Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien - Ulla Rahn-Huber - E-Book

Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien E-Book

Ulla Rahn-Huber

4,9
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: mvg
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

In ihrem sehr erfolgreichen Buch So werden Sie 100 Jahre erkundete Ulla Rahn-Huber das Geheimnis, warum in dem japanischen Archipel Okinawa so viele Menschen über 100 Jahre alt werden und dabei kerngesund und topfit bleiben. Doch auch hier in Europa gibt es einen Hotspot der Langlebigkeit, eine sogenannte Blaue Zone, in der mehr als doppelt so viele Hundertjährige leben wie im weltweiten Durchschnitt – und zwar Sardinien. Auf der Suche nach dem Geheimnis der Langlebigkeit der Sarden hat Ulla Rahn-Huber die Insel besucht und zahlreiche 100-Jährige getroffen und interviewt, ebenso wie viele örtliche Wissenschaftler, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen. Dabei konnte sie fünf Säulen identifizieren, die Grund für die Langlebigkeit der Sarden sind und die auch wir für uns nutzen können: ·Ernährung ·Lebenseinstellung ·Lebensrhythmus ·Familie ·Spiritualität Wie genau sich diese Faktoren auf das Alter auswirken und wie wir sie auch in unserem Leben konkret umsetzen können, erklärt Ulla Rahn-Huber in ihrem neuen Buch. Damit auch wir uralt werden und dabei kerngesund bleiben wie die Menschen auf Sardinien.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 213

Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ulla Rahn-Huber

Das Geheimnis der Hundertjährigen von Sardinien

Wie auch Sie mit mediterraner Lebensweise gesund und glücklich alt werden

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

6. Auflage 2024

© 2016 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Frauke Bahle

Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann

Umschlagabbildung: Fotos von Eva Huber, Motive von neftali/Shutterstock, nexus7/Shutterstock, dgcampillo/Shutterstock, O. Bellini/Shutterstock, midhyso/Shutterstock, sl_photo/Shutterstock

Fotografien: Eva Huber

Satz: DUOTONE Medienproduktion, München

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

Printed in the EU

ISBN Print 978-3-86882-657-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-912-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-913-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter:

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.m-vg.de

eBook by ePubMATIC.com

Für meine Familie

Die Zeit, in der diese kleinen Gemeinden verhaftet scheinen, gleicht keiner bekannten historischen Zeit. […]

Man bekommt den Eindruck, dieser Ort hätte irgendwann einen präzisen Augenblick ausgewählt, um in ihm zu verharren, ihn einzufrieren.

Michela Murgia in Elf Wege über eine Insel

Inhalt

Danksagung

Vorwort

Teil I

Insel der Methusalems

S’Imprenta de Déus: Fußabdruck der Götter

Unter die Lupe genommen: das sardische Langlebigkeitsphänomen

Ursachenforschung: Blick in die Geschichte

Blaue Zone: wo die Ältesten der Alten leben

Den Frauen sei Dank: über das biblische Alter sardischer Männer

A kent‘ annos: viele gute Jahre gewinnen

Teil II

Die fünf sardischen Geheimnisse

Kraftquell für ein langes Leben

Ernährung: schlicht und gesund

Charakter: zufrieden lebt sich‘s länger

Aktivität: im Rhythmus von Bergen und Schafen

La Famiglia: treu bis in den Tod

Tradition: vom Wert der Rituale

Überblick: Was Sarden und Okinawer gemeinsam haben

Teil III

Schaffen Sie sich Ihre eigene Blaue Zone

Kurskorrekturen mit Langzeitwirkung

Einfach selbstgemacht: tutto genuino

Aktiv im Alltag: mit Bewegung Jahre gewinnen

Sag mir, mit wem du gehst: Familienbande und Wahlfamilien

Voll bei der Sache: Leben aus Leidenschaft

In aller Stille: Schafe zählen, Wolken schieben, träumen

Anhang

Literatur

Danksagung

Ein Buch wie dieses kann nur im Zusammenwirken mit vielen anderen Menschen entstehen. Ohne ihre Inspiration, ihr Wissen und ihre tatkräftige Hilfe hätten wir uns gewiss auf immer im Dickicht der sardischen Macchia verirrt – nicht nur im konkreten, auch im übertragenen Sinne …

