endlos weiter. Sie stritten sich zu gerne. Sir John kam mit den neuesten Nachrichten vom Hof herübergeritten, und dann diskutierten sie hitzig. Großmutter wechselte dabei gern die Seiten; an einem Tag nahm sie den Standpunkt der Tories ein, am nächsten focht sie für die Whigs. Es kam nicht darauf an, konsequent zu sein, sondern die jeweilige Debatte zu gewinnen. »Ich glaube, dieser Mann hält mich am Leben«, pflegte sie zu sagen, wenn Sir John wieder einmal voller Zorn davonritt, um unverzüglich zurückzukehren, wenn er neue Munition für ihre nächste Auseinandersetzung gesammelt hatte. Die Loyalität ihrer Großmutter stand freilich völlig außer Frage, ganz anders als bei ... Barbaras Gedanken überschlugen sich.

Wenn sie Roger heiratete, war sie reich. Deshalb wollte ihre Mutter wohl diese Verbindung, damit sie reich wurde und Roger überreden konnte, Harry finanziell zu unterstützen, bis er einen Posten in der Regierung mit einem ordentlichen Gehalt gefunden hatte. Vielleicht wartete Jane auf ihn und weigerte sich, ihren Cousin zu heiraten. Und vielleicht gelang es Harry, nichts Unüberlegtes zu tun, wie etwa sich als Anhänger der Stuarts zu bekennen und zu ihrem Vater nach Frankreich zu gehen.

»Ich werde mit Großmama reden«, sagte sie in die Stille hinein. »Ich habe auch Neuigkeiten für dich, Harry.«

»Was glaubst du, wer Mutter geschrieben hat?«

Sie musste in der Dunkelheit blinzeln. »Ich versteh dich nicht«, flüsterte sie.

»Ich hätte es wissen müssen. Mein Gott! Was bin ich doch für ein Idiot!« Er hieb mit der Faust auf den Nachttisch, und die brennende Kerze fiel auf das Bett. Mit einem Aufschrei löschte Barbara sie, ehe die Decke Feuer fing. Du betrunkener Narr, hätte sie ihm gern aus Wut über seine Andeutungen und über seine Unvorsichtigkeit ins Gesicht geschleudert, aber er redete schon weiter, als sei nichts gewesen.

»Jane und ich, wir waren diesen Sommer zu offen miteinander. Ich habe Großmamas Gesicht bemerkt. Dabei wollte ich Jane noch gar kein Versprechen abnehmen. Ich dachte, dass ich ihr in ein paar Jahren vielleicht mehr zu bieten hätte. Aber ich hätte wissen sollen, dass Großmutter ... Mutter ... andere Pläne haben.«

»Was meinst du damit?« Ihr war zum Weinen zumute. Ausgerechnet Großmutter sollte ihm in den Rücken gefallen sein?

»Dieser verrottete Zweig der Tamworths muss gerettet werden. Mutter will vor allem ihre Scheidung erhalten und jede Aussicht auf eine Verbindung zwischen Jane und mir zunichte machen. Wenn ich ein unbedeutender Verwandter wäre, der froh ist, auf seinem kleinen Stück Land zu hocken, und der keine anderen Sorgen hat als die Ernte und den jährlichen Ausflug nach London, dann wäre Jane genau die Richtige für mich. Aber ein zukünftiger Viscount, und vor allem ein gerade erst verarmter, muss sich natürlich nach einer besseren Partie umsehen. Da kommt nur jemand mit Geld in Frage.« Sie erschrak über den Ton seiner Stimme. Die Entehrung und das fehlende Geld machten ihm viel mehr aus, als sie erwartet hatte.

»Und weißt du, was das Traurigste an der ganzen Sache ist? Hinter all meinem Kummer entdecke ich so etwas wie Erleichterung. Italien soll unbeschreiblich schön sein.«

Darauf gab es nichts zu sagen. Sie konnte seine Bitterkeit, sein Selbstmitleid und seinen Selbsthass nicht verstehen. Plötzlich war sie sehr erschöpft. Als ob er spürte, wie sie sich von ihm zurückzog, sagte er: »Kannst du dir vorstellen, wie das ist, wenn man nach London kommt und dort seine Vettern wie Prinzen leben sieht und weiß, dass man sich selbst nichts dergleichen leisten kann, nur wegen der Dummheit eines anderen? Ich wäre genauso blöd wie er, wenn ich darauf bestünde, Jane zu heiraten. Begreifst du das nicht?«

Sie schwieg.