Das Geheimnis der Magd - Dagmar A. Hansen schreibt als Dagmar Schnabel - E-Book
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Das Geheimnis der Magd E-Book

Dagmar A. Hansen schreibt als Dagmar Schnabel

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Beschreibung

Eine mutige Frau – eine gefährliche Zeit: Der opulente Mittelalterroman »Das Geheimnis der Magd« von Dagmar Schnabel jetzt als eBook bei dotbooks. Aachen im Jahre 1258. Die junge Alina führt als Magd ein entbehrungsreiches, aber glückliches Leben auf dem Hof ihres Onkels. Ihren wertvollsten Besitz trägt sie stets an einem Band über ihrem Herzen: jenen geheimnisvollen Ring, den sie einst von ihrem Vater erbte. Doch dann verändert ein einziger Moment Alinas Leben für immer: Sie hilft der Markgräfin Margarete von Jülich, sich vor ihrem jähzornigen Ehemann zu verstecken – doch kurze Zeit später ist nicht nur Margarete spurlos verschwunden, sondern auch der Ring. Nicht bereit, das einzige Erbe ihres Vaters aufzugeben, reist Alina nach Aachen, wo der Markgraf und sein Vasall Leon Dabrey ebenfalls fieberhaft nach der Gräfin suchen ... denn Alinas Ring birgt ebenso unfassbares wie tödliches Geheimnis! Eine packende Neuerzählung der Legende um Kaiserin Fastrada und ihren Ring – und eine farbenprächtige Reise durch das mittelalterliche Aachen. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Historienroman »Das Geheimnis der Magd« von Dagmar Schnabel – auch bekannt unter dem Titel »Die Herrin des Rings«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 479

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über dieses Buch:

Aachen im Jahre 1258. Die junge Alina führt als Magd ein entbehrungsreiches, aber glückliches Leben auf dem Hof ihres Onkels. Ihren wertvollsten Besitz trägt sie stets an einem Band über ihrem Herzen: jenen geheimnisvollen Ring, den sie einst von ihrem Vater erbte. Doch dann verändert ein einziger Moment Alinas Leben für immer: Sie hilft der Markgräfin Margarete von Jülich, sich vor ihrem jähzornigen Ehemann zu verstecken – doch kurze Zeit später ist nicht nur Margarete spurlos verschwunden, sondern auch der Ring. Nicht bereit, das einzige Erbe ihres Vaters aufzugeben, reist Alina nach Aachen, wo der Markgraf und sein Vasall Leon Dabrey ebenfalls fieberhaft nach der Gräfin suchen ... denn Alinas Ring birgt ebenso unfassbares wie tödliches Geheimnis!

Eine packende Neuerzählung der Legende um Kaiserin Fastrada und ihren Ring – und eine farbenprächtige Reise durch das mittelalterliche Aachen.

Über die Autorin:

Die Aachener Autorin Dagmar Schnabel schreibt am liebsten augenzwinkernde Geschichten ihrer Heimat, die sich in ferner Vergangenheit genau so hätten zutragen können. Schon früh entwickelte sie ein tiefgehendes Interesse an der facettenreichen Geschichte des Rheinlands und die Lust am Recherchieren. Diese beschränkt sich längst nicht nur auf das Lesen historischer Berichte und Besichtigungen eben dieser Orte, sondern wurde ab und an in Mittelalterlagern gelebt. Hier mimte die Autorin, wie sollte es anders sein, eine Feldköchin. Einige ihrer gerührten Erfolge und Fehlschläge finden sich in ihren Geschichten wieder. Heute lebt die Autorin zusammen mit ihrem Mann und zwei Katzendamen im Jülicher Land.

Bei dotbooks veröffentlichte Dagmar Schnabel bereits ihren historischen Roman »Die Köchin des Tuchhändlers«.

***

eBook-Neuausgabe September 2020

Dieses Buch erschien bereits unter dem Titel »Die Herrin des Rings« 2007 bei Aufbau und 2014 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2007 Aufbau Verlagsgruppe GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgaben 2014 und 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Nicoletta Ionesco, Morphart FCreation und eines Gemäldes von August von Siegen: »Blick auf eine Hafenstadt«

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-538-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Dagmar Schnabel

Das Geheimnis der Magd

Historischer Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Der Sommer entließ das fränkische Land nur unwillig aus seinen heißen Fängen. Die Felder waren abgeerntet, nunmehr stakten nur noch die vertrockneten Halme aus dem rissigen Boden. Es mutete an, als wolle die Dürre alles Leben vertreiben. Die Luft schien ein eigenes Gewicht zu haben und lastete schwer auf den Schultern des gebeugten Mannes. Insekten schwirrten umher und untermalten die heranziehende Nacht mit der ihr eigenen, sirrenden Musik, als sei alles Leben heiter und erquicklich, diene nicht nur dem Zwecke der Natur, sondern dem Vergnügen.

Er wusste es besser.

Das Leben war von Gott geschenkt, und dem Menschen ward die Aufgabe zuteil, das Beste daraus zu machen. Geringe Geister waren damit zufrieden, Gottes einfachen Geboten Folge zu leisten. Sie säten, sie ernteten, sie vermehrten sich. Und manche von ihnen wählten das Kreuz. So wie er.

Er seufzte und rieb sich müde über die Stirn. Vor drei Wochen waren sie ohne Ziel von Frankfurt am Main aufgebrochen. Es waren nicht die dunklen Wälder, die schlechten Straßen und die Furcht vor Straßenräuber, die ihm zusetzten. Es war die unstillbare Trauer des Kaisers um seine verstorbene Frau. Eine Mutter konnte nicht annähernd so viel Schmerz um ihr verlorenes Kind empfinden wie der Kaiser in der Trauer um seine Gemahlin. Elf Jahre waren sie in der Ehe verbunden gewesen, doch der Kaiser verzehrte sich auch noch über ihren Tod hinaus nach ihr.

Er, Bischof Turpin, hingegen hatte sie nie recht leiden mögen. Die Kaiserin war selbstsüchtig gewesen, ihr Verhalten bisweilen erbarmungslos und erniedrigend.

Am zehnten August hatte sie ihren letzten Atemzug getan, und am dritten Tage nach ihrem Ableben hatte sich dieser groteske Tross in Bewegung gesetzt. Einhundertachtzig Berittene, der gesamte Hofstaat, ferner zweihundert Söldner.

Und in der Mitte der Schar der Sarg.

Der Bischof beugte sich vor, tauchte eine Hand in das kühle Nass des Pferdetroges und ließ das Wasser durch seine Finger rinnen. Genau so rann die Zeit davon, flüchtig, nicht aufzuhalten und nicht durch Willen zu ändern. Eine Tote drei Wochen lang bei sengender Hitze in einem Fuhrwerk durch die Lande zu karren war töricht, eine Narretei.

Dem unerträglichen Gestank, den Fliegenschwärmen und den austretenden, ekelerregenden Flüssigkeiten schenkte der Kaiser keine Aufmerksamkeit. Zugegeben, der Verfall der Toten schritt nach der Erfahrung des Klerikers seltsam verlangsamt voran, aber das Fleisch verging dennoch.

Der Herrscher war fest entschlossen, seiner Gemahlin den schönsten Begräbnisort zu suchen, den es in seinem Reich gab. Als sein Untertan hatte Turpin den Kaiser beschworen, als Bischof in Gottes Namen vergebens mit dem Fegefeuer gedroht und als Freund den Freund gebeten, von diesem Irrsinn abzulassen – aber vergebens.

Begga, die kleine Hure, hatte es ganz richtig beschrieben: »Er ist ihr über den Tod hinaus hörig.«

»Das ist Hexenwerk. Wie macht sie das nur?«, hatte Turpin gefragt, und Begga hatte ihn nachdenklich angeschaut, ehe sie schamlos den Rock hob.

»Es ist der Ring, sagen die Leute«, erklärte sie leise, und dann sorgte sie dafür, dass er für eine ganze Weile seine Sorgen vergaß. Nach der Befriedigung seiner Lust waren sie in das Lager zurückgekehrt.

Der Bischof hatte Begga bezahlt, sie davongeschickt, und nun stand er wieder unter sternenklarem Himmel, mit dem Rücken zur Ruine, an der sie für zwei Tage rasten wollten. Die Männer, am Tage gehorsame Soldaten, fürchteten die Tote bei Nacht. Einzig der Respekt vor ihrem Kaiser hielt sie davon ab, Schwert und Schild abzuwerfen und ihr Heil in der Flucht zu suchen. Mit jedem weiteren Tag dieser aberwitzigen Reise schlugen die Truppen das Lager in immer weiterer Entfernung des Sarges auf. Der Bischof hatte ein gestandenes Mannsbild heimlich den Kameraden zuraunen gehört, dass er die Wölfe und Bären, selbst Waldgeister und Dämonen dem Geist der Kaiserin vorzöge. Mit dieser Meinung war er nicht allein.

Noch bevor die Sonne aufgehen würde, würde der Bischof dem unheimlichen Kult ein Ende gesetzt haben. Mit zitternden Händen hob er das silberne Kreuz an seine Lippen, küsste es und sprach ein inbrünstiges Gebet.

Dann, die Augen fest auf sein Ziel gerichtet, setzte er sich in Bewegung.

Kapitel 2

Alina schirmte ihre Augen mit einer Hand ab und blinzelte in die tiefstehende Sonne, die hinter den Tannenwipfeln versank. Die Tage wurden merklich kühler. Die ersten leichten Nachtfröste hatten bereits eingesetzt, doch noch immer war die ganze Ernte nicht eingebracht. Zu viert war es unendlich viel Arbeit, den ganzen Hof zu führen.