Unser ganz besonderer Dank geht an Gianni Pes, Kenner seiner sardischen Heimat, Biomediziner, Gerontologe, Senior Researcher an der Universität Sassari und Präsident des Osservatorio della Longevità Blue Zone. Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Belgier Michel Poulin, Professor emeritus der Université Catholique de Louvain, Belgien, und Forscher am Estonian Institute for Population Studies der Tallinn University, dokumentierte er das Phänomen der Langlebigkeit auf Sardinien erstmals und prägte den Begriff der Blauen Zone. Wir danken dir, Gianni, für deine Erfahrung, deinen Weitblick, deinen Humor, die aufmerksame Begleitung und das geduldige Beantworten all unserer vielen Fragen. Danke auch dir, Sandra, nicht nur als »woman at the wheel« bist du unschlagbar!

Ein herzliches Dankeschön geht an:

• die Gemeinden der Blauen Zone für die tatkräftige Unterstützung bei unserer Arbeit und den Recherchen, insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns bei unseren Besuchen zu den alten Menschen begleitet haben, in Àrzana Noemi Serdino, in Baunei Maria Domenica Sotgia, in Seulo Monica Carta, in Talana Graziella Murru, in Urzulei Giuseppe Porcu und in Villagrande Strisaili Rita Usai.

• Claudia Porcu, Geschäftsführerin des Osservatorio della Longevità Blue Zone und Koordinatorin unserer Reise, die uns sowohl während unseres Aufenthalts als auch in der Vor- und Nachbereitungszeit unermüdlich zur Seite stand und unzählige Kontakte für uns knüpfte. Du hast uns so viele Türen geöffnet!

• Pierre Guy-Stephanopoulos, Anthropologe, Wissenschaftsjournalist und Erforscher der Blauen Zonen, für seine umfangreiche, großzügig geteilte Expertise.

• Monica und die ganze Familie Carta, Mamma Giovanna Chiani und Babbo Salvatore Carta, Monicas Schwestern Christina, Barbara und Michela (Maria, dich haben wir leider verpasst!) und ihre Ehemänner Luca, Massimo und Matteo; nicht zu vergessen die Kinder, Giovanni und Guiseppe, Salvatore und Antonello, Andrea und Giulia, die Schmetterlingsfalterin. Ihr habt uns aufgenommen, als gehörten wir schon immer dazu. Und natürlich ein Dank an Ricardo, dem wir viele Einblicke verdanken.

• Luca Murgia und Massimo Secci für die Einblicke, die sie uns in die heutige Arbeitsrealität der Bauern und Hirten in der Barbagia gegeben haben.

• Fausto Ferreli aus Àrzana, der uns spannende Einblicke in die Geschichte seines Heimatorts gegeben hat.

• Pino Ledda, Genealoge, Alternsforscher und treibende Kraft des Ecomuseo dell’Alto Flumendosa in Seulo für seinen Rat und seine Begleitung.

• die Familien der alten Menschen, die uns ihr Haus geöffnet und uns während der Gespräche mit einem nie versiegenden Strom von Kaffee und vielen, vielen köstlichen, selbstgebackenen Casadines und Mandel-Biscotti versorgt haben.

• unseren Freund Gianluca Ginex daheim in Deutschland für die spontane sprachliche Soforthilfe. Er hat uns manche Peinlichkeit erspart.

• Der größte Blumenstrauß von allen aber geht an die Stars dieses Buchs, die jung gebliebenen Siebziger, Achtziger und Neunziger, die Hundertjährigen und über Hundertjährigen, die uns während unserer Reise in die Blaue Zone geduldig Rede und Antwort standen und uns mit ihren Geschichten und Erfahrungen an vielen Jahren gelebten Lebens in der Ogliastra und Barbagia teilhaben ließen. In der Reihenfolge des Alphabets sind dies:

Guido Cabras / Paolo Canu / Antonietta Contiero / Nina Demurtas

Eugenio Froteggio / Nello Lai / Pino Ledda / Antonietta Loi

Eugenio Mesina / Antonia Murgia / Emanuela Murru / Luigino Nieddu

Serafino Porcu / Michelino Scudu / Battistina Secci / Maria Bonaria Secci

Rosa Secci / Susanna Secci / Maria Tegas

• Ein großes Dankeschön auch an die »Herrenrunde«, die sich eigens zu unseren Ehren auf der Piazza in Àrzana versammelt hat, und an den charmanten Dr. Sestu, der diese Begegnung ermöglichte.

