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Muss sie ihr Herz auf ewig verleugnen? Der vielschichtige historische Roman »Das Spiel der Hofdame« von Karleen Koen jetzt als eBook bei dotbooks. In einer Zeit, in der eine Frau nur die Zierde des Mannes sein soll, will sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen ... Im Jahre 1670 kehrt die junge Hofdame Alice Verney aus Frankreich in ihre englische Heimat zurück. Um ihrer Familie die so wichtige Gunst des Königs zu sichern, muss sie nun schnell eine gute Partie machen. Wer wäre besser geeignet als der Herzog von Balmoral, einer der mächtigsten Lords des Reiches und Berater der Krone? Aber Alice hat nicht mit der Liebe gerechnet – oder damit, dass der junge Leutnant Richard Saylor sie an ihrer zuvor so kühl getroffenen Entscheidung zweifeln lässt ... Darf sie es wirklich wagen, ihrem Herzen zu folgen? Als ein Mitglied der königlichen Familie vergiftet wird, geraten die heimlich Liebenden in ein gefährliches Intrigenspiel, das den gesamten Hof in Gefahr bringt – und in dem sie nur einander vertrauen können ... »Hochdramatisch und extrem unterhaltsam: ›Das Spiel der Hofdame‹ gehört zu den besten historischen Romanen!«, begeistert sich die New-York-Times-Bestsellerautorin Diana Gabaldon. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der opulente historische Roman »Das Spiel der Hofdame« von Karleen Koen ist der erste Band der Tamworth-Saga. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 936
Über dieses Buch:
In einer Zeit, in der eine Frau nur die Zierde des Mannes sein soll, will sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen ... Im Jahre 1670 kehrt die junge Hofdame Alice Verney aus Frankreich in ihre englische Heimat zurück. Um ihrer Familie die so wichtige Gunst des Königs zu sichern, muss sie nun schnell eine gute Partie machen. Wer wäre besser geeignet als der Herzog von Balmoral, einer der mächtigsten Lords des Reiches und Berater der Krone? Aber Alice hat nicht mit der Liebe gerechnet – oder damit, dass der junge Leutnant Richard Saylor sie an ihrer zuvor so kühl getroffenen Entscheidung zweifeln lässt ... Darf sie es wirklich wagen, ihrem Herzen zu folgen? Als ein Mitglied der königlichen Familie vergiftet wird, geraten die heimlich Liebenden in ein gefährliches Intrigenspiel, das den gesamten Hof in Gefahr bringt – und in dem sie nur einander vertrauen können ...
»Hochdramatisch und extrem unterhaltsam: ›Das Spiel der Hofdame‹ gehört zu den besten historischen Romanen!«, begeistert sich die New-York-Times-Bestsellerautorin Diana Gabaldon.
Über die Autorin:
Karleen Koen interessierte sich schon von früh auf für Geschichte, insbesondere die Rolle der Frau darin. Sie arbeitete für verschiedene Magazine, bevor sie sich dem Schreiben widmete. Eine besondere Inspiration war dabei ihr Großvater mit seiner großen Sammlung historischer Romane. Heute lebt Karleen Koen in Houston.
Karleen Koen veröffentlichte bei dotbooks bereits die Tamworth-Saga mit den Bänden »Das Spiel der Hofdame« und »Das Geheimnis der Braut«.
Die Website der Autorin: karleenkoen.net
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eBook-Neuausgabe Februar 2023
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Dark Angels« bei Three Rivers Press, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Random House, Inc, New York.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2006 by Karleen Koen
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung des Gemäldes »Portrait of a Court Lady. So-called portrait of Françoise Marie de Bourbon (1677-1749)«
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-479-1
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Karleen Koen
Das Spiel der Hofdame
Historischer Roman
Aus dem Amerikanischen von Katharina Kramp
dotbooks.
Für X und noch einmal für Carmen
Für all die Engel auf meinem Weg: meine amerikanische Agentin Jean Naggar; meine ›Schreibtriebwerke‹ Joyce Boatright und Sandi Stromberg; meine Freundin Ann Bradford; meine Lektorin Allison McCabe und Crown Publishing.
Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, sann wie ein Kind, urteilte wie ein Kind; als ich ein Mann wurde, tat ich ab, was kindisch war. Denn wir sehen jetzt nur wie durch einen dunklen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich völlig erkennen, wie ich auch völlig erkannt worden bin. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
1. Korinther 13, 11-13
Die Geschichte von Königen und Königinnen ist selten eine glückliche. Aber im Jahr 1642 gab es eine glückliche königliche Familie. Es war die Familie von Charles I. von England, verheiratet mit einer Prinzessin von Frankreich, die er liebte und die seine Liebe erwiderte und mit der er sechs gesunde Kinder hatte. Die Königin war jedoch katholisch, ein bisschen zu katholisch für den Geschmack des Volkes. Früher einmal war dies der Glaube aller Königreiche der westlichen Welt gewesen, bis Heinrich VIII. mit der katholischen Kirche brach und die Kirche von England gründete. Charles I. und sein Parlament überwarfen sich über das Recht des Königs, absolut zu regieren, und über Fragen der Religion. Ein Bürgerkrieg entbrannte. Die Familie von Charles I. zerbrach. Sein letztes Kind, Henriette, wurde geboren, während ihr Vater zu Felde zog, und sie lernte ihn nie kennen. Charles I. wurde gefangen genommen und zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Sein Sohn, der Prinz von Wales, sandte ein von ihm unterzeichnetes, leeres Dokument an das Parlament. Man hätte ihm die Bedingungen diktieren können, er hätte alles getan, um das Leben seines Vaters zu retten; aber es war vergeblich – Charles I. wurde 1649 enthauptet. Seine Frau trug den letzten Brief, den er ihr schickte, in ihrem Kleid an ihrer Brust bis zu dem Tag, an dem sie starb. Aus dem Prinzen von Wales wurde Charles II., ein Monarch ohne Königreich, während General Oliver Cromwell England zu einem düsteren Protektorat machte, in dem strenge Regeln herrschten. Charles reiste zehn Jahre lang umher, von Frankreich nach Spanien und in die holländische Republik auf der Suche nach Unterstützung, nach genug Soldaten, um in England einmarschieren zu können. (Er war vorher schon einmal einmarschiert, doch es war ihm nicht gelungen, das Land zurückzuerobern.) 1659 starb endlich Oliver Cromwell, und niemand war stark genug, das Königreich zusammenzuhalten. Einige Generäle beschlossen, dass es das Beste wäre, aus England wieder eine Monarchie zu machen. Charles wurde gebeten zurückzukehren. Und das tat er 1660. Er herrschte bis zu seinem Tod und hielt ein Königreich zusammen, das noch immer im Streit über religiöse Freiheiten und die Autorität des Königs zu zerfallen drohte. Dieses Buch beginnt zehn Jahre nach der Krönung Charles II, der als der »fröhliche König« in die Geschichte eingegangen ist.
Mai 1670
An der Küste einer Meerenge, die zwei Königreiche voneinander trennte, lag vor weißen Klippen eine Schiffsflotte vor Anker. Es war die Flotte des englischen Königs, ausgesandt, um eine wertvolle Fracht zu eskortieren: eine Prinzessin von England und Frankreich – tatsächlich war sie die berühmteste Prinzessin der ganzen Christenheit. Eine Jacht mit ausladendem Bug durchschnitt das Wasser und hielt auf das schönste und größte der ankernden Schiffe zu; der König an Bord liebte schnelle Boote, schnelle Pferde, leichtlebige Frauen. Die Prinzessin war seine Schwester, und er und alle, die ihn begleiteten, konnten es gar nicht abwarten, sie wiederzusehen.
»Monmouth ist auf der Jacht!«, sagte eine junge Frau, die sich über die Reling des Schiffs der Prinzessin beugte. Sie war auf ein riesiges aufgerolltes Tau gestiegen, um besser sehen zu können, und ein Matrose, der ihren seidenen Unterrock und die Kette dicker Perlen um ihren Hals musterte, rief ihr eine Warnung zu, vorsichtig zu sein. Aber sie erklärte ihm mit vernichtender Stimme, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern. Sie konnte es nicht leiden, wenn dumme Leute – und auch alle, die es nicht waren – ihr sagten, was sie tun sollte. König Charles’ Jacht, die pfeilschnell auf sie zuhielt, war ein aufregender Anblick. Sie konnte die Menge sehen, die an Land wartete. Die Königin, ihr Vater und ihre beste Freundin waren darunter. Sie war so froh, England endlich wiederzusehen, dass sie nicht sicher war, ob sie sich zurückhalten konnte, am Strand niederzuknien und den Sand zu küssen, wenn sie ihn betrat.
»Und wer ist noch da?«, fragte ihre Freundin, wie sie eine Ehrenjungfer der Prinzessin und genauso aufgeregt, dabei sein zu dürfen, wenn sich König Charles und seine Schwester nach so vielen Jahren – zehn waren es bestimmt – wiedersahen. Oben an den Masten schlugen Fahnen im Wind. Der Tag war strahlend und klar. Alle trugen ihre besten Kleider und waren ausgelassen, energiegeladen wie Pferde, nervös und erregt angesichts dieses Wiedersehens.