Zwei Reihen noch, dann wäre das Tagewerk bewältigt. Urte, die ältere Dienstmagd, arbeitete unverdrossen. Langsam zwar, aber mit beständigem Tempo hebelte sie die Rüben aus der Erde, reinigte sie grob und warf sie auf den kleinen Karren.

»Hoffentlich hat Ilse etwas Gutes für uns zubereitet. Wenn ich schon wie ein Pferd arbeite, dann hätte ich gerne eine ebenso üppig bemessene Portion!« Urte schnaufte.

Alina nickte ihr zu. »Vor allem plagt mich der Durst. Doch jetzt lohnt es sich nicht mehr, eine Rast einzulegen. Sehen wir zu, dass wir fertig werden. Was meinst du, wie viel Zeit bleibt uns noch, um die Ernte einzuholen?«

»Eine Woche, höchstens zwei.« Urte richtete sich auf und zitierte aus ihrem schier unerschöpflichen Vorrat an Bauernregeln für jede Gelegenheit: »Ist Sankt Lukas mild und warm, kommt ein Winter, dass Gott erbarm. Du wirst sehen, dass ich recht behalte. Zu Martini werden unsere Gänse auf Eis treten.«

»Das sind üble Aussichten, Urte. Manchmal kann ich mich nicht des Gefühls erwehren, dass du mit deinen Vordeutungen das Wetter erst herbeiredest.«

Urte wischte sich die Stirn und brummelte: »Das Wetter macht der Herrgott schon ganz alleine und wie es ihm beliebt. Die hohe Frau hätte vielleicht ein bisschen mehr Nachsehen, wenn sie sich so wie wir plagen müsste, um ihre Speisekammer zu füllen.«

Das war ein wenig frevlerisch, aber ganz unrecht hatte Urte damit nicht. Anderswo mochte das Bauernleben einfacher sein, dort, wo es guten Boden und lockere Erde gab. Hier war dies nicht der Fall. Die Scholle ernährte ihre Bestellerinnen, aber die Erde war von Steinen und Wurzeln durchsetzt, kaum mehr als umgepflügte Viehweiden, die Alinas Vorfahren dem Hutewald abgerungen hatten.

Doch hatte die Nähe zum Wald zweifelsfrei Vorteile, nur dass diese gerade nicht hervorstachen. Die gesammelten Eicheln halfen, die Schweine über den Winter zu bringen, die Pilze waren köstlich, und Ilse behauptete ehern, dass es keine Wilderei sei, einem Kaninchen, das sich zuvor im Gemüsegarten gütlich getan hatte, das Fell über die Ohren zu ziehen.

Bei den letzten Rüben kam es Alina vor, als hielten sie sich besonders stark im kargen Erdboden fest. Gewiss unterstellte sie den Gewächsen eine Bosheit, die von ihrer eigenen Müdigkeit herrührte. Endlich polterte die letzte Runkel auf den Karren. Die Sonne war mittlerweile verschwunden, und der Himmel zeigte eine atemberaubende Färbung.

»Ach, Urte, wenn es erst kalt und dunkel wird, dann werden wir uns gerne an Abende wie diesen erinnern.«

»An was? An die Mühe, den Schweiß, den Durst? Wenn du so redest, hast du noch nicht genug gearbeitet. Hilf mir, die Rüben zu entladen, dann scheuche die Hühner in den Verschlag ...«

»... sammle das Werkzeug ein, sieh nach den Schweinen, dem Esel und dem Federvieh. Wenn du schon am Stall bist, kannst du auch gleich einen Korb voller Holzscheite mitbringen und einen Bottich Wasser heraufkurbeln. Achte darauf, mit einem Stöckchen den Lehm von den Schuhen abzukratzen, denn am Brunnen ist der Boden immer feucht ...«, vollendete Alina und versuchte, ihr ernstes Gesicht zu wahren. Sie nahm einen Gurt auf, legte ihn über ihre Schulter und reichte Urte den zweiten. Gemeinschaftlich zogen sie den beladenen Lastkarren über den holprigen Boden.

Im Kopf der Magd arbeitete es, aber Urte sprach erst, als sie das Haupthaus und die Nebengebäude erreichten.

»Sag mal, machst du dich über mich lustig?«, empörte sich Urte.

Alina schmunzelte. »Beinahe auf den Tag lebe ich nun zehn Jahre auf diesem Hof. Genügend Zeit, um mir deine Litanei einzuprägen.«

»Das heißt wohl, dass mir seit zehn Jahren dieselben Worte über die Lippen kommen.« Urte schob ihr Kopftuch von der Stirn bis weit in den Nacken, ließ sich auf den Hauklotz sinken und musterte Alina von oben bis unten. »Zehn Jahre, hm? Klein bist du immer noch und dünn auch, aber deine Haare sind viel dunkler geworden. Als Kind warst du ein Blondschopf. Und hast hier immer noch keinen Mann gesehen, der dein Bräutigam werden könnte.«

»Ach, Urte. Irgendwann wird mich mal jemand zur Frau nehmen.«

»Irgendwer! Mädchen, wach auf! Du lebst nicht in einer romantischen Geschichte, wie dein Vater sie zu erzählen wusste. Du bist keine Prinzessin und solltest gründlich überdenken, ob du mit irgendwem zufrieden wärest. Und irgendwann, wann soll das sein? Du bist achtzehn. Andere in deinem Alter führen längst einen eigenen Hausstand, haben Mann und Kinder. Wer soll den Hof später einmal führen? Du bist dem Andenken deines Onkels etwas schuldig. Immerhin hat Werner sich für Hof und Stellung krummgelegt. Und mehr noch!«

Das war der einleitende Satz zu einer oft erzählten Anekdote aus der Vergangenheit. Diese hatte Alina zunächst fasziniert, doch mittlerweile rief sie, durch ständiges Wiederholen ihrer Spannung beraubt, bei ihr nur noch Ungeduld hervor. Einzig der Respekt vor Urte ließ sie bleiben und Aufmerksamkeit heucheln. Ein heimliches Augenrollen konnte sie sich jedoch nicht verkneifen.

Ihr Onkel Werner, einst ein höriger Bauer, hatte sich vor vielen Jahren durch kluge Entscheidungen, Fleiß und die Gabe, Frieden stiften zu können, das Wohlwollen des Grundherrn erarbeitet. Nach reiflicher Überlegung befürwortete der Grundherr, dass sein Leibeigener und dessen Nachfahren von nun an freie Menschen waren.

»Deinem Onkel aber kam es gerade recht. Der Hof warf genügend ab, vom Grundherrn wurde Werner nun als Pächter geachtet, und in seinen jungen Jahren hatte er es schon weitergebracht, als kaum jemand zu hoffen wagt, der in diesen Stand hineingeboren wurde. Aber dein Onkel hatte ja auch einen guten Antrieb.«

»Ich weiß. Bei einem dörflichen Tanzvergnügen hatte er Tante Adelgunde gesehen, die ihm außerordentlich gefiel. Er zog heimlich Erkundigungen ein, erfuhr Tante Adelgundes Namen und dass sie die Tochter eines reichen Handwerkers war. Als Unfreier hätte Werner es nie gewagt, die schöne Frau anzureden, doch als Hufenpächter waren seine Erfolgsaussichten ein wenig größer. Er fand heraus, dass sie eine leidenschaftliche Köchin war, und statt auf herkömmliche Weise um sie zu werben und Blumen zu pflücken oder verliebte Verse darzubringen, sammelte mein Onkel Kräuter, bündelte sie und packte einen fetten, gerupften Hahn dazu. Und so gewann er Tante Adelgundes Herz«, beschleunigte Alina die Ausführungen.

Urte schnappte nach Luft. »Also, man könnte meinen, du wärst selbst zugegen gewesen, dabei hast du nicht einmal in den Wickeltüchern gelegen. Ach, wenn der Herr doch nur zurückkäme. Elf Jahre ist er nun schon fort.«

Alina ließ sich auf dem Boden nieder, und ein getigerter Kater nutzte die Gelegenheit, sich zusammengerollt auf ihrem Schoß von ihr liebkosen zu lassen.

»Ich frage mich, ob ich Onkel Werner jemals kennenlernen werde. Weißt du, Urte, einerseits würde ich mich freuen, wenn er wiederkäme. Allein schon für Tante Adelgunde, denn sie vermisst Onkel Werner sehr. Jeden Abend betet sie für ihn, spricht zu ihm, aber, na ja, ich habe mich gefragt, ob er diese Treue wert ist. Falls Onkel Werner überhaupt noch lebt, so sind ihm auch andere Frauen begegnet. Vielleicht hat er eine von ihnen liebgewonnen und kommt deshalb nicht wieder. König Ludwig, der einen Kreuzzug ins Heilige Land anführte, ist bereits vor vier Jahren in seine Heimat zurückgekehrt. Niemand braucht elf Jahre bis dorthin und wieder zurück. Zum anderen: Was wäre, wenn er zurückkäme und mich fortschickte? Ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte.«

Urte schnaubte, stemmte die Hände in die Hüften und ereiferte sich: »Hörst du wohl auf! So einer ist der Herr nicht. Du solltest dafür beten, bald unter die Haube zu kommen, dann hättest du eine eigene Familie, so einfach ist das.«

»Sag, Urte, willst du mich loswerden?«

»Du sollst nur wohlüberlegt wählen, jedenfalls besser als dein Vater, der sich eine orientalische Suleika vom Gewürzmarkt mit nach Hause nahm. Du weißt schon, wie ich das meine. Hübsch war sie, das hast du von ihr, aber außerdem kränklich und überlebte die zweite Schwangerschaft nicht. Konrad hätte eine robustere Frau wählen sollen, eine, die ihm länger geblieben wäre.«

An wen Urte dabei dachte, war offensichtlich.