So vielen Jahren gut gelebten Lebens auf einem derart kleinen Fleckchen Erde zu begegnen, war für meine Tochter und mich ein unvergessliches Erlebnis. Es hat uns in dem Wunsch bestärkt, selbst nicht nur alt, sondern uralt zu werden. Wir peilen grob die 120 an.

Vorwort

Die ›alten Leut‹ – auf den Spuren des langen, guten Lebens

Es gibt Orte, an denen mehr Menschen ihren 100. Geburtstag feiern als irgendwo sonst auf dieser Erde. Dass sie ein so hohes Alter erreichen, ist an sich schon beeindruckend. Beinahe noch erstaunlicher aber ist, wie lebenslustig, selbstbestimmt, geistig und körperlich fit sie dabei bleiben. »Blaue Zonen« nennen Wissenschaftler diese Hotspots der Langlebigkeit. Ich weiß nicht, wie es Ihnen persönlich ergeht, aber mit jeder zusätzlichen Kerze, die ich auf meiner Geburtstagstorte brennen sehe, drängt es mich mehr herauszufinden, was dort anders ist als hier und wie wir besser altern können. Wie sind die guten, lebenswerten Jahre zu gewinnen?

Im Jahr 2009 habe ich mich nach umfangreichen Recherchen schon einmal auf den Weg in eine Blaue Zone gemacht und ein Buch darüber geschrieben. Die Reise ging nach Okinawa, einem zu Japan gehörenden Archipel im Südpazifik. In dem im Norden der Hauptinsel gelegenen Dorf Ogimi erreichen insbesondere Frauen ein geradezu biblisches Alter – lebenslustige, kluge Matriarchinnen, die als Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits und als Chefkommunikatorinnen mit den Ahnen einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft genießen. Dass ich nicht alleine kam, sondern im »generationenübergreifenden Doppelpack« in Begleitung meiner Tochter Eva Huber, die die Reise fotografisch dokumentierte, brach in der Begegnung mit den Hochbetagten schnell das Eis.

Freimütig erzählten sie uns von der Kargheit ihrer Jugend, von den verheerenden Taifunen, die ihnen Mal um Mal die Ernte raubten, von der Kostbarkeit von Lebensmitteln. Mit Tränen in den Augen berichteten sie von den Grausamkeiten der großen Schlacht von Okinawa. Jede hatte selbst massiv gelitten und Tote zu betrauern. Doch bei all den durchlebten Schrecken fiel uns die Leichtigkeit ihres Daseins auf; ihre Bereitwilligkeit zu lachen, ihre quicklebendige Art. »Das Leben ist zu kurz, um bitter zu sein.« So oder so ähnlich lautete die Antwort, wenn wir danach fragten. Die Musik ist auf Okinawa nie weit. Schon nach kurzer Stille schaltet irgendwer ein Radio ein, und kaum ertönen die ersten Klänge der einheimischen Zupfgitarre, fangen die Frauen zu tanzen und zu singen an. Sie heben die Hände über den Kopf und wiegen sich im Takt.

Jeder will alt werden, aber keiner will alt sein – eine grazile Bewegung aus dem Handgelenk, und die Oba-chans von Okinawa wischen diesen bei uns viel zitierten Kalenderspruch einfach so vom Tisch.

Dass die gute physische wie psychische Verfassung der Höchstbetagten Okinawas nicht nur unser subjektiver Eindruck ist, zeigt die groß angelegte Okinawa Centenarian Study, in deren Rahmen die örtliche Bevölkerung seit 1975 umfassend medizinisch begleitet wird. Sie wurde von dem Langlebigkeitsspezialisten und mittlerweile emeritierten Professor Makoto Suzuki von der University of the Ryukyus/Okinawa initiiert. Er bescheinigt den Ältesten der Alten einen fabelhaften Gesundheitszustand, körperlich wie geistig. Dass sie auch wirklich so alt sind wie behauptet, ist zudem anhand des Koseki, des auf japanisch-akribische Art geführten Geburtenregisters, ganz eindeutig nachgewiesen. Die Langlebigkeit von Okinawa ist kein Mythos!