»Komm rauf, und sieh es dir selbst an!«, meinte Alice.
»Sei nicht albern, Alice. Und fall nicht runter ...« Ihre Freundin, Louise Renée, griff nach Alice’ Kleid, denn jetzt lehnte sich die junge Frau gefährlich weit über die Brüstung und stand in ihren feinen Satinschuhen nur noch auf Zehenspitzen.
»Der Herzog von York ist bei seiner Majestät und Prinz Rupert – oh, sie sind nah genug, dass sie mich hören können – Rupert! Prinz Rupert! Monmouth!« Alice schrie die Namen laut und schwenkte einen dünnen Schal in wilder Hingabe hin und her. Sie wurde belohnt mit einem munteren Winken vom Cousin des Königs, einem Lächeln vom Sohn des Königs und einem erschrockenen Blick und dann einem Grinsen von König Charles selbst. Lauter Jubel erscholl aus Hunderten von Kehlen, die der Schiffsbesatzung und der vielen Leute am Strand. Auch diese winkten und klatschten und jubelten dem König zu. Möwen, die sich träge auf der Takelage niedergelassen hatten, erhoben sich wie ein geflügelter Gruß in den Himmel.
»Er hat sich kein bisschen verändert«, sagte Alice.
»Wer?«
»Der König. Ich frage mich, mit wem er flirten wird, bevor die Uhr Mitternacht schlägt ...«
»Mademoiselle Verney, kommt auf der Stelle da herunter! Mademoiselle de Keroualle! Ihr stellt Euch sofort zu den anderen Ehrenjungfern! Der König kommt an Bord ...«
Es war die Aufseherin der Ehrenjungfern, Madame Drache, wie Alice sie nannte.
Alice und Renée rannten über das Deck und suchten sich ihren Platz in dem ausgewählten Kreis junger Frauen, die um die Prinzessin standen. Alle trugen Satingewänder und feine Schuhe mit steifen Gazeschleifen, und ihr Haar war von Dienerinnen in eine wohlüberlegte gelockte Unordnung gebracht worden. Dicke Perlenbänder lagen um ihre zierlichen Hälse, und Perlentropfen hingen an ihren bezaubernden Ohren. Als junge, unverheiratete Frauen waren sie schon durch ihre Jugend wunderschön. Als Teil des Gefolges der ranghöchsten Prinzessin von Frankreich waren sie zudem der Inbegriff der Mode. Es gab keine Frau am Strand, die sich nicht ärgerlich auf die Lippen biss und beschloss, neue Kleider zu kaufen, wenn sie die der Ehrenjungfern sah. Die Mädchen konnten die bewundernden und neidischen Blicke kaum erwarten.
Prinzessin Henriette – ihr Titel am französischen Hof lautete »Madame« – hob leicht die Augenbrauen, als Alice und Renée sich zu den anderen jungen Frauen stellten, und bedachte sie mit einem Blick, der zugleich fragend und missbilligend war.
»Welch ein schlechtes Benehmen«, spottete ein schlanker junger Mann aus einer Gruppe verwegener und attraktiver Edelmänner. Aber dann stimmte das Orchester, das die Prinzessin auf ihrer Reise begleitete, eine fröhliche Melodie an, und um sie herum begannen die Matrosen in der Takelage und an Deck zu jubeln. Das sardonische Gesicht des Königs von England – Charles, der zweite dieses Namens – tauchte über dem Messinggeländer der Schiffsreling auf. Einen Augenblick später war er bereits an Deck gesprungen.
»Minette.« Er breitete mit vor Freude strahlendem Gesicht die Arme aus, und seine Schwester rannte auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme und schwang sie herum, sodass ihr Rock sich wie eine Glocke blähte. Einer nach dem anderen folgten ihm die anderen Männer über die Seite des Schiffs, sie waren beinahe genauso opulent gekleidet wie die Damen, mit Spitzen, blauen Schleifen, Diamantnadeln, langem lockigem Haar – kein echtes, sondern Perücken, aber dennoch prächtig. Die Prinzessin war sofort von ihnen umringt. Ihr anderer Bruder, der Herzog von York, umarmte und küsste sie, und ihr Cousin Prinz Rupert schob York rüde beiseite und sagte: »Kleine Schönheit! Ich dachte schon, wir würden dich den Armen der Franzmänner niemals entreißen können.« Leider sprach er Französisch und laut genug, dass jeder, der in der Nähe stand, ihn hören konnte.
Der Herzog von Monmouth, König Charles’ Sohn, bestand auf einer Umarmung, und die Prinzessin wirbelte von einem männlichen Verwandten zum nächsten, küsste ihre Gesichter und wischte sich die Tränen ab, die ihr über die Wangen liefen.
»Sie ruiniert ihr Rouge.« Es war derselbe junge Mann, der schon vorher gesprochen hatte, und er redete mit dem gleichen gehässigen Tonfall.
»Wir sind jetzt in England, d’Effiat. Ihr passt besser auf, was Ihr sagt«, meinte Alice zu ihm.
»Oh, mir wird angst und bange«, spottete er, und seine Begleiter lachten boshaft, sogar Beuvron, mit dem sie befreundet war.
Alice kehrte ihnen den Rücken zu. Dieser Tag war zu schön, um ihn sich von Streitereien verderben zu lassen. Davon gab es in Frankreich genug. Das hier war ein Abenteuer, ein großes Abenteuer. Sie war endlich wieder zuhause und würde ihre beste Freundin auf der ganzen Welt wiedersehen und die Königin, die sie so liebte, und ihren Vater. Und es gab nichts, was d’Effiat, Beuvron oder irgendeiner der anderen sagen konnte, um ihr auch nur eine Sekunde davon zu verderben.
Ihr Blick traf den von Prinz Rupert. Er zwinkerte ihr zu und verbeugte sich dann.
Renée wies auf Monmouth, den Sohn des Königs. »Er sieht gut aus.« Sie war nicht die einzige Frau, der Monmouth auffiel.
»Ja, und er weiß es, also pass auf.«
Das Protokoll, in Frankreich peinlichst genau beachtet, wurde hier ignoriert. Alles ging drunter und drüber. Angelockt von Monmouth’ Lächeln, von Ruperts strahlendem Übermut und König Charles’ Lachen, von der überschäumenden, frivolen Stimmung, die mit ihnen an Bord geschwappt zu sein schien, löste sich die geordnete Formation der Ehrenjungfern trotz der bösen Blicke des Drachen auf.
Diejenigen, die die Prinzessin von Frankreich begleiteten, ein Duc hier, ein Vicomte da, ein Priester oder zwei und der Hauptmann ihrer Leibgarde versuchten, sich beim König vorzustellen. Doch sie kamen nicht an der Traube der Ehrenjungfern oder dem hoch gewachsenen Bruder und dem Cousin der Prinzessin vorbei und redeten vergeblich gegen den Lärm des Orchesters und das laute Rufen des anderen Cousins an, der etwas von oben aus der Takelage herunterzubefehlen schien.
Und genauso war es. Ein großer Weidenkorb wurde an einem Flaschenzug heruntergelassen. Die schrillen Schreie der Ehrenjungfern, die in alle Richtungen davonstoben, verschlimmerten das allgemeine Chaos noch weiter. Als der Korb an Deck stand, tätschelte Prinz Rupert ihn liebevoll, sank vor seiner Cousine, der Prinzessin, auf die Knie und forderte sie mit einer Geste auf, zum Einsteigen auf sein Knie zu treten.
»Ich soll doch nicht etwa in diesem Ding von Bord gebracht werden?«, rief Prinzessin Henriette erfreut und entsetzt zugleich. Sie sprach Französisch, weil sie ihr ganzes Leben lang in Frankreich gelebt hatte und sie des Englischen kaum mächtig war. »Ich habe euch doch noch niemanden vorgestellt ...«
König Charles hob sie auf seine Arme. »Du brauchst uns nicht alle vorzustellen. Wir werden alles Notwendige an Land erledigen. Aber jetzt erhebe ich Anspruch auf meine Schwester. Sie ist ein Schatz, und alle Schätze, die sich in englischen Gewässern befinden, gehören dem König.« Mit diesen Worten hob er sie in den Korb und ließ alle einen kurzen Blick auf ihre Strümpfe werfen – sie waren leuchtend grün –, und die Prinzessin lachte so sehr, dass sie nicht sprechen konnte.
»Das ist höchst ungewöhnlich ...«, hob der französische Botschafter an.
»Ersucht um eine Audienz, und beschwert Euch darüber«, erklärte König Charles. Sein verwegener Blick glitt über die Ehrenjungfern. »Eine schöne Frau ist nicht genug. Meine Schwester muss eine Begleitung haben.«
Alle jungen Damen hielten den Atem an und sanken kichernd in einen tiefen Hofknicks, während sein Blick nachdenklich und bewundernd von einer zur nächsten wanderte. Der Hauptmann der Leibgarde räusperte sich. Der Drache wippte aufgeregt auf den Zehenspitzen. Sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Das wusste in diesem Moment keiner.