»Was hätte es genutzt? Diese Frau hätte ihn möglicherweise bereits vor zehn Jahren überlebt.«

Die Magd verzichtete auf eine Antwort und kniff die Lippen zusammen.

Als Urte sich zum ersten Mal so scheinbar abfällig über Alinas Mutter äußerte, hatte es einen üblen Streit zwischen Alina und ihr gegeben. Urte war eine gutherzige Frau, fleißig und ehrlich. Wahrscheinlich wäre sie auch treu gewesen, doch es gab keinen, dem sie ihr Herz schenkte, nachdem es ausgerechnet Konrad freundlich, aber bestimmt abgelehnt hatte.

Davon erfuhr Alina erst später, als sie, erfüllt von kindlichem Groll, Urte beinahe drei Dutzend Warzen an die Füße gewünscht hatte.

Der Wunsch war ihr nicht erfüllt worden, und den Streit hatte sie rasch beigelegt, auch wenn Urte ihre Anspielungen nicht immer im Zaum hielt. Das schlechte Gewissen der Magd hatte Alina schon häufiger in den Genuss eines honigsüßen Breis gebracht, weswegen sie ihr die Kränkungen gegen ihre Mutter nicht so krummnahm.

Alina hatte ohnehin keine Erinnerungen an sie.

»Ilse winkt uns, wir sollten uns beeilen.«

Der Kater reckte sich und stakste davon, und Alina begann ihren abendlichen Rundgang. Sie mochte die späte Zeit des Tages, an dem die meiste Arbeit getan war.

Das kleine Anwesen lag auf einer Lichtung, das Auge konnte deshalb nur bis zu den dichten Wäldern schweifen. Unweit des Hofes verlief die Krönungsstraße, die das östliche Köln über Aachen und Lüttich mit dem westlich gelegenen Brüssel und noch viel weiter darüber hinaus Flandern mit Oberitalien verband.

Unmittelbar an der Straße befand sich die Herberge Zum schwarzen Kapaun, in der es hin und wieder hoch herging. Der Wirt verwies ab und an reisende Frauen, die Gefahr liefen, unter den Trossfahrern Begierden auszulösen, an den Hufenhof. Tante Adelgunde vermietete eine kleine Stube. Mit den Frauen kamen nicht nur ein Zubrot, sondern auch Neuigkeiten ins Haus. Zu Alinas Unmut war die Kammer jetzt beinahe einen ganzen Monat lang leer geblieben.

Sie liebte die Berichte aus fernen Ländern, lauschte versessen auf Abenteuer und wünschte sich voller Fernweh selbst an die Stelle der Reisenden. Tante Adelgunde brachte nur bedingt Verständnis für Alinas Seufzen auf und erinnerte Alina hin und wieder daran, dass sie Glück habe, in einer Zeit wie dieser zu leben. Wenn nur alles so bliebe wie in den vergangenen Jahren, in denen es hierzulande keine großen Hungersnöte, Epidemien und alles verwüstende Kriege zu beklagen gegeben hatte! Das Jahr 1258 war alles in allem eines der guten!

Urte stapfte von dannen. Alina verweilte, ein wenig länger als nötig, bei den Tieren, denn sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sie besser gediehen, wenn man ihnen freundlich zuredete. Außerdem gaben sie keine Widerworte. Der Esel drehte erwartungsvoll seine langen Ohren zu Alina und wurde nicht enttäuscht. Doch klang sie trauriger als sonst, als sie sich zu ihm lehnte.

»Ach, Eselchen. Heute in aller Frühe war der Nachbar hier und brachte eine Nachricht, die uns Sorgen bereitet. Der alte Grundherr leidet unter einer zehrenden Krankheit, die ihn dahinraffen wird. Dann wird ein anderer Herr das Sagen haben, einer aus dem Geschlecht der Merode. Na, es ist zu früh, um zu jammern, aber das ist ja nicht die einzige Sorge. Die Zeit und die Holzwürmer zersetzen viele wichtige Dinge. Tisch und Stühle sind bald nur noch als Feuerholz gut, die Dächer sind in einem miesen Zustand, und die Bodendielen halten auch nicht mehr ewig. Wir bräuchten dringend ein paar Münzen, um vor dem Winter einige Tagelöhner in Dienst zu stellen, die uns bei den schwersten Reparaturarbeiten helfen. Aber woher nehmen ...«

Das Grautier stupste Alina mit samtener Nase und sah sie mit klugen Augen an. Alina griff in den Halsausschnitt ihres Kleides und beförderte ein abgewetztes Band zutage, an dem ein goldener Ring schwang, der weder zu ihr noch zu der kargen Umgebung passte. Sie legte ihn auf ihre Handfläche, doch bevor der neugierige Esel daran schnuppern konnte, schloss sie die Hand zur Faust.

»Es ist noch zu früh, den Ring in Erwägung zu ziehen. Solange wir unser Dasein aus eigener Kraft erhalten können, werde ich ihn nicht verkaufen. Es ist das einzige Erinnerungsstück, das ich von meinem Vater habe. Ich kann mir vorstellen, dass er es guthieße, wenn ich den Ring als Brautschatz mit in die Ehe nähme. Du wirst es nicht verstehen können, aber ich bin der Meinung, es würde mir Unglück bringen, den Ring vor meiner Heirat herzuzeigen. Falls ich überhaupt jemals heirate, denn sieh, was der Ehestand Tante Adelgunde einbrachte: einen abwesenden Ehemann und schrullige Mägde. Die polternde Urte, die bucklige Ilse und mich als arme Verwandte obendrein. Wir sind schon ein seltsames Quartett. Hm, das interessiert dich überhaupt nicht?«

Im Hühnerstall herrschte schon Ruhe, als Alina den Korb voller Spaltholz packte. In der einen Hand den Korb, in der anderen den Bottich, stapfte sie in die Wohnküche und fand den Tisch bereits gedeckt vor.

Die krumme Magd Ilse hatte das restliche Brot in vier gleich große Stücke geschnitten, und es stand einer jeden frei, sich an dem Steinguttöpfchen voller Griebenschmalz zu bedienen. Dazu gab es für jede einen Apfel und frisches Wasser, soviel sie wollten. Die Gesichter am Vespertisch waren ernst, und Tante Adelgunde, die normalerweise mit jedem Mitglied des Haushalts einige unterhaltsame Sätze wechselte, sprach ein ungewöhnlich langes Tischgebet, in das sie die Bitte um Gesundheit des Grundherrn mehrfach einschloss. Nach dem Essen vergab sie die Arbeiten für den folgenden Tag.

»Ilse, sieh morgen vor der Hausarbeit nach dem zweiten Vorratsloch. Überprüfe, ob die Seitenwände und der Deckel noch stabil sind. Sind sie es nicht, dann verschaffe diesem Ungemach Abhilfe. Urte und Alina, ihr treibt die Schweine in den Wald und sammelt Holz, soviel ihr herbeischaffen könnt. Ich werde den Kapaunwirt aufsuchen und zusehen, ob ich von einem Fahrensmann Salz einhandeln kann. Wenn es mir gelingt, werden wir morgen fischen gehen.«

»Ich bin gut zu Fuß, liebe Tante. Soll ich nicht an deiner Statt zur Herberge laufen?«, fragte Alina.

Adelgunde lächelte dankbar, schüttelte aber den Kopf. »Freundlich, dass du es anbietest, aber du hilfst uns mehr, wenn du handelst, wie ich es dir auftrug. Wer weiß, wer sich im Gasthaus herumtreibt. Nach mir alten Frau wird keiner die Finger ausstrecken.«

»Tante, das ist doch nur ein Gasthaus, kein Sündenpfuhl, schon gar nicht morgens. Außerdem würde Hergen nicht zulassen, dass mir jemand dumm kommt.«

Überdies war Alina überzeugt, Flegel selbst in die Schranken verweisen zu können. Doch dieses Argument würde Tante Adelgunde niemals gelten lassen.

»Herrin, verzeih, wenn ich mich einmische. Du behütest Alina über das vernünftige Maß.« Urte setzte sich für Alina ein und erntete dafür einen dankbaren Blick. Das über viele Jahre gewachsene Verhältnis zwischen Herrin und Magd erlaubte Urte in Ausnahmefällen solch offene Worte, ohne dass sie eine ernsthafte Konsequenz zu fürchten hatte. »Sie muss den Umgang mit ... Män... Menschen lernen, sonst fällt sie auf den Erstbesten herein. Das Gasthaus bietet unverfängliche Unterhaltung.«

Adelgunde warf einen Seitenblick auf Alina, schüttelte aber den Kopf. »Unverfänglich? Wohl kaum. Um andere Menschen kennenzulernen, ist immer noch im Frühjahr Zeit. Jetzt haben wir andere Bürden. Ich gehe nicht nur, um Salz zu kaufen, wie du weißt, Urte. Vielleicht hat jemand Kunde von Werner. Auch wenn du mich heimlich auslachst, werde ich nicht aufgeben, nach ihm zu fragen. Und vielleicht hat Hergen Neuigkeiten über den Zustand des Grundherrn. Du solltest aufhören, dem guten Kind aufmüpfige Gedanken einzupflanzen. Alina, höre nicht auf Urte.«

Alina schwieg, begehrte jedoch in Gedanken auf. Schweinehüten und Holzsuchen waren entschieden langweiliger als ein Besuch der Herberge. Tante Adelgunde hatte die beste Pflicht für sich vorgesehen, würde sich anregend unterhalten können und endlich andere Gesichter sehen als die ewig vertrauten. Aber der Hufenherrin hatte man zu gehorchen, und der Respekt bestimmte ein Großteil von Alinas Erziehung.