Nun also auf in eine weitere Blaue Zone, die im Mittelmeer und damit beinahe vor unserer Haustür liegt: Sardinien. Im zentralen Bergland der Insel, in der Ogliastra und in Teilen der Barbagia, wo ein Hirten- und Bauernvolk zum Teil noch immer nach Traditionen lebt, die in die Bronzezeit zurückreichen. Als mittlerweile erprobtes Team haben meine Tochter und ich wieder die Kameras und Notebooks eingepackt und uns auf den Weg gemacht, um ein weltweit einmaliges Phänomen zu ergründen. Während es eine allseits anerkannte, wissenschaftlich bestätigte Tatsache ist, dass Männer eine kürzere Lebenserwartung als Frauen haben und unter fünf Hundertjährigen normalerweise höchstens ein Mann anzutreffen ist, liegt das Verhältnis in diesem Teil Sardiniens bei 1:1. Das heißt: Die Menschen werden hier nicht nur außerordentlich alt, Männer stehen Frauen außerdem im Hinblick auf die besondere Langlebigkeit in nichts nach. Das klingt zu unglaublich, um wahr zu sein? Mag sein, aber es stimmt. Wissenschaftler um den Gerontologen Gianni Pes und den Demografen Michel Poulain haben die Geburten- und Sterberegister der sardischen Gemeinden in jahrelanger Detailarbeit lückenlos ausgewertet und jeden Zweifel an der Korrektheit der Daten ausgeräumt.

Vielleicht wenden Sie nun ein: »Hundert? So alt will ich gar nicht werden!« Wo wir uns auch umhören, die Aussicht, den großen runden Geburtstag zu feiern, erscheint vielen doch eher bedrohlich als erstrebenswert. Durchaus reizvoll finden die meisten zwar den Gedanken, sich als rüstige Rentner mit Mitte 60 den wohlverdienten Ruhestand auf Kreuzfahrtschiffen oder dem Golfplatz zu vertreiben und nach dem Rückzug aus dem Arbeitsleben endlich Zeit für all die schönen Dinge zu haben, die bis dahin in der persönlichen Prioritätenliste auf den hinteren Rängen warten mussten. Wie ein Damoklesschwert hängt aber über dem Traum von der im Alter neu gewonnenen Freiheit die große Angst vor der Gebrechlichkeit; davor, körperlich oder geistig so sehr abzubauen, dass wir auf die Fürsorge anderer angewiesen sind. Einsam und von aller Welt vergessen im Pflegeheim zu enden, das ist eine Aussicht, die einen nicht ganz so späten Tod manchmal als die angenehmere Alternative erscheinen lässt. Wenn Berichte über die steigende Lebenserwartung in unseren modernen Industriegesellschaften gemischte Gefühle auslösen, ist das nur zu verständlich.

»Langlebigkeit und eine hohe Lebenserwartung, das sind für mich zwei Paar Schuhe. Als kranker Mensch sehr alt zu werden, das ist für mich keine Langlebigkeit.« Mit diesen Worten spricht Professor Suzuki sicher vielen von uns aus der Seele.

Luigino Nieddu (100) aus Àrzana

Die alten Menschen, denen wir auf Sardinien begegnet sind, zeigen, dass ein gutes langes Leben möglich ist. »Es geht mir heute besser als je zuvor«, sagt Luigino Nieddu (100) aus Àrzana, einem Ort mitten in der Blauen Zone. »Ich habe bei niemandem Schulden und niemand hat Schulden bei mir. Alles ist geregelt. Ich habe keine Probleme. Früher war es manchmal schwierig, dafür zu sorgen, dass die Familie alles hatte, was sie brauchte! Solche Sorgen bin ich heute los.« Luigino Nieddu ist gesund. Er macht noch täglich einen Spaziergang, seine Passegiata. Fernsehen mag er nicht. Es langweilt ihn. Er liest stattdessen Bücher. Und im Haus macht er noch dies und das. »Was gerade anfällt«, sagt er und lacht dabei.