König Charles’ Augen blieben schließlich an Renée de Keroualle hängen, der Schönsten unter ihnen.
»Warum bin ich nicht überrascht?«, meinte Rupert zu seinem Cousin York.
Nur Sekunden später stieg Renée auf Ruperts Knie und in den Korb hinein. Für einen Augenblick waren ihre Strümpfe zu sehen, sie waren genauso grün wie die der Prinzessin. Es war schockierend und aufregend.
König Charles’ Blick ruhte nun auf Alice. Geschmeidig wie eine sich neigende Blume sank sie vor ihm nieder. Die gleitende, natürliche Anmut ihrer Bewegungen war Teil ihrer Schönheit. Er ging zu ihr und betrachtete ihren gebeugten Kopf und ihre Lockenpracht.
»Mein liebe Verney.«
»Sir.«
»Ihre Majestät hat Euch schrecklich vermisst.«
»Und ich sie.« Ihr Herz schlug sehr schnell. Er war ihr Lehnsherr und König. Sie kannte ihn schon, seit sie ein Kind und er ein bettelarmer Herrscher ohne Königreich gewesen war. Dies war ein großartiger und bewegender Moment.
»Habt Ihr Euch in Frankreich gut benommen?«
»Nein, Sir. Aber ich bin stolz darauf sagen zu können, dass ich die wundervollsten Kleider der ganzen Welt erworben habe.«
»Damit Ihr bessere Chancen habt, Euch endlich einen Ehemann zu angeln?«
Sie war am Hof zuhause, und ihr Aufenthalt in Frankreich hatte ihrem Auftreten einen geschliffenen Glanz verliehen. Deshalb wich sie seinem Blick nicht aus. »Genau das habe ich damit vor, Sir.«
»Lord Colefax war ein Idiot. Ich glaube, Ihr habt uns wirklich gefehlt.« Er streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen, ein Zeichen der Wertschätzung. Voller Stolz trat Alice an den Korb und warf einen absichtlich provozierenden Blick auf die Gruppe von höhnisch grinsenden, modisch gekleideten jungen Franzosen, die gegen ihren Willen beeindruckt waren. Sie stieg auf Ruperts Knie.
»Sind Eure Strümpfe auch grün?«, fragte Prinz Rupert.
Um ein Haar hätte sie ihn auf die Wange geküsst und damit dem Zusammenbruch der Etikette weiteren Vorschub geleistet. Sie konnte sehen, wie schockiert die Franzosen um sie herum waren. Als sie ihre Röcke zusammenraffte, um in den Korb zu steigen, war die Antwort offensichtlich. Matrosen begannen zu jubeln, aber ob das an dem kurzen Blick auf ihre Strümpfe oder an dem ruckartigen Aufstieg des Korbes lag, blieb unklar. Sofort brach geschäftiges Treiben aus, als der König, sein Bruder, sein Cousin und sein Sohn über die Reling stiegen und die Strickleiter zu der Jacht hinunterkletterten, genauso behände und schnell wie jeder andere Mann in der Takelage.
Die französischen Höflinge rannten an die Seite des Schiffs. Alles passierte so schnell! Niemand war vorgestellt worden, wie es sich gehörte! Nichts lief so wie geplant! Andere Boote, Jachten, Jollen und Ruderboote, schaukelten in einiger Entfernung wie Korken auf dem Wasser – offensichtlich würden diese Boote sie an Land bringen. Dabei hätte es an Bord einen Empfang geben sollen, ein langes Dinner. Es waren doch Reden vorbereitet gewesen!
Hoch über dem Wasser spürte Alice, wie ihr Herz sich wie eine Lerche in die Lüfte zu heben begann. Die Sonne stand hoch und hell am Himmel, es blies ein starker Wind. Die Menge am Ufer winkte mit Hüten und großen Taschentüchern, rief und jubelte. Das Meer sandte unentwegt schaumgekrönte Wellen an den Strand, als hätten Hunderte von Zofen ihre Hauben zur Feier des Tages ins Wasser geworfen. Oben auf den steilen Klippen wartete die riesige Festung von Dover Castle auf sie. Sie konnte Menschen an der Brüstung stehen sehen. Fahnen flatterten an den äußeren Mauertürmen. Der Korb kippte zu einer Seite. Prinzessin Henriette und Renée schrien auf. Alice nahm ihren Schal und hielt ihn weit hinaus in den Wind, sodass er wild flatterte. Der Schal war lang und hauchdünn, von Nonnen mit geschickten Händen aus kostbarer, spinnwebenzarter holländischer Seide gewebt. Auf dass es keinen Streit mehr gibt, keine Gemeinheiten und auf dass ich in England mein Glück finde, dachte sie, ließ den Schal los und schrie selbst auf, als der Korb senkrecht nach unten fiel und die Prinzessin hoch und schrill auflachte.
An Bord der Jacht hielt die Leibwache des Königs den Korb fest, und ein Soldat trat vor, um den Frauen hinauszuhelfen. Alice hatte das Gefühl zu fallen, als ihre Blicke sich trafen.
»Ich kenne Euch«, sagte sie auf Englisch. »Ihr seid Robin Saylor, nicht wahr?«
»Richard, Leutnant Richard Saylor, zu Euren Diensten.«
Er gab ein Zeichen, den Korb wieder nach oben zu ziehen, und führte Prinzessin Henriette zu einer mit zahllosen Kissen bedeckten Bank, während der Rest der königlichen Familie einer nach dem anderen von der Leiter an Bord kletterte. Eine weitere Leibwache lichtete schnell den Anker, der Herzog von York übernahm das Ruder, Monmouth setzte die Segel, und die Jacht entfernte sich von dem Schiff.
»Mission vortrefflich ausgeführt«, sagte König Charles. »Ich musste mir nicht eine einzige Rede anhören. Rupert, du schuldest mir zwanzig Guineen.« Er lächelte seine Schwester an. »Wie du siehst, sind wir hier nicht so förmlich wie König Louis.«
Prinzessin Henriette lehnte sich in die Kissen zurück und wandte das Gesicht zur Sonne. »Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel gelacht habe.« Sie sprach immer noch Französisch, aber der halbe englische Hofstaat beherrschte die Sprache. Viele hatten während des englischen Bürgerkriegs im Ausland gelebt.
»Tragen alle deine Damen grüne Strümpfe?«
»Nur die hübschen.« Rosen und Lilien, Minze und Balsambaum bedeckten das Deck wie ein Teppich. Sie hob eine Rose auf. »Ist das alles für mich?«
»Alles ist für dich. Übrigens hat Buckingham versucht, sich noch einmal in Form zu bringen. Er wollte wieder die Figur haben, mit der du ihn zuletzt gesehen hast, aber tatsächlich erinnert er im Moment mehr an ein schwangeres Schaf, nicht wahr, Leutnant Saylor? Sagt es ihr.«
Der Soldat lächelte, schwieg jedoch.
»Leutnant Saylor besitzt die Gabe der Diplomatie.«
Die Jacht hatte sich sehr schnell der Küste genähert, aber aufgrund ihrer Größe musste sie ein paar Meter vom Strand entfernt vor Anker gehen. Es war zwar ein Hafen angelegt worden, doch darin hatte sich gefährlich viel Schlick und Kies von den Klippen gesammelt.
»Ich sehe meinen Vater. Ich bin ganz sicher«, sagte Alice zu Renée. Sie zeigte auf eine Gruppe, die mit der Königin unter einem Baldachin stand. Alice hatte das Gefühl, ihr Herz müsste ihr vor Freude zerspringen. »Und da ist Barbara.« Sie reckte die Arme nach oben und winkte. »Barbara!«
Schnell und geschickt reffte die Leibwache die Segel und warf den Anker aus, und die Jacht kam so gehorsam wie ein braves Pferd zum Stehen. Das Wasser war aufgewühlt und tief. Andere junge Offiziere aus der Leibwache des Königs, die an Land standen, liefen ins Wasser und schwammen zur Jacht. Ein Ruderboot wurde unbeholfen an die Seite des Schiffs manövriert.
»Deine Kutsche wartet«, sagte König Charles zu seiner Schwester. »Der Hafen ist voller Schlick. Wir können dich nur so trockenen Fußes an Land bringen.« Er schwang sich über die Reling in das Ruderboot, gefolgt von seinem Bruder, seinem Cousin und seinem Sohn. Die Männer, die es gerudert hatten, glitten wie Seehunde ins Wasser, um Platz für den König und seine Familie zu machen. Vom Ruderboot aus streckte Monmouth lächelnd der Prinzessin seine Arme entgegen.
»Ich fange dich auf«, sagte er ihr.
Die Prinzessin kletterte auf die Reling der Jacht, und obwohl eine Leibwache ihren Arm hielt, damit sie das Gleichgewicht halten konnte, stolperte Monmouth zurück, und sie wären gefallen, wenn Prinz Rupert sie nicht abgefangen hätte. Dabei ging er selbst jedoch über Bord. Das Ruderboot schwankte wild hin und her, neigte sich gefährlich, und der Bruder des Königs, der Herzog von York, fiel nach vorne auf seine Hände und Knie und fluchte. König Charles sank auf ein Knie, aber die Leibwache im Wasser schaffte es, das Boot wieder ruhig zu halten, sodass Monmouth auf den Beinen blieb, die Prinzessin sicher und trocken in seinen Armen. Rupert spuckte Meerwasser, dann ließ er sich auf dem Rücken treiben wie ein Wal. Sein modischer Hut und die große Perücke schwammen an ihm vorbei.