Die Frauen gingen unmittelbar nach Sonnenuntergang zu Bett. Alina, Urte und Ilse teilten sich eine Kammerecke, die sie mit aneinandergenähten Strohsäcken ausgelegt hatten. Tante Adelgunde verfügte als Hausherrin über ein eigenes Bett, in welchem sie aber nur im Sommer ruhte. Ab dem ersten Herbstfrost würde sie vernünftigerweise die Wärme der anderen Frauen suchen.

Alina, noch nicht ganz so erschöpft wie ihre Mitstreiterinnen, wartete, bis die Atemzüge der anderen zu einem jeweils gleichmäßigen Rhythmus fanden, und rückte ein wenig von den Frauen ab. Sie drehte sich auf den Bauch, das Kinn auf ihre verschränkten Arme gelegt, und dachte nach.

Nicht zum ersten Mal hatte sich Urte über einen Ehemann für Alina geäußert. Seit sie wusste, dass Alina die Tochter Konrads war, fühlte sich die rundliche Magd ab und an dazu berufen, in Alina ihr nie geborenes Kind zu sehen, und überhäufte sie mit wohlgemeinten Muttergefühlen. Manchmal war es Alina zuviel.

Tante Adelgunde, eine friedliebende Frau von meist besonnenem Wesen, sah das gar nicht gerne. Zeitweilig herrschte sogar eine ernsthafte, unangenehme Konkurrenz zwischen den beiden ungewollt kinderlos gebliebenen Frauen und brachte Alina in die unangenehme Situation, jedes Wort abwägen zu müssen. Keine gute Aussicht für den Spätherbst, dem ein langer Winter folgen würde, der die Frauen an das Herdfeuer bannte. Die Scherereien waren jetzt schon abzusehen.

Alina warf sich herum und fand keinen Schlaf. Von ganzem Herzen wünschte sie sich Abwechslung. Etwas hatte ihre Unruhe geweckt, ließ sie mit unstillbarer Sehnsucht an die Zeit denken, als sie erst acht Jahre alt gewesen war.

Als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug, waren ihre kühnen Wünsche dem Alltag gewichen. Über Nacht war der Herbst übers Land gezogen, hatte eine feine Frostschicht über den Boden gelegt und den vormals sattgrünen Blättern ihre Kraft entzogen. Ein Becher heiße Milch, mit wenig Honig gewürzt, ersetzte den Hufenfrauen das Frühmahl. Wie es jeder gute Christenmensch tat, fasteten sie freitags. In der Frühe wurden die Arbeiten meist schweigend erledigt. Alina legte sich ein Tuch über die Schultern und griff ebenso wie Urte zu einem Stecken. Sie nickten Ilse zum Abschied zu und machten sich auf den Weg über die reifbelegte Wiese, hielten am Stall, um sich die korbgeflochtenen Kiepen auf den Rücken zu hieven und die Schweine aus dem Koben zu lassen.

Noch bevor sie den Wald erreichten, war Urtes Nase rot gefroren. Sie streifte die Riemen ab und lehnte den Tragkorb gegen einen Baum. Anders als Alina bückte sie sich jedoch nicht sonderlich emsig, um die Waldfrüchte aufzusammeln. Das konnten die Schweine selbst machen.

»Sie will es nicht einsehen! Deine Tante hüllt dich in zarte Wolle, damit das Leben keine Delle in dein Dasein schlägt. Gewiss, weil du nun die einzige Blutsverwandte bist. Aber das ist gar nicht gut. Für eine adlige Jungfer wäre so eine Schonerei gerade recht, doch für eine Jungbäuerin aus dem Mittelstand ist derlei Gezier unnatürlich.«

Alina mochte Urtes Aufregung nicht laut teilen, weil ihr die Schwätzerei wie ein Verrat an Tante Adelgunde erschien. Nur im Stillen pflichtete sie der Magd bei.

»Ich habe gar nicht mitbekommen, wann sich Tante Adelgunde auf den Weg machte«, sagte sie stattdessen.

Urte rieb sich die kalte Nase. »Früher, als der liebe Gott aufsteht. Höchstwahrscheinlich wird sie wieder den Juffern etwas in die Schalen legen.«

»Urte, ich habe mich noch nie getraut, Tante Adelgunde danach zu fragen, weil sie doch die Kirchengesetze gewissenhaft befolgt. Kannst du mir sagen, was es mit den Jungfern auf sich hat?«

»Kind, du hast wirklich wenig Ahnung von den beachtenswerten Dingen! Tatsachen ändern sich nun mal nicht, nur weil man sie verschweigt, das sollte deine Tante wissen. Also: Unsere Juffern, die Jungfern, sind den Menschen erschienen, nachdem ungestüme Christen die alten Matronenaltäre zerstört hatten, weil sie diese für heidnisch und somit gefährlich hielten. Man sagt, die Juffern verkörpern die verstümmelten Göttinnen, was sogar stimmen könnte. Leute, die sie sahen, beschreiben die Jungfern als Lichtgestalten, hoheitsvoll schreitend und feenhaft. Sie durchstreifen segnend ihre Schutzgebiete, und bisweilen trösten sie Trauernde. Wieder andere, denen man besonders übel mitspielte, gehen kopflos umher. Man darf sie unter keinen Umständen ansprechen, denn sonst ist man des Todes. Egal, ob die Juffern Gutes oder Schlechtes bewirken, sie haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind stumm, nimmer kommt ein Wort über ihre Lippen. Nie ein Schrei, nie ein Wispern. Hüte dich vor ihnen.«

In dem von Nebel umwobenen Wald gewann Urtes Wiedergabe der Legende an schauriger Glaubhaftigkeit. Alina trat unbewusst einen Schritt zurück, und ein trockener Ast barst mit einem lauten Knacks unter ihrem Fuß.

Ein Jungschwein stob vor Schreck quiekend unter einem Gebüsch davon, und Alina setzte ihm sofort mit geschürztem Rock nach. Der rosige Ringelschwanz blitzte zwischen den Bäumen auf, da das Schwein ein rasantes Tempo vorlegte.

Äste verfingen sich in Alinas Haar, eine Brombeerranke langte nach ihrem Bein und wurde zur Stolperfalle. Das nasse Laub dämpfte Alinas Fall, dennoch durchzuckte ein stechender Schmerz ihr Knie. Alina entfuhr ein leiser Schrei. Das Tier blieb stehen und betrachtete sie munter.

»Wenn du am Spieß des Grundherrn steckst, dann werde ich noch einen Armvoll Scheite beisteuern, nur um dich und deine Schwarte rösten zu wissen!«, drohte Alina dem Tier. Verflixt, das Knie tat höllisch weh.

Gerade als sich Alina aufgerappelt und sich notdürftig von Schmutz befreit hatte, krachte ein weiterer Ast. Dem Geräusch nach zu urteilen, war es kein zartes Reh, das sich den Weg durchs Grünzeug bahnte, sondern etwas Größeres.

Eine Rotte Wildschweine?

Oder gar ein unberechenbarer Keiler! Kampfeslustige Einzelgänger hatten schon einigen Menschen den Tod gebracht.

Alina ließ das Ferkel Ferkel sein und sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Vor sich sah sie einen tiefhängenden Ast, dahinter einen Saumpfad ohne Ranken Linker Hand einen Ilexstrauch. Rechts üppige Farne, die vor einem tobsüchtigen Eber kein Entkommen boten.

Wohin nur? Alinas Herz raste. In Erwartung des Schlimmsten hielt sie den Stecken fest umklammert, bereit, mit der Spitze zuzustoßen, und stellte sich der Geräuschquelle entgegen, entschlossen, ihr Leben so heftig wie möglich zu verteidigen.

»Hilfe! Im Namen der huldreichen Mutter Maria, ist denn da niemand, der mir zu Hilfe eilen kann? Ich sterbe! Habt Erbarmen, habt ein Herz, helft, ehe ich meinen letzten Odem aushauche ...«

Alina ließ den Stock sinken und lauschte. Die Stimme klang jämmerlich, weiblich und siechend. Ausgerechnet jetzt fiel Alina die eben gehörte Legende ein. Einige Juffern brachten den Tod, aber sie blieben stumm! Wer oder was dort immer auch rief, eine der schicksalsbringenden Jungfern war es jedenfalls nicht!

Alina sprang an dem Schwein vorbei, auf die Stimme zu, und duckte sich unter dem Ast hinweg. Unweit, auf dem Boden des Pfades vor ihr, kauerte eine junge Frau, beinahe ein Mädchen noch, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ihre weit aufgerissenen Augen beherrschten das herzförmige Gesicht. Die blassen Lippen zitterten, ein Arm umfing den gekrümmten Leib, die andere Hand hatte sie in den Erdboden gekrallt. Ihr Atem ging stoßweise.

Alina lief an die Seite der Fremden, ließ sich neben sie sinken und stützte die Unglückliche, indem sie ihr einen Arm um die Schultern legte. Dann redete sie ihr beruhigend zu.

»Schon gut, nicht erschrecken! Hab keine Angst, du bist nicht mehr allein. Wie kann ich dir helfen?«

»Ich habe aber Angst!«, schrie die junge Frau gepeinigt.