Begleiten Sie meine Tochter und mich in die mediterrane Blaue Zone. Wir haben auf Sardinien viele Greise angetroffen, die geistig und körperlich so fit und munter wie Luigino sind. An den Rand der Gesellschaft hat das Leben sie auf keinen Fall verbannt. Eher stehen sie im Mittelpunkt. In den Gemeinden ist man stolz auf jeden neuen Centenari. Die Hochbetagten leben nicht zurückgezogen und keineswegs in einem Nebenzimmer. Der zentralste Platz im Haus ist ihrer. In den Großfamilien herrscht ein stetes Kommen und Gehen, und der alte Mensch ist immer der Erste, der begrüßt wird – liebevoll und mit Respekt.

Kommen Sie mit uns auf diese Reise. Sie werden Menschen treffen, die über jene Form von Klugheit und Humor verfügen, wie man sie nur aus praktischer Erfahrung lernen kann – aus den Höhen und Tiefen eines langen Erdendaseins. Die meisten Leute, mit denen wir gesprochen haben, sind nie etwas anderes als Hirten und Bauern gewesen. In dieser abgelegenen Gegend haben nur die wenigsten studiert. Ihr Lehrer war das Leben. Die Spanne, die sie überblicken, ist immens. Als die Ältesten der Alten geboren wurden, tobte in Europa der Erste Weltkrieg. Sie haben den Aufstieg und Fall der Fascisti erlebt und waren dabei, als in Italien die Monarchie abgeschafft wurde. Sie kennen Sardinien aus einer Zeit, in der noch keine Autos fuhren und sich nur die wenigen Reichen zu Pferde bewegten. Alle anderen gingen zu Fuß. Was zu transportieren war, wurde Eseln auf den Rücken geladen oder von Frauen in Körben oder Krügen auf dem Kopf geschleppt.

Diese Menschen haben viel zu erzählen und uns noch mehr zu lehren. Für uns haben sie das Geheimnis ihres Lebens gelüftet – ihres guten langen Lebens.

Ulla Rahn-Huber, im Mai 2016

Teil I

Insel der Methusalems

Sardinien – der Name weckt Assoziationen mit Sonne, Meer und malerischen Badebuchten, doch die traumhaft schönen Küsten machen nur einen kleinen Teil der Schätze dieser Insel aus. Als Wiege einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit und Protagonistin einer stürmischen Geschichte hat sie sich fernab von den Touristenzentren eine Ursprünglichkeit bewahrt, die weltweit ihresgleichen sucht. Begleiten Sie uns auf unserer Reise in das gebirgige Herz Sardiniens zu den Hirten und Bauern der Ogliastra und Barbagia, die noch heute nach den Traditionen ihrer bronzezeitlichen Vorfahren leben. Hier sind sie zu finden, die Methusalems, die gesund und munter 100 Jahre alt werden, wenn nicht das eine oder andere Jährchen mehr.

 

S’Imprenta de Déus: Fußabdruck der Götter

Glaubt man der Legende, haben sich die Götter bei der Erschaffung der Welt ziemlich verkalkuliert: Als sie als letztes Land Sardinien formen wollten, merkten sie, dass fast alles Material verbraucht war. Nur ein Haufen Steine war noch übrig. Den warfen sie ins Mittelmeer und traten ihn fest. Da das Ergebnis nicht wirklich überzeugend war, nahmen sie ein wenig hier, ein wenig dort vom Allerfeinsten der bereits erschaffenen Kontinente und schenkten es der Insel: Kork- und Steineichen, Edelkastanien, Tamarisken und Palmen, Mastixsträucher, Täler voller Zistrosen, Weinberge, Ebenen mit wogendem Korn, Weideland für die Herden und stille, geschützte Buchten für die Seefahrer. Sardinien wurde damit zu einem Abbild der Schöpfung in ihrer ganzen Vielfalt.