König Charles begann zu lachen und schlug mit einer Hand auf die hölzerne Bank, vor der er kniete. Daraufhin musste auch sein Bruder lachen, und dann lachten alle außer der Prinzessin. Monmouth stellte sie auf die Füße, und sie wischte sich über die Augen.
Das Lächeln auf König Charles’ Gesicht verschwand. »Warum weinst du, Liebes?«
»Er wäre so wütend über all das gewesen. Es ist so wunderbar, stattdessen zu lachen.« Die Prinzessin beugte sich über die Seite des Ruderbootes und hielt Prinz Rupert die Hand hin. »Komm, liebster Cousin. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, dir wieder an Bord zu helfen.«
»Du kannst mich nicht wieder ins Boot ziehen. Ich bin so fett wie Buckingham.«
Sie lehnte sich noch weiter hinaus und versuchte, ihn zu überreden, und Monmouth griff schnell nach ihren Röcken, was König Charles wieder zum Lachen brachte.
Prinz Rupert schwamm auf sie zu. Sie küsste ihn auf den Mund, und während Monmouth’ Hand immer noch ihre Röcke festhielt, weil das Ruderboot wieder hin- und herschwankte, ging sie zu König Charles und küsste ihn auf den Mund, und dann half sie ihrem Bruder, dem Herzog von York, auf die Füße und küsste ihn auch. Dann wandte sie sich dem Ufer zu, legte die Hände an den Mund – die Juwelen an ihren Armreifen glitzerten einen Augenblick lang in der Sonne – und warf den Menschen an Land Kusshände zu, woraufhin diese in begeisterten Applaus ausbrachen. Einige Höflinge, verwegene Männer aus dem Gefolge von König Charles, legten ihre großen modischen Hüte und Perücken ab und wateten ins Wasser, einer nach dem anderen, wie Lemminge, um sie zu begrüßen.
»Wir sind nicht so steif, aber wir haben unseren eigenen Stil«, meinte der König zufrieden, äußerst amüsiert und erfreut über die Art, wie seine Landung vonstatten ging.
Lachend und von einem leichtsinnigen Wagemut ergriffen streifte Alice ihre wunderschönen Schuhe ab, stellte sich mit gerafften Röcken auf die Reling der Jacht, setzte ihre grün bestrumpften Füße sicher einen vor den anderen und balancierte dort einen Augenblick lang wie eine gewöhnliche Zirkusakrobatin.
»Rührt mich ja nicht an«, herrschte sie Leutnant Saylor an, der nicht wusste, dass sie die beste Tänzerin am ganzen Hof war.
»Gut gemacht. Jetzt springt«, rief Rupert aus dem Wasser.
»Eure Hoheit, wärt Ihr so freundlich?«, bat sie.
Die Leibwache verhielt sich jetzt mustergültig und hielt das Ruderboot ruhig im Wasser, während Monmouth vortrat und ihr seine Hand reichte, sodass sie mit einer eleganten, schnellen Bewegung in das Ruderboot springen konnte. Nur Renée war jetzt noch übrig, und es war offensichtlich, dass sie sich ängstigte – und sich deswegen schämte, weil sie fürchtete, mit ihrer Angst den anderen den Spaß zu verderben.
Leutnant Saylor trat vor und sagte in perfektem Französisch: »Mademoiselle, nehmt meine Hand. Ich verspreche Euch, dass ich eher sterben würde, als Euch ins Wasser fallen zu lassen.«
»Drückt das Ruderboot gegen die Jacht, und haltet es dort fest. Jemmy, du und Jamie, ihr geht an die Ruder.« König Charles stützte sich an der Seite der Jacht ab und streckte Renée seine Hand hin. »Setzt Euch auf die Reling, Mademoiselle, und vertraut dem Leutnant und mir.«
Einige der Höflinge waren inzwischen bis zu dem Ruderboot gewatet, wo sie sich der Prinzessin vorstellten. Es schien die natürlichste Sache der Welt für sie zu sein, ohne Perücke und mit ihren Satinjacken im Wasser zu stehen. Einen Augenblick später war Renée an Bord, und York und Monmouth begannen an Land zu rudern.
Dort liefen ihnen Offiziere der Leibwache entgegen, um dabei zu helfen, das Boot an Land zu ziehen. Das königliche Orchester begann voller Aufregung zu spielen. Die Musiker spielten natürlich Geige, denn das war jetzt Mode in Frankreich, und was immer Frankreich in der Kunst, der Mode, der Musik, im Krieg oder in der Politik tat, wurde nachgeahmt. König Charles, sein Bruder und sein Sohn traten auf den feuchten Sand, aber das konnten sie ihrer wertvollen Fracht keinesfalls zumuten. Prinzessin Henriette wurde vom König selbst getragen, bis sie auf trockenem Sand waren, und die wartende Königin eilte unter ihrem Baldachin hervor in die Sonne, um ihre Schwägerin zu umarmen, die immer noch in den Armen des Königs lag. York folgte mit Renée. Völlig durchnässt und aufgelöst kam Prinz Rupert aus dem Wasser. »Du nimmst Alice«, befahl er Monmouth. »Ich würde es tun, aber ich bin nass bis auf die Haut.«
Monmouth streckte Alice die Arme entgegen. Bevor er sie hochhob, blickte sie noch einmal zurück zu den Schiffen. Wie große Schwäne lagen sie da, die Segel nun keine ausgebreiteten Flügel mehr, sondern an den Körper gefaltet. Sie blickte auf die Menschen, die Leitern herunterkletterten, blickte auf die Ruderboote und Jollen, die mit dem französischen Hofstaat gefüllt waren. In ihren Ohren klang das Geräusch der Wellen und der Jubelrufe und der Geigen. Es war Mai, Englands glückliches Druidenfest von einem Monat, wenn der Weißdorn blühte und die Rosen sich weit öffneten und die Fische aus dem grünen Schilfrohr in den Flüssen sprangen und die Menschen um den Maibaum tanzten, um den Monat zu beginnen, und Eichenblätter an ihren Hut hefteten, wenn er endete. Es war der Monat, in dem sie geboren war. Sie fühlte sich trunken vor Freude, war sich der Zeit und des Ortes auf eine besonders einschneidende Weise bewusst. Ich werde diesen Moment niemals vergessen, dachte sie, niemals.
»Aus dem Weg!«
Sie drehte sich um. Es war ihr Vater. Er hatte die Menge der Höflinge unter dem Baldachin verlassen, um sie zu holen. Und bei ihm war Barbara, ihre beste Freundin. »Du hast dich auf der Jacht ganz schön zur Schau gestellt, Fräulein. Grüne Strümpfe, ja? Und was kommt als Nächstes? Rouge?«
»Aber ich musste doch etwas tun, um dich daran zu erinnern, dass ich wieder zuhause bin.«
»Mein liebes, liebes Mädchen«, sagte ihr Vater. Sie umarmten sich, sie noch im Ruderboot, er davor. Er drückte sie an sich. »Ich habe dich so vermisst, Schatz.«
Sie begann zu weinen. Und ihr Vater ebenso.
Es herrschte Chaos. Es hatte keinen Sinn, etwas dagegen zu unternehmen. Die Franzosen kamen an. Manche von ihnen wateten entschlossen durch die spritzenden Wellen an den Strand, andere meckerten wie Schafe, weil sie ihre Kleider oder Schuhe nicht nass machen wollten, und warteten darauf, von Soldaten auf den trockenen Sand getragen zu werden. Die Prinzessin wurde von einem großen Gefolge begleitet, Hofdamen, Edelmänner, Diener, Priester, Amtsträger. Menschen liefen am Strand umher, während die Leibgarde des Königs versuchte, für Ordnung zu sorgen und die Leute zu den Kutschen und Wagen zu dirigieren, die sie auf die Klippe zum Dover Castle bringen würden.
Die Prinzessin blieb unter dem Baldachin, umgeben von wichtigen Hofdamen, Monmouth’ und Yorks Ehefrauen und der Herzogin von Cleveland, der Geliebten des Königs. Mitglieder des Kronrates waren ebenfalls in großer Zahl anwesend, genauso wie eine Schar von Kindern des Königs und des Herzogs von York sowie wichtiger Adliger. Die königlichen Spaniels waren da, knurrten und bellten und waren generell im Weg. Um den Baldachin standen Kutschen, Wagen, Pferde, Stallburschen und die königlichen Pagen, die sich gegenseitig schubsten und jagten und sich so benahmen wie die Jungen, die sie waren.
Ihr Vater lief vor ihnen her, während Alice Arm in Arm mit Barbara auf den Baldachin zuging.
»Ist er da?«, flüsterte sie, weil sie nicht wollte, dass ihr Vater sie hörte.