»Ich bin bei dir! Sehen wir erst mal zu, dass wir dich ins Warme bringen.«

Das Gesicht des Mädchens war blutleer, ihr Rocksaum dagegen blutdurchtränkt. Ihre Haare, beinahe hüftlang und weizenblond, hingen in verwahrlosten Strähnen über die Schultern, und ihr Umhang war schmutzig. Sie klammerte sich so stark an Alina, dass dieser beinahe der Atem fortblieb. Glücklicherweise stieß nun auch Urte zu ihnen.

»Sie ist in anderen Umständen. Grundgütige Barbara! Was hat sie hier in den Wäldern zu suchen?«, rief die Magd.

»Das können wir sie später fragen«, entgegnete Alina. »Nun braucht sie unsere Hilfe. Ich glaube, das Kind kann jeden Moment kommen.«

Kapitel 3

Die bucklige Ilse half das kraftlose Geschöpf auf einen Stuhl zu manövrieren. Die Schwangere stöhnte steinerweichend. Sie zerrte, kaum bei Sinnen, mit zittrigen Fingern an ihrem schmuddeligen Umhang, als wolle sie ihn in Stücke reißen.

Tante Adelgunde war noch nicht zurückgekehrt, daher erteilte Alina den umherhuschenden Mägden Anordnungen. Ausgerechnet die sonst so selbstsichere Urte ähnelte nun einem fahrigen Huhn.

»Urte, du richtest flink das Gästezimmer zum Gebärraum: Wir brauchen Tücher, einen leeren Bottich sowie Wasser. Streue den Boden mit Stroh aus und entzünde reichlich Kerzen. Ilse, wenn sich etwas Schmerzlinderndes in deinem Kräutervorrat befindet, hole es her.«

»Der Würzwein sollte helfen, wenn ich noch einige Stücke der Petersilienwurzel zugebe und mit aufkoche. Ich werde Heu wärmen. Das, auf den Bauch gelegt, sollte ihre Krämpfe eindämmen.«

»Wenn Urte drüben alles soweit hergerichtet hat, helfen wir der werdenden Mutter hinüber.«

Alina machte sich mit fliegenden Fingern an der Gewandung zu schaffen, eine Tortur, die sie ohne Hilfe der Niederkommenden bewältigen musste. Sie schälte das Mädchen aus dem Umhang, entkleidete Füße und Beine und löste dann die Schnürung des Gewandes. Ilse schnalzte leise, als Alina ihr das Kleid reichte. Unter dem fleckigen Umhang war ein Kleid zum Vorschein gekommen, das zwar nicht sauber, aber von erkennbar guter Qualität und mit Silberfäden bestickt war. Zu einer Wallfahrerin passte es nicht, ja nicht einmal eine wohlhabende Kaufmannsgattin ging so gewandet auf einen Ausmarsch. Der Würzwein dampfte, und Ilse reichte auch Alina einen halben Becher der duftenden Flüssigkeit.

»Trink, der Wein beruhigt die Nerven.«

Urte hatte Sorgfalt walten lassen und auch eine Decke herbeigeholt, doch als die Schwangere ernstlich schnaufte, verabschiedete sich Urte fluchtartig, um die Schweine einzufangen.

Allmählich zeigten Ilses Trank und der Umschlag mit dem Heu Wirkung. Das schmerzliche Krümmen des Mädchens ließ nach. Alina massierte ihm Hände und Füße und tupfte die Stirn mit einem Leinentuch ab.

»Fühlst du dich besser?«

»Ich weiß es nicht. Ich ...« Das Mädchen leckte über die rissigen Lippen, »Ich werde sterben. Das Kind will nicht kommen, und ich bin am Ende meiner Kräfte. Sag, so ist es? Das ist die Evasstrafe, nicht wahr? Sie trifft die Frauen.«

»Du musst neue Kräfte sammeln. Wie heißt du?«

»Margarete.«

»Ich bin Alina. Du musst tapfer sein und an etwas Gutes denken. Ein inniges Gespräch zur Heiligen Mutter Maria würde sicherlich nicht schaden.«

»Mir tut alles weh!«

»Wenn du dein Kind erst in den Armen hältst, ist das alles hier vergessen.«

»Was weißt du schon! Ich weiß nicht, was ich anfangen soll. Diese Marter ist so sinnlos, ich will das Ding nicht. Lieber will ich sterben.« Ein trockenes Schluchzen schüttelte das Mädchen.

Alina fühlte eine Hand auf ihrer Schulter.

»Sei still, es ist nicht richtig, was du sagst, du törichtes Ding. Es geht immer weiter, nur darfst du dich nicht gehen lassen und den Glauben verlieren«, sagte Adelgunde ruhig und bestimmt.

Alina wusste nicht, wie lange ihre Tante schon an der Tür gestanden und zugehört hatte. Margarete hielt nun die Augen geschlossen, ihr umfangreicher Leib gönnte ihr einige Atemzüge lang Ruhe. Das blonde Haar war nass vor Schweiß und umrahmte ihr ausgezehrtes Gesicht. Sie war beklemmend mager, das Kind hatte ihr viel genommen.

Adelgunde bat Alina vor die Tür und ließ sich die Umstände der Auffindung mit knappen Sätzen erzählen. Die Ältere rieb sich die Schläfen und betrachtete Alinas Vorkehrungen.

»Ilse sagte mir, dass du klug vorgegangen bist. Weißt du, was zu tun ist?«

»Nicht genau. Aber ich vermute, dass die Geburt eines Menschen ähnlich der eines Tieres ist. Wir werden das schon schaffen, Ilse ist nicht unwissend im Kinderholen. Aber was ist mit dir, Tante? Du siehst müde und elend aus. Was ist passiert?«

Adelgunde bekreuzigte sich. »Unser großherziger Grundherr ist von uns gegangen. Gott sei seiner Seele gnädig.«

Ilse kannte die traurige Neuigkeit bereits. Sie sah angegriffen aus. Ein passendes Thema für ein Gespräch an einem Gebärbett war der Tod wohl nicht.

Urte schaute kurz herein, doch als sie Margaretes Stöhnen hörte, erklärte sie hastig, dass sie sich um die Tiere kümmern und die Ställe ausmisten wolle.

Die Zeit verging zäh. Der trübe Tag endete, der Abend brach heran, dann wurde es Nacht. Die Luft in dem Zimmer wurde stickig, die heruntergebrannten Kerzen durch neue ersetzt. Adelgunde schickte Alina vor die Tür. Die kühle Luft war Balsam für Leib und Seele.

Alina löste, nachdem sie sich ausgeruht hatte, Ilse bei der Wache an dem Wochenbett aus, die sich dann in der Küche zu schaffen machte.

Zwischen den Wehen dämmerte Margarete erschöpft, erwachte dann aber unter noch stärkeren Schmerzen. Ihre Qual wollte kein Ende finden, und den Frauen kamen keine weiteren ermutigenden Worte mehr über die Lippen.

Ilse brachte Krug und Becher und antwortete leise auf Alinas stumme Frage.

»Hier, ein weiterer Kräuteraufguss, etwas Stärkeres. Wenn dies nicht wirkt, dann bin ich mit meinem Kräuterwissen am Ende.«

Adelgunde flößte Margarete den Kräutertrank ein, tupfte ihr Stirn und Lippen trocken. Der Brustkorb der Schwangeren hob sich kaum noch, die letzte Wehe schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Sie war dem Tod näher als dem Leben. Adelgunde sah von Alina zur Magd und entschied mit hörbarer Abneigung: »Wir werden den Kälberhaken holen müssen, Ilse.«

»Lass mich noch einen Bannspruch an das Kind richten, Herrin, vielleicht hört es mich ja.« Ilse putzte sich die Nase, steckte das Tuch fort und hob beschwörend Stimme und Arme. Ihr buckliger Schatten tanzte so dämonisch im Licht der flackernden Kerzen an den Wänden, dass Alina unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

»Oh, Kindlein, ob heil oder tot, komm geschwind ans Licht, denn der Herrgott sieht dich nicht! Ohne Schuld geboren, wirst nicht in der Hölle schmoren. Doch Teufels Kind, dich hol der Wind!«

Ob es an dem Trank oder an der Beschwörung lag, wusste Alina nicht zu sagen. Die Krämpfe kehrten so plötzlich zurück, wie sie verebbt waren, nur schienen sie nun die doppelte Stärke zu haben. Margarete spreizte die Beine und schrie wie ein waidwundes Tier.

Endlich, das Kind kam!

Nun erteilte Adelgunde die Anweisungen. Ilse und Urte, letztere widerstrebend, hielten Margarete die Hände, bisweilen auch die Beine. Alina handelte nach Adelgundes Befehlen. Nun fanden auch die eindringlichen Gebete bei den entsprechenden Heiligen Gehör.

Zugleich mit dem ersten Krähen des Hahnes verkündete ein kleiner Junge der Welt seine Existenz.