Allein dass die Rede von »Göttern« in der Mehrzahl ist, verrät, welch gewichtige Rolle Mythen und Legenden auf dieser Insel spielen, die sich besonders in ihrem gebirgigen Herzen eine geradezu archaische Ausstrahlung bewahrt hat und so gar nicht unseren gängigen Vorstellungen vom mediterranen Leben entspricht. Die Geschichte wird oft und gern erzählt, um zu erklären, warum auf Sardinien vieles so winzig und wie aus Mosaiksteinen zusammengesetzt erscheint. Die Hasen, die frei weidenden Schweine und Kühe, ja selbst die Menschen sind kleiner als auf dem Festland.

Trotzdem muss es ein ziemlicher Berg von Steinen gewesen sein, denn mit einer Fläche von 24.090 km2 ist Sardinien fast so groß wie Sizilien. Wie eine im Mittelmeer treibende Nussschale erscheint daneben das sechsmal kleinere Mallorca. Der sardische Schriftsteller Marcello Serra hatte Recht, als er seine Heimat quasi un continente nannte – fast einen Kontinent.

Die unberechenbare Schöne

Die Insel ist so vielfältig und ungewöhnlich, dass wir bei unserem Besuch vor allem eines sind: überrascht. Wir haben uns wie viele andere von dem Wort »Insel« blenden lassen und nicht mit dem schieren Ausmaß gerechnet. Auch nicht damit, dass selbst das kleinste Dorf einen so individuellen Charakter hat, nicht nur mit seinen eigenen Bräuchen und Trachten: Ein jedes fühlt sich irgendwie anders an. Wir staunen über die ständig wechselnden Landschaften, die uns beinahe an jeder Straßenbiegung erwarten. Unglaublich, wie sattgrün die Macchia nach den Regenfällen des Winters ist, der blühende Ginster setzt ihr gelbe Schaumkrönchen auf. Unberechenbar sind die Kapriolen des Wetters, die das Land wie im Zeitraffer in wechselnde Licht- und Wolkenstimmungen tauchen. Sengende Sonne, eisiger Wind, Wolken, die wie nasse Lappen über die Bergkuppen gebreitet liegen. Eine Stunde kann lang sein auf Sardinien und erfordert Kleidung nach dem Zwiebelschalenprinzip.

Was uns Mal um Mal beeindruckt, ist die Rauheit der Natur, die Ursprünglichkeit und die wie hingestreuten Zeichen uralter Kulturen, denen wir auf Schritt und Tritt begegnen, ob verfallene Nuraghen, wie die in ganz Sardinien anzutreffenden Steintürme aus der Bronzezeit heißen; ob Gigantengräber, Feenhäuser oder Wasserheiligtümer; ob römische Steinbrücken, jahrhundertealte Kirchen oder noch ältere Olivenbäume – die auf der Hochebene Su Golgo sollen mit die ältesten Europas sein.

Ungewöhnlich ist auch das Gemisch aus drei einheimischen Sprachen und zahlreichen weiteren Dialekten, die 80 Prozent der Einheimischen noch immer beherrschen und im Alltag sprechen, obwohl die Insel doch zu Italien gehört. Nicht minder fremd und faszinierend mutet der Klang des Canto a Tenore und der Launeddas an, eines Blasinstruments, das ein wenig wie ein Dudelsack klingt. Und erstaunlich ist die Vielzahl der Feste, die in jedem noch so kleinen Ort gefeiert werden (es heißt, es gebe über das Jahr verteilt 1500 davon), und die Liebe, mit der die Jungen die alten Traditionen noch pflegen.

Mehr als ein Sardinien

Gut möglich, dass Sie bei Sardinien an türkisblaues Wasser und malerische Buchten denken und Ihnen zuallererst die Costa Smeralda mit ihrem unbezahlbaren Luxus einfällt. Der im Nordosten gelegene Küstenstreifen ist in aller Munde, seit hier Prinz Karim Aga Khan IV., Multimilliardär, religiöser Führer der Nizari-Ismailiten und Jetset-Playboy mit Verwicklungen in teure Scheidungskriege, Anfang der 1960er-Jahre ganz groß einstieg. Er kaufte den bettelarmen Bauern und Hirten, die in den kargen, an vielen Stellen nur vom Meer aus zugänglichen Monti di Mola (»Mühlsteinberge”) lebten, ihre Einödhöfe ab, um ein auf dem Reißbrett geplantes, mondänes Urlaubsparadies entstehen zu lassen, das sich mit prominenten Ferienhochburgen wie Málaga, der Côte d’Azur, Monaco oder Sanremo messen konnte.

»Der Sarde der Berge ist ein ganz anderer Geselle als sein Bruder von der Ebene. Während dieser von kleinem Wuchse, fahler Gesichtsfarbe und servilem Charakter ist und den spanischen Einschlag deutlich verrät, ist der Bergsarde hochgewachsen. Das Blut schwillt und kocht in seinen Adern, er hängt an seinem ungebändigt freien Leben in der wilden Gottesnatur. Den Südsarden verachtet er, den Mauréddu, wie man im Nuoresischen spöttisch alle Bewohner der Ebene nennt. Es ist auch gar kein Zweifel, dass in diesen Bergen sich die alte sardische Rasse viel reiner erhalten hat als in der beständig von neuen Eindringlingen überfluteten Ebene.«

Max Leopold Wagner, 1880–1962, Romanist und Kenner der sardischen Sprache

Seither dümpeln die Luxusyachten von Industriemagnaten im Hafen des Hauptorts Porto Cervo, und VIPs in Nobelkarossen cruisen durch die künstlich-malerischen Gassen, wo mittlerweile nicht immer ganz so gut betuchte Urlaubsgäste im Schatten von neosardischen Arkaden sitzen … Das Spiel heißt Sehen und Gesehenwerden, und solange es die Regenbogenpresse gibt, wird es Geschichten von Reichen und Super-reichen geben, auch wenn es nach dem jähen Unfalltod von Lady Di von hier wohl nie wieder solch spektakuläre Schnappschüsse geben wird wie jene von der Prinzessin der Herzen beim Bootsausflug mit Dodi Al-Fayed.

Die Traumstrände, das smaragdfarbene Wasser und die bizarren Felsformationen der Costa Smeralda mögen perfekte Postkartenmotive liefern – das Sardinien der Sarden ist sie nicht. Erbost darüber, dass die Einheimischen kaum von den investierten Milliardenbeträgen profitierten, nennen manche sie bis heute die Costa rubata, die »geraubte Küste”. Die vom Volkszorn getragene und von manchen Sarden unter den Stichworten »Notwehr« oder »Rache« verbuchte Welle von Entführungen und Lösegelderpressungen, die noch bis in die 1980er-Jahre Schlagzeilen machte, ist Gott sei Dank mittlerweile Geschichte.

Das wahre Sardinien, sagen Sarden, liegt anderswo. Manche suchen es im Süden, in der Inselhauptstadt Cagliari am Golfo degli Angeli. Sie ist Afrika viel näher als Europa und gilt nicht wenigen als die schönste Hafenstadt des Mittelmeers. Aber Cagliari als Ausdruck echten Sardentums? Das wird von den zwei Dritteln der Insulaner bestritten, die nicht in dem urbanen Großraum leben. Die Stadt kehre Sardinien den Rücken zu, sie sei arrogant und zudem »italienisch”, was auf einer Insel, die seit Menschengedenken Spielball von Eroberern war, noch heute beinahe wie ein Schimpfwort klingt. Manche schimpfen sie die Antithese zum Schaf, jenem Tier, das auf dem Steinhaufen, den die Götter im Meer festtraten, eine ganz besondere Rolle spielt.

Land der Barbaren

Dann also auf zu anderen Küsten? In den Nordwesten etwa, rund um die Stadt Alghero, die so spanisch wirkt, dass man in den mit blank polierten Steinplatten gepflasterten Straßen bis heute den Stiefelhall der Conquistadores zu hören meint? Oder in den Osten, wo schroffe Klippen bis zu 500 Meter fast senkrecht in die Tiefe stürzen; wo kleine Buchten abgeschirmt von Felsen liegen, die die Erosion in Jahrmillionen mal in Lamellen mit messerscharfen Kanten zerteilt und mal zu rundlichen Kolossen geschliffen hat, die an Plastiken von Henry Moore erinnern?

Faszinierend sind die Orte allesamt. Wir aber haben ein anderes Ziel vor Augen: Wir kehren den Küsten den Rücken und machen uns fernab von ausgetretenen Touristenpfaden im wilden, gebirgigen Hinterland – in der Ogliastra und Barbagia – auf die Suche nach den Hundertjährigen, die hier so zahlreich zu finden sein sollen. Wir haben viel darüber gelesen und uns erzählen lassen. Hier oben in den Bergen habe sich das wahre Sardentum bewahrt. Die Tage, heißt es, vergingen hier viel langsamer als andernorts. Hirten seien noch Hirten und Bauern noch Bauern. Das Brot werde mehrmals wöchentlich daheim im eigenen Ofen gebacken, Frauen trügen noch Tracht und Männer spielten Morra, ein mit den Händen ausgetragenes Zahlenspiel, das an »Schere, Stein, Papier« erinnert. Vor 100 Jahren seien die Uhren stehen geblieben. Wenn die Ältesten der Alten wirklich so alt sind, wie man uns sagt, haben sie damals in diesen Gassen Fangen gespielt.

Unter die Lupe genommen: das sardische Langlebigkeitsphänomen

Dass Sarden uralt werden können, pfeifen in Sardinien die Spatzen so laut von den Dächern, dass es keine Wissenschaftler bräuchte, um die Inselbewohner selbst auf das Phänomen aufmerksam zu machen. Alte Menschen sind im Alltag überall präsent. Nicht nur, dass die älteste Tochter, wie es der Brauch verlangt, die eigenen Eltern zu sich ins Haus holt, wenn sie alt geworden sind. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit nimmt man auch einen greisen Onkel, eine Tante und auch schon einmal eine Nachbarin oder einen alten Mann aus der Gemeinde auf. In beinahe jeder Familie ist einer aus der Generation der Anziani anzutreffen, und in den Dörfern im Inselinneren heißt »alt« oft wirklich alt: Wenn man sich umhört, scheint jeder hier einen (über) Hundertjährigen persönlich zu kennen oder wenigstens einen, der auf bestem Weg zu dem großen runden Geburtstag ist.

Auf dem Weg in die Ogliastra mit Gianni Pes bei einem Zwischenstopp an der Nuraghe Santu Antine.

Die Chance und der Wunsch, ein dreistelliges Lebensalter zu erreichen, sind auf Sardinien so allgegenwärtig, dass man sich nach einem Plausch auf der Straße zum Abschied »A kent’ annos!« zuruft, »Mögest du 100 Jahre werden!« Wie anders klingt das als unser deutsches »Tschüss!«.

Gut möglich aber, dass die Welt – insbesondere die Fachwelt der Alternsforscher – die sardische Langlebigkeit ohne die Beharrlichkeit vor allem eines engagierten Wissenschaftlers unter der Rubrik »Legenden« ad acta gelegt hätte. Im Oktober 1999 (wie es der Zufall wollte, im Internationalen Jahr der Senioren) trat Gianni Pes, ein an der Universität von Sassari im Nordwesten der Insel forschender Arzt und Ernährungswissenschaftler, bei einem Kongress im französischen Montpellier vor die illustre Fachkollegenschaft, um die Ergebnisse einer fünfjährigen Geduldsarbeit vorzutragen. Wissenschaftler hatten eine geringere Mortalitätsrate in manchen Gegenden seiner sardischen Heimat festgestellt, und auf der Suche nach den Gründen dafür hatte er sich die kommunalen und kirchlichen Geburten- und Sterberegister vorgenommen. Dabei war er auf nicht weniger als etwa 1000 Hundertjährige gestoßen, von denen er etwa 200 persönlich besuchte. Interessant war die besondere Häufung im zentralen Osten Sardiniens, also dem gebirgigen Herzen der Insel. Seinen Zahlen zufolge gehörte diese Region zur langlebigsten Italiens, wenn nicht der Welt. Doch damit nicht genug. Pes hatte außerdem festgestellt, dass ebenso viele Männer wie Frauen ein solch hohes Alter erreichten – und das, obwohl wissenschaftlich ausführlich dokumentiert und allgemein anerkannt ist, dass Frauen länger als Männer leben. Nach den Daten der Human Mortality Database liegt das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Hundertjährigen in der übrigen Welt bei mindestens 1:4, das heißt, auf vier hundertjährige Frauen kommt nur ein hundertjähriger Mann. Und hier sollte es etwa 1:1 betragen?