»Ja.«
»Sie auch?«
»Nein.« Barbara hielt inne. »Ich kann es dir genauso gut jetzt erzählen. Ihr Sohn ist letzten Monat gestorben.«
Bevor Alice antworten konnte, kamen zwei junge Frauen unter dem Baldachin hervor auf sie zugerannt, ihre Freundinnen, Ehrenjungfern von Königin Katharina von England. Sie umarmten und küssten sie und schnatterten aufgeregt wie die Elstern, während sie sie zum Baldachin begleiteten.
»Diese grünen Stümpfe! Alle reden davon. Ich muss welche haben!«
»Oh, Alice, ich kann gar nicht glauben, dass du wieder zuhause bist. Du musst uns alles erzählen, alles. Wir haben gehört, dass die wunderbare La Vallière in Ungnade gefallen ist. Ist das wahr?«
»Colefax ist da. Er läuft unruhig auf und ab – ich glaube, er liebt dich immer noch!«
»Was hast du uns mitgebracht? Hast du uns etwas mitgebracht?«
Ein sehr schlanker Mann, der nicht größer war als Alice, stellte sich ihnen plötzlich in den Weg. »Ich habe deine Vorführung auf der Reling der Jacht gesehen. Exzellente Balance, und der Sprung war perfekt. Du musst mir alles zeigen, was du bei Madame gelernt hast, und zwar sofort. Beachte diese hirnlosen Schnatterliesen gar nicht. Keine von ihnen übt genug, und sie sind alle so tollpatschig wie Kühe.«
Sie ließ sich von ihm umarmen. Es war Fletcher, der Tanzlehrer der Königin.
»Es wurde auch Zeit, dass du nach Hause kommst«, sagte er leise. Dann änderte sich sein Tonfall. »Bewegt euch, ihr Kühe, alle reden schon vom Aufbruch zum Schloss. Alice, wir sind in dieser Festung auf kleinstem Raum eingepfercht. Ich schlafe im Stall bei den Pferden – bei den Pferden, hörst du –, und ich bin dankbar dafür.«
»Es sind doch nur dreizehn Tage«, sagte eine von König Katharinas Ehrenjungfern, eine gertenschlanke Schönheit namens Gracen. »Hört doch auf, euch zu beklagen.«
Dreizehn Tage, dachte Alice. Viel zu wenig Zeit, und dennoch musste sie reichen. Sie trat unter den Baldachin. Prinzessin Henriette wurde von den massigen Körpern der Männer verdeckt, die um sie herum standen, Männer in langen Mänteln, die ihnen bis zu den Knien reichten, und mit dicken, lockigen Perücken, wie König Louis von Frankreich sie jetzt mit Vorliebe trug. Ihre Schuhe hatten hohe, rot lackierte Absätze, sodass sie sogar noch größer waren als ohnehin schon. Der König und sein Bruder, der Herzog von York, wirkten riesenhaft.
Dort stand Colefax, er trug den schwarzen Trauerflor für sein totes Kind am Ärmel. Alice drehte sich um, damit sie ihm nicht begegnen musste. Gracen nahm sie bei der Hand.
»Königin Katharina fragt nach dir.«
Die Königin von England war klein und dunkelhaarig und erinnerte an einen Vogel. Alice knickste tief vor ihr, aber Königin Katharina ergriff ihre Hand, zog sie hoch und küsste sie auf beide Wangen. Ihre eigenen Wangen waren vor Aufregung gerötet, und sie sah beinahe hübsch aus, wie es manchmal der Fall war.
»Die Prinzessin fährt weg. Beeil dich!« Es war ihr Vater.
»Majestät, mit Eurer Erlaubnis?«, bat Alice Königin Katharina.
»Natürlich. Ihr müsst auf der Stelle gehen.«
»Wir sehen uns später!«, rief Alice Barbara und Gracen und ihren anderen Freundinnen unter den Ehrenjungfern zu.
Die Edelmänner aus König Charles’ Leibgarde wiesen den Leuten den Weg zu den Kutschen. Stallburschen brachten denen die Pferde, die zum Strand geritten waren, doch König Charles’ kläffende Spaniels machten die Tiere nervös, und sie zogen an den Zügeln, keilten aus. Kinder weinten, Musiker liefen umher und suchten nach einer Möglichkeit, zurück zum Schloss zu kommen, französischsprechende Leute verlangten nach Kutschen, aber niemand hörte ihnen zu. Alice sah die Prinzessin mit dem König in eine Kutsche steigen, dann rief jemand ihren Namen. Es war einer der königlichen Pagen, ihr Liebling.
»Wo warst du denn nur? In welcher Kutsche soll ich mitfahren?«, fragte sie ihn.
Aber er lief davon, ohne ihr zu antworten, und sie sah, dass Königin Katharina und ihre Hofdamen ebenfalls abfuhren. Plötzlich legte ihr jemand die Hand auf den Arm.
»Hier entlang. Ihr sollt mit dieser Kutsche fahren.« Es war Leutnant Saylor. »Ich habe Euch doch gesagt, dass ich Euch nicht fallen lassen würde«, meinte er zu Renée, während er ihr lächelnd beim Einsteigen behilflich war. Es war ein überwältigendes Lächeln. Alice hielt den Atem an, dann ergriff sie Saylors Hand, und er half ihr ebenfalls hinein. In der Kutsche war kaum noch Platz, weil darin bereits zahlreiche andere Ehrenjungfern aus dem Gefolge der Herzogin von York saßen. Sie nickten Alice kühl zu, weil sie wussten, dass sie der französischen Prinzessin diente, dass sie der Königin gedient hatte und somit sozusagen über ihnen stand.
»Ungeschickter Trampel! Ihr seid auf mein Kleid getreten und habt es zerrissen.«
Die Stimme war unverkennbar. Alice steckte den Kopf aus dem Fenster der Kutsche. Es war die Herzogin von Cleveland, die Geliebte des Königs, und sie funkelte Prinz Rupert böse an, der immer noch nass und ohne Perücke da stand.
»Dämliche Kuh«, sagte er zu ihr.
»Blöder Ochse.«
Hinter ihnen stand Colefax mit gerunzelter Stirn und blickte sich um, als würde er nach jemandem suchen. Er entdeckte Alice, und sie zog den Kopf wieder zurück in die Kutsche, wobei sie in ihrer Hast den Kopf gegen die Kante des Kutschenfensters stieß.
Die Kutsche fuhr ruckartig an. Nichts ändert sich, grübelte Alice, und dachte an die Herzogin von Cleveland und Prinz Rupert und an andere Streitereien, die den Frieden dieses Hofes bedrohten. Aber im Gefolge von Madame, wie Prinzessin Henriette in Frankreich genannt werden musste, und Monsieur, ihrem Mann, war es nicht anders.
Und dann war da Colefax mit dem schwarzen Band um seinen Arm und der Trauer in seinen Augen. Nichts ändert sich, und doch ändert sich alles.
In einem riesigen, hallenden Saal in der großen Festung von Dover Castle war das Empfangsbankett für Prinzessin Henriette in vollem Gange, hatte sich seinen Weg durch Reden und fröhliche Trinksprüche gebahnt, unterbrochen von Suppe, Karpfen, Schwein, Zunge, Aal, Languste, Gans, Kalbfleisch, Lamm, Makrele, Taube, Artischocken, grünen Bohnen – das war etwas Neues, natürlich aus Frankreich – und Salaten. König Louis von Frankreich hatte französischen Wein und Brandy als Zeichen seiner Großzügigkeit geschickt, und eine sehr große Anzahl dieser Flaschen war in den letzten Stunden entkorkt worden. Diener trugen Tabletts herein, auf denen sich Gelees, Torten, Schokolade und Pralinen stapelten. Die Leute begannen ihre Stühle zurückzuschieben und an dem langen Banketttisch entlangzugehen. Die Ehrenjungfern aus den königlichen Gefolgen Englands – von Königin Katharina, von der Herzogin von York – saßen alle zusammen an einem Ende des Tisches.
Alice nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Weinkelch und beobachtete, wie zwei fünfzehnjährige Ehrenjungfern, die zu viel Wein getrunken hatten, sich gegenseitig mit Brot beschmissen. Alle redeten durcheinander. Sie kannte kaum die Hälfte der jungen Frauen und Mädchen, die heute Abend hier saßen. Bevor sie fortgegangen war, hatte sie fast jeden gekannt, und mehr noch, alle hatten sie gekannt. Gäbe es so etwas wie eine oberste Ehrenjungfer, dann wäre sie es gewesen.
»Wir haben über deine Haarnadeln gesprochen, Alice.« Es war Kit, etwas jünger als sie, eine Ehrenjungfer der Königin, die Alice kannte. Alice’ Haare waren dick und schwer zu bändigen und wurden stets von Haarnadeln zurückgehalten. Heute Abend waren es Rosen aus Blattgold mit Perlen in der Mitte, die schon recht alt waren. Sie hatte sie bei einem Kartenspiel in Frankreich gewonnen, von einer von Prinzessin Henriettes Hofdamen, die ihr schwor, sie hätten ihrer Großmutter gehört und dass der große Henri IV. von Frankreich sie selbst aus ihrem Haar gezogen hätte, als die beiden sich liebten.
»Und diese Strümpfe«, fuhr Kit fort. »Ich möchte ein Paar in genau dieser Farbe.«
»Du kannst dir meine morgen borgen.«
»Wie reizend von dir, Alice.«
Es war Gracen, eine weitere Ehrenjungfer von Königin Katharina, die kühle Gracen, die spöttische Gracen, die in Alice’ Abwesenheit erwachsen geworden war. Jetzt strahlte sie eine beeindruckende Überlegenheit aus. Alice konnte sich nicht erinnern, dass Gracen früher beeindruckend gewesen war.
Auch Alice konnte spöttisch sein. »Ich dachte, du wärst schon verheiratet und hättest ein Baby auf jeder Hüfte.«
»Oh, ich folge nur deinem Beispiel.«
Touché, dachte Alice.
»Wir sind gehässig zu Caro, Alice«, meinte Kit und geriet mit ihrem Ärmel in das Essen, als sie nach ihrem Kelch griff. »Wir haben es ihr für dich heimgezahlt.«
Die reizende Caro, die tollpatschige Caro, die loyale Caro, die Alice’ Verlobten geheiratet hatte. Es war ein Skandal gewesen, über den alle am Hof damals tratschten und lachten. Hatte Alice wirklich geglaubt, es würde nicht wehtun, wieder von ihr zu hören? Es tat weh. Ich hasse die Herzen der Menschen, dachte sie. Sie sind unberechenbar und kapriziös.
»Ihr kleiner Junge ist gerade gestorben.«
Der kleine Junge, dessen Zeugung die Ehe zwingend notwendig gemacht hatte.
»Es ist schon wieder eins unterwegs. Colefax ist offensichtlich ein aufmerksamer Ehemann.« Gracen beobachte Alice, um zu sehen, was ihr Gesicht preisgeben würde.
»Sei still, Gracen«, sagte Kit. »Das ist nicht nett.«
»Trink doch noch ein Glas Wein, Kit«, erwiderte Gracen. »Das steht dir so gut.«
»Du bist gemein.«
»Und du bist hässlich.«
»Bin ich nicht.« Kit fing an zu weinen, jene Tränen, die einem leicht kamen, wenn man zu viel Wein getrunken hat. »Bin ich das, Alice? Sag es mir.«
»Natürlich bist du nicht hässlich. Geh schnell, und trockne dir die Tränen. Beeil dich, bevor Brownie dich sieht.« Alice lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte in Gracens Augen, die sie groß und unschuldig ansahen. »Das war grausam.«
»Das wäre es nur, wenn sie wirklich hässlich wäre.« Gracen zeigte auf Barbara und Renée, hinter deren Stühlen sich die Männer in Zweier- und Dreierreihen drängten und ihnen den Hof machten. Es war ein Sport am Hof, eine Ehrenjungfer zu verführen. Eine junge Frau musste sehr hübsch sein oder sehr geschickt, um diese Bemühungen schadlos zu überstehen. Barbara war die Schönste von allen – zerbrechlich und blond. Wenn sie errötete, dann war es, als würde Sahne mit frischen Erdbeeren gemischt. Obwohl Gracen es inzwischen mit ihr aufnehmen konnte. Renée hingegen war einfach umwerfend – ein blasses ovales Gesicht, umrahmt von dunklen Locken, und blaue Augen, die wie Juwelen leuchteten. »Und ihr Name ist ...?«, fragte Gracen und nickte hinüber zu Renée.
»Louise Renée de Keroualle.«
»Jetzt werden Schafe in Mode kommen.« Gracen ahmte ein Mähen nach, und die jungen Frauen um sie herum, die es hörten, lachten.
So, so, dachte Alice. Was für scharfe Augen und welch eine scharfe Zunge unsere Gracen inzwischen hat. Renées Augen standen weit auseinander, sodass man hätte sagen können, sie ähnele einem Schaf, wenn auch einem sehr schönen. Gab Gracen hier jetzt den Ton an? Das war nicht der Fall gewesen, als Alice ging. Damals war es Alice selbst gewesen – eigentlich Alice und Barbara, mit Caro als treue Dritte im Bunde. »Wer ist der Mann, der direkt hinter Barbaras Stuhl steht?«, fragte Alice.
»John Sidney. Erinnerst du dich an ihn?«
»Kaum.«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Alice den ernsten jungen Mann, der Barbara nicht von der Seite wich. Etwas Besitzergreifendes lag in seiner Haltung. Sie deutete auf den großen Mann von der Leibwache mit den eisblauen Augen, der an Bord der Jacht gewesen war und sich schon früh hinter Renées Stuhl gestellt hatte und der diesen Platz bisher noch nicht verlassen hatte. »Erzähl mir von ihm.«
»Richard, Baron Saylor«, meinte Gracen. »Unser hübscher Soldat, so hübsch wie Monmouth, wie ich finde. Er kam an den Hof, als du gerade fort warst. Seine Schwestern sind ebenfalls am Hof.«
Ja, so machte man das am Hof. Man eroberte sich eine Position, und dann holte man seine Familie nach und brachte sie hier und da unter, damit auch sie Ehrungen und Positionen ergattern konnten. Die alte Ordnung war durch den langen Bürgerkrieg und das nachfolgende Protektorat zerstört worden. In der neuen Ordnung, die König Charles vor zehn Jahren etabliert hatte, hatte noch nicht alles seinen festen Platz gefunden. Wenn Alice Familie gehabt hätte, die der Rede wert gewesen wäre, so hätte sie dasselbe getan. Wie die Dinge standen, waren ihre Freundinnen ihre Familie.
»Zeig sie mir, Gracen.« Alice’ Augen folgten der Richtung, in die Gracens elegante Finger zeigten. Die Saylors waren eine hübsche Familie. Alle drei hatten etwas Stolzes, Strahlendes, Lohfarbenes an sich.
Kit setzte sich wieder zu ihnen. Ihre Tränen waren getrocknet, und sie hielt den Blick auf Gracen gerichtet. »Louisa Saylor flirtet schrecklich viel, und sie ist hinter deinem Vater her, Alice. Ihre Schwester hat Gracen Lord Cranbourne direkt vor der Nase weggeschnappt und ihn geheiratet. Das war ziemlich lustig – Autsch! Gracen! Nicht kneifen!«
»Na, wen zerreißt ihr gerade in Stücke?«
Barbara hatte ihre Bewunderer verlassen und setzte sich neben Alice auf deren Stuhl, indem sie Alice mit einer schnellen Bewegung der Hüfte zur Seite schob. Sie lehnte den Kopf an Alice’ Schulter und lächelte glücklich. »Nicht mich, hoffe ich.«
»Wir haben über die Saylors gesprochen«, erklärte Alice.
»Richard ist ein Erzengel, der in unsere Mitte herabgestiegen ist. Er sieht aus wie ein Erzengel, findest du nicht, diese gerade Nase, diese Augen?« Barbara hatte zu viel getrunken. Normalerweise war sie zurückhaltend und ruhig, aber wenn sie Wein trank, wurde sie redselig und lustig. Alle liebten es, wenn Barbara trank.
»Kein Engel. Ein Wikinger. Er sieht aus, als habe ein Wikinger sich vor langer Zeit an einer Frau seiner Familie vergangen, und er ist der lebende Beweis dafür.« Gracen erschauderte anzüglich, dann wurde sie wieder einschmeichelnd charmant. »Alice, ich möchte deine Freunde kennenlernen. Sie wirken so geistreich und weltgewandt.«
Freunde?, dachte Alice. Sie hatte keine Freunde im Gefolge von Prinzessin Henriette, außer Renée und Beuvron. Gracen hatte den Blick auf den Marquis d’Effiat und die anderen hübschen, glanzvoll modischen jungen Männer gerichtet, die am anderen Ende des Saales Hof hielten. Sie hätten diese Reise eigentlich gar nicht antreten sollen; sie waren der Prinzessin von ihrem Mann aufgezwungen worden. Es hatte deswegen einen schrecklichen Streit gegeben.
»Der Marquis d’Effiat ist nicht mein Freund. Er ist über alle Maßen unhöflich zu Madame ...«
»Madame wer?«, unterbrach Kit sie.
»Madame niemand. ›Madame‹, so muss Prinzessin Henriette in Frankreich genannt werden, und ihr Mann wird ›Monsieur‹ genannt«, erklärte Alice ungeduldig und dachte, dass sie ewig brauchen würde, um die komplizierte Etikette am französischen Hof zu erklären. »Die Franzosen nehmen es mit Titeln sehr genau. Man wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wenn man einen Fehler macht. D’Effiat gehört zum Gefolge von Monsieur und macht keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Prinzessin. Er verleumdet sie, wann immer er kann. Und er ist wirklich gefährlich.«
»Dann muss ich ihn unbedingt kennenlernen.« Gracen brachte die anderen Zuhörerinnen erneut zum Lachen.
»Du bist dumm, so etwas zu sagen.«
Gracen lehnte sich zurück, die Wangen gerötet. Sie warf den Kopf mit einer verärgerten Geste zurück und sah dabei wunderschön und selbst ein bisschen gefährlich aus.
Alice schwieg. Sie machte alles noch schlimmer. Natürlich würden sie das nicht verstehen. Sie hatten nicht zwei Jahre lang den Krieg zwischen den beiden Gefolgen erlebt, zwischen dem der Prinzessin und dem des Prinzen, in den jeder vom Herrn bis zum Diener verwickelt war. Wo bittere Anschuldigungen morgens anfingen und nachts noch nicht endeten, wo die Rache, egal wie viel Schmerz sie verursachte, niemals aufhörte. König Charles konnte grausam sein, aber sein Hof war träge und entspannt, genauso wie er selbst, und er hasste Streit, tat alles, um ihn zu vermeiden, war sogar verärgert darüber, wenn man ihm die Energie abverlangte, etwas auszudiskutieren. Zu den Dingen, die sie sich für diesen Besuch vorgenommen hatte, gehörte auch, mit jemandem darüber zu reden, wie unglücklich die Prinzessin war. Aber sie würde das alles nicht ihren Freundinnen erzählen. Sie wechselte das Thema. »Wo ist denn seine Hoheit, der Herzog von Balmoral?«
Balmoral befand sich nicht unter den großen Männern, die an der Seite der königlichen Familie saßen, wo eigentlich sein Platz gewesen wäre. Er war ihr Retter. Ein Mann von Ehre. Der Einzige von ihnen, der in dem dummen kleinen Drama, in dem sie und Cole und Caro mitgewirkt hatten, seine Würde bewahrt hatte.
»Ich habe ihn nicht gesehen«, meinte Barbara.
»Warum fragst du nicht Lord Colefax?« Gracen zahlte es ihr zurück. Colefax – Cole – war Balmorals Neffe und Erbe.
»Eine hervorragende Idee.« Alice ließ ihre große Damast-Serviette in eine Schüssel fallen und erhob sich von ihrem Stuhl. »Vielen Dank, Gracen. Vielleicht tue ich genau das. Und übrigens, falls ein Wikinger sich tatsächlich irgendwann einmal an einer Saylor-Frau vergangen hat, dann glaube ich, hat eine Spinne dasselbe mit einer Sidney-Frau getan. Es tut mir leid, aber John Sidney hat Spinnenbeine.«
Alle außer Barbara brachen in Gelächter aus. So wie es Mode war, dass Frauen ihre Beine unter langen Röcken und Unterröcken verbargen, sodass schon ein kurzer Blick auf ihre Fesseln erotisch war, zeigten die Männer ihre Beine in engen Hosen, die bis zum Knie reichten, und in Strumpfhosen, die jeden Muskel der Unterschenkel sichtbar machten. Schöne, muskulöse Beine wurden ebenso bewundert wie die Schultern der Frauen. Der Feldzug hat begonnen, dachte Alice. Und ihren ersten Treffer gegen diesen John Sidney hatte sie gelandet.
Ihre Freundinnen sahen sie davonschweben, die Schultern blass und nackt und straff aus dem Mieder ihres Kleides erhoben, während die wunderschönen goldenen Röschen hier und da zwischen ihren Locken hervorschimmerten.
»Sie geht doch nicht wirklich zu Colefax und spricht mit ihm, oder?«, fragte Gracen bewundernd, mit weit aufgerissenen Augen.
»Vielleicht tut sie es«, erklärte Barbara.
Gracen starrte Alice nach, und ihre Augen wurden schmal. »Sie wird mich nicht daran hindern, zu flirten, mit wem ich will. Ich wäre die perfekte Comtesse.«
»Du sprichst kein Französisch«, sagte Kit.
»Ich habe andere Vorzüge. Was ist denn los mit dir, Liebes?« Gracen bemerkte, dass Barbara zusammengesunken auf dem Stuhl saß, den sie so fröhlich mit Alice geteilt hatte.
»Mister Sidney hat keine Spinnenbeine, oder?«
Kit brach in Gelächter aus.
»Solange ein anderer Körperteil gut entwickelt ist, spielt das keine Rolle, sage ich immer«, erwiderte Gracen, und diesmal musste sogar Barbara, die niemals so rüde war wie die anderen, lächeln.
»Alice.«
Ein königlicher Page umarmte sie. Seine Hände klammerten sich fest um die Taille ihres Kleides, und das Lächeln auf seinem Gesicht und in seiner Stimme war aufrichtig. Sie streichelte einen Moment seine Schulter. Die Pagen, Jungen zwischen acht und dreizehn, dienten am königlichen Hof als Boten und Adjutanten. Für Alice waren sie wie die jüngeren Brüder, die sie nicht hatte. »Wo ist Edward?«, wollte sie wissen. Er war ihr besonderer Liebling.
»Irgendwo bei der Königin.«
»Finde ihn bitte, und sag ihm, dass ich ihn brauche. Es ist sehr wichtig.«
Sie hörte lautes Gelächter und sah sich nach dem Grund dafür um. Da standen die Männer aus Monsieurs Gefolge, die sich bei dieser Reise aufgedrängt hatten, angeführt von d’Effiat, und unterhielten sich schnell auf Französisch. Sie gestikulierten wild, und was immer sie erzählten, amüsierte die um sie versammelte Gruppe ganz offensichtlich. Und warum auch nicht? Sie waren teuer gekleidet, von nobler Herkunft, stolz wie wilde Falken, und all das war im Moment in Paris sehr in Mode. Schließlich gehörten sie zum zweitwichtigsten Gefolge im französischen Königreich, zu dem von Monsieur, dem einzigen Bruder des Königs von Frankreich. Schon nach dieser kurzen Zeit hatten sie die Aufmerksamkeit des Hofes auf sich gelenkt. Beuvron sah sie und entfernte sich unauffällig von seinen Freunden.
»Amüsierst du dich gut?«, fragte sie, nachdem sie ihre Wangen aneinander gelegt hatten. Er war der Einzige von ihnen, den sie mochte, und selbst ihm traute sie nicht wirklich.
»Überraschenderweise.«
»Wieso ist das eine Überraschung?«
»Wir hatten damit gerechnet, dass Hühner durch die Zimmer laufen und alle Heu im Haar haben würden.«
»Wir Engländer können beizeiten sehr zivilisiert sein.«
»Alice, meine Süße ...«
Sie kannte ihn gut. »Wie viel?«
»Eine Guinee?«
»So viel habe ich nicht, aber ich gebe dir, was ich kann.« Sie wandte sich ab und nestelte an ihrem Rock. Dann zog sie einen kleinen Beutel aus einer versteckten Tasche und schüttete Münzen in ihre Hand. Sie hatte immer ein paar Münzen dabei. Es war ein Überbleibsel aus ihrer unsicheren Vergangenheit, eine Vorsichtsmaßnahme, die ihr Vater ihr eingebläut hatte.
»Du bist ein Engel, Alice.«
Sie antwortete nicht und beobachtete, wie er zu der Gruppe zurückkehrte, genauso diskret wie er sie verlassen hatte. Die anderen sollten nicht bemerken, dass er mit ihr gesprochen hatte. Seit einigen Wochen spürte sie eine Veränderung an diesen Männern. Das konnte kein gutes Zeichen sein. Wo in dieser Menschenmenge war ihr Vater? Man spielte bereits zum Tanz auf, zu jenen komplizierten, imposanten Schritten, die der französische Hof eingeführt hatte, und alle beobachteten die königliche Familie, die den ersten Tanz allein tanzte. König Charles tanzte mit seiner Schwester. Der Herzog von York bildete ein Paar mit der Königin. Monmouth hielt die Herzogin von York im Arm; und Prinz Rupert verbeugte sich, jetzt in trockener Kleidung, vor Monmouth’ Frau. In Paris wäre es absolut undenkbar gewesen, dass ein unehelicher Sohn wie Monmouth sich bei den offiziellen Mitgliedern der Königsfamilie aufhielt, aber hier war das etwas anderes. Er ist erwachsen geworden, dachte Alice, während ihr Blick über ihn glitt, ihren ersten Freund. Sie kannten sich schon aus jenen wilden, sorgenvollen Tagen, als sich König Charles im Exil befand und niemand am verarmten Hof des Königs wusste, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte. Sie und Monmouth waren Kinder des Exils und Kinder der Rückkehr. Ihre Füße bewegten sich in Tanzposition, obwohl sie keinen Partner hatte. Es gab nichts, was sie mehr liebte als Tanzen.
Der junge Edward erschien vor ihr, und sie ging mit gemessenen, anmutig gleitenden Schritten um den Hofpagen herum und sagte: »Du bist zehn Zentimeter gewachsen, Edward. Wie kannst du es wagen, so etwas Ungehöriges zu tun?« Sie verbeugte sich in der Art, wie man es eigentlich am Ende des Tanzes tat, obwohl die Musik weiterspielte.
»Man hat mir gesagt, Ihr braucht mich.«
»So ist es. Der erste Punkt ist, dass du mir keinen Begrüßungskuss gegeben hast. Es bricht mir das Herz. Wer hat mich in deiner Wertschätzung abgelöst? Und wenn du mir jetzt sagst, es ist Gracen Howard, dann werde ich dir den Hals umdrehen. Und zweitens will ich wissen, wo der Herzog von Balmoral ist.«
»Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Nun denn, mein süßer Knabe, es ist furchtbar wichtig, dass ich erfahre, wo er ist. Kannst du das für mich herausfinden? Es ist eine Münze für dich drin – wie immer.«
Seine Augen strahlten; in ihm vereinte sich das Herz eines Geschäftsmannes mit einer jungenhaften Schönheit, und deshalb vertrauten ihm die Leute. Er war schon oft von unschätzbarem Wert für sie gewesen.
»Hüte dich vor diesen da ...« Sie deutete mit dem Kopf auf d’Effiat und die Männer um ihn herum. »Sag das auch den anderen Pagen. Und hilf mir, sie auszuspionieren, aber sei vorsichtig, halt immer sicheren Abstand zu ihnen, ja? Dann habe ich noch mehr Münzen für dich.«
Aufgeregt über ihre Bitte nickte er. Sie sah ihm nach, wie er zwischen den Höflingen verschwand. Sie hätte ihn fragen sollen, wo ihr Vater war. Der erste Tanz endete. Sie lächelte ihren Freund Monmouth an, woraufhin er auf sie zukam. Auch auf seinen Lippen erschien ein Lächeln. Noch während sie in einen Knicks versank, begann sie zu reden, fiel zurück in den alten freundschaftlichen Ton zwischen ihnen, vertraute darauf, dass sich in den zwei Jahren, die sie fort gewesen war, nichts verändert hatte. »Jamie, ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Es ist wichtig.«
»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Alice.«
»Neck mich nicht. Du musst dir unbedingt etwas überlegen, wie man den Marquis d’Effiat und seine Freunde während ihres Besuchs so weit wie möglich von Madame fernhalten kann.«
»Und warum sollte ich das tun, mal abgesehen von der Tatsache, dass er eine eingebildete Kröte ist?«
»Er ist hier, um sie auszuspionieren.«
»Wie meinst du das, Alice?«
»Ich meine, dass Monsieur diesen Besuch unbedingt verhindern wollte und einige aus seinem Gefolge nur deshalb mitgeschickt hat, um sie zu überwachen. Sie werden jedes Lächeln als Koketterie oder Untreue melden. Vertrau mir in dieser Sache, ja, Jamie? Dafür werde ich in deiner Schuld stehen.«
Seine Reaktion traf sie völlig unvorbereitet. Er ergriff ihre Hand und zog sie an sich, sodass sein Gesicht ihrem viel zu nah war. Sein Lächeln war zu anzüglich. »Du kannst mit einem Kuss bezahlen.«
Sie war so schockiert – und verletzt –, dass ihr die Worte fehlten. Was sollte das? Wer war das? Sie hatten das Exil gemeinsam überstanden und den berauschenden Triumph der Rückkehr zusammen genossen. Dieser Mann war mehr ihr Bruder als irgendjemand sonst. Wie konnte er das, was sie ihm gerade gesagt hatte, einfach so abtun, und sie wie irgendeine Frau behandeln, mit der er flirtete? Sie betrachtete sein sorgloses Lächeln, sein stolzes, entspanntes Gesicht. Niemand schlägt ihm mehr irgendetwas ab, dachte sie. Es war Teil des Fluchs, zur königlichen Familie zu gehören, selbst wenn jemand unehelich geboren war. Er war zu sehr verwöhnt worden. Von seinem Vater geliebt, temperamentvoll und mit seinen dunklen Augen und dem dunklen Haar unglaublich attraktiv, war er der Liebling der englischen Restauration. Sie gab ihm einen flüchtigen keuschen Kuss auf die Lippen, doch ihr Gesichtsausdruck blieb ernst. Ihre Gedanken überschlugen sich. Für das, was sie plante, brauchte sie einen Verbündeten, keinen Mann, der nur auf einen Flirt aus war. Sie hatte geglaubt, ihm ihre Sorgen anvertrauen zu können. Doch plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, und das verstörte sie. Nichts ändert sich, und doch ändert sich alles. »Da hast du deinen Kuss, Jamie.«
Ernüchtert trat er einen Schritt zurück und sah den verletzten Ausdruck in ihrem Gesicht.
»Wirst du es tun?«
»Vielleicht.«
Seine Antwort war einfach nicht gut genug. Sie ging zurück zu dem Platz, an dem die Ehrenjungfern saßen, und dachte fieberhaft nach. Dann musste sie sich eben an ihren Vater wenden. Ihrem Vater zu vertrauen war immer ein Risiko. Der spinnenbeinige John Sidney und Barbara steckten die Köpfe zusammen, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sagte er offensichtlich etwas, das sie gerne hörte. Im nächsten Moment war Alice neben ihnen, setzte sich abrupt auf Barbaras Schoß und schlang die Arme um ihren Hals. Sie ignorierte John völlig. »Das ist so typisch für ihn«, sagte sie und machte ein trauriges Gesicht. »Er hat mich verlassen.«
»Das würde dein Vater niemals tun«, meinte Barbara, die sofort wusste, von wem sie sprach.
»Das tut er immer.«
»Ich bin sicher, er ist irgendwo in der Nähe.«
»Dann komm, und hilf mir, ihn zu finden, bitte, Ra.« Um sie zu überreden, benutzte Alice den Kosenamen, mit dem alle Ehrenjungfern der Königin Barbara anredeten.
Aber Barbara musste nicht überredet werden. Alice war ihre beste Freundin. »Natürlich helfe ich dir.«
Als sie weggingen, blickte Alice über die Schulter zurück zu John Sidney, der ihnen völlig perplex nachsah. Ein bisschen begriffsstutzig, dachte Alice. Ihr müsst schon früher aufstehen, um Euch mit mir zu messen, Sir.
»Was in aller Welt hast du getan, um Mistress Verney so gegen dich aufzubringen?«, fragte Richard Saylor, der in der Nähe saß.
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte John. »Ich kenne sie kaum.«
»Na, wenn mich nicht alles täuscht, dann hat man dich genau unter die Lupe genommen, für unzureichend befunden und hinterrücks überfallen, alter Junge.«
»Hinterrücks überfallen? Wie meinst du das?«
»Erinnere mich dran, niemals mit dir zusammen in eine Schlacht zu ziehen. Begleite mich, während ich noch einen Versuch unternehme, mit Mademoiselle de Keroualle zu flirten. Ich werde heute Abend mit ihr tanzen, so oft wie sie es mir gestattet. Vier Mal. Wetten, lieber Cousin, dass ich sie dazu überreden kann, vier Mal mit mir zu tanzen?«
»Verehrst du sie denn so sehr?«
»Ich liebe sie.«
Gracen verharrte einen Augenblick im Eingang des Alkovens, in dem sich d’Effiat und die anderen versammelt hatten. Sie konnte sehen, dass Engländer und Franzosen zusammen um einen runden Tisch saßen und um Geld Karten spielten, eine Sprache, die alle verstanden.
Gracen klappte ihren kunstvoll bemalten Handfächer auseinander, ging hinein, als würde sie alle dort Versammelten kennen, hielt inne und keuchte dann theatralisch. »Ich bitte um Verzeihung«, sagte sie und wedelte aufgeregt mit ihrem Fächer.
Die Männer hörten auf zu spielen, erhoben sich.
»Ich suche nur nach jemandem. Ich wollte nicht stören.«
»Und wer ist diese Schönheit?«, fragte d’Effiat auf Französisch.
»Es ist Mademoiselle Howard, eine der Ehrenjungfern von Königin Katharina«, erwiderte ein Engländer.
D’Effiat betrachtete ihre großen Augen, die hohen Wangenknochen. »Stellt mich Ihr vor.«
»Mistress Howard, darf ich Ihnen den Marquis d’Effiat vorstellen.« Dann ging der Mann um den Tisch herum und stellte ihr auch die anderen anwesenden Franzosen vor. Einer nach dem anderen nickte ihr zu. Auf ihren Gesichtern stand Bewunderung.
»Ich habe Euer Spiel unterbrochen«, sagte Gracen. »Bitte vergebt mir dafür.«
»Würdet Ihr Euch zu uns setzen?«, fragte d’Effiat.
Beuvron, der Englisch sprach – er übte täglich mit Alice – übersetzte.
»Leider nein. Ich wollte gerade auf der Brüstung spazieren gehen und den Mond bewundern. Ich habe nach einem Begleiter gesucht.« Sie blickte d’Effiat mit flatternden Augenlidern an, während Beuvron übersetzte, was sie sagte.
»Und Ihr sollt Begleitung haben«, sagte d’Effiat, dem nicht entging, dass sie mit ihm flirtete. Er war auf seine missgelaunte Weise attraktiv und erwartete Bewunderung. »Das Spiel kann warten – eine schöne Frau niemals.« Er ließ seine Karten und die Münzen, die vor ihm aufgestapelt waren, liegen und ging hinüber zu Gracen, bot ihr seinen Arm. Sie betrachtete sein Gesicht, hochmütig und gutaussehend, und lächelte, vollauf mit sich zufrieden.
»Beuvron, begleite uns, und spiele den Liebesboten zwischen mir und diesem hübschen verirrten Schäfchen.«