Ilse hieß ihn mit scheinbar unbewegter Miene willkommen, Adelgunde war hingegen tief berührt. Urte fischte in ihrem Vorrat an Bauernregeln und fand die richtigen Worte. »Der Samstag hat ein lachendes und ein weinendes Auge.«

Alina strich Margarete über die kalte, schweißüberströmte Stirn. »Das hast du gut gemacht.«

Adelgunde suchte in ihrem Bündel und holte ein Säckchen hervor. »Eine Vorsehung, dass wir das Salz haben. Nur habe ich mir das erste Fischlein, welches darin landet, ganz anders vorgestellt. Jedoch kann ich der Sitte Genüge tun und den Knaben damit abreiben, damit seine Haut gegen Kränklichkeiten gefeit ist.«

Anschließend wurde der Säugling in warmem Wasser gebadet, in Ermangelung feinen Öls mit Schmalz gesalbt und eng in Stoffstreifen gewickelt. Er weinte nicht länger, sondern schlief vor Erschöpfung ein. Die ausgezehrte Margarete wurde ebenfalls gewaschen, verbunden und sank nach einem Becher Met in tiefsten Schlaf.

Einen Namen für den Kleinen hatte sie nicht genannt.

Sie hatte ihn nicht einmal angesehen.

Ilse hatte sich längst weiteren sinnreichen Tätigkeiten hingegeben. Sie stellte Brei auf den Küchentisch, Scheiben gerösteten Brotes und dazu eine Schale voll goldgelben Honigs, der die Besonderheit dieses Tages hervorhob.

»Das erste Kindlein seit Ewigkeiten in diesem Haus!« Adelgunde freute sich sichtlich.

Urte nickte begeistert. »Wie wollen wir ihn nennen? Was haltet ihr von Norbert?«

Ilse fuhr mit blitzenden Augen herum. »Dem die giftige Spinne durch die Nase kroch, als Beweis für Gottes schützende Hand? Ich würde immerzu an diese scheußlichen Geschöpfe denken. Nein, das arme Würmchen. Mir gefällt Hadrian gut.«

Urte schüttelte sofort den Kopf. »Nein! Nach einem Heiligen, dem im Märtyrertod die Hände abgeschlagen und gar Schlimmeres angetan wurde, wird kein Kindlein benannt! Als Patenname ist Hadrian wohl kaum gedacht. Zudem beten verheiratete Kinderlose zu ihm. Eine solche Bürde gibt man keinem Kind mit ins Leben.« Die alte Magd hielt erschrocken die Hand vor ihren Mund und sah Adelgunde aus großen Augen an. »Verzeih, Herrin, es war leichtfertig von mir, so zu reden.«

»Du hast trotzdem recht, ich habe oft zu Hadrian gebetet. Und zur heiligen Felicitas.«

Alina schluckte den Rest ihres Honigbrotes hinunter und nutzte die Zeit, derweil die anderen Frauen noch kauten, um einen Vorschlag einzuwerfen. Die Gemeinschaft war nicht übermäßig fromm, aber sie kannten die biblischen Gestalten durch Alinas beliebte Erzählungen. Ihr Vater Konrad hatte sich ab und an als Reliquienhändler verdingt und kannte sich dadurch bestens in der Welt der Geweihten aus.

»Felicitas war zwar auch eine Märtyrerin, aber ihr lateinischer Name bedeutet Glück. Was haltet ihr davon, wenn wir den Knaben Felix nennen? Natürlich nur unter uns, bis Margarete einen besseren Namen bestimmt.«

»Mit diesem Namen ist wenigstens keine Qual und kein Unglück gebunden. Davon hatte der Knabe bereits genügend.« Adelgunde klopfte mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Wir sollten den Vater benachrichtigen lassen. Er wird es sicher mit Freude begrüßen, einen gesunden Nachkommen zu haben. Hat die junge Mutter verlauten lassen, wo ihre Familie zu finden ist?«

»Nein.«

»Mir hat sie auch nichts gesagt.«

»Sie hat im Traum einen Männernamen gemurmelt.«

»Sie muss aus gutem Hause stammen«, meinte Urte.

Alina war noch etwas anderes aufgefallen. »Habt ihr bemerkt, dass sie anders redet als wir?«

»Sie leiert.« Ilse nickte. »Es hört sich beinahe so an, als sänge sie die Sätze, nicht wie ein Lied, aber ich kann es nur als Singsang beschreiben.«

Alina nickte. »Genau! Ich bin ja, wie ihr wisst, in meiner Kindheit mit Vater umhergereist und weiß die fremde Mundart zuzuordnen. So reden die Leute in Aachen.«

»Gütige Mutter Maria! Aachen ist weit entfernt.«

»Nein, Urte, so weit ist es nicht. Bei gutem Wetter zwei oder drei Tagesreisen, mehr nicht.«

Urte protestierte. »Das mag für dich wenig sein, aber mit Margaretes Herumirren kannst du deine Reise nicht messen. Du hocktest auf einem Fuhrwerk und hast dich über ordentliche Straßen fahren lassen, dein Vater bewahrte dich vor Gesindel, und einen dicken Bauch musstest du auch nicht tragen.«

»Ich frage mich, weshalb Margarete alleine unterwegs war. Ob sie vom Weg abkam und fehlging? Urte, wohin hast du ihr Kleid gelegt? Ich glaube, Blut darauf gesehen zu haben. Vielleicht finden wir Spuren von einem Kampf, obgleich Margarete bis auf kleinere Blessuren heil war. Doch rechnen sollten wir mit allem. Womöglich ist ihre Zofe oder sonst jemand noch in den Wäldern und irrt dort umher.«

»Dann hätte Margarete doch aber sicherlich etwas gesagt«, meinte Ilse.

»Sie war nicht gerade eine sprudelnde Quelle, was ich ihr aber auch nicht verübeln kann. Aber vielleicht können wir selbst etwas herausfinden.«

Urte holte das Kleid, reichte es Alina, die damit ans Licht trat und es eingehend betrachtete. Es war aus einem schweren Stoff. Ihr erster Eindruck bestätigte sich: Es war befleckt, aber bis auf einige Risse unversehrt. Der Gurt war ebenfalls von schwerer Machart und gewiss wertvoll. Der Umhang hingegen war richtiggehend verdreckt, dünn gescheuert und stank erbärmlich. Sie roch daran.

»Der Umhang jedenfalls war am Feuer. Was oder wer trieb sie in die Wälder? Eine überhastete Flucht?«, fragte Alina in die Runde.

Ilse brummte. »Ach, du hast zu viele von den gruseligen Geschichten gehört. Vielleicht wollte sie ihrem Liebsten entgegeneilen. Mit dem Kind unter dem Herzen, damit kein Zweifel besteht und er es als das seine anerkennt.« Sie spähte immer wieder hinüber zu dem Weidenkorb, der Felix als vorläufige Wiege diente.

Wie zu erwarten, widersprach Urte. »Womit trotzdem nur bewiesen wäre, dass sie das Kind geboren hat, aber nicht, wer der Erzeuger ist. Na ja, der Mann wird es schon wissen.« Die alte Magd nahm kein Blatt vor den Mund und musste sich einen missbilligenden Blick Adelgundes gefallen lassen. Die Hufenherrin klatschte kurz in die Hände und wies die Mägde an, zu schweigen.

»Margarete wird uns vielleicht bald die eine oder andere Frage beantworten können, sofern wir ganz sicher sind, dass sie uns überhaupt etwas angehen. Hauptsächlich sollten wir uns jedweder Spekulationen enthalten, denn dabei kommt nur Haarsträubendes heraus. Gehen wir an unsere Arbeit. Ilse, du schaust nach dem Kind, nicht wahr?«

»Ja, Herrin.«

Margarete übernahm den Vornamen des jungen Felix, ohne abzuwarten, ob ihr Gatte diese Wahl begrüßen würde. Sie selbst war noch sehr schwach und betrachtete das Kind distanziert, obwohl der Knabe wohlgeraten war. Die Zurückhaltung war nicht unverständlich, wenn man bedachte, wie sehr sie unter der schweren Geburt gelitten hatte.

Ilse ließ sie eine Weile ruhen, weckte die junge Mutter dann und hielt ihr den Jungen zum Stillen hin. Greinend drehte sich Margarete herum, und Ilse sah mit dem Kind auf dem Arm zu Alina, die mit dem Aufstapeln des Brennholzes beschäftigt war.

»Alina, könntest du bitte einen Becher von unserem guten Met abfüllen? Der wird Margaretes Geister beleben.«

Margarete trank hastig und ohne Genuss. Der Wein zauberte ein wenig Farbe auf ihre Wangen, und sie bat um einen weiteren Trunk, den Ilse ihr jedoch verwehrte.

»Du hast ein Kind zu stillen«, erinnerte Ilse sie.

Eine ganze Woche lang erhielt die junge Mutter nicht nur üppige Portionen, sondern zu jeder Mahlzeit sogar einen Becher von dem gewürzten Wein, der das Blut mehren sollte. Fürsorglich hatte eine jede der Frauen liebe und aufmunternde Worte für das apathische Mädchen.

Besonders Urte bemühte sich um Margarete. Sie wusch ihr das lange Haar, bürstete ihr Kleid, flickte es, wo es nötig war, leerte den Nachttopf und versuchte in freundlichen Unterhaltungen mehr über die junge Frau herauszufinden.

Margarete äußerte sich vage, wenn es um ihre Herkunft und ihren Stand ging, aber sie erwähnte mit niedergeschlagenen Augen und bebenden Lippen, dass sie verheiratet sei. Und sehr unglücklich, die Ärmste. Diese einfache Erklärung entzog der Schwächlichen jede Kraft, eine weitere Erklärung hervorzubringen.

Die Hufenfrauen ließen Margarete zunächst gewähren. Dass sie eine schwere Geburt überstanden hatte, wussten sie schließlich. Ilse grollte nur leise darüber, dass Margarete beim Essen zunehmend mäkelig wurde. Der Brei schmeckte ihr nicht, vom Honig gab es zuwenig, Wurst und Käse nahm sie gern, das Brot jedoch ließ sie liegen.

Urte hatte eine Erklärung: »Sie ist halt ein Edelfräulein, und so einfache Gerichte schaden ihrem zarten Gaumen, Ilse. Einfachen Brei ist sie nicht gewohnt.«

»Unsinn, mein Brei ist gut. Sie nascht nur, weil sie ihren Leib nicht ertüchtigt«, zürnte Ilse.

Dennoch war die Käseecke auf Margaretes Brett am nächsten Tag viel dicker als die Brotscheibe darunter.

Alina beobachtete das Buhlen der Mägde um Margaretes Zuneigung. Es war befremdlich anzusehen, wie sich die beiden Frauen, die Alina nun mehr als ihr halbes Leben lang kannte, sich für die zarte Mutter aufrieben. Sicher, Margaretes seltenes Lächeln war bezaubernd, ihre dankbaren Worte von einem unwiderstehlichen Charme, und ihre zerbrechliche Anmut rührte an.

Bald scheuchte jedoch sie die beiden alten Mägde herum, ohne dass diese es so empfanden. Urte wurde sogar richtig böse, als Alina sie damit aufzog, Margarete hörig zu sein.

»Sie ist ein armes Geschöpf, und du bist bloß neidisch. Dabei bist du gesund und kräftig, kannst dich um alles selbst kümmern und solltest dem Herrgott dafür dankbar sein. Ich werde dich auch verwöhnen, wenn du irgendwann einmal eine Familie zusammenbringst.«

»Schon gut, Urte. Es war nicht so gemeint.«

Trotzdem steckte ein Körnchen Wahrheit in dem Scherz. Alina mied zunehmend Margaretes Nähe. Lieber kümmerte sie sich um Felix, wenn Ilse gerade keine Zeit für den Säugling hatte. Adelgunde blieben die Geschehnisse unter ihrem Dach weitestgehend verborgen. Der Tod des Grundherrn brachte Arbeit mit sich. Obgleich sie nun eine Bäuerin war, hatte man sich an ihre ausnehmende Bildung und Herkunft erinnert. Adelgunde begleitete einen Präfekten im Auftrag des neuen Grundherrn zu den weit versprengten Katen, half mit ihrer Anwesenheit, eine Brücke zwischen dem Präfekten und den verunsicherten Leuten zu schlagen und deren Einkommen zu ermitteln.

Der neue Grundherr ließ keine Zeit verstreichen, sich über die Vermögensverhältnisse zu informieren, kaum dass der alte Herr unter der Erde lag. Inwieweit sich sein Interesse darüber hinaus auf Land und Leute erstreckte, würde sich zeigen.

Gegen Ende der Woche geschah Urte ein kleines Unglück. Die rundliche Magd begann wie alle anderen auch beim ersten Licht mit der Verrichtung ihres Tagewerkes. Im Laufe der Zeit hatte sich Urte die Fertigkeit angeeignet, die Häute der Kaninchen zu bearbeiten. Es war eine aufwendige Arbeit, über die Herstellung einer guten Haut verging mehr als ein Jahr. Die Magd schabte und walkte sie und legte die Felle in einen Sud aus fein geschnittener Eichen- und Buchenrinde.

Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen. Das Leder war fest und strapazierfähig, was Urte am eigenen Leib zu spüren bekam, als sie sich daranmachte, aus der Haut einen Streifen herauszuschneiden, um ihn zu einem Gurt zu verarbeiten. Sie zog und schnitt, legte ihre nicht unbeträchtliche Kraft hinein, rutschte ab und verletzte sich.

Urte war nicht zimperlich, aber die Wunde war tief. Blut tröpfelte aus ihrem Finger. Am besten war es daher, die Hand in kaltes Wasser zu halten und den Daumen anschließend mit einem sauberen Stoffstreifen zu verbinden.

Das Wasser nahm sie aus dem Brunnen, den Stoffstreifen würde sie im Haus finden. Margarete könnte ihr helfen, den Finger zu verbinden, denn die anderen Frauen gingen wie üblich um diese Tageszeit außerhäuslichen Arbeiten nach. Die Wunde pochte.

Ein Glück geradewegs, dass Margarete zur Stelle war. Schade nur, wenn Urte sie wecken müsste.

Beschwingter Gesang veranlasste die Magd, im Schatten der Tür stehen zu bleiben und zu beobachten, was in der Stube vor sich ging.

Dort stand Urte immer noch wie festgewachsen, als Alina einen Korb voller Pilze in die Stube tragen wollte.

»Urte? Was ist ...«

Die Magd zuckte zusammen, legte rasch einen Finger über den Mund und zog Alina an ihre Seite. »Ich kann nicht glauben, was ich sehe«, wisperte sie rau. Ihre Augen folgten einem feenhaften Wesen, das sich offenkundig besten Wohlbefindens erfreute.

Margarete, die sich völlig unbeobachtet fühlte, öffnete im Stubenboden die Luke zum Vorratskeller und schöpfte einen Becher von dem teuren Wein, der eigens dazu vorgesehen war, den Festtagen einen besonderen Glanz zu verleihen. Sie trank hastig, füllte den Becher erneut und schloss die Klappe. Barfuß und im Hemd tänzelte sie dann um den Tisch herum und befingerte die persönlichen Dinge der Frauen. Für die Spinnarbeiten der alten Ilse hatte sie nur ein hämisches Grinsen, Alinas Schulterfell packte sie mit spitzen Fingern an, als enthielte es ganze Ungeziefervölker, und schließlich wischte sie sich die Hände an Urtes Stickwerk ab.

Die Kiefer der alten Magd mahlten, doch sie regte sich nicht.

Margarete wandte sich der heiligen Barbara zu. Die verehrte Schutzheilige der Bauern stand auf einem Sockel, angezogen mit liebevoll handgenähten Kleidern, zu ihren Füßen getrocknete Blüten. Die kleine Figur war der ganze Stolz Adelgundes, wurde nun aber von ihrem angestammten Platz genommen und respektlos hin und her gedreht. Urte traute ihren Augen nicht: Margarete sah Barbara ungeniert unter den Rock und wedelte mit der armen Heiligen herum, als wäre sie ein albernes Spielzeug.

Urte konnte ihre Entrüstung nicht länger beherrschen und machte sich von Alinas Hand los, doch kaum hatte sie einen Schritt auf den Boden gesetzt, verriet eine knarrende Planke ihre Anwesenheit. Margarete ließ die Barbara zu Boden fallen und stob mit wehendem Hemd davon. Die Tür fiel ins Schloss, und der Riegel wurde vorgeschoben.

Fassungslos sahen sie auf die heilige Barbara, deren Nase den Sturz nicht heil überstanden hatte.

An diesem Abend wurde Margarete kein Essen ans Bett gebracht.

Ilse richtete ihr kühl durch die geschlossene Tür aus, sie solle sich in die Küche begeben. Zur Überraschung Alinas kam Margarete der Aufforderung mit gesenktem Haupt umgehend nach. Ihr wurde ein Platz zugewiesen, von dem aus sie nicht an Brot und Butter langen konnte. Auch weder Messer noch Löffel waren für sie vorgesehen. Nur ein Becher Wein stand vor ihr, der, den sie bei ihrer Flucht zurückgelassen hatte.

Adelgunde war keine Frau großer Reden und sagte lediglich: »Armer Leute Gäste gehen beizeiten nach Hause.«

Margarete, klein und zusammengesunken, gab das Bild des personifizierten Büßerelends ab. Ihr war bewusst, dass keine freundlichen Blicke die ihren erwidern würden.

Adelgunde hob Margaretes Kinn, so dass die junge Frau sie ansehen musste. Die vergissmeinnichtblauen Augen schwammen vor Tränen, die Lippen zitterten.

»Weder braten wir dich am Spieß, noch brechen wir den Gerichtsstab über dich, aber du sollst dein Verhalten rechtfertigen. Ich habe dich in Not aufgenommen, was meine gute Christenpflicht ist, die ich gerne meinem Nächsten zuteil werden lasse. Allerdings hätte ich nicht erwartet, dass meine Barmherzigkeit auf diese Art vergolten wird.«

»Mir war so schrecklich fad«, wisperte Margarete kleinlaut und starrte auf ihre Finger.

»Sticken tut deinen Augen nicht wohl, Nähen schadet deinen Fingern. Die Versorgung deines Kindes zerrüttet deine angegriffenen Nerven, und das Getreide im Mörser zu zerstoßen erschöpft dich übermäßig. Margarete, du solltest deine Einstellung zur Arbeit überdenken, und ebenso die zum Eigentum anderer.«

»Von Herzen, ich beteuere es, gute Herrin.«

»Das Wetter schenkt uns die vielleicht letzten schönen Tage dieses Jahres, und noch fahren vereinzelte Handelszüge auf der Krönungsstraße. Ich werde eine sichere Reisegesellschaft für dich und das Kind suchen, die euch wohlbehalten in Aachen abliefert. Wenn du klug bist, weißt du von dort aus dein Glück zu schmieden.«

»Was? Nein!« Margaretes Augen weiteten sich ungläubig. Sie stürzte sich von der Bank auf den Boden, kniete vor Adelgunde, ergriff deren Hände und überdeckte sie mit flehenden Küssen. »Ich gelobe Einsicht und Besserung, bei allem, was mir heilig ist.« Suchend irrten ihre Augen im Raum umher, dann entdeckte sie Felix, der friedlich in einer Strohkuhle schlummerte. »Ich schwöre beim Leben meines unschuldigen Sohnes. Ich habe mich bisher nicht an der Arbeit beteiligt, weil ich mich schämte zuzugeben, dass ich weder nähen noch sticken kann. Ich kann überhaupt nichts! Ich brauchte so etwas nie zu tun, dafür hatten wir Dienstboten. Alles will ich künftig erlernen, alles! Nur schickt mich nicht fort! Bitte, ich flehe euch an. Euch alle, habt Erbarmen!«

Mit einer Geste befahl Adelgunde Margarete aufzustehen und wandte sich an ihre Mägde.

»Wollen wir sehen, ob wir es schaffen, miteinander auszukommen?«

Ilse, der am Verweilen des kleinen Felix gelegen war, nickte sofort. Urte zuckte mit den Schultern und sagte betont grantig: »Du bist die Herrin.«

»Alina?«

»Ich will nicht den ersten Stein werfen.«

Die Mägde widmeten sich wieder ihrem Mahl. Margaretes Tränen versiegten, sie schniefte aber noch.

Adelgunde sah sie gedankenvoll an. »Kind, wovor hast du so eine schreckliche Angst?«

Margarete warf Alina einen Blick zu, versicherte sich auch deren Aufmerksamkeit. »Ich fürchte den flammenden Jähzorn meines Gemahls. Ich will ihm nicht bösartig nachreden, denn ich habe mich ihm vor Gott und meinem Vater versprochen. Ach, da war er noch ein guter Mann! Doch aus zunehmend nichtiger werdenden Anlässen fährt der Dämon der enthemmten Wut in seine Seele und zerfrisst seine ritterliche Persönlichkeit, wie eine garstige Raupe eine edle Rosenknospe zerstört. Er erhob sogar seine harsche Hand gegen mich, obgleich ich die Leibesfrucht trug.« Margarete klappte den Mund auf, schluckte und presste schließlich etwas piepsig hervor: »Ich ... Mein Gatte, ach, weh mir! Gott hat sein Antlitz von mir abgewandt. Ich muss mich einfach jemandem anvertrauen. Mein Gemahl und ich, wir kennen einander kaum, und in manchen Dingen sind wir sehr unterschiedlich. Er ist dominant und befehligt mich so hart und unnachgiebig, wie er seine Soldaten kommandiert. Wir sind in rasendem Disput auseinandergegangen, so dass ich gar nicht weiß, ob er mich überhaupt noch will. Hals über Kopf bin ich entflohen und durfte im Wagen eines freundlichen Tuchhändlers mitfahren.«

»So freundlich will er mir nicht scheinen, wenn er dich im Wald ausgesetzt hat.«

»Ein Mann eben, doch indem er mir half, tat er mehr als andere. Als die Wehen kamen bekreuzigte er sich unentwegt, betete laut und deutlich und drückte mich von der Ladefläche. Ich war verzweifelt und bin es immer noch. Ich kenne doch niemanden. Wo ich wohnte, ist nicht mein Zuhause.« Das klang so jämmerlich, einen Stein hätte das Mädchen erweichen können.

Margarete legte ihr Gesicht in die Hände, und ihre Schultern bebten. Alina, die nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte, berührte leicht Margaretes Arm. Adelgunde rieb sich verhalten die Augen, gähnte, und die fahlen Augenringe gaben kund, dass sie in den letzten Nächten die Sorge um Wohl und Wehe des Hofes mit unter die Bettdecke genommen hatte. Bald darauf nickte sie auf ihrem Stuhl ein. Alina nahm eine Decke aus zwei zusammengenähten Schaffellen und breitete sie über ihre Tante.

Margarete seufzte und nahm mit scheuem Lächeln ein Stück Brot aus Ilses Hand, als diese es ihr im Vorbeigehen hinhielt. »Danke schön! Alina, was meinst du, hat mir deine Tante verziehen? Es tut mir so unendlich leid, dass ich der Heiligenfigur Schaden zugefügt habe.« Ihr Bedauern klang aufrecht.

»Wenn dir an unser aller Wohlwollen gelegen ist und du hierbleiben möchtest, solltest du dich nicht länger von den Arbeiten fernhalten. Es ist bestimmt nicht einfach für eine Außenstehende, einen Platz in unserer eingeschworenen Gemeinschaft zu finden, aber wenn sich alle bemühen, dann wird es schon funktionieren. Vor allem wird Felix viel für dich erreichen.«

»Ach, ja. Er ist manchmal ganz drollig.«

»Drollig? Hast du dir dein Kind schon einmal mit offenen Augen angesehen? Du hast deinem Gemahl einen makellosen Sohn geboren. Meinst du nicht, was immer du ihm Beleidigendes sagtest, wird beim Anblick seines Sohnes hinfällig? Wenn er Felix erst im Arm hält, wird er den Kleinen lieben und dich ehren.«

»Ach, ich weiß nicht. Na ja, wenigstens ist es ein Junge.« Trotz klang in ihrer Stimme.

»Margarete, du tust mir wirklich leid. Hast du ihm einen Grund gegeben, zornig zu werden?«

»Alina! Natürlich nicht! Sein Jähzorn brauchte keinen Grund, genau das machte ihn doch so unberechenbar«, erklärte Margarete gereizt. »Manchmal brauchte nur eine Fliege an der Decke zu hocken, da überflutete die schwarze Galle Gerhards Gemüt, und ich konnte meine Haut zum Gerben hinhalten. Er tadelte mich vor allen Leuten, vor Gesandten, Vögten, Fürsten und Schweinehütern, bis ich mir geringer als ein winziger Wurm vorkam. Dabei versuchte ich stets, ihm zu gefallen. Ich bediente ihn, war anmutig und führte kluge Unterhaltungen mit seinen Gästen. Ach, was klage ich, ich bin ein erwachsenes Weib, es ist mein Schicksal. Doch was soll aus Felix werden? Das Kind ist zart, hilflos und so winzig. Ich fürchte, ich bringe nicht die körperliche Stärke auf, es bis auf meinen letzten Blutstropfen zu verteidigen, wenn Gerhards Zorn auch eines Tages das Kind trifft.«

»Hast du keinen Vertrauten, keinen, der seine schützende Hand über dich hält? Einen Beichtvater, einen Paten vielleicht?«

»Da gäbe es schon jemanden, aber damit würde ich erst recht ein Unglück heraufbeschwören.«

»Bedenke, Margarete, deinem Gemahl kannst du dich nur auf ewig entziehen, wenn du den Schleier wählst.«

»Das will ich aber nicht! Ich will nur glücklich werden.«

Alina fiel es zu, Margarete zu wecken. Die Schläferin trennte sich nur maulend von der Strohmatratze, trödelte unnötig herum und fasste das ihr überlassene, beinahe neue Arbeitsgewand einer verstorbenen Magd mit unverhohlenem Missfallen an. Dann, als ihr Geist langsam erwachte und ihr einfiel, dass sie geprüft wurde, gab sie sich eifrig.

Margarete versorgte Felix geradezu mustergültig, bevor sie Ilse den Knaben zur Obhut entgegenstreckte. Die Bucklige nahm das Kind, strich über seine Wange, und Felix schenkte der ihm Vertrauten ein engelgleiches Lächeln. Magd und Kind bemerkten Margaretes schmaläugigen Blick nicht. Alina sah ihn zwar, deuten konnte sie ihn indes nicht.

Margarete zupfte unglücklich an dem Nesselgewand herum und hob zögernd ihre Füße, die nun in den üblichen Holzschuhen steckten. Ihre eleganten Lederschühchen hatten ihren wilden Waldlauf kaum überstanden. Ein normaler Arbeitstag wäre ihr Ende.

Alina öffnete die Tür und spähte nach draußen. Ihr Atem formte kleine Wolken. Die Welt war von glitzerndem Raureif überzogen, und die aufgehende Sonne beschwor farbenfrohe Wolkenformationen. Ein wenig Wind war aufgekommen.

»Alina, warte noch einen Augenblick.« Die Herrin des Hufenhofes winkte Alina zu sich. »Ich werde zum Gutshof gehen und dem neuen Grundherrn die Aufwartung machen. Er ist dort, um die Auflistung des Präfekten einzusehen. Für mich ist die Gelegenheit günstig, mir selbst einen Eindruck von dem Mann zu machen, der über unser Gedeih und Verderb bestimmen kann. Schau, was meinst du, wird ihm der Gabenkorb gefallen?« Adelgunde lüpfte das Tuch, und ein buntes Allerlei kam zum Vorschein.

Alina nickte. »Unser Käse ist weithin beliebt, die Würste sind besonders gut gelungen, und die Symbolik von Brot und Salz dürfte dem Herrn gefallen. Dazu noch eine Schweineblase voll Wein, das ist ein wahrlich schönes Antrittsgeschenk.«

»Du siehst hier nach dem Rechten, bis ich zurückkehre. Halte die Augen offen. Es muss nichts bedeuten, aber mich plagt eine seltsame Vorahnung. Achte auf Fremde und sei nicht zu gutgläubig.« Adelgunde schlug ein kleines Kreuzzeichen auf Alinas Stirn.

»Ja, Tante. Ich bin kein kleines Kind mehr. Vertraue mir ein wenig! Gottes Segen mit dir! Du wirst keinen Grund zur Klage haben, bis du zurückkehrst, werden wir vieles geschafft haben. Komm, Margarete, wenden wir uns den Mistforken zu. Die Tiere brauchen neues Stroh und frisches Wasser. Anschließend kannst du die Windeln deines Sohnes waschen, er benötigt neue Tücher, und vielleicht wird bei dem Wind noch etwas trocken.«

Kapitel